Skizzenbuch

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Wie ein Schnupfen kuriert wird.

Es ist zwar etwas Gutes für die Unterhaltung des Publikums zu schreiben, aber etwas noch weit Höheres und Edleres ist es, wenn man zur Belehrung, zum Nutzen, zum wahren Wohl seiner Mitmenschen schreibt – und das ist der einzige Zweck der folgenden Abhandlung. Wenn es mir gelänge, dadurch auch nur einem Leidenden wieder zur Gesundheit zu verhelfen, das Feuer der Hoffnung und Freude in seinem matten Blick aufs neue zu entzünden und seinem erstorbenen Herzen den raschen, fröhlichen Pulsschlag vergangener Tage zurückzugeben, so wäre mir alle Mühe reichlich vergolten und jene heilige Wonne würde meine Seele durchströmen, welche der Christ fühlt, wenn er eine gute, selbstlose That vollbracht hat.

Da ich stets ein untadeliges Leben geführt habe, bin ich berechtigt zu glauben, daß niemand, der mich kennt, aus Furcht, ich hätte die Absicht ihn zu täuschen, meine Ratschläge zurückweisen wird. Möge das Publikum sich die Ehre anthun, meine hier niedergelegten Erfahrungen bei Behandlung eines Schnupfens zu lesen – und dann meinem Beispiel folgen.

Als das Weiße Haus in Virginia City abbrannte, verlor ich meine Häuslichkeit, meine Behaglichkeit, meine Gesundheit und meinen Koffer. Der Verlust der beiden erstgenannten Artikel war leicht zu verschmerzen; denn eine Häuslichkeit ohne eine Mutter, eine Schwester oder eine entfernte junge Verwandte, welche uns die schmutzige Wäsche wegräumt, unsere Stiefel vom Kaminsims herunternimmt und uns so daran erinnert, daß jemand an uns denkt und für uns sorgt, ist nicht schwer zu finden. Und was meine Behaglichkeit betrifft, so war ich ja kein Dichter und brauchte der Schwermut über ihren Verlust nicht lange nachzuhängen. Aber eine gute Gesundheit zu verlieren und einen noch besseren Koffer, das waren ernstliche Unglücksfälle. Am Tage der Feuersbrunst zog ich mir nämlich infolge der übergroßen Anstrengung, mit welcher ich mich anschickte etwas zu thun, eine starke Erkältung zu.

Als ich das erstemal zu niesen begann, riet mir ein Freund ein warmes Fußbad zu nehmen und dann zu Bette zu gehen. Das that ich. Gleich darauf meinte ein zweiter, ich solle aufstehen und ein kaltes Sturzbad nehmen. Eine Stunde später versicherte mir ein dritter, man müsse einen »Schnupfen füttern und ein Fieber aushungern.« Ich litt an beiden und hielt es daher für das beste, mich des Schnupfens wegen voll und satt zu essen, dann Hausarrest zu nehmen und das Fieber eine Weile hungern zu lassen.

Bei halben Maßregeln lasse ich es in solchem Falle nie bewenden. Ich aß also nach Herzenslust und wendete meine Kundschaft einem Fremden zu, der an jenem Morgen gerade sein Speisehaus eröffnet hatte. Er stand in ehrerbietigem Schweigen dabei, bis ich meinen Schnupfen genug gefüttert hatte und fragte dann, ob die Leute in Virginia City häufig vom Schnupfen befallen würden. Als ich erwiderte das könne wohl möglich sein, ging er hinaus und nahm sein Wirtshausschild ab.

Ich begab mich nun nach dem Bureau und begegnete unterwegs abermals einem vertrauten Freunde, der mir sagte, daß es auf der Welt nichts Wirksameres gäbe, um sich vom Schnupfen zu kurieren, als wenn man ein Quart warmes Salzwasser tränke. Ich zweifelte stark, daß ich noch Platz dafür haben könne, aber versuchen wollte ich es jedenfalls. Der Erfolg war überraschend. Mir war als hätte ich meine unsterbliche Seele von mir gegeben.

Da ich meine Erfahrungen nur zum Nutzen derjenigen niederschreibe, welche von demselben Übel befallen sind wie ich, halte ich es für angemessen, sie vor den Mitteln zu warnen, die sich bei mir als unwirksam erwiesen haben. Aus vollster Überzeugung muß ich ihnen daher raten, sich vor warmem Salzwasser zu hüten. Wenn ich wieder den Schnupfen hätte und mir nur die Wahl bliebe, meine Zuflucht zu einem Erdbeben oder einem Quart Salzwasser zu nehmen, so würde ich mein Heil mit dem Erdbeben versuchen.

Nachdem der Sturm, der in meinem Innern wütete, sich etwas gelegt hatte und da zufällig kein guter Samariter mehr bei der Hand war, borgte ich mir wieder Taschentücher und zerschneuzte sie zu Atomen, wie ich es in den ersten Stadien meines Schnupfens gethan hatte. Dies trieb ich solange, bis ich einer Dame begegnete, die eben von jenseits der Prairie herkam. Sie hatte in einer Gegend gelebt, wo Mangel an Ärzten war und sagte, die Not habe sie gelehrt, einfache Alltagskrankheiten mit vielem Geschick zu behandeln. Ich war überzeugt, daß sie eine lange Erfahrung hinter sich haben müsse, denn sie sah aus, als sei sie hundertfünfzig Jahre alt.

Sie mischte einen Trank aus Sirup, Scheidewasser, Terpentin und allerlei Kräutern zusammen und gab mir die Anweisung, alle Viertelstunde ein Weinglas voll davon zu nehmen. Ich ließ es jedoch bei der ersten Dosis bewenden; sie reichte hin um mich aller moralischen Grundsätze zu berauben und die unwürdigsten Triebe in mir wach zu rufen. Unter ihrem bösartigen Einfluß wälzte ich in meinem Hirn die ungeheuerlichsten und niederträchtigsten Pläne und Entwürfe, aber meine Hand war damals zu schwach, sie auszuführen. Hätten nicht die unfehlbaren Heilmittel für den Schnupfen durch wiederholte Angriffe meine Kräfte völlig erschöpft, ich wäre wahrlich imstande gewesen auf Leichenraub auszugehen.

Wie die meisten andern Leute habe ich zuweilen gemeine Regungen und handle darnach; aber bis zu einem solchen Grade von unmenschlicher Ruchlosigkeit hatte ich es noch nie gebracht, bevor ich jene Arzenei einnahm und obendrein war ich noch stolz darauf. Nach Verlauf von zwei Tagen war ich wieder soweit, aufs neue an mir herumdoktern zu können. Ich wandte noch mehrere untrügliche Mittel an und trieb mir schließlich die Erkältung aus dem Kopf in die Lunge.

Nun bekam ich fortwährend Hustenanfälle und meine Stimme sank unter den Nullpunkt. Ich sprach mit den Leuten in einem grollenden Baß, zwei Oktaven unter meinem gewöhnlichen Tonfall. Eine regelmäßige Nachtruhe konnte ich nur dadurch erlangen, daß ich mich in einen Zustand gänzlicher Erschöpfung hineinhustete; sobald ich aber im Schlaf zu sprechen anfing, weckte mich der Mißlaut meiner Stimme wieder auf.

Mein Fall verschlimmerte sich von Tag zu Tag. Man empfahl mir Wachholderschnaps. Den trank ich. Dann Schnaps mit Sirup. Ich trank auch den. Ferner Schnaps und Zwiebeln. Die that ich dazu und schluckte alle drei zusammen, jedoch ohne besonderes Ergebnis.

Ich sah mich jetzt genötigt meiner Gesundheit durch Luftveränderung wieder aufzuhelfen und reiste mit meinem Kollegen, dem Zeitungsreporter Wilson, nach dem Bigler See. Nicht ohne eine gewisse Befriedigung denke ich daran, daß wir auf ganz vornehme Weise reisten, wir benutzten nämlich die Pionierpost und mein Freund nahm sein ganzes Gepäck mit, welches aus zwei prachtvollen seidenen Halstüchern und dem Daguerrebild seiner Großmutter bestand. Dort machten wir den Tag über Segelfahrten, gingen auf die Jagd, auf den Fischfang und zum Tanz und die Nacht hindurch kurierte ich meine Erkältung. Durch diese Einrichtung gelang es mir, jede von den vierundzwanzig Stunden nutzbringend zu verwenden. Aber mein Übel wurde nur immer schlimmer.

Man riet mir nun zu einer nassen Wickelung. Bisher hatte ich kein einziges Heilmittel zurückgewiesen und es schien Thorheit, jetzt noch damit anzufangen. So beschloß ich denn die Wickelung zu versuchen, obwohl ich keine Ahnung hatte, was das eigentlich für eine Veranstaltung sei. Sie wurde um Mitternacht vorgenommen und das Wasser war brennend kalt. Ein Leintuch, das mindestens tausend Meter lang zu sein schien, wurde in Eiswasser getaucht und mir um Brust und Rücken gewickelt, bis ich aussah wie der Wischer für eine der neuen Riesenkanonen.

Es ist ein grausames Verfahren. Wenn der kalte Lappen das warme Fleisch berührt, fährt man vor Schrecken zusammen und schnappt nach Atem wie ein Mensch in der Todesnot. Mir erfror das Mark in den Knochen und mein Herzschlag schien stillzustehen. Ich glaubte, mein letztes Stündlein sei gekommen.

Ich warne hiermit jedermann vor kalten Wickelungen. Es giebt nichts Unbehaglicheres in der Welt – außer vielleicht einer Damenbekanntschaft zu begegnen, die aus Gründen, die sie selbst am besten weiß, unsereinen ansieht ohne ihn zu sehen und, wenn sie ihn wirklich sieht, ihn nicht kennt.

Aber, was ich noch sagen wollte, – als mein Schnupfen nach der Wickelung nicht kuriert war, empfahl mir eine befreundete Dame, ein Senfpflaster auf die Brust zu legen. Das hätte mich, glaube ich, auch wirklich geheilt, wäre der junge Wilson nicht gewesen. Beim Zubettegehen legte ich mir das Senfpflaster, das ganz großartig war – es maß achtzehn Zoll im Viereck – bequem zur Hand, wo ich es erreichen konnte. Aber Wilson bekam in der Nacht Hunger und – den Rest kann sich der Leser selber denken.

Nach einem achttägigen Aufenthalt am Bigler See ging ich nach Steamboat Springs, wo ich Dampfbäder nahm und noch eine Masse der erbärmlichsten Arzeneien zu schlucken bekam, die je zusammengebraut worden sind. Sie würden mich ganz hergestellt haben, aber ich mußte nach Virginia City zurückkehren, wo ich es trotz der verschiedenartigsten Heilmittel, die ich jeden Tag verschlang, möglich machte, meine Krankheit durch Vernachlässigung und Ausgehen bei kalter Witterung sehr zu verschlimmern.

Endlich beschloß ich nach San Franzisco zu reisen. Am ersten Tag nach meiner Ankunft daselbst sagte mir eine Dame im Gasthaus, ich solle alle vierundzwanzig Stunden ein Quart Whisky trinken und ein Freund, der in der Stadt wohnte, gab mir denselben Rat. Das machte also zusammen zwei Quart oder eine halbe Gallone. Soviel trank ich und bin noch am Leben.

In obigem habe ich mit der allerbesten Absicht von der Welt das mannigfaltige Heilverfahren geschildert, welches ich kürzlich zur Kur meines Schnupfens durchzumachen hatte. Ich empfehle es besonders allen, die an der Schwindsucht leiden. Wenn sie einen Versuch damit anstellen und nicht gesund werden, so kann es sie höchstens umbringen.

 

Kinderkrankheiten.

Diese Geschichte hat Mr. Mc Williams, ein freundlicher Herr aus New-York, dem Verfasser erzählt, der ihn zufällig auf einer Reise traf.

Sie können sich kaum vorstellen, Herr Mark Twain, wie schrecklich die unheilbare Krankheit, welche man die häutige Bräune nennt, in unserer Stadt gewütet hat. Ebenso schlimm als die Krankheit selbst war der Umstand, daß alle Mütter vor Angst und Schrecken fast den Verstand verloren. Hören Sie zu, was ich mit meiner Frau während jener Zeit erlebte. Eines Mittags kam ich nach Hause und machte meine Frau auf die kleine Penelope aufmerksam, indem ich bemerkte:

»Mein Herz, ich würde an deiner Stelle nicht erlauben, daß das Kind an dem Kienspan kaut.«

»Was in aller Welt soll denn das schaden?« entgegnete sie, schickte sich aber zugleich an, den Span fortzunehmen; – ohne weitläufige Erörterung können Frauenzimmer nun einmal nicht den geringsten Rat befolgen, wenn dessen Weisheit auch noch so sehr auf der Hand liegt; d. h. verheiratete Frauen.

Ich erwiderte: »Herzchen, man weiß, daß keine Holzart so wenig Nährwert für ein Kind besitzt wie Tannenholz.«

Meine Frau zog die Hand zurück, mit der sie den Span ergreifen wollte und legte sie wieder in den Schoß.

»Du bist im Irrtum,« sagte sie merklich erregt; »alle Ärzte versichern, daß das Terpentin im Tannenholz für ein schwaches Rückgrat und für die Nieren sehr gut ist.«

»Ah so – ich bitte um Entschuldigung. Ich habe nicht gewußt, daß unser Kind an Rückenschwäche und an den Nieren leidet und daß der Hausarzt verordnet hat –«

»Das Kind denkt gar nicht daran, an dergleichen zu leiden – wie kommst du darauf?«

»Aber liebe Frau, du hast doch angedeutet –«

»Bewahre, so etwas ist mir nicht eingefallen.«

»Es ist ja kaum zwei Minuten her, mein Herz, daß du sagtest –«

»Dummes Zeug! Ich mag gesagt haben was ich will – jedenfalls ist es kein Unglück, daß die Kleine an einem Stück Holz kaut, wenn sie Lust dazu hat; ich dächte, du könntest das auch einsehen. Ich verwehre es ihr nicht und damit ist's gut!«

»Ereifere dich nicht, mein Kind; ich sehe schon ein, daß du recht hast und werde gleich ausgehen, um ein paar Klafter vom besten Tannenholz zu bestellen. Solange ich lebe, soll mein Kind – –«

»O bitte, geh' in dein Geschäft und laß mich einen Augenblick in Ruhe. Man kann auch nicht die geringste Bemerkung machen, du mußt darüber streiten, streiten, streiten, bis du nicht mehr weißt, wovon du sprichst – wie immer.«

»Nun gut, du sollst deinen Willen haben. Aber in deiner letzten Bemerkung war ein Mangel an Logik, der – –«

(Ehe ich jedoch ausgeredet hatte, war sie zur Thüre hinausgesegelt und hatte das Kind mitgenommen.)

Als ich am Abend desselben Tages zu Tische nach Hause kam, trat sie mir mit kreideweißem Gesicht entgegen.

»O Mortimer, ein neuer Fall! Der kleine George vom Nachbar Gordon ist krank!«

»Häutige Bräune?«

»Häutige Bräune!«

»Hat der Arzt noch Hoffnung?«

»Nicht die geringste! O was soll aus uns werden!«

Kurz darauf brachte eine Wärterin die kleine Penelope herein, um uns gute Nacht zu sagen und das übliche Abendgebet auf der Mutter Schoß zu sprechen. Aber mitten in: »Jetzt leg' ich mich zu süßer Ruh',« hustete sie ein wenig. Meine Frau fuhr zurück als hätte sie der Schlag gerührt. Doch schon im nächsten Augenblick war sie auf den Füßen, der Schrecken spornte sie zu fieberhafter Thätigkeit.

Sie befahl, das Bett des Kindes aus der Kinderstube in unser Schlafzimmer zu bringen, und ging selbst mit, um die Ausführung des Befehls zu beaufsichtigen. Natürlich mußte ich auch dabei sein, und wir brachten die Sache schnell in Ordnung. Für die Kinderfrau wurde ein Bett in dem Ankleidezimmer meiner Frau aufgeschlagen. Nun fiel ihr aber ein, daß wir zu weit von dem andern Kind entfernt seien, und wenn sich in der Nacht bei ihm Symptome zeigen sollten – mein armes Frauchen wurde wieder leichenblaß.

Darauf schafften wir das Kinderbett und die Kinderfrau wieder in die Kinderstube und schlugen für uns beide ein Bett im Nebenzimmer auf. Plötzlich bekam meine Frau jedoch Angst, Penelope könne den Kleinen anstecken. Dieser Gedanke jagte ihr ein solches Entsetzen ein, daß ihre ganze Hilfsmannschaft das Bettchen nicht schnell genug wieder hinaustragen konnte. Meine Frau half in eigener Person und riß es beinahe in Stücken in ihrer verzweifelten Hast.

Wir zogen in den unteren Stock, aber da war nicht Platz genug, die Kinderfrau unterzubringen, und meine Frau meinte, ihre Erfahrung würde eine unschätzbare Hilfe sein. So kehrten wir denn mit Sack und Pack wieder in unser eigenes Schlafzimmer zurück und fühlten uns so glücklich, wie ein Paar vom Sturm verschlagene Vögel, die ihr warmes Nestchen wiederfinden.

Meine Frau eilte jetzt in die Kinderstube, um zu sehen, wie es dort stände. Im Nu war sie aber wieder da, von neuer Furcht ergriffen.

»Wie kann es nur kommen, daß der Kleine so fest schläft?«

»Aber mein Herz,« sagte ich, »der Kleine schläft ja immer so fest, daß er aussieht wie ein Bild.«

»Ich weiß, ich weiß; aber heute hat sein Schlaf etwas Unnatürliches. Er scheint – er scheint so regelmäßig zu atmen.«

»Aber, liebes Kind, er atmet immer regelmäßig.« »O, das weiß ich; aber heute macht es einen schrecklichen Eindruck. Seine Wärterin ist viel zu jung und unerfahren, Marie soll bei ihr bleiben, damit sie bei der Hand ist, wenn etwas passiert.«

»Das ist ein guter Gedanke; aber, wer wird dir helfen?«

» Du kannst mir alle Hilfe leisten, die ich brauche. Ich werde mich ja so wie so in dieser schrecklichen Zeit auf keinen Menschen verlassen, sondern alles selbst thun.«

Ich erwiderte, daß ich mich selbst verachten würde, wenn ich zu Bette gehen und schlafen wollte, während sie wachte und sich um unsere Kranke mühte, die lange, bange Nacht. Doch endlich ließ ich mich überreden. So begab sich also die alte Marie wieder zurück auf ihren Posten in der Kinderstube.

Penelope hustete ein- oder zweimal im Schlaf.

»Warum nur dieser Doktor nicht kommt. – Mortimer, es ist gewiß zu warm im Zimmer. Mache den Schieber zu – schnell!«

Ich schloß die Luftheizung ab, sah nach dem Thermometer und fragte mich, ob denn 14° wirklich zu warm sei für ein krankes Kind.

Der Kutscher kam jetzt aus der Stadt mit der Nachricht, daß unser Hausarzt krank zu Bette liege. Meine Frau warf mir einen verlöschenden Blick zu und sagte mit sterbender Stimme:

»Es ist der Wille der Vorsehung. So war es vorher bestimmt. – Noch nie ist er krank gewesen, nie! Wir haben nicht so gelebt wie wir sollten, Mortimer. Immer und immer wieder habe ich es dir gesagt. Nun siehst du, wohin es führt. Unser Kind wird niemals wieder gesund werden. Danke Gott, wenn du es dir je verzeihen kannst – ich kann es mir nicht vergeben.«

Ich sagte, ohne die Worte genau zu wählen, aber durchaus nicht in der Absicht, sie zu kränken, es sei mir nicht bewußt, daß wir ein so gottloses Leben geführt hätten.

»Mortimer – willst du das Gericht Gottes auch über den Kleinen heraufbeschwören?«

Sie brach in Thränen aus – aber plötzlich rief sie:

»Der Doktor muß doch Arznei geschickt haben!«

»Gewiß,« versetzte ich; »hier ist sie. Ich habe nur auf den passenden Moment gewartet, es dir zu sagen.«

»So gieb sie doch her; weißt du nicht, daß jetzt jeder Augenblick kostbar ist! Aber ach, wozu schickt er überhaupt Arzenei, wenn er doch weiß, daß alles vergebens ist.«

Ich sagte, wo noch Leben wäre, sei auch noch Hoffnung.

»Hoffnung! – Mortimer, du weißt so wenig was du sprichst, wie ein neugeborenes Kind. Wenn du nur – Welcher Unsinn – die Anweisung sagt: alle Stunde einen Theelöffel! Einmal stündlich – als ob wir ein ganzes Jahr vor uns hätten, um das Kind zu retten! Mortimer, schnell, gieb dem armen verschmachtenden Würmchen einen Eßlöffel voll; nur diesmal beeile dich!«

»Aber, mein Herz, ein Eßlöffel voll könnte –«

»Mache mich nicht toll! ... Hier, mein Engelchen, mein süßes, nimm das häßliche bittere Zeug; es ist gut für Nelly, für Mamas süßen, kleinen Liebling und soll sie gesund machen. Da, da, da, lege dein Köpfchen an Mütterchens Brust und schlaf ein, damit du bald – – o, ich weiß, sie wird den Morgen nicht erleben! – Mortimer, einen Eßlöffel alle halbe Stunde! Aber das Kind sollte auch Belladonna nehmen und Acconit. Hole die Fläschchen, Mortimer. Bitte, thue was ich sage; du verstehst ja doch nichts davon.«

Wir stellten nun das Bett des Kindes dicht an das Kopfende meiner Frau, und legten uns nieder. Das viele Durcheinander hatte mich schrecklich müde gemacht, und in zwei Minuten war ich halb eingeschlafen.

Meine Frau weckte mich.

»Männchen, ist die Luftheizung offen?«

»Ich glaube nicht.«

»Das habe ich mir gedacht. Bitte, mache den Schieber gleich auf; das Zimmer ist kalt.«

Ich schob ihn auf und schlief wieder ein; da wurde ich nochmals geweckt.

»Bester Mann, du könntest doch so gut sein, das Bettchen an deine Seite zu stellen, es ist näher an der Heizung.«

Ich stellte das Bett an meine Seite, verwickelte mich aber in den Bettteppich und weckte das Kind. Wieder verfiel ich in Schlaf, während meine Frau die kleine Kranke beruhigte. Aber nicht lange, so kamen wie aus weiter Ferne durch den Nebel meiner Schlaftrunkenheit die Worte an mein Ohr:

»Mortimer, wenn wir nur etwas Gänsefett hätten – bitte, willst du klingeln.«

Ich kletterte im Halbschlaf heraus und trat auf die Katze, welche mit einem lauten Protest antwortete; ich wollte ihr dafür einen Fußtritt verabreichen, aber der Stuhl bekam ihn statt der Katze.

»Mortimer, was fällt dir ein? Warum drehst du den Gashahn auf? Willst du das Kind zum zweitenmal wecken?«

»Ich will sehen, ob ich mir Schaden gethan habe, Karoline.«

»Dann sieh nur auch den Stuhl an; ich bin überzeugt, er ist in Stücken. Die arme Katze; wenn du nun – –«

»Die Katze ist mir völlig gleichgültig. Das alles wäre nicht geschehen, wenn du Marie hier behalten hättest, um diese Pflichten zu übernehmen, die sie angehen, und nicht mich.«

»Du solltest dich schämen, Mortimer, eine solche Bemerkung zu machen. Wahrhaftig, wenn du die Kleinigkeiten, um die ich dich bitte, nicht einmal besorgen willst – da doch unser Kind – –«

»Schon gut, ich will ja alles thun. Aber kein Mensch hört auf mein Läuten. Sie sind wahrscheinlich alle zu Bett gegangen. – Wo steht das Gänsefett?«

»Auf dem Kamin im Kinderzimmer. Wenn du hingehen willst und mit Marie sprechen – –«

Ich holte das Gänsefett und schlief wieder ein. Abermals wurde ich gerufen: »Mortimer, es ist mir schrecklich, dich zu stören, aber das Zimmer ist noch immer zu kalt, wenn ich die Einreibung machen soll. Könntest du nicht das Feuer anzünden? Es ist alles zurechtgelegt, du brauchst nur ein Schwefelhölzchen hineinzustecken.«

Ich kroch aus dem Bett, machte das Feuer an, und setzte mich als Jammergestalt daneben.

»Mortimer, du erkältest dich zu Tode, wenn du da sitzen bleibst. Komm zu Bett!«

Ich wollte hineinsteigen, da sagte sie:

»Nur einen Augenblick! Bitte, gieb dem Kinde noch etwas Arzenei.« – Das that ich, und meine Frau benutzte die Gelegenheit, da die Kleine doch einmal wach war, sie auszuziehen und über und über mit dem Gänsefett einzuschmieren. Bald schlief ich von neuem – aber nicht lange.

»Mortimer, es zieht irgendwo; ich fühle es ganz deutlich. Nichts ist verhängnisvoller bei solcher Krankheit, als Zugwind. Bitte, stelle das Kinderbett näher ans Feuer.« Das that ich, und verwickelte mich wieder in den Bettteppich, den ich ins Feuer warf. Meine Frau sprang aus dem Bett und rettete ihn, wobei wir etwas an einander gerieten. Nun folgte wieder eine kleine Schlafpause, bis mir befohlen wurde, einen Umschlag von Leinsamen zu machen. Dieser wurde dem Kinde auf die Brust gelegt, um dort seine heilende Wirkung zu üben.

Ein Holzfeuer hat nicht lange Bestand. Alle zwanzig Minuten stand ich auf, um das unsrige anzufachen und Holz nachzulegen; dadurch verkürzten sich auch die Zwischenräume beim Eingeben der Arzenei um zehn Minuten, was meiner Frau eine große Erleichterung war. Dazwischen erneuerte ich die Umschläge und legte einen Senfteig oder andere Zugpflaster überall da auf, wo noch eine freie Stelle an dem Kinde zu finden war. Endlich, gegen Morgen, war das Holz verbraucht, und meine Frau meinte, ich solle in den Keller gehen, um welches zu holen.

 

»Das ist eine schwere Arbeit, liebes Kind,« bemerkte ich. »Der Kleinen ist gewiß warm genug bei ihren vielen Umhüllungen. Wir können ihr ja auch noch eine Lage Brei auflegen und –«

Ich kam nicht zu Ende, denn ich wurde unterbrochen. Eine Weile schleppte ich Holz herauf und kroch dann wieder in mein Bett. Bald schnarchte ich, wie nur ein Mensch schnarchen kann, der völlig abgemattet ist, an Körper und Geist, Bei Tagesanbruch fühlte ich ein Rütteln an meiner Schulter, was mich schnell zur Besinnung brachte. Meine Frau stand mit stierem Blick vor mir und rang nach Luft. Sobald sie sprechen konnte, sagte sie:

»Es ist alles aus – alles aus! – Das Kind schwitzt. Was fangen wir an?«

»Mein Gott, wie du mich erschreckt hast! Ich weiß nicht was ich dir raten soll. Vielleicht wenn wir alles abkratzten und Penelope wieder in den Zug brächten –«

»Welcher Blödsinn! – Jetzt ist kein Augenblick zu verlieren! Hole den Doktor, schnell! Du mußt selbst gehen. Bringe ihn her, tot oder lebendig.«

Ich zerrte den armen kranken Mann aus dem Bett und brachte ihn zu uns. Er sah das Kind an und sagte, es läge nicht im Sterben. Das war mir eine unaussprechliche Freude, aber meine Frau wurde so böse, als habe er sie persönlich beleidigt. Dann meinte er, der Husten des Kindes wäre nur durch einen kleinen Reiz in der Kehle verursacht. Wie er das sagte, fürchtete ich fast, meine Frau würde ihm die Thüre weisen. Der Doktor wollte die Kleine nun stärker zum Husten bringen, um die Störung zu beseitigen. Er gab ihr etwas ein, sie hustete heftig, und heraus kam – ein kleiner Holzsplitter.

»Das Kind hat keine Bräune,« sagte der Arzt. »Es hat an einem Stück Tannenholz gekaut, und ein paar kleine Splitter in den Hals bekommen. Die werden ihm nichts schaden.«

»Nein,« sagte ich, »das glaube ich auch. Das Terpentin darin ist sogar sehr gut für einige Krankheiten, die bei Kindern vorkommen. Meine Frau kann Ihnen das sagen.«

Aber das that sie nicht. Sie wendete sich empört von uns ab und verließ das Zimmer. Seit der Zeit ist in unserm ehelichen Leben eine Episode, die wir nie erwähnen. Im übrigen fließt der Strom unserer Tage in ungetrübter Heiterkeit dahin.

Sehr wenig Ehemänner haben ähnliche Erfahrungen gemacht, wie Herr Mc Williams; deshalb dachte der Verfasser dieses Buches, die Sache würde durch ihre Neuheit vielleicht in den Augen des Lesers ein flüchtiges Interesse erhalten.


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