Drei Dichter ihres Lebens

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Casanova

Il me dit qu'il est un homme libre, citoyen du monde.

Muralt über Casanova in einem Brief an Albrecht von Haller, 21. Juni 1760

Casanova figuriert als Sonderfall, als einmaliger Glücksfall innerhalb der Weltliteratur, vor allem deshalb, weil dieser famose Scharlatan eigentlich genauso unberechtigt in das Pantheon des schöpferischen Geistes geraten ist wie Pontius ins Credo. Denn mit seinem dichterischen Adel steht's nicht minder windig als mit jenem frech aus dem Alphabet zusammengeklitterten Chevalierstitel de Seingalt: seine paar Verse, hastig zwischen Bett und Spieltisch zu Ehren eines Dämchens hinimprovisiert, muffeln nach Moschus und akademischem Leim, und wenn unser guter Giacomo gar zu philosophieren anfängt, tut man gut, sich die Kinnbacken gegen Gähnkrampf zu sperren. Nein, er gehört sowenig zum dichterischen Adel, Casanova, wie in den Gotha, auch hier Parasit, Eindringling ohne Rechte und Rang. Aber ebenso verwegen, wie er's zeitlebens zuwege bringt, als schäbiger Schauspielersohn, fortgejagter Priester, abgetakelter Soldat, anrüchiger Kartendreher, bei Kaisern und Königen zu verkehren und schließlich in den Armen des letzten Edelmannes, des Prinzen de Ligne, zu sterben, hat sein nachschweifender Schatten sich unter die Unsterblichen eingedrängt, obzwar kleiner Schöngeist scheinbar nur, unus ex multis, Asche im Streuwind der Zeit. Aber – kurioses Faktum! – nicht er, sondern alle seine berühmten Landsleute und sublimen Poeten Arkadiens, der »göttliche« Metastasio, der edle Parini e tutti quanti sind Bibliotheksschutt und Philologenfutter geworden, indes sein Name, in ein respektvolles Lächeln gerundet, noch heute von allen Lippen schwebt. Und aller irdischen Wahrscheinlichkeit nach wird seine erotische Ilias noch Dauer und entzündete Leser finden, wenn längst »La Gerusalemme liberata« und der »Pastor fido« als würdige historische Antiquitäten ungelesen in den Bücherschränken stauben. Mit einem Coup hat der gerissene Glücksspieler alle Dichter Italiens seit Dante und Boccaccio überspielt.

Und noch toller: für so unendlichen Gewinst wagt Casanova gar keinen Einsatz, er hat schlankweg die Unsterblichkeit um ihren Preis geprellt. Nie erahnt dieser Spielmensch die unsagbare Verantwortung des wirklichen Künstlers. Er weiß nichts von Nächten, die durchwacht, von Tagen, die hingebracht werden müssen im dumpfen, sklavischen Feilwerk der Worte, bis endlich der Sinn rein und regenbogenhaft die Linse der Sprache durchstrahlt, nichts von der vielfältigen und doch unsichtbaren, von der unbelohnten, oft erst nach Menschenaltern erkenntlichen Werkarbeit des Dichters, nichts auch von seinem heroischen Verzicht auf Wärme und Weite des Daseins. Er, Casanova, hat, weiß Gott, das Leben sich immer nur leicht gemacht, kein Gran seiner Freude, kein Quentchen seiner Genießerei, keine Stunde seines Schlafes, keine Minute seiner Lust der strengen Göttin Unsterblichkeit geopfert: er rührt sein Lebtag keinen Finger arbeitend um den Ruhm, und doch fällt er ihm, dem Glücklichen, strömend in die Hände. Solange er noch einen Goldfuchs in der Tasche, einen Tropfen Öl in seiner Liebeslampe spürt, denkt er nicht daran, sich die Finger ernstlich mit Tinte zu beschmutzen. Erst hinausgeworfen aus allen Türen, ausgelacht von den Frauen, einsam, bettelhaft, impotent, erst dann flüchtet er, ein verschabter mürrischer Greis, in die Arbeit als Surrogat des Erlebens; und nur aus Nichtlust, aus Langeweile, aufgekratzt von Ärger wie ein zahnloser Köter von der Räude, macht er sich knurrend und murrend daran, dem abgestorbenen siebzigjährigen Casaneus-Casanova sein eigenes Leben zu erzählen.

Er erzählt sich sein Leben – dies seine ganze literarische Leistung –, aber freilich, welch ein Leben! Fünf Romane, zwanzig Komödien, ein Schock Novellen und Episoden, eine traubige, überreife Fülle scharmantester Situationen und Anekdoten, eingekeltert in eine einzige strömende und überströmende Existenz: hier erscheint eben ein Leben, selbst schon füllig und rund als vollendetes Kunstwerk ohne ordnende Beihilfe des Künstlers und Erfinders. Und so löst sich auf überzeugendste Weise jenes erst verwirrende Geheimnis seines Ruhmes – denn nicht, wie er sein Leben beschreibt und berichtet, zeigt Casanova als Genie, sondern wie er es gelebt. Was ein anderer erfinden muß, hat er atmend erfahren, was ein anderer mit dem Geist, hat er mit seinem warmen wollüstigen Leib gestaltet, darum brauchen hier Feder und Phantasie die Wirklichkeit nachträglich nicht zeichnerisch auszuschmücken: genug daß sie Pausblatt sind einer schon dramatisch durchgeformten Existenz. Kein Dichter seiner Zeit hat dermaßen viel erfunden an Variationen und Situationen, wie Casanova erlebte, und schon gar kein wirklicher Lebenslauf schwingt in so kühnen Kurven durch ein ganzes Jahrhundert hin. Versucht man, an reinem Geschehnisgehalt (nicht an geistiger Substanz und Erkenntnistiefe) etwa die Biographien Goethes, Jean-Jacques Rousseaus und anderer Zeitgenossen mit der seinen zu vergleichen, wie arm an Abwechslung, wie eng im Raum, wie provinziell in der geselligen Sphäre erscheinen jene zielhaften und von schöpferischem Willen beherrschten Lebensläufe gegen diesen einen stromhaften und elementaren des Abenteurers, der Länder, Städte und Stände, Berufe, Welten und Weiber wechselt wie Wäsche an immer gleichem Leib – Dilettanten sie alle im Genießen wie jener Dilettant in der Gestaltung. Denn dies ist ja die ewige Tragik des Geistmenschen, daß gerade er, berufen und sehnsüchtig, alle Weite und Wollust des Daseins zu kennen, doch gebunden bleibt an seine Aufgabe, Sklave seiner Werkstatt, unfrei durch selbst auferlegte Pflichten, gefesselt an Ordnung und Erde. Jeder wahrhafte Künstler lebt die größere Hälfte seines Daseins in Einsamkeit und Zwiekampf mit seiner Schöpfung – voll hingegeben an die unmittelbare Wirklichkeit, frei und verschwenderisch vermag nur der Unschöpferische, der reine Genießer zu sein, der das Leben lebt um des Lebens willen. Wer sich Ziele setzt, geht am Zufall vorbei: jeder Künstler gestaltet zumeist immer nur, was er versäumte zu erleben.

Den lockern Genießern aber, ihren Gegenspielern, ihnen mangelt fast immer die Macht, das vielfältig Erlebte auszuformen. Sie verlieren sich an den Augenblick, und damit geht dieser Augenblick allen andern verloren, indes der Künstler auch das geringste Erleben zu verewigen weiß. So klaffen die Enden auseinander, statt sich fruchtbar zu ergänzen: dem einen fehlt der Wein, dem andern der Becher. Unlösbare Paradoxie: die Tatmenschen und Genießer hätten mehr Erlebnis zu melden als alle Dichter, aber sie vermögen es nicht – die Schöpferischen wiederum müssen dichten, weil sie selten genug Geschehnis erlebten, um es zu berichten. Nur selten haben Dichter eine Biographie und selten wiederum die Menschen der wahrhaften Biographien die Fähigkeit, sie zu schreiben.

Da ereignet sich nun jener herrliche und beinahe einzige Glücksfall Casanova: endlich erzählt einmal ein passionierter Genußmensch, der typische Augenblicksvielfraß, sein ungeheures Leben, erzählt es ohne moralische Beschönigung, ohne poetisierende Versüßlichung, ohne philosophische Verbrämung, sondern ganz sachlich, ganz wie es war, leidenschaftlich, gefährlich, verlumpt, rücksichtslos, amüsant, gemein, unanständig, frech, ludrig, immer aber spannungsvoll und unvermutet – und erzählt überdies nicht aus literarischem Ehrgeiz oder dogmatischer Prahlerei oder bußfertiger Reue oder exhibitionistisch gereizter Bekenntniswut, sondern ganz unbelastet und unbekümmert, wie ein Veteran am Wirtshaustisch mit der Pfeife im Mund ein paar knusperige und vielleicht brenzlige Abenteuer vorurteilslosen Zuhörern zum besten gibt. Hier dichtet nicht ein mühseliger Phantast und Erfinder, sondern aller Dichter Meister, das Leben selbst, er aber, Casanova, hat nur der bescheidensten Anforderung des Künstlers zu genügen: das kaum Glaubwürdige glaubhaft zu machen. Dazu langt vollkommen trotz einem barocken Französisch seine Kunst und seine Kraft. Aber nicht im Traum hat dieser zittrige, von der Gicht verwackelte Murrgreis in seiner Sinekure zu Dux daran gedacht, daß über diese Erinnerungen einstmals graubärtige Philologen und Historiker forschend sich beugen würden als den kostbarsten Palimpsest des achtzehnten Jahrhunderts, und so selbstgefällig er sich zu spiegeln liebte, der gute Giacomo, dies hätte er doch als groben Spaß seines verruchten Widersachers, des Herrn Haushofmeisters Feltkirchner, vermerkt, daß sich eine eigene Société Casanovienne hundertzwanzig Jahre nach seinem Tod etablieren werde, nur um jedes Zettelchen seiner Hand, jedes Datum zu überprüfen und den sorgfältig ausradierten Namen der so angenehm kompromittierten Damen auf die Spur zu kommen. Nehmen wir's als Glück, daß dieser Eitle seinen Ruhm nicht ahnte und darum mit Ethos, Pathos und Psychologie haushälterisch blieb, denn nur das Absichtslose erreicht jene unbesorgte und darum elementare Aufrichtigkeit. Ganz lässig wie immer ist der alte Glücksspieler in Dux an seinen Schreibtisch als den letzten Hasardtisch seines Lebens getreten und hat als letzten Coup seine Memoiren dem Schicksal hingeschmissen: dann stand er auf, vorzeitig weggeholt, ehe er die Wirkung sah. Und wunderbar, gerade dieser letzte Wurf ging bis in die Unsterblichkeit. Ja, er hat sein Spiel vortrefflich gewonnen, der alte »commediante in fortuna«, dieser unübertreffliche Schauspieler seines Glücks, und dagegen nützt nun kein Pathos mehr und kein Protest. Man kann ihn verachten, unsern verehrten Freund, wegen mangelnder Moral und geringen sittlichen Ernstes, man kann ihn widerlegen als Historiker und desavouieren als Künstler. Nur eines kann man nicht mehr: ihn wieder totmachen, denn trotz allen Dichtern und Denkern hat die Welt seitdem keinen romantischeren Roman als sein Leben erfunden und keine phantastischere Gestaltung als seine Gestalt.

 

Bildnis des jungen Casanova

Wissen Sie, Sie sind ein sehr schöner Mann.

Friedrich der Große, 1764 im Park von Sanssouci, plötzlich innehaltend und ihn betrachtend, zu Casanova

Theater in einer kleinen Residenzstadt: die Sängerin hat eben mit kühner Koloratur ihre Arie geendet, wie knatternder Hagel ist Beifall niedergeprasselt, jetzt aber, während der mählich einsetzenden Rezitative lockert sich allgemein die Aufmerksamkeit. Die Stutzer machen Besuche in den Logen, die Damen lorgnettieren, essen mit silbernen Löffeln die sublimen Gelati und den orangefarbenen Sorbett: beinahe unnötig, daß auf der Bühne indes Harlekin seine Lazzi mit einer pirouettierenden Kolumbine wirbelt. Da, mit einemmal wenden sich alle Blicke neugierig einem Fremden zu, der kühn und lässig zugleich mit der rechten Desinvoltura eines vornehmen Mannes verspätet das Parkett betritt, jedem unbekannt. Reichtum umrauscht die herkulische Gestalt, ein aschfarben geschorenes Samtkleid schlägt sich faltig auf über zierlich durchstickter Brokatweste, und kostbare Spitzen, goldene Litzen zeichnen von den Halsspangen des Brüsseler Jabots hinab bis zu den seidenen Strümpfen die dunkleren Linien des Prunkgewandes mit. Die Hand trägt wie achtlos einen weißfedrigen Paradehut, ein dünner, süßer Duft von Rosenöl oder neumodischer Pomade weht dem vornehmen Fremden nach, der jetzt an die Brüstung der ersten Reihe sich nachlässig hinrekelt, die ringgespickte Hand hochmütig auf den juwelenbeschlagenen Degen aus englischem Stahl gestützt. Als spüre er nicht das allgemeine Bemerktwerden, hebt er sein goldenes Lorgnon, um mit gespielter Gleichgültigkeit die Logen zu mustern. Von allen Sitzen und Bänken zischelt's schon: ein Fürst, ein reicher Ausländer? Köpfe drängen zusammen, ehrfurchtsvolles Flüstern deutet auf den diamantumringten Orden, der quer über die Brust an karmoisinrotem Bande schwingt (und den er derart mit glitzernden Steinen überwuchert hat, daß niemand mehr das erbärmliche päpstliche Sporenkreuz erkennt, billiger als Brombeeren). Die Sänger auf der Bühne spüren sofort das Nachlassen der Aufmerksamkeit, lockerer fließen die Rezitative, denn über Violine und Gamba hinweg spähen die vorgehuschten Tänzerinnen aus der Kulisse, ob da nicht ein Dukatenherzog herwehe für ergiebige Nacht.

Aber ehe Hunderte im Saale die Scharade dieses Fremden, das Rätsel seiner Herkunft, zu lösen vermögen, haben die Frauen in den Logen schon ein anderes bemerkt, mit Bestürzung fast: wie schön dieser fremde Mann ist, wie schön und wie sehr Mann. Mächtig von Wuchs, breit gequadert die Schultern, griffig die durchmuskelten fleischigen Hände, keine weichliche Linie in dem angespannten, stählern-männischen Leib, steht er da, den Nacken ein wenig gesenkt, wie ein Stier vor dem Ansturm. Von der Seite gesehen, dünkt dies Antlitz eine römische Münze, so messerscharf und metallen ist jede einzelne Linie von dem Kupfer dieses dunklen Hauptes abgeschrägt. Mit schönem Schwung wirft eine Stirne, um die jeder Dichter diesen Fremden beneiden dürfte, sich aus kastanienfarbenem, zärtlich gelocktem Haar – ein frecher, kühner Haken springt die Nase vor, starkknochig das Kinn und unter dem Kinn wieder ein doppelnußgroßer wölbiger Adamsapfel (nach dem Weiberglauben die sicherste Bürgschaft tatkräftiger Männlichkeit): unverkennbar, jeder Zug in diesem Gesicht meint Vorstoß, Eroberung, Entschlossenheit. Einzig die Lippe, sehr rot und sinnlich, wölbt sich weich und feucht und zeigt wie Granatapfelfleisch die weißen Kerne der Zähne. Langsam wendet der schöne Mann jetzt das Profil den dunklen Schaukasten des Theaters entlang: unter den ebenmäßigen, sehr rund geschwungenen, buschigen Brauen flackert aus schwarzen Pupillen ein ungeduldiger Unruheblick, recht ein Jäger- und Beuteblick, bereit, mit einem Ruck adlerhaft auf ein Opfer zu stürzen. Aber noch flackert er nur, noch brennt er nicht ganz, bloß als tastendes Blinkfeuer streift er die Logen entlang und mustert an den Männern vorbei, wie etwas Käufliches das Warme, Nackte, Weiße in den schattigen Nestern: die Frauen. Er betrachtet sie eine nach der andern, wählerisch, kennerisch, und fühlt sich betrachtet; dabei lockert sich ein wenig die sinnliche Lippe auf, ein beginnender Hauch von Lächeln um den satten, südländischen Mund läßt zum erstenmal das breite, schneeweiße Tiergebiß blank vorleuchten. Noch gilt dies Lächeln keiner einzigen Frau, noch gilt es ihnen allen, dem Wesen Weib, das da nackt und heiß unter den Kleidern sich birgt. Aber jetzt hat er in der Loge eine Bekannte erspäht: sofort sammelt sich der Blick, sofort überfließt ein samtiger und gleichzeitig glitzernder Glanz das eben noch frech fragende Auge, die linke Hand läßt den Degen, die rechte faßt nach dem schweren Federhut, und so tritt er heran, ein angedeutetes Wort des Erkennens auf den Lippen. Graziös beugt er den Muskelnacken zum Kuß über die dargebotene Hand und spricht sie höflichst an; aber man merkt am Zurückweichen und Verwirrtsein der Umschmeichelten, wie zärtlich schmelzend das Arioso der Stimme in sie eindringt, denn sie biegt sich verlegen zurück und stellt den Fremden ihren Begleitern vor: »Le chevalier de Seingalt.« – Verbeugungen, Zeremonien, Höflichkeiten, man bietet dem Gast einen Platz in der Loge, den er bescheiden zurückweist, und aus dem courtoisen Hin und Her faltet sich endlich Gespräch. Allmählich erhebt Casanova die Stimme, über die andern hinweg. Nach Schauspielerart läßt er die Vokale weich sich aussingen, die Konsonanten rhythmisch rollen, und immer sichtlicher spricht er über die Loge hinweg, laut und ostentativ; denn er will, daß die herangebeugten Nachbarn hören, wie geistvoll und gewandt er französisch, italienisch konversiert, wie geschickt er seinen Horaz zitiert. Scheinbar zufälligerweise hat er die Ringhand solcherart auf die Logenbrüstung gelegt, daß man von weit her die kostbaren Spitzenmanschetten und vor allem den riesigen Solitär an seinem Finger funkeln sehen kann – jetzt bietet er aus diamantenbesetzter Dose den Kavalieren mexikanischen Schnupftabak an. »Mein Freund, der spanische Gesandte, hat ihn mir gestern durch den Kurier geschickt« (– man hört es bis in die Nachbarloge –); und da einer der Herren höflich das Miniaturbild auf der Dose bewundert, äußert er nachlässig, aber doch laut genug, damit sich's im Saal verbreite: »Ein Präsent von meinem Freund und gnädigen Herrn, dem Kurfürsten von Köln.« Ganz absichtslos scheint er so zu plaudern, aber inmitten dieses Paradierens wirft der Bramarbas immer wieder einen raschen Raubvogelblick nach rechts und links, um die eigene Wirkung zu erspähen. Ja, alles beschäftigt sich mit ihm, er fühlt die Frauenneugier an sich hängen, spürt, daß er bemerkt ist, bewundert, geehrt, und das macht ihn noch kühner. Mit einer geschickten Wendung dreht er das Gespräch bis hinüber in die Nachbarloge, wo die Favoritin des Fürsten sitzt und – er fühlt es – wohlgefällig seinem echt Pariser Französisch lauscht; und mit devoter Geste streut er, von einer schönen Frau erzählend, eine galante Artigkeit vor sie hin, die sie lächelnd quittiert. Und nun bleibt seinen Freunden nichts übrig, als den Chevalier der hohen Dame vorzustellen. Schon ist das Spiel gewonnen. Morgen mittag wird er mit den Vornehmsten der Stadt speisen, morgen abend wird er in irgendeinem der Paläste den Vorschlag zu einem kleinen Pharaospiel machen und seine Gastgeber plündern, morgen nachts wird er mit einer dieser funkelnden, unter ihren Kleidern nackten Frauen schlafen – und alles dies kraft seines kühnen, sicheren und energischen Auftretens, seines Siegerwillens und der männlich freien Schönheit seines braunen Gesichts, dem er alles dankt: das Lächeln der Frauen und den Solitär am Finger, die diamantene Uhrkette und die goldenen Litzen, den Kredit bei den Bankherren und die Freundschaft des Adels und herrlicher als dies: Freiheit in der unendlichen Vielfalt des Lebens.

Unterdessen hat sich die Primadonna bereit gemacht, die neue Arie zu beginnen. Nach einer tiefen Verbeugung, schon dringlich eingeladen von den durch seine weltmännische Konversation bezauberten Kavalieren, bereits zum Lever der Favoritin gnädigst bestellt, tritt Casanova wieder an seinen Platz zurück und läßt sich nieder, die Linke auf den Degen gestützt, das schöne braune Haupt vorgeneigt, um kennerisch dem Gesang zu lauschen. Hinter ihm zischelt von Loge zu Loge die gleiche indiskrete Frage und als Antwort zurück von Mund zu Mund: »Der Chevalier von Seingalt.« Mehr weiß niemand von ihm, nicht, woher er gekommen, nicht, was er treibt, nicht, wohin er geht, nur der Name summt und surrt den ganzen dunklen und neugierigen Saal und tanzt – unsichtbar, flirrende Lippenflamme – bis hinauf zur Bühne, zu den gleichfalls neugierigen Sängerinnen. Aber plötzlich lacht eine kleine venezianische Tänzerin auf. »Chevalier de Seingalt? Oh, dieser Schwindler! Das ist ja Casanova, der Sohn der Buranella, der kleine Abbate, der meiner Schwester vor fünf Jahren die Jungfernschaft abgeschwatzt hat, der Hofnarr des alten Bragadin, Aufschneider, Lump und Abenteurer.« Jedoch das muntere Mädchen scheint ihm seine Untaten nicht sonderlich übelzunehmen, denn aus den Kulissen zwinkert sie ihm erkennerisch zu und führt die Fingerspitzen kokett an die Lippe. Er merkt's und entsinnt sich: nur unbesorgt, sie wird ihm sein Spielchen mit den vornehmen Narren nicht stören und lieber heute nachts mit ihm schlafen.

Die Abenteurer

Weiß sie, daß dein einziges Vermögen die Dummheit der Menschen ist?

Casanova zum Falschspieler Croce

Vom Siebenjährigen Krieg bis zur Französischen Revolution, ein knappes Vierteljahrhundert dunstet Windstille über Europa, die großen Dynastien Habsburg, Bourbon und Hohenzollern haben sich müde gekriegt. Die Bürger blasen Tabak behaglich in stillen Kringeln vor sich hin, die Soldaten pudern ihre Zöpfe und putzen die nutzlos gewordenen Gewehre, die geplagten Länder können endlich ein wenig verschnaufen. Aber die Fürsten langweilen sich ohne Krieg. Sie langweilen sich mörderisch, alle die deutschen und italienischen und sonstigen Duodezfürsten in ihren liliputanischen Residenzen, und möchten gern amüsiert sein. Gräßlich ennuyant haben es diese Armen, diese kleingroßen, scheingroßen Kurfürsten und Herzöge auf ihren noch kaltnassen, frischaufgebauten Rokokoschlössern trotz allen Lustgärten, Fontänen und Orangerien, trotz Zwingern, Galerien, Wildparks und Schatzkammern. Aus Langeweile werden sie sogar Kunstgönner und Schöngeister, korrespondieren mit Voltaire und Diderot, sammeln chinesisches Porzellan, mittelalterliche Münzen, barocke Bilder, bestellen sich französische Komödien, italienische Sänger und Tänzer, und nur der Herr in Weimar hat mit gutem Griff sich ein paar Deutsche, namens Schiller, Goethe und Herder, an seinen Hof geladen. Sonst aber wechseln nur Sauhatzen und Wasserpantomimen mit theatralischem Divertissement, denn immer, wenn die Welt müde wird, erzwingt sich die Spielweh, das Theater, Mode und Tanz besondere Wichtigkeit, und so überbieten sich damals die Fürsten mit Geld und diplomatischen Aktionen, um einer dem andern die interessantesten Amüseure, die besten Tänzer, Musiker, Kastraten, Philosophen, Goldsucher, Kapaunenmäster und Orgelspieler abzujagen. Gluck und Händel, Metastasio und Hasse, das wird sich ebenso wechselseitig abgeluchst wie Kabbalisten und Kokotten, Feuerwerker und Sauhetzer, Textschreiber und Ballettmeister. Und nun haben sie glücklich Zeremonienmeister und Zeremonien, Steintheater und Opernsäle, Bühnen und Ballette, nun fehlt nur noch eines, um der Langeweile der Kleinstadt Schach zu bieten und der rettungslosen Monotonie der ewig gleichen sechzig Adelsgesichter den Anschein von wirklicher Gesellschaft zu geben: vornehme Visiten, interessante Gäste, ein paar Rosinen für den Sauerteig der kleinstädtischen Langeweile, ein wenig Wind von großer Welt in die Stickluft der Dreißigstraßenresidenz.

Dies hören von einem Hof, und, rutsch! schon sausen sie her, die Abenteurer in Hunderten von Masken und Verkleidungen, niemand weiß, aus welchem Windwinkel und Versteck. Aber über Nacht sind sie da, mit einem Reisewagen und englischen Kutschen kommen sie vorgefahren und mieten mit lockerer Hand gleich die nobelste Zimmerfront der vornehmsten Herberge. Sie tragen phantastische Uniformen irgendeiner hindostanischen oder mongolischen Armee und führen pompöse Namen, die in Wirklichkeit pierre de Strass sind, falsche Edelsteine wie ihre Schuhschnallen. Sie sprechen alle Sprachen, behaupten, alle Fürsten und großen Leute zu kennen, sie haben angeblich in allen Armeen gedient und an allen Universitäten studiert. Ihre Taschen stecken voller Projekte, ihr Mundwerk klappen von kühnen Versprechen, sie planen Lotterien und Extrasteuern, Staatsbündnisse und Fabriken, sie offerieren Weiber und Orden und Kastraten; und obwohl sie selbst keine zehn Goldstücke in der Tasche haben, flüstern sie jedem zu, sie wüßten das Geheimnis der Tinctura auri. Die Abergläubischen fangen sie mit Horoskopen, die Leichtgläubigen mit Projekten, die Spieler mit falschen Karten und die Ahnungslosen mit mondäner Vornehmheit –, all dies aber in den faltenrauschenden, undurchsichtigen Nimbus von Fremdartigkeit und Geheimnis gehüllt, unerkennbar und dadurch doppelt interessant. Wie Irrlichter plötzlich aufglänzend und ins Gefährliche führend, flackern und zucken sie in der trägen, brackigen Sumpfluft der Höfe hin und her, kommend und verschwindend im gespenstigen Lügentanz.

 

Man empfängt sie bei den Höfen, amüsiert sich über sie, ohne sie zu achten, fragt sowenig nach ihrer Adelsechtheit wie ihre Frauen nach dem Ehering und die mitgebrachten Mädchen nach ihrer Jungfernschaft. Denn wer Pläsier gibt, auch eine Stunde nur die Langeweile, diese gräßlichste aller Fürstenkrankheiten, lindert, ist dieser amoralischen, von materialistischer Philosophie aufgelockerten Atmosphäre ohne viel Fragen willkommen. Wie die Dirnen duldet man sie gern, solange sie amüsieren und nicht gar zu frech räubern. Manchmal kriegt das Künstler- und Gaunerpack (etwa wie Mozart) einen erlauchten Fußtritt in den Hintern, manchmal rutschen sie aus dem Ballsaal ins Gefängnis und sogar, wie der kaiserliche Theaterdirektor Afflisio, bis hinab in die Galeeren. Die Gerissensten zecken sich fest, werden Steuereinnehmer, Kurtisanenliebhaber oder als gefälliger Gatte einer Hofhure sogar echte Edelmänner und Barone. Aber meist tun sie wohl, nicht zu warten, bis der Braten brenzlig wird, denn ihr ganzer Zauber beruht in ihrer Neuheit und ihrem Inkognito; biegen sie zu frech die Karten, greifen sie unmäßig tief in die Taschen, machen sie sich gar zu lange häuslich an einem Hofe, so kann plötzlich einer kommen, der ihnen den Mantel aufhebt und darunter das Diebsmal oder die Staupe des Sträflings zeigt. Nur häufiger Luftwechsel kann sie vom Galgen salvieren, darum kutschieren auch diese Glücksritter unablässig in Europa herum, Geschäftsreisende ihres dunklen Handwerks, Zigeuner von Hof zu Hof, und so dreht sich durch das ganze achtzehnte Jahrhundert ein einziges Gaunerkarussell mit denselben Gestalten von Madrid bis Petersburg, von Amsterdam bis Preßburg, von Paris bis Neapel; erst nennt man's Zufall, daß Casanova an jedem Spieltisch und bei jedem Höflein denselben Lumpenbrüdern begegnet, dem Talvis, dem Afflisio, dem Schwerin und Saint Germain, aber diese unablässige Wanderschaft bedeutet für die Adepten mehr Flucht als Vergnügen – nur in der Kurzfristigkeit sind sie sicher, nur durch Zusammenspiel können sie sich decken, denn sie alle zusammen bilden eine einzige Sippe, eine Freimaurerschaft ohne Kelle und Zeichen, den Abenteurerorden. Wo sie einander begegnen, halten sie, Gauner dem Gauner, die Leiter, einer schiebt den andern in die vornehme Gesellschaft hinein und legitimiert sich, indem er seinen Spielkumpan anerkennt; sie tauschen die Weiber, die Röcke, die Namen und nur eines nicht: den Beruf. Sie alle, die um die Höfe schmarotzen, Schauspieler, Tänzer, Musiker, Glücksritter, Huren und Goldmacher, sind mit den Jesuiten und Juden damals die einzigen Internationalen der Welt zwischen einem seßhaften, engstirnigen, kleingeistigen Hochadel und einem noch unfreien, dumpfen Bürgertum, ein modernes Zeitalter bricht an mit ihnen, eine neue Kunst der Ausbeuterei; sie plündern nicht mehr die Wehrlosen und berauben keine Straßenkutschen, sondern sie bluffen die Eitlen und erleichtern die Leichtsinnigen. Diese neue Art Beutelschneiderei hat ein Bündnis gemacht mit dem Weltbürgertum und soignierten Manieren; statt nach alter Mordbrennerart, rauben sie mit gestochenen Karten und geschobenen Wechseln. Sie haben nicht mehr die plumpen Fäuste, die versoffenen Gesichter, die rüden Manieren der Soldatenkapitäne, sondern edel beringte Hände und eine gepuderte Perücke über der nachlässigen Stirn. Sie lorgnettieren und pirouettieren wie Tänzer, sprechen ein bravouröses Parlando wie Schauspieler, tun dunkel wie Erzphilosophen: kühn ihren unruhigen Blick verdeckend, schlagen sie am Spieltisch die Volte und schmieren den Frauen mit geistreicher Konversation ihre Liebestinkturen und falschen Juwelen an.

Nicht zu leugnen: ein gewisser Zug ins Geistige und Psychologische steckt in ihnen allen, der sie sympathisch macht, und einige unter ihnen reichen bis ins Geniale hinein. Die zweite Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts bedeutet ihr Heldenzeitalter, ihre goldene Epoche, ihre klassische Periode; genau wie vordem unter Ludwig XV. eine glänzende Plejade die französischen Dichter und später in Deutschland der wunderbare Augenblick von Weimar die schöpferische Form des Genius in wenige und dauernde Gestalten zusammenfaßt, so glänzt damals das große Siebengestirn der sublimen Schwindler und unsterblichen Abenteurer sieghaft über die europäische Welt. Bald genügt ihnen nicht mehr der Griff in fürstliche Taschen, grob und großartig greifen sie ins Zeitgeschehen und drehen das riesige Rouletterad der Weltgeschichte. John Law, ein hergelaufener Ire, zerpulvert mit seinen Assignaten die französischen Finanzen, D'Eon, ein Zwitter von Mann und Weib, zweifelhaften Geschlechts und Rufs, leitet die internationale Politik, ein kleiner rundköpfiger Baron Neuhoff wird wahr und wahrhaftig König von Korsika, um dann freilich im Schuldturm zu enden; Cagliostro, ein sizilianischer Landbursche, der sein Leben lang nicht recht Lesen und Schreiben erlernte, dreht aus dem berüchtigten Halsband dem Königtum den Strick, der es erwürgt. Der alte Trenck, der tragischste von allen, weil Abenteurer ohne Unedelkeit, und der schließlich mit dem Kopf gegen die Guillotine rennt, tragiert mit roter Mütze den Heros der Freiheit, Saint Germain, der Magier ohne Alter, sieht den König von Frankreich demütig zu seinen Füßen und narrt noch heute mit dem Geheimnis seiner unentdeckten Geburt den Eifer der Wissenschaft. Alle haben sie mehr Macht in Händen als die Mächtigsten, sie blenden die Gelehrten, verführen die Frauen, sie plündern die Reichen und ziehen ohne Amt und Verantwortung heimlich die Fäden der politischen Marionetten. Und der letzte, nicht der schlechteste, unser Giacomo Casanova, der Historiograph dieser Gilde, der sie alle darstellt, indem er sich selber erzählt, rundet die Siebenzahl der Unvergessenen und Unvergeßlichen in ergötzlichster Weise –, jeder einzelne berühmter als alle Dichter, wirksamer als alle Politiker ihrer Zeit, kurzfristige Herren einer schon dem Untergang verschworenen Welt. Denn nur dreißig oder vierzig Jahre im ganzen dauert die Heldenzeit dieser großen Talente der Frechheit und mystischen Schauspielerei in Europa, dann zerstört sie sich selbst durch ihren vollendeten Typus, durch ihr vollkommenstes Genie, durch den wahrhaft dämonischen Abenteurer, Napoleon. Immer macht das Genie großartig Ernst, wo das Talent nur spielt, es begnügt sich nicht mit Episodenrollen, sondern fordert schöpferisch die ganze Bühne der Welt für sich allein. Wenn der kleine korsische Habenichts Bonaparte sich Napoleon nennt, so versteckt sich nicht wie bei Casanova-Seingalt, bei Balsamo-Cagliostro das Bürgerliche feig mehr hinter edelmännischer Maske, sondern herrisch tritt der Anspruch geistiger Überlegenheit vor die Zeit und heischt den Triumph als sein Recht, statt ihn listig zu erschleichen. Mit Napoleon, dem Genie all dieser Talente, dringt das Abenteurertum aus dem Vorzimmer der Fürsten in den Thronsaal; er beendet, indem er ihn vollendet, den Aufstieg des Illegitimen zur Höhe der Macht und setzt dem Abenteurertum die Krone Europas aufs Haupt.

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