Die Kartause von Parma

Текст
Автор:
0
Отзывы
Читать фрагмент
Отметить прочитанной
Как читать книгу после покупки
Шрифт:Меньше АаБольше Аа

›Serenissimus zahlen dem Gesandten am Hofe zu ... ein Gehalt von dreißigtausend Franken, womit dieser dort eine ziemlich mäßige Rolle spielt. Wenn Eure Hoheit geruhen wollten, mir diesen Posten zu übertragen, nähme ich ihn mit sechstausend Franken Gehalt. Mein Auftreten am Hofe zu ... sollte mir nicht unter hunderttausend Franken im Jahre zu stehen kommen. Mein Vermögensverwalter würde überdies der Kasse der auswärtigen Angelegenheiten in Parma jährlich zwanzigtausend Franken überweisen. Mit dieser Summe könnte man mir einen Legationssekretär beigeben, und ich wäre keineswegs auf diplomatische Geheimnisse eifersüchtig, wenn es solche gäbe. Mein Ziel ist, meinem noch jungen Hause Ansehen zu verschaffen und es durch eine hohe Staatsstellung auszuzeichnen.‹

Der jetzige Duca, der Sohn jenes Gesandten, hatte den Fehler begangen, sich einen halb liberalen Anstrich zu geben, und lebte seit zwei Jahren in tiefer Verzweiflung. Zu Zeiten Napoleons hatte er durch sein hartnäckiges Verbleiben im Ausland zwei oder drei Millionen eingebüßt, und nach der Wiederherstellung der Ordnung in Europa war es ihm trotz alledem nicht gelungen, ein gewisses Ordensband zu erringen, das das Bildnis seines Vaters schmückte. Das Ausbleiben des Großkreuzes hatte ihn gänzlich gebrochen.

Die Vertraulichkeit, die in Italien mit der Liebe verknüpft ist, hebt zwischen zwei Liebenden alle Eitelkeitsrücksichten auf. Also sagte Mosca mit der größten Natürlichkeit zu seiner Angebeteten: »Ich habe Ihnen zwei oder drei gründlich durchdachte Pläne vorzulegen. Seit drei Monaten träume ich von nichts anderem.

Erstens: Ich reiche meine Entlassung ein, und wir leben gut bürgerlich in Mailand, Florenz oder Neapel, wo Sie wünschen. Wir haben jährlich fünfzehntausend Lire zu verzehren und sind unabhängig von der mehr oder minder unbeständigen Fürstengunst.

Zweitens: Sie geruhen in das Land zu kommen, wo ich etwas bedeute. Sie kaufen sich ein Gut, Sacca zum Beispiel, ein allerliebster Wohnsitz mitten im Wald, mit Aussicht auf den Po. Der Kaufvertrag könnte binnen acht Tagen unterschrieben sein. Sie werden am Hofe des Fürsten verkehren. Aber die Sache hat einen gewaltigen Haken. Man wird Sie bei Hofe gut aufnehmen; es fällt niemandem ein, mir Hindernisse in den Weg zu legen. Überdies hält sich die Fürstin für unglücklich, und ich habe ihr kürzlich im Hinblick auf Sie einen Dienst erwiesen. Aber, wie gesagt, die Sache stößt auf ein beträchtliches Hindernis: Serenissimus ist höchst bigott, und wie Sie wissen, will es das Verhängnis, daß ich verheiratet bin. Daraus entspringen tausend kleine Unannehmlichkeiten. Sie sind Witwe, an und für sich ein hübscher Titel, den Sie gegen einen anderen eintauschen müßten. Und darin gipfelt mein dritter Vorschlag.

Ein neuer Gatte, ein nicht im mindesten unbequemer, wäre schon zu finden; er müßte nur recht alt sein. Warum sollten Sie mir nicht die Hoffnung lassen, eines Tages an seine Stelle zu treten? Nun hören Sie! Ich habe diesen merkwürdigen Fall mit dem Duca di Sanseverina-Taxis besprochen, selbstverständlich ohne ihm den Namen der künftigen Duchezza zu verraten. Er weiß nur, daß er durch Sie Gesandter und Großkomtur desselben Ordens werden wird, den sein Vater getragen hat und dessen Ausbleiben ihn zum Unglücklichsten aller Sterblichen macht. Abgesehen von dieser Schrulle ist der Herzog durchaus kein übler Mann. Er läßt sich seine Kleidung und seine Perücken aus Paris kommen. Ein vorbedachter Bösewicht ist er keineswegs; nur glaubt er steif und fest, die höchste Ehre hafte an jenem Ordensband. Vor einem Jahre machte er mir den Vorschlag, er wolle dafür ein Krankenhaus errichten. Ich habe ihn ausgelacht; aber er hat mich nicht im mindesten ausgelacht, als ich ihm den Heiratsvorschlag machte. Ich habe ihm, wohlverstanden, die Hauptbedingung gestellt, daß er nie wieder den Fuß nach Parma setzt.«

»Wissen Sie auch, daß Ihr Vorschlag im höchsten Grade unmoralisch ist?« sagte die Gräfin.

»Nicht unmoralischer als alles, was an unserem Hofe und an einem Dutzend anderer gang und gäbe ist. Der Absolutismus hat das Bequeme, daß er in den Augen des Volkes alles billigt. Das ist lächerlich, aber niemand merkt es. In den nächsten zwanzig Jahren wird unsere Politik von der Angst vor den Jakobinern geleitet werden, und von was für einer Angst! Jahr für Jahr wird man wähnen, am Vorabend von Anno 93 zu stehen. Ich hoffe, Sie werden die Phrasen zu hören bekommen, die ich bei offiziellen Gelegenheiten loslasse. Genug! Was jener Furcht nicht neue Nahrung gibt, ist in den Augen des Adels und der Klerikalen unantastbar moralisch. Nun sitzt in Parma alles, was nicht adlig oder bigott ist, im Gefängnis oder ist auf dem Sprunge dahin. Seien Sie überzeugt, solange ich in Gnaden stehe, wird kein Mensch an dieser Heirat etwas Auffälliges finden. Mit diesem Abkommen wird niemand betrogen. Das scheint mir die Hauptsache. Der Fürst, von dessen Gunst unser Wohl und Wehe abhängt, macht seine Einwilligung nur von einer Bedingung abhängig: die künftige Herzogin muß von altem Adel sein. Im vergangenen Jahre hat mir mein Posten hundertsiebentausend Franken eingebracht; alles in allem gerechnet, habe ich also hundertzweiundzwanzigtausend Franken Gehalt; davon habe ich zwanzigtausend in Lyon angelegt. Wählen Sie nun! Auf der einen Seite winkt Ihnen ein großartiges Leben mit hundertzweiundzwanzigtausend Franken im Jahre. Das ist in Parma soviel wie vierhunderttausend Franken in Mailand; allerdings heiraten Sie dafür einen annehmbaren Mann und tragen seinen Namen, aber Sie sollen ihn außer am Traualtar nie wieder zu sehen bekommen. Auf der anderen Seite ein kleinbürgerliches Dasein mit fünfzehntausend Lire in Florenz oder Neapel, denn ich bin ganz Ihrer Meinung, in Mailand hat man Sie allzusehr bewundert; dort würde uns die Mißgunst heimsuchen und uns unsere gute Laune verderben. Das große Leben in Parma wird, hoffe ich, den Reiz des Neuen haben, selbst in Ihren Augen, die den Hof des Fürsten Eugen gesehen haben. Lernen Sie es nur erst kennen! Glauben Sie nicht, daß ich Sie in Ihrem Entschluß zu beeinflussen suche. Mein Standpunkt steht fest; ich lebe lieber im dritten Stock zusammen mit Ihnen, als daß ich mein großes Leben einsam weiterführe.«

Das Für und Wider dieser seltsamen Heirat wurde täglich zwischen den beiden Liebenden erwogen. Auf dem Ball in der Scala lernte die Gräfin den Duca di Sanseverina- Taxis kennen. Er kam ihr ganz annehmbar vor. Während eines ihrer letzten Gespräche faßte Mosca seinen Vorschlag noch einmal wie folgt zusammen: »Wir müssen zu einem entscheidenden Entschluß kommen, um Ruhe in unser Leben zu bringen. Der Fürst hat seine Einwilligung gegeben. Sanseverina ist eine Persönlichkeit mit mehr guten als schlechten Seiten. Er besitzt den schönsten Palast von Parma und ein maßloses Vermögen; er ist achtundsechzig Jahre alt und hat nur die törichte Ordenssucht. Freilich haftet ein großer Makel an seinem Leben: er hat vor Jahren für zehntausend Franken eine Büste Napoleons von Canova gekauft. Und dann hat er eine Todsünde begangen, von der Sie ihn erlösen sollen: er hat einem gewissen Ferrante Palla fünfundzwanzig Napoleons geborgt. Das ist ein sonderbarer Heiliger, im Grunde ein genialer Kerl, den wir zum Tode verurteilt haben, glücklicherweise in contumaciam. Dieser Ferrante hat im ganzen zweihundert Verse geschrieben. Die sind unvergleichlich. Ich werde sie Ihnen gelegentlich vorlesen; sie sind ebenso schön wie Dantes Verse. Serenissimus schickt den Sanseverina an den Hof von ... Am Tage seines Wegganges heiratet er Sie. Ein Jahr darauf bekommt er sein Großkreuz, ohne das er nicht leben kann. Sie werden an ihm einen Bruder haben, der ganz und gar nicht lästig ist. Er unterschreibt im voraus alles, was ich ihm vorlege; und im übrigen werden Sie ihn selten oder gar nicht zu Gesicht bekommen, ganz wie es Ihnen beliebt. Er verlangt nichts weiter, als daß er sich in Parma nicht zu zeigen braucht, wo ihn sein Großvater, der Generalpächter, und das Gerücht, er sei liberal, belästigen. Rassi, unser Henker, hat behauptet, der Duca sei heimlich auf den ›Constitutionnel‹ abonniert gewesen, und zwar durch Vermittlung des Dichters Ferrante Palla, und diese Verleumdung hat lange Zeit der Einwilligung des Fürsten ernstlich im Weg gestanden.«

Wie könnte den Geschichtsschreiber, der dieses Gespräch bis in die geringsten Einzelheiten treu verfolgt, irgendwelche Schuld an den Geschehnissen treffen? Ist es seine Schuld, wenn die Gestalten, beherrscht von Leidenschaften, die er durchaus nicht teilt, zu seinem Unglück auf gänzlich unmoralische Handlungen verfallen ? Wahrlich, solche Dinge kommen in einem Lande nicht mehr vor, wo die einzige, alle anderen erstickende Leidenschaft, die Sucht nach Geld, der Träger der Eitelkeit ist.

Drei Monate nach den soeben erzählten Ereignissen setzte die Duchezza di Sanseverinain Bewunderung durch ihre ungezwungene Liebenswürdigkeit und die edle Heiterkeit ihres Geistes. Ihr Haus wurde unbestritten das beliebteste der Stadt. Das hatte Mosca seinem Gebieter versprochen. Ranuccio Ernesto IV., der regierende Fürst, und seine Gemahlin, die Fürstin, denen die Duchezza durch zwei der vornehmsten Damen des Landes vorgestellt worden war, empfingen sie auf das huldvollste. Die Duchezza war begierig, diesen Fürsten, den Herrn über das Schicksal dessen, den sie liebte, kennen zu lernen; sie wollte ihm gefallen, und das gelang ihr nur zu gut. Sie fand einen Mann von hoher, nur ein wenig starker Gestalt; sein Haar, sein Schnurrbart und sein riesiger Backenbart waren, wie die Hofschranzen meinten, vom schönsten Blond; bei einem anderen hätten sie diese nichtssagende Farbe mit dem unedlen Wort ›Semmelblond‹ bezeichnet. In der Mitte eines breiten Gesichts war eine kleine, beinahe weibische Stumpfnase kaum bemerkbar. Die Duchezza machte die Bemerkung, daß alle diese Merkmale von Häßlichkeit nur dann auffielen, wenn man sie absichtlich einzeln aufs Korn nahm. Im ganzen machte er den Eindruck eines Mannes von Geist und Charakter. Die Haltung des Fürsten, seine Art, sich zu geben, entbehrten nicht des Hoheitsvollen; nur bisweilen, wenn er mit jemandem sprach, auf den er Eindruck machen wollte, fiel er aus seiner Rolle und wiegte sich von einem Bein auf das andere. Sonst hatte Ernst IV. einen scharfen Herrscherblick; seine Bewegungen waren vornehm und seine Worte ebenso gemessen wie bestimmt.

 

Mosca hatte die Herzogin im voraus auf ein Kniestück Ludwigs XIV. und auf einen sehr schönen Tisch aus Florentiner Scagliola im Audienzsaal aufmerksam gemacht. Sie fand die Ähnlichkeit erstaunlich. Offensichtlich ahmte der Fürst den Blick und die vornehme Sprechweise Ludwigs XIV. nach und stützte sich dabei auf den Scagliola-Tisch in einer Weise, als ob er sich die Haltung Josephs II. geben wolle. Sofort nach den ersten Worten, die er an die Duchezza gerichtet hatte, setzte er sich, um ihr Gelegenheit zu geben, von einem ihrem Rang gebührenden Vorrecht Gebrauch zu machen. An jenem Hofe setzten sich die Herzoginnen, Fürstinnen und die Damen von spanischen Granden ohne Geheiß. Die anderen Damen warteten, bis der Fürst oder die Fürstin sie dazu aufforderten; und um den Rangunterschied merklich zu machen, pflegten die allerhöchsten Herrschaften immer absichtlich eine kleine Frist verstreichen zu lassen, ehe sie Damen, die nicht Herzoginnen waren, zum Platznehmen einluden. Die Herzogin fand die Nachahmung Ludwigs XIV. in gewissen Augenblicken am Fürsten ein wenig zu auffällig, zum Beispiel in der Art, wie er, huldvoll lächelnd, das ganze Gesicht verzog.

Ernst IV. trug einen Frack nach der neuesten Pariser Mode. Man sandte ihm alle Monate aus dieser Stadt, die ihm ein Greuel war, einen Frack, einen Rock und einen Hut. Aber an dem Tage, da die Herzogin empfangen wurde, trug er in sonderbarem Kostümmischmasch ein Paar rote Beinkleider, seidene Strümpfe und Schuhe mit sehr langen Klappen, wie man sie auf Bildnissen Josephs II. sehen kann.

Er empfing die Sanseverina liebenswürdig; er sagte ihr geistreiche und feine Worte, aber sie merkte doch sehr wohl, daß der Empfang nicht übermäßig gnädig war.

»Wissen Sie warum?« fragte der Graf Mosca, als sie von dem Empfang zurückkam. »Weil Mailand eine größere und schönere Stadt als Parma ist. Wenn er Ihnen den Empfang hätte zuteil werden lassen, den ich erwartet und auf den er mir Hoffnung gemacht hatte, so hätte er dabei Angst gehabt, wie ein Provinzler zu erscheinen, den die Huld einer schönen Dame aus der Hauptstadt in Verzückung versetzt. Außerdem stört ihn noch ein besonderer Umstand, den ich Ihnen kaum zu sagen wage: der Fürst hat an seinem Hofe keine Dame, die Ihnen an Schönheit den Rang streitig machen könnte. Das war gestern abend beim Schlafengehen der einzige Gegenstand der Unterhaltung mit seinem Ersten Kammerdiener Pernico, der mir sehr gewogen ist. Ich sehe eine kleine Umwälzung unserer Hofgebräuche voraus. Mein ärgster Feind am Hofe hier ist ein Narr, den man den General Fabio Conti betitelt. Stellen Sie sich einen wunderlichen Kauz vor, der in seinem Leben vielleicht einen Tag im Felde war und aus diesem Grunde Friedrich den Großen nachäfft. Dazu möchte er die vornehme Leutseligkeit des Generals Lafayette zur Schau tragen, und zwar, weil er hier das Haupt der liberalen Partei ist, Gott weiß, von was für Liberalen.«

»Ich kenne Fabio Conti«, sagte die Duchezza. »Ich habe ihn einmal in der Nähe von Como flüchtig gesehen. Er zankte sich mit Gendarmen herum ...«

Sie erzählte das kleine Abenteuer, dessen sich der Leser vielleicht noch erinnert.

»Gnädige Frau, eines Tages, wenn Ihr Geist jemals die Tiefen unserer Hofgebräuche ergründet, werden Sie wissen, daß die jungen Damen erst nach ihrer Verheiratung bei Hofe erscheinen dürfen. Serenissimus hegt aber, was die Erhabenheit Parmas über alle anderen Städte angeht, einen so glühenden Vaterlandsstolz, daß ich wetten möchte, er findet Mittel und Wege, sich die kleine Clelia Conti, die Tochter unseres Lafayette, vorstellen zu lassen. Sie ist wirklich allerliebst und galt noch vor acht Tagen für die Schönste im ganzen Fürstentum.

Ich weiß nicht,« fuhr der Graf fort, »ob die Schändlichkeiten, die die Feinde des Monarchen zu seinen Ungunsten verbreitet haben, bis in das Schloß Grianta gedrungen sind. Man hat ihn als Ungeheuer, als Scheusal hingestellt. Es ist aber Tatsache, daß Ernst IV. eine ganze Menge netter kleiner Tugenden besitzt, und man kann getrost sagen, wäre er unverwundbar wie Achill, dann wäre er das Muster eines Machthabers geblieben. Aber in einer Anwandlung von Langerweile und Ärger und auch ein wenig, um Ludwig XIV. nachzueifern, der, ich weiß nicht, welchen Helden der Fronde hat köpfen lassen, der friedlich auf seinem Landgut lebte, unverschämterweise dicht bei Versailles, fünfzig Jahre nach besagten Unruhen, hat er eines Tages zwei Liberale hängen lassen. Diese Unvorsichtigen hatten sich wohl an bestimmten Tagen zusammengefunden, sich über den Fürsten abfällig geäußert und heiße Gebete zum Himmel gesandt, er möge die Pest über Parma kommen lassen und sie vom Tyrannen befreien. Das Wort Tyrann ist beglaubigt. Rassi nannte das eine Verschwörung; er ließ die Verdächtigen zum Tode verurteilen, und besonders die Hinrichtung des einen, des Grafen Palanza, war gräßlich. Das hat sich vor meiner Zeit ereignet. Seit dieser verhängnisvollen Tat«, fuhr der Graf mit gedämpfter Stimme fort, »leidet der Fürst an Angstanfällen, die eines Mannes unwürdig sind, die aber die einzige Quelle der Gunst sind, deren ich mich erfreue. Ohne diese Schwäche des Monarchen wäre meine Laufbahn zu schnell, zu verletzend für diesen Hof, wo die Dummheit herrscht. Sie werden es kaum glauben, der Fürst sieht vor dem Schlafengehen unter die Betten seiner Gemächer und gibt eine Million aus, um eine gute Polizei zu haben, und Sie sehen den Chef dieser schrecklichen Polizei vor sich. Durch dieses Amt, das heißt durch die Angst, bin ich Kriegs- und Finanzminister geworden. Da der Minister des Inneren eigentlich mein Vorgesetzter ist, soweit er die Oberaufsicht über die Polizei hat, so habe ich dieses Portefeuille dem Grafen Zurla-Contarini zuteilen lassen, einem einfältigen Arbeitstier, das sich das Vergnügen macht, täglich achtzig Briefe zu schreiben. Ich habe gerade heute vormittag einen bekommen; zu seiner Befriedigung hat Graf Zurla-Contarini die Briefbuchnummer 20715 eigenhändig davorsetzen können.«

Die Herzogin von Sanseverina wurde der trübseligen Fürstin von Parma, Clara Paolina, vorgestellt, die sich, weil ihr Mann eine Mätresse hatte (eine recht hübsche Frau, die Marchesa Balbi), für das allerunglücklichste Weib auf Erden hielt. Jedenfalls war sie das langweiligste. Die Duchezza fand eine sehr große und sehr hagere Dame, die keine sechsunddreißig Jahre alt war und doch wie eine Fünfzigerin aussah. Ihr regelmäßiges vornehmes Gesicht hätte für schön gelten können, wenn es nicht durch dicke, runde, kurzsichtige Augen entstellt worden wäre. Sie empfing die Duchezza mit so auffälliger Schüchternheit, daß einige dem Grafen Mosca feindselig gesinnte Hofleute zu sagen wagten, es habe ganz so ausgesehen, als sei die Fürstin die vorzustellende Dame und die Duchezza die Monarchin gewesen. Die Herzogin war so betroffen und fast verlegen, daß sie kaum Ausdrücke fand, um vor dieser Fürstin, die sich so untertänig benahm, die Untertänigkeit zu wahren. Um die Ärmste, die im Grunde gar nicht so geistlos war, einigermaßen wieder in Haltung zu bringen, fand die Duchezza kein besseres Mittel, als ein langes Gespräch über botanische Dinge anzuspinnen und im Fluß zu erhalten. Auf diesem Gebiet hatte die Fürstin wirkliche Kenntnisse; sie besaß prächtige Gewächshäuser mit einer Menge von Tropenpflanzen. Indem die Duchezza auf diese ganz einfache Weise ihr und sich aus der Verlegenheit half, gewann sie die Fürstin auf ewig. So schüchtern und ungeschickt Clara Paolina auch zu Anfang gewesen sein mochte, schließlich fühlte sie sich so in ihrem Fahrwasser, daß dieser erste Empfang gegen alle Vorschriften der Hofordnung nicht weniger als fünf Viertelstunden dauerte. Am anderen Tage ließ die Duchezza südländische Gewächse aufkaufen und gab sich für eine große Pflanzenliebhaberin aus.

Die Fürstin verbrachte ihr Leben mit dem ehrwürdigen Padre Landriani, dem Erzbischof von Parma, einem sehr gelehrten, sogar geistvollen und durch und durch rechtschaffenen Mann, der freilich einen sonderbaren Anblick darbot, wenn er in seinem karmesinroten Lehnstuhl saß (das war das Vorrecht seiner Stellung) und ihm gegenüber die Fürstin, umgeben von ihren Hof- und Ehrendamen. Der alte Prälat in seinen langen weißen Haaren war wohl noch schüchterner als die Fürstin. Sie sahen sich alle Tage, aber alle seine Besuche begannen mit einer reichlichen Viertelstunde beiderseitigen Schweigens. Die Gräfin Alvizi, eine der Ehrendamen, war darum sozusagen ihr Liebling geworden, weil sie sich darauf verstand, das Stillschweigen zu brechen und eine Unterhaltung in Gang zu bringen.

Die Reihe der Vorstellungen schloß damit, daß die Duchezza bei Seiner Hoheit dem Erbprinzen eingeführt wurde. Dieser war noch größer als sein Vater und noch schüchterner als seine Mutter. Er war ein großer Mineralog und sechzehn Jahre alt. Als er die Duchezza eintreten sah, ward er über und über rot und geriet derartig in Verlegenheit, daß er nicht ein Wort fand, das er der schönen Dame hätte sagen können. Er war ein recht schöner Mensch und verbrachte seine Tage im Walde, mit einem Hammer in der Hand. Im Augenblick, als sich die Duchezza erhob, um dem stummen Empfang ein Ende zu machen, rief der Erbprinz aus: »Mein Gott, gnädige Frau, wie sind Sie hübsch!«, was der Dame, die vorgestellt wurde, keinen allzu üblen Geschmack verriet.

Die Marchesa Balbi, eine junge Frau von fünfundzwanzig Jahren, konnte zwei oder drei Jahre vor der Ankunft der Herzogin in Parma für das vollendete Urbild einer hübschen Italienerin gelten. Noch jetzt hatte sie die schösten Augen von der Welt und das anmutigste Benehmen. Aber aus der Nähe betrachtet, war ihre Haut von einer Unzahl feiner Fältchen durchzogen, die ihr ein altes Aussehen gaben. Von weitem gesehen, zum Beispiel im Theater, in ihrer Loge, war sie noch eine Schönheit, und die Leute im Parkett fanden, der Fürst habe einen sehr guten Geschmack. Er verbrachte alle Abende bei der Marchesa Balbi, aber sehr oft tat er den Mund nicht auf, und die Wahrnehmung, daß sich der Fürst langweile, hatte die arme Frau auffällig abmagern lassen. Sie gab sich den Anstrich ungemeiner Klugheit und lächelte häufig boshaft; sie besaß die schönsten Zähne der Welt und wollte durch ihr Lächeln, das im Grunde gar nichts bedeutete, ihren Worten einen tieferen Sinn verleihen. Graf Mosca behauptete, durch dieses ewige Lächeln, hinter dem sie innerlich gähne, seien ihre vielen Runzeln entstanden. Die Balbi mischte sich in alle Staatsgeschäfte, und die Staatskasse nahm keinen Tausendfrankenschein ein, ohne daß dabei für die Marchesa ein Souvenir, wie man in Parma verständnisvoll sagte, abgefallen wäre. Ein Gerücht im Volke behauptete, sie habe in England sechs Millionen angelegt; in Wirklichkeit überschritt ihr ja noch junges Vermögen nicht die Höhe von anderthalb Millionen. Um vor ihren Kniffen sicher zu sein und sie in der Hand zu haben, hatte sich der Graf Mosca zum Finanzminister gemacht. Die einzige Leidenschaft der Marchesa war die hinter schmutzigem Geiz versteckte Furcht: ›Ich werde auf einer Schütte Stroh sterben!‹ Den Fürsten, dem sie dies bisweilen sagte, empörte ihre Redensart. Die Duchezza machte die Wahrnehmung, daß im schwervergoldeten Vorzimmer des Palazzo Balbi eine einzige Kerze benutzt wurde, deren Wachs auf einen kostbaren Marmortisch herabträufelte, und daß an den Salontüren Abdrücke von schmutzigen Lakaienfingern zu sehen waren.

»Sie hat mich empfangen,« erzählte die Duchezza ihrem Freunde, »als ob sie eine Spende von fünfzig Franken von mir erwartet hätte.«

Die Reihe der Erfolge der Duchezza wurde ein wenig durch den Empfang unterbrochen, den ihr die verschlagenste Frau am Hofe, die berüchtigte Marchesa Raversidie berüchtigte Marchesa Raversi: Auch darin steckt eine Reminiszenz an Beyles ihm unvergeßliche Zeit in Mailand. Seine ›einzige Feindin‹ (wie er in seinen ›Souvenirs d'Égotisme‹ sagt) war eine Signora Raversi, die Freundin von Mathilde Dembowska., bereitete, eine vollendete Intrigantin und das Haupt der dem Grafen Mosca feindlichen Partei. Sie wollte ihn stürzen, und jetzt mehr denn je, weil sie die Nichte des Duca di Sanseverina war und ihre Erbaussicht durch die Reize der neuen Herzogin bedroht sah.

»Über die Raversi darf man nicht ohne weiteres hinweggehen«, erklärte der Graf seiner Freundin. »Ich halte sie zu allem fähig. Ich habe mich einzig deshalb von meiner Frau getrennt, weil die Raversi darauf versessen war, ihr den Cavaliere Bentivoglio, einen ihrer Freunde, als Servente zuzuschieben.«

 

Diese Dame, ein Mannweib mit tiefschwarzem Haar, auffällig durch ihre Brillanten, die sie von früh an trug, und durch ihre Schminke, hatte sich im voraus für eine Feindin der Duchezza erklärt und benutzte deren ersten Besuch, um den Krieg zu beginnen. Der Duca di Sanseverina hatte in den Briefen, die er aus ... schrieb, so sehr von seinem Gesandtschaftsposten und vor allem von seiner Aussicht auf das Großkreuz geschwärmt, daß seine Verwandten Angst bekamen, er könne einen Teil seines Vermögens seiner Gattin vermachen, die er mit kleinen Geschenken überhäufte. Trotz ihrer ausgesprochenen Häßlichkeit hatte die Raversi zum Liebhaber den Grafen Baldi, den hübschesten Mann am ganzen Hofe; es gelang ihr eben in der Hauptsache alles, was sie sich vornahm.

Die Duchezza machte ein sehr großes Haus. Der Palazzo Sanseverina war von jeher einer der großartigsten Parmas, und der Duca hatte bei seiner Ernennung zum Gesandten und als künftiger Großkomtur eine Riesensumme zu weiterer Verschönerung ausgesetzt; die Herzogin leitete die Erneuerungen.

Der Graf hatte richtig geraten. Wenige Tage nach der Vorstellung der Herzogin bei Hofe wurde die junge Clelia Conti hoffähig; man hatte sie zur Stiftsdame erhoben. Um den Hieb aufzufangen, den dieser Gnadenbeweis dem Ansehen des Grafen versetzte, gab die Duchezza ein Fest, angeblich zur Einweihung ihres Schloßgartens, und machte Clelia, die sie mit Liebenswürdigkeit überschüttete und ihre junge Freundin vom Comer See nannte, zur Königin des Abends. Wie durch Zufall leuchtete ihr Namenszug an den größten Lampions. Die junge Clelia sprach, wenn auch ein wenig nachdenklich, sehr liebenswürdig von dem kleinen Abenteuer am See und war voll lebhaften Dankes. Man sagte ihr nach, sie sei sehr fromm und eine große Freundin der Einsamkeit.

»Ich möchte wetten,« meinte der Graf, »sie ist verständig genug, sich ihres Vaters zu schämen.«

Die Duchezza gewann sich das junge Mädchen zur Freundin; sie empfand Zuneigung für sie. Sie wollte nicht eifersüchtig erscheinen und zog sie zu allen ihren Vergnügungen heran. Planmäßig suchte sie jeglichen Haß, dessen Ziel der Graf war, zu entwaffnen.

Alles lächelte der Duchezza zu. Das Hofleben, wo immer ein Sturm zu befürchten ist, machte ihr Spaß; es war ihr, als hätte sie ihr Dasein von neuem begonnen. Sie war dem Grafen zärtlich zugetan und er im vollsten Sinne des Wortes närrisch vor Glück. Dieses Glück feite ihn gegen alles, was seine ehrgeizigen Pläne bedrohte. So errang er kaum zwei Monate nach der Ankunft der Duchezza Würde und Rang eines Premierministers, wodurch ihm beinahe die gleiche Macht zufiel wie dem Monarchen selbst. Der Graf beherrschte den Geist seines Herrschers vollständig, und man erlebte in Parma einen Beweis davon, der alle Gemüter in Staunen versetzte.

Im Südosten, ungefähr zehn Minuten vor der Stadt, erhebt sich eine berüchtigte und in ganz Italien wohlbekannte Zitadelle, deren mächtiger Turm, hundertundachtzig Fuß hoch, weithin sichtbar ist. Dieser Turm, der nach dem Vorbild der Engelsburg in Rom von den Farnesen, den Enkeln Pauls III., zu Beginn des Cinquecento erbaut ist, war so breit, daß auf seiner Plattform ein Palast für den Festungskommandanten und ein neues Gefängnis, die Torre Farnese, Platz gefunden hatten. Dieses Gefängnis, zu Ehren des ältesten Sohnes von Ranuccio Ernesto II. errichtet (er war der Geliebte seiner Stiefmutter), galt weit und breit für eine Sehenswürdigkeit. Die Duchezza wollte es aus Neugier besichtigen. Am Tage ihres Besuches herrschte in Parma eine erdrückende Hitze. Die Duchezza fand oben, an diesem erhöhten Ort, die frischere Luft so entzückend, daß sie mehrere Stunden dort blieb. Man beeilte sich, ihr die Säle der Torre Farnese aufzuschließen.

Auf der Plattform begegnete die Duchezza einem armen eingesperrten Liberalen, der sich seines halbstündigen Spazierganges erfreute, den man ihm alle drei Tage gestattete. Da sie noch nicht die an einem absolutistischen Hofe erforderliche Vorsicht besaß, plauderte sie hinterher von diesem Gefangenen, der ihr seine ganze Geschichte erzählt hatte. Die Partei der Marchesa Raversi griff diese Äußerung der Duchezza auf und verbreitete sie in der Hoffnung, sie werde den Fürsten unliebsam berühren. In der Tat hatte Ernst IV. wiederholt erklärt, man müsse hauptsächlich auf die Einbildungskraft der Untertanen wirken. »Lebenslänglich,« pflegte er zu sagen, »das ist ein schweres Wort und in Italien fürchterlicher als anderwärts.« Demzufolge hatte er noch nie in seinem Leben jemanden begnadigt.

Acht Tage nach ihrem Besuch der Zitadelle erhielt die Duchezza eine Begnadigungsurkunde, die vom Fürsten und dem Premierminister unterzeichnet war; der Name war jedoch nicht ausgefüllt. Der Sträfling, dessen Namen sie eintrüge, sollte sein Vermögen zurückerhalten sowie die Erlaubnis, den Rest seines Lebens in Amerika zu verbringen. Die Duchezza schrieb den Namen des Mannes, mit dem sie gesprochen hatte, in die Urkunde. Unglücklicherweise war das gerade ein halber Schurke, ein schwacher Charakter: auf sein Geständnis hin war der berühmte Ferrante Palla zum Tode verurteilt worden. Dieser einzig dastehende Gnadenakt hob die Stellung der Duchezza noch mehr. Graf Mosca war närrisch vor Glück; er stand im Zenit seines Lebens.

Alles das wurde von entscheidendem Einfluß auf Fabrizzios Geschick. Er war noch immer in Romagnano bei Novara, beichtete, ging auf die Jagd, las nicht eine Zeile und machte einer vornehmen Dame den Hof, wie es die Vorschrift verlangte. Über diese letzte Notwendigkeit war die Gräfin von Anfang an ein wenig aufgebracht. Ebenso merkwürdig war es, daß sie niemals in Gegenwart des Grafen von Fabrizzio sprach, ohne sich vorher jedes Wort ihrer Rede zu überlegen, während sie ihm gegenüber sonst in allen Dingen von der größten Offenheit war und in seiner Gegenwart geradezu laut dachte. Ihm war es entgangen.

»Wenn es Ihnen recht ist,« sagte er zu ihr, »schreibe ich Ihrem liebenswürdigen Bruder am Comer See, diesem Marchese del Dongo, und nötige ihn, indem ich meinen Einfluß und den meiner Freunde in ... aufbiete, Ihrem lieben Fabrizzio Begnadigung zu erwirken. Wenn es wahr ist, und ich wage nicht daran zu zweifeln, daß er etwas höher steht als die übrige Jugend, die ihre englischen Pferde in den Straßen Mailands tummelt, so muß es ihn bedrücken, mit achtzehn Jahren nichts zu tun zu haben und voraussichtlich niemals im Leben etwas zu tun zu kriegen. Wenn ihm der Himmel irgendeine Leidenschaft verliehen hätte, wofür es auch sei, und wäre es die, zu angeln, so ließe ich es mir gefallen; aber was sollte er in Mailand anfangen, selbst wenn er begnadigt würde? Zu bestimmter Stunde reitet er seinen englischen Vollblüter, zu einer anderen treibt ihn sein Müßiggang zu seiner Geliebten, die er weniger liebt als sein Pferd. Wenn es Ihnen recht ist, will ich versuchen, Ihrem Neffen einen Wirkungskreis zu schaffen.«

»Ich möchte gern, daß er Offizier wird«, sagte die Duchezza.

»Welcher Monarch sollte einen Posten, der eines schönen Tages von gewisser Bedeutung sein kann, einem jungen Mann anvertrauen, der erstens begeisterungsfähig ist und zweitens Begeisterung für Napoleon bekundet hat, indem er bei Waterloo zu ihm wollte? Bedenken Sie, was wären wir alle heute, wenn Napoleon bei Waterloo gesiegt hätte? Die Liberalen hätten wir allerdings nicht zu fürchten; aber die Monarchen aus den alten Herrscherhäusern könnten sich ihre Krone nur erhalten, wenn sie die Töchter napoleonischer Marschälle heirateten. Unter den heutigen Umständen wäre die Soldatenlaufbahn für Fabrizzio genau so wie das Dasein eines Eichhörnchens im Drehkäfig: viel Bewegung und kein Vorwärtskommen. Er hätte den Ärger, sich von jedem plebejischen Streber überflügelt zu sehen. Heutzutage, das heißt etwa in den nächsten fünfzig Jahren, solange wir Angst haben und die Tradition noch nicht wieder hergestellt ist, kommt es für einen jungen Mann vor allem darauf an, unfähig zur Begeisterung und arm an Geist zu sein. Ich habe an etwas gedacht, worüber Sie vielleicht zunächst entsetzt sein werden und was mir endlose Scherereien – und nicht nur für kurze Zeit – machen wird, ja was geradezu eine Torheit ist, die ich Ihnen zuliebe vollführen will. Aber gestehen Sie es mir, Sie wissen ja, welche Torheit beginge ich nicht, nur um ein Lächeln von Ihnen zu erringen?«

Бесплатный фрагмент закончился. Хотите читать дальше?
Купите 3 книги одновременно и выберите четвёртую в подарок!

Чтобы воспользоваться акцией, добавьте нужные книги в корзину. Сделать это можно на странице каждой книги, либо в общем списке:

  1. Нажмите на многоточие
    рядом с книгой
  2. Выберите пункт
    «Добавить в корзину»