Ein Reich der Schatten

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Из серии: Von Königen Und Zauberern #5
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KAPITEL SECHS

Kyle schwang seinen Stab mit allem, was er hatte, er taumelte bereits vor Erschöpfung als ihn die pandesischen Soldaten auf der einen und die Trolle auf der anderen Seite umzingelten.

Er schlug Männer und Trolle links und rechts nieder während ihre Schwerter und Hellebarden gegen seinen Stab klirrten und Funken in alle Richtungen sprühten. Sogar während er sie bekämpfte, konnte er den Schmerz tief in seinen Schultern spüren. Er kämpfte bereits seit Stunden und war nun von allen Seiten umzingelt. Seine Situation, das wusste er, war katastrophal.

Zuerst hatten sich die Pandesier und die Trolle gegenseitig bekämpft und Kyle hatte die Wahl gehabt, auf wen er sich zuerst konzentrieren wollte, aber als sie sahen wie Kyle alle um sich herum besiegte, hatten sie offensichtlich realisiert, dass es in ihrem gemeinsamen Interesse war sich gegen ihn zu verbünden. Für einen Moment hatten die Pandesier und die Trolle aufgehört sich gegenseitig zu bekämpfen und ihren Fokus darauf gelegt ihn umzubringen.

Während Kyle seinen Stab schwang und drei Trolle gleichzeitig abwehrte, schaffte es ein Pandesier sich von hinten anzuschleichen und Kyle mit seinem Schwert in den Magen zu stechen. Kyle schrie vor Schmerz auf und drehte sich um, um das Schlimmste zu vermeiden, dennoch blutete er. Bevor er parieren konnte, erhob ein Troll eine Keule und schmetterte sie Kyle auf die Schulter und schlug ihm den Stab aus der Hand. Kyle ging zu Boden.

Kyle kniete dort, der Schmerz schoss seine Schulter hinauf und hinab, als er versuchte wieder zu Atem zu kommen. Bevor er sich wieder sammeln konnte, stürzte ein weiterer Troll nach vorne und trat ihm ins Gesicht und ließ ihn wieder zu Boden gehen.

Ein Pandesier trat mit einem langen Speer mit beiden Händen hoch in die Luft erhoben nach vorn und ließ ihn in Richtung seines Kopfes krachen.

Kyle, der noch nicht bereit war zu sterben, drehte sich aus dem Weg und der Speer landete nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt. Er rollte sich weiter, kam zurück auf die Füße und als zwei weitere Trolle angriffen, nahm er sich ein Schwert vom Boden, drehte sich um und erstach beide.

Als einige weitere sich annäherten, schnappte sich Kyle schnell seinen Stab und schlug sie alle um, er kämpfte wie ein eingeengtes Tier während er einen Kreis um sich zog. Er stand dort, atmete schwer und Blut lief von seiner Lippe, während seine Gegner einen immer dichteren Kreis um ihn zogen und mit Blut in den Augen näher kamen.

Der Schmerz in seinem Magen und seiner Schulter war unerträglich. Kyle versuchte es auszublenden und sich zu konzentrieren. Er sah sich dem Tod gegenüber und er fand nur Trost in dem Fakt, dass er Kyra gerettet hatte. Das war es wert gewesen und er war bereit diesen Preis zu zahlen.

Er sah zum Horizont und fand Trost in der Tatsache, dass sie von alldem davon gekommen und auf Andor zurück geritten war. Er fragte sich, ob sie in Sicherheit war und er betete, dass dem so war.

Kyle hatte stundenlang brillant gekämpft, ein Mann allein gegen zwei dieser riesigen Heere und er hatte tausende von ihnen umgebracht. Und doch, das wusste er, war er zu schwach um weiter zu machen. Es gab einfach zu viele von ihnen und sie schienen nie weniger zu werden. Er fand sich inmitten von Krieg wieder, die Trolle fluteten das Land von Norden während die Pandesier von Süden kamen und er konnte sie nicht mehr gleichzeitig bekämpfen.

Kyle spürte einen plötzlichen Schmerz in seinen Rippen als ein Troll von hinten angerannt kam und ihm mit dem Schaft seiner Axt in den Rücken stach. Kyle schwang seinen Stab herum, stieß ihm dem Troll in den Rachen und brachte ihn damit zu Boden – aber zugleich stürzten zwei pandesische Soldaten nach vorne und schlugen ihn mit ihren Schildern. Der Schmerz in seinem Kopf war kaum auszuhalten. Kyle fiel zu Boden, seine Zeit war vorbei. Er war zu schwach um wieder aufzustehen.

Kyle schloss die Augen und die Bilder seines Lebens liefen vor seinem geistigen Auge ab. Er sah all die Wächter, Menschen, denen er seit Jahrhunderten gedient hatte und all die Menschen, der er gekannt und geliebt hatte. Und vor allem sah er Kyras Gesicht. Das Einzige, was er bereute war, dass er sie bevor er starb nicht noch einmal würde sehen können.

Kyle sah drei scheußliche Trolle mit erhobenen Hellebarden auf ihn zukommen. Er wusste, dass es nun vorbei war.

Als sie immer näher kamen, konnte er auf einmal alles wahrnehmen. Er war in der Lage den Wind zu hören; er konnte das Knistern, die kalte Luft riechen. Das erste Mal seit Jahrhunderten fühlte er sich am Leben. Er fragte sich warum er erst kurz vor seinem Tod in der Lage gewesen war das Leben wirklich zu genießen.

Als Kyle die Augen schloss und sich auf seinen Tod einstellte, zerriss auf einmal ein Brüllen die Luft. Es holte ihn in die Realität zurück. Er blinzelte und sah nach oben und sah wie etwas die Wolken durchbrach. Zuerst dachte Kyle, dass es Engel waren, die kamen um seinen toten Körper wegzutragen.

Aber dann sah er, dass auch die Trolle über ihm vor Verwirrung erstarrt waren. Sie alle suchten den Himmel ab – und Kyle wusste, dass es echt war. Es war etwas anderes.

Und dann erhaschte er einen Blick davon, was es wirklich war und ihm blieb das Herz stehen.

Drachen.

Eine Horde Drachen kreiste und flog feuerspeiend voller Zorn durch den Himmel. Sie kamen schnell näher und ließen mit ausgefahrenen Krallen ihren Flammen freien Lauf und brachten so ohne Vorwarnung hunderte Soldaten und Trolle auf einmal um. Eine Feuerwelle kam hinunter, verteilte sich und in wenigen Sekunden verbrannten die Trolle, die sich über Kyle gebeugt hatten. Kyle, der die Flammen hatte kommen sehen, ergriff ein riesiges Kupferschild neben sich und versteckte sich dahinter, als eine weitere Welle aus Flammen auf ihn zukam. Die Hitze war so intensiv als die Flammen über ihn hinwegfegten und verbrannten ihm fast die Hände. Trotzdem ließ er nicht los. Die toten Trolle und Soldaten landeten auf ihm, ihre Rüstungen beschützten ihn, als eine weitere, sogar noch mächtigere Flamme kam. Ironischerweise retteten ihn diese Trolle und Pandesier vor dem Tod.

Er hielt schwitzend am Schild fest und war kaum noch in der Lage zu stehen, als die Hitze der Drachen wieder und wieder zuschlug.

Kaum fähig länger zu stehen, wurde er ohnmächtig und betete mit allem, was er hatte, dass er nicht lebend verbrannt wurde.

KAPITEL SIEBEN

Vesuvius stand an der Ecke der Klippe, neben dem Turm von Kos und starrte auf die krachenden Wellen des Meeres des Leidens hinunter. Der Dampf des gesunkenen Feuerschwerts stieg nach oben in die Luft – und er grinste breit. Er hatte es geschafft. Das Flammenschwert war zerstört. Er hatte den Turm von Kos bestohlen, er hatte Escalon um seinen wertvollsten Artefakt bestohlen. Er hatte ein für alle Mal die Flammen gesenkt.

Vesuvius strahlte, schwindlig  vor Aufregung. Seine Handfläche pochte immer noch dort, wo er das brennende Schwert der Flammen ergriffen hatte. Er sah nach unten und betrachtete das eingebrannte Abzeichen. Er ließ seinen Finger über die frischen Narben streichen und wusste, dass sie für immer bleiben würden, ein Zeichen seines Erfolgs. Der Schmerz war unerträglich und doch verdrängte er ihn und zwang sich, sich nicht davon stören zu lassen. Tatsächlich hatte er sich beigebracht den Schmerz zu genießen.

Nach all diesen Jahrhunderten bekam jetzt endlich sein Volk sein Recht zurück. Sie würden nicht mehr länger nach Marda verbannt sein, im nördlichsten Teil des Reiches, in diesem unfruchtbaren Land. Nun würden sie ihre Rache für die lange Quarantäne-Zeit hinter der Flammenwand bekommen. Sie würden Escalon fluten und es in Stücke reißen.

Sein Herz setzte einen Moment aus, ihm wurde bei dem Gedanken. Er konnte es kaum noch erwarten, sich umzudrehen und den Teufelsfinger zu überqueren und zum Festland zurückzukehren und sein Volk in der Mitte von Escalon anzutreffen. Die gesamte Nation der Trolle würde sich auf den Weg nach Andros machen und zusammen würde sie einen Zentimeter nach dem anderen für immer zerstören. Es würde das neue Heimatland der Trolle werden.

Und doch, während Vesuvius da so stand und auf die Wellen und den Punkt, wo das Schwert gesunken war hinabsah, nagte etwas an ihm. Er sah nach draußen auf den Horizont und beobachtete das schwarze Wasser der Todesbucht und dort war noch etwas, etwas, dass seine Genugtuung störte. Während er den Horizont absuchte, konnte er in weiter Entfernung, ein einzelnes Schiff mit weißen Segeln ausmachen, welches an der Todesbucht vorbei und vom Teufelsfinger wegsegelte. Und als er es sah wusste er, dass etwas nicht stimmte.

Vesuvius drehte sich um und sah neben ihm zum Turm hinauf. Er war leer und seine Türen geöffnet gewesen. Das Schwert hatte auf ihn gewartet. Die, die es bewacht hatten, hatten es aufgegeben. Es war alles zu einfach gewesen.

Warum?

Vesuvius wusste, dass der Auftragskiller Merk das Schwert verfolgt hatte; er hatte ihn den ganzen Weg über den Teufelsfinger verfolgt. Warum sollte er es dann im Anschluss aufgeben? Warum segelte er weg von hier über die Todesbucht? Wer war die Frau, die mit ihm wegsegelte? Hatte sie denn Turm bewacht? Welche Geheimnisse versteckte sie?

Und wo gingen sie hin?

Vesuvius sah in den aufsteigenden Dunst des Ozeans und dann wieder in Richtung Horizont und seine Venen brannten. Er konnte nicht anders als zu vermuten, dass er überlistet worden war. So, als ob ihm ein ganzer Sieg genommen worden war.

Je länger Vesuvius darüber nachsann, merkte er, dass etwas nicht stimmte. Es war alles zu passend. Er inspizierte das grausame Meer unter sich, die Wellen krachten gegen die Felsen, der Dunst stieg nach oben und er realisierte, dass er die Wahrheit nie erfahren würde. Er würde niemals wirklich wissen, ob das Flammenschwert wirklich zu Boden gesunken war. Es war so, als ob etwas fehlen würde. So, als ob es vielleicht nicht das richtige Schwert gewesen war oder dass die Flammen nicht für immer unten bleiben würden.

 

Vesuvius brannte vor Entrüstung und traf eine Entscheidung: Er musste sie verfolgen. Er würde sonst niemals die Wahrheit wissen. Gab es irgendwo noch einen geheimen Turm? Ein anderes Schwert?

Und selbst wenn nicht, selbst wenn er alles erreicht hatte was er wollte, war Vesuvius berühmt dafür kein Opfer am Leben zu lassen. Er verfolgte immer jeden Mann bis zum Tod und hier zu stehen und zu beobachten wie sich diese zwei aus seinem Griff entzogen, gab ihm kein gutes Gefühl. Er wusste, er konnte sie nicht einfach ziehen lassen.

Vesuvius sah nach unten. Dutzende von verlassenen Schiffen waren immer noch an der Küste angebunden und schaukelten in den Wellen, so als würden sie auf ihn warten. Und dann kam er zu einer spontanen Entscheidung.

„Zu den Schiffen!“ befahl er seiner Trollarmee.

Gemeinsam drängelten sie sich alle nach vorne, um seinen Befehl auszuführen und stürzten die steinige Küste hinunter und auf die Schiffe. Vesuvius folgte ihnen und bestieg das Heck des letzten Schiffs.

Er drehte sich um, hob seine Hellebarde hoch in die Luft und durchschnitt das Seil.

Schon einen Augenblick später war er bereits mit allen Trollen unterwegs. Sie alle waren auf die Schiffe gequetscht und bereiteten sich auf die legendäre Todesbucht vor. Irgendwo dort am Horizont segelten Merk und dieses Mädchen. Und Vesuvius würde nicht eher aufhören, egal wohin er segeln musste, bis beide tot waren.

KAPITEL ACHT

Merk klammerte sich an die Reling, als er am Bug des kleinen Schiffs stand. Die Tochter des ehemaligen Königs stand neben ihm und beide waren in ihre eigene Welt versunken, während sie von den rauen Gewässern der Todesbucht hin und her geschleudert wurden. Merk starrte auf das schwarze, windgepeitschte mit weißen Schaumkronen versehene Wasser und konnte nicht anders als sich über die Frau an seiner Seite zu wundern. Seit sie den Turm von Kos verlassen und dieses Schiff betreten hatten, war das Rätsel um sie nur noch größer geworden. Er hatte so viele Fragen an sie.

Tarnis Tochter. Merk konnte es kaum glauben. Was hatte sie da draußen am Ende des Teufelsfingers eingeschlossen im Turm von Kos getan? Versteckte sie sich? War sie im Exil? Wurde sie beschützt? Wenn ja, von wem?

Merk spürte, dass sie mit ihren durchscheinenden Augen, ihrer zu blassen Erscheinung und unerschütterlichen Haltung von einer anderen Art war. Aber wer war dann ihre Mutter? Warum war sie alleine gelassen worden, um das Schwert der Flammen und den Turm von Kos zu bewachen? Wo war ihr Volk?

Und am meisten drängte es ihn zu wissen, wo sie ihn jetzt hinführte.

Eine Hand am Steuer lenkte sie das Schiff tiefer in die Bucht hinein, zu einem Ziel, welches Merk nicht kannte und sich nur vorstellen konnte.

„Du hast mir immer noch nicht gesagt, wohin wir fahren“, sagte er mit lauter Stimme, um den Wind zu übertönen.

Eine lange Stille kam auf, so lang, dass er unsicher war, ob sie überhaupt noch antworten würde.

„Dann sag mir zumindest deinen Namen“, fügte er hinzu als er realisierte, dass sie ihm nie gesagt hatte wie sie hieß.

„Lorna“, sagte sie.

Lorna. Ihm gefiel der Klang.

„Die drei Dolche“, fügte sie hinzu und drehte sich zu ihm. „Dahin  fahren wir.“

Merk erstarrte.

„Die drei Dolche?“ fragte er überrascht.

Sie schaute bloß weiter geradeaus.

Merk jedoch war erstaunt über diese Neuigkeit. Die drei Dolche waren die abgelegensten Inseln ganz Escalons und so tief in der Todesbucht gelegen, dass er niemanden kannte der tatsächlich schon einmal dorthin gereist war. Knossos, die legendäre Festung und Insel, war die letzte der Inselgruppe und es hieß, dass dort Escalons kämpferischste Krieger lebten. Es waren Männer, die auf der kargsten Insel, auf der trostlosen Inselgruppe im gefährlichsten Meer, das existierte lebten. Es hieß es waren Männer, die genauso rau waren wie das Meer, welches sie umgab. Merk hatte noch nie einen von ihnen getroffen. Niemand hatte das. Sie waren mehr eine Legende als dass sie wirklich existierten.

„Haben sich deine Wächter dorthin zurückgezogen?“ fragte er.

Lorna nickte.

„Sie erwarten uns jetzt“, sagte sie.

Merk drehte sich um und schaute über seine Schulter, er wollte einen letzten Blick auf den Turm von Kos erhaschen. In dem Moment in dem er dies tat blieb ihm bei dem Anblick fast das Herz stehen: Da, am Horizont waren dutzende von Schiffen mit aufgeblasenen Segeln, die sie verfolgten.

„Wir haben Gesellschaft“, sagte er.

Zu seiner Überraschung drehte sich Lorna nicht einmal um, sondern nickte bloß.

„Sie werden uns bis zum Ende der Welt verfolgen“, sagte sie ruhig.

Merk war überrascht.

„Auch wenn sie bereits das Flammenschwert haben?“

„Es war nie das Schwert hinter dem sie her waren“, berichtigte sie. „Es war die Zerstörung. Das Vernichten von uns allen.“

„Und wenn sie uns einholen?“ fragte Merk. „Wir können nicht alleine eine ganze Armee von Trollen bekämpfen. Und auch eine kleine Insel aus Kriegern, egal wie mutig sie sind, kann das nicht.“

Sie nickte immer noch unbeeindruckt.

„Wir könnten tatsächlich sterben“, antwortete sie. „Aber wir werden es in der Gesellschaft der Wächter tun und für unsere Wahrheit kämpfen. Es gibt noch viele Geheimnisse, die bewacht werden müssen.“

„Geheimnisse?“ fragte er.

Aber sie blieb nur still und beobachtete das Meer.

Er war kurz davor ihr noch mehr Fragen zu stellen, als ein plötzlicher Windstoß das Schiff fast zum kentern brachte. Merk fiel auf den Bauch und schlug gegen die eine Seite des Rumpfs und rutschte über den Rand.

Baumelnd klammerte er sich mit aller Kraft an die Reling und als seine Beine ins eiskalte Wasser eintauchten, realisierte er, dass er darin erfrieren würde. Er konnte sich nur mit einer Hand festhalten, er war schon fast komplett im Wasser. Er sah über die Schulter und sein Herz setzte für einen Moment aus, denn er konnte bereits einen Schwarm roter Haie ausmachen, die sich ihm langsam näherten. Er fühlte einen schlimmen Schmerz als sich Zähne in seine Wade bohrten und sah Blut im Wasser. Er wusste es war seins.

Einige Augenblicke später trat Lorna nach vorne und berührte mit ihrem Stab die Wasseroberfläche. Weißes, blendendes Licht breitete sich über der Oberfläche aus und die Haie verschwanden. In derselben Bewegung ergriff sie seine Hand und zog ihn zurück aufs Schiff.

Das Schiff korrigierte seine Position selbst als der Wind aufkam und Merk saß frierend, nass und schwer atmend mit einem schlimmen Schmerz in der Wade auf dem Deck.

Lorna untersuchte seine Wunde und riss ein Stück Stoff aus ihrem Hemd und wickelte es um sein Bein, um Blut zu stauen.

„Du hast mein Leben gerettet“, sagte er dankbar. „Es gab dutzende von diesen Dingern da drin. Sie hätten mich umgebracht.“

Sie sah ihn an. Ihre hellblauen Augen waren groß und hypnotisierend.

„Diese Kreaturen sind hier deine kleinsten Sorgen“, sagte sie.

Sie fuhren schweigend weiter. Merk kam langsam wieder auf die Beine und beobachte den Horizont. Diesmal hielt er sich mit beiden Händen fest an der Reling fest. Er studierte den Horizont, aber so sehr er auch schaute, die drei Dolche waren nirgendswo zu sehen. Er sah nach unten und beobachtete das Wasser der Todesbucht mit neuem Respekt und Angst. Er sah sich vorsichtig um und entdeckte Schwärme von roten Haien unter der Oberfläche. Sie waren unter den Wellen kaum auszumachen. Er wusste nun, dass ins Wasser zu fallen lebensgefährlich war – und er konnte nicht anders als sich zu fragen, welche anderen Kreaturen hier noch lebten.

Die Stille wurde tiefer und nur vom Heulen des Windes unterbrochen und als Stunde um Stunde verging hatte Merk das dringende Bedürfnis zu reden.

„Ich habe so etwas noch nie gesehen. Dass, was du mit deinem Stab gemacht hast.“

Lorna blieb ausdruckslos und beobachtete weiter den Horizont.

„Erzähl mir etwas über dich“, presste er hervor.

Sie warf ihm einen kurzen Blick zu und sah dann wieder zum Horizont.

„Was würdest du denn gerne wissen?“ fragte sie.

„Egal was“, antwortete er. „Alles.“

Lange blieb sie still, dann sagte sie endlich:

„Fang du an.“

Merk sah sie überrascht an.

„Ich?“ fragte er. „Was willst du wissen?“

„Erzähl mir über dein Leben“, sagte sie. „Alles was du mir erzählen willst.“

Merk atmete tief ein und drehte sich in Richtung des Horizonts. Sein Leben war das Einzige worüber er nicht reden wollte.

Und dann, als er realisierte, dass sie noch eine lange Reise vor sich hatten, seufzte er. Er wusste, dass er sich seinem gelebten Leben irgendwann stellen musste, auch wenn er nicht stolz darauf war.

„Ich bin den Großteil meines Lebens ein Mörder gewesen“, sagte er langsam und bereute es. Seine Stimme war ernst und voller Selbsthass. „Ich bin nicht stolz darauf. Aber ich war der Beste darin. Ich erfüllte Aufträge für Könige und Königinnen. Niemand war fähiger und besser als ich.“

Merk wurde still, er war gefangen von den Erinnerungen seines Lebens, die er bereute. Erinnerungen, an die er lieber nicht erinnert wurde.

„Und jetzt?“ fragte sie sanft.

Merk war dankbar als er im Gegensatz zu sonst, wenn er über sein Leben sprach, keine Wertung in ihrer Stimme wahrnahm. Er seufzte.

„Jetzt tue ich das nicht mehr. Das bin ich nicht mehr. Ich habe geschworen auf Gewalt zu verzichten. Und mir und meinen Diensten einen Sinn zu geben und für unser Recht und unser Ziel zu kämpfen. Aber es scheint, dass ich nicht davor weglaufen kann. Gewalt scheint mich immer zu finden. Es scheint, dass es immer einen neuen Grund gibt.“

„Und was ist dein Ziel?“ fragte sie.

Er dachte darüber nach,

„Ursprünglich war mein Ziel ein Wächter zu werden“, antwortete er. „Mich und meine Dienste in den Service zu stellen und den Turm von Ur zu bewachen und das Flammenschwert zu schützen. Als dieser dann fiel hatte ich das Gefühl den Turm von Kos erreichen und das Schwert retten zu müssen.“

Er seufzte.

„Und hier sind wir nun und segeln durch die Todesbucht, ohne Schwert, verfolgt von Trollen auf dem Weg zu einer unfruchtbaren Inselkette“, antwortete sie mit einem Lächeln.

Merk runzelte die Stirn.

„Ich habe mein Ziel verloren“, sagte er. „Den Sinn meines Lebens. Ich kenne mich selber nicht mehr. Ich weiß nicht in welche Richtung es geht.“

Lorna nickte.

„Das ist ein guter Ort zum Verweilen“, sagte sie. „Ein unsicherer Ort ist auch ein Ort voller Möglichkeiten.“

Merk beobachtete sie erstaunt. Er war ergriffen von ihrer fehlenden Verurteilung. Jeder andere, der diese Geschichte hörte, würde ihn verschmähen.

„Du verurteilst mich gar nicht“, bemerkte er geschockt, „dafür, wer ich bin.“

Lorna starrte ihn an, ihre Augen waren so intensiv wie der Mond.

„Dieser Mensch warst du einmal“, korrigierte sie ihn. „Aber das ist nicht das, was du jetzt bist. Wie kann ich dich verurteilen für etwas, was du einmal warst? Ich beurteile nur den Mann, der jetzt vor mir steht.“

Merk fühlte sich dank ihrer Antwort wie ein neuer Mensch.

„Und wer bin ich jetzt?“ fragt er. Er wollte die Antwort so gerne wissen, er war sich seiner nicht sicher.

Sie starrte ihn an.

„Ich sehe einen guten Krieger“, antwortete sie. „Einen selbstlosen Mann, der anderen helfen will. Und ein Mann mit Sehnsucht. Ich sehe einen Mann, der verloren ist. Ein Mann, der sich selbst nie gekannt hat.“

Merk sinnierte über ihre Worte nach und sie hallten in ihm wieder. Es war alles wahr. Zu wahr.

Es folgte eine lange Stille und ihr kleines Schiff fuhr die Wellen hoch und runter und bewegte sich langsam weiter in Richtung Westen. Merk sah sich um, aber die Troll-Flotte war immer noch am Horizont zu sehen. Glücklicherweise waren sie noch ausreichend weit entfernt.

„Und du?“ fragte er schließlich, „Du bist doch Tarnis Tochter oder nicht?“

Sie suchte den Horizont ab, ihre Augen glänzten und endlich nickte sie.

„Das bin ich“, antwortete sie.

Merk war verwundert dies zu hören.

„Aber warum bist du hier?“ fragte er.

Sie seufzte.

„Ich wurde schon seitdem ich ein kleines Mädchen war hier versteckt.“

„Aber warum?“ fragte er.

Sie zuckte mit den Schultern.

„Ich vermute, dass es zu gefährlich in der Stadt für mich war. Die Menschen durften nicht wissen, dass ich die uneheliche Tochter des Königs war. Es war hier sicherer.“

„Hier war es sicherer?“ fragte er. „Am Ende der Welt?“

 

„Ich wurde hierhergebracht um ein Geheimnis zu hüten.“ erklärte sie. „Ein Geheimnis, noch wichtiger als das gesamte Königreich Escalon.“

Sein Herz klopfte, er fragte sich, was es wohl war.

„Wirst du es mir erzählen?“ fragte er.

Aber Lorna drehte sich nur langsam um und zeigte nach vorne. Merk folgte ihrem Blick und erkannte dort am Horizont die drei unfruchtbaren Inseln, die aus dem Ozean ragten. Die letzte war eine solide Steinfestung. Es war der abgelegenste und doch schönste Ort, den Merk jemals gesehen hatte. Es war ein Ort, der weit genug weg von allem war, um alle Geheimnisse von Magie und Macht zu halten.

„Willkommen auf Knossos“, sagte Lorna.

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