Читать книгу: «Klangvolle Stille», страница 5
Schmerz und Trauer lasteten schwer auf mir, und es wurde mir bewusst, dass ich die Tat nicht rächen können würde. Die Leibgarde des Kaisers war zu mächtig, um sich mit ihr anzulegen. Die Soldaten hielten mich für den Mörder und Brandstifter und der Kaiser selbst war weit entfernt in der Hauptstadt Elena.
Rufe rissen mich aus meinen trüben Gedanken und ich sah zur Straße hinunter. Mehrere Soldaten stürmten nun das Wirtshaus, einige blickten sogar zum Dach empor, als würden sie mich dort vermuten.
So schnell ich konnte, huschte ich in geduckter Haltung weiter zum nächsten Dach.
»Er ist dort oben! Ich habe ihn gesehen!«, erschallte die Stimme eines Soldaten. Nun zählte jeder Augenblick. Ich achtete nun nicht mehr auf meine Deckung, rannte über das Dach und sprang von einem Mauervorsprung zum nächsten. Die ersten Soldaten waren schon aus meinem Zimmerfenster gestiegen und waren mir auf den Fersen.
Pfeile pfiffen an mir vorbei. Glücklicherweise konnten die Schützen mich genauso schlecht ausmachen wie ich sie, und so waren die Geschosse unpräzise und verfehlten mich.
Inzwischen hatte ich die Orientierung vollkommen verloren. Von allen Seiten hörte ich Rufe, Soldaten hatten die umliegenden Häuser erklommen und schossen mit Pfeilen auf mich.
Plötzlich wurde ich der brennenden Fackeln gewahr, die unweit von mir die Stadtmauern beleuchteten. Mit letzter Kraft wählte ich eine neue Route und versuchte auf die höchsten der an die Stadtmauer angrenzenden Häuser zu gelangen.
Das Ziel war nahe, und mir war, als könnte ich die Freiheit förmlich riechen, sie fühlen, als ob sie ihre Arme ausstrecken und nach mir greifen würde, nur noch wenige Häuser trennten mich von ihr, als plötzlich ein Surren die Luft durchschnitt und mir ein brennender Schmerz durchs Bein schoss.
Ein Pfeil hatte meinen rechten Oberschenkel getroffen. Der Schmerz durchfuhr mich bei jedem Schritt, als würde ich durch die lodernden Flammen eines Feuers schreiten. Schließlich versagte mir das Bein und ich stürzte nach vorne und schlug mit dem Gesicht hart gegen die Holzschindeln des schrägen Dachs. Sofort schmeckte ich das Blut, das aus der aufgeplatzten Lippe floss. Auch am Kopf musste ich mich aufgeschlagen haben, denn ein warmes Rinnsal lief mir über Stirn, Wange und Kinn.
Meine Verfolger waren bereits ganz nah, ich konnte ihre Stimmen hören, ihre Fackeln sehen, das Aufblitzen der Schwertklingen erkennen.
Plötzlich tauchte das Hexenweib vor meinen Augen auf, wie eine Gestalt aus einem Traum. Sie sah mich auffordernd an. »An deinem Schwert haftet eine Geschichte. Jene Geschichte, die bei den Elfen beginnt.«
Dann war sie wieder verschwunden, aber mit einem Mal fühlte ich eine Kraft, die den Schmerz verdrängte und mich auf die Beine zwang. Mit einem entschlossenen Griff brach ich den Pfeil, der mein Bein durchbohrte, entzwei und zog die beiden Hälften aus dem Oberschenkel.
Und wieder fühlte ich die magische Kraft durch meinen Körper strömen. Ich lief zum nächsten Dach, sprang über die Gasse zwischen den beiden Häusern hinweg und erreichte die kalte Fassade der Stadtmauer. Erst in diesem Moment kam mir der Gedanke, dass es mir unmöglich sein würde, die Mauer zu erklimmen. Die Steine waren sauber mit Mörtel abgedichtet und es gab kaum einen Spalt, an dem man sich festkrallen konnte. Zugleich waren meine Verfolger schon bis zum letzten Haus vorgedrungen, wagten jedoch nicht den Sprung über die Gasse.
Bögen wurden gespannt, und als ich mich umdrehte, schossen bereits unzählige Pfeile auf mich zu.
Doch jeder Pfeil, der mich treffen und töten hätte sollen, flammte in einem roten Schein auf und verglühte, ehe er meinen Körper erreichte. Die Magie, die nun aus meinem Inneren herausgetreten war, umhüllte mich wie ein undurchdringlicher Panzer.
Obwohl ich wusste, dass ich über Magie verfügte und mein Blut sich wie Weinbrand entzünden konnte, hatte ich noch nie zuvor eine solche Kraft gespürt. Oder war dies doch der Einfluss der Gottheiten, die über mich wachten?
Ein Lächeln huschte über meine Lippen. Ich starrte in die verblüfften Gesichter der Soldaten, die erneut nach Pfeilen griffen, welche allesamt sofort aufglühten, kaum dass sie abgefeuert waren.
Ich wandte mich zur Mauer und tat einen Sprung in die Höhe. Kaum hatten meine Füße die Haftung zum Dach verloren, war mir, als ob eine unsichtbare Hand meinen Körper emporkatapultierte, sodass ich leichtfüßig auf den Zinnen der Stadtmauer landete.
Sogleich sprangen mit Schwertern bewaffnete Soldaten auf mich zu. Ich griff nach meinem Breitschwert und schlug jeden Angriff gezielt zurück.
Die meisten der Wachen waren im Kämpfen ungeübt, da es kaum je ein Bürger wagte, sich mit ihnen anzulegen. Zudem löste die Vorstellung, gegen einen Magier anzutreten, zusätzliche Verunsicherung aus, und so fielen ihre Attacken ungezielt und schwach aus.
Mein Schwert durchstieß bereits den Körper des dritten Soldaten, als Paladine des Kaisers im Schein der Fackeln erschienen. Die Paladine gehörten zwar dem Heer an, doch waren sie ebenso wie die Rejèss und die Blutigen Schneiden ausgezeichnete Schwertkämpfer.
Ich griff nach der Fackel, die mir am nächsten war, und warf sie über die Mauer, um die Höhe des Walls abschätzen zu können. Als die Fackel zischend im dreckigen Gewässer des Stadtgrabens erlosch, verbarg ich mich unter meinem Umhang und verschmolz so mit der Dunkelheit, bevor ich mich – unbeachtet von den Soldaten – in die Tiefe stürzte.
Mit einem lauten Klatschen verschwand ich im übel riechenden Wasser und versuchte mich tauchend so weit wie möglich von der Stelle wegzubewegen. Die Zähne aufeinandergepresst, riss ich die Augen auf und sah mich um. Über mir loderte die Wasseroberfläche mehrmals hell auf, als Fackeln von der Mauer herabfielen.
Es war ein Tauchgang voller Qualen. Meine Augen brannten, die Gliedmaßen schmerzten, das Übelkeitsgefühl war unerträglich. Schließlich zog ich meinen Kopf wieder aus dem Wasser, holte tief Luft und schwamm zum Rand des Grabens, um mich dort ans Ufer zu ziehen.
Kaum spürte ich festen Boden unter meinen Füßen, begann ich zu laufen und versuchte den brennenden Pfeilen, welche unweit von mir im feuchten Gras einstachen, zu entkommen.
So schnell ich kannte, durchquerte ich die offene Landschaft und hielt auf den Wald zu, der sich im Mondlicht abzeichnete.
Inzwischen hatte man das Stadttor geöffnet und Reiter ausgeschickt, die nun die Verfolgung aufnahmen.
Da ich außer Reichweite der Feuerpfeile war und mein schwarzer Umhang mich in der Dunkelheit fast unsichtbar machte, mussten die Reiter mühevoll nach meinen Spuren suchen.
Endlich hatte ich den Wald erreicht, wo ich mich durch das dichte Geäst der Sträucher kämpfte. Für einen kurzen Moment hielt ich inne und starrte auf die Ebene hinaus, wo sich die Reiter, mit Fackeln, Bögen, Speeren und Schwertern ausgerüstet, sammelten und Richtung Wald ausschwärmten.
Kaum hatte ich etwas verschnaufen können, da stieg wieder Übelkeit in mir auf und ich musste mich mehrmals übergeben. Der Gestank der Kloake aus Abwässern und allen möglichen Abfällen würde sich kaum noch aus meiner Kleidung herauswaschen lassen.
Als ich mich der letzten Nahrungsreste entledigt hatte, hastete ich weiter.
Die Reiter konnten es nicht riskieren, mit ihren Fackeln einen Waldbrand auszulösen, und so konnte ich etwas Vorsprung gewinnen. Doch war es vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis die Soldaten ihre Bluthunde auf mich hetzen würden, oder – was ich noch mehr befürchtete – die Hetzer ausschickten. Die Hetzer, wie mir vor ihnen graute! Man sagt, es seien die Seelen jener Männer, die durch ihre grausamen Taten zu Lebzeiten im Tode auf Ewigkeit verflucht waren. So ritten sie auf toten Tieren, welche durch den Fluch – oder durch Magie – zum Leben erweckt worden waren. Zwar unterstanden sie nur den Blutigen Schneiden und nicht dem Kaiser, doch handelten die einstigen Leibwächter des Kaisergeschlechts – und Vorgänger der Rejèss – stets im Sinne Mandossars.
Die Hufschläge der Pferde waren vollkommen verstummt. Die Fackeln waren längst hinter den Bäumen verschwunden und es umgab mich nur noch die Finsternis der Nacht. In regelmäßigen Abständen blieb ich stehen und lauschte in den Wald hinein, doch nirgends war das Kläffen der Hunde oder Geheule der Hetzer zu hören.
Und so marschierte ich weiter, in der Hoffnung, mich mit jedem Schritt weiter von der Stadt entfernen zu können.
Müdigkeit drohte mich zu übermannen, und die Trauer um das Hexenweib legte sich wie ein dunkles Tuch über meinen Geist, hielt ihn gefangen und ließ ihn an nichts anderes mehr denken.
Es dämmerte bereits, als mein Magen zu knurren begann, meine Beine mich kaum noch einen weiteren Schritt tragen würden und die Augen halb geschlossen waren. Ich war zu müde, um mich nach einem sicheren Versteck umzusehen – obwohl ich wusste, dass bei Tagesanbruch die Soldaten auf ihren Rössern den gesamten Wald durchkämmen würden.
Schließlich gelangte ich zu einem Bach, der sich leise plätschernd seinen Weg durchs Flussbett bahnte, das von Unwettern, die vor nicht allzu langer Zeit gewütet hatten, verbreitert worden war. Im Zuge der Unwetter musste dieser Bach zu einem reißenden Fluss angestiegen sein, und am Becken über der Lehmschicht war viel Geröll und Geäst angespült worden. Ich grub eine kleine Mulde in den Lehm, um mich dort hinlegen zu können. Zuletzt zog ich mir Geäst über den Leib, um gut genug getarnt zu sein. Kurz darauf war ich eingeschlafen.
Hufschläge, die langsam näher kamen, brachten das Unterholz laut zum Knacken.
Mit einem Schlag war ich munter. Ich hielt den Atem an und lauschte. Leise hob ich den Kopf, um durch die Äste, die meinen Leib verdeckten, hindurchzuspähen, doch ich konnte nichts erkennen. Dennoch war ich mir sicher, dass sie mich aufgespürt hatten, aber wo blieben die triumphierenden Rufe oder der Befehl, mich zu ergeben?
Das Pferd gab einen mir vertrauten Laut von sich und stampfte mit den Hufen in den lehmigen Boden. Sofort war mir klar, dass kein Soldat, sondern ein alter Gefährte mich aufgespürt hatte. Ich schob das Geäst beiseite und sprang auf die Beine.
Nothon stand da, gesattelt und mit meinen Taschen bepackt. Tom hatte demnach Wort gehalten und den Hengst an den Wachen vorbei bis vor die Stadtmauern geführt.
Mit einem erleichterten Seufzen eilte ich auf den Hengst zu, der bei der ersten Witterung meines Gestanks zurückschrak und den Kopf zur Seite drehte.
Etwas beschämt betrachtete ich meine Kleidung, welche von oben bis unten beschmutzt und von kleinen Rissen durchzogen war. »Ich weiß selbst, dass ich schon einmal besser ausgehen – und gerochen – habe!«, zischte ich dem Hengst zu und zog mich in den Sattel.
Prüfend blickte ich in alle Richtungen, um mich zu vergewissern, ob wohl niemand Nothon gefolgt war, dann versetzte ich ihm einen Tritt und ritt los.
Nothon fand selbstständig den Weg zurück zum nächsten Pfad, der breit genug war, um schnell voranzukommen.
Mit einem Blick zur Sonne stellte ich fest, dass ich in der Nacht zuvor nach Nordwesten geflohen war. Nun ritten wir nach Nordosten, auf der Suche nach den verborgenen Elfen.
Es war ein mühsamer Ritt. Ständig mussten wir anhalten: Während Nothon versuchte, fremde Gerüche zu wittern, hielt ich ständig Ausschau nach weiteren Soldaten. Bestimmt hatte man bereits beim ersten Morgenlicht begonnen, die Suche nach mir wieder aufzunehmen, und ich war überrascht, dass man mich noch nicht gefunden hatte.
Gegen Mittag rasteten wir bei einem kleinen Bach, in dem ich mich wusch und meine Kleidung notdürftig sauber zu bekommen versuchte. Der Schmutz ließ sich schnell abwaschen, aber gegen den Gestank war nichts auszurichten.
Es war bereits später Nachmittag, als wir eine schmale Straße, die durch den dichten Wald führte, dahinpreschten. Der unberührte erdige Boden verriet mir, dass die Soldaten diesen Pfad nicht entlanggeritten sein konnten, was beruhigend war.
Die Sonne verschwand schon fast wieder am Horizont und würde unseren Pfad nur noch kurze Zeit beleuchten.
Müde zügelte ich den Hengst und blieb mitten am Weg stehen. Im Wald war es still geworden, nichts schien sich mehr zu bewegen, es war, als wäre man in eine leblose Gegend eingefallen.
Erschöpft streckte ich meinen Körper durch und nahm einen Schluck aus meinem Trinkschlauch, den ich am Bach aufgefüllt hatte. In diesem Moment, dem Moment der Stille, überkam mich wieder die Trauer, die ich tagsüber unterdrückt hatte. Warum musste das Hexenweib sterben? Und hatte der Mord etwas mit meinem Erscheinen in Hesana zu tun? So viele Dinge waren mir unerklärlich. Tränen schossen mir in die Augen und das anfängliche Seufzen verwandelte sich in heftiges Schluchzen. Mit zittrigen Händen griff ich nach dem kleinen leeren Beutel, der an meinem Gürtel hing, und hielt ihn vor meine Augen. Bestimmt war es Hexenkunst – oder Magie –, die dieses Beutelchen so leer erschienen ließ. Doch was hatte das alles zu bedeuten? Welche Antworten würde der Inhalt mir wohl liefern? Die Erklärung, warum sie sterben musste? Oder warum sie von meinen Träumen – und meiner sogenannten Bestimmung – wusste? Sie sprach von meinem Schwert und von der Geschichte, die an ihm haftete. Bei den Elfen, so sagte sie, würde die Geschichte beginnen, doch wo würde sie enden?
Nothon schnaubte unruhig auf und riss mich aus den Gedanken. Schnell befestigte ich den Beutel wieder am Gürtel und sah mich um. Nichts. Die Dunkelheit zwängte uns wie eine heranrückende Mauer ein, man war gefangen wie in einem Käfig, ohne jedes Geräusch oder irgendein Anzeichen von Leben. Nichts schien sich zu bewegen, kein Tier schien sich hier aufzuhalten, selbst die Baumkronen, die sich im Wind wiegten, schienen erstarrt zu sein.
Einzig die Angst war spürbar. Angst, die langsam von den Beinen über den Rücken in die Arme und in den Kopf stieg. Dieses Gefühl, dieses vertraute Gefühl, das mich nun überkam, deutete zweifellos auf etwas hin, was ein jeder Wanderer, Einsiedler, Händler oder Soldat fürchtete. Dieses Etwas waren sie, das kriegerischste Volk, sie, die keine Gnade kannten, sie, die einst als die Wächter der Wälder erschaffen worden waren: die Arasien.
Nothon reagierte, noch bevor ich es tat. Er stürmte los, als würde ein Hornissenschwarm sein Hinterteil umkreisen.
Ganz in der Nähe war es nun deutlich zu hören: ein unheimliches Geräusch, ein Brummen, ein Knurren, ein Fletschen der Zähne, ein Schlangenzischen – kaum eine Beschreibung traf auf jenes Geräusch zu, welches selbst den furchtlosesten Krieger erzittern ließ.
Und da erschienen sie zwischen den Bäumen, von allen Seiten stürmten sie herbei, die mannshohen Kreaturen, mit zackigen Schwertern bewaffnet und mit giftgelber Haut, die mit Ruß überzogen war. Die leuchtenden Augen funkelten abwechselnd in Gelb und Rot. Man sah ihnen die Gier an, Gier nach Vergeltung für all die Gräueltaten, die ihnen von Menschen und Elfen angetan worden waren.
Sie waren schnelle Läufer, selbst Nothon konnte sie nicht abschütteln. Vermutlich hatten sie uns schon von Weitem gesehen und eingekreist, denn nicht nur hinter uns und von beiden Seiten erschienen die Krieger, auch von vorne liefen sie nun auf uns zu, als würden sie die schlagkräftigen Hufe des Hengstes nicht fürchten.
Mit einem lauten Kampfruf zog ich mein Breitschwert aus der Scheide und hielt es jenen Arasien entgegen, die auf mich zustürmten. Als sie nahe genug waren, sprang ich aus dem Sattel und stieß mit meinen Füßen gegen den Kopf des ersten Angreifers.
Kaum war ich zu Boden gegangen und hatte den Arasier unter mir begraben, rollte ich mich zur Seite und schlug mit dem Schwert auf eine dieser Kreaturen ein.
Es folgte ein erbitterter Kampf, der nicht zu gewinnen war. Die Arasien waren uns um Vielfaches überlegen, sie waren ausgeruht und auf den Kampf vorbereitet. Ihre Schlagkraft war enorm, die Schwertführung präzise. In meinem Leben hatte ich schon viele Krieger getötet, doch das war nichts im Vergleich zum Kampf mit diesen Arasien. Ich wusste, wie man einen Gegner überwältigen und kampfunfähig machte, doch kostete mich hier ein gewonnener Zweikampf mehr Kraft als jeder andere zuvor.
Für einen winzigen Moment dachte ich an die Magie in meinem Körper, aber das Feuer würde diesen Gegnern kaum etwas anhaben können. Sie fürchteten die heißen Flammen nicht, und mich würde es all meine Kräfte kosten, auch nur einen Einzigen von ihnen durch Magie zu schwächen.
Bisher waren vermutlich nicht mehr als drei Arasien gefallen – und unzählige hinzugekommen, die mich nun hämisch grinsend umkreisten und mit lauten Kampfrufen einzuschüchtern versuchten. Ein kräftiger Krieger, dem ich gerade einmal bis zur Brust reichte, trat vor und schlug mit seiner breiten Doppelaxt auf mich ein.
Ich verfiel in Panik, meine Schläge fielen schwach und ungenau aus. All die Kraft, die mir noch geblieben war, setzte ich ein, um den Axthieben auszuweichen und einen günstigen Moment abzuwarten, in dem der Arasier ohne Deckung sein würde. Dann holte ich geschwind aus und schlug zu, doch das Schwert zitterte in meinen Händen, und sogleich umfasste ein Krieger mit seiner linken Pranke die Klinge und das Schwert und riss sie mir mit einem Ruck aus der Hand.
Verzweifelt griff ich nach meinem Rückenschwert, zog es aus der Scheide und stach auf den Arasier ein, der breitbeinig vor mir stand. Die Klinge bohrte sich in seinen Brustpanzer, doch der Arasier zeigte keine Spur von Schwäche oder schrie vor Schmerz auf, wie es ein Mensch getan hätte. Er sah mich lediglich mit seinen leuchtenden rot-orangen Augen an und grinste. Die anderen fielen in das Gelächter ein und schienen sich nicht weiter um mich zu kümmern. Ich wollte nach dem Schwert greifen, das noch immer in der Brust der riesigen Kreatur steckte, als mich ein Schlag von hinten traf und mich meiner Sinne beraubte.
3. KAPITEL
Ich erwachte auf einem Bett aus Stroh, und der Raum, in dem ich mich befand, war in gedämpftes Tageslicht getaucht. Ganz in meiner Nähe waren Stimmen zu hören, und als ich die Augen einen Spalt zu öffnen wagte, sah ich Gestalten mit spitzen Ohren, die von den Haaren halb verdeckt waren. Elfen!
Erschrocken richtete ich mich auf. Aber die Bilder verschwammen vor meinen Augen, mir wurde schwindlig und ich spürte einen quälenden Kopfschmerz.
»Ruhig, langsam!«, sprach eine sanfte Männerstimme. Hände packten mich an den Schultern und drückten mich behutsam in das Bett zurück.
Nach einer Weile öffnete ich erneut die Augen und blickte mich genauer um. Ich befand mich offensichtlich in einem Zelt, draußen waren typische Stadtgeräusche zu vernehmen: lautes Reden, das Klappern der Holzräder und Pferdehufe über gepflasterte Straßen, die gleichmäßigen Schritte vorbeischreitender Soldaten.
Neben meinem Bett standen die Elfen, die mich erwartungsvoll und misstrauisch anblickten.
»Wo bin ich? Was ist geschehen?«, fragte ich verwirrt und tastete nach meinem Hinterkopf, wo ich die Wunde des Schlages spürte, der mich meiner Sinne beraubt hatte.
»Ihr seid in Sicherheit.« Einer der Elfen trat vor und warf mir einen feindseligen Blick zu. Kleine Falten umzogen seine Augen- und Mundwinkel, das kastanienbraune Haar war von grauen Strähnen durchzogen. Aus der goldenen Uniform und all den Abzeichen auf der Brust schloss ich, dass es sich um einen höheren Offizier handeln musste. »Was passiert ist, wollen vielmehr wir von Euch erfahren!« Seine Stimme klang streng und fordernd.
»In Sicherheit, hm?« Langsam richtete ich mich auf und starrte dem Offizier in die Augen. »Ich sehe Hass in Euren Augen. Wie soll ich mich in Sicherheit fühlen können?«
Der Elf verzog gereizt den Mund. »Ihr seid nicht in der Position, Forderungen zu stellen!« Nach einer kurzen Pause fuhr er fort. »Wir haben Euch vor den Arasien gerettet, vor ihnen seid Ihr hier in Sicherheit. Nun sagt, wie seid Ihr in diese Lage geraten?« Er musterte mich und meine Kleidung, die noch immer unangenehme Gerüche verströmte.
»Ich war auf der Flucht vor den kaiserlichen Truppen. Im Wald war ich auf die Arasien gestoßen, gegen die ich mich zur Wehr setzen musste.«
»Zur Wehr setzen?«, spottete der Elfe. »Nur ein Narr würde sich auf einen Kampf gegen eine Horde von Arasienkriegern einlassen. Oder jemand, der auf der Flucht vor einer noch größeren Gefahr ist.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Des Kaisers Soldaten halten nicht viel von Fremden, erst recht nicht, wenn man ein Ausgestoßener ist.«
Der Elf nickte langsam und ging zu einem kleinen Tisch, auf dem auf einem weißen Tuch all meine Schwerter und Messer ausgebreitet lagen. »Ich frage mich – wenn es stimmt, was Ihr sagt –, wie kann ein Ausgestoßener, ein Einsiedler im Besitz eines so kostbaren Schwertes sein?« Der Offizier griff nach dem magischen Breitschwert, hielt jedoch inne, noch bevor seine Fingerspitzen den Griff berührten. Er lächelte, nahm ein Tuch und umfasste mit diesem das Schwert. Verblüfft zog ich die Augenbrauen hoch, was dem Elf ein triumphierendes Lächeln auf die Lippen zauberte. Er musste um den Zauber der Klinge wissen, denn jeder, der dieses Schwert mit der bloßen Hand anfasste, würde qualvolle Verbrennungen erleiden.
»Ein Ausgestoßener im Besitz einer so kostbaren Waffe – und er versteht sich auf Magie! Sagt mir, wer Ihr wirklich seid!«
Ich atmete tief durch, während ich mir eine Antwort überlegte, doch da entstand vor dem Zelt plötzlich Unruhe. Ein Stimmengewirr in einer fremden Sprache war zu vernehmen, ehe die Zeltwand aufgeschoben wurde und eine wunderschöne Elfe eintrat.
Das Schwarz ihrer Augen war von einem leuchtenden blauen Ring umrahmt. Ihre Haut war so hell wie der weiße Sand an den Nordmeeren, ihre schmalen Lippen schön geschwungen, das Haar war schwarz wie die Nacht und fiel bis über ihre Schultern. Unsere Blicke trafen sich und blieben aneinander hängen. Sie sprach ein paar Worte, verfiel jedoch plötzlich in Schweigen und schien in eine andere Welt entrückt, so wie ich auch. All der Schmerz war von mir gewichen, die Sorgen vergessen, das Einzige, was zählte, war die zauberhafte Erscheinung der Elfe.
»Ihr wolltet etwas sagen, Sprecherin des Offizierstisches?«, sprach der Offizier die Frau mit leicht spöttischem Unterton an.
»Ja, ich…« Ihre Stimme war von solch schönem Klang, dass ich an jene engelsgleichen Erscheinungen denken musste, denen man nachsagt, sie würden die Seelen der Sterbenden bis zur Aufnahme ins Himmelsreich begleiten. »Wer ist der Fremde?«, fragte sie. »Wer seid Ihr?«
»Preston, ein vaterloser Sohn.«
Die Elfen wechselten beunruhigt einige Blicke, ehe die schöne Engelserscheinung fortfuhr. »Woher kommt Ihr?«
»Ich hatte in Hesana eine… Bekannte aufgesucht, ich wollte ihren Rat einholen, doch sie wurde in meinem Beisein ermordet. Daraufhin haben mich kaiserliche Soldaten verfolgt und ich musste aus der Stadt flüchten.«
Der Elfenoffizier hob verwirrt die Hand. »Euch haben die kaiserlichen Soldaten verfolgt – weil Eure Bekannte ermordet wurde? Hesana ist berüchtigt für die vielen Morde und Verbrechen, die auf offener Straße begangen werden – warum sollten die Soldaten an diesem einen Mord solch Interesse zeigen? Wer war Eure Bekannte?«
Nachdenklich zuckte ich mit den Schultern. »Ich weiß nicht, warum sich der Kaiser für sie interessiert hat, doch es waren die Rejèss, die den Mord in Auftrag gaben.«
»Die Rejèss?«, fragten der Offizier und die schöne Elfe wie aus einem Munde. »Wie hieß die Frau?«
»Ich kannte sie nur als das Hexenweib.« Dass sie eine Prostituierte war, behielt ich für mich.
Die beiden Elfenanführer zogen hörbar die Luft ein und hielten den Atem an.
»Dann ist es also wahr«, flüsterte die Elfe mit besorgter Stimme und legte ihre Hand auf die verschränkten Arme des Offiziers. »Haren, ruft die Hohen Offiziere zusammen, wir müssen den Offizierstisch einberufen.«
Der Angesprochene hob abwehrend die Hände. »Ich glaube nicht, dass wir einer Hure solche Bedeutung beimessen sollten.«
»Wagt es nicht, sie so zu bezeichnen!«, schrie ich den Elf wütend an und sprang vom Bett auf. Unbewusst hatte ich die rechte Hand ausgestreckt und fühlte nun in der Faust das vertraute Gewicht meines Breitschwertes, das durch die magische Bindung vom Tisch, wo Haren es abgelegt hatte, zu mir gelangt war.
Sogleich zogen auch die Elfenkrieger ihre Schwerter. Furcht und Fassungslosigkeit standen ihnen ins Gesicht geschrieben.
»Haltet ein!«, forderte die Elfe die Krieger auf und warf mir einen strengen Blick zu. »Auch Ihr!«
Widerwillig ließ ich die Klinge sinken und steckte sie in die Scheide, die nun an meinem Gürtel hing.
»Das magische Schwert, die Ermordung des Hexenweibes, die Tatsache, dass der Krieger allein unterwegs ist… wohl kaum handelt es sich dabei um Zufälle. Als Sprecherin des Offizierstisches fordere ich eine Zusammenkunft der Hohen Offiziere!«
Haren warf der Elfe einen zornigen Blick zu, ehe er mit schnellen Schritten vor das Zelt hinaustrat.
»Kommt.« Die Elfe nickte den verbliebenen Kriegern zu, welche die Waffen vom Tisch nahmen und hinaustrugen. »Wir müssen Euch die Waffen abnehmen, bis die Hohen Offiziere zu einem Entschluss gekommen sind. Da wir Euch Euer Breitschwert nicht nehmen können, bitte ich Euch, es verborgen zu tragen.« Ihre Stimme war ruhiger geworden und ihr Mund deutete ein leises Lächeln an.
Als wir das Zelt verließen, musste ich mich erst einmal an das grelle Licht im Freien gewöhnen. Es war ein für diese Jahreszeit ungewöhnlich warmer Tag. Auf den Straßen war viel los: Bewohner der Stadt eilten geschäftig umher, Kutschen wurden von Pferden gezogen, Krieger liefen von Haus zu Haus. Viele waren stehen geblieben, um mich zu begaffen, doch sobald ich sie ansah, wandten sie den Blick ab oder steckten die Köpfe zusammen, um hinter vorgehaltener Hand und im Flüsterton über mich zu tuscheln.
»Es kommt nicht häufig vor, dass Ihr Fremde aufnehmt?«, fragte ich mit leicht ironischem Unterton.
»Oh, gewiss nicht. Ihr müsst wissen, seit Hunderten von Jahren lebt unser Volk verborgen in diesen Wäldern. Wir fürchten jeden Menschen, denn schon lange versuchen sie unsere Stadt aufzuspüren und uns anzugreifen. Die wenigen Händler und Reisenden, die unserem Volk vertraut sind, vermeiden es zumeist, sich als Menschen zu erkennen zu geben.«
»Wie das Hexenweib? War sie hier?«
»Ja, vor vielen Jahren. Sie muss schon recht alt gewesen sein, als sie starb.« Wir schritten die Straße entlang, gefolgt von mehreren Kriegern, deren Hände auf den Schwertgriffen ruhten.
»Sie war vierzehn Jahre alt, als sie mich in den Wäldern fand.«
»Preston, der auserwählte Findling im Wald, als Einsiedler aufgewachsen, verborgen vor jeder Menschenseele.«
»Sie sprach von mir?« Eine neue Welt tat sich mir auf. Erstmals schien jemand von meiner Existenz zu wissen, doch nicht nur dies: Ich hatte offenbar eine Bestimmung im Leben, von der ich nichts geahnt hatte. Doch was würde mich nun erwarten? Wer war das Hexenweib wirklich? Konnte ich überhaupt noch behaupten, sie gekannt zu haben? Sie war eine Vertraute der Elfen, gab mir ein magisches Schwert, das mich mit einem Schlag zu einem Auserwählten machte.
»Ich verstehe nicht…«
»Sie hat Euch nie davon erzählt?«, fragte die Elfe zaghaft.
»Sie war mir eine Mutter, und ich… ich war der Namenlose.«
»Ihr seid deutlich mehr als ein Namenloser – Ihr habt gegen die Arasien gekämpft und drei von ihnen bezwungen! Ich war bisher noch keinem Menschen begegnet, der dies vollbracht hat.«
»Wie vielen Menschen seid Ihr denn bisher begegnet?«
»Mit Euch sind es drei gewesen – und zwei davon waren Frauen.«
»Kanntet Ihr das Hexenweib auch?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, ich war noch zu jung, als sie das erste Mal unsere Stadt aufsuchte. Niemand wusste, woher sie den Weg zu uns kannte, auch schien unsere Magier ihr nichts anhaben zu können, es war, als sei sie…«
»Eine Hexe«, beendete ich den Satz.
»Ja, eine Hexe«, bestätigte die Elfe und lächelte erneut. »Sie hat viele hoch gestellte Männer aufgesucht, und obwohl ein jeder wusste, dass sie eine Hure war – man sah es an ihrer Kleidung –, so schaffte sie es dennoch, von ihnen empfangen zu werden. Sie war auch bei einem alten Freund von mir, und der hat mir von ihr erzählt. Daher kenne ich ihren Namen und die Prophezeiung.«
»Prophezeiung? Welche Prophezeiung?«
Plötzlich wurde sie ganz ernst. »Darin sollen Euch die Hohen Offiziere einweihen.«
Fortan schwieg sie. Auf beiden Seiten der Straße ragten mehrstöckige Häuser empor, die alle zur Gänze aus Stein gebaut waren, nicht wie in Hesana, wo lediglich das Fundament und die Grundmauern steinern waren. Erstmals sah ich eine Stadt, deren Straßen frei von Müll und stinkenden Kloaken waren und in der niemand in Lumpen gehüllt herumlief. Auf dem Markt, an dem wir vorbeikamen, ging es friedlich zu – es gab keinen Streit, keine wüsten Beschimpfungen und niemand versuchte Waren zu stehlen. Die Spielmänner führten Kunststücke vor, es gab keine Sklaven, die an Pfosten gebunden waren und mit Abfällen beworfen oder verprügelt wurden. Diese Stadt inmitten des großen Waldes war ein Ort des Friedens, wie er in den gelehrten Schriften der Weisen so oft als Ideal beschrieben worden war. Hier, bei den Elfen, waren die Bürger frei. War dies der Friede, nach dem ich strebte? Konnte man hier ein Leben führen, wie ich es mir so lange ersehnt hatte? Hatten die Elfen eine Gesellschaftsordnung geschaffen, die allen ein glückliches Leben ermöglichte?
»Ihr seht überrascht aus.« Die Elfe holte mich in die Gegenwart zurück.
»Ich war noch nie zuvor… dies muss das Himmelsreich sein, wo die Gottheiten über die Geschöpfe wachen.«
»Wir leben in einer friedlichen Stadt«, antwortete sie stolz. »Doch sind Eure Worte nicht gar… übertrieben?«
»Ich bin schon vielen Kreaturen begegnet: Menschen, Bettas, Arasien, selbst mit den Renz hatte ich zu tun, doch so ein friedliches Zusammenleben hab ich noch nie gesehen – abgesehen von kleinen Dörfern in den Provinzen, wo man einander beisteht. Aber dies hier ist eine Stadt, eine riesige Stadt mit Hunderten Einwohnern.«