SPQR - Der Fluch der Mumie

Текст
Автор:
Из серии: SPQR #4
0
Отзывы
Читать фрагмент
Отметить прочитанной
Как читать книгу после покупки
Шрифт:Меньше АаБольше Аа

Erste Aufgabe

Luke folgt einem spontanen Einfall. Sie bieten für andere übers Internet Hilfe zur Lösung unterschiedlichster Rätsel an. Warum nutzen sie ihren Spürsinn dann nicht für die Suche nach ihrem gefiederten Freund? Der Junge ist überzeugt, dass sie Remus‘ ungewöhnlich lange Abwesenheit als erste, neue Aufgabe betrachten sollten. Da sich an externen Aufträgen immer noch nichts tut, ist er der Meinung, aus der Nachforschung nach dem Vogel einen »offiziellen« Vorgang für das Detektivteam zu machen. Er ruft mit einem verschmitzten Lächeln ihre Homepage auf und startet mit der Eingabe.

Unter dem Titel: »Kolkrabe entflogen!«, beginnt er, sein Anliegen im Kontaktformular zu beschreiben. Er fährt nach kurzer Überlegung mit erläuternden Angaben fort.

»Ein stattlicher, junger Kolkrabe wird vermisst. Der Vogel ist auf einem ehemaligen Gutsgelände aufgewachsen und seit dem letzten Sommer zu einem treuen Freund von drei Jugendlichen geworden.

Er hört auf den Namen Remus. Sein Alter wird auf zwei bis drei Jahre geschätzt. Die Farbe seines Gefieders ändert sich inzwischen von mattem Braunschwarz in Schwarz. Es glänzt, je nach Lichteinfall, metallisch grün bis Blauviolett. Sein Äußeres entspricht dem eines erwachsenen Jungvogels. Die Iris der Augen ist dunkelbraun und sein Schwanz ist keilförmig. An der Kehle hängen schmale, längliche Federn.

Das zutrauliche und kluge Tier besitzt ein ungewöhnliches Sprachtalent. Es vermag gezielt die Worte: »Hallo, Junge, Mädels, Hilfe holen, Gefahr, Hüpfen, Folge mir! Sei leise, mein Freund!«, anzuwenden.

Remus wurde zuletzt vor drei Tagen gesehen. Es ist zu befürchten, dass er gefangen oder auch verletzt worden sein könnte.«

Unter Kontaktdaten gibt er seine neue E-Mail-Adresse Luke@SPQR-Detektive.de an.

Luke hat mit den Eingaben gleichzeitig die Brauchbarkeit der Kontaktseite getestet. Dass keine Beschränkung der Anzahl an Zeichen für das frei formulierbare Beschreibungsfeld existiert, findet er gut. Es besteht zwar die berechtigte Gefahr, wie Emma es nannte, dass hier ganze Romane verfasst werden könnten. Wenn jedoch alle Daten in wenige Schlagworte gepresst werden müssten, würden womöglich wichtige Informationen wegfallen. Gerade unwichtig erscheinende Kleinigkeiten können den Unterschied ausmachen, ob ein Rätsel entschlüsselt werden kann oder eben nicht. Die Wichtigkeit dieser Details ist demjenigen oftmals nicht bekannt, der sie bewerten und angeben muss.

Luke nickt zufrieden und klickt auf den Sendebutton. Fast im gleichen Augenblick vernimmt er den Signalton seines Handys, der eine eingegangene E-Mail-Nachricht verkündet. Emma hat das Formular so eingerichtet, dass nach dem Klick auf »absenden« nicht nur der potenzielle Kunde eine Empfangsbestätigung bekommt, sondern zeitgleich eine entsprechende E-Mail mit den eingegebenen Daten auf jedem Handy der drei Freunde erscheint. Sie wollen unbedingt vermeiden, zu spät von einem Auftrag zu erfahren.

»Lange Reaktionszeiten sind schlecht für eine Detektei«, dozierte Emma beim Einrichten der Seite. Sie hatten vorsichtshalber das gewünschte Funktionieren überprüft, dennoch zuckt Luke beim Erhalt der Nachricht kurz zusammen. Er hatte schon nicht mehr an diese Eigenschaft des Formulars gedacht. Der Junge schaut auf das Display und kraust zuerst verwundert die Stirn. Warum bekommt er zwei Meldungen? Gleichzeitig zu der Erkenntnis, dass er in diesem Fall schließlich Auftraggeber und Detektiv ist, schießt ihm eine weitere durch den Kopf. Eine Fehlfunktion für die Übertragung der Eingaben kann also ausgeschlossen werden. Der einfache Grund, weshalb sie keine Anfragen erreichen, ist der, dass niemand das Kontaktformular nutzt! Und die Kontaktaufnahme per E-Mail ebenso wenig.

Sollte Britta mit ihrem Vorschlag recht haben, mehr Reklame auf den verschiedenen Social Media Seiten zu machen? Der Junge ist nicht davon überzeugt, zumal Emmas dagegensprechenden Argumente in seinen Augen zutreffen. Er denkt an die Liste abgeschlossener Fälle. Wenn es über Wochen keine neuen Aufgaben für die Detektive gibt, wirkt das auf mögliche Kunden wenig vertrauenerweckend. Deshalb ist er entgegen seiner ersten Auffassung der Meinung, Remus‘ Verschwinden doch als Aufgabenstellung in die Übersicht aufzunehmen. Das ist dann eben ein aktueller Fall, an dem die Freunde arbeiten.

Luke hat eine Idee. Er will durch Emma in der Gestaltung der Liste eine Änderung vornehmen lassen. Sie soll zusätzliche Statusmeldungen in die Tabelle integrieren. Er stellt sich vor, dass für ein Rätsel, beziehungsweise jeden Vorgang, zuerst eine Zeile angelegt wird. Darin wird die Aufgabe mit einem Begriff oder Schlagwort versehen. In diesem Fall ist das: »Kolkrabe entflogen«. Darunter kommt eine Reihe mit den Spalten »angefragt«, »gestartet«, »Erkenntnisse« und »abgeschlossen«. Hier wird das jeweilige Datum eingetragen, woraus indirekt die Schwierigkeit eines Auftrags abgelesen werden kann. Anschließend folgt eine dritte Zeile, in die abschließende Bemerkungen platziert werden sollen. Der neue Aufbau nimmt vor den Augen des Jungen bereits Gestalt an, da meldet sich sein Handy erneut.

Wie so oft reagiert Britta als Erste der Freundinnen. Sie nutzt den Gruppenchat ihres Messengers.

»Was ist los, Luke? Hast du nochmal einen Probelauf des Kontaktformulars gemacht?«

»Das war es natürlich auch. Ich bin aber der Auffassung, dass wir sozusagen offiziell mit der Suche nach Remus starten sollten.«

»Sorgst du dich so sehr um unseren Freund? Das verstehe ich durchaus, denn mir geht es ähnlich! Ich vermisse sein keckes und oftmals drolliges Verhalten.«

»Macht euch nicht lächerlich«, antwortet nun auch Emma. »Remus findet sich recht gut in der Welt zurecht. Das hat er in vielen Situationen bewiesen. Ihm ist es vermutlich einfach zu langweilig geworden, jetzt, wo wir keinen Fall bearbeiten. Ihr werdet es erleben, er wird quietschvergnügt auftauchen und nach uns krakeelen. Ich kann schon sein: »Hallo Mädels!«, hören.«

Das Mädchen beabsichtigt offensichtlich, mit diesen Worten nicht nur die anderen, sondern auch sich selbst zu beruhigen.

»Schön wär’s«, denkt Luke. »Bis morgen. Wir sehen uns in der Schule«, sendet er zurück und schaltet sein Smartphone auf stumm. Er will versuchen, trotz seiner Sorge um den Freund, zu schlafen. Das gelingt nicht so einfach. Ihm gehen die bisher gelösten Fälle durch den Kopf, bei denen der Kolkrabe ebenfalls seinen Teil zur Lösung beigetragen hat.

Alleine drei von den vier Vorgängen beziehen sich auf den ursprünglich vor Jahrzehnten gefundenen, aber dann verschwundenen Schatz. Durch Remus‘ laute Rufe wurden sie auf das Mausoleum auf der Insel aufmerksam und konnten den viele Jahre zurückliegenden Diebstahl des Silberschatzes rekonstruieren. Das waren im Grunde genommen selbstgestellte Aufgaben. Der vierte Fall bezog sich dagegen auf das Verschwinden von Gisbert und Jens. Er ist der erste Auftrag, den sie von außen, nämlich von Ilse Lemkul erhalten hatten.

Lukes Gedanken driften in eine andere Richtung. Welches Anfangs- und Abschlussdatum ist für die einzelnen Vorgänge zu setzen, wenn die Seite, so wie vorhin überlegt, geändert wird? Soll der Tag genannt werden, an dem sie sich zum ersten Mal mit der Schatzsuche beschäftigten? Für den vierten Fall ist das einfach. Ilse Lemkul hatte sie am letzten Schultag vor den Herbstferien mit der Suche nach Jens beauftrag. Das Datum steht somit unzweifelhaft fest.

»Das ist alles unwichtig«, drängt er die Überlegungen in den Hintergrund. Viel wichtiger ist doch, wo Remus geblieben sein mag. – Soll er Kontakt zu Hiram Paltow aufnehmen? Das Tier könnte zu ihm geflogen sein. Auch wenn das nicht zutreffen sollte, hat der Leiter des Vogelparks womöglich eine Idee, wo die Freunde suchen könnten.

Der Junge schimpft mit sich, weshalb er dem Kolkraben beim letzten Fortfliegen nicht mit seinem Mofa gefolgt ist. Dann fällt ihm eine bessere, aber ebenfalls nicht genutzte Möglichkeit ein. Emma hatte den Vogel vor Monaten an das Tragen eines GPS-Tracker zu gewöhnen versucht. Die Freundin hatte lange nach einem besonders kleinen Exemplar gesucht und immer wieder mit Remus geübt. Obwohl der Tracker nur ein Gewicht von unter zwanzig Gramm besitzt und die Akkulaufzeit etwa eine Woche beträgt, sträubte sich der Kolkrabe meistens, das kleine Gerät zu akzeptieren. Es behinderte ihn keineswegs beim Fliegen, wie er beim bisher einmaligen Tragen unter Beweis gestellt hatte. Damals half gerade die Ortungsfunktion, den gefiederten Freund aus einer misslichen Lage zu befreien. Doch in den Tagen danach wollte Remus den Fremdkörper immer wieder entfernen, weshalb der Tracker seitdem ungenutzt in Remus‘ Prätorium herumliegt.

Luke schlägt sich vor die Stirn. Warum hatte er den Vogel nicht erneut an das Gerät zu gewöhnen versucht? Dann wüsste er vermutlich, wo der Vogel in diesem Augenblick steckt! Dabei wäre es egal, ob der vor Langeweile einfach nur ziellos in der Gegend herumfliegt. Das hatte Emma so ähnlich ausgedrückt. Wäre der Akku in dem Fall nicht bereits leer, bevor die Freunde den Vogel lokalisiert hätten?

Am Morgen wacht Luke völlig gerädert auf. Sein forschender Blick richtet sich sofort zum Fenster. Er springt aus dem Bett und öffnet es weit.

»Remus, komm zu mir!«, fordert er mit weithin schallender Stimme. Doch der Kolkrabe ist nirgends zu entdecken, und ein Krächzen ist auch nicht zu hören. Der Junge schließt die Fensterflügel und trottet enttäuscht erst ins Bad und dann nach unten. In der Küche wird er von seiner Mutter mit einem Morgengruß empfangen. Danach fragt sie:

»Ist er noch nicht heimgekehrt?«

Sie hat die Miene ihres Sohns richtig interpretiert. Der schüttelt den Kopf und lässt sich am Tisch auf einen Stuhl fallen.

»Ich habe kaum Lust, zur Schule zu gehen und würde stattdessen lieber nach Remus suchen.« Er spült einen ersten Bissen mit einem Schluck Orangensaft hinunter und fährt schnell fort. »Nein, keine Sorge, Mom. Ich fahre mit dem Mofa zum Gymnasium. Wir schreiben in der zweiten Stunde eine Mathearbeit, da möchte ich nicht fehlen. Obwohl ich mich vermutlich nur schlecht konzentrieren können werde. Aber möglicherweise haben Britta und Emma ja eine Idee …« Der Junge unterbricht sich und schaut schnell auf das Display seines Handys. Da er es auf lautlos gestellt hatte, hätte ihm eine Nachricht entgehen können. Doch es gibt nichts Neues. Er isst sein Brot, packt das für die Pause in seinen Rucksack und verabschiedet sich.

 

Draußen richtet Luke den Blick zum Himmel. Er ruft erneut nach dem Vogel, aber ebenso ohne Erfolg. Er schließt die Jacke und startet sein Mofa. Es ist Anfang April und noch empfindlich kalt, besonders auf dem Fahrzeug. Auf dem Schulhof warten die Freundinnen auf ihn. Sie beraten sich kurz, finden jedoch keinen Ansatz, wo sie mit ihrer Suche beginnen sollten. Ihnen wird kaum etwas anderes übrigbleiben, als auf den Zufall vertrauend, systematisch in der Umgebung der ehemaligen Gutsanlage nach Remus zu fahnden. Sie stimmen aber sofort zu, auf jeden Fall weitere Möglichkeiten bei Hiram Paltow zu erfragen.

Die Mathematikarbeit gelingt Luke wider Erwarten besser als gedacht. Er ist sogar zuversichtlich, keinen Fehler gemacht zu haben. Der nachfolgende Unterricht fesselt ihn erneut. Es geht in Geschichte um den Übergang von der Merowinger Ära hin zum Aufstieg der Karolinger.

Gegen Ende der Stunde vibrieren die Handys der Freunde. Sie werfen verstohlen einen kurzen Blick auf die Displays. Sie glauben zu träumen. Es gibt offenbar jemanden, der das Kontaktformular genutzt hat. Oder sollte Luke aus Versehen zweimal auf »Senden« gedrückt haben? Doch es existiert kein Grund, weshalb die E-Mails derart viel Zeit brauchen könnten, um bei ihnen anzukommen. Sie verfolgen die letzten Minuten des Geschichtsunterrichts mit nachgelassenem Interesse. Die Freunde können es kaum erwarten, in der Pause die entsprechende Nachricht aufzurufen.

»Was für ein Auftrag mag das sein?«, fragt Britta auf dem Weg nach draußen mit blitzenden, grünen Augen. »Ich tippe auf einen entwendeten Schmuck«, flüstert sie, um nicht von anderen Schülern auf dem Schulhof gehört zu werden.

»Das ist es offenbar nicht«, entgegnet Luke.

Die Freunde erreichen eine ruhige Ecke und öffnen die E-Mail mit den Formularangaben.

»Jemand ersucht uns um Hilfe …«, beginnt Emma mit einer Zusammenfassung der Anfrage.

»…, weil er von Alpträumen heimgesucht wird«, ergänzt die Freundin. »Das muss doch wohl ein Scherz sein!« Britta wirft die langen, roten Haare unwirsch nach hinten.

Wiederkehrende Bilder

Seit der ersten Nacht vor vielen Jahren wiederholt sich die beängstigende Bildersequenz in unregelmäßigen Abständen. Die mit Binden umwickelte Gestalt, die den Jungen zu fassen versucht, ist schon fast vergessen, doch dann erscheint sie dem Jugendlichen erneut. Er hat sich im Internet umgeschaut und Berichte über die Grabungen im Tal der Könige gelesen. Sollten die das ausgelöst haben?

Sobald er die Worte: »Du Dieb!«, vernimmt, rieselt ein Schauer den Rücken des Schlafenden hinab. Die gedämpfte Stimme veranlasst ihn, zu stöhnen. Seine Beine bewegen sich, als wolle er davonrennen. Die unheimliche Figur nähert sich allmählich.

»Du hast meinen Schatz gestohlen. Gib ihn zurück«, erklingt die drohende Forderung. »Ich werde dir überallhin folgen! Und ich werde dich kriegen, dann sollst du den Raub büßen!«

Der Text scheint der gleiche wie zuvor zu sein. So kommt es dem jungen Mann jedenfalls vor, sobald er wach ist. Er grübelt gelegentlich darüber, ob er von der Traumsequenz in jeder Nacht gequält wird. Sein Eindruck, dass das nicht der Fall ist, liegt vermutlich daran, dass er manchmal einfach nicht träumt. Zumindest, soweit er sich nach dem Aufwachen erinnern kann.

Das Alter, des im Traum Gejagten, ist unverändert bei fünf Jahren geblieben. Das deutet darauf hin, dass ein in der Vergangenheit liegendes Ereignis der Grund für das Erscheinen dieser Bilder ist. Doch was mag das gewesen sein? Die Gegend, in der der Verfolgte vor der Mumie zu fliehen versucht, kommt dem Jugendlichen heimatlich vor. Ob das daran liegen mag, dass er sie inzwischen vielleicht doch unzählige Male gesehen hat? Oder ist die Ursache einfach darin zu sehen, dass er aus Ägypten stammt und sich die Sequenz offensichtlich in einem nordafrikanischen Land abspielt?

Der Jugendliche schließt die Augen und sieht erneut die Bildersequenz in seinem Kopf. Er stellt erschauernd fest, dass der Verfolger allmählich aufholt. Wie soll er ihm entkommen können?

Der Wüstensand behindert ihn in seiner Flucht. Wird er seinen schwindenden Vorsprung wieder ausbauen können, sobald er nur erst die große Düne erklommen hat?

Der Jugendliche sieht im Traum die nächstfolgenden Bilder voraus. Doch obwohl er dadurch die kommende Situation vorausahnt, kann er deren Verlauf nicht beeinflussen. Deshalb gibt der heiße Sand wie stets zuvor unter den Füßen des Jungen nach. Die Sandalen finden keinen Halt in dem pulverigen Untergrund. Er rutscht langsam und beständig zurück. Wird die Mumie ihn in wenigen Momenten zu fassen bekommen?

Voller Zuversicht frohlockt diese: »Jetzt habe ich dich!«

Im gleichen Augenblick, da ihre weit vorgestreckten Hände gierig nach dem Verfolgten greifen, beginnt die Gestalt jedoch zu straucheln und rollt die Sanddüne hinab. Der Junge wendet sich erleichtert ab. Er versucht sein Heil auf allen vieren und gelangt auf diese Weise mühsam, aber schließlich erfolgreich, bis zur Kuppe hinauf. Aufatmend wirft er einen Blick zurück. Doch wohin er auch schaut, die grässliche Mumie ist nirgends zu entdecken.

Eine weitere Aufgabe?

Sollte die Nutzung des Kontaktformulars durch Luke sozusagen einen Damm gebrochen haben? Dass innerhalb weniger Stunden eine weitere Aufgabe für die jungen Detektive eintrifft, muss jedoch Zufall sein. Wenn es denn überhaupt eine ernst gemeinte Anfrage ist.

»Welche Personenangaben sind gemacht worden?« Der Junge interessiert sich insbesondere für die sachlichen Fakten. »Sollte das ein Joke sein, wird dort vermutlich »Mister X« oder Ähnliches stehen. Oh, es wurde tatsächlich eine E-Mail-Adresse eingetragen. Ob die wohl funktionieren wird? Hier steht lediglich Anwarwenn@tut.amun.«

»Ach wie witzig!« Britta zeigt ihren Ärger offen. Sie hatte gehofft, endlich eine neue Herausforderung zu erhalten. Und nun dieses! »Das ist offensichtlich ein Jux! Wir hätten in dem Formular doch auf die Angabe des Namens und des Wohnortes, sogar noch besser, auf sämtliche Daten einer Postanschrift bestehen sollen.«

»Das ist heutzutage antiquiert. Eine E-Mail-Adresse reicht zur Kontaktaufnahme völlig aus. Darüber können wir bei Bedarf alles Weitere erfragen. Außerdem könnten auch die von dir genannten Informationen durch unsinnige oder falsche Eingaben gefüllt werden. Was würde uns das helfen?«, verteidigt Emma den Aufbau des Formulars. »Je weniger eingegeben werden muss, desto einfacher kann eine Anfrage bei uns eintreffen.«

»Können wir denn herausbekommen, wer der reale Absender ist?«, versucht Britta einzulenken.

»Wir antworten an die E-Mail-Adresse«, entgegnet Luke, »und fragen nach diesen Details. Dass sich jemand mit Alpträumen an uns wendet, klingt nicht logisch. Ich würde mich wegen externer Hilfe eher an einen Arzt oder Psychologen wenden.«

Er schaut Emma fragend an, die seltsamerweise wie abwesend wirkt. Die Freundin rüttelt sie kurz an der Schulter.

»Was?«, entgegnet diese auffahrend. »Warum schüttelst du mich?«

»Hast du nicht mitbekommen, welche E-Mail-Adresse …«

»Das habe ich durchaus«, wird sie unterbrochen. »Ein Teil davon erinnerte an meine Reise mit den Eltern nach Ägypten.«

»Du meinst bestimmt Tutanchamun, den altägyptischen Herrscher«, springt Luke ihr zur Seite. »An den musste ich jedenfalls unwillkürlich denken.«

»Auf ihn scheint ein Teil der E-Mail-Adresse hinzuweisen«, stimmt Emma zu. »Obwohl »Anwarwenn« eher nicht dazu passen wird. Anwar ist zwar ein üblicher Vorname in den Ländern Nordafrikas, doch »Wenn« ist kaum ein aus der Region stammender Familienname, oder sollte das ein zusammenhängender Name sein?«

Sie verstummt und die Freunde schauen sie abwartend an. Sie hoffen, den Grund für ihre Nachdenklichkeit genannt zu bekommen. In den Weihnachtsferien war Emma mit ihren Eltern Aurelia und Siegfried nach Ägypten geflogen. Dort hatten sie die Ausgrabungsstätten im berühmten Tal der Könige besucht. Die Mutter ist Ägyptologin und der Vater Kenner der Jungsteinzeit. Sie wollten ihre Tochter durch Erfahrungen vor Ort für ihren Beruf begeistern, wie diese ihren Freunden erläutert hatte. Was mag es auf der Reise gegeben haben, dass einen Bezug zu der angegebenen E-Mail-Adresse im Kontaktformular herstellt?

Irgendeinen besonderen Grund muss es geben, weshalb Emma völlig untypisch noch immer in Gedanken versunken ist. Da ihre Freundin weiterhin grübelt, lesen Britta und Luke den erläuternden Text aus dem Formular durch.

»Seit Jahren durchwandere ich in unregelmäßigen Abständen in einem Alptraum eine Sandwüste. Ich spüre plötzlich, verfolgt zu werden. Wenn ich mich umdrehe, entdecke ich eine lebende Mumie. Sie ruft mir unsinnige Aufforderungen zu, nach denen ich ihr etwas gestohlen haben soll. Ich will voller Panik fliehen und beginne, eine große Düne auf Händen und Füßen hinaufzukrabbeln. Oben angekommen, ist mein Verfolger verschwunden.

SPQR, ich weiß nicht, wodurch diese Träume ausgelöst werden. Rettet mich!«

»Das klingt, als wäre es einem Drehbuch für einen Horrorfilm entnommen«, beginnt Luke nachdenklich. »Ob uns vielleicht Edgar Poh, der Regisseur des hier im vorigen Jahr gedrehten Gruselfilms, einen Streich spielen will? Womöglich ist das ein Versuch, Emma für eine Filmrolle in einem weiteren Projekt zu gewinnen?«

»Ein derartiges Verhalten würde ich schon eher dieser Schauspielerin Emilia Romana zutrauen, um unsere Freundin von der Übernahme einer neuen Rolle abzuhalten. Sie schien auf ihre Fähigkeiten und die erlangte Aufmerksamkeit des Regisseurs eifersüchtig zu sein. Nein, das passt wohl nicht! Es könnte allerdings zu einem Streich von Mitschülern aus der Parallelklasse passen. Besonders Albert Schramm und sein Freund Ferdinand Krum könnten sich für ihren vermeintlich zu Unrecht erhaltenen zweiten Platz rächen wollen. Ihnen traue ich es zu, dass sie versuchen, uns auf diese Weise hereinzulegen.«

Emma vernimmt die Worte, ohne aber ihren Sinn zu erfassen. Ihre Gedanken beschäftigen sich noch immer mit den Ereignissen der Ägypten-Reise, so dass sie den geäußerten Vermutungen nicht folgt. Sie schreckt heftig zusammen, weil in diesem Augenblick die Pausenglocke alle Schüler zum Unterricht ruft. Auf eine Erklärung für ihr Verhalten müssen die Freunde bis zum Schulschluss nach weiteren zwei Stunden warten.

Als sie schließlich das Gebäude verlassen, will Emma jedoch nicht sagen, worüber sie gegrübelt hat. Sie möchte vorher zuhause etwas überprüfen. Sie verweist darum auf einen späteren Zeitpunkt. Die Freunde verabreden sich für den Nachmittag in Remus‘ Prätorium.

Die Erwähnung des Kolkraben lässt Britta und den Jungen verstummen. Ihre Gedanken richten sich sofort auf mögliche Gründe für dessen Verschwinden.

»Die Sorge um Remus ist vermutlich überflüssig«, versucht Emma die anderen aufzumuntern. »Luke, ich gehe davon aus, dass dich unser gefiederter Freund bei der Heimkehr begrüßen wird. Du informierst uns sofort, versprochen?«

»Selbstverständlich«, entgegnet der Junge. »Falls das aber nicht zutrifft, werde ich über E-Mail Kontakt zu Hiram Paltow aufnehmen.«

»Dieser freundliche Besitzer des Vogelparks wird uns sicher helfen!«, ist Britta überzeugt. »Ich hoffe, dass Remus bei ihm untergeschlüpft ist, falls er sich womöglich von uns vernachlässigt fühlt.«

Luke starrt sie erschrocken an.

»Glaubst du das wirklich?«

Das Mädchen grinst verlegen und versucht ihn zu beruhigen.

»Ehrlich gesagt nicht. Ich stelle mir aber vor, dass Herr Paltow uns auf andere Weise zu helfen vermag. Er ist Tierarzt, der sich auf Vögel spezialisiert hat und zudem ein in der Fachwelt geschätzter Ornithologe. Auch wenn er unseren Freund nicht so gut wie wir kennt, wird er sein Verhalten möglicherweise erklären können. Er kann sicher abschätzen, ob Raben so etwas wie Langeweile kennen. Das wäre eine mögliche Erklärung für seine längere Abwesenheit.«

 

Jetzt erläutert Emma doch noch, weshalb sie in der Pause mit den Gedanken woanders gewesen ist.

»Sobald ich zuhause bin, werde ich diesen Anwarwenn anschreiben. Zuerst möchte ich seine Anschrift erfahren, um einen Täuschungsversuch ausschließen zu können. Wenn sich dadurch keine Person ermitteln lässt, sollten wir unsere Zeit nicht mit diesem Fall vergeuden. – Ich werde außerdem noch einmal meine Fotos von den Ausgrabungsstätten in Ägypten durchsehen. Irgendwie beschleicht mich das Gefühl, dort unbewusst etwas mitbekommen zu haben.«

»Worum geht es denn?«, versucht Britta herauszubekommen. »Du hattest uns nach der Rückkehr deine Aufnahmen gezeigt, ohne dabei ein besonderes Ereignis zu erwähnen.«

»Das gab es auch nicht«, grübelt Emma. »Oder anders gesagt, es war mir da noch nicht bewusst. Trotzdem blitzte irgendetwas in meinem Kopf auf, als ich die E-Mail-Adresse sah und sofort an Tutanchamun dachte. Hm. Ich bekomme es aber nicht zu fassen.«

»Versuche nicht, die Gedanken mit Gewalt aufzurufen«, rät Luke. »Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das selten hilft. Solltest du jedoch an etwas anderes denken, hast du urplötzlich das vor Augen, wonach du vorher verzweifelt gesucht hast.«

»Das weiß ich auch«, begehrt das Mädchen auf. »Deshalb hoffe ich, schnell Kontakt zu diesem Anwarwenn aufnehmen zu können. Falls das ein echter Name ist, finde ich möglicherweise auch einen Hinweis bei der Suche im Internet. Womöglich löst sich dabei gleichzeitig der Knoten in meiner Erinnerung. – Wann sollen wir uns treffen?«

»Es ist gut, dass wir heute schon nach der siebten Sunde frei haben«, beginnt Luke. »Könntet ihr gegen sechzehn Uhr bei mir sein? – Gut. Dann bis später.«

Mit einem kurzen, forschenden Blick zum Himmel stellt er enttäuscht fest, dass Remus ihn nicht von der Schule abholt. Das ist früher manches Mal geschehen, doch er kann die schwarze Silhouette heute nirgends entdecken.

Der Junge winkt zum Abschied. Er startet sein Mofa und fährt knatternd los. Britta und Emma gehen zu Fuß. Sie trennen sich nach dem Verlassen des Schulhofs, um zu ihren Wohnungen in der Speicherstraße und in der Wasserstraße zu gelangen. Die befinden sich von der Schule aus in unterschiedlichen Richtungen.

Купите 3 книги одновременно и выберите четвёртую в подарок!

Чтобы воспользоваться акцией, добавьте нужные книги в корзину. Сделать это можно на странице каждой книги, либо в общем списке:

  1. Нажмите на многоточие
    рядом с книгой
  2. Выберите пункт
    «Добавить в корзину»