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Anna Karenina, 2. Band

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5

In der Kirche befand sich ganz Moskau an Verwandten und Bekannten. Während der Ceremonie der Trauung, in der glänzend erleuchteten Kirche, im Kreise der geputzten Damen und jungen Mädchen, der Herren in weißen Krawatten, in Fräcken und Uniformen war ununterbrochen eine leise Konversation geführt worden, die namentlich die Herren anregten, während die Damen in der Beobachtung aller Einzelheiten einer sie stets ja sehr fesselnden heiligen Handlung versunken waren.

In dem Kreise der der Braut zunächst Stehenden befanden sich deren beide Schwestern, Dolly und die ältere, ruhige und schöne Lwowa, die aus dem Auslande gekommen war.

„Was ist das für ein Mary-Kostüm in Veilchenblau; gerade als wäre es schwarz – zu einer Hochzeit“ – sprach die Korsunskaja.

„Die einzige Rettung für ihren Teint,“ antwortete die Trubezkaja. „Mich wundert, daß man die Trauung abends ausgeführt hat – das ist so kaufmännisch“ —

– „Aber schöner. Auch ich bin abends getraut worden,“ antwortete die Korsunskaja und seufzte, als sie daran dachte, wie schön sie an jenem Tage, wie lächerlich verliebt in sie ihr Mann damals gewesen war, und wie jetzt so alles ganz anders geworden sei.

„Man sagt, daß jemand der mehr als zehnmal Brautführer gewesen ist, nicht heirate; ich wollte es heute zum zehntenmale sein, um mich in Furcht zu setzen, allein die Stelle war besetzt,“ sprach Graf Sinjawin zu der hübschen jungen Fürstin Tscharskaja, die Absichten auf ihn hatte.

Die Tscharskaja antwortete ihm nur mit einem Lächeln. Sie blickte auf Kity, und dachte daran, wie und wann sie selbst mit dem Grafen Sinjawin an Kitys Stelle sein würde, und wie sie diesen dann an seinen jetzigen Scherz erinnern wollte.

Schtscherbazkiy sagte dem alten Fräulein Nikolajewa, daß er den Kranz auf Kitys Chignon setzen werde, damit sie glücklich werde.

„Es ist gar nicht nötig einen Chignon aufzusetzen,“ antwortete die Nikolajewa, die schon längst entschlossen war, daß, wenn sie der alte Witwer, nach welchem sie angelte, heiraten sollte, die Trauung die allereinfachste sein sollte. „Ich liebe dieses ‚fast‘ nicht.“

Sergey Iwanowitsch sprach mit Darja Dmitrjewna, sie scherzend versichernd, daß die Sitte, nach der Vermählung abzureisen, deswegen so verbreitet sei, weil Neuvermählte stets kein gutes Gewissen hätten.

„Euer Bruder kann stolz sein. Es ist wunderbar, wie schön sie ist. Ich glaube, Ihr beneidet ihn?“

„Ich habe das schon durchgemacht, Darja Dmitrjewna,“ antwortete er und sein Gesicht nahm unerwartet einen trüben und ernsten Ausdruck an.

Stefan Arkadjewitsch erzählte nun seiner Schwägerin einen schlechten Witz über eine Ehescheidung.

„Man muß den Kranz zurechtrücken,“ antwortete diese, ohne ihn zu hören.

„Wie schade, daß sie so angegriffen aussieht,“ sagte die Gräfin Nordstone zu der Lwowa. „Und gleichwohl wiegt er ihren kleinen Finger nicht auf. Nichtwahr?“

„O, mir gefällt er sehr gut; aber nicht deswegen etwa, weil er mein künftiger beau frère ist,“ antwortete die Lwowa, „und wie schön er sich hält! Es ist so schwer, sich in solch einer Situation gut zu halten und nicht komisch zu werden. Er aber ist nicht komisch, nicht steif, er ist offenbar ergriffen.“

„Ihr habt dies wahrscheinlich erwartet?“

„Fast so. Sie hat ihn stets geliebt.“

„Nun, beobachten wir, wer von ihnen zuerst auf den Teppich tritt. Ich habe es Kity geraten.“

„Gleichviel,“ antwortete die Lwowa, „wir sind doch alle die untergebenen Weiber; es liegt dies doch einmal in unserer Rasse.“

„Ich bin aber doch vorsätzlich zuerst mit Wasiliy darauf getreten; und Ihr Dolly?“

Dolly stand neben ihnen, sie hörte wohl, antwortete aber nicht; sie war tief gerührt. Die Thränen standen ihr in den Augen und sie hätte kein Wort reden können, ohne in Thränen auszubrechen. Sie freute sich über Kity und Lewin; in ihrer Erinnerung zu der eigenen Trauung zurückkehrend, blickte sie nach dem wonneglänzenden Stefan Arkadjewitsch, vergaß alles Gegenwärtige und dachte nur ihrer ersten unschuldigen Liebe. Sie dachte nicht allein an sich, sondern auch an alle nahestehenden oder ihr bekannten Frauen. Sie erinnerte sich ihrer in jener einzigen, für sie so feierlichen Zeit, da sie ebenso wie Kity unter dem Kranze gestanden hatte mit Liebe, Hoffnung und Bangen im Herzen, sich lossagend von der Vergangenheit und in eine geheimnisvolle Zukunft eintretend. In der Zahl aller dieser Bräute, die ihr ins Gedächtnis kamen, sah sie auch ihre geliebte Anna, über deren vermutliche Trennung sie unlängst die Einzelheiten gehört hatte. Auch sie hatte rein in den Pomeranzenblüten und dem Schleier da gestanden. Und jetzt? „Furchtbar seltsam“ – sagte sie.

Aber nicht nur die Schwestern, auch die Freundinnen und weiblichen Verwandten folgten allen Einzelheiten der heiligen Handlung; auch die fremden Frauen, die Zuschauerinnen beobachteten voll Aufregung, mit stockendem Atem, in der Furcht, eine einzige Bewegung verlieren zu können, den Ausdruck der Mienen des Bräutigams und der Braut, und antworteten ärgerlich den gleichgültigen Reden der gleichgültigen Männer gar nicht, oder überhörten sie oft sogar, wenn dieselben scherzhafte oder nebensächliche Bemerkungen fallen ließen.

„Weshalb sieht sie so verweint aus? Folgt sie ihm gezwungen?“

„Was, gezwungen einem so schönen Manne! Ist er nicht ein Fürst?“

„Das ist wohl seine Schwester dort im weißen Atlaskleid? Höre nur, wie der Diakonus plärrt ‚und sie soll ihren Mann fürchten‘.“

„Sind sie denn fremd?“

„Nein, es sind synodale.“

„Ich habe einen Diener gefragt. Er sagte, daß der Bräutigam die Braut sogleich mit sich auf sein Gut nehmen würde. Er soll unendlich reich sein, heißt es. Deswegen hat man ihm auch die Braut gegeben.“

„Nicht doch, das Paar ist so schön.“

„Und da habt Ihr nun gestritten, Marja Wasiljewna, daß die Kanarienvögel wegflögen. Sieh die dort, es soll eine Gesandtin sein, wie gewählt“ —

„Die Braut ist doch zu lieblich, wie ein geputztes Lämmchen. Was Ihr auch sagen mögt; es ist doch schade um sie.“

So schwatzte der Haufe der Zuschauerinnen durcheinander, dem es gelungen war, durch die Thüren der Kirche hereinzuschlüpfen.

6

Nachdem die Trauungsfeier in der Kirche beendet war, breitete der Küster vor dem Altarplatz in der Mitte der Kirche ein rosafarbenes, seidenes Zeug aus; der Chor stimmte einen kunstvollen und schwierigen Psalm an, in welchem Tenor und Baß sich antworteten und der Priester, sich umwendend, wies die Verlobten auf das ausgebreitete rosafarbene Stück Zeug hin. So oft diese nun schon davon gehört hatten, daß, wer zuerst auf den Teppich träte, das Regiment in der Familie führen würde, vermochten sich doch weder Lewin noch Kity dessen zu entsinnen, als sie die wenigen Schritte zurücklegten. Sie hörten weder die vernehmbaren Bemerkungen und Auseinandersetzungen, daß nach der Beobachtung der Einen er, nach der Meinung der Anderen – beide zugleich darauf getreten wären.

Nach den üblichen Fragen betreffs ihres Wunsches die Ehe zu schließen, ob sie nicht anderweit Versprechungen gegeben hätten, auf die ihre Antworten ihnen selbst seltsam genug klangen, begann eine neue Ceremonie.

Kity hörte die Worte des Gebetes und bemühte sich, deren Sinn zu verstehen, aber sie vermochte dies nicht. Das Gefühl des Stolzes und der lichten Freude begann mit der sich dem Ende nähernden Feier mehr und mehr ihre Seele zu erfüllen, und machte es ihr unmöglich, aufmerksam zu sein. Man betete: „Gieb ihnen Weisheit und Leibesfrucht zu ihrem Nutzen, damit sie heiter seien beim Anblick ihrer Söhne und Töchter;“ es wurde erwähnt, daß Gott das Weib aus einer Rippe Adams geschaffen habe, und „deswegen wird der Mensch Vater und Mutter verlassen und dem Weibe anhangen und sie werden beide sein ein Leib,“ und „dieses Geheimnis ein großes“ sei; man betete, daß Gott ihnen Fruchtbarkeit und Segen verleihe, wie Isaak und Rebekka, Joseph und Mose, und daß sie die Söhne ihrer Söhne noch sehen möchten. „Alles das ist schön,“ dachte Kity, als sie diese Worte vernahm, „alles das kann auch gar nicht anders sein“ und ein Lächeln der Freude, das sich unwillkürlich allen denen, die sie anschauten, mitteilte, glänzte auf ihrem hellgewordenen Antlitz auf.

„Setzt ihn nur ordentlich auf!“ vernahm man zuredende Stimmen, als der Geistliche ihnen die Kränze aufsetzte, und Schtscherbazkiy mit zitternder Hand, im dreiknöpfigen Handschuh, den Kranz hoch über Kitys Kopf hielt.

„Setzt ihn auf,“ flüsterte diese lächelnd.

Lewin blickte sie an und war überrascht von dem freudestrahlenden Glanze, welcher auf ihrem Gesicht lag; diese Empfindung teilte sich auch ihm unwillkürlich mit, und auch ihm wurde dabei so leicht und heiter zu Mut, wie ihr.

Es machte ihnen Freude, dem Lesen der Apostelsendung zu lauschen und dem Verrauschen der Stimme des Protodiakonus beim letzten Vers, das von dem zuschauenden Publikum mit großer Ungeduld erwartet worden war. Es machte ihnen Freude, aus der flachen Schale den lauen roten Wein, mit Wasser gemischt, zu trinken, es machte ihnen noch mehr Freude, als der Geistliche, das Meßgewand zurückwerfend, ihrer beider Hände in die seine nahm und sie unter dem Dröhnen der Bässe, welche das „Jesu freue dich“ ausführten, rings um den Altar geleitete. Schtscherbazkiy und Tschirikoff, welche die Kränze hielten, verwickelten sich in die Schleppe der Braut, lächelten gleichfalls und waren heiter, bald stehen bleibend, bald nach vorn anstoßend an die Jungvermählten, sobald der Geistliche eine Pause im Rundgang machte. Der Götterfunke der Freude, der in Kity entzündet war, schien sich allen mitzuteilen, die in der Kirche anwesend waren; und Lewin dünkte es, als wenn auch der Geistliche und der Diakonus, ebenso wie er, zu einem Lächeln neigten.

Der Geistliche nahm die Kränze von ihren Häuptern, las das letzte Gebet und beglückwünschte die jungen Eheleute. Lewin schaute auf Kity und noch nie bisher hatte er diese so gesehen. Sie war reizend in dem ungewohnten Schimmer von Glück, welcher auf ihrem Antlitz lag. Lewin wollte zu ihr sprechen, aber er wußte nicht, ob die Feier zu Ende sei. Der Geistliche entriß ihn seinen Bedenken, er lächelte ihm gutmütig zu und sagte leise, „küßt Euer Weib, und Ihr, küßt Euren Mann“ und nahm ihnen die Lichter aus den Händen.

 

Lewin küßte taktvoll ihre lächelnden Lippen, reichte ihr den Arm, und verließ im Gefühl der Nähe eines neuen, seltsam berührenden Etwas die Kirche.

Er glaubte nicht und konnte nicht glauben, daß es Wahrheit sei. Erst als ihn verwunderte und schüchterne Blicke trafen, glaubte er daran, weil er fühlte, daß sie schon Eins waren.

Nach dem Souper, noch in der nämlichen Nacht, fuhren die jungen Leute nach dem Dorfe ab.

7

Wronskiy und Anna reisten bereits seit drei Monaten zusammen in Europa. Sie hatten Venedig, Rom, Neapel besucht und waren soeben in einer kleinen italienischen Stadt angekommen, wo sie sich für einige Zeit niederzulassen gedachten.

Ein eleganter Oberkellner, mit einem vom Nacken beginnenden Scheitel im dicht pomadisierten Haar, im Frack und mit breiter weißer Battistbrust im Oberhemd, auch einem Bündel Berloques auf dem gerundeten Bäuchlein, antwortete gerade, die Hände in den Taschen und geringschätzig mit den Augen zwinkernd, in gemessenem Tone einem stehenbleibenden Herrn. Als er von der andern Seite der Einfahrt Schritte vernahm, welche die Treppe hinaufgingen, wandte sich der Oberkellner um, zog, als er den russischen Grafen erblickte, welcher hier die besten Zimmer gemietet hatte, respektvoll die Hände aus den Taschen und erklärte mit einer Verbeugung, daß der Kurier da wäre, und die Angelegenheit mit dem Mieten eines Palazzo im Gange sei.

„Ach, das freut mich sehr,“ sagte Wronskiy, „ist die gnädige Frau daheim oder nicht?“

„Gnädige Frau waren spazieren gegangen, sind aber jetzt zurückgekehrt,“ antwortete der Kellner.

Wronskiy nahm den weichen, breitkrempigen Hut vom Kopfe und trocknete mit dem Taschentuch die schweißbedeckte Stirn und die halb über den Ohren hängenden Haare, welche zurückgekämmt waren und die kahle Stelle auf seinem Kopfe bedeckten. Zerstreut auf den noch immer dastehenden und ihn anschauenden Herrn blickend, wollte er vorübergehen.

„Dieser Herr ist Russe und frug nach Ihnen,“ berichtete der Oberkellner.

Mit einem Gefühl, in dem sich Verlegenheit und der Verdruß mischten, daß man nirgends seinen Bekannten entgehen könne, aber im Wunsche, doch wenigstens eine Zerstreuung in der Einförmigkeit seines Lebens zu finden, blickte Wronskiy nochmals den abseits getretenen und wartenden Herrn an, und in ein und demselben Augenblick leuchteten beider Augen auf.

„Golenischtscheff!“

„Wronskiy!“

In der That, es war Golenischtscheff, ein Kamerad Wronskiys vom Pagencorps her. Golenischtscheff gehörte im Pagencorps der freidenkenden Richtung an, trat aus demselben mit bürgerlichem Range aus und hatte nirgends Dienste genommen. Die Kameraden waren seit dem Verlassen des Corps ganz auseinandergekommen und hatten sich in späterer Zeit nur einmal wiedergesehen.

Bei jener Begegnung erkannte aber Wronskiy, daß Golenischtscheff eine hochgeschraubte, freisinnige Wirksamkeit entwickelt hatte und infolge dessen die Thätigkeit und den Beruf Wronskiys gering schätzte, und so kam es, daß dieser bei dem Zusammentreffen mit Golenischtscheff jene kalte stolze Haltung annahm, die er den Menschen gegenüber anzunehmen verstand, und deren Gedanke der war: „Mag Euch meine Lebensart anstehen oder nicht, dies ist mir ganz gleichgültig; Ihr müßt mich aber achten, wenn Ihr meine Bekanntschaft sucht.“

Golenischtscheff hingegen verhielt sich diesem Tone Wronskiys gegenüber mit geringschätzigem Gleichmut. Es dürfte nun scheinen, als ob jene Begegnung sie noch mehr voneinander hätte trennen müssen, jetzt aber erglänzten beider Mienen und sie riefen sich freudig an, indem sie einander erkannten.

Wronskiy hätte nie erwartet, daß er sich über Golenischtscheff so freuen könne, aber wahrscheinlich wußte er nur selbst nicht, wie er sich langweilte. Er hatte den unangenehmen Eindruck ihrer letzten Begegnung vergessen und streckte jetzt dem einstigen Schulkameraden mit offener, freudiger Miene die Hand entgegen. Ein solcher Ausdruck von Freude veränderte auch den ersten unsicheren Ausdruck im Gesicht Golenischtscheffs.

„Wie freue ich mich, dich zu treffen!“ sagte Wronskiy, freundschaftlich lächelnd seine festen weißen Zähne zeigend.

„Ich habe gehört, ein Wronskiy ist hier; wußte aber nicht, welcher. Ich freue mich ganz außerordentlich!“ —

„Komm doch mit herauf. Nun, was machst du denn?“

„Ich wohne schon seit zwei Jahren hier. Ich arbeite.“

„Ach so,“ versetzte Wronskiy voll Teilnahme, „also komme mit herein.“

Nach der Gewohnheit der Russen begann er französisch, anstatt gerade russisch das zu sagen, was er vor der Dienerschaft verbergen wollte.

„Bist du mit der Karenina bekannt? Wir reisen zusammen. – Ich gehe zu ihr,“ – fuhr er auf französisch fort, Golenischtscheff aufmerksam ins Gesicht blickend.

„Ah, ich wüßte nicht,“ antwortete Golenischtscheff ruhig – der recht wohl das Verhältnis kannte – „bist du schon seit lange hier angekommen?“ fügte er hinzu.

„Ich? Seit vier Tagen,“ antwortete Wronskiy, noch einmal aufmerksam das Gesicht des Schulkameraden musternd.

„Ja wohl, er ist ein vernünftiger Mensch und nimmt die Dinge, wie sichs gehört,“ sagte Wronskiy zu sich selbst, die Bedeutung des Gesichtsausdrucks Golenischtscheffs und den Wechsel der Unterhaltung verstehend; „man kann ihn schon mit Anna bekannt machen; er verhält sich ganz so, wie es sich gehört.“

Wronskiy hatte sich während der drei Monate, die er im Auslande mit Anna zugebracht hatte, im Zusammentreffen mit den Menschen stets die Frage vorgelegt, wie die betreffende neuerscheinende Person seine Beziehungen zu Anna betrachte, und größtenteils begegnete er bei den Männern der Auffassung „wie es sich gehörte“. Wenn man ihn aber frug, oder diejenigen frug, welche verstanden, was das „wie es sich gehört“, eigentlich bedeute, so wäre wohl er selbst ebenso wie jene in großer Verlegenheit gewesen.

In Wirklichkeit verstanden diejenigen, welche nach Wronskiys Meinung das „wie es sich gehört“ kannten, dieses nicht im geringsten, sondern verhielten sich nur im allgemeinen so, wie wohlerzogene Leute sich in allen verwickelten und unlösbaren Fragen zu verhalten pflegen, die das Leben von allen Seiten umgeben – sie verhielten sich zurückhaltend, und mieden Anspielungen und unangenehme Fragen. Sie gaben sich den Anschein, als ob sie vollständig Bedeutung und Sinn der Situation erfaßt hätten, sie erkannten dieselbe an und hießen sie sogar gut, hielten es aber für unangebracht und überflüssig, das alles auszusprechen.

Wronskiy hatte sich nicht sogleich gedacht, daß Golenischtscheff einer von diesen Leuten wäre, und er war daher doppelt erfreut über ihn. In der That verhielt sich Golenischtscheff der Karenina gegenüber, nachdem er bei derselben eingeführt worden war, so, wie Wronskiy es nur immer wünschen konnte. Augenscheinlich vermied er ohne die geringsten Schwierigkeiten alle Gespräche, die zu einer peinlichen Situation hätten führen können.

Er hatte Anna früher nicht gekannt und war überrascht von ihrer Schönheit, noch mehr aber von der Naivetät, mit welcher sie ihre Lage auffaßte. Sie errötete, als Wronskiy Golenischtscheff einführte, und dieses kindliche Erröten, das ihr offenes schönes Gesicht überzog, gefiel ihm außerordentlich. Besonders aber sprach ihn an, daß sie sogleich, wie in der Absicht keinerlei Zweifel in Gegenwart eines Fremden möglich bleiben zu lassen, Wronskiy einfach „Aleksey“ nannte und erzählte, daß sie mit ihm in ein neugemietetes Haus übersiedeln werde, welches man hier den Palazzo nenne. Dieses offenherzige und naive Verhalten angesichts ihrer Lage gefiel Golenischtscheff. Angesichts dieser gutmütig heitern energischen Art und Weise Annas und seiner Bekanntschaft mit Aleksey Aleksandrowitsch und Wronskiy schien es ihm, als ob er sie vollständig verstände. Es schien ihm als ob er erkenne, was sie nicht im entferntesten erkannte; nämlich das, daß sie sich, das Unglück eines Mannes verschuldend, indem sie ihn und ihren Sohn verließ und ihren guten Ruf verlor, dennoch voll Energie heiter und glücklich fühlen konnte.

„Er liegt dort drüben,“ sagte Golenischtscheff, den Palazzo meinend, den Wronskiy gemietet hatte. „Es befindet sich ein schöner Tintoretto dort, aus der letzten Epoche des Künstlers.“

„Wißt Ihr was? Das Wetter ist schön, begeben wir uns einmal hin und besichtigen wir ihn nochmals,“ sagte Wronskiy, sich zu Anna wendend.

„Sehr erfreut; ich komme sogleich mit und will nur meinen Hut aufsetzen, Ihr sagt, es ist heiß?“ sprach sie, an der Thür stehen bleibend und fragend auf Wronskiy blickend. Wiederum bedeckte eine helle Röte ihr Gesicht.

Wronskiy erkannte an ihrem Blick, daß sie nicht wisse, in welchen Beziehungen er mit Golenischtscheff zu stehen gedenke, und besorgt sei, ob sie sich auch so verhalten habe, wie er es gewünscht haben möchte.

Er schaute sie mit einem zärtlichen langen Blicke an.

„Nein, nicht so sehr,“ versetzte er.

Ihr schien, daß sie damit alles verstanden hatte, namentlich, daß er zufrieden mit ihr sei, und ihm zulächelnd ging sie schnellen Schrittes zur Thür hinaus.

Die Freunde blickten einander an und in den Zügen beider erschien Verlegenheit, es war, als ob Golenischtscheff, augenscheinlich bezaubert von ihr, etwas über sie zu sagen wünschte, aber nicht fände was, während Wronskiy das Nämliche wünschte und es doch zugleich fürchtete.

„So ist es also“ – begann Wronskiy, um doch wieder eine Unterhaltung anzuknüpfen, „du hast dich hier angesiedelt? Treibst du denn noch immer deine alte Beschäftigung?“ fuhr er fort, sich erinnernd, daß man ihm gesagt hatte, Golenischtscheff schriebe etwas.

„Ja. Ich schreibe den zweiten Teil meiner ‚Zwei Gesetze‘,“ antwortete dieser, vor Vergnügen über diese Frage ins Feuer geratend, „das heißt, um genau zu sein, ich schreibe noch nicht, sondern bereite noch vor, ich sammle Material. Dieser zweite Teil wird bei weitem umfangreicher werden und fast sämtliche Fragen umfassen. Man will bei uns in Rußland nicht begreifen, daß wir die Erben von Byzanz sind,“ begann er eine lange eifrige Auseinandersetzung.

Wronskiy war es anfangs peinlich, daß er die erste Abhandlung über die „Zwei Gesetze“, über welche der Autor mit ihm sprach, als ob sie etwas ganz Bekanntes wäre, gar nicht kannte. Als aber Golenischtscheff seine Ideen zu entwickeln begann, und Wronskiy ihm zu folgen vermochte, hörte ihn der Letztere, auch ohne die „Zwei Gesetze“ zu kennen, mit Interesse an, da Golenischtscheff gut sprach, doch versetzte ihn die verbissene Erregtheit, mit welcher Golenischtscheff über den ihn beschäftigenden Gegenstand sprach, in Erstaunen und Mißstimmung. Je länger jener sprach, umsomehr entflammte sich sein Blick, umsomehr beeilte er sich, eingebildeten Gegnern zu replizieren und um so unruhiger und trüber wurde sein Gesichtsausdruck. Wronskiy war, indem er sich Golenischtscheff als den hageren, lebhaften und gutmütigen Knaben von gutem Herkommen, der stets der Erste im Corps gewesen war, in die Erinnerung zurückrief, nicht imstande, einen Grund für diese Gereiztheit zu finden, und schüttelte den Kopf über ihn. Insbesondere wollte ihm nicht gefallen, daß Golenischtscheff als ein Mann aus der guten Gesellschaft, sich auf eine Stufe mit gewissen Skriblern stellte, die ihn gereizt hatten, und denen er nun grollte. War das die Sache wert? Wronskiy gefiel dies nicht, aber er empfand, daß Golenischtscheff unglücklich war, und fühlte Mitleid mit ihm. Verzweiflung, ja fast Geistesverwirrung war auf diesen beweglichen, ziemlich angenehmen Zügen sichtbar, während er, Annas Eintreten gar nicht einmal bemerkend, fortfuhr, hastig und eifrig seine Ideen zu äußern.

Als Anna in Hut und Überwurf, mit ihrer schönen Hand in schnellen Bewegungen mit dem Sonnenschirm spielend, neben Wronskiy stehen blieb, riß sich dieser mit einem Gefühl der Erleichterung von den starr auf ihn gerichteten, klagenden Blicken Golenischtscheffs los und schaute mit neuer Liebe auf seine reizende Freundin in ihrer Fülle von Lebenskraft und Freude.

Golenischtscheff konnte sich nur schwer wieder sammeln und blieb anfangs niedergeschlagen und finster, doch belebte ihn Anna, freundlich gegen jedermann gestimmt – wie sie überhaupt während dieser Zeit war – bald wieder durch die Natürlichkeit und Heiterkeit ihres Verkehrs. Nachdem sie verschiedene Themata versucht hatte, brachte sie das Gespräch auf die Malerei, über die er sehr gut sprach und hörte ihm aufmerksam zu. Sie gingen zu Fuße nach dem gemieteten Haus und besichtigten es.

 

„Über Eines freue ich mich sehr,“ sagte Anna zu Golenischtscheff, als sie bereits auf dem Rückwege waren. „Aleksey wird ein gutes Atelier haben. Du wirst doch ohne Zweifel dieses Zimmer nehmen,“ sagte sie zu Wronskiy auf russisch, ihn jetzt duzend, da sie schon erkannt hatte, daß Golenischtscheff ihnen in ihrer Einsamkeit sehr nahe treten würde, und man so vor ihm nichts zu verhehlen brauche.

„Malst du denn?“ sagte dieser, sich schnell zu Wronskiy hinwendend.

„Ja, ich habe mich lange damit beschäftigt und jetzt wieder ein wenig angefangen,“ versetzte Wronskiy errötend.

„Er hat ein bedeutendes Talent,“ antwortete Anna mit freudigem Lächeln, „ich bin natürlich kein Kritiker, aber kundige Kunstrichter haben es auch gesagt.“

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