Читать книгу: «Klangvolle Stille», страница 7
Erst jetzt bemerkte ich das Grummeln meines Magens. »Ja, meine letzte richtige Mahlzeit liegt einige Tage zurück.«
Wir gingen durch die Straßen zu einer kleinen Schenke, wo die Elfe um etwas Brot, Wurst, Käse und Met bat. Da man mich mit abschätzigen Blicken und drohenden Gesten aus dem Wirtshaus scheuchte, verspeisten wir das karge Mahl unterwegs. Die Elfe war von Eifer gepackt und wollte mir die Stadt zeigen, doch ich lehnte ab. »Mir scheint, als würde ich noch einige Tage Eure Gastfreundschaft genießen dürfen, doch für heute soll es genug sein. Mir ist nach Schlaf, denn die Anstrengungen meiner Flucht machen mir noch immer zu schaffen.«
»Natürlich, kommt, ich bringe Euch zu Eurer Unterkunft.« Bei der nächsten Querstraße bogen wir nach Norden ab. Die Straßen begannen sich nun langsam zu leeren, alle eilten in ihre Häuser, sperrten Tür und Fensterläden zu und begaben sich zur Nachtruhe. Die Wächter schritten in kleinen Gruppen die Hauptstraßen ab, die Späher verließen ihre Wachtposten auf den Türmen und selbst die Miliz verschwand in den Gemeinschaftshäusern.
Der Himmel verdunkelte sich rasch und schließlich erreichten wir eine kleine Scheune. Die Elfe öffnete die knarrende Tür und verschwand im Inneren.
Als auch ich eintrat, schlug mir der Duft von geschnittenem Gras und Stroh entgegen. Das Scharren von Pferdehufe auf dem erdigen Boden wart zu hören, und aus dem hinteren Teil der Scheune drang ein leises Wiehern.
»Ich hatte mich schon gefragt, wann Ihr Euch wohl erkundigen würdet«, erklang die schöne Stimme der Elfe aus der Dunkelheit.
»Erkundigen? Wonach?«
»Ihr seid nicht alleine von Hesana gekommen.«
»Oh, Ihr meint mein Pferd! Er ist ein starrköpfiger Hengst, doch bisher fand er sich immer zurecht – und es würde mich nicht wundern, wenn er bereits vor Euren Toren aufgekreuzt ist.« Vergeblich versuchte ich die Umrisse der Elfe in der Dunkelheit auszumachen.
»Ihr habt ein sehr eigensinniges Pferd! Kurz nachdem unsere Krieger Euch hierher gebracht hatten, marschierte dieser Hengst vor unserer Stadtmauer auf. Die Torwachen wollten ihn einfangen, doch es gelang ihnen nicht und Euer Hengst ist durch unsere Stadt gestürmt. Nur mit der Hilfe einiger Stallburschen und dem Charme eines weiblichen Reittiers war er zu bändigen.«
Ich musste laut auflachen. »Der Charme eines weiblichen Reittiers? Nothon konnte dem Duft einer Stute noch nie widerstehen!«
»Nein, keine Pferdestute, seht selbst!«
Die Elfe entzündete eine Kerze, schritt an mir vorbei und näherte sich einem weißen Pferd. Doch als sie die Kerze in die Höhe hielt, erschrak ich beim Anblick dieser gewaltigen Kreatur. »Das ist ein Einhorn! Ihr habt eines der Einhörner gefangen!«, schrie ich entgeistert auf.
»Ihr scheint Euch zu fürchten!«, stellte die Elfe mit sichtlicher Genugtuung fest.
»Das sind mörderische Geschöpfe! Sie sind gefährlich!« Unsicher war ich einige Schritte zurückgewichen.
»Es sind prachtvolle Geschöpfe! Nur wenige von ihnen haben überlebt. Dieses Tier gehörte einst meinem Vater, er hatte es meiner Mutter zur Hochzeit geschenkt.«
Vorsichtig näherte ich mich dem Schein der Kerze – das Tier niemals aus den Augen lassend.
Nun war ich nahe genug, um die ausgestreckte Hand vor die Nüstern dieses geheimnisumwitterten Tieres halten zu können.
»Habt keine Furcht, es ist ganz zahm.« Die Elfe nahm meinen Arm und zog ihn näher an das Einhorn heran. Vorsichtig strich ich mit den Fingern über seinen langen Kopf.
Man konnte die Anmut und Kraft des Tieres spüren. Vorsichtig griff ich nach dem Horn und meine Finger spürten unzählige kleine Einkerbungen, die von zahlreichen Kämpfen herrühren mussten.
»Dieses Einhorn war einst ein Krieger?«, fragte ich leise, als fürchtete ich, den Zorn des Tieres zu erwecken.
»Es ist ein Schlachtross«, antwortete die Elfe genauso leise und legte ihre Hand auf die meine, welche noch auf der Stirn des Einhorns ruhte. Etwas unsicher zog ich meine Hand zurück und wandte den Kopf zur Seite. Zwar war es in dem Stall beinahe stockdunkel, doch vermied ich es dennoch, der Elfe in die Augen zu blicken.
»Habt Ihr es bereits in eine Schlacht geführt?«, fragte ich, um die Situation zu überspielen.
»Nein, ich wurde zwar zur Kriegerin ausgebildet, doch konnte ich mich bislang von den Kampfhandlungen fernhalten.
»Dann werdet Ihr bald Gelegenheit haben, dies nachzuholen.« Noch ehe die Elfe antworten konnte, schnaubte ein weiteres Tier unruhig auf. »Nothon! Dachtest du etwa, ich hätte dich vergessen?« Ich lief auf meinen schwarzen Hengst zu und kaum berührte ich seine Nüstern, schob er mir den Kopf entgegen und schmiegte sich mit aller Kraft an meinen Körper.
Es war finstere Nacht, als wir ins Zentrum der Stadt ritten. Nicht selten redeten uns Soldaten oder Nachtwächter an, doch kaum erblickten sie das weiße Einhorn, stellten sie keine Fragen mehr und wichen zur Seite.
Schließlich zügelte die Elfe ihr Reittier und wartete, bis ich zu ihr aufgeschlossen hatte. »Seht Ihr die Bäume am Rande des Weges?«
Ich hob den Kopf und spähte in die Dunkelheit. Man konnte vage die Umrisse großer Eichen erkennen, die den breiten, geschotterten Weg säumten.
»Ursprünglich war dies unser Stadtgarten«, erklärte die Elfe mit gewissem Stolz. »Doch da die Stadt recht schnell anwuchs, wurde er bald zu klein und man legte größere Gärten an. So kam es, dass diese Bäume lange Zeit unbeachtet hier standen, bis einer der früheren Stadtfürsten sie zum Leben erweckte.«
»Zum Leben erweckte?«, fragte ich überrascht und zweifelnd. »Gewiss eine Elfenlegende?«
»Auch wenn es sich lächerlich anhört, doch viele unserer ältesten Bürger schwören darauf, dass es keine Legende sei. Andere wiederum halten es für ein Märchen – wie Ihr. Fest steht jedenfalls, dass in diesen Bäumen tatsächlich Magie schlummert.«
Ich schloss für einen Moment die Augen und konzentrierte mich. Plötzlich konnte ich fühlen, wie die unsichtbare Macht der Magie den Pfad umgab. Als stünden diese Bäume in Flammen, leuchtete das Feuer der Magie in ihnen auf.
»Kommt.« Die Elfe führte mich näher an einen Baum heran. Behutsam legte sie ihre Hand auf die Borke, ihre Finger glitten suchend umher, bis sie schließlich in ein kleines Loch griff und mit aller Kraft daran zog.
Mit einem Mal zog sie eine Türe auf, die im Stamm eingelassen war. Vorsichtig trat ich näher und starrte in das düstere Innere. »Ihr habt die Bäume ausgehöhlt!«, stieß ich verwundert aus.
Die Elfe strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Wie bereits gesagt, die Bäume wurden zum Leben erweckt. Nun sind sie Eingänge zu verborgenen Kammern, doch nur Wesen, die dazu berechtigt sind, können die Türen öffnen.
Argwöhnisch begutachtete ich die Borke, welche durch einen sauberen, geraden Schnitt geteilt war. Doch war weder ein Schloss noch ein Riegel zu erkennen. »Die Bäume verschließen den Eingang durch Magie«, stellte ich bewundernd fest.
»Kommt«, flüsterte die Elfe und schob sich an mir vorbei ins Innere des dicken Stammes.
Ich folgte ihr nach, ehe die Tür sich hinter mir wieder schloss und mich vollkommene Dunkelheit umgab. Die Schritte der Elfe waren verstummt. Ich versuchte ihren Geist aufzuspüren, doch die starke Magie der Bäume überflutete meine Sinne.
Schnell zog ich mein Breitschwert ein Stück aus der Scheide und schnitt mir in den Finger. Der kleine Tropfen Blut, der aus der Wunde floss, reichte aus, um ein magisches Feuer auf meiner Hand zu entzünden.
»Eure Magiekünste sind bewundernswert.« Erschrocken fuhr ich zurück, denn die Elfe stand nur eine halbe Armeslänge unterhalb von mir auf den Stufen der Wendeltreppe, die ins Stamminnere hinabführte.
»Dennoch solltet Ihr nicht mit Feuer spielen, solange Ihr Euch im Inneren eines Baumes befindet!«, ermahnte sie mich mit sanft drohender Stimme.
»Oh, dem Holz wird nichts geschehen. Diese Flammen sind rein magischer Natur!«, erklärte ich, wobei dies allerdings nur die halbe Wahrheit war.
»Wie lange brennen denn eigentlich Eure Flammen? Ihr braucht doch… ein Medium, das das Feuer speist.«
»Blut. Die Magie durchfließt wie Blut meinen Körper. Sobald ich verwundet bin und Blut austritt, ist dieses entflammbar.«
»Seltsam«, bemerkte die Elfe nachdenklich. »Wie lange könnt Ihr diese Flammen aufrechterhalten?«
»Wenn das Blut auf einem Fremdträger ist, nicht lange, es sei denn, es greift auf einen brennbaren Stoff über. So kann ich etwa den Docht einer Kerze mit einem Blutstropfen benetzen. Das Blut entflammt durch Magie und die Flamme greift auf den Docht über und wird dann durch das Wachs genährt.«
»Und wenn das Blut an Eurem Körper haften bleibt?«
Noch ehe ich antworten konnte, loderte jeder Flecken meiner Haut in kleinen Flammen auf, bis mein Körper von einem gewaltigen Feuer umgeben war, das ich jedoch sogleich wieder bis auf die Flamme in meiner rechten Hand reduzierte.
»Ihr solltet darauf achten, dass Eure Hand das Holz nicht berührt«, riet sie mir und schritt weiter in die Tiefe hinab.
Ein Stockwerk darunter öffnete sie eine schmale Tür und betrat ein kleines Zimmer, das mit einem Bett und einer Waschschüssel ausgestattet war.
»Euer Schlafgemach. Nicht sehr prunkvoll, doch gemütlich.«
»Warum werde ich ausgerechnet unter den alten Bäumen einquartiert, an einem solch heiligen Ort?«
Die Elfe biss sich verlegen auf die Unterlippe.
»Die Bäume sollen über mich wachen, nicht wahr? Ich nehme an, dass ich nicht dazu berechtigt bin, die Tür zu öffnen. Wollte ich fliehen, müsste ich den gesamten Stamm abfackeln – und mich auf diese Weise selbst töten.«
»Betrachtet es bitte nicht als Gefangenschaft!«, antwortete die Elfe schnell. »Es ist nur… Ihr seid ein Mensch, ein Magier noch dazu. Mein Volk befürchtet, Ihr könntet doch ein Verräter sein.«
»Und Ihr, glaubt Ihr dies auch?«, fragte ich leise und trat näher an sie heran.
Sie schüttelte den Kopf und suchte meinen Blick. Ihre Finger verkrallten sich im Stoff meines Mantels. Nun, da wir so eng beieinander standen, unsere Blicke sich trafen, die Nasenspitzen nur einen halben Finger breit voneinander entfernt waren, nahm ich plötzlich den unangenehmen Geruch wahr, den mein Mantel verströmte.
Auch die Elfe musste es gerochen haben, denn sie zog den Kopf zurück und hielt sich die Hand vor die Nase. Ihre Reaktion war ihr sichtlich peinlich, und ich musste laut lachen. »Ich fürchte, es ist schon eine Weile her, seit ich mein Haar und meinen Körper gewaschen habe.«
»Ihr solltet Euren Mantel den Waschweibern zum Reinigen geben.« Ihre Erleichterung darüber, dass ich den Geruch selbst ebenfalls als abschreckend empfand, war ihr anzuhören.
»Wohl nicht nur den Mantel.«
»Ich könnte Eure gesamte Kleidung reinigen lassen.«
»Dieses Angebot würde ich dankbar annehmen«, antwortete ich. Schweigen trat ein, als würde jeder auf etwas warten.
»Ihr werdet Eure Kleidung wohl ausziehen müssen, damit sie gewaschen werden kann«, stellte sie mit einem Räuspern fest.
»Jetzt gleich?«, fragte ich geschockt. Dann wurde mir bewusst, wie unglaublich lächerlich ich mich verhielt. Natürlich musste ich mich meiner Kleidung entledigen… doch vor ihr?
Da die Elfe jedoch keine Anstalten machte, den Raum zu verlassen oder sich zumindest umzudrehen, zog ich langsam den Mantel aus und öffnete den Gürtel.
Anscheinend schien mein Schamgefühl die Elfe zu belustigen, denn sie kommentierte mein Verhalten mit ein paar spitzen Bemerkungen.
Schließlich stand ich ihr völlig nackt – und mit immer noch brennender Hand - gegenüber. Mir war kalt und ich kroch schnell unter die Decke des Strohbetts.
»Ich lasse Euch morgen Früh frische Kleidung bringen«, versprach die Elfe und eilte die Treppen empor, während die Flammen, die meine Finger umspielten, kleiner wurden und schließlich erloschen.
4. KAPITEL
Ich schrak aus meinem Traum auf und konnte sie noch immer vor mir sehen – die Elfenmutter mit der Rose und ihre Tochter, die mit ansehen musste, wie die Mutter von den Männern verstümmelt wurde. Nun hatte ich erneut diesen Traum gehabt.
Ich schlug die Decke zurück und stieg nackt aus dem Bett. Da es kein Licht gab, tastete ich mich bis zur Waschschüssel vor, wo ich Hände, Gesicht und Haare wusch. Ich fragte mich, was ich wohl anziehen könnte, da ertastete ich mit den Fingern ein Bündel. Es war ein Leinengewand, wie es die Elfen trugen.
Sobald ich mich in der Finsternis angekleidet und das Breitschwert um die Hüfte geschnallt hatte, stieg ich die Stufen empor, bis ich zu der Tür gelangte. Kaum hatte ich die Hände dagegen gelegt, ging sie mit leisem Knarren auf und ließ das grelle Licht der Morgensonne hereinströmen.
»Ich wollte eben nach Euch sehen.« Ein Schatten schob sich vor die Sonne. »Die Kleidung meines Volkes steht Euch gut.«
Meine Augen hatten sich nun an das helle Licht gewöhnt und der Schatten entpuppte sich als die schöne Elfe.
»Ich hatte schon befürchtet, Ihr würdet die Kleidung nicht finden und in der Kammer bleiben, um nicht nackt ins Sonnenlicht treten zu müssen«, neckte die Elfe und wandte sich dann zu ihrem Einhorn um, das neben Nothon stand.
»Wann habt Ihr mir die Kleidung gebracht? Ich habe Euch nicht bemerkt!«
»Ihr habt noch fest geschlafen und ich wollte Euch nicht wecken.« Die Elfe hatte sich in den Sattel ihres Reittieres gesetzt und deutete mir, ebenfalls aufzusitzen. »Kommt, ich werde Euch zu einem Freund bringen.«
»Einem weiteren Offizier?«
»Er war einst ein Krieger, doch nun ist er zu alt für Kämpfe.« Sie schenkte mir ein Lächeln und ritt dann los.
Auf der langen Reise, die ich mit dem Hexenweib angetreten war, hatten wir unzählige Städte aufgesucht, die meisten davon hatten jedoch weniger als tausend Einwohner. Hesana zählte zu den größten Städten, in denen ich je war, denn das Hexenweib hatte mich vor den großen Städten gewarnt, besonders vor jenen im Süden, wo auch die kaiserliche Hauptstadt Elena lag.
Dagorra hatte mit jenen Siedlungen kaum etwas gemeinsam. Wir schienen endlos lang zu reiten, ständig in dieselbe Richtung – und dennoch war das andere Ende der Stadt noch nicht zu sehen. Zugleich fragte ich mich, wie es den Elfenmagiern gelungen sein konnte, eine so riesige Stadt verborgen zu halten.
Wir erreichten einen Bezirk, in dem die Häuser kleiner waren und in größeren Abständen zueinander standen. Auch schienen hier hauptsächlich alte Elfen zu wohnen, viele gingen in gekrümmter Haltung. Kaum ein Kind huschte von Haus zu Haus, es waren keine Jugendlichen zu sehen.
»Die ist einer der älteren Bezirke unserer Stadt. Unsere Ältesten ziehen sich hierher zurück, wo es keine lärmenden Kinder gibt oder das Gebrüll der Soldaten stört. Hier legt man besonderen Wert auf ein gepflegtes Leben und vor allem auf Ruhe«, erklärte die Elfe. »Könntet Ihr Euch vorstellen, hier zu leben? An einem solch… ruhigen Ort?«
Verständnislos sah ich die Elfe an. Bevor ich etwas erwidern konnte, hatte die Elfe schon begriffen: Ich war ein Einsiedler und als solcher verbrachte ich die meiste Zeit meines Lebens in einsamen Wäldern und an anderen menschenleeren Orten.
»Würde ich in einer Stadt leben, so würde ich aber einen anderen Bezirk bevorzugen. Andererseits wäre ein Zuhause in der Nähe des Marktplatzes oder der Stadtmauern für mich auch unvorstellbar.«
»Ihr habt Euch also schon einmal vorgestellt, wie es wäre, in einer Stadt zu leben?«, fragte die Elfe interessiert.
»Ja, doch habe ich diese Gedanken verworfen, kaum dass sie mir gekommen waren. Die stinkenden Gassen, die hohen Steuern, das Geschrei der Händler, die strenge Kontrolle durch die Stadtwachen, ständig zwischen kaltem Stein und Bretterverschlägen zu leben, das alles wäre nichts für mich.«
»Wartet ab, bis Ihr Euch erst einmal in einer Stadt eingelebt habt!« Die Elfe hielt ihr Einhorn an und stieg aus dem Sattel. Wir banden die Tiere an einem Torpfosten an und durchquerten einen kleinen Kräutergarten vor einer kleinen Hütte.
Die Elfe klopfte an und sogleich wurde die Tür einen kleinen Spalt geöffnet. Nach einem kurzen Wortwechsel in einer mir fremden Sprache wurde der Spalt etwas breiter und die Elfe deutete mir einzutreten.
Wir betraten ein kleines, schmuckloses Zimmer. In einer Ecke stand ein Tisch, an der Wand gegenüber war eine kleine Feuerstelle, und an der anderen Wand hingen mehrere Waffen: Schwerter, Messer, Speere und noch ein weiteres, offensichtlich kostbares Stück. Langsam trat ich näher und begutachtete diese Waffe. Sie hatte den Griff in der Mitte und Schwertklingen zu beiden Seiten.
»Ihr habt noch nie zuvor ein Doppelschwert zu Gesicht bekommen?« Erschrocken wandte ich mich um. Hinter der Tür kam ein alter Elf zum Vorschein. Sein Haar war ergraut, das Gesicht voller Falten, der Rücken gekrümmt. Sich auf einen Stab stützend, trat er näher. »Ein Mensch, ein junger Einsiedler«, sprach er mit Flüsterstimme, als er mich mit seinen schmalen Augen musterte. »Ein Mann von starker Statur, ein Magier noch dazu… Ihr seid wahrlich der Preston, von dem das Hexenweib gesprochen hat.«
»Ihr kanntet meine Mutter?«, fragte ich überrascht.
»Eure Mutter?«
»Sie war meine Ziehmutter, hat mich aufgenommen, da sie ihr eigenes Kind wenige Tage zuvor verloren hatte. Ihr habt sie gesprochen? Wann?«
»Diese Waffe wird kaum noch angefertigt«, sagte der Elf, als hätte er meine Fragen nicht gehört. Er betrachtete das Doppelschwert ehrfürchtig und in seine Augen trat ein Glanz, als erinnere er sich an alte Zeiten mit dem Schwert. »In einer Schlacht war die Doppelklinge ausgesprochen hilfreich, doch im Zweikampf nicht zu gebrauchen. Viele Krieger haben sich damit selbst größere Wunden zugefügt als dem Feind, und so verzichteten die Lehrmeister darauf, unsere jungen Krieger in die Kunst dieses Schwertkampfes einzuweihen. Ein Jammer, wenn man mich fragt.« Der Elf seufzte und fuhr sich mit den Händen über die Brust. Langsam wandte er den Kopf zu mir um und zuckte überrascht zusammen, gerade so, als hätte er meine Anwesenheit erst jetzt bemerkt.
»Oh, entschuldigt meine Unhöflichkeit.« Er kicherte und deutete zum Tisch. »Bitte, nehmt Platz, nehmt Platz! Shania, meine Liebe, es müsste noch etwas Wasser da sein.« Die Elfe nahm den Wasserkessel und stellte ihn auf die Steinplatte über der Feuerstelle, dann setzte sie sich zu uns an den Tisch.
»Shania, meine Liebe, wer ist dieser junger Mann?« Der Elf deutete mit seinem krummen Finger auf mich, als hätte er mich noch nie zuvor gesehen.
Verwirrt legte ich den Kopf schief: Hatte er mich nicht eben erst bei meinem Namen genannt und gar über das Hexenweib gesprochen?
»Sein Name ist Preston, er ist der Auserwählte«, klärte ihn die Elfe auf.
»Ah, gewiss, der Auserwählte. Dann hat man ihn bereits zum König gewählt? Ich fragte mich schon, wann unsere Stadt endlich wieder ihren eigenen König haben würde.«
Als er kurz wegsah, sah ich die Elfe an und deutete mit der Hand, ob der Alte denn nicht gar zu sehr unter seinem Alter und dem Verschwinden seines klaren Geistes leiden würde.
»Nur weil ich alt bin, braucht Ihr nicht zu glauben, ich sei schwer von Begriff!«, schrie mich der Elf empört an, als hätte er meine Gesten gesehen. »Ihr solltet Euch vorsehen, Mensch! Macht Euch nicht auch noch die wenigen Freunde, die Ihr habt, zum Feind!«
»Ihr spracht von dem Hexenweib – kanntet Ihr denn diese Frau?«, versuchte ich das Thema zu wechseln.
»Ich wette, Haren hat sie als Hure bezeichnet!« Der Elf kicherte amüsiert. »Ja, ich kenne sie. Sie ist eine ungewöhnlich kluge Frau – und eine Schönheit noch dazu. Sie war vor etlichen Jahren hier, damals war auch ich noch ganz ansehnlich. Wie geht es ihr?«
»Sie ist tot.«
»Das tut mir leid. Vermutlich hatte sie wieder einmal den Mund zu weit aufgemacht! Ich nehme an, sie wurde von Soldaten ermordet? Oder hat sie sich gar eine dieser Krankheiten geholt… Ihr wisst schon, bei ihrer Arbeit.«
»Ja, sie wurde ermordet, doch es waren die Rejèss.« Nun würde mich nichts mehr überraschen können. Woher wusste der Alte all das?
Plötzlich wurde der Elf ganz ernst. Er legte die Stirn in Falten – sofern dies noch weiter möglich war – und starrte mir in die Augen.
»Mir scheint, Ihr wisst mehr über ihren Tod als ich.«
»Sie war ein wunderbares Geschöpf.« Er seufzte schwer, ehe er fortfuhr. »Doch andauernd musste sie diese Geschichte mit dem Auserwählten erzählen. Der Kaiser werde nach immer mehr Macht streben, sagte sie, und eines Tages werde er in der Lage sein, die Arasien und das Elfenvolk zu vernichten – ein Glück, dass ich dies nicht mehr erleben werde.«
»Der Kaiser ist inzwischen bereits stark genug, um gegen euch vorgehen zu können. Die Arasien hat er im Westlichen Reich nahezu ausgerottet, einzig eure Stadt ist ihm noch ein Dorn im Auge.«
»Oh, dann hat sie also tatsächlich recht gehabt«, bemerkte der Alte trocken.
»Womit hatte sie recht?« Allmählich verlor ich die Geduld.
»Sie sagte, Mandossar hätte sich von seinem ursprünglichen Weg abgewandt.«
»Seinem Weg? Welchem Weg?«
Diesmal war es die Elfe, die antwortete. »Mandossar war bereits in jungen Jahren zum Kaiser gekrönt worden. Anders als seine Vorgänger strebte er nicht nach Macht und Ruhm. Er war ein ausgesprochen gebildeter Herrscher, der nach Gerechtigkeit und Frieden strebte, doch eines Tages – keiner weiß, was in seinem Inneren geschehen war – wandte er sich von diesem Weg ab. Er wurde immer machthungriger. Es kam sogar zu einem Konflikt mit den Blutigen Schneiden, und so schuf er sich eine neue Leibgarde: die Rejèss. Anders als die Blutigen Schneiden wenden die Rejèss auch Foltermethoden an. Sie wurden zu gefürchteten Jägern und sind ihrem Kaiser bedingungslos ergeben. Mit den Gesetzen, die Mandossar erließ, wurden die Bürger geknechtet und dazu angetrieben, sich gegenseitig Gewalt anzutun. Ihr wisst selbst, wie es in den Städten zugeht! Die Menschen sind unter seiner Herrschaft verkommen und zu unseren erbitterten Feinden geworden.«
»Aber Elfen und Menschen waren einander noch nie freundlich gesinnt.«
»Man hat einander zwar gehasst, ja, doch auch als ebenbürtig eingeschätzt und toleriert. Niemand hat je zuvor versucht, unsere Stadt gezielt anzugreifen. Wie es scheint, ist Mandossar dies nun jedoch gelungen.«
»Der Kaiser hat unsere Stadt angegriffen?«, fuhr der Alte erschrocken dazwischen.
»Noch nicht«, antwortete ich. »Was hat das Hexenweib noch erzählt – abgesehen von dem Auserwählten.«
»Es ist unmöglich, Mandossar zu überwältigen. Er ist ein starker Krieger, von starken Kriegern umgeben. Einen Kampf gegen den Kaiser würde man nicht gewinnen, denn seine treuen Diener sind teils magischer Herkunft und es ist nicht möglich, sie alle zu vernichten. Es gibt keinen Krieger im Volk der Elfen, der den Kaiser zu einem Schwertkampf herausfordern könnte. Denn der Kaiser würde sich nicht auf den Kampf mit einem bedeutungslosen Krieger einlassen.«
»Abgesehen vom Auserwählten – der nicht aus eurem Volk stammt.«
»Sofern man an ihn glaubt!«
»Das Hexenweib tat es.«
»Das Hexenweib ist aber tot«, warf der Elf trotzig ein. In dem Moment pfiff der Wasserkessel und Shania erhob sich, um Tee aufzugießen. Anschließend stellte sie den Krug, in dem einige Kräuter und Blätter schwammen, zusammen mit drei Holzbechern auf den Tisch.
»Ja, sie sprach von dem Auserwählten. Von einem König, der fähig sein würde, die Völker zu vereinen. Um uns das mitzuteilen, war sie zu uns gekommen.«
»Warum sollte sie ausgerechnet zu euch kommen? Sie hätte genauso gut die Arasien aufsuchen können.«
»Einzig das Elfenvolk hat das Recht, einen König zu krönen. Die Menschen haben sich dieses Recht herausgenommen, ohne dass es ihnen zusteht. Der einzig rechtmäßige König ist jedoch der König der Elfen.«
»Anfangs waren sie Könige, nun sind sie Kaiser – und stehen damit über eurem Oberhaupt«, widersprach ich.
»Worte, alles nur Worte! Damit versuchten sie bloß ihren Betrug zu verschleiern.«
»Wenn es also einen Mann gäbe, der von den Elfen zum König der Vereinten Völker gekrönt würde, dann hätte dieser also genügend Ansehen, um den Kaiser herauszufordern?«
»Ja.« Der Elf verfiel in einen Flüsterton und starrte in den leeren Becher, der vor ihm stand. »Jeden anderen König würde der Kaiser schlagen, einzig der Auserwählte wäre in der Lage, Mandossar zu stürzen. Er allein könne die Macht des Kaisers brechen.«
»Warum? Was macht diesen Mann so besonders?«
»Sein Schwert. Ein Schwert, wie Ihr es tragt.« Der Alte hob den Kopf und sah mich von der Seite an.
»Wie kann ein Schwert darüber bestimmen, ob man dazu fähig ist, den Kaiser zu bezwingen?«
»Darüber schwieg das Hexenweib. Sie hütete dieses Geheimnis wie ihren Augapfel. Doch vermutlich war jemand dahinter gekommen, denn sonst hätten die Rejèss sie nicht ermordet.«
»Ihr meint, jemand ganz Bestimmter sei dahinter gekommen?«
»Kaiser Mandossar.«
Seufzend lehnte ich mich gegen die Stuhllehne. Erstmals schien die Prophezeiung einen Sinn zu ergeben. Laut dem Hexenweib gibt es nur einen Mann – mich –, der den Kaiser in einem Zweikampf besiegen könnte, doch müsste ich davor zum König der Vereinten Völker gekrönt werden, um über genügend Ansehen, Macht und Einfluss zu verfügen. Doch warum König der Vereinten Völker? Die Antwort dämmerte mir bereits, als der alte Elf zur Erklärung ansetzte.
»Der Kaiser hat also seinen Schlachtzug gegen Arasien und Elfen begonnen, nachdem er die vergangenen Jahre damit zugebracht hat, ein gewaltiges Heer aufzustellen. Nur wenn wir uns vereinen, könnte es uns gelingen, ihm zu trotzen.«
»Ein Völkerkrieg wird ausbrechen! Und es braucht einen Führer, der weder den Arasien noch den Elfen angehört«, schlussfolgerte ich.
»Ihr seht, junger Mann, Ihr seid der Auserwählte. Und nicht nur, dass Ihr zur rechten Zeit am rechten Ort seid, Ihr seid auch ein Krieger! Und ein Magier, und glaubt mir, ich spüre die Kraft in Euch, und die ist ungewöhnlich stark für einen Menschen. Man wird Euch nach Alphradon schicken müssen.«
Es herrschte Stille, während wir Tee tranken und das Gesagte überdachten. Wenn das alles stimmte, so war meine Bestimmung tatsächlich schon vor meiner Geburt festgestanden. Doch wie konnte das Hexenweib die Zukunft vorausgesehen haben, denn dies übertrifft alle Magie- und Hexenkünste? Hier ging es nicht um das Schicksal einzelner Seelen, sondern um das Schicksal der großen Völker.
»Wie konntet ihr alle nur so blind sein?«, fragte ich vorwurfsvoll. »Wieso habt ihr nicht längst schon ein Heer gebildet, das einen Angriff auf eure Stadt abwehren kann?«
Der Alte lachte laut auf, ehe er antwortete. »Preston, mein Guter. Ihr seid jung und kennt das Elfenvolk nicht, doch sagt mir, wie hätten wir handeln sollen? Ein Weib kam einst in unsere Stadt. Sie war von niederem Stand, eine Hure, und sie sprach vom Untergang unseres Volkes. Mandossar, ein zwar mächtiger, aber friedlicher Kaiser, würde uns vernichten wollen. Das klang nach einem lächerlichen Märchen! Natürlich waren wir schockiert, als dann die ersten Elfenverfolgungen einsetzten. Der Kaiser hatte sich tatsächlich gewandelt und machte eine Politik, mit der wir nicht mitgehen wollten! Doch reicht dies aus, um den Worten einer Hure Glauben zu schenken? Wir sollten uns jemandem aus einem anderen Volk unterwerfen? Einen König krönen, dessen Wort über dem unseres eigenen Königs steht?« Er schüttelte den Kopf und erhob sich von seinem Sessel. Als er zum Fenster ging und ins Licht trat, sah ich mit Erstaunen, dass die vielen tiefen Falten in seinem Gesicht wie weggezaubert waren. Auch war seine gebückte Haltung in eine aufrechte übergegangen, das lichte Haar schien an Dichte zugenommen zu haben. Es schien, als sei er innerhalb kürzester Zeit um Jahre jünger geworden.
»Shania, meine Liebe, führe unseren Freund durch die Stadt, zeige ihm die Kasernen und alten Gebäude – in der Bibliothek wart ihr ja bereits, vermute ich. Ich habe etwas mit dem Offizierstisch zu besprechen.«
»Sollte ich dann nicht…«
»Nein Shania, ich bitte dich, kümmere dich um unseren Freund. Ich werde als ehemaliger Sprecher deine Funktion übernehmen.« Man sah ihm an, dass er voller Tatendrang war.
»Wenn dies dein Wunsch ist, dann kommt.« Die Elfe deutete mir, ihr zu folgen, und trat vor die kleine Hütte. Als wir uns verabschiedeten, fiel mir ein, dass wir einander gar nie vorgestellt worden waren. »Verzeiht die Frage, Ihr kennt nun meinen Namen, doch wer seid Ihr?«
»Ich bin Aran. Aran, der Magier.« Der Elf lächelte und schob die Türe zu, ehe ich weitere Fragen stellen konnte.
»Ihr seht hungrig aus«, stellte die Elfe fest und ging zu ihrem Einhorn. »Kommt, suchen wir die Gemeinschaftsküchen auf.«
Jene Gemeinschaftsküche – es gab mehrere in der Stadt –, die wir aufsuchten, grenzte an eine der größten Kasernen. Shania trug einem Soldaten auf, sich um unsere Reittiere zu kümmern, während wir speisen wollten.
»Ihr scheint sehr viel Einfluss auf die Soldaten zu haben.«
»Ich bin Sprecherin des Offizierstisches. Man hat mir Gehorsam zu leisten.«
»Für einen Moment dachte ich, es sei Eure Schönheit, die die Männer bändigt und es unmöglich macht, Euch zu widersprechen.«
Erstmals sah ich die Elfe an diesem Tag lächeln. Sie biss sich verlegen auf die Lippen und zog die Augenbrauen hoch. »Ihr solltet das nicht zu laut sagen, sonst werdet ihr euch bei meinem Volk wohl nie beliebt machen.«
»Ihr seid vergeben? Verzeiht, ich wollte nicht… Natürlich, ich war töricht anzunehmen, eine Frau wie Ihr sei ohne Mann.«
Die Elfe lachte laut auf, woraufhin sich die Köpfe mehrerer Soldaten und Offiziere zu uns umwandten. Vor allem die Offiziere schienen mir nur hasserfüllte Blicke zuwerfen zu können. »Nein, ich bin nicht vergeben.«
»Warum sieht man mich dann so wütend an?«
»Schon mehrere hohe Offiziere und Edelmänner haben sich um mich bemüht, doch kaum einer von ihnen… brachte mich zum Lachen.«