Träume - Spiegel der Seele, Krankheiten - Signale der Seele

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Der Traum – die Vorbereitung auf das Morgen

Im Traum spielen Affekte und Gefühle eine große Rolle. Sie haben ein stärkeres Gewicht als die Intellektualität. Ungehemmt von Rücksichten auf Sachlichkeit und Logik nimmt der Träumer zu aktuellen Fragen seines Lebens Stellung.

Viele Träume bestätigen, dass es um entscheidende Ereignisse geht, die in naher Zukunft anstehen. Es geht um Prüfungen, die bestanden, um Entschlüsse, die gefasst, um Aufgaben, die gelöst und bewältigt werden wollen. Der Traum spiegelt von daher unser »Bewegungsgesetz« wider, wie Alfred Adler die Grundmuster nennt, die wir in der Kindheit entwickelt und trainiert haben. Das »Bewegungsgesetz« (vgl. S. 54 – 57) enthält unsere grundsätzlichen Zielvorstellungen, unsere Ansichten, wie wir Aufgaben anpacken, wie wir Verantwortung wahrnehmen, also die Art, wie wir das Leben meistern. Adler sieht im Traum eine Bewegung vom Heute zum Morgen.

Eine depressive Patientin, die eine lange seelsorgerlich-therapeutische Begleitung erfahren hat, träumt gegen Ende der Beratung:

»Ich sitze im Garten allein auf der Bank. Mir ist unwohl. Plötzlich kommt ein Gewitter, verbunden mit einem Sturm. Ich renne ins Haus, wo ich mich sicher weiß, wo mein Mann im Arbeitszimmer eine Predigt vorbereitet. Offensichtlich freut er sich, dass ich komme. Er schaut mich eine Weile an, dann reicht er mir einige dicke Bücher. Offensichtlich soll ich etwas nachschlagen. Ich gehe mit einem guten Gefühl an die Arbeit.«

Die Träumerin wollte sich in der Depression von ihrem Mann trennen, von dem sie sich im Stich gelassen fühlte. Schon vor Monaten war sie ausgezogen und wohnte bei ihrer Schwester. Im Traum trifft sie eine neue Entscheidung. Sie sieht sich selbst auf die Bank im Garten abgeschoben und allein gelassen. Die Träumerin erkennt, dass sie selbst aus eigenen Stücken die Bank im Garten ausgesucht hat. Sie selbst hat Haus und Ehe verlassen.

Der Traum beschert ihr ein Gewitter, sie deutet es als die Bedrohung von draußen, als Widrigkeit des Lebens. Im Gewitter sind bildlich alle Stürme des Lebens gedeutet, die ihr auf der Bank schutzlos und allein widerfahren. Sie rennt ins Haus, in die Geborgenheit, die sie vor Monaten verzweifelt hinter sich gelassen hat. Die Trennung und die seelsorgerlichen Gespräche haben sie reifer gemacht. Die Ehe kann sie weniger erregt aus der Distanz beleuchten. Sie kann ihre Vorurteile als solche akzeptieren.

Der Traum signalisiert ihr, dass sie ihrem Mann eine »Gehilfin« sein will, eine Mitstreiterin. Der Mann zeigt ihr nicht die kalte Schulter, sondern freut sich. So empfindet sie es in ihrem Traum, in ihrem Herzen. Die Arbeit des Mannes, die ihr in der Depression zum Horror wurde, wertet sie im Traum mit anderen Augen. Sie hat in der Tat eine tief greifende Veränderung erfahren.

Die junge Frau, die in der Depression glaubensmäßig stark angefochten war, erkennt im Traum Gottes Weisung. Der Traum vermittelt ihr mit unwiderlegbarer Gewissheit, dass sie die Ehe wieder aufnehmen soll.

Für den Beratungsprozess hat dieser Traum noch eine weitere Bedeutung. Er zeigt, dass die Ratsuchende sich geändert hat. Ihr Lebensstil ist korrigiert worden. Diese Frau hat Einsichten in die Tat umgesetzt. Der Traum, der einen Einblick in die Abgründe des Herzens offen legt, demonstriert, dass sie ihre Fehler und Sünden eingesehen hat.

Träume verdeutlichen, ob Änderungswünsche Wirklichkeit geworden sind. Seelsorger und Berater erhalten unaufgefordert eine Bestätigung, wie effektiv der Beratungsprozess verlaufen ist.

Der Traum offenbart unsere Lebenslügen

Was können Christen selbst tun, um dem Traum gerecht zu werden? Wie können wir uns davor schützen, zweifelharten Wunschbildern Glauben zu schenken? Der Lebensstil, der im Traum zur Sprache kommt, macht deutlich, welche Lebens-Grundüberzeugungen wir hegen und welchen Wunschbildern wir nachhängen. Der Traum steht niemals für sich. Er muss mit den Leitmotiven im Leben konfrontiert werden.

Wir verdrängen den Traum nicht und halten ihn nicht für phantastische und chaotische Gedankenfetzen ohne Sinn und Verstand. Wir trauen Gott zu, dass er uns durch Träume ermutigt, bestätigt, warnt und unsere geheimsten und verstecktesten Wünsche, die in uns schlummern, ans Licht bringt. Auch trauen wir Gott zu, dass er uns im Traum unsere Konflikte, unsere Spannungen und unsere Vorurteile bewusst macht, die wir dann in seiner Kraft korrigieren können. Wir rechnen damit, dass Gott uns einen Spiegel vorhält, um uns mit dem Schatten und den uns verborgenen Seiten unserer Persönlichkeit zu konfrontieren.

Ein schlichter und eindrücklicher Traum mag das verdeutlichen:

»Ich bin auf einer Party. Eine Reihe Männer und Frauen stehen im Raum herum und unterhalten sich. Ich stehe in einer Ecke allein.

Dann wird eine Torte von einem Bediensteten herumgereicht. Jeder bekommt ein Stück. Ich beobachte gespannt die Szene. Als der Tortenteller in meine Nähe kommt, ist kein Stück mehr drauf.«

Der Ratsuchende wacht auf und spürt körperliche Schmerzen einer schweren Kränkung.

Ich: »Wie ist Ihr Hauptgefühl an der dichtesten Stelle dieses Traumes?«

Sofort platzt es aus ihm heraus: »Ich komme zu kurz. Ich werde benachteiligt. Mein Hauptgefühl ist, ich werde ungerecht behandelt.«

Ich: »Spiegelt sich dieses Lebensgefühl heute und hier in Ihrem Leben wider?«

Er: »Meines Erachtens überall. Was ich auch anstelle, ich werde das Gefühl nicht los, man behandelt mich ungerecht.«

Der Traum spiegelt das subjektive Lebensgrundgefühl dieses Mannes wider. In einem symbolträchtigen Bild wird ein zentrales Lebensproblem komprimiert.

Eine alte, schmerzliche Wunde, die nicht verheilt ist, prägt diesen Ratsuchenden. Diese Wunde wurde zur Lebenslüge, zu einer Behauptung, die mit der Realität nicht übereinstimmt, aber sein ganzes Leben beeinflusst. Er glaubt felsenfest an die Zurücksetzung. Das Tragische ist, dass er wie ein ungerecht Behandelter reagiert. Seine zwischenmenschlichen Beziehungen mit Männern und Frauen, besonders mit Frauen, verlaufen so, dass er überall eine Zurücksetzung wittert und wie ein schwer gekränkter Mensch zurückschlägt. Er wird jähzornig und verletzt andere Menschen. Viele Beziehungen kommen in die Krise, viele Begegnungen verlaufen für ihn belastend.

Der Ratsuchende kann den Traum als Fingerzeig Gottes aufnehmen, an dieser irrationalen Überzeugung und der Lebenslüge zu arbeiten. Denn erst was wir klar und eindeutig durchschaut haben, können wir konkret ins Gebet nehmen und ändern.

Träume offenbaren unsere Vorurteile und falschen Denkansätze. Wir trauen Gott zu, dass er die Lebenslügen, an die wir glauben, im Traum enthüllt.

Wir beten, dass Gott uns innere Klarheit über diese irrationalen Überzeugungen schenkt oder über einen Seelsorger uns die Augen öffnet, den irrigen Lebensstil zu erkennen und zu ändern. Mit dem Psalmbeter können wir beten:

»Herr, du durchschaust mich, du kennst mich durch und durch. Ob ich sitze oder stehe, du weißt es, du kennst meine Pläne von ferne … Durchforsche mich, Gott, sieh mir ins Herz, prüfe meine Wünsche und Gedanken! Und wenn ich in Gefahr bin, mich von dir zu entfernen, dann bring mich zurück auf den Weg zu dir!« (Psalm 139,1 – 2 und 23 – 24)

Ein solches Gebet um innere Erleuchtung, die der Heilige Geist dem Betenden schenken kann, wird Gott erhören.

Der Beter kann auch zusammen mit dem Seelsorger um innere Klarheit ringen.

Die Einsicht ist der erste Schritt, eine Kurskorrektur der Lebenslüge einzuleiten.

Mit der Himmelfahrt Jesu haben wir Christen die Verheißung, dass der Heilige Geist uns tröstet, für uns eintritt und Worte auch für das findet, was wir nicht ausdrücken können. Er wird uns helfen, unerklärliche Ängste und Befürchtungen, rätselhafte Depressionen und tief verwurzelte Vorurteile, die die Lebenskraft beeinträchtigen, zu erhellen und zu verändern.

Viele ernsthafte Christen lesen täglich in der Bibel. Sie suchen Weisung für ihr Leben und beten um Klarheit bei Problemen und unergründlichen seelischen Schwierigkeiten. Viele neigen unbewusst dazu, ihre unverstandenen Lebenslügen und ihre Neurosen, die Unwahrheit einschließen, dem Heiligen Geist zu öffnen. (Die Neurose kann auch eine Lebenslüge sein. Sie enthält eine uneingestandene, unbewusste Unwahrheit.)

Das Traumgeschehen, das wir in der Seelsorge betend miteinander bedenken, kann eine Hilfe sein, unseren Nöten, auch denen, die wir nicht wahrhaben wollen, ins Gesicht zu schauen.

KAPITEL 4

Begriffe in der Praxis der Traumdeutung

Die verschiedenen psychologischen Schulen arbeiten jeweils mit verschiedenen Begriffen. Es ist daher hilfreich, wiederkehrende Begriffe kurz darzustellen, um Missverständnisse zu vermeiden. Da sich die tiefenpsychologischen Schulen (Freud, Adler und Jung) inhaltlich voneinander unterscheiden, ist es erklärlich, dass sie auch Träume unterschiedlich werten und gewichten.

Manifester Traum – latenter Traum – Traumarbeit und Traumanalyse

Sigmund Freud nennt den Traum, den wir erinnern, den »manifesten Traum«. Es handelt sich dabei um die Bilder, Symbole und Ereignisse, die uns beim Erwachen noch gegenwärtig sind. Die Hintergrundmotive, die versteckten Absichten und das, was uns das Unbewusste sagen will, nennt Freud den »latenten Traum«.

»Den Vorgang der Verwandlung vom latenten zum manifesten Trauminhalt werde ich die Traumarbeit nennen … Der Gegensatz vom manifesten und latenten Trauminhalt … hier finden sich die Rätsel vor, die erst verschwinden, wenn man den manifesten Traum durch den latenten Gedankeninhalt ersetzt.«1

 

Die eigentliche Traumdeutung nennt Freud die Analysearbeit. Sie beabsichtigt, den manifesten Traum auf seine latenten, verborgenen Wünsche und Ziele hin zu untersuchen. (Ich halte mich in diesem Buch nicht an die Formulierungen Freuds, weil sie in meinem Konzept eine untergeordnete Rolle spielen.)

Die Traumdeutung ist in der Regel eine wirkliche Arbeit und erfordert umfassende Kenntnis der menschlichen Persönlichkeit. Da der Traum nur aus der Kenntnis der Gesamtpersönlichkeit erschlossen werden kann, ist es wichtig, niemals den Ratsuchenden oder den Träumer nur von der Deutung des Traumes allein zu verstehen. Auch wenn Freud den Traum als den »Königsweg« zum Menschen charakterisiert, ist es bedenkenswert, folgende Elemente bei der Deutung zu berücksichtigen:

 Tagesreste, Eindrücke des vergangenen Tages,

 gegenwärtige Probleme, Probleme der Charakterstruktur, frühkindliche Erinnerungen,

 spezielle Ängste und Schwierigkeiten,

 wichtige Lebensstilaspekte.

Nur dann kann man einer Gesamtaussage über diesen Menschen gerecht werden. Dieses Sehen im Zusammenhang bewahrt Seelsorger und Berater vor Fehleinschätzungen. Je sicherer ein Seelsorger diese Zusammenhänge erkennt und die Linien verschiedener Aussagen miteinander verknüpfen kann, desto umfassender fühlen sich Ratsuchende verstanden.

Die Traumentstellung – die Traumzensur

Warum sind die Träume so verworren? Warum sind viele Träume für den Durchschnittsmenschen nicht auf Anhieb durchschaubar? Freud hat hier von der »Zensur« gesprochen. Er kommentiert die Traumzensur folgendermaßen:

»Wer an dem Gesichtspunkte der Zensur als dem Hauptmotiv der Traumentstellung festhält, der wird nicht befremdet sein, aus den Ergebnissen der Traumdeutung zu erfahren, dass die meisten Träume der Erwachsenen durch die Analyse auf erotische Wünsche zurückgeführt werden …

Seitdem wir die in ihren Äußerungen oft so unscheinbare, regelmäßig übersehene und missverstandene infantile Sexualität kennen gelernt haben, sind wir berechtigt zu sagen, dass fast jeder Kulturmensch die infantile Gestaltung des Sexuallebens in irgendeinem Punkte festgehalten hat, und begreifen so, dass die verdrängten infantilen Sexualwünsche die häufigsten und stärksten Triebkräfte für die Bildung der Träume ergeben.«2

Freud geht davon aus, dass erotische Wünsche im manifesten Traum als asexuell erscheinen sollen und daher in der Traumzensur »entstellt« werden, wie er das bezeichnet.

Da sexuelle Vorstellungen angeblich tabuisiert und verdrängt werden, dürfen lediglich Andeutungen, Anspielungen und indirekte Aussagen im Traumgeschehen auftauchen.

Der Träumer kennt im Allgemeinen nicht die Bedeutung der sexuellen Symptome, die er in der Traumarbeit verwendet. Freud nimmt aber an, dass diese Symptome weit über Länder- und Sprachgrenzen hinausgehen und Träumer aller Länder vereinen.

Freud will daher in seiner Analysearbeit auf die Deutung der alten Völker zurückgreifen, die – so nimmt er an – mit der Psychoanalyse im Verstehen sexueller Symbole übereinstimmt.

Diese Aussage Freuds, dass sexuelle Symptome in der Regel verdeckt zur Sprache kommen, erscheint überaus einleuchtend. Sie kann zutreffend sein. Aber die Traumentstellung einseitig auf die Verdrängung sexueller Wünsche zu reduzieren macht sie fragwürdig. Ich bin mit Alfred Adler, dem Begründer der Individualpsychologie, der Meinung, dass alle Aspekte, die die Lebens-Grundüberzeugungen zur Sprache bringen, im Traum unverdeckt, aber in Bildern und Symbolen erscheinen. Das heißt, im Traum, der

 den Lebensstil spiegelt,

 das Bewegungsgesetz dieses Menschen charakterisiert (ob er pessimistisch oder optimistisch, zwanghaft oder mutig ans Leben herangeht),

 eine Spiegelung der Lebens-Grundüberzeugungen darstellt und diese zur Sprache bringt,

kommen unterdrückte sexuelle Vorstellungen und vom Lebensstil ausgeblendete Gedanken ans Licht.

Der Träumer vergisst – wie im Wachzustand –, was er vergessen möchte. Er unterschlägt, was er unterschlagen möchte. Die »Traumentstellung«, wie sie Freud charakterisiert, entspricht der subjektiven Wahrnehmung des Träumers, ist also keine Traumentstellung, sondern Ausdruck des Lebensstils.

 Ich sehe, was ich sehen will,

 ich höre, was ich hören will,

 ich fühle, was ich fühlen will,

 ich empfinde, was ich empfinden will.

Meine unverstandenen Äußerungen – im Wachen oder im Schlafen – sind Äußerungen meines Lebensstils, meiner Einstellung zu Gott und den Menschen.

Adler schreibt zur Traumzensur: »Was aber Freud ›die Zensur‹ nennt, ist nichts anderes als die größte Entfernung von der Wirklichkeit im Schlafe, ein beabsichtigtes Fernbleiben vom Gemeinschaftsgefühl, dessen Mangelhaftigkeit eine normale Lösung eines vorliegenden Problems verhindert, sodass das Individuum, wie in einem Schock, anlässlich einer erwarteten Niederlage einen anderen Weg zu einer leichteren Lösung sucht, zu dem ihm die Phantasie, im Banne des Lebensstils, abseits vom Commonsense (vom Gemeinschaftsgefühl) behilflich sein soll.«3

Die Traumzensur kommt in der Individualpsychologie Alfred Adlers nicht vor, sie ist überflüssig.

Das Gemeinschaftsgefühl ist für Alfred Adler das Barometer

 für seelische Gesundheit,

 für Beziehungsfähigkeit,

 für ein konstruktives Zusammenleben.

Der Mensch, der auf Grund seiner Lebensführung dieses Gemeinschaftsgefühl vermissen lässt, weicht im Leben und im Traum der Verantwortung vor Gott und vor dem Nächsten wie auch den Anforderungen des Lebens aus. Er sucht eine »leichtere Lösung«, die sich aber als gemeinschaftsfeindlich entpuppt.

Wo Freud die Verdrängung sexueller Wünsche anspricht, spricht Adler von gestörten Beziehungen. Für Adler gibt es keine Traumzensur. Der Traum offenbart unser Denken, Fühlen und Handeln und damit unseren Lebensstil. Ist die Beziehungsfähigkeit untergraben, kommen im Traum die »leichten Lösungen« zur Sprache, die sich der Träumende zurechtlegt.

Wie können »leichte Lösungen« im Traum und im Leben aussehen?

 Der Träumende tritt auf der Stelle, er geht nicht vorwärts;

 der Träumende wird krank oder ohnmächtig und reagiert mit Angst;

 der Träumende überlässt anderen die Arbeit und die Verantwortung;

 der Träumende empfindet Reue und Schuld, aber er tut nichts;

 der Träumende – wie der Mensch im Alltag – hält sich für klein, untauglich, hilflos und schwach. Er glaubt an seine Unfähigkeit und weicht dem Leben aus.

Worin besteht die Entstellung des Traumes? Freud spricht von der Traumzensur. Adler schreibt:

»Daraus aber folgt die wichtigste Funktion des Traumes, den Träumer auf einen Abweg vom Commonsense, vom Gemeinschaftsgefühl, zu führen … Im Traum begeht also der Träumer einen Selbstbetrug. Unserer Grundanschauung gemäß können wir hinzufügen: einen Selbstbetrug, der ihn angesichts eines Problems, für das sein Gemeinschaftsgefühl nicht ausreicht, auf seinen Lebensstil verweist, damit er das Problem diesem entsprechend löse. Indem er sich von der Wirklichkeit losreißt, die soziales Interesse verlangt, strömen ihm Bilder zu, die sein Lebensstil ihm eingibt.«4

Das heißt für uns:

 Der Lebensstil spiegelt sich in den Bildern des Traumes wider. Es gibt keine Zensur.

 Der Lebensstil drückt unbewusste, vielleicht neurotische und irrige Ziele aus, die der Nächstenliebe oder dem Gemeinschaftsgefühl zuwiderlaufen.

 Der Träumer produziert Bilder, die einem grandiosen Selbstbetrug gleichen. Er phantasiert Möglichkeiten, um auf gemeinschaftsfeindliche Weise zu Lösungen zu kommen.

Und ein letzter Gedanke, wie Adler die unverstandenen Äußerungen des Traumes kommentiert: »Die Unverständlichkeit des Traumes, eine Unverständlichkeit, die sich im Wachen in vielen Fällen ebenso konstatieren lässt, wenn einer mit weit hergeholten Argumenten seinen Irrtum befestigen will, ist demnach Notwendigkeit und nicht Zufall.«5

Das Unverstandene ist das Unbewusste. Wenn jemand beispielsweise im Traum sich als Kind klein und hilflos im Bett liegen sieht, gibt er damit zu verstehen,

 dass er nicht wie ein Erwachsener gefordert werden will,

 dass er der Verantwortung ausweicht,

 dass er lieber wie ein Hilfloser angesehen und behandelt werden möchte.

Traum und Lebensstil spiegeln im Schlaf wie im Wachen einen Menschen wider, der im verantwortlichen Zusammenleben Störungen und Fehlhaltungen aufweist.

Der Traum als Wunscherfüllung

Für Sigmund Freud sind Träume in erster Linie Wunscherfüllungsträume. Nach seiner Meinung sind Wünsche Erreger des Traumes. Über Kinderträume schreibt Freud:

»Das Gemeinsame dieser Kinderträume ist augenfällig. Sie erfüllen sämtliche Wünsche, die am Tage rege gemacht und unerfüllt geblieben sind. Sie sind einfache und unverhüllte Wunschvorstellungen.«6

Da Kinder in der Regel als unkompliziert und offen gelten, so Freud, offenbaren auch ihre Träume leichter als die Träume Erwachsener die geheimen Wünsche ihrer Seele:

 Die Gedanken der Kinder, die im Traum zur Sprache gebracht werden, sind Wünsche, die in der Regel aus dem Tagesgeschehen zu erklären sind. Sie werden häufig mit intensiven Gefühlen ausgestaltet.

 Auch in den Träumen Erwachsener sieht Freud die Wunscherfüllung am Werk. Sie träumen vom Trinken, weil ein nächtlicher Durstreiz sie quält. Oder sie träu- men von üppigen Mahlzeiten und vom Zuhausesein, wenn sie sich auf Expeditionen weit weg von zu Hause befinden.

 Der Ratsuchende entwickelt laut Freud Widerstand gegen die Enthüllung seiner triebhaften, sexuellen Bedürfnisse.

Ich bin dagegen mit Alfred Adler der Meinung:

 Die Wunscherfüllung, die es selbstverständlich im Traum gibt, ist nur eine der Möglichkeiten, nach Überlegenheit zu streben.

Das Streben nach Überlegenheit meint:

 Der kleine Mensch will groß werden;

 der Mensch mit Minderwertigkeitsgefühlen will stark und vollkommen werden;

 der Mensch denkt und handelt zielstrebig, um Sicherheit, Erfolg, Wachstum und damit Überlegenheit zu gewinnen. Es ist ein gesundes, von Gott dem Menschen gegebenes Streben.

Dieses Streben nach Überlegenheit und Selbstentfaltung kann allerdings egoistisch entarten. Es kann zu einer unseligen Selbstverwirklichung, zu Macht- und Geltungsstreben werden. Wir sprechen dann vom Überlegenheitskomplex.

»Da jede seelische Ausdrucksform von unten nach oben, von einer Minussituation nach einer Plussituation sich bewegt, kann man auch jede seelische Ausdrucksbewegung als Wunscherfüllung ansprechen«, schreibt Adler.

 Kinder wie Erwachsene sind häufig verwöhnte Menschen, die ständig danach streben, unbefriedigte Wünsche im Traum erfüllt zu bekommen.

 So genannte Wunscherfüllungsträume bringen nicht in erster Linie unterdrückte Bedürfnisse zur Sprache (das kann sein), sondern artikulieren häufig unberechtigte Wünsche, die gegen das Liebesgebot verstoßen: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.

Diese unberechtigten Wünsche müssen durch ein soziales oder christliches Verhalten im Sinne der Nächstenliebe korrigiert werden.

 

Was Freud Wunscherfüllung nennt, charakterisiert Adler als eine Leitlinie, die aus einer Minussituation in eine Plussituation führt, den Menschen aus der Minderwertigkeit in die Überlegenheit bringt und den Träumer aus einer erlebten Unvollkommenheit in eine überideal formulierte Vollkommenheit befördert.

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