Aus der Sommerfrische

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Aus der Sommerfrische
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Aus der Sommerfrische

Hans Hoffmann

Inhaltsverzeichnis

Auf nie erstiegenem Gipfel.

Die Sänfte.

Novellette.

Im Vaterhause.

Das lebende Muttergottesbild.

Der kluge Kommissar.

Die Zaunrübe.

Impressum

Auf nie erstiegenem Gipfel.

Nahrn in Tirol, wo ich meine Sommerfrische hielt, schlief, trank und Gedichte machte, ist nur eine Haltestelle der Südbahn, und man darf mit dem Auswählen einer Wagenabtheilung nicht allzuviel Zeit verlieren. Das ist unangenehm, wenn der Zug sehr voll ist, wie es heute wieder der Fall war, als ich meinen Ausflug in die Dolomiten unternahm. Es schien wahrhaftig kein Plätzchen mehr frei zu sein, auch Niemand hier auszusteigen. Ich spähte unruhig von Wagen zu Wagen.

Da kam mir eine unerwartete Hülfe oder doch ein Wink, wie ich selbst mir helfen könne. Aus einem Fenster flog in großem Bogen ein Koffer heraus und plumpste in den Sand; gleich darauf ward die Thür aufgerissen, und ein junger Mensch sprang mit einem Zetergeschrei hinter ihm her.

»Ich werde mich beschweren! Ich werde mich beschweren!« hörte ich ihn jammern und drohen.

Ich aber, durch den Kampf ums Dasitzen 2 verroht, dachte an nichts, als mich des leer gewordenen Platzes zu bemächtigen, und strebte nach der offenen Wagenthür. Da trat mir in deren Rahmen ein Schreckbild entgegen, das wohl einen Muthigeren hätte verscheuchen können als mich, der ich der Leier zarte Saiten mehr, als ich verantworten kann, doch nie des Bogens Kraft gespannt: eine beleibte Dame in mittlerem Lebensalter mit einem hochgerötheten Antlitz voll so zusammengedrängten Ingrimms, daß ich erschrocken zurückfuhr. Ich habe selten so etwas gesehen; mein Freund Liborius, der Kunstkenner, würde dies Gesicht einem Gorgonenhaupte der ältesten Stilrichtung – Metopen von Selinunt – verglichen haben; ich aber dachte schlichteren Sinnes: das Urbild einer Schwiegermutter!

Zur Entschuldigung dieses pietätlosen Gedankens kann ich nur anführen, daß die einzige Lektüre meiner letzten Wochen einige Jahrgänge der »Fliegenden Blätter« gewesen waren.

Trotz der drängenden Eile zauderte ich einen Augenblick. Doch siehe, die Schreckliche selbst sprach zu mir nach einer kurzen Musterung meiner Person: »Bitte, kommen Sie nur herein. Sie sehen ja so nicht aus.«

Natürlich wagte ich nicht, sie durch eine Weigerung zu reizen; ich stieg daher ein, obzwar nicht 3 ohne ein dunkles Bangen. Sie mochte mir das ansehen.

»Ich bin nicht so schlimm, wie ich aussehe,« sprach sie ermuthigend, »wenigstens nicht gegen jeden. Aber sehen Sie den Laffen da! Ja, der hat's gekriegt.«

Ich blickte aus dem Fenster und sah den jungen Menschen, der mir unfreiwillig den Platz geräumt hatte, mit seinem aufgerafften Handkoffer an dem Zuge entlang trippeln und hastig hineinspähen. Jetzt begriff ich einiges: nach seiner Kleidung war er ein Modegeck widerwärtigster Sorte, so ein richtiges Gigerl nach der neuen Manier. Ich begann ein leises Vertrauen zu meiner Gestrengen zu fassen.

Das zeternde Geschöpf fand endlich noch einen Platz, und der Zug ging weiter.

Mit angenehmer Verwunderung bemerkte ich, daß in unserer Abtheilung ausgiebiger Raum war; außer uns beiden war nur noch ein junges Mädchen darin.

»Ja, ja,« sagte die Grimme, abermals meine Gedanken errathend, »hier drin bleibt's leer. Wenn ich an der Thür stehe, traut sich keiner herein, den ich nicht haben will. – So ein vermißquiemter Jammerlappen und will den Schwerenöther spielen und das in meiner Gegenwart!« fügte sie stillwüthig hinzu.

4 »Der Mensch scheint sich unartig benommen zu haben?« fragte ich schüchtern.

»Unartig? – Frech!« berichtigte sie mit funkelnden Blicken. »Sehen Sie sich dies nette, kleine Mädchen hier an; ein unschuldiges Wurm – siebzehn Jahre, wie, Fräulein? – ein bißchen reichlich unbedarft, das merkt man ja gleich: na, der fremde Zierbengel hat's auch gemerkt und macht sich an sie mit Scharwenzeln und Wedeln und Süßholzraspeln, daß mir schon ganz seekrank davon wurde. Aber angehen that's mich ja nichts, ich kenne die Kleine nicht, und sie saß in der andern Ecke.

»Jetzt fing das arme Ding aber an, in seiner Angst mir näher und näher zu rücken; der Ekel immer unverfroren hinter ihr her. Ich plusterte nun schon so sachte meine Federn auf. Sie müssen nämlich wissen, ich bin aus Rügen, und da ist das nicht Mode, anständigen Mädchen so aufzurücken, und man kann so was nicht mit ansehen. Das arme Gör! Es bibbert ja noch ordentlich. – Jetzt fing eben der Zug an langsam zu gehen, weil diese Station kam, und ich konnte besser hören. Da hört' ich ein paar Redensarten – der Lümmel kann von Glück sagen, daß er nicht selbst mit einer Maulschelle aus dem Fenster geflogen ist. Na, mit dem Koffer ging's bequemer, nach mußte er ja doch, er konnte sein besseres Theil nicht im 5 Stiche lassen; es war nämlich sein Musterkoffer. – So, kleines Fräulein, und jetzt können Sie ruhig sein. Und haben Sie sich nicht mehr so. Der kommt nicht wieder; und ich bleib' bei Ihnen.«

Das junge Mädchen that einen dankbaren Aufblick; doch glaubte ich zu bemerken, daß ihr die Beschützerin auch nicht ganz geheuer schien; jedenfalls rückte sie allmählich wieder weiter von ihr ab. Und übrigens verließ sie den Zug schon in Franzensfeste, der nächsten Station. Fortan blieb ich allein mit der thatkräftigen Dame.

Doch war ich nicht mehr ängstlich: sie hatte offenbar auch ihre menschlichen Seiten. Selbst ihr Gesicht hatte durchaus nichts Abschreckendes mehr; es war ein derbes, rundes und rothes, tapferes, ehrliches vorpommersches Antlitz, mit hellblauen, klugen und behäbigen Augen. Unser Gespräch wurde recht lebhaft. Sie kam noch öfter mit großer Genugthuung auf ihre Heldenthat zurück und schilderte ganz besonders vergnügt das unsäglich dumm erschrockene Gesicht, das jener Geck beim Anblick ihres stumm handelnden Zornes gemacht habe.

»Na, Sie haben auch einen Schreck gekriegt, als Sie mich so sahen,« fügte sie mit einem schlauen Lächeln hinzu. »Ja, ja, ich kann nach was aussehen. Kucken Sie mal her: erkennen Sie dies wieder?«

6 Sie griff in die geräumige Ledertasche, die sie unentwegt auf dem Schoße trug, und zog eine Photographie großen Formates heraus, nichts Geringeres darstellend als ihr eigenes Antlitz in einem Augenblicke des furchtbarsten Ingrimms. Es war sprechend ähnlich, ein Bild von grausamem Realismus; ich war froh, daß meine Kinder es nicht sahen, sie würden nächtelang schlimme Träume davon gehabt haben. Ich schrieb in Gedanken einen Aufsatz »Zur Aesthetik des Häßlichen«, in dem ich die Frage aufwarf, doch unbeantwortet ließ, ob so etwas in der bildenden Kunst wohl noch zulässig sein würde! Als Erinnye – vielleicht: aber doch nur im tiefen Hintergrunde und mit dem Gegengewicht einer ganz holdseligen Gottheit; sonst müßte der Beschauer sich völlig zermalmt und gar nicht erhoben fühlen.

»Nicht wahr, es ist gut?« fragte sie wohlgefällig. »So ein nichtsnutziger, neumodischer Momentphotograph hat's hinterlistig aufgenommen, ohne daß ich etwas davon ahnte. Bloß zu seinem Spaß; denken Sie nur, solch ein Spitzbube! Na, wir sind nachher gute Freunde geworden, und als er mich genau kannte, hat er den Muth gekriegt, es mir endlich zu zeigen. Und da hab' ich ihm gezeigt, daß er mich richtig gekannt hat und daß sein Muth keine Tollkühnheit war. Ja, hab' ich gesagt, so 7 muß man aussehen können, sonst kommt man im Leben nicht richtig durch. So kann man was ausrichten und auch andern was nützen. Denn dem Menschen ist alles gesund, wovor er 'nen Grugel hat, sagt unser Onkel Bräsig. So ist es mit mir auch: ich bin schon manchem Menschen gesund damit gewesen, nicht bloß dem Zieraffen heute. – Und mir selbst hab' ich noch was anders gesagt: So muß man manchmal aussehen können, aber nicht zu oft; und man soll sich nicht über Kleinigkeiten ärgern und nicht so schön wüthig werden, wenn's gar nicht nöthig ist; sonst ist man nichts weiter als eine ganz gewöhnliche böse Schwiegermutter, wie sie so abgemalt werden. Und das darf man sich nicht nachsagen lassen, wenn man wirklich Schwiegermutter ist und hat einen braven Schwiegersohn.«

Ich erschrak ein wenig; hatte sie auch meinen ersten pietätlosen Gedanken in meiner Seele gelesen? Doch zugleich reinigte ich mich tragisch in Furcht und uneigennützigem Mitleid mit einem Unbekannten. Denn ich fragte mich heimlich, ob ich bei aller Achtung vor ihrer menschlichen Tüchtigkeit wohl den Löwenmuth gehabt haben würde, ihr Eidam zu werden; und ich mußte die Frage leise verneinen.

Ich murmelte aber etwas von takt- und herzlosen Witzen, wie sie neuerdings Mode geworden, über die armen Schwiegermütter mit ihrem liebreichen 8 Herzen, ihrer zärtlichen Fürsorge für das innere Glück auch ihrer erwachsenen Kinder – –

Ich weiß nicht mehr genau, ob mir die Bemerkung so ganz ungeheuchelt aus der Seele geflossen ist; möglich immerhin, daß die schreckliche Frau auch da wieder eine richtige Witterung hatte, als sie mir ins Wort fiel: »Ach, lassen Sie's gut sein, Sie meinen's ja doch nicht so. Und es ist auch wirklich nicht mal wahr, die Witze sind manchmal sehr gut und sind ganz in der Ordnung: so, wie die meisten Schwiegermütter sind, verdienen sie's nicht besser. Mal zudringlich und ungeschickt, mal zimperlich und wehleidig, und jede verliebt in die eigene Brut, daß es ein Greuel zu sehen ist; jede bildet sich ein, ihrem süßen Töchterchen geschehe das himmelschreiendste Unrecht von ihrem Manne, wenn der nicht vom Morgen bis zum Abend vor ihr auf den Knieen liegt. Und die Mannsmütter sind noch schlimmer, die sind auch noch eifersüchtig; Teufels Unterfutter nennt man sie darum bei uns zu Lande.«

 

Ich athmete ein wenig auf im Gedanken an den Unbekannten, der ihr Schwiegersohn war. Geradezu beneiden konnte ich ihn aber doch noch nicht, denn sie fing schon wieder an ziemlich strenge dreinzublicken.

»Zum Glück gibt's aber doch auch liebenswürdige Schwiegermütter,« bemerkte ich eifrig, »die so klug sind, ihren Kindern die eigenen Wege gehen zu 9 lassen und sich jeder unerbetenen Einmischung zu enthalten –«

»Was?« unterbrach sie mich ganz heftig, »und solche nennen Sie klug? Natürlich gibt's solche Susen, die nicht Zipp sagen mögen, wenn sie die Kinder in ihr Unglück rennen sehen, sondern mit dämlichem Seufzen den Himmel anstarren: aber die nenn' ich eben dämlich und zimperlich und pflichtvergessen. Was? Wozu sind wir Schwiegermütter denn überhaupt noch auf der Welt, wenn wir uns nicht einmischen sollen? Wozu haben wir unsre Erfahrung?«

Ein Schauder überlief mich. Mit wie heiligem Erbarmen wollte ich dem Unbekannten die Hand drücken, wenn ich ihn je kennen lernte! Und wie pries ich meinen Schöpfer, der mich mildere Wege geführt hatte!

Sie aber, die Furchtbare, fuhr gelassener fort: »Nein, mitreden müssen wir, das ist unsre Pflicht, helfen müssen wir den Kindern, dafür sind wir da. Aber merken Sie wohl, lieber Herr: auf die richtige Art! Auf die richtige Art! Darauf kommt alles allein an.«

Voll zweifelnder Erwartung blickte ich sie an, in der That sehr zweifelnden Herzens. Natürlich merkte die alte Hexe auch das wieder ohne Schwierigkeit.

»Ich verlange ja gar nicht, daß Sie mir glauben, 10 ich mache es richtig,« sagte sie mit einem ganz spitzbübischen Lächeln, »bloß weil ich merke, daß Sie neugierig geworden sind, will ich Ihnen erklären, wie ich's so ungefähr mache. Sehen Sie zum Beispiel, meine Kinder wohnen in Greifswald und ich in Putbus auf Rügen; da ist bloß der Bodden dazwischen, und ich kann jeden Tag bei ihnen sein, so in zwei Stunden. Sie denken nun wohl, das thu' ich, komm' mal heut und mal morgen? Oder leg' mich auch vor Anker da für ein paar Wochen, um das Hin- und Herreisen zu sparen? Prosit die Mahlzeit, fällt mir nicht im Traum ein, weder das eine noch das andre. Das ist eben mein Pfiff. In solcher Nähe muß ich bleiben, erstens daß ich auf dem Posten sein kann, wenn sie mich mal nöthig haben, und zweitens damit sie nie ganz aus der Angst vor mir herauskommen. Aber sehen lassen thue ich mich sehr selten, meist nur wenn Noth an den Mann geht, und ich bleibe nie länger als vierundzwanzig Stunden. Auf die Art nutzt man sich nicht ab, und das ist im Leben immer 'ne Hauptsache. Verstehen Sie, wie ich's meine? So sind die Kinder jetzt in Tirol seit einigen Wochen und ich desgleichen, immer dicht in der Nähe, aber gesehen haben wir uns noch nicht. Bloß kommen konnt' ich jeden Tag, und heut komm' ich wirklich. Es geht nämlich Noth an den Mann.«

11 »Aha, Sie müssen Frieden stiften?« fragte ich boshaft.

»Das natürlich, aber noch etwas andres,« versetzte sie ruhig, »und das andre ist schlimmer. Das Friedenstiften allein, das ist bald gemacht.«

»Wirklich?« fragte ich in stark ironischem Ton; ich begann sie für eine Aufschneiderin zu halten. »Die Versöhnung zwischen erzürnten Eheleuten pflegt sonst ein verzweifeltes Unternehmen zu sein – wenn ein dritter sich damit befaßt.«

»Bei mir ist es eben etwas anders,« entgegnete sie mit kühler Bestimmtheit, »man muß es nur richtig anfassen und muß seine Bedeutung als Schwiegermutter kennen. Ich hab' meine Mittel. Ich komme plötzlich an, wenn so was in der Luft liegt – Sie müssen aber nicht denken, daß meine Tochter mir davon schreibt; das thut eine ordentliche Frau nicht; ich wittere es bloß aus dem Ton ihrer Briefe, aber meine Witterung ist scharf: sie schreibt dann immer so sanft und gemüthvoll und ein bißchen christlich. Also ich komm' und thu', als ob ich nichts ahnte. Kinder, sag' ich mal bloß so beiher, das find' ich zu nett, daß ihr jetzt nicht mehr so schauderhaft zärtlich zusammen seid, ich kann das labbrige Gethue für den Tod nicht ausstehen; damit kann man mich jagen, und ihr jagt mich sonst wirklich. Aber wenn ihr weiter so vernünftig seid wie jetzt, mach' ich mal 12 eine Ausnahme und bleibe gern vier Wochen bei euch, wenn ihr mich recht schön bittet. – Das sag' ich ganz unbefangen und mache nur nachher so bei Gelegenheit mal mein ganz borstiges Gesicht wie das hier auf dem Bilde.

»Natürlich bitten sie mich nun beide recht schön, mein Schwiegersohn voran, und ich lasse mich schon so leise erweichen. Aber nun sollen Sie sehen und können Gift drauf nehmen: eh' eine Viertelstunde herum ist, geht er hin und thut Abbitte bei meiner Tochter, und die Versöhnung ist fertig; sie liegen sich in den Armen und schnäbeln sich wie die Turteltauben. Und ich reise ab, denn so was kann mich ja jagen. Sehen Sie, das ist's, was ich meine: man muß seine Bedeutung als Schwiegermutter kennen.«

Sie schwieg und blickte mir mit stillem Triumph ins Gesicht. Und in der That, meine Zweifel waren geschlagen und beschämt, ich war ganz voller Bewunderung.

»Sie sind eine großartige Frau!« rief ich ehrlich begeistert. »Gäb' es in der Politik doch so glückliche Friedenstifter!«

»Ja, warum läßt man uns Frauen in der Politik nicht mitreden?« meinte sie stolz lächelnd. »Eher wird es nie besser.«

Das wollte mir nun doch so völlig nicht einleuchten; und ich fragte ablenkend: »Aber wird es 13 Ihnen nicht schwer, Ihre Kinder so selten und so flüchtig zu sehen?«

Fast bereute ich die thörichte Frage, denn auf einmal zog ein tief wehmüthiges Zucken über ihr derbes Gesicht und durchschauerte mich seltsam. Doch sie zwang das schnell nieder und antwortete nur kurz: »Ja, was kann's darauf ankommen? – Das ist aber nur ein Mittel,« fuhr sie rasch fort und lachte schon wieder listig, »ich hab' auch noch andre, je nach dem Falle. Wenn zum Beispiel mein Schwiegersohn mal sehr offenkundig im Unrecht ist, dann stell' ich mich auf seine Seite und geb' ihm stramm recht und tadle meine Tochter: da schämt er sich so, daß er's gar nicht aushält und auch wieder abbittet.«

»Sie sind eine Meisterschwiegermutter!« rief ich entzückt und drückte ihr die Hand mit freudiger Hochachtung.

Sie lächelte befriedigt. »Das sind so die leichten Fälle,« redete sie weiter, »die kosten nicht viel Anstrengung. Aber da gibt's andre, wo man nicht so glatt durchkommt; da heißt es nachdenken. So heute zum Beispiel.«

»Nun?« fragte ich gespannt, »oder darf ich es nicht hören? Ich will Sie nicht aushorchen.«

»Sie kommen mir vor wie ein ordentlicher Mensch,« sprach sie nach kurzem Ueberlegen, »denn Sie sind verheirathet, wie Ihr Ring zeigt, und sehen doch zufrieden aus. Sie müssen eine gute Frau 14 haben, und die wird gewiß schon ein bißchen auf Sie abgefärbt haben, daß Sie auch nicht mehr so schlecht sind, wie die meisten Männer. Darum will ich's Ihnen erzählen. Vielleicht auch, daß Sie mir noch irgend einen Rath geben können in diesen männlichen Sachen.

»Also, was nämlich mein Schwiegersohn ist, der ist botanischer Professor an der Universität, Dr. Wittenbarg heißt er; und ich bin die Wittwe Päske. Darum stiefelt er im Sommer hier viel auf den Bergen umher und sucht sich botanische Kräuter und pökelt die ein. Das ist ja nun ganz schön und ist nichts gegen zu reden, denn es ist sein Geschäft. Bloß manchmal packt ihn der Raptus, und er klettert viel höher, wo längst nicht mal Gras mehr wächst, sondern bloß Eis und Steine, die ihn gar nichts angehen, denn er ist darauf nicht angestellt. Und er will auch nichts da sammeln, sondern bloß so klettern aus reinem ausgeschlagenem Uebermuth. Bloß immer höher und höher auf die zackigen Spitzen. Das ist doch nicht anders als in der Geschichte mit der Geiß, der's zu wohl im Stall ist, und sie läuft aufs Eis und bricht sich die Beine. Und er wird sich den Hals brechen, wenn er's nicht läßt. Und das soll ein Vergnügen sein! Können Sie so was begreifen? Oder sind Sie gar selbst so ein leichtsinniger Klettermensch?«

15 »Ich bin unschuldig,« rief ich, »aber begreifen kann ich's allenfalls. Wir Männer haben alle so unsern Sparren. Da kenn' ich beispielsweise einen, der sich sonst ganz redlich ernährt, sagen wir mal vom Heftekorrigieren und Vocabelabhören, aber manchmal packt ihn der Raptus, und er fängt an Gedichte zu machen. Es ist reiner Unsinn, geht ihn nichts an und bringt ihm nichts ein, denn er ist nicht dafür angestellt, aber er thut es doch und kann ihn keine Vernunft und keine Schwiegermutter davon abbringen.«

»Sie wollen mich wohl uzen?« fragte die Wittwe Päske verdrießlich.

»Behüte Gott!« rief ich nachdrücklich, »ich will nur sagen: das ist in der Hauptsache dasselbe, nämlich mit dem Raptus. So kann ich mir erklären, wie Jemand auf solche Narrheiten verfällt.«

»Aber beim Gedichtemachen bricht sich doch Niemand das Genick,« wandte sie kopfschüttelnd ein.

»Das gerade nicht,« mußte ich zugeben, »aber das Gehirn hat sich schon mancher dabei verschroben, und das ist schließlich ebenso schlimm. Doch das ist's gerade: die Gefahr hat etwas Lockendes für den einen wie für den andern.«

»Ja, das lass' ich mir alles gefallen,« versetzte Frau Päske, »solange einer jung ist und noch keine Frau hat, kann er sich zerbrechen was er will, der 16 eine den Kopf, der andre das Genick. Es gefällt mir sogar recht gut. wenn einer nicht so zimperlich mit seinem Leben umgeht und es getrost mal aufs Spiel setzt, auch zum bloßen Vergnügen. Die Muttersöhnchen und Stubenhocker sind schon gar nicht mein Fall. Dagegen aber sag' ich: wer mal verheirathet ist, der soll so was lassen und soll an seine liebe Frau denken, was die wohl sagen wird, wenn er so leichtsinnig sein Leben verspielt, und was nachher aus ihr werden soll.«

»Da bin ich völlig Ihrer Ansicht,« sprach ich mit Ueberzeugung, »ich verfahre nach diesem Grundsatz. Früher habe ich mir auch einmal gelegentlich eine kleine Gletscherfahrt gegönnt, und je steiler eine Bergwand, desto größer das Vergnügen, da hinaufzukraxeln im Schweiße meines Angesichts. Aber jetzt – wo ich Gefahr wittere, lass' ich die Hand davon. Ich kann's meiner Frau nicht anthun. Aber geht denn Ihr Herr Schwiegersohn auf so gefährliche Höhen?«

»Ja eben,« antwortete sie grimmig, »immer auf die allerhöchsten Berge mit Eis und Schnee und Gletschern sogar und all solchem Unfug, und am liebsten so steile, daß man denkt, keine Eichkatze könnte da 'raufkommen. Aber er macht sich dran. Ist ein wahres Wunder, daß er noch heile Knochen hat. Und grade jetzt will er, wie meine Tochter 17 schreibt, wieder auf so einen nichtsnutzigen Berggipfel kriechen, der so unvernünftig steil ist, daß vor ihm noch keine Seele da oben gewesen ist. Aber das grade reizt ihn, und er soll wie wild und versessen darauf sein. Und nun denken Sie, meine Tochter, das arme Wurm! Das lebt ja rein immer in Todesangst hier im Gebirge. Und das soll eine Mutter mit ansehn und dazu still schweigen? 'ne olle Suse ist sie, wenn sie das thut, kann ich bloß sagen. Ich aber fahr' jetzt hin und werd' ihm den Kopf waschen, daß er dran denken soll!«

Ich nannte mich im Herzen einen glückseligen Mann, daß ich erstens nicht so schlecht war und zweitens nicht ihr Schwiegersohn; denn sie sah in diesem Augenblicke wieder aus – nun, eben wie das Urbild der zu fürchtenden Schwiegermutter. Ich beeilte mich ihr Recht zu geben.

»Wenn er so einer ist,« bemerkte ich streng, »dann verdient er's nicht besser. Also ein richtiger Bergfex von der ganz bedenklichen Sorte. Gegen diese Leute sollte man wirklich mit Polizeistrafen einschreiten. Ich kann es ja begreifen und vertheidigen, wenn jemand um der schönen Aussicht willen so ein Wagniß unternimmt – es ist in der That etwas Wunderbares, ein ganz unvergleichlich erhebendes Gefühl, aus so weitherrschender Höhe hinabzublicken in die schönheitleuchtende Welt, die 18 unsern Blicken plötzlich so breit aufgethan daliegt; o glückselige Jugend, der so etwas vergönnt ist! – aber was kümmert jene Herren die Erhabenheit der Aussicht? Nichts treibt sie als der lächerliche Ehrgeiz, Gefahr und Schwierigkeiten zu überwinden um ihrer selbst willen, die Sucht nach dem elenden Sportruhm, der erste gewesen zu sein auf einem als gefährlich verrufenen Gipfel und nachher als Held in den Jahrbüchern des Alpenclubs zu prangen. Eine frevelhafte Eitelkeit, um die alljährlich Hekatomben blühender Menschenleben geopfert werden.«

 

In diesem Tone sprach ich noch lange weiter und redete mich mehr und mehr in einen dämonischen Zornmuth hinein, der mir bisher diesen Dingen gegenüber ganz fremd gewesen war. War das nur Gefälligkeit gegen die Reisegefährtin oder regte sich heimliche Reue über eigene Jugendsünden oder gar verkappter Neid wider einen, der diesen Freuden noch nicht entsagt hatte? Oder war es der stolze Selbstgenuß meiner neu errungenen Tugend? Ich lasse es dahingestellt, muß aber bemerken, daß ich mir allmählich selbst etwas verdächtig vorkam und plötzlich mein Spotten und Predigen einstellte.

»Ja, so einer ist er!« seufzte Frau Päske mit finsterer Miene.

Ich hatte einen neuen Einfall.

»Aber,« sagte ich lächelnd, »Sie haben zum 19 Glück ja das Mittel in der Hand, ihn von dem Unfug zurückzuhalten. Sie erklären einfach, sie bleiben vier Wochen da, wenn er auf den Berg geht.«

Sie warf mir einen vornehm überlegenen Blick zu.

»Was Sie klug sind!« sagte sie spöttisch. »Wenn ich das sag', ist er im Stande und nimmt sich eine Bettstelle und hundert Conservenbüchsen mit auf den Berg und bleibt vier Wochen oben. Darauf darf ich's nicht ankommen lassen. Nein, da kann nun nichts helfen, ich kenn' ihn zu gut, für diesmal muß ich ihn noch klettern lassen. – Aber,« fügte sie mit erhobener und fast feierlicher Stimme hinzu, »ich will dafür sorgen, daß es das letzte Mal ist!«

»So? Sie haben also wieder ein Mittel?« fragte ich neugierig.

»Ich denke, ich hab' eins,« erwiderte sie mit einem Ausdruck, der eine sonderbar schwankende Mitte hielt zwischen grimmigem Hohn und einem fast liebenswürdigen Schmunzeln. »Aber fragen Sie mich nicht weiter, ich verrathe es Ihnen doch nicht. Wenn Sie es erleben wollen, können Sie ja mitkommen und die Sache mit ansehen. Und ich kann Ihnen nur sagen: Sie werden etwas erleben!«

Sie legte in die letzten Worte einen tief geheimnißvollen Ton, etwas dunkel Schauerliches; es klang als wenn sie gesagt hätte: Sie werden eine elegant ausgeführte Hinrichtung erleben.

20 Sie verstand es, meine Neugier aufs höchste zu spannen. Was mochte die originelle Person für einen Streich ausgeheckt haben? Uebrigens interessirte mich auch recht lebhaft die beabsichtigte Ersteigung eines jungfräulichen Gipfels; bei aller Lächerlichkeit des mißleiteten Ehrgeizes ist so etwas doch immer in seiner Art ein kleines historisches Ereigniß, dem beizuwohnen einen unleugbaren Reiz hat. Es ist immer so hübsch, erzählen zu können: ich bin mit dabei gewesen, wenn es auch nur ein Eisenbahnunglück war oder eine verderbliche Ueberschwemmung oder ein Attentat auf den Kaiser oder auch ein Absturz im Hochgebirge – ich will damit nicht sagen, daß ich ein Ereigniß der letzten Art mit klarem Bewußtsein erhofft hätte; ich will mich nicht zu schlecht machen.

Ich erkundigte mich bei Frau Päske nach dem Namen des Ortes, an dem ihre Kinder sich aufhielten, und von dem aus die Bergbesteigung unternommen werden sollte. Sie nannte ein Dorf im Herzen der Dolomiten von wohlbekanntem Rufe.

Vortrefflich! Es lag gerade auf meinem Wege. Morgen sollte ich es auf meiner Fußwanderung berühren; dem Plane nach nur ganz flüchtig, allein was hinderte mich, den Plan ein wenig abzuändern und einen oder mehrere Tage daselbst zu verweilen? Die Landschaft sollte prächtig sein, das Gasthaus 21 behaglich und die Verpflegung gediegen, das erforschte ich aus dem Bädeker.

Ich machte der Gefährtin den Vorschlag, einen gemeinsamen Wagen zu nehmen und also noch heute miteinander jene Ortschaft zu erreichen. Sie war sehr einverstanden: denn so theilten sich die Kosten, und sie würde Schutz und angenehme Gesellschaft haben. Ich war ganz stolz über diese schmeichelhafte Bemerkung.

Wir verließen also zusammen die Eisenbahn, mietheten einen flotten Zweispänner und fuhren hinein in die gewaltige Welt der wilden Dolomiten. Eine bezaubernde Fahrt im herrlichsten Sonnenschein; auch Frau Päske ward ergriffen.

»Das sieht ja noch viel toller als unsre Kreidefelsen aus!« rief sie bewundernd, – »und auf sowas will er 'raufklettern!« fügte sie entrüstet hinzu.

Ich tröstete sie, so schlimm wie es von unten her aussehe, sei solche Bergfahrt doch nicht; in der Nähe zeige sich oft die glatteste Wand noch ganz leidlich gangbar. Ich musterte jeden einzelnen dieser ungeheuerlichen Felsthürme auf seine Ersteigbarkeit hin und suchte ihr zu erklären, wie man ihn wohl fassen könne. Ich wurde sehr lebhaft, allerlei Jugenderinnerungen zuckten in mir auf. Sie blieb desto kühler und spottete weidlich über die zwecklose 22 Narrheit so halsbrechender Mühsal; natürlich pflichtete ich ihr auf das eifrigste bei.

Gegen Abend waren wir am Ziel. Ein entzückendes Oertchen mitten in den wildesten Berghäuptern, schreckhaft schönen Gebilden.

Das Gasthaus war stark besetzt, mehrere Dutzend Fremder genossen seiner Pflege; doch ich fand gerade noch eine Unterkunft.

Frau Päske ward von ihren Kindern mit Jubel empfangen; sie stellte mich dem Ehepaar als Reisegefährten vor. Es waren angenehme Leute: die junge Frau kernhaft, frisch und natürlich, nur daß bisweilen eine gedrückte und schmollende Stimmung leise zum Durchbruch kam, der Gatte eine kraftvolle Erscheinung von sehr lebhaftem Wesen; Thatenlust und Ehrgeiz brannten in seinen Augen. Mit seiner Schwiegermutter verkehrte er im Ton übermüthig neckenden Humors; doch verrieth sich bisweilen ein Anflug leicht reizbarer Empfindlichkeit ihr gegenüber, und ich ahnte dahinter etwas wie eine immer wachsame Furcht, mir zur Genüge begreiflich; freilich wußte er solche Schwächen allemal sehr schnell wieder zu verbergen und zu unterdrücken. Es war offenbar ein sehr gutmüthiger Kern in seiner Natur, doch ein zäher Eigensinn mochte dem die Wage halten; es saß so ein Ausdruck auf seiner Stirn. Von seiner Frau und auch von mir vertrug er jeden 23 Spaß, kein Spott über Bergfexe und deren närrisches Treiben verdarb ihm die Behaglichkeit. Wir verbrachten den heitersten Abend miteinander, des Neckens war kein Ende; ich ließ meine schlechten Witze über sein Vorhaben immer üppiger spielen.

Er ließ sich's nicht anfechten, sondern that ruhig zu wissen, daß die Besteigung auf übermorgen festgesetzt sei. Das Wetter war ganz klar und verhieß lange Beständigkeit. Der morgige Tag war noch der Ruhe und Vorbereitung gewidmet.

Das Ehepaar zog sich endlich zurück, die Schwiegermutter desgleichen. Ich bestellte noch einen Schoppen Terlaner und setzte mich damit ans Fenster, um noch ein wenig in den Mondschein zu blicken, der geisterhaft schön auf den wundersamen Bergspitzen ruhte.

Nach einiger Zeit bemerkte ich nicht ohne Verwunderung vor dem Hause die Wittwe Päske in lebhafter Verhandlung mit zwei Bergführern, die ihr aufmerksam, aber, wie es schien, etwas bedenklich zuhörten. Die drei standen entfernt genug mitten auf dem kleinen Dorfplatze, daß Niemand sie hören konnte, aber außer der Mondhelle fiel auch der Lichtschein der Hauslaternen so kräftig auf ihre Gestalten, daß ich jede ihrer Mienen und Gebärden deutlich unterscheiden konnte. Die behäbige Frau wurde ersichtlich immer eifriger in ihrem Zureden 24 und schien allmählich über das Zögern der Leute mehr und mehr zu ergrimmen.

Endlich nach längerem Hin- und Herreden war zu erkennen, daß sie denn doch einwilligten, ihr Verlangen zu erfüllen. Sie gab jedem etwas Geld: der Grund der Bedenklichkeit war also vermuthlich die Sparsamkeit der guten Dame gewesen. Darauf überreichte sie dem einen einen eingewickelten Gegenstand, den er mit ruhigem Nicken sorgsam in die Brusttasche steckte. Nun kam sie wieder auf das Haus zu und ging hinein; ihr Gesicht zeigte den Ausdruck dämonischen Triumphes.

Auf dem Hausflur hörte ich sie noch schelten über das schreckliche Kauderwelsch dieser Tiroler. »Das soll ja wohl ihr Plattdeutsch sein. Aber es ist ein falsches, sonst mußt' ich's besser verstehen.« Dann vernahm und sah ich nichts mehr von ihr. Die beiden Männer aber standen noch eine Weile an derselben Stelle und unterredeten sich miteinander unter vielem Kopfschütteln und verwunderten Gebärden, manchmal auch mit einer nur zu bezeichnenden Bewegung des Fingers nach der Stirn.

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