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Bobbie oder die Liebe eines Knaben

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IV. Kapitel. Gertie ist nicht zu Hause

»Kleine Mädchen sind ungeduldig und wollen nicht warten,« murmelte Bob in sich hinein. »Wenn ich erst einmal mit Gertie verheiratet bin, werde ich sie zur Geduld erziehen. Aber vielleicht ist sie auch nur fortgegangen, weil irgend so ein alter Narr stehen blieb und gesagt hat: »Ein schönes kleines Mädchen! Wie heißt du, mein liebes Kind? und sie dabei streicheln wollte. Das mag Gertie nicht leiden, und es ist mir ganz recht, daß sie es nicht leiden mag. Viele Erwachsene bilden sich ein, daß es Kindern angenehm ist, wenn man Bemerkungen über sie macht und sie anfaßt. Das ist aber Kindern gar nicht angenehm, sondern sehr lästig und ich werde es bei unseren Kindern nie tun!«

Unter solchem Selbstgespräch hüpfte er über die Straße in das Haus, in dem Gertie wohnte, eilte die Treppe hinauf und läutete.

Gerties Mutter öffnete und war sehr verwundert, daß der Kleine nach seiner Spielgefährtin fragte.

»Kind, ich dachte, ihr seid zusammen in den Park gegangen?

»Jawohl, Frau Sehring, wir waren im Park. Aber dann wurde ich nach Hause gerufen, weil ein dummer Junge mir einen Streich gespielt hat, indem er so tat, als hätte Professor Brummel mich angerufen. Und als ich endlich wieder herunterkam, war Gertie, die unten auf mich warten wollte, weg. Nun, sie wird in den Garten zurückgegangen sein. Frau Sehring, darf Gertie bei uns speisen? Mama läßt darum bitten, und es gibt auch etwas besonderes Gutes heute.«

Frau Sehring zögerte mit der Antwort:

»Bobbie, ich will euch ja nicht die Freude stören. Aber Gertie ißt so oft bei euch, und ich kann eure Freundlichkeit nicht erwidern; das sollte eigentlich nicht sein.«

»Frau Sehring, am liebsten wäre es mir und Mama und Papa, wenn Gerti täglich bei uns wäre. Und das mit dem Erwidern soll Sie nicht bekümmern. Wenn ich groß bin, werde ich oft genug zu Ihnen zum Tee kommen.«

Frau Sehring lächelte wehmütig.

»Oh, Bobbie, wenn du groß bist, dann denkst du an Gertie gar nicht mehr, hast andere Freunde und Freundinnen und wirst dich wundern, daß du einmal soviel mit einem armen, kleinen Mädchen beisammen sein konntest.«

Bob geriet ordentlich in Harnisch.

»Nein, Frau Sehring,« rief er mit rotem Kopf, »nie werde ich sie vergessen und nie mich um andere Mädchen kümmern, das sage ich Ihnen! Und wenn Gertie nur wollen wird, so werden wir auch immer beisammen bleiben. Ich weiß wohl, es gibt Jungens, die sich aus Mädchen nichts machen, oder jeden Tag mit einer anderen spielen wollen. Aber ich, ich muß immer an Gertie denken, auch wenn wir nicht beisammen sind. Und sie darf bei uns bleiben, nicht wahr, Frau Sehring?«

Frau Sehring nickte lachend: »Gut, es sei, aber nun rasch in den Park, laß‘ meine Tochter nicht so lange warten. Und sie soll, bevor sie zu euch geht, noch heraufkommen, um sich die Hände und das Gesicht zu waschen.«

V. Kapitel. Gertie ist verschwunden

Bob rannte im Park die schattige Allee entlang, ohne das Mädchen zu finden. Er eilte nach dem Spielplatze, der nun fast ganz verödet dalag. Von Gertie war nichts zu sehen. Auf und ab rannte der Knabe, und ein seltsam banges Gefühl, beschlich ihn; er fühlte, wie sein Herz ungewohnt stark zu klopfen begann. Zuerst leise, dann halblaut, schließlich mit ganzer Lungenkraft schrie er den Namen Gerties, aber niemand meldete sich. Nun erblickte er den alten, invaliden Parkwächter.

»Lieber, guter Herr, haben Sie das kleine Mädchen gesehen, mit dem ich vorhin gespielt habe?«

Der alte Mann gab Bob einen Nasenstüber.

»Bist ja selbst mit ihr fortgelaufen, habe euch noch nachgeblickt.«

»Ja, aber ist sie nicht allein wieder zurückgekommen?«

Der Wächter verneinte und bot Bob eine Prise aus einer schwarzen Horndose an, die aber Bob zurückwies. Aufgeregt begann der Junge wieder umherzulaufen und nach Gertie zu schreien. Schließlich blieb er stehen, wischte sich die Schweißtropfen aus der Stirn und überlegte:

»Ein dummer Junge bin ich! Natürlich, Gertie ist zurück in den Park gegangen und der Wächter hat sie eben nicht gesehen. Alte Männer werden oft vergeßlich und zerstreut. Gertie hat eine Weile gewartet und ist dann nach Hause gegangen, während ich hierhereilte. Aber da hätte ich ihr doch unterwegs begegnen müssen. Nein, sie wird in unser Haus gegangen sein. Ja, so ist es, und nun ist Gertie bei uns und gleich wird Papa zum Essen kommen.«

Eduard öffnete dem jungen Herrn, der ihn fast anschrie:

»Ist Gertie hier gewesen?«

»Nein.«

»Haben Sie immer selbst die Türe geöffnet, wenn es klingelte?«

Der Diener bejahte, und Bob stürmte, ohne etwas zu sagen, über die Straße hinüber. Fast stürmisch zog er bei Frau Sehring die Türklingel und fragte mit gepreßter Stimme die alte Dame, ob Gertie nun zurückgekommen sei.

Frau Sehring erblaßte und fuhr sich nervös über die vorgebundene Schürze.

»Nein, aber was soll denn das bedeuten? Wo kann Gertie nur stecken?«

Bob zitterte am ganzen Körper, sah aus weit aufgerissenen Augen vor sich hin und murmelte: »Ja, wo mag Gertie nur sein?«

Frau Sehring begann zu weinen, sie taumelte und mußte sich an die Wand lehnen.

Bob, dem ebenfalls das Weinen nahe war, tröstete: »Nun, Frau Sehring, ein kleines Mädchen ist keine Stecknadel, die verloren geht und nicht gefunden werden kann. Sie wird schon gleich kommen, Frau Sehring, regen Sie sich nur nicht auf, es könnte Ihnen schaden, und Gertie wäre sehr betrübt, wenn sie es wüßte. Ich laufe eben mal rasch zu uns hinüber, Papa wird schon zu Hause sein und Rat wissen.«

In Wirklichkeit war es Bob aber gar nicht wohl zumute und bange Ahnungen bedrückten sein kleines Herz gar schwer. Herr Holgerman saß schon bei Tisch, und der schlanke, große Mann mit dem ernsten hageren Gesicht runzelte unwillig die hohe, stark gewölbte Stirne, als Bob verspätet ins Eßzimmer trat. Auch Frau Holgerman war ein wenig ärgerlich und sagte strenge:

»Bob, ich habe dir ausdrücklich gesagt, du sollst nicht zu spät kommen! Und wo ist Gertie, ich habe für sie decken lassen?«

Bob war aber so blaß, daß es seiner Mutter auffiel, während sie noch die tadelnden Worte sprach.

»Ihr dürft nicht böse sein,« sagte der Knabe mit ein wenig zitternder Stimme, »ich wäre sicher pünktlich gewesen, aber es hat sich etwas Unangenehmes zugetragen. Gertie ist spurlos verschwunden.« Und er erzählte, wie Gertie ihn vorhin vor das Haus begleitet hatte, um unten zu warten, während er telephonierte, und wie er sie dann überall, hier und bei ihrer Mutter und im Park vergeblich gesucht habe, und wie nun Frau Sehring ganz verzweifelt sei und zu Hause weine.

Frau Holgerman sprang entsetzt auf: »Um Himmels willen, wie ist das nur möglich? Es wird ihr doch nichts zugestoßen sein! Die arme Frau Sehring! Ich will gleich einmal zu ihr hinüber.«

Auch Herrn Holgermans Gesicht war sehr ernst geworden, aber er legte beschwichtigend seine Hand auf den Arm der Gattin.

»Beruhige dich, Alma, es wird nicht so schlimm sein. Sie wird sich irgendwo verlaufen und nicht so rasch nach Hause gefunden haben. Jedenfalls wollen wir zuerst in Ruhe ein paar Bissen essen und dann weiter sehen.«

Der Rat war sicher gut gemeint, aber nicht leicht zu befolgen. Bob konnte trotz aller Anstrengungen keinen Bissen hinunterwürgen, und auch seine Mutter war nervös und ungeduldig und ließ so rasch als möglich wieder abräumen. Herr Holgerman zündete sich eine Zigarre an, lehnte sich in den breiten Armstuhl zurück und begann:

»Nun, Kinder, wollen wir ruhig überlegen. Du, Bob und Gertie, ihr seid nach elf Uhr in den Park gegangen und dort so lange geblieben, bis du nach Hause gingst, um zu telephonieren. Mit wem hattest du übrigens so wichtig zu sprechen, daß du eigens deshalb das Spiel unterbrachst?«

»Das ist ja das Dumme, Papa,« rief Bob, »ich bin einfach zum Narren gehalten worden. Irgendein dummer Junge aus unserer Klasse hat unter dem Namen des Professor Brummel bei uns angeklingelt, angeblich, um mich zu sprechen. Eduard hat mich im Park aufgesucht, und nun ging ich mit Gertie sofort nach Hause, um den Professor anzurufen. Er wußte aber von nichts.«

Herr Holgerman legte die Zigarre beiseite und sah nachdenklich vor sich hin.

»Die Geschichte gefällt mir nicht,« murmelte er. »Wer war am Apparat, als der Professor Brummel angeblich mit dir sprechen wollte?«

»Lizzy,« erwiderte Frau Holgerman.

»Gut, ich werde sie später fragen. Aber nun fahre fort! Wie lange hast du dich am Telephon aufgehalten, Bobbie?«

»Ich bekam sofort die Verbindung, also sicher nicht mehr wie drei Minuten. Dann sprach ich noch mit Mama, vielleicht auch drei Minuten lang, und dann ging ich hinunter und Gertie war nicht mehr da.«

»Du weißt also nicht, wie lange und ob überhaupt Gertie unten vor dem Hause auf dich gewartet hat?«

»Nein, Papa, aber –« Bob fuhr erregt in die Höhe, »jetzt erinnere ich mich, daß, während ich telephonierte, unten langsam ein Auto vorbeifuhr – sehr langsam sogar – das fiel mir auf. Und außerdem hörte ich einen Aufschrei. Aber ich achtete nicht weiter darauf, weil sich in dem Augenblick Professor Brummel meldete. Und noch etwas fällt mir ein, Papa! Als ich mit Gertie von drüben nach dem Spielplatz ging, schritten wir zuerst die Alleen entlang, neben dem Gitter und der Straße, und da fuhr draußen ein großes Automobil ganz langsam in derselben Richtung.«

Herr Holgerman, an dessen Lippen nun seine Frau und Bob ängstlich gespannt hingen, bedeckte die Augen mit der Hand, wie er es immer zu tun pflegte wenn er angestrengt nachdachte.

»Das alles kann etwas zu bedeuten haben, kann aber auch bloßer Unsinn sein, der mit der Sache nichts zu tun hat.«

 

Plötzlich schlug Herr Holgerman mit der flachen Hand schwer auf den Tisch.

»Nun fällt mir aber ein, daß schon vor einiger Zeit, etwa vor drei Monaten und dann noch weiter zurück, kurz nach oder vor Neujahr, Kinder, ich glaube, es waren beide Male kleine Mädchen, aus öffentlichen Gärten verschwunden sind. Aber wahrscheinlich wurden sie wiedergefunden, denn man hat nichts mehr darüber gehört. Nun wollen wir aber hinüber zu Frau Sehring, wo wir die kleine Ausreißerin wahrscheinlich munter und lustig antreffen werden.«

Dem war aber nicht so. Händeringend und schluchzend machte ihnen Frau Sehring die Türe auf, und als Familie Holgerman ohne Gertie vor ihr stand, drohte die arme Frau vor Aufregung ohnmächtig zu werden, sie bekam einen hysterischen Weinkrampf und wimmerte unablässig.

»Mein Kind, mein Kind, was hat man meinem Kind getan!«

Da war es denn auch mit Bobbies Selbstbeherrschung aus. Er begann ebenfalls bitterlich zu weinen, trat an Frau Sehring, die von dem Ehepaar zu einem Diwan geleitet worden war, heran und sagte schluchzend:

»Ich werde Gertie schon finden, Frau Sehring, ganz sicher, ich werde sie finden.«

Herr Holgerman, der derartige Szenen nicht vertragen konnte, überließ Gerties Mutter, die ohnmächtig zu werden drohte, seiner Frau, nahm Bob bei der Hand, sagte kurz: »Komm‘!« und ging mit ihm in seine Villa hinüber. Dort ließ er die ganze Dienerschaft, den alten Diener Eduard, Lizzy, das Stubenmädchen, und Kathi, die Köchin, zusammenkommen und stellte eine Art Verhör mit ihnen an. Die Leute, die schon erfahren hatten, was geschehen war, standen redelustig und aussagebereit da.

VI. Kapitel. Nachforschungen

»Lizzy, wer hatte angerufen, als der junge Herr von Professor Brummel verlangt wurde?«

»Ich glaube, der Herr Professor selbst, wenigstens nannte er seinen Namen.«

»Ist Ihnen also nichts weiter aufgefallen?«

»Doch, Herr Holgerman, jetzt fällt mir ein, daß er zuerst gesagt hat: ›Hier Professor Brummler!‹ Ich wußte nicht gleich, wer das sei und fragte: ›Wer, bitte?‹ worauf er den Namen wiederholte, aber jetzt, Professor Brummel, der Klassenlehrer von Bob Holgerman‹, sagte.«

»Ist Ihnen, Lizzy, oder Ihnen, Eduard, oder Ihnen, Kathi, heute Vormittag auf der Straße etwas aufgefallen?«

Eduard und die korpulente Köchin verneinten, aber wieder war es Lizzy, die etwas zu sagen hatte:

»Bitte schön, kurze Zeit, nachdem Herr Bobbie aus der Schule nach Hause gekommen und wieder fortgegangen war, putzte ich die Türklinken am Haustor. Und da sah ich an der Straßenecke, wo man in den Park geht, ein Automobil stehen. Na, das wäre mir ja nicht aufgefallen, weil es genug Automobile in der Gegend zu sehen gibt. Aber dieses Automobil war ein ganz geschlossenes, und da dachte ich: ›Na, wenn ich eine reiche Frau wäre, die ein Auto hat, dann würde ich an einem solch schönen Sommertag nicht im geschlossenen Wagen fahren!‹«

»Auch Bobbie hat ein geschlossenes Auto gesehen,« meinte Herr Holgerman nachdenklich »Und wissen Sie, wie das Auto aussah, welche Farbe es hatte?«

Lizzy nickte. »Groß war es, das ist sicher, aber es kann ebensogut dunkelblau wie schwarz gewesen sein. Genau kann ich das vor Gericht nicht beschwören.«

Damit war das Verhör beendigt. Bob hatte aufmerksam zugehört und kein Wort verloren. »Ganz wie in den Detektivromanen, die mir Fred geborgt hat,« dachte er und blickte voll Bewunderung auf seinen Vater. Dieser ging aber, sorgenvoll den Kopf schüttelnd, mit seinem Jungen wieder hinüber zu den Frauen.

Frau Sehring lag weinend auf dem Ruhebett, Frau Holgerman saß neben ihr, ebenfalls verzagt und nur mühsam künstlich und gegen die innere Überzeugung zurechtgelegte Trostworte spendend.

Ernst begann Herr Holgerman: »Frau Sehring, Sie sollten sich nicht so Ihrem Schmerz hingeben! Sie und wir alle brauchen jetzt unsere Nerven, denn es versteht sich wohl ganz von selbst, daß ich und meine Frau, auch Bob, Ihnen zur Seite stehen werden, was immer auch geschehen sein mag.«

Bei dem Wort »geschehen« fuhr die weinende Frau zusammen.

»Nun, nun, Sie brauchen nicht das Schlimmste zu denken. Ich glaube nicht, daß Gertie ein ernstlicher Unfall widerfahren ist. Vielleicht hat sie sich Bekannten angeschlossen, die sie zu Tisch geladen haben. Das ist sogar sehr wahrscheinlich; ich stelle mir das so vor, daß Gertie von dem betreffenden Hause uns anrufen wollte und keine Verbindung bekam.«

Wehmütig‘ schüttelte Frau Sehring den Kopf. »Es ist sehr lieb von Ihnen, daß Sie mir Trost zusprechen und sich so bemühen! Aber glauben Sie mir, Gertie ist nicht freiwillig verschwunden! Ich kenne mein Kind; ich weiß, wie besorgt und gut sie immer zu mir ist, sie würde mit niemandem mitgegangen sein, ohne mich vorher zu fragen.«

Bob konnte nicht umhin, beipflichtend zu nicken. Seine Gertie, die nur an ihrer Mutter und an ihm hing, sollte einfach fortgegangen sein, ohne ihn, auf den sie doch hatte warten wollen, zu verständigen? Ausgeschlossen! Plötzlich kam ihm aber ein Einfall.

»Vielleicht ist Gertie doch im Park! Vielleicht ist sie, weil sie nicht warten wollte, dorthin gegangen; es wurde ihr übel, und sie versteckte sich, um sich zu erholen, hinter einem Gebüsch, ist dort ohnmächtig geworden oder eingeschlafen. Ich laufe in den Park und suche sie.«

Herr Holgerman war einverstanden. »Tue das, mein Junge, nimm den Parkwächter zur Hilfe, gib ihm Geld und versprich ihm noch mehr, wenn Gertie gefunden wird. Und dann verständigst du mich jedenfalls in der Fabrik telephonisch. Ist sie nicht gefunden worden und nicht von selbst zurückgekommen, so werde ich den Polizeipräsidenten, den ich seit Jahren gut kenne, aufsuchen und bitten, die Nachforschungen mit aller Energie zu betreiben.«

Herr Holgerman fuhr nach der Fabrik, Frau Holgerman blieb bei der verzweifelten Mutter und Bob stürmte in den Park.

Zuerst suchte er planmäßig alle hinter den Wegen gelegenen Gebüsche und Wiesen ab – einmal und noch einmal. Vergebens! Nun begab er sich nach dem Spielplatz, der wieder von jungem Volk belebt war, und fragte ein paar kleine Mädchen, Schulkameradinnen Gerties, ob sie Gertie Sehring gesehen hätten. Natürlich war dies nicht der Fall gewesen. Also los zum Invaliden!

»Lieber Herr, kommen Sie ein wenig abseits, ich habe mit Ihnen Wichtiges zu sprechen.«

»Mit mir hat der kleine Knirps Wichtiges zu sprechen, ha, ha, ha!« gröhlte der alte Mann, blickte aber dabei nicht ohne Wohlwollen auf den Jungen hinab, der ihm heute bleicher vorkam als je zuvor. Und dann stelzte er mit dem Knaben abseits nach einem stillen Seitenweg.

»Nun leg‘ mal los! Ball in ein Blumenbeet geworfen, was?«

»Ach, wenn es das nur wäre, lieber Herr Wächter, dann würde ich Sie gar nicht bemühen. Nein, es ist etwas sehr Arges. Nicht wahr, Sie kennen das blonde Mädchen, mit dem ich jeden Tag fast und auch heute hier gespielt habe?«

»Werd‘ ich wohl,« schmunzelte der Mann in der fadenscheinigen Uniform. »Ist doch das schönste kleine Ding, das es hier im Park zu sehen gibt!«

»Nun, das ist meine Freundin, Gertie Sehring, und sie ist spurlos verschwunden.«

Und in fliegender Hast, während ihm dicke Tränen über die Backen liefen, erzählte Bob, was sich ereignet hatte.

Der Invalide starrte dösig drein. »Verdammt, das ist eine saudumme Geschichte! Das blonde Ding schaut mir nicht wie eine Durchbrennerin aus, ist ja sanft und lieb wie ein Täubchen! Himmel und Teufel, wenn jemand dem Kind etwas Böses getan hat, so will ich ihm mit meinem Stelzbein die Gedärme eintreten!«

Bob drückte ihm nun einen größeren Schein in die Hand. »Das gleich für Ihre Mühe, und doppelt soviel, wenn wir Gertie finden. Vielleicht liegt sie irgendwo im Gras. Ich habe ja schon allein gesucht, aber möglicherweise nicht gründlich genug, und dann bin ich auch, müssen Sie wissen, vor Kummer und Aufregungen ein wenig verwirrt.«

»So! Kummer und Aufregung? Verdammt, kann ich mir denken! Hätte auch ohne Geld gesucht, aber zurückgeben kann ich es nicht. Wär‘ eine Gemeinheit gegen meine Alte, die Geld brauchen kann wie eine Spinne die Fliegen.«

Und sie suchten. Suchten die Wiesen ab, stiegen ins Gras, hinter jede Hecke, öffneten die Türe zu dem geheimnisvollen grauen Bretterhäuschen, in dem die Gärtner ihre Geräte verwahren. Nichts, keine Spur von dem kleinen Mädchen mit den großen, blauen Augen und den blonden Locken.

Noch ein Versuch. Im Park gab es einen Teich, in dem schöne Goldfische und ein einsamer, angeblich uralter Schwan ihr Leben fristeten. Vielleicht, daß in diesem Teiche – – aber nein, gerade heute war das Wasser hell und durchsichtig, so daß man bis auf den Grund sehen konnte. Nein, Gertie war nicht in den Teich gefallen.

VII. Kapitel. Bob hat eine böse Nacht

Es war inzwischen fast fünf Uhr geworden und Bob gab es auf. Er ging wieder zu Frau Sehring, bei der er seine Mutter noch antraf. Als sie an dem bleichen Gesichte des Knaben sahen, daß er ohne Ergebnis zurückkam, begannen beide zu weinen, und Frau Sehring bekam wieder eine Herzschwäche.

Bob konnte den Jammer nicht ertragen. Er zitterte am ganzen Körper und rief:

»Ich bin nur ein kleiner Junge, aber ich will nicht ruhen, bevor ich Gertie gefunden habe! Und ich weiß, daß der liebe Gott ihr kein Leid zufügen läßt!«

Diese Worte hatten eine gute Wirkung. Frau Sehring sank in die Knie und begann still und andächtig zu beten. Frau Holgerman aber ging leise, ihren Jungen an der Hand, fort in die Villa hinüber, um ihren Gatten zu verständigen.

Der Polizeipräsident hörte mit gefurchter Stirne den Bericht des ihm wohlbekannten und von ihm hochgeachteten Fabriksbesitzers an, während er sich hie und da eine Notiz machte. Wortlos drückte er einen Taster, worauf ein Polizist in Zivil eintrat.

»Bitten Sie Herrn Crispin, sofort zu mir zu kommen!« Und erläuternd zu Herrn Holgerman: »Herr Crispin ist einer unserer tüchtigsten Beamten von der Kriminalpolizei und Spezialist auf dem Gebiete der Nachforschung nach verschwundenen Personen.«

Inspektor Crispin, ein untersetzter, breitschulteriger, glattrasierter Mann in mittleren Jahren, trat ein und hörte schweigend den Bericht seines Chefs an, der mit den Worten schloß:

»Herr Inspektor, ich übergebe Ihnen hiermit den Fall Gertie Sehring und bitte Sie, ihn als wichtigste Angelegenheit zu betrachten und nichts, aber auch gar nichts zu versäumen, was die Auffindung des Kindes, tot oder lebendig, ermöglichen kann. Es ist dies, wenn ich nicht irre, der dritte Fall seit kurzer Zeit; die Presse wird Lärm schlagen, und die Sache muß auf jeden Fall aufgeklärt werden. Können Sie mir über die vorhergegangenen Fälle, in denen Kinder verschwunden sind, gleich Bericht erstatten?«

»Jawohl, Herr Präsident, ich habe sie genau im Gedächtnis. Zwei Tage vor Neujahr verschwand spurlos die neunjährige Ruth Clemens, Tochter eines Lehrers. Sie war zuletzt in der Gartenanlage im Nordviertel gesehen worden. Ein auffallend hübsches Mädchen, brav, folgsam, kein Konflikt in der Schule oder im Elternhaus. Alle Nachforschungen sind ergebnislos geblieben. Der nächste, fast ganz gleiche Fall ereignete sich am 25. März im Westendpark. Von dort verschwand die elfjährige Marie Peters, die Tochter eines kleinen Kaufmannes. Auch hier lag nicht der geringste Grund zu einem freiwilligen Verschwinden vor. Auch sie war ein sehr hübsches Mädchen.«

»Wie war ihre Haarfarbe?«

»Ebenfalls blond.«

Der Polizeipräsident sah düster vor sich hin.

»Kein Zweifel! Eine Bestie in Menschengestalt, ein Unhold, der es auf hübsche, blonde Mädchen abgesehen hat. Dem Schurken muß das Handwerk gelegt werden. Herr Crispin, die Sache ist ernst, sehr ernst, wir müssen das Äußerste tun!«

Inspektor Crispin nickte und wollte sich zurückziehen, aber Herr Holgerman hielt ihn zurück.

»Meine Herren, ich bitte Sie, keine Kosten zu scheuen, und ersuche Sie, eine hohe Belohnung öffentlich auszuschreiben, die derjenige bekommt, der das Kind so oder so – Herr Holgerman scheute sich, die Worte tot oder lebendig nachzusprechen – zur Stelle schafft. Ich bitte auch, durch Zusicherung von Prämien Ihre Unterbeamten anzuspornen, und erkläre, für sämtliche Kosten aufzukommen. Und nun hätte ich noch eine Frage, die ich, ohne in die erprobte Tüchtigkeit unserer Polizei die geringsten Zweifel zu setzen, doch stellen möchte. Wie wäre es, wenn wir einen erfahrenen, findigen Privatdetektiv zur Mithilfe heranzögen? Man hört doch oft, daß solche Leute Außerordentliches leisten.«

Während Herr Crispin nur leicht lächelte, lachte sein Chef laut auf.

 

»Verzeihen Sie, Herr Holgerman, aber es scheint, als wenn auch Sie hie und da einen Kriminalroman gelesen hätten! Ja, dann begreife ich Ihre Anregung. Also, ich kann Ihnen nur sagen, daß alles das, was unsere Herren Schriftsteller über sogenannte Privatdetektivs berichten, die, um Geld zu verdienen oder zum Vergnügen, Verbrechern nachjagen und geheimnisvolle Fälle aufdecken, der reinste Schwindel ist. Noch nie hat so ein Detektiv irgend etwas aufgedeckt, und er kann auch gar nichts aufdecken, weil ihm der Apparat der Behörden nicht zur Verfügung steht und er die großzügigen Hilfsmittel der Polizei nicht besitzt. Was Sie da von Fußspuren und vergessenen Kragenknöpfen, kunstvollen Verkleidungen und so weiter in den Büchern gelesen haben, ist phantastischer Humbug, sonst nichts. Jawohl, es gibt genug tüchtige Privatdetektivs, die ganz Gutes leisten, wenn es gilt, einem lockeren Ehemann oder einer verdächtigen Gattin nachzuschleichen oder sich nach dem Vorleben eines Buchhalters oder Bräutigams zu erkundigen. Kurz, überall dort, wo es sich um private Angelegenheiten handelt, um die sich die Polizei nicht kümmert und nicht kümmern darf, kann ein Privatdetektiv Ersprießliches leisten. Aber in Fällen, wie diesem hier, würde er nur eine komische Figur spielen, weil ihm die Schar der Hilfskräfte, die Kenntnis der Akten, der Einblick in das Verbrecheralbum, die Verbindung mit den auswärtigen Behörden und vor allem das Recht zu irgendeiner Amtshandlung fehlen.«

Herr Holgerman gab sich zufrieden und fuhr nach Hause, in der geheimen Hoffnung, daß sich das Einschreiten der Polizei doch noch als überflüssig erweisen würde. Aber zu Hause fand er nur niedergeschlagene Menschen, die miteinander im Flüstertone wie in einem Totenhause sprachen. Unerquicklich gestaltete sich auch das Abendessen, bei dem sonst Herr Holgerman, aller Geschäftssorgen ledig, gutgelaunt zu sein pflegte. Diesmal flog kaum hie und da ein abgerissenes Wort über den reichbedeckten Tisch. Bob hatte zum erstenmal in seinem jungen Leben Kopfschmerzen. Mühsam würgte er ein paar Bissen hinab, alles quälte ihn; der sorgenvolle Blick, den seine Mutter von Zeit zu Zeit auf ihn warf, die beschwichtigenden Äußerungen, die der Vater ersichtlich gegen seine Überzeugung tat, alles empfand der Knabe als Anreiz, laut hinaus zu weinen, und je krampfhafter er sich bemühte, die Tränen zurückzudrängen, um so stärker wurde der Schmerz in den Schläfen. Wie eine Erlösung empfand er es, als seine Mutter unmittelbar nach Tisch ihn an sich zog und ihm liebkosend sagte:

»Bobbie, du bist ganz blaß vor Müdigkeit und Sorge; am besten, du gehst gleich schlafen. Wer weiß, vielleicht ist morgen alles wieder gut.«

Bob ging in sein im zweiten Stockwerk gelegenes, freundliches, ganz weißes Zimmer, blieb, das Ende eines Schnürschuhbandes in der Hand, gedankenvoll auf dem Bettrande sitzen und sprach in sich hinein:

»Ich habe jetzt am gedeckten Tisch gesessen und hätte essen können, was ich wollte. Und nun bin ich in meinem Zimmer und werde mich in ein weiches, weißes Bett legen, um morgen früh zu einem guten Frühstück aufzustehen. Gertie ist aber irgendwo tot oder krank, oder böse Menschen tun ihr etwas, schlagen und mißhandeln sie. Vielleicht liegt sie jetzt in einem Gefängnis auf dem harten Steinboden, hat nur Wasser und schimmliges Brot – und Mäuse, vor denen sich Gertie immer so fürchtet, huschen ihr über die Beine. Und vielleicht weint und schreit sie nach ihrer Mama und nach mir. Sicher tut sie das, denn Gertie ist ja eigentlich meine Braut, weil sie doch weiß, daß ich sie, wenn ich erst groß bin, unbedingt heiraten werde, und weil sie mich so lieb hat, wie ich sie.«

Einer plötzlichen Eingebung folgend, sprang Bob auf. Er ging an das offene Fenster und sah in den Abend hinaus. Es war schon ganz dunkel draußen, aber der Himmel stand voller Sterne, es war herrlich warm und vom Park her dufteten die Tuberosen und Hyazinthen. Und Bob tat nun etwas, was er unter anderen Umständen als braver, kleiner Junge nie getan hätte. Schlich leise die Treppe hinab, nahm aus dem Garderoberaum unten in der Halle den Hausschlüssel und verließ ungesehen und verstohlen die Villa. Leer, durch wenige Laternen schlecht erhellt, lag der Park vor ihm. Aber Bob richtete sich stramm auf, um kein Angstgefühl aufkommen zu lassen, und ging hinein. Niemand war zu sehen. Nur auf den Bänken saßen fast immer zwei Leute, Mann und Frau, die sich umschlungen hielten, und Bob dachte:

»Sicher sind das arme Ehepaare, die häßliche kleine Wohnungen haben und sich nun hier erholen. Es ist sehr nett von den Leuten, daß sie sich gerne haben. Wenn ich groß bin, will ich mit Gertie auch so sitzen, aber nicht im Park, wo fremde Leute einen sehen, sondern zu Hause auf dem Sofa.«

Auf und ab wandelte Bob durch alle die vielen sichkreuzenden Wege und Alleen; über den Spielplatz ging er und pfiff von Zeit zu Zeit die drei Töne vor sich hin, die für Gertie das Signal zu sein pflegten, mit dem er sie an das Fenster lockte.

Nichts, kein Echo, keine Antwort, keine Gertie! Bob begann das Unsinnige dieses nächtlichen Ausfluges einzusehen, ging wieder heim und gelangte abermals unbemerkt in sein Zimmer, wo er sich nun rasch entkleidete und todmüde ins Bett schlüpfte.

Eine schreckliche Nacht kam für den kleinen Jungen, so entsetzlich und schmerzvoll, wie er nie gedacht hatte, daß eine Nacht sein könnte. Wüste Träume verfolgten seinen ersten Schlummer. Er sah Gertie vor sich, wie sie blutüberströmt vor ihm herlief. Er hinter ihr her, ein Messer schwingend. Endlich erreichte er sie, stieß ihr das Messer in den Rücken, worauf Gertie ihn groß ansah und lispelte: »Bobbie, daß du es bist, der mir so weh tut!« Da schrie Bob in Verzweiflung gellend auf, so daß er von diesem Schrei erwachte. Und es dauerte Sekunden, bevor es ihm klar war, daß dies nur ein Traum gewesen. Schweißgebadet lag er in seinem Bett und erinnerte sich, daß er sein Nachtgebet zu sprechen vergessen hatte. Bob kroch aus dem Bette, kniete, was er sonst nie tat, nieder und rief schluchzend seinen Herrgott an, er möge nicht dulden, daß Gertie ein Leid geschehe. »Lieber Gott,« sagte er, »allen Menschen will ich nunmehr Freude machen, bescheiden und gut will ich sein, nie jemanden kränken und ärgern, wenn du machst, daß Gertie wiederkommt.«

Plötzlich kam es ihm zum Bewußtsein, daß er auch gegen Gertie nicht immer ganz nett gewesen sei. Einmal hatte er sie angeschrien, weil sie an seinem Flaubertgewehr etwas in Unordnung gebracht hatte, sehr oft hatte er sie verspottet, wenn sie von der Gleichberechtigung der Frauen sprach und glühend behauptete, daß Mädchen ebenso klug seien wie Jungens. Und dann vor wenigen Tagen erst hatte er Gertie seine Mineraliensammlung gezeigt, in der sich ein schöner, großer Opal befand. Gertie hatte diesen lange in ihren Händen gehalten und dann seufzend gesagt: »Der ist schön, da ließe sich ein feiner Anhänger daraus machen.« Wohl hatte es in ihm gezuckt und er wollte ihr den Stein schenken, aber der kleine Teufel, diesmal der Geizteufel, der, wie der Herr Pfarrer immer zu sagen pflegte, in jedem Menschen irgendwo sein Spiel treibe, verhinderte ihn und ruhig hatte er den Opal wieder in den Kasten getan.

»O Gertie,« schluchzte nun Bob, »wie leid mir das tut! Die ganzen Tage über hat es mir schon leid getan, daß ich so häßlich und geizig war! Gertie, komm‘ nur zurück, dann bekommst du alles, was ich habe, und auch den Hund kaufe ich nicht für mich, sondern für dich!«

Bob konnte dann stundenlang nicht einschlafen.

Unaufhörlich kreisten seine Gedanken um die Ereignisse des heutigen Tages, der so schön begonnen und so grauenhaft geendet hatte. Er bemühte sich, ruhig und folgerichtig alles zu überdenken, und kam zu dieser Erwägung: Ein Unfall konnte Gertie nicht widerfahren sein, weil das Menschen gesehen und gemeldet hätten. Das Verschwinden Gerties mußte sich ja innerhalb einer Strecke von kaum mehr als einer viertel Meile abgespielt haben. Also war Gertie einfach geraubt worden. Aber wer raubt kleine Mädchen?

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