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IIICASTING IDEALER HEXEN
»Ich komm nicht weiter«, sagte die Tiwald und klopfte an ihr Sodaglas. Es war inzwischen Ende Juni, die Sonne heizte ihr Schweiß auf die freigelegten Schultern. »Ich bin ja nicht so die Schreiberin von großen Dramen.«
»Aha«, sagte Mike und runzelte zart die Stirn. Man hätte es bemerken können.
»Mich«, fuhr die Tiwald ungerührt fort, »interessieren eher die Tableaus. So, wie wenn man von Szene zu Szene eine Kamera umstellt und dann draufhält. Tragödien brauchen aber einen dramaturgischen Bogen. Ich will ja nicht sagen, dass ich unerfahren bin, immerhin wär das jetzt mein neuntes Stück. Trotzdem. Drei davon sind Monologe, zwei sind sehr experimentell. Eines heißt ›found footage opera‹ im Untertitel, da geht’s um, hm, sagen wir, um die Qualität von Sprache.«
»Du willst mit der Qualität von Sprache in Zeiten wie diesen Leute ins Theater bringen?«, fragte Mike etwas gequält.
Die Tiwald richtete sich auf, der Lucky Luke auf ihrem Muscleshirt spannte sich über ihren oberen Oberkörper, und sie sagte, dass sie nicht auf die Erforschung der Lautlichkeit pfeifen werde, auch wenn man heutzutage darauf achten müsse, dass nicht die Hälfte des Landes hasserfülltes Geifern als normale Redeform zu erachten begänne, »aber die lautliche Ebene«, sagte sie, vorgelehnt, als wolle sie Mike eine Liebeserklärung machen, »wenn ich auf die lautliche Ebene nicht aufpass’, dann sind die anderen Ebenen auch wurscht. Inhalt und so. Ohne Laut kein Inhalt.« Sprach’s und nippte an ihrem Soda.
»Ja, und was machen wir, wenn du nicht weiterkommst?«, fragte Mike. »Wir haben eigentlich im Frühjahr Premierentermin. Wenn ich inszenieren soll, dann brauche ich bald einen Text.«
»Ich hab mir gedacht«, sagte die Tiwald und nippte, »ich überschreibe Macbeth.«
»Ach? Überschreiben?«
»Ja. Also ich verschneide die Geschichte von Melania Trump mit Macbeth.«
»Hm.«
»Das ist mittlerweile, wie du weißt, fast ein eigenes Genre im Theater. ›Faust‹ in die Gegenwart übersetzt. Oder ›Die Räuber‹, fällt mir gerade so spontan ein, verschnitten mit der Story von der Lehman-Brothers-Pleite.«
»Ist am Schluss der ›Räuber‹ nicht der eigentliche Räuber so eine Art Robin Hood? Gerechte Revolte? Wie geht denn das mit Lehman zusammen?«
»Na, die Proteste, die 99 Prozent. Die Anti-Wallstreet-Bewegung, die damals im Central Park campiert hat.«
»Hört man noch was von denen?«
»Man hört noch was von Hipstern.«
»Aha.«
»Gut, das müsste ich noch einmal überdenken. Im Fall, dass. Also die Räuber. Man kann natürlich radikal. Überschreiben, mein ich. Aber ich hab eh zu viel zu tun. Also Macbeth.«
»Aber passt diese Lady Macbeth überhaupt auf Melania?«
»Auf jeden Fall sind beide tragische Figuren.«
»Hast du Macbeth gelesen?«
»Bin grad dabei.« Die Tiwald, das hatte Mike schon beobachtet, hatte ihre Hinternhälften immer auf verschiedenen Hochzeiten im Einsatz und war immer an irgendwas dabei. »Am Puls der Zeit«, hatte die Bezirksvorsteherin das genannt.
»Vor etlichen Jahren hab ich eine stark gekürzte Version im Schauspielhaus gesehen. Und jetzt wälz’ ich The Complete Works of William Shakespeare. Wenn ich mich am Nachmittag wieder erholt habe. Und ich zähle überhaupt auf den Juli«, (die Tiwald unterrichtete in Sachen Brotberuf nämlich Teenager am Stadtrand von Wien, in der Schulform für die, die es nicht aufs Gymnasium geschafft hatten, und behauptete, es mache ihr Freude, aber keineswegs in voller Lehrverpflichtung) – »diese Complete Works hat mir mein Vater … also die Sache war die: Ich war Anfang zwanzig, frisch zurück aus einem Jahr an der Uni in Glasgow, und ich war vor lauter Regen und Liebeskummer dort ziemlich depressiv, et cetera, aber ich hab gelernt, wirklich in Shakespeare einzutauchen. Hab eine schöne Gesamtausgabe gesehen und meiner Mutter davon erzählt, die Englischlehrerin ist. Und mein Vater kommt nach Wien und geht mit mir in die Buchhandlung am Campus, weil er mir sagt, er will diesen Shakespeare für meine Mutter kaufen. Zu Weihnachten. Und dann ist Weihnachten, ich fahr zu meinen Eltern – und was krieg ich geschenkt? Den Shakespeare. Meine Mutter war ziemlich angefressen, wie ich erzählt hab, dass mein Papa und ich das gemeinsam kaufen waren, weil quasi die Überraschung verdorben war.«
Die Tiwald grinste, nippte und fuhr fort: »Find ich gar nicht. Ich hab ja in meiner naiven Unschuld wirklich geglaubt, dass meine Mama den Shakespeare kriegt. Irgendwie hab ich meinen Papa extralieb dafür, dass er mich da mitgenommen hat. Werd ich nie vergessen. Auch wenn’s vielleicht Faulheit war. Oder er hat nicht mit der Buchhändlerin reden wollen, was weiß ich. Oder er hat sich Sorgen gemacht, dass er das falsche Buch kauft. Mein Vater ist nicht der rasende Redner. Vielleicht schreib ich deswegen Bücher. Das ist die Story von meinem Shakespeare. Meine Mutter hat für mich auf das Geschenkpapier Blankverse geschrieben, bitte sehr.«
»Ein privilegierter Haushalt.«
»Ja, schon. Ich fühl mich mit zunehmendem Alter«, sagte die Tiwald, »auch dankbar dafür, wie ich hab aufwachsen dürfen. Mir wird immer klarer, wie unselbstverständlich das ist.«
»Das Fahrrad, die Bücher, die Urlaube, die Verwandten, die allesamt Akademiker sind.«
»Nein, alle nicht. Meine Oma ist in einer Mühle aufgewachsen, als Müllerstochter, und hat ihr Leben lang in der Eisenhandlung gehackelt, die ihrem Mann gehört hat. Die hat nicht mehr als ihre acht Jahre Volksschule, und Teile davon im Krieg.«
»Ah ja, die Eisenwarenhandlung. Genau, haste ja erzählt. Muss ich dich noch ausfragen zu.«
»Und mein Opa war Lehrer, aber nicht von der Uni kommend. Kein Magister oder so. Einfach Volksschullehrer, das wurde man damals mit fünf Jahren Oberstufe, nach der Matura hat man gleich weitergemacht und selbst unterrichtet. Ich kann mich erinnern, dass ich als Kind in der Schule von Miedlingsdorf einen Film gesehen hab, ›Die Stadtmaus und die Feldmaus‹, in Schwarzweiß, auf riesigen Filmrollen. Und noch viel wichtiger: Mein Opa ist extra aus dem Burgenland mit mir nach Wien gefahren, damit ich den ›Barometermacher auf der Zauberinsel‹ hab sehen können. Da war ich in der Volksschule. Raimund. Mein Opa ist mehrere Male zu Martini mit mir nach Wien ins Theater gefahren.«
»Raimund?«
»Ferdinand Raimund. Mitte des 19. Jahrhunderts. Hat sich erschossen, weil er geglaubt hat, der Hund, der ihn gebissen hat, hat die Tollwut.«
»Österreicher?«
»Na sicher.«
»Ach, ihr suizidales Volk, ihr. Und was ist jetzt mit Macbeth? Erzähl mal.«
»Es gibt auf jeden Fall die drei Hexen.«
»Ja, das weiß ich auch, dass es die drei Hexen gibt. Und die verführerische Verheißung kommenden Ruhms als König. Ist das jetzt Trump, oder wie?«
»Is this a dagger«, sagte die Tiwald gewichtig und hob den rechten Arm mit dem Eislöffel, »which I see before me?«
»Ist dies ein Dolch, was ich vor mir erblicke? Oder eine verzweifelte Theaterautorin?«
Die Tiwald senkte den Eislöffel wieder, blätterte in ihrem Heft und trug vor: »Macbeth is a play about the eclipse of civility and manhood, the temporary triumph of evil.«
»Aha. Ja. Der vorübergehende Triumph des Bösen. Ich hoffe übrigens, es hört gerade niemand auf zu lesen.«
Die Tiwald wachelte energisch mit einer Hand und redete weiter: »Vorübergehen und verschwinden. Zu Allerheiligen, fällt mir da ein, gehen in den burgenlandkroatischen Dörfern ein paar Burschen von Haus zu Haus, klopfen an die Fenster und rufen: ›Pikabu!‹ Erschrecken die Leute. Und ziehen weiter. Die Frage ist halt, ob das hier weiterzieht. Ob wir sozusagen in einem Foto unserer Zustände leben, oder ob der Spuk beim nächsten Mal vorbei ist.«
»Der Spuk. Die Hexen.«
»Es gibt ein paar Damen, die ideale Hexen darstellen würden. Zum Beispiel diese Tante, die von alternative facts gesprochen hat. Als es darum ging, wie viele Leute jetzt wirklich bei der Angelobung waren. Kellyanne.«
»Die Trump die Zukunft voraussagt: Was seh ich im Kessel? Alternative facts.«
»Die Tochter, Ivanka, seh ich da eventuell auch am Kessel stehen und rühren. Sweet and blonde.«
»Wobei wir natürlich nur in Andeutungen inszenieren können.«
»Natürlich. Obwohl: Die New York Times wird wohl kaum über unsere Premiere im Universum berichten.«
»Und die dritte Hexe? Hillary? Im weißen Anzug? What goes up must come down. Sie könnte schön was im Schilde führen.«
»Nein. Hope Hicks.«
»Hope Hicks? Echt? Die heißt so?«
Die Tiwald grinste, nickte: »Schön, gell?«, und konsultierte ihr zerfleddertes Schreibheft: »Das englische Wikipedia sagt, sie war ein ›teenage model‹, hatte dann einen Job in der Trump Organization – die Trump Organization, lass dir das mal auf der Zunge zergehen, und zwar hat sie mit Ivanka an deren Fashion-Linie gearbeitet –, und dann war sie ›press secretary and early communications director for Trump’s 2016 presidential campaign‹. Geboren 1988, fast zehn Jahre jünger als ich.«
»Model?«
»Für ein paar Magazine und für ein paar Buchcover.«
»Eine Intellektuelle!«
»Ein Abschluss in Englisch. Vielleicht hat sie Macbeth sogar gelesen.«
Mike grunzte.
»Sie hat entschieden, welcher Reporter einen Termin bekommt, und, was mir besonders gefällt, Trump hat ihr seine Tweets diktiert. Der tippt das nicht einmal selbst. Also kein Schriftakt! Alles nur mündlich. Alles nur Bild. Sie hat also die Tweets schön aufgeschrieben, vielleicht mit einem kleinen Tablet auf dem Schoß, hat sie dann weitergeleitet und jemand Dritter hat sie ins Netz gejagt.«
Mike notierte: Tweets!!, und die Tiwald sagte: »Es sind Verkettungen von Mitteilungen. Alles ist abgeschirmt. Er redet nur. Er schreibt nichts.«
»Also Hope Hicks. Aber pass auf beim Schreiben, man muss irgendwie spüren, wer das ist. Welche Rolle die spielt. Man kennt ja den Namen nicht …«
»Wir brauchen sowieso ein ordentliches Programmheft.«
»Heft, nicht Buch.«
»Spielverderber.«
»Ok. Jedenfalls, die drei Hexen. Finde ich interessant, deine Ideen.« Mike schlug das Reclam-Heftchen auf und trug vor: »When shall we three meet again?«
»Wann sollen wir das nächste Meeting ansetzen?«, funkelte die Tiwald, »In thunder, lightning, or rain?«, sagte Mike, und die Tiwald fuhr drein: »Ivanka, die Toughe, sagt:
›Egal, ob während Sandy oder Katrina,
ob auf Ground Zero oder Fukushima‹,
und Kellyanne sagt …«
»When the battle’s lost and won!«
»Wenn die Schlacht verloren und gewonnen ist, wenn das Glas halb voll oder, alternativ, halb leer ist.«
»Ah, alternative facts, genau.«
»Oder noch besser: Wir treffen uns beim Bowling-Green-Massaker! Und dann kreischen sie und zischen ab, und auf der Leinwand siehst du dicke, dunkle Limousinen davonbrausen.«
Mike wischte sich den Sommerschweiß von der Stirn, puffte Luft aus seinen Lungen und sagte: »Ja, und wie weiter? Das Personal muss natürlich gecuttet werden.«
»Schön, wie du das sagst.«
»Es gibt den König von Schottland, der beseitigt werden muss. Und Söhne. Und Freunde und Getreue.«
»Klar. Der König von Schottland, der beseitigt werden muss.« Die Tiwald kaute an ihrer Unterlippe und machte die Augen hinter ihrer dicken Brille (sie war zu faul für Kontaktlinsen) noch schmaler. Sie sah aus wie ein Reptil mit Haaren. »Wie wär’s mit einer Allegorie? Der gute Geschmack, der im Schottenkaro auftritt? So wie Fortuna bei Nestroy. Nur wird halt der gute Geschmack gemeuchelt.«
»Die Wööht«, sagte Mike in unglaubwürdigem Wienerisch, »stäht auf kahnan Foll mehr lang.«
»Hast gut aufgepasst in der Parteizentrale, gell? Aber das mit dem Akzent, das müssma noch üben.«
»Na gut. Du, ich würd sagen, du machst mal. Ich will mich gar nicht dreinmischen.«
»Echt jetzt, du MBA?«
»Au.«
»Entschuldige« – sie sah wirklich ein bisschen peinlich berührt aus, und Mike mochte sie gerade sehr.
»Ist ja schon gut. Ich hätte ja gleich bei der Theaterwissenschaft bleiben können. Und mein karges Brot mit einer Form von …« – er hätte sagen wollen: mit einer Form von ehrlicher Sinnlosigkeit –, »also mein karges Brot mit einer Form von Herzblut verdienen können.«
Sie lächelten einander zu und tranken ihre Sodas, und dann sahen sie sich noch ein Youtube-Video an, in dem der Inhalt von Macbeth in zehn Minuten vermittels eines Haufens bunter Playmobil-Männchen nachgestellt wurde. »Er so«, »sie so«, sagte die Stimme, die Macbeth für Jugendliche erklären wollte, und die Tiwald stöhnte und rieb sich die Stirn. Sie hörte auch mit der einen Hälfte des Headsets mit den kleinen, baumelnden Ohrsteckern gut genug.
»Pass mir nur auf Melania auf«, empfahl Mike, als er sich verabschiedete. »In dem Fall, denke ich, ist sie das Werkzeug des Meuchelmords. Vielleicht Komplizin. Aber nicht die treibende Kraft. Die ist schon er selbst, das Billion Dollar Baby.«
Als er schon mehr als ein paar Meter gegangen war, hörte er das Aufklatschen von rennenden Füßen und Schlapfen, ein kleines Keuchen, und spürte die Hand der Tiwald auf seiner Schulter, die Luft holte und sagte: »Mike, die Hexen, die die Zukunft vorhersagen, das ist eigentlich das Wahlvolk.«
»Das Wahlvolk?«
»Ein Chor. Ich lass mir was einfallen.«
Gab ihm ein Küsschen auf beide Wangen, hinterließ ihren Schweiß in Mikes Stoppelbart und zischte ab.
IVIN EINEM GARTEN, BEI EINER PARTY
Wahrscheinlich waren die Tiwald und ihr penetrantes NichtSchreiben schuld daran, dass mit Mike Ende Juli etwas geschah, was nicht hätte geschehen sollen.
Eigentlich heißt es ja vom Sommer, er sei ein Loch. Wien war leer, wenn man die Schwaden von Touristen wegrechnete, die so taten, als seien sie in einer Mischung aus Habsburg-Disneyland und begehbarer Shopping-Installation. Ohne Mozartkugel kein Wien, ohne Sachertorte ist nichts echt, ohne Schönbrunn bist du nie da gewesen, in den Stephansdom führt ein Trampelpfad und den Kaffee holen wir uns dort, wo die Kellner »Baristas« heißen, keine Kellner mehr sind, sondern Abfüller, und, weil’s schnell gehen muss, zeitlos freundlich.
Mike fühlte sich elend. Er traf die Tiwald viel zu selten, nicht einmal der Urbanek war in Wien, die Parteizentrale war halb leer, alle waren eigentlich zu schlapp für den Wahlkampf.
Er war irgendwie halbtraurig, er hatte zu wenig zu tun und fand sich weder gute Filme noch gute Bücher. Eine Woche lang haute er nach Italien ab. Das war ok. Aber es gab kein Meer ohne andere Leute und keine Stadt ohne andere Leute und keine Stadt, in der nur die Echten zuhause waren, und er schämte sich dafür, Tourist zu sein und keine italienischen Freunde zu haben, mit denen er so tun konnte, als kenne er sich eh aus. Bei einem Communication expert würde man meinen, dass er leicht mit Fremden ins Gespräch kam, aber irgendwie bildete er sich ein, dass er Erholung brauche, wovon auch immer, und irgendwie brachte er den Mund nicht auf. Immerhin ließ er sich auf eine Berührung seines Inneren durch die Sixtinische Kapelle ein, das ging, weil sich die Meute rundum so halb und halb an das Schweigegebot hielt; dann der Pflichtbesuch in Ostia Antica, wo er einen gewissen gelehrten Schauer suchte, und schließlich fuhr er mit einem Mietauto im Hinterland von Rom herum und mit einem Gefühl der Rührung an afrikanischen Prostituierten vorbei, die an irgendwelchen Landstraßen zwischen wie Beulen aus der Landschaft wuchernden Müllhügeln das bessere Leben wahrnahmen. Sein Rückspiegel erfasste sie wie das zitternde Fadenkreuz, in dem ein reuiger Jäger im Jeep die verschwindende Savanne sieht, mitsamt allem Leben, das dort weitergehen wird, weil er sich geläutert hat und das Jagdgewehr sinken lässt.
Er schaukelt weiter. Mike schaukelte weiter.
Der Besuch bei den Eltern in Mecklenburg-Vorpommern gab ihm den Rest, und er kehrte willig in den Backofen zurück, in den Wien sich inzwischen verwandelt hatte. Die Luft fühlte sich an wie warme Wickel, nur ohne Winter und ohne Verkühlung. Mike schor sich seinen zart-rebellisch aus der Fasson geratenen Wirtschaftshaarschnitt so, dass er gerade noch nicht wie ein Skinhead aussah.
Und es begab sich also zu der Zeit, dass ein Gebot vom Parteivorsitzenden ausging: Ein parteiinterner, »sagen wir: Querulant, aber das nur zu deiner Orientierung, und kein Wort davon«, hatte der Parteichef gesagt, reiste aus dem Bundesland an, machte sich in der Parteizentrale wichtig und entfernte sich dann nonchalant, »zu einer, gib dir das, garden party, die nennen das garden party« des Noch-Koalitionspartners. »Und du gehst dort auch hin. Da, nimm die Hir… – Frau Hirschal, kommen Sie bitte kurz her? – , ja. Also ihr zwei, Sie folgen unserem Spezialfreund aus dem Bundesland auf diese Chose in Döbling und erstatten nachher Bericht. Wie lange er mit wem geredet hat. Ob er dabei gegrinst hat oder nicht. Fraternisiert oder nicht. Körpersprache. Oder vielleicht weht sogar der eine oder andere Gesprächsfetzen an Ihre Ohren. Könnte ja sein.«
Ein steirischer Genosse mit grimmigem Gesicht, der traurige Bärenkompetenz versprühte in seinem weißen Kurzarmhemd, saß vor einem riesigen Bildschirm, bellte: »De sougn zar an Grülloumd GAHDN BARDI« und schüttelte vehement den Kopf, als wäre eine gahdn bardi bereits ein guter Grund für den Abbruch jeglicher Koalitionsgespräche.
Döbling also.
Mike hatte die Frau Hirschal bis jetzt nicht wirklich im Blickfeld gehabt, wohl auch deswegen, weil er sich unsicher war, ob sie Hirschal hieß oder Hirscherl. Er hatte sie schon mehrfach gegoogelt und merkte es sich trotzdem nicht. Sie sah auch nicht aus wie ein Hirsch, sondern eher wie eine Maus, auch wenn sie versuchte, sich mit Lippenstift et cetera aus dem unvorteilhaften Maussein herauszuwinden. Minnie Maus Hirschal. Nur ohne Schleife im Haarhelm. Bissig, dachte Mike bei sich, von dieser zielstrebigen Bissigkeit, die er aus seiner Zeit beim großen Beratungskonzern sehr gut kannte. Auch ihr Haarschnitt: sehr effizient. Sie würde sicher irgendwann einmal die perfekte Büroleiterin, die perfekte Sektionschefin, die perfekte Ministerin abgeben, aber dann, dachte Mike, wäre er schon wieder weg aus Österreich, seiner Notlösung von Junggesellenwohnung und dem Universum mitsamt Lady Melania, der Tiwald und ihren Konsorten.
Die Taktik der Hirscherl/Hirschal, die sie ihm im Taxi erörterte, war gezieltes Flirten mit dem Querulanten aus dem Bundesland. Sie verlor kein Wort darüber, wie sie den Querulanten aus rein weiblicher Perspektive optisch einschätzte, und Mike fand sich durch diese sozusagen professionelle Distanz erleichtert: Er würde, stellte er fest, keine Flirtenergien aufbringen müssen, er und die Hirschal, die Hirschal und er, zwei Instrumente, die einfach ihren Job machten, und fertig, kein Erklären, kein Drängen, kein Sich-Vorstellen, wie er die Hirschal nach diesem Abend noch irgendwohin einladen, irgendwohin ausführen, sie irgendwo berühren müsste. Erleichtert lehnte er sich in den Taxisitz zurück und freute sich zusätzlich darüber, dass er ein Mann war und der Querulant offenkundig nicht schwul. Hingegen hörte man, dass in der neuen Truppe der Partei, die sich in Döbling einer garden party hingeben wollte, lauter junge Körper nach vorne drängten, männlich wie weiblich, und wieder fühlte Mike, der gelöster und gelöster wurde, eine Welle der Erleichterung durch seinen Körper wogen: Das ging ihn alles nichts mehr an. Seiner Konzernerfahrung nach würden die Slimfits aller Fraktionen sich problemlos auch in der nächsten Koalition verstehen. Sie würden hungrig sein nach Erzählungen aller Art, und damit konnte er gerne dienen. Er sah Döbling an sich vorbeiflitzen, erinnerte sich kurz an die afrikanischen Prostituierten und ließ sich vorfahren, schwang sich aus dem Auto, öffnete der Hirschal die Tür, wie es sich gehörte, und fragte sich, als er sich an den ersten jungen Körpern vorbei Richtung garden bewegte, ob er sein Leben nicht gehörig verschissen hatte.
Sie trugen so kompetente Kostüme und so lässiges Leinen, sie waren so hochhackig und so ge-wet-looked und juweliert. Sie hatten Champagnerflöten in den Händen und sprachen von Ausländern und Aktien, Eigentum und Eigenblut, Islam und Instagram. Während Mike sich zurückwünschte in die Pampa rund um Rom, ließ er sich ebenfalls Champagner geben von einer kleinen, zarten, mit Tablett durch den Garten rotierenden Frau, die sich vielleicht auch nur als Lämmchen tarnte, aber Jura studierte und zum Networken hier war; die Art, wie sie ihm diese Champagnerflöte geradezu unter die Nase gestoßen hatte, ließ darauf schließen.
Mike sagte: »Wohl bekomm’s« zur Hirschal, stieß mit ihr an und beobachtete interessiert das Zittern ihrer Nasenflügel, während sie sich umsah.
»Jaja, die Haute volée«, sagte die Hirschal und machte verächtlich einen Knutschfleck auf das Champagnerglas. »Reden Sie was mit mir, Herr Knutkovsky, ich muss mich warmreden, damit ich mich in die Bagasch da werfen kann.«
»Haben Sie in Ihrer Jugend auch mal was anderes gewählt? Grün vielleicht? Oder gar die ÖVP?«
»Bitte, Knutkovsky, man hört uns vielleicht zu. Blend in. Sagen Sie irgendwas mit Dow Jones oder Trump oder Inflation. Oder verraten Sie mir Ihr Lieblingsrezept von Jamie Oliver, das geht auch.«
»Wer ist Jamie Oliver?«
»Machen Sie Witze?«
»Kleiner Scherz.«
»Ich hab gedacht, alle mittelalten weißen Männer in gehobener Position entdecken irgendwann das Kochen für sich und lassen dann nach getaner Kochkunst das Geschirr in der Abwasch vergammeln.«
»Ich nicht. Ich kann nur die Basics.«
»Charmant. Ich kann alles.«
»Dachte ich mir schon.«
»Und ich mag auch alles. Zum Beispiel Austern. Haben Sie schon mal Austern gegessen?«
»Ja. Hab ich.«
»Und?«
»Grauenhaft. Versteh den Appeal nicht.«
»Herrjemine, Knutkovsky.«
»Stimmt doch. Schleim in Schale.«
»Sie Ignorant. A decent oyster doesn’t need much to make it sing, sagt Jamie.«
Dann erzählte sie ihm von Austern à la Rockefeller und diesem Lokal im Siebten, das die herrlichsten Austern serviere und wohin sie manchmal gehe, auf eine ladies’ night, mit ein paar Kolleginnen aus dem Parteibüro. Mike dachte bei sich, dass Austern in der Tat ein bisschen an Mösen erinnerten, und zwar Mösen voller Erwartung. Der Gedanke machte ihn traurig. In der Hirschal, die sich doch gerade zu öffnen begonnen hatte, wenn auch völlig im Dienst der Sache, sah er jetzt wieder nur die Profession, und tatsächlich dauerte es nicht mehr lange – sie hatte sogar von oyster soup zu reden begonnen, als habe sie ihre Masterarbeit in Austerologie geschrieben –, bis sie Mikes Unterarm tätschelte, »so, danke, ich glaub, das reicht jetzt« sagte und sich mit ihrem Knutschfleckglas in Bewegung setzte.
Mike schaute ihr nach, sie bewegte sich wie Sprinter, die auf die Startlinie zutänzeln. Vielleicht hatte sie auch einmal, vor gar nicht langer Zeit, mit einem Silbertablett auf einer Party das Netzwerken geübt: Als sie auf den Querulanten traf, der bei einer Gruppe junger Körper stand, schien sie sofort in ein Gespräch zu stürzen, offenbar war der Startschuss gefallen und das Rennen im Gang.
Mike ließ das leere Champagnerglas in seiner Hand wippen und schaute sich um. Das Fingerfood machte ihn auch nicht glücklich. Rechts von ihm sprach eine junge Frau über Ashtanga und links eine übers Ausbremsen. Das Junggenie, das alle verehrten und das Mike nie sehen konnte, ohne »Geilomobil« zu denken, drehte in seinem Anzug mit dem einen Knopf im Loch gemessene Runden, wie Mike beobachten konnte: abgezirkelt und mit Kalkül, natürlich. Beim Querulanten wurden Hände geschüttelt und Worte getauscht, eine Hand auf den Unterarm gelegt, während die Hirschal lächelnd danebenstand und auf apartes Mauerblümchen tat. Verdammt.
Schon stand die rotierende Champagnerfrau wieder vor ihm und hielt ihm ihr Tablett unter die Nase, als ein Set rosa Nägel zwei Gläser krallte und sich lächelnd an Mike wandte: »Deaf ich? Se schaun durstig aus.«
Er stieß verwirrt an und machte einen Schluck, um nicht reden zu müssen, und er wünschte sich nachhause wie ein Astronaut ins Weltall.
»Und, was bringt Sie doher?«
Sie stand da in ihren High Heels und kantigen Ellbogen, als würde gleich zum Zweikampf geblasen.
»Ähm. Nja. Die Partei.«
»Scherzerl! Natürlich die Pardei. Ich mein, brauch ich die ganzn Schleimscheißer anschaun? Wenns ned die Partei wär? Nur Sie san wahrscheinlich ka Schleimscheißer. Dafüa san die Haar z’kurz.« Sie sagte »Haar« wie Briten »whore«.
»Die CDU«, schoss es aus Mike heraus, er wusste auch nicht, warum, »ich bin in der Delegation der CDU. Wir führen EU-interne Arbeitsgruppengespräche über die Kongruenz von, äh, Zollmaßnahmen in der Schengenzone nach Abgleich der innerstaatlichen Ansprüche.«
»Aha. Na dann. Prost.«
Sie machte noch zwei Schluck, schaute verloren und drehte sich dann weg.
Mike, der wenig mit sich anzufangen wusste und die Hirschal fest in Querulantenhand sichtete, fluktuierte in die Villa, in der nur ein paar Personen in schwarzer Kluft hin und her huschten und Tabletts transportierten. Auf einer schwarzen Couch saß ein Wiener Politiker der anderen Art, sprach Unflätigkeiten in ein Smartphone, die klangen, als sei der Größte Führer Aller Zeiten noch lange nicht tot, und mampfte Erdnüsse. Zwei Ecken weiter gab’s Kichern und Stöhnen zu hören, und Mike machte sich darauf gefasst, vor einer versperrten Toilette zu warten, bis einer schniefend und sich die Nase reibend daraus hervorkommen würde. Sei’s drum, dann eben warten, er wollte Ruhe. Nur ein bisschen Ruhe.
Aber die Toilette war unversperrt, riesengroß, verspiegelt, und auf der geschlossenen Kloschüssel saß zitternd eine blonde Frau, die den Blick von einem zerknüllten Taschentuch hob, als Mike hereinkam. Reflexartig sperrte er hinter sich zu, ratsch, machte ein paar Schritte und ging vor ihr in die Knie, klopfte die Jackentaschen nach einem Taschentuch ab, reichte ihr schließlich schüchtern eines und nahm ihr das zerknüllte aus der Hand.
»Ist schon gut«, murmelte er beschwichtigend, und er fühlte sich gut dabei und gar nicht seltsam.
Sie war wunderschön und hatte Tuscheschlieren auf den Wangen. Die Zeit blieb stehen, wie sie das nur in großen Momenten tut oder wenn etwas richtig toll ist.
»Hier, nehmen Sie noch ein Taschentuch. Nehmen Sie überhaupt alle meine Taschentücher. Und lassen Sie das mit dem Zwiebelschneiden. Nächstes Mal fragen Sie mich. Ich kann das. Ich bin ein super Zwiebelschneider.«
Sie sah ihn an, und ihre Mundwinkel zuckten.
»Ist das schon ein Lächeln?«, fragte er. »Ich bin überhaupt sehr zu gebrauchen. Ich kann auch Äpfel schneiden. Und Brot. Und jetzt ist der Witz vorbei. Und mein Charme ist im Eimer. Für immer. Ach, shit, jetzt hock ich da und hab schon alles über mich verraten, alle meine interessanten Geheimnisse bin ich los. Nur weil ich mit meinem Brotschneiden angeben wollte. Ich bin ein Idiot, verzeihen Sie mir.«
Sie lächelte tatsächlich. »Sie sind kein Idiot.«
Dann zog sie ein bisschen Rotz hoch, während sie an ihrem Kleid herumstrich. Mike fand das unendlich liebenswert.
»Ich bin von Idioten umgeben. Ich erkenne Idioten, wenn ich sie sehe. Sie sind keiner.«
»Oh«, hauchte Mike, »danke«, und dann wusste er nicht mehr, was er sagen sollte. Darin hatte er keine Schulung. Darauf hatte ihn kein Kneipenabend vorbereitet.
Er legte wie automatisch seine Hände auf ihren Schoß und erschrak, als er es bemerkte, zog sie zurück wie von einer heißen Herdplatte, geriet aus dem Gleichgewicht und landete auf dem Hosenboden. Sie lachte. Und war plötzlich neben ihm, auf ihren Knien.
»Ich bin Sabine. Hallo. Hallo, Zwiebelschneider. Bist du bei der Partei?«
»Ich? Nichts liegt mir ferner.«
»Gut. Sehr gut.«
Sprach’s und küsste ihn. Lange.
»Wo sind Sie gewesen, Knutkovsky? Wo? Haben Sie dem Bubi in der Villa aufgelauert?«
»Der Vizebürgermeister saß drin. Ich habe hinter ihm gestanden und mir angehört, was so ansteht. Und ein bisschen allgemeine rechte Denke. Grauenhaft.«
»Aha. Kannst morgen dem Chef erzählen. Will ich gar nicht wissen.«
»Und? Der Querulant?«
»Hat den Charme vom Godfather. Sagen wir Du. Ich bin die Melanie.«
Hirschal drückte ihm die Hand wie einen nassen Fetzen aus, offenbar war noch kein Jota Motivation aufgebraucht. Sie würde es, dachte Mike beschwingt und neidlos, wirklich noch weit bringen, und in der Innentasche seines Sakkos knisterte ein Zettel mit einer Telefonnummer.
Wo treffen wir uns wieder?
Bei Regen, Hagel, Stürmen?
Egal, welches Wetter –
überdacht sind die Urnen.
Wenn das Wahlkampftosen aus ist,
wenn das Wahllokal dann auf ist,
dann spitzen wir die Stifte,
dann spritzen wir die Gifte,
und machen unser Kreuzchen –
dann schrei mal, Käuzchen!
Schrei! Blau, blau!
Schrei, schau, schau!
Fair sein ist faul. Faul sein ist fair.
Schön ist schiach und schiach ist schön.
So kann’s einem gehn.
Auf der Blutwies, in Mariazell,
jedes Jahr Urlaub auf den Seychellen!
Dann: Trump, Salvini, Kurz.
Ich mach einen … Abflug!
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