Du sollst nicht morden

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Du sollst nicht morden
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NICOLAS KOCH (Hrsg.)


Die härtesten Kriminalfälle der Bibel


Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 9783865066398

© 2013 by Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers

Einbandgestaltung: Brendow Verlag, Moers

Titelgrafik: fotolia

Satz: Brendow PrintMedien, Moers

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014

www.brendow-verlag.de

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

I. Abgesang auf einen König

JUTTA WILBERTZ

II. Machtkampf

BODO MARIO WOLTIRI

III. Botafogo

ALBRECHT GRALLE

IV. Der Finger Gottes

FABIAN VOGT

V. Der König ist tot

GITTA EDELMANN

VI. Kai und Axel

MISCHA BACH

VII. Tödliche Grundstücksgeschäfte

RAINER BUCK

VIII. Lea lügt nicht

REGINA SCHLEHECK

IX. Ein perfider Plan

MICKEY WIESE

X. Rufmord im Paradies

ANNEKATRIN WARNKE

XI. Der Rosenberg

GABRIELE KEISER

XII. Feel the heat!

HARRY MICHAEL LIEDTKE

Biblische Vorbilder/Inspirationsgrundlage

Die AutorInnen

I.
Abgesang auf einen König

JUTTA WILBERTZ

„Der spinnt doch! Jetzt müssen wir noch mal alles neu machen!“

Frustriert klappt Tanja die Mappe zu, die ich ihr vorbeigebracht habe. Ich versuche ein Lächeln, was mir nicht gelingt. Sie hat ja recht.

„Tut mir leid, ehrlich. Er wollte das so einfach nicht abzeichnen.“

Das sieht man – statt der erhofften Unterschriften unter den beiden Angeboten ist alles mit einem dicken roten Filzstift mehrfach wild durchgestrichen, dazu etliche Anmerkungen wie „unprofessionelle Formulierung“ und „Angebotspreis zu niedrig“, Letzteres mit fünf Ausrufezeichen.

„Aber uns rennt die Zeit weg – wenn wir jetzt nichts anbieten, springt der Kunde ab. Daniel hatte alles genau berechnet, und der König war doch einverstanden gestern, es ging nur noch um die formale Ausarbeitung!“

Auch das stimmt. Unser Chef, Paul Königsfeld, hatte abends mit Daniel in seinem Büro gesessen und die Kalkulationen durchgeschaut, er wirkte hochzufrieden und hat mir sogar ein Kompliment gemacht, als ich den Kaffee reinbrachte. Die beiden haben geplaudert und gelacht, es war schön; fast so wie früher, als es noch Spaß gemacht hat, die Assistentin des Chefs zu sein.

Aber diese Momente sind selten geworden. Heute Morgen war ich jedenfalls heilfroh, dass sein Büro, mit mir im Vorzimmer, ziemlich isoliert in der oberen Etage liegt. Hier sind sonst nur noch die Konferenzräume – peinlich, wenn jemand sein Fluchen und Toben gehört hätte. Er sei nur von Idioten umgeben, und Daniel sei der Schlimmste, der torpediere ihn mit voller Absicht. Und dann hörte ich einen lauten Rumms, vielleicht hat er etwas vom Schreibtisch gefegt, das kommt in letzter Zeit auch immer öfter vor.

Als seine Tür aufging, schnappte ich mir schnell den Telefonhörer und gab vor, mit einer Flugbuchung beschäftigt zu sein. Er würdigte mich keines Blickes und knallte nur die Mappe auf meinen Tisch.

Genau das macht Tanja auch gerade mit der Unterschriftenmappe – sie knallt sie auf ihren Schreibtisch und stößt einen frustrierten Schrei aus.

„Was ist denn nur los mit dem? Das macht er in letzter Zeit ständig! Ich verstehe überhaupt nicht, wie man so jemandem die Geschäftsführung überlassen kann. Irgendwann hat er alles kaputtgewirtschaftet.“

„Also, ich glaube, er säuft“, sagt Thomas, der schräg gegenüber von Tanja sitzt und bisher mit resigniertem Gesichtsausdruck zugehört hat. „Die klassische Persönlichkeitsveränderung. Du wirst es nicht glauben, aber früher war der echt ’ne Legende! Und ein toller Chef dazu!“

„Was?“ Tanja starrt ihn verblüfft an. Dann lacht sie kurz auf. „Der war gut! Du klangst ja richtig überzeugend.“

„Nein, wirklich! In der Krise damals hat er den Karren aus dem Dreck geholt!“ Nun mischt sich Hans-Peter ins Gespräch. Er sitzt mit seinem Kaffee auf Tanjas Schreibtischkante, die Personalabteilung, in der er arbeitet, ist direkt nebenan. „Ohne ihn wäre unsere Produktion heute in Tschechien. Und wir arbeitslos.“

Ja, es hatte wirklich alles auf Messers Schneide gestanden damals. Tanja ist ja noch relativ neu in der Firma, aber Thomas, Hans-Peter und ich, wir erinnern uns gut. Es war furchtbar, wir alle waren vor Angst wie gelähmt, denn in unserer Kleinstadt sind Jobs nicht gerade reich gesät. Aber Paul Königsfeld hatte gekämpft wie ein Löwe, um den Standort zu halten – und letzten Endes hatte er die Firmenleitung im fernen Amerika überzeugen können. Damals entstand sein Spitzname „der König“, und der war durchaus ernst gemeint: Er hatte uns gerettet.

„Er war großartig“, sage ich und setze tadelnd hinzu: „Und ich glaube nicht, dass er trinkt.“ Eigentlich wollte ich mich raushalten, immerhin bin ich seine persönliche Assistentin und im Prinzip eine loyale, vertrauenswürdige und diskrete Person, die Gespräche über ihren Chef tunlichst vermeidet. Aber ich bin auch nur ein Mensch – mit irgendwem muss ich reden. Er war mal jemand, auf den man sich verlassen konnte. Nun aber wechselt seine Stimmung von einer Minute auf die andere. Vielleicht trinkt er ja doch. Das wäre zumindest eine Erklärung für sein unberechenbares Verhalten – aber nein, das wüsste ich. Und deshalb ist das Ganze ja auch so … ja, es ist unheimlich. Eben noch der freundliche, souveräne und gut aussehende Chef, den ich so lange gewohnt war, dann plötzlich ein wild tobender Stier mit blutunterlaufenen Augen, der herumbrüllt und die Tür so heftig zuwirft, dass die Wände zittern. Und wieder fünf Minuten später niedergeschlagen und kleinlaut, sodass er mir leid tut. Dr. Jekyll oder Mr. Hyde, ich weiß nie, wen ich antreffe, wenn ich die Tür zu seinem Büro öffne. Und ich habe immer häufiger Magenschmerzen und schlafe schlecht.

„Der König als strahlender Held, na, ob ich das glauben kann …“ Tanja ist skeptisch. „Obwohl, wenn ich‘s mir überlege, als ich letztes Jahr hier angefangen habe, war er tatsächlich nicht so chaotisch. Da war er auch noch ein Herz und eine Seele mit Daniel – und hat nicht ständig auf ihm rumgehackt.“

„Der hat’s jetzt schwer“, sagt Thomas mitfühlend, „dabei hat der König ihn selbst in die Firma geholt und war völlig begeistert von ihm. Und er ist wirklich topp in seiner Arbeit!“

„Allerdings“, empört sich Tanja von Neuem, „total unfair! Der König ist doch bloß neidisch! Und Daniel lässt trotzdem nichts auf ihn kommen. Er will einfach nicht wahrhaben, dass der Alte ihn absichtlich ausbremst und dass das hier …“, sie hebt anklagend die Mappe hoch, „ … reine Schikane ist.“

Thomas nippt nachdenklich an seiner Tasse Tee. „Na ja, Daniel denkt halt noch an den König von früher. Dass der sich inzwischen total verändert hat, blendet er irgendwie aus.“ Tanja lässt nicht locker. „Aber wie ist das passiert? Hat er irgendwelche privaten Probleme?“

Hans-Peter seufzt. „Okay, das habt ihr jetzt nicht von mir. Aber der König hat vor einiger Zeit die Amis brüskiert, und zwar richtig heftig. Hat eine Sache allein durchboxen wollen, ohne erst die nötigen Unterschriften von drüben abzuwarten. Das hat riesigen Krach gegeben, zumal er sich völlig im Recht fühlte und nicht einsehen wollte, dass er seine Kompetenz total überschritten hat. Na ja, da haben sie ihm ziemlich deutlich gesagt, dass er ihr Vertrauen verscherzt hat. Und seitdem hat er wohl Panik, dass Daniel an seinem Thron sägt.“

„Das würde Daniel nie tun, der ist so was von loyal.“ Tanja ist schon wieder auf hundertachtzig. „Der König spinnt doch, wenn er das glaubt!“

„Nicht wirklich.“ Hans-Peter hat seine Stimme noch weiter gesenkt. „Ich sollte ja nicht darüber reden, aber ich habe tatsächlich munkeln hören, dass die US-Firmenleitung überlegt, den König rauszusetzen und stattdessen Daniel den Posten anzubieten.“

 

„Echt? Daniel als Chef? Na, das wäre doch dann wirklich mal eine gute Nachricht“, ruft Tanja.

„Psst, sei ruhig, bist du wahnsinnig?“, zischt Hans-Peter und blickt sich verstört um, als ob Herr Königsfeld plötzlich im Türrahmen stünde. Was übrigens durchaus möglich ist. Früher hat er angeklopft, auch wenn eine Bürotür offenstand, heute könnte man fast den Eindruck gewinnen, er schleiche absichtlich umher, um das eine oder andere Wort über sich zu erhaschen. Aber nein, das kann ich mir nun doch nicht vorstellen. Ich meine, er hat schon noch einen gewissen Stil … obwohl, bin ich mir da wirklich sicher?

„Das würde ich Daniel jedenfalls total gönnen.“ Tanja hat endlich ihre Stimme gesenkt. „Und die ganze Firma würde begeistert applaudieren.“

„Wäre für uns alle das Beste“, nickt Hans-Peter. „Daniel ist ein feiner Kerl, er kann Menschen motivieren, ist sachlich, fair und kompetent. Als Führungskraft wäre er der absolute Glücksfall! Die Frage ist nur, ob er einem solchen Angebot überhaupt zustimmen würde.“

„Ach was“, platzt Tanja dazwischen, „Loyalität dem Boss gegenüber ist ja schön und gut, aber wenn der die ganze Firma ruiniert …“

„Daniel sollte gut auf sich aufpassen“, murmelt Thomas düster. „Wenn der König das spitzkriegt – ich trau dem inzwischen alles zu. Der ist doch völlig paranoid.“

„Ach, so schlimm wird’s schon nicht werden“, versuche ich abzuwiegeln und alle starren mich an. Ihnen wird wohl erst in diesem Moment klar, dass ich die ganze Zeit dabeigestanden und zugehört habe. Tanja sieht alarmiert aus, Hans-Peter und Thomas dagegen kennen mich, die wissen, dass ich den Mund halten kann. „Ich persönlich hätte auch nichts gegen Daniel als Chef einzuwenden“, setze ich vorsichtshalber hinzu und Tanjas Gesichtsausdruck entspannt sich. Das hatten wir früher auch nicht untereinander, dieses Misstrauen.

Langsam steige ich die Treppen zu meinem Büro hoch. Ich wäre gerne noch bei den anderen geblieben, aber Herr Königsfeld hat in letzter Zeit die Angewohnheit, durch die geschlossene Tür nach mir zu rufen – und wehe, ich bin dann nicht am Platz. Früher war er immer höflich, wenn er einen Wunsch hatte. Jetzt brüllt er. Das heißt, nein, auch nicht immer, vorgestern war er total nett und hat mir höchstpersönlich einen Kaffee gebracht. Ich weiß einfach nicht, was ich denken soll.

„Frau Endor, da sind Sie ja!“

Kaum sitze ich am Schreibtisch, hat er auch schon seine Verbindungstür aufgerissen und steht schwer atmend im Türrahmen. Ich ducke mich unwillkürlich, warte auf das Donnerwetter, aber es kommt nicht.

„Ich finde einen wichtigen Bilanzbericht nicht, haben Sie ihn weggeheftet?“ Seine Stimme klingt gepresst und seine Augen flackern.

„Nein, natürlich nicht.“ Nie würde ich es wagen, einfach etwas von seinem Schreibtisch zu nehmen. Nur das, was im Ausgangskorb liegt, der Rest ist für mich tabu.

„Gestern lagen einige Seiten mit Zahlen auf dem Sideboard neben den Unterschriftenmappen, meinen Sie vielleicht die?“, versuche ich seinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen.

Er starrt mich an, immer noch mit diesen unruhigen Augen.

„Das könnte sein.“ Und dann plötzlich mit schneidender Stimme: „Haben Sie etwas davon gelesen?“

„Nein.“

Er wirkt einen Moment erleichtert. Doch dann wird sein Ausdruck starr.

„Auf dem Sideboard sagen Sie? Wann?“

„Als ich den Kaffee reingebracht habe. Beim Meeting mit Daniel.“

Er stößt ein seltsames Geräusch aus, es klingt wie ein Knurren, und ich zucke zusammen.

„Natürlich! Jetzt wird mir alles klar! Diese kleine Ratte!“

Ich weiß, dass das jetzt wirklich nicht für meine Ohren bestimmt war und wende mich diskret ab, beginne zu tippen, gebe vor, nicht mehr zuzuhören. Er murmelt etwas Unverständliches, ich blicke noch einmal vorsichtig hoch und erschrecke. Er sieht furchtbar aus. Ohne mich zu beachten steht er da, stocksteif, das Gesicht dunkelrot, der Kiefer angespannt, die Augen lodern, fiebrig, wild.

„So hat er sich das also gedacht! Aber nicht mit mir, mit mir nicht!“

Ich ducke mich hinter meinem Bildschirm und bete, dass er jetzt geht. Ich bin ja schon einiges gewohnt, aber so habe ich ihn noch nie erlebt. Am liebsten würde ich aufspringen und den Raum verlassen.

„Rufen Sie mir Daniel rein. Sofort!“, bellt er und stürmt zurück in sein Büro. Die Tür knallt so laut zu, dass die Gläser in meinem Bewirtungsschränkchen klirren.

Mir ist ganz heiß und mein Herz rast. Was soll ich bloß tun? Ich möchte Daniel nicht anrufen! Ich mag ihn, wir alle mögen ihn. Wenn er jetzt zu Königsfeld reingeht, wird der ihn feuern, das ist offensichtlich. Und völlig absurd! Selbstverständlich hat Daniel nichts aus dem Büro mitgenommen, oder was immer ihm der König gerade unterstellen will. Wenn überhaupt, wären die Papiere versehentlich unter seine Kalkulation geraten. Nein, Daniel ist über jeden Zweifel erhaben!

Mein Telefon klingelt, ich hebe ab, spüre die Aggression durch den Hörer schwappen.

„Wo bleibt er denn?“

Königsfeld brüllt so laut, dass ich ihn auch ohne Telefon durch die geschlossene Tür verstehen kann.

„Er war gerade nicht am Platz, ich gehe ihn suchen“, lüge ich schnell, aber nun bleibt mir wirklich keine Wahl. Ich muss ihn finden und hineinschicken, sonst bin ich meinen Job los. Wie gesagt, hier in unserer Kleinstadt gibt es nicht viele Möglichkeiten, erst recht nicht für eine Frau mittleren Alters.

Gott sei dank ist Daniel wirklich nicht am Platz, ich habe mir also noch nichts zuschulden kommen lassen. Ich finde ihn in der Kaffeeküche, wo er mit Thomas steht, seinen Cappuccino trinkt und plaudert.

„Daniel, kannst du bitte sofort zu Herrn Königsfeld kommen?“

Ich wollte beiläufig klingen, aber das gelingt mir nicht. Thomas hebt ruckartig den Kopf, Daniel dagegen scheint ganz arglos.

„Klar, bin sofort da“, sagt er freundlich und stellt seine Tasse in die Spülmaschine. Er ahnt wirklich nicht das Geringste und ich komme mir schäbig vor. Also gut.

„Pass auf, er ist furchtbar wütend. So habe ich ihn noch nie erlebt. Wenn es dir lieber ist, dann sage ich, dass ich dich nicht gefunden habe und du wartest, bis er sich beruhigt hat. Sag ihm, du seist drüben in der Produktion gewesen und hättest dein Handy nicht dabeigehabt.“

„Danke, aber nein. Unangenehme Dinge sollte man nicht aufschieben.“ Daniel schenkt uns ein schiefes Grinsen.

Thomas wiegt bedenklich den Kopf. „Also, Daniel, wenn dir unsere ehrliche, loyale Claudia Endor anbietet, für dich zu lügen, dann muss es wirklich heftig sein. Überleg es dir lieber.“

„Nein, nein, ist schon okay. Ich kenne Paul, der ist nicht so wild, wie er aussieht. Wird sich schon alles aufklären.“ Dann ist er weg.

Thomas und ich starren uns schweigend an.

„Ich geh dann auch mal“, murmel ich schließlich. Meine Beine sind schwer, alles in mir sträubt sich, ich will nicht zurück, aber dann bin ich doch wieder in meinem Büro. Die Tür nach nebenan ist nur angelehnt. Ich will nicht lauschen, aber mir bleibt gar nichts anderes übrig.

„Das hast du dir fein ausgedacht! Mich anschwärzen, was? Dich in Amerika lieb Kind machen, was?“ Königsfelds Stimme überschlägt sich, sie klingt hysterisch, gellend, ich muss an eine Hyäne denken, diese Mischung aus schrill und heiser gleichzeitig, nicht, dass ich schon einmal eine gesehen hätte, nur im Fernsehen, ich schaue gerne Tiersendungen, was denke ich hier eigentlich?

Daniel klingt ruhig, fast beschwörend, ein Mann, der einem tollwütigen Hund gegenübersteht. „Paul, jetzt beruhige dich doch, ich weiß überhaupt nicht, wovon du sprichst!“

„Jetzt tu doch nicht so! Du scheinheilige Ratte! Fein rumgeschleimt hast du gestern Abend! Nur, um mich in die Pfanne zu hauen! Und dir hab ich vertraut!“

„Paul, ich habe keine Ahnung …“

„Meine Quartalsbilanz! Du hast sie! Aber das nutzt dir gar nichts. Und wenn du sie Big Boss drüben persönlich unter die Nase reibst, ich kann immer noch sagen, dass es eine erste Hochrechnung war und selbstverständlich nicht das endgültige Resultat, ich kann immer noch sagen, dass ich sie so nie rausgeben wollte!“

„Du hast die Quartalsbilanz gefälscht?“

Ich höre geradezu Davids Entsetzen, und auch mir wird eiskalt. Das kann doch nicht sein!

„Jetzt tu doch nicht so, als ob du das nicht wüsstest! Ich hatte doch gar keine Wahl, so wie die Amis die Schraube anziehen. Du hast das gleich gesehen, gestern Abend, dass die Zahlen nicht stimmen! Und darum hast du sie dir unter den Nagel gerissen, um denen gleichzeitig die richtigen Zahlen zu geben, damit die mich fertig machen! Du bist doch schon die ganze Zeit scharf auf meinen Posten!“

„Also, ich schwöre …“

„Aber ich kann den Spieß auch umdrehen, oh ja, ich hab immer noch genug Macht, mir wird man glauben! Wer bist du denn schon?“

Ich bin wie betäubt. Bilanzfälschung! Wie konnte Königsfeld so etwas tun? Nun ja, wenn es stimmt, was Hans-Peter gesagt hat, dann wackelt sein Stuhl erheblich. Wahrscheinlich wollte er drüben durch gefälschte Zahlen einen guten Eindruck machen und Zeit gewinnen. Aber es ist so – so unnötig! Und dumm, geradezu kriminell dumm! Meine Güte, wir sind im Plus, es war völlig überflüssig, irgendwelche Zahlen zu manipulieren! Wie kann ein so gewiefter Geschäftsmann wie Paul Königsfeld eine solch hirnrissige Aktion starten?

Weil er verrückt ist, durchfährt es mich, und ich erschrecke bei diesem Gedanken – und dann bricht nebenan die Hölle los. Ein lautes Krachen, Glas splittert, dazu ein Schrei: „Paul, bist du wahnsinnig?“, und gleichzeitig ein geradezu unmenschliches, hysterisches Kreischen: „Dich mach ich fertig!“. Ich sitze hier wie gelähmt, lieber Gott, ich muss etwas tun, was kann ich tun? Ich müsste die Polizei anrufen. Etwas donnert gegen die Wand und dann höre ich, nein das kann nicht sein, das sind Kampfgeräusche, ein Ächzen, ein Poltern, dazwischen Daniels Stimme: „Paul!“, und wieder kracht etwas gegen die Wand, und jetzt springe ich hoch und reiße die Tür zum Nebenzimmer auf.

„Paul, NEIN, NICHT!!!!“ Es ist meine Stimme, die sich da überschlägt, ich schwanke, halte mich am Türrahmen fest. Der Raum ist ein Schlachtfeld, alles voller Splitter, die Scheibe in der Glasvitrine ist zerborsten, auf dem Boden davor liegt der große, schwere Metall-Locher und ich sehe Paul, der Daniel an die Wand gedrängt hat, ich sehe die Schere, direkt an Daniels Kehle und ich sehe Daniel, der versucht, die Schere von sich wegzudrücken, ich sehe seine Hand, von der das Blut tropft.

„Paul, um Gottes willen!“, schreie ich noch einmal, und da blickt Herr Königsfeld hoch, schaut mich an, seine Augen flackern wild. Dann lässt er plötzlich die Schere fallen, sinkt zu Boden, vergräbt das Gesicht in den Händen.

Mit einem Sprung bin ich bei Daniel, er ist kreidebleich, hält seine Hand umklammert.

„Komm hier weg“, sage ich und ziehe ihn durch mein Büro hindurch in meine kleine Kaffeeküche. Ich suche den Verbandskasten, Daniel lässt kaltes Wasser über die Wunde laufen, sinkt dann in meinen Stuhl.

„Er hat mich angegriffen“, flüstert er heiser. „Er hat den Locher nach mir geschleudert. Wenn ich mich nicht gebückt hätte, hätte mir das Ding den Schädel zertrümmert. Und dann ist er mit der Schere auf mich los.“

Ich schaue mir den Schnitt an, er ist nicht tief, und es gelingt mir, die Wunde durch ein Pflaster zu verschließen.

„Ich versteh das nicht. Das ist doch der komplette Wahnsinn! Er hat mich angegriffen, ich meine, so richtig, der wollte mich umbringen …“

„Soll ich die Polizei rufen?“, frage ich, aber er schüttelt den Kopf.

„Ich weiß nicht, nein.“ Er schaut mich an. „Verdammt, es ist Paul! Ich verdanke ihm so viel!“

„Ich weiß, was du meinst. Er ist der König.“

„Daniel?“ Pauls Stimme von nebenan klingt brüchig und uralt. „Daniel? Bist du in Ordnung? Daniel, bitte, ist alles okay? Es tut mir leid, Daniel, bitte. Daniel!“

Es ist herzzerreißend. Daniel und ich schauen uns an, in seinen Augen steht das gleiche Mitleid, das ich auch empfinde. Und Trauer. Vor allem Trauer. Unser König ist gefallen. Wie konnte das geschehen?

„Ich geh zu ihm. Er wird mir nichts tun.“ Ich bin mir da plötzlich ganz sicher. Ich weiß nicht, was das ist, Loyalität, Co-Abhängigkeit, da sollen sich die Psychologen drüber streiten. Ich weiß nur, dass ich ihm jetzt helfen muss, und Daniel weiß das auch.

 

„Danke.“ Er steht auf. „Ich muss hier erst mal weg. Ich muss nachdenken.“

„Nimm die Notausgangstreppe.“

Er nickt. Wir müssen nicht besprechen, dass wir Stillschweigen bewahren werden. Das wird so sein. Bis auf Weiteres.

Paul Königsfeld sitzt immer noch auf dem Boden. Als ich hereinkomme, hebt er den Kopf, starrt mich an, das Gesicht eine einzige sorgenverzerrte Maske.

„Claudia?“

„Daniel ist in Ordnung“, sage ich schnell.

Die Erleichterung lässt seine Züge entgleisen. „Gottseidank“, stößt er hervor. Er schließt kurz die Augen, dann kommt er auf die Füße, geht schwankend zu seinem Schreibtisch, stützt sich ab. Wir stehen uns gegenüber in diesem verwüsteten Zimmer.

Er räuspert sich, versucht, seine Form wiederzufinden.

„Soll ich Ihnen einen Kaffee bringen?“, frage ich.

„Ja, das wäre sehr lieb, Frau Endor.“

Wir sind wieder beim Sie. Das ist gut, das erleichtert den Umgang. Denn wir müssen weiter miteinander umgehen, erst einmal.

„Ich mache gleich ein wenig Ordnung“, sage ich und beuge mich runter, um den Locher aufzuheben.

„Danke.“

Da sehe ich eine Papierecke unter der Glasvitrine, ich bücke mich und ziehe ein paar Blätter hervor. Es ist die gefälschte Quartalsbilanz – sie ist wohl gestern Abend unbemerkt darunter gerutscht.

Schweigend lege ich sie auf seinen Tisch.

„Danke“, sagt Herr Königsfeld noch einmal tonlos. Ein König weiß, wann er verloren hat.

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