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Zane, ist der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schießt, als ich den Mann anblicke, der so dicht vor mir steht, dass ich seinen heißen Atem auf meiner Haut spüren kann. Auch nachdem ich mich zu ihm umgedreht habe und mich nicht mehr bewege, hält er meine Hüften fest umklammert, als würde er Angst haben, dass ich gleich verschwinde. Das habe ich nicht vor. Eigentlich habe ich gerade überhaupt nicht vor, mich zu bewegen. Ich könnte es auch nicht. Zu wissen, dass er mir so nah ist, hat dafür gesorgt, dass meine Füße anscheinend mit dem Boden verwachsen sind.
„An deiner Stelle würde ich das nicht machen“, weist er mich schließlich mit leiser Stimme an. Gleichzeitig zieht er die Augenbrauen ein Stück nach oben.
„Was?“, frage ich, obwohl ich es mir bereits denken kann. Dennoch will ich es aus seinem Mund hören, da ich so vielleicht endlich ein wenig Licht ins Dunkel bringen kann.
„Das, was du gerade vorhattest.“
„Und wieso?“
„Weil das eine bescheuerte Idee ist. Eigentlich müsstest du das aber auch wissen.“ Er lässt mich keine Sekunde aus den Augen. Kurz kommt es mir sogar so vor, als würde er durch mich hindurch sehen können, auch wenn mir bewusst ist, dass das überhaupt nicht geht.
Die nächsten Sekunden sagt keiner von uns ein Wort. Er macht aber auch keine Anstalten sich von mir zu entfernen. So wird mir noch bewusster, wie dicht wir beieinander stehen. Er schafft es, mein Herz zum Stolpern zu bringen. Ich habe keine Ahnung, wieso ich ausgerechnet jetzt so auf ihn reagiere, doch es stört mich gewaltig. Alleine deswegen schon mache ich einen Schritt nach hinten und bringe so ein wenig Abstand zwischen uns. Und ich bin froh darüber, dass er es zulässt.
Wütend und auch ein klein wenig genervt, schaue ich ihn an. Mir ist klar, dass es wahrscheinlich nicht gerade fair ist, dass er es nun abbekommt, doch jemand anderes habe ich gerade nicht. Es gibt da einiges, was unter der Oberfläche vor sich hin brodelt.
„Ich habe keine Ahnung, wer du bist. Aber du hast gerade verhindert, dass ich den Mann zur Rede stellen kann, der mich schon seit Tagen verfolgt. Und ich weiß ja nicht, wie es dir gehen würde, aber ich möchte schon ganz gerne wissen, was hier los ist“, erkläre ich ihm. Ich versuche so ruhig wie möglich zu klingen. Allerdings muss ich zugeben, dass mir das nicht leicht fällt. Um meine Worte und meine Gereiztheit noch ein wenig zu unterstreichen verschränke ich die Arme vor der Brust und kneife meine Augen ein Stück zusammen.
„Du willst also wissen, wer ich bin.“ Ich bin mir nicht sicher, ob es eine Frage oder eine Feststellung ist. Gerade interessiert es mich aber auch nicht.
„Das wäre schon einmal ein Anfang.“
„Ich bin Kopfgeldjäger, was dein Dad dir sicherlich gesagt hat.“
„Ja, das habe ich auch schon gemerkt“, gebe ich spitz zurück. „Ich meinte damit eher, dass ich gerne wissen würde, wer du bist, dass du dich in meine Angelegenheiten einmischen kannst.“ Kaum habe ich den Satz ausgesprochen würde ich mir am liebsten in den Hintern treten.
Eigentlich wollte ich solche Worte nie zu jemanden sagen. Doch jetzt sind die Worte aus meinem Mund heraus gekommen, noch bevor ich es verhindern konnte. Schuldbewusst schaue ich ihn an.
„Sorry“, murmle ich verlegen.
„Ich werde es dir nicht krumm nehmen. Doch ich habe dir das Leben gerettet.“
Es dauert, bis seine Worte bei mir angekommen sind. Und genauso lange stehen wir stumm voreinander und wenden uns nicht von dem anderen ab.
„Du hast mir das Leben gerettet?“ Skeptisch schaue ich ihn an. Mir ist klar, dass wir uns mitten auf dem Gehweg befinden und die anderen einen Bogen um uns machen müssen. Aber das hier ist gerade wichtiger, als ihnen aus dem Weg zu gehen.
„Ich habe in den letzten Tagen ja schon gemerkt, dass du tollpatschig bist, …“, beginnt er, doch ich lasse ihn nicht aussprechen.
„Tollpatschig?“ Ich verschränke die Arme vor der Brust und sehe ihn herausfordernd an. Ich lasse nicht den kleinsten Zweifel daran, dass ich sauer bin. Und genauso wenig werde ich ihn davon kommen lassen.
„Ein klein wenig“, murmelt er und hält den Daumen und den Zeigefinger ein Stück auseinander. Zane verzieht ein wenig das Gesicht, als würde er nicht wissen, was er machen soll. Er gehört zu den Männern, bei denen ich mir das definitiv nicht vorstellen kann. Er strahlt eine Selbstsicherheit aus, von der ich mir sicher bin, dass sie nur die wenigsten haben.
Ich muss mehrmals tief durchatmen, damit mir nichts über die Lippen kommt, von dem ich mir sicher bin, dass ich es bereuen werde. Und das brauche ich kein zweites Mal.
„Verstehe ich das richtig? Willst du damit zugeben, dass du mich verfolgt hast?“ Ich muss wieder an die Begegnung vor dem Polizeirevier denken und an den Wagen seiner Kumpel.
„Ich habe dich nicht verfolgt“, widerspricht er mir sofort. „Auf jeden Fall nicht absichtlich oder so, wie du es dir gerade vorstellst.“ Ich sehe ihm an, dass er mit sich ringt. Doch das ist sein Problem und nicht meines. Ich will endlich wissen, was hier los ist.
„Wenn das so ist, erkläre es mir doch einfach“, fordere ich ihn heraus.
„Ich kann es nicht“, erwidert er nur.
„Du kannst es nicht oder du willst es nicht?“ Um ihm zu zeigen, dass ich mich nicht so schnell geschlagen gebe, lehne ich mich nach vorne.
Doch auch das bringt ihn nicht dazu, sein Schweigen zu brechen. Er gibt nur ein leises Seufzen von sich, was mir überhaupt nicht gefällt. Deswegen gehe ich wortlos an ihm vorbei und verschwinde im Inneren des Ladens.
Während ich die wenigen Schritte hinter mich bringe, versuche ich mein wild schlagendes Herz unter Kontrolle zu bringen. Ich würde gerne erfahren, wieso es mir gerade so geht. In den letzten Minuten ist soviel passiert, dass ich es nicht einschätzen kann, ob es deswegen war, weil ich die Männer verfolgt habe, oder weil ich Zane näher gekommen bin, als ich es eigentlich wollte.
„Kennst du den Typen?“, fragt Hannah, als ich an ihr vorbeigehen will.
„Welchen?“ Irritiert schaue ich sie an.
„Der, der so aussieht, als würde er sich Sorgen um dich machen.“
Eigentlich wollte ich gerade weiter gehen, doch das kann ich nun nicht mehr. Ruckartig bleibe ich stehen und schaue sie an.
„Nein“, antworte ich nur. Und das ist nicht einmal gelogen. In meinen Augen gehört eindeutig mehr dazu, um jemanden zu kennen.
„Schade, der sieht wirklich gut aus.“ Hannah wirft noch einen Blick nach draußen auf die Straße wo Zane noch immer steht.
Er unterhält sich mit einem seiner Freunde und schaut immer wieder in die Richtung des Ladens. Ich bin mir sicher zu wissen, worüber sie sich unterhalten. Eigentlich gibt es da auch nur eine Möglichkeit.
„Soll ich die Polizei rufen?“, fragt Hannah unsicher.
Die Vorstellung davon, dass mein Dad hier wieder mit einem seiner Kollegen auftaucht, gefällt mir überhaupt nicht. Und eigentlich ist doch auch gar nichts passiert. Deswegen entscheide ich mich dafür, den Kopf zu schütteln.
„Es sei denn Sally möchte das“, füge ich noch schnell hinzu.
„Nachdem dein Auto aufgebrochen wurde will sie nur noch Ruhe haben“, lacht Hannah.
Ich kann die Erleichterung, die ich gerade verspüre, nicht für mich behalten. Sofort macht sich wieder ein ungutes Gefühl in mir breit. Ich habe Angst, dass sie all das mit mir in Verbindung bringt und es sich nun doch noch einmal anders überlegt.
„Mach dir nicht so viele Sorgen. Jetzt geh und unterschreibe deinen Vertrag.“ Mit den Worten lächelt Hannah mich aufmunternd an, bevor sie wieder an die Arbeit geht. Ich hingegen bleibe stehen und betrachte Zane, der auf der anderen Straßenseite steht.
Ja, er sieht gut aus, mehr aber auch nicht. Mir ist durchaus klar, dass Männer, wie er, an jeder Hand mehr Frauen haben als Finger. Und das ist nun wirklich nicht das, was ich möchte.
Es dauert, bis ich mich endlich dazu überwinden kann, mich in Bewegung zu setzen und zu Sally zu gehen.
„Was ist hier denn zurzeit los?“, fragt Sally, als ich wieder in den Aufenthaltsraum komme. Sie schüttelt leicht den Kopf.
Ich antworte nicht sofort, sondern nehme mir die Zeit und begutachte das Chaos, das der Typ angerichtet hat. Ein Teil meiner Sachen ist auf dem Boden gelandet und unter den Tisch gerollt, während die andere Hälfte auf dem Tisch verteilt ist.
„Ich kann es nicht.“ Und das ist noch ein Punkt, der nicht gelogen ist. Vorhin hatte ich die Chance es zu erfahren. Zane hat keine Anstalten gemacht, es mir wenigstens ansatzweise zu erklären und ich hatte keine Lust, mich weiterhin mit ihm zu beschäftigen.
Er hat nicht einmal einen kleinen Hinweis fallen gelassen. Aber ich bin mir sicher, dass er etwas weiß. Sonst hätte er mich nicht aufgehalten.
„Wenn das so weiter geht, werde ich mir einen Sicherheitsmann vor die Tür setzen“, überlegt sie und schaut noch einmal in die Richtung der Tür.
Ich hingegen setze mich langsam in Bewegung und räume meine Sachen wieder in die Tasche.
„Lass uns lieber schnell die Verträge unterschreiben, bevor das nächste Unglück passiert.“ Sally zeigt auf die Unterlagen, die vor ihr auf dem Tisch liegen.
Von einer Sekunde auf die andere werde ich wieder nervös. Ich habe nicht damit gerechnet, dass ich so schnell einen Job hier finden werde. Um genau zu sein hatte ich sogar die Befürchtung, dass ich in einem Supermarkt an der Kasse sitzen werde, bis ich einen Job gefunden habe.
Langsam gehe ich zu ihr und lasse mich auf den Stuhl sinken, der ihrem gegenüber steht. Während ich nach dem Stift greife, der in der Mitte des Tisches liegt, kann ich nicht für mich behalten, wie sehr ich am Zittern bin.
„Es ist ein großer Schritt. Aber du wirst erfolgreich sein und in den nächsten Monaten und Jahren noch eine Menge lernen. Da bin ich mir sicher. Um genau zu sein hat jeder mal eine Situation, die er in der Ausbildung nicht hatte. Am Anfang wird es vielleicht öfter vorkommen, aber das wird besser. Also keine Panik bekommen. Jeder hier im Laden hilft dir gerne. Und ich freue mich jedes Mal, wenn wir ein neues Talent in der Familie begrüßen dürfen.“
Kurz hebe ich noch meinen Kopf und sehe sie an. Ich lasse mir ihre Worte durch den Kopf gehen und muss ihr recht geben. Deswegen unterzeichne ich beide Exemplare, bevor ich es mir noch anders überlegen kann. Als ich meine Hand wieder sinken lasse, fällt mir ein Stein vom Herzen. Ich habe wieder einen großen Schritt geschafft. Einen Schritt, der mich meinem Ziel näher bringt.
Das Ziel, hier zu leben und zu arbeiten.
„Ich danke Ihnen für die Chance“, murmle ich.
„Die hast du dir zu verdanken, nicht mir. Ich erkenne Talente, wie meine Schwester schon so treffend gesagt hat. Ich musste das auch erstmal lernen. Es fiel mir nicht immer so leicht. Als ich damit angefangen habe, lief es sogar ziemlich drunter und drüber im Salon. Meine Familie hat mehr als einmal gedacht, dass ich das erste Jahr nicht schaffen werde. Mir ist klar, dass man davon jetzt nichts mehr merkt. Aber es ist wirklich so. Damit es so abläuft, wie jetzt, musste ich die letzten Jahre durch eine harte Schule gehen. Dein erster Arbeitstag wird am Montag sein. Und nicht vergessen, ausgiebig feiern.“ Sie drückt mir einen Vertrag in die Hände. Glücklich lächelnd nehme ich ihn entgegen, stecke ihn in meine Tasche und verlasse den Raum, nachdem ich mich verabschiedet habe. Kaum habe ich einen Schritt nach draußen getan, donnert mir lauter Applaus entgegen. Ich kann sogar Pfiffe hören.
„Siehst du? Ich habe dir doch gesagt, dass das nur Papierkram ist“, verkündet Hannah und schließt mich in ihre Arme.
„Wir haben ein neues Mitglied in unserer Familie“, stellt Daisy fest und klopft mir auf die Schulter. „Das ruft förmlich danach, dass wir es heute Abend feiern.“
Noch bevor ich etwas dagegen einwenden kann, stimmen ihr alle zu.
„Das wäre beschlossen“, ruft Daisy.
Als ich am späten Nachmittag nach Hause komme, kann ich überhaupt nicht mehr nachvollziehen, wieso ich heute Morgen so aufgeregt war. Nun bin ich die Ruhe in Person, denn bis auf den kleinen Zwischenfall lief es wunderbar.
„Wenn ich dein Lächeln richtig deute, lief der Tag wunderbar“, begrüßt mich Monica.
„Ja, wenn man mal von …“, beginne ich. Doch bevor ich aussprechen kann fällt mein Blick auf meinen Dad, der auf dem Sofa sitzt und die Zeitung liest.
„Hi“, begrüßt er mich. „Und Herzlichen Glückwunsch. Ich gehe mal davon aus, dass du die Stelle bekommen hast.“
„Ja, habe ich. Wir gehen nachher alle feiern und am Montag fange ich an.“ Mehr sage ich nicht. Ich bin nur froh, dass ich nicht ausgesprochen habe. Er wäre sofort hellhörig geworden und hätte die Ermittlungen aufgenommen. Vor allem vor dem Hintergrund, was alles bereits passiert ist.
„Und wenn man mal von was?“, erkundigt er sich. Das ist einer der wenigen Augenblicke, in denen ich es hasse, dass mein Dad Polizist ist. Jeder andere Vater würde wahrscheinlich nicht nachhaken, meiner macht es.
„Nichts“, erwidere ich nur und weiche ihm aus.
Ich bin mir sicher, dass er ein klein wenig merkt. Er wäre nicht so gut in seinem Job, wenn er das nicht machen würde. Außerdem bin ich seine Tochter, die er verdammt gut kennt.
Es gibt Dinge, bei denen ist es wahrscheinlich besser, wenn mein Dad sie nicht kennt. Und das ist eines davon.
Er sieht mich so an, als würde er mich schweigend zum Sprechen bringen wollen. Als ich noch klein war, hat das auch funktioniert. Jetzt bin ich weit davon entfernt mich davon beeindrucken zu lassen. Schließlich bin ich kein kleines Kind mehr.
„Ich bin oben und mach mich fertig.“ Schnell drehe ich mich um und eile die Treppen hoch. So will ich verhindern, dass er vielleicht doch noch nachfragt. Ich weiß ja nicht einmal, wieso ich es Monica erzählen wollte. Mir ist klar, dass sie es sofort meinem Vater berichtet hätte. Man kann auch behaupten, dass es mir beinahe einfach so herausgerutscht wäre.
Während der nächsten Stunde mache ich mich fertig. Ich kenne den Laden nicht, in den wir gehen werden. Deswegen bin ich auch ein wenig planlos, wenn es um die Wahl meiner Klamotten geht. Ich entscheide mich aber für einen kurzen Jeansrock und ein enges Top. Schnell frische ich mein Make-up auf und flechte mir meine Haare zu einem lockeren Zopf, aus dem ein paar Strähnen heraushängen.
Schnell schlüpfe ich in Sandalen und greife nach meiner Tasche, ehe ich wieder nach unten gehe.
„Ich wünsche dir viel Spaß“, erklärt mein Dad.
„Danke, den werde ich haben.“ Ich drücke ihm noch einen Kuss auf die Wangen, ehe ich das Haus verlasse.
Wie sich herausstellt, ist das Delight eine riesige Bar, die sich in der Nähe des Strands befindet. Von außen ist es eher unauffällig gehalten. Von innen sieht das aber ganz anders aus. Bunte Lichter scheinen von der Decke, die gute Laune verbreiten. Die Bar ist hell erleuchtet, sodass man sie überhaupt nicht verfehlen kann. Überall sind verschieden große Tische verteilt, von denen die meisten bereits besetzt sind.
„Da ich mir schon gedacht habe, dass es wieder so voll ist, habe ich uns einen Tisch reserviert“, verkündet Daisy und hält auf einen der Kellner zu, die sich an der Bar befinden.
Sie wechseln ein paar Worte miteinander, bevor sie sich zu uns umdreht und uns bedeutet, dass wir ihr folgen sollen. Der Tisch befindet sich in der hintersten Ecke des Ladens. Daisy gibt noch eine große Bestellung auf, ehe wir uns alle setzen.
„Wieso hast du dich dazu entschlossen nicht in Deutschland zu bleiben, sondern hier zu leben?“ Hannah sieht mich neugierig an.
„Nach meiner Ausbildung war es einfach Zeit für Neues. Ich wollte eine andere Umgebung und neue Herausforderungen. Ich hatte das Gefühl, als würde mir die Decke auf den Kopf fallen.“ Da ich nicht weiß, wie ich es anders sagen soll, zucke ich mit den Schultern. Öfters wurde ich schon darüber ausgefragt, dennoch habe ich mir noch nie wirklich den Kopf darüber zerbrochen.
„Ich wünschte, ich hätte deinen Mut. In den letzten Jahren habe ich öfters darüber nachgedacht, ob ich die Stadt verlassen und irgendwo anders hinziehen soll. Es gibt da ein paar Orte, an denen ich gerne mal mehr Zeit verbringen würde, als nur für eine Woche“, meldet sich nun Jane zu Wort. Sie blickt verträumt an uns vorbei.
„Wieso hast du es nie gesagt?“, wirft Hannah ein.
„Weil das zu den Themen gehört, über die ich nicht so viel spreche. Meine Eltern haben mich jedes Mal für bescheuert erklärt, wenn ich damit angefangen habe.“ Mehr sagt Jane nicht. Stattdessen nimmt sie einen Schluck von dem Cocktail, den der Kellner gerade vor ihr abgestellt hat.
Schweigend verfolge ich die Unterhaltung der anderen. Ich beobachte jede meiner neuen Kolleginnen ganz genau. Sie alle sind unterschiedlich und ziehen sich vielleicht auch gerne mal auf, aber es macht nicht den Anschein auf mich, als würden sie es böse meinen. Sie verbringen viel Zeit miteinander und kennen sich daher gut.
Und das ist ein Punkt, was mir gefällt und der Grund dafür, dass ich mich sofort in ihrer Gegenwart wohlfühle.
10
Als ich mitten in der Nacht aus dem Taxi steige, bin ich so müde, dass ich mich kaum noch auf den Beinen halten kann. Der Tag war so ereignisreich, dass ich dringend eine Pause brauche. Eigentlich waren es sogar die letzten Tage, seitdem ich hier angekommen bin. In knapp einer Woche ist soviel passiert, wie in den letzten drei Jahren. Da ist es vielleicht normal, dass es mich ein wenig aus der Bahn gerissen hat.
Mein Leben war immer langweilig und das habe ich gehasst. Ich bin aufgestanden, zur Arbeit gegangen, nach Hause gefahren und habe abends meistens nicht mehr viel gemacht. Auch an den Wochenenden habe ich mich nicht immer mit meinen Freunden getroffen. Zum einen lag es daran, dass ich in Deutschland nicht sehr viele Freunde habe, mit denen ich Lust hatte Freizeitaktivitäten zu unternehmen. Zum anderen aber auch, dass mir oft die Zeit gefehlt hat. Doch nun habe ich das erste Mal das Gefühl, als könnte ich es ändern. Und das freut mich.
In der nächsten Sekunde werde ich hellwach. Auf der anderen Straßenseite, nur wenige Meter von mir entfernt, kann ich einen Truck erkennen, den ich nur zu gut kenne, auch wenn ich ihn bis jetzt nur ein einziges Mal zu Gesicht bekommen habe. Er hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt, sodass ich behaupten kann, dass ich mich nicht irre.
Ich bleibe stehen, während das Taxi verschwindet. Gleichzeitig überlege ich, ob ich ins Haus gehen, oder ihn zur Rede stellen soll.
Ich entscheide mich für die zweite Möglichkeit. Ich will endlich wissen, was hier los ist, und zwar alles. Und das ist meine einzige Chance, es zu erfahren. Auch wenn ich mir nicht sicher bin, wie ich das anstellen soll. Schließlich ist er Kopfgeldjäger und mit Drohungen oder so werde ich bei ihm wahrscheinlich nicht weit kommen. Die wird er wohl täglich zu hören bekommen. Doch ich muss wenigstens versuchen, den richtigen Weg zu finden.
Ein letztes Mal atme ich tief durch, bevor ich mit entschlossenen Schritten die Straße überquere. Gleichzeitig sagt mir mein Gefühl, dass der Fahrer mich ganz genau erkannt hat. Ich kann seinen Gesichtsausdruck nicht richtig deuten und weiß auch nicht, ob es wirklich Zane ist. Allerdings finde ich, dass er ein wenig überrascht darüber aussieht. Davon lasse ich mich aber nicht beirren. Ohne darüber nachzudenken, öffne ich die Tür auf der Beifahrerseite und steige ein.
„Hi Zane“, begrüße ich ihn, nachdem ich registriert habe, dass er es ist, und grinse frech.
„Harley“, erwidert er tonlos. „Hattest du einen schönen Abend mit deinen Kolleginnen?“
Aufmerksam betrachtet er mich.
„Ehrlich gesagt, ja den hatte ich.“ Ich frage ihn erst gar nicht, woher er die Gewissheit nimmt. Er hat beobachtet, dass ich gerade erst nach Hause gekommen bin. Außerdem bin ich mir aber auch sicher, dass er mich auch hierbei wieder nicht aus den Augen gelassen hat. Auch wenn ich in den letzten Stunden zu abgelenkt war, um nach ihm Ausschau zu halten.
Die nächsten Sekunden herrscht Stille. Es können auch Minuten sein. Eine unbehagliche Ruhe hat sich über das Innere des Autos gelegt. Deswegen dauert es nicht lange, bis ich ungeduldig werde und auf dem Sitz hin und her rutsche. Keiner lässt den anderen aus den Augen. Schließlich seufze ich leise und verdrehe die Augen.
„Du willst mich quälen“, stelle ich fest.
„Wieso sollte ich das wollen?“ Ich erkenne die Verwirrtheit, die von ihm Besitz ergriffen hat.
„Würdest du es nicht wollen, würdest du mir einfach sagen, was hier los ist.“
„Das ist eine lange Geschichte und sicherlich keine, mit der du in Kontakt kommen solltest.“ Seine Stimme ist kühl, aber es kommt mir nicht so vor, als würde es in seinem Inneren auch so sein. Zumindest geht es mir nicht so.
Ich kneife meine Augen ein Stück zusammen, während ich mich so drehe, dass ich ihn besser ansehen kann.
„Mit der ich nichts zu tun haben sollte? Ist das dein Ernst? Falls du es noch nicht gemerkt hast, helfe ich dir gerne auf die Sprünge. Auch wenn ich mir sicher bin, dass ich das eigentlich gar nicht müsste“, erkläre ich und lege eine Pause ein. Ich warte darauf, dass er noch mehr sagt, doch das macht er nicht. „Aber ich habe schon seit meiner Ankunft hier damit zu tun. Unfreiwillig. Es wäre also schön, wenn du mir wenigstens hierbei entgegenkommen würdest.“
Meine Stimme ist laut und energisch. Eigentlich habe ich keine Lust mich zu streiten und meistens gehe ich einer Auseinandersetzung auch aus dem Weg. Doch noch weniger will ich mir auf der Nase herumtanzen lassen. Und das zeige ich ihm auch. Es wäre nicht der erste der es versucht, damit aber scheitert.
„Hör zu, das wäre wirklich eine äußerst blöde Idee.“
„Du meinst also, dass es eine blöde Idee wäre, mir davon zu berichten, wieso du mir ständig folgst und unter anderem in das Haus meiner Eltern eingebrochen wurde. An das, was heute passiert ist, muss ich dich wohl gar nicht erst erinnern, oder? Wäre ich nicht zufällig aufgetaucht, hätte er mir meine Tasche geklaut.“
„Das hätte er nicht, er hätte sie nur durchsucht.“
„Und woher willst du das wissen?“
Ich sehe ihm das schlechte Gewissen förmlich an. Doch das ist nicht mein Problem.
„Es wäre kein sehr schlauer Schachzug, wenn ich das machen würde.“
Ich muss mehrmals durchatmen, damit ich meine Nerven bewahre. Die Unterhaltung geht in eine völlig falsche Richtung. Und ich habe keine Chance, sie in die richtige zu bringen. Deswegen entschließe ich mich dazu, sie jetzt zu unterbrechen. Ich greife mit der einen Hand nach meiner Tasche, die ich vorhin in den Fußraum geworfen habe, und mit der anderen nach dem Türgriff.
„Wenn du es nicht willst, werde ich es halt alleine herausfinden. Ich bin mir sicher, dass meine Freundin mir gerne hilft. Hätte ich sie in den letzten Tagen nicht zurückgehalten, hätte sie das schon viel eher gemacht. Und mir ist egal, was du davon hältst.“ Ich warte nicht darauf, ob er noch etwas von sich geben will. Stattdessen steige ich aus und schließe die Tür wieder hinter mir.
So energisch, wie ich vorhin auf den Wagen zugegangen bin, entferne ich mich nun wieder.
„Harley!“, höre ich ihn in der Sekunde meinen Namen rufen, in der ich den Bürgersteig vor dem Haus betrete.
Ich drehe mich noch einmal zu ihm um und sehe, dass er ausgestiegen ist und nun neben seinem Wagen steht. Mir ist bewusst, dass er will, dass ich zurückkomme, damit er mich auch von der Idee abbringen kann. Doch er würde mir nicht das erklären, was ich von ihm hören will. Deswegen winke ich nur. „Bis dann Zane“, sage ich laut genug um sicher zu sein, dass er mich gehört hat. Ich achte darauf, dass ich nicht so laut bin, um meinen Dad oder meine Stiefmutter zu wecken, die ihr Schlafzimmer ebenfalls nach vorne hin haben. Ich gehe den Weg entlang und verschwinde im Inneren.
Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, dass ich keine Angst davor hätte, auf eigene Faust zu erfahren, was hier los ist. Ich habe Angst, das würde ich vor ihm aber nicht zugeben. Langsam geht es mir gehörig auf die Nerven, dass ich nicht einmal ansatzweise weiß, was hier gespielt wird und er es anscheinend nicht für nötig hält, mit der Sprache herauszurücken.
„Hast du eigentlich eine Ahnung, wie spät es ist?“, werde ich von Katie begrüßt, als ich sie am nächsten Morgen anrufe. „Ich bin letzte Nacht erst spät ins Bett gekommen, da wir noch ein Problem im Restaurant hatten, was ich dringend erledigen musste. Wenn der Laden nicht ein Problem mindestens einmal in der Woche hat, wäre es nicht der gleiche.“
„Dann sind wir ja schon zwei“, erwidere ich, ohne auf ihre letzte Aussage einzugehen. Ich berichte ihr von meinem neuen Job.
„Herzlichen Glückwunsch. Das ist doch super. Ich freue mich für dich. Aber deswegen musst du doch nicht um sechs Uhr morgens anrufen.“ Bei ihrer Aussage bekomme ich ein schlechtes Gewissen. Vorhin habe ich nicht so sehr darüber nachgedacht, wie spät es eigentlich erst ist. Sie wird sofort Feuer und Flamme sein, wenn sie den Grund für meinen Weckruf erfährt. Deswegen zögere ich nicht lange, sondern berichte ihr davon.
Aufmerksam hört sie mir zu. Vor meinem inneren Auge sehe ich, wie sich ihr Mund geöffnet hat, während sie meine Worte verarbeitet.
„Also hatte ich doch recht. Du hast es dir nicht eingebildet“, ruft sie aus, sobald ich geendet habe. Ihre Stimme ist so laut, dass ich mein Telefon ein Stück von meinem Ohr entfernen muss, damit ich nicht taub werde. Ich kann ihre Reaktion verstehen. Hätte sie es mir erzählt, hätte ich wahrscheinlich auch nicht anders reagiert.
„Er hat es ja mehr oder weniger zugegeben, dass etwas passiert ist. Er hat mir nicht gesagt, was es ist. Und ich brauche deine Hilfe, um genau das zu erfahren. Meiner Meinung nach ist es mein gutes Recht, die ganze Geschichte zu kennen.“ Ich verziehe mein Gesicht ein wenig.
„Willst du es nicht deinem Dad sagen?“, erkundigt sie sich dennoch. Ich höre die Unsicherheit in ihrer Stimme.
„Die meisten würden das wahrscheinlich machen. Ich halte es nicht für eine gute Idee. Ich will die Pferde nicht scheu machen. Und schon gar nicht meinen Vater. Er hat schon genug um die Ohren.“
„Das kann ich nachvollziehen. Und zur Not kannst du es ihm später noch immer erzählen, auch wenn er nicht sehr froh darüber sein wird, dass du es ihm nicht von Anfang an gesagt hast“, überlegt sie. „Okay, jetzt werden wir das gemeinsam in Angriff nehmen.“
Katie gibt einen zufriedenen Ton von sich.
„Wir treffen uns um neun bei Jones. Wir wollen mal schauen, ob wir den Einbrecher, Dieb, oder wie auch immer man ihn nennen will, aus seinem Versteck locken können. Das kann doch nicht so schwer sein.“
Noch bevor ich näher darauf eingehen kann, hat sie bereits aufgelegt.
Ich sehe mein Handy, ehe ich meine Hand sinken lasse und es aufs Bett werfe. Ich habe keine Ahnung, was sie genau vorhat. Meine Freundin hat aber bestimmt schon einen Plan. Katie wäre nicht Katie, wenn sie das nicht hätte.
Als ich vor dem Jones ankomme, bin ich froh darüber, dass ich mich dafür entschieden habe, zu Fuß zu gehen. Monica hat mir zwar ihren Wagen angeboten, der aus der Werkstatt wieder da ist, doch ich habe noch sehr lebhaft vor Augen was das letzte Mal passiert ist, als ich ihn mir ausgeliehen habe. Und da Katie und ich jetzt mit Absicht als Köder agieren, will ich lieber darauf verzichten. Das letzte Mal hat sie es noch gut aufgenommen, vor allem hat da aber auch keiner eine Verbindung zu mir gezogen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob es nun auch noch so sein würde. Noch ein Grund, wieso ich das Risiko nicht eingehen wollte.
„Das ist ja so aufregend“, quiekt Katie, als wir nebeneinander die Straße entlang gehen. Wir schauen uns ständig zu allen Seiten hin um, um zu kontrollieren, ob der Wagen wieder aufgetaucht ist. Weit und breit kann ich ihn nicht entdecken. Und auch sonst niemanden, der mir augenscheinlich näher kommen will. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob die Typen das überhaupt wollen.
Genauso wenig wie Zane oder den Wagen seiner Freunde.
Ich weiß nicht wieso, schließlich wollte ich das hier alleine machen, doch mir wäre wohler, wenn ich wüsste, dass er in der Nähe ist. Das lasse ich mir vor meiner Freundin aber nicht anmerken. Sie soll nicht denken, dass ich einen Rückzieher mache. Denn das werde ich mit Sicherheit nicht machen. Und da ist noch die Tatsache, dass ich noch nie eine von den Frauen war, die sich von einem Mann abhängig gemacht haben.
„Ich kann es noch immer nicht fassen“, spricht sie weiter. „Ich meine, du hast ja ein paar Mal gesagt, dass du das Gefühl hast, man würde dich beobachten. Aber ich habe nicht erwartet, dass ein Kopfgeldjäger dich beschützt. Wer würde auch damit rechnen? Das passiert doch eigentlich nur in Filmen.“
„Er beschützt mich nicht“, wende ich schnell ein. Ich will verhindern, dass Katie den Gedanken weiterführt. Doch ich bin mir nicht sicher, ob das auch wirklich funktioniert.
„Nenne es wie du es willst. In meinen Augen beschützt er dich. Sonst hätte er dich bestimmt nicht gestern zurückgehalten. Und da kannst du noch so dagegen sein und eine andere Meinung haben.“ Eindringlich sieht sie mich an. Ich hingegen ziehe nur die Augenbrauen hoch. „Man könnte auch der Meinung sein, dass es wie in einem Liebesfilm ist“, schwärmt sie weiter.
Eigentlich wollte ich gerade einen Schluck aus meinem Kaffeebecher nehmen, nun bleibe ich wie angewurzelt stehen und schaue sie entgeistert an. Mein Mund öffnet sich. Es kommt mir so vor, als würde es ewig dauern, bis ich wieder einen klaren Gedanken fassen kann. Doch ich schüttle den Kopf. Und zwar so heftig, dass meine Haare von rechts nach links und wieder zurückfliegen.
„Vergiss das direkt wieder. Zu einer Romanze gehört eindeutig mehr. Er hat mich nur davor bewahrt eine Dummheit zu begehen. Und wenn wir es richtig beurteilen, wäre es eine verdammt große Dummheit gewesen, ihn zur Rede zu stellen. Vor allem deswegen, weil ich keine Ahnung hatte, was ich überhaupt hätte von mir geben sollen. Das kann ich zwar immer noch nicht, aber jetzt bin ich darauf vorbereitet, ihn zu konfrontieren.“
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