Widerstand: Hoffnung, Wandlung und Mut

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Während seiner Rede an die Nation übernahm Carter als Oberster Befehlshaber die volle Verantwortung für die menschlichen Opfer und die fehlgeschlagene Mission. Doch das konnte das emotionale Echo im ganzen Land nicht aufhalten.

Khomeini schlachtete die Tragödie aus, um seiner Revolution mehr Gewicht zu verleihen, und überzeugte zahlreiche Iraner davon, dass es ein Wunder gewesen sei, ein gerechter Akt Gottes, gerichtet gegen den großen Satan Amerika. Fotos von Khomeini und seinen Unterstützern am Unglücksort von Desert One zerrissen das Herz der USA, da man die Leichen der toten Soldaten in der Wüste schändete.

Mit der kollektiven Reaktion Genug! eines Großteils der Bevölkerung steigerten sich die dissonanten „Akkorde“ und gewannen an Schwung, wobei Nixons Referenz an die USA als „bemitleidenswerter Gigant“ widerhallte.

In Washington wurde der Same für Schlachtengebrüll gesät, bei dem eine „Revolution bezüglich militärischer Einsätze“ gefordert wurde. Einige vertraten die Auffassung, dass Eagle Claw den Anstoß gegeben habe, um die Special Operations Forces vollständig zu restrukturieren und neu aufzustellen. Das Resultat all dessen war die Etablierung des unabhängigen U.S. Special Operations Command, 1987 genehmigt durch den Kongress. (Es wurde im August 1990 im Rahmen der Operation Desert Shield eingesetzt, nachdem der Irak in Kuwait eingefallen war und zur Kontrolle des Öls eine Invasion in Saudi-Arabien anstrebte. Zu Beginn des Jahres 1991 sahen wir die Soldaten auf unseren Bildschirmen während eines „Fernsehkriegs“ namens Desert Storm.)

Nach der Eagle-Claw-Tragödie im April 1980 führte uns der September in einen langwierigen achtjährigen Krieg zwischen dem Irak und Iran. „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ wurde zur stehenden Redensart und so prägend wie die Hookline in einem Song.


Wenn ich mir durch den Zigarettenqualm den Weg zu meinem Klavier bahnte, hörte ich häufig, wie jemand den Namen von Ronald Reagan fallen ließ. Bei einer der Präsidentschaftsdebatten 1980 giftete Reagan: „Wenn dein Nachbar seinen Job verliert, ist das eine Rezession. Wenn du deinen Job verlierst, ist das eine regelrechte Wirtschaftskrise. Und eine Erholung ist es, wenn Jimmy Carter den seinen verliert.“

Am 4. November 1980 waren die amerikanischen Geiseln immer noch nicht in ihrer Heimat. Überall im ganzen Stadtbezirk wehten die gelben Bändchen im Wind, und ich spielte immer noch „Tie A Yellow Ribbon“. Als Reagan der nächste Präsident wurde, veränderte sich die Bevölkerung von Washington. Und diese Leute besuchten mich am Klavier, nur wenige Blocks vom Weißen Haus entfernt. Während ich eine Version von „The Tide Is High“ von Blondies Autoamerican-LP spielte, erinnerte sich irgendein Gast mit einem Cocktail in der Hand, warum sich Carters Entscheidung, dem Schah Asyl zu gewähren, als katastrophal für ihn herausstellte. In der ganzen Stadt hatte Tip O’Neill, der Sprecher des Repräsentantenhauses, seinem Unmut Luft gemacht über die fehlende Unterstützung und Finanzierung der Special Operations Forces.

Und nun stand er da – vor mir und dem Klavier. Es schien eine Lebensspanne vergangen zu sein, denn bei unserer ersten Begegnung war ich noch 14 gewesen und bei einer Kongress-Party aufgetreten. Ich erkundigte mich nach seinem Beruf, und er verriet mir, der „Sprecher“ zu sein. Zu der Zeit noch ein wenig grün hinter den Ohren, fragte ich ihn: „Sprecher von was?“ Er lachte, und ich spielte einige irische Stücke, während er einen Jig tanzte. Danach wünschte sich O’Neill „Bye Bye Blackbird“, und wir sangen das Stück gemeinsam. Er gab sich mir gegenüber wie ein wahrer Gentleman, zu einer Zeit, in der ich noch nicht reif genug war, um mich mit der Komplexität Washingtons auseinanderzusetzen.

Damals war ich noch jung und naiv. Doch dann entledigte ich mich des Schleiers der Leichtgläubigkeit. Ich erkannte, dass die in der Schule gelernten Lektionen über die Arbeitsweise der Regierung ganz offensichtlich nicht der Wahrheit über die wahren Machtverhältnisse in Washington entsprachen, die von Lobbyisten und Großunternehmen geprägt waren.

Die Republikaner mögen gewonnen haben, doch Reagan verkündete: „Ich glaube, dass der Liberalismus das Herz und die Seele des Konservatismus ausmacht.“ David Koch von den Brüdern Koch war 1980 der Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten bei den Liberalen. Ihre Agenda beinhaltete die Abschaffung der Umweltschutzbehörde sowie von Medicare und Medicaid, die Aufhebung des Mindestlohns, die Streichung der Steuern für Großunternehmen und eine unbegrenzte Spendenpraxis, um sich einen Teil des Senats, des Repräsentantenhauses und möglicherweise eines Tages die Präsidentschaft zu erkaufen.

Beim Durchschnittsbürger kam ihre Botschaft nicht sonderlich gut an. Damals kaufte niemand die Idee ab, dass Steuermäßigungen für die Superreichen dem Normalverdiener helfen könnten. Wir wussten, dass einschneidende Steuererleichterungen für die Finanzelite für Leute, die nicht zum Club gehörten, den Weg in die Leibeigenschaft bedeuteten. Es schien, dass die Zielrichtung der Liberalen und Republikaner in der Erschaffung einer ökonomischen Aristokratie lag.

Oft stand der schwule Kellner neben mir am Klavier, wenn ich „The rich get richer, the poor get laid off, ain’t we got fun“ sang, schüttelte den Kopf und meinte: „Warum sollte nur jemand das Gift dieses moralisch korrupten Elixiers schlucken? Glauben die wirklich, dass man uns so leicht betrügen kann?“

Nach einem einer Achterbahnfahrt gleichenden Jahr und einem Erdrutschsieg für Reagan folgte dann eine Bekanntgabe, die die ganze Welt schockierte.

Die Stimme, die uns die Vorstellung „Imagine all the people living life in peace“ vermittelte, war endgültig zum Schweigen gebracht worden. John Lennon wurde in New York City erschossen. Der Verlust eines Songwriters, der uns alle zum Denken angeregt hatte, war unerträglich. Auf der ganzen Welt zündete man Kerzen an. Die Menschen sangen Songs, die er uns geschenkt hatte. Wir beendeten das Jahr mit kollektiver Trauer und gedachten einer visionären Seele, die man uns viel zu früh nahm.

BANG

Bang went the gun on their tongue

word crucifixion toward immigrants shunned

„Immigrants that’s who we all are

’cause we’re all made of stars“

you said to them

oh yes you did

Bang went the Universe

Hydrogen lusting for Helium’s burst

a mighty Sun’s Dance of Death

Exploding Super Nova

one story’s end

seeds another to begin

then the heavens

opened and then

I heard voices

joined in Hosannas

breathlessly I saw your star

so bright it blinded me

I had to shield my eyes

so bright it blinded me

I had to shield my eyes

so bright it blinded me

I had to shield my eyes

and then

you took my hand

oh yes you did

Bang the world now traumatized

by a cluster of hostile humans who side

with their warlords of hate

so we must out-create

with the Backbone of Night

to Rehumanize

then the heavens

opened and then

I heard voices

joined in Hosannas

and their tower

of confusion

could not drown

the Light

from your star

so bright it blinded me

I had to shield my eyes

so bright it blinded me

I had to shield my eyes

so bright it blinded me

I had to shield my eyes

and then

you lit the path

oh yes you did

„Can’t you see“

he said to me

„that we all

are Molecular Machines“

goals and dreams

all I wanna be

is the very best

Machine I can be

Hydrogen

Calcium

Phosphorus

Potassium

Sulfur

Sodium

all I wanna be

is the very best

Machine I can be

Iodine

Iron

Manganese

Molybdenum

Nitrogen

Selenium

Silicon

Tin

Vanadium

and Zinc

all I wanna be

a MOLECULAR Machine


IMAGINE.

In an American court.

A little boy about four years old.

Of Latin descent.

Sandaled feet flouncing over the chair lip.

Huge ear defenders on.

A U.S. judge asks, „Do you have a lawyer?“

The little boy shakes his head.

„Do you know what a lawyer is?“

The little boy shakes his head again – after his headphones

translate the words.

Zero-tolerance policy.

Parents separated from their children.

Children crying in cages.

Imagine.

The white power movement.

Those who are actively advocating for the destruction of people –

whom they objectify as „other.“

The architects behind zero tolerance …

What events did they twist to justify that policy?

The implementation of zero tolerance.

Being the reason that this little boy was sitting in that chair on

his own, alone.


2017 brachten mir die Musen „Bang“, was mich zu einer direkten Antwort veranlasste.

 

Zu exakt dieser Zeit wurden Moslems bei uns durch ein Einreiseverbot verunglimpft. Das Schreiben von „Bang“ erinnerte mich daran, dass wir den destruktiven „Lösungen“, konzipiert von den Immigrationsarchitekten der Trump-Regierung, etwas entgegen-kreieren mussten. Die Intention von „Bang“ liegt darin, Gespräche über Immigration und eine Reform derselben anzustoßen. Sie [Tori Amos spricht manchmal unter Nutzung des weiblichen Personalpronomens über ihre Songs oder über ihr Klavier, Anm. d. Üb.] weigert sich aber, sich als Befürworterin einer „Auf gar keinen Fall Grenzen“-Politik abstempeln zu lassen oder eine grenzenlose Fantastin zu sein, denn wir beide widersprechen dem Extrem „keine Toleranz“, was sich auf sehr verschiedene Einstellungen bezieht. Kluge Menschen müssen eine vernünftige Politik machen, basierend auf ausgewogenen Argumenten – diese Leute muss es einfach geben. „Bang“ bietet denen Raum, die sich dazu zwingen, wenn auch nervös und unsicher, das schwierige Thema der Reform der Regelungen zur Immigration anzupacken, mit einer ausbalancierten Mischung aus Pragmatismus und Vorstellungskraft.

Einige Songs werden nicht zum Kampf gegen ideologische Gegner komponiert. „Bang“ wurde kreiert, um Kraft zu geben und die zu vereinen, die an den demokratischen Prozess glauben. Die, die daran glauben, dass die Unterstützung einer autoritären Regierung – implizit und explizit – sich gänzlich gegen das Konzept der Menschrechte richtet.

Beim Songwriting kommt es manchmal zu einem Heureka!-Moment. Du schlägst deinen Kopf gegen eine imaginäre Wand, und dann taucht ein Carl Sagan auf, der durch die Zeit zu dir spricht. Dank seines durch die Wissenschaft geprägten Bewusstseins erklärte er, was „Mensch sein“ definiert. Diese Gedanken konnten sich in alle Richtungen ausweiten. Sie waren nicht auf ein religiöses Dogma beschränkt und erlaubten den Leuten, sich daran zu orientieren, wenn sie es wollten. Und das liegt in der Tatsache begründet, dass Sagan keinen von uns mit seiner Definition, was denn nun menschlich ist, „zu einem anderen machte“ – keinen einzigen. Weder missachtete noch überbewertete er einen anderen aufgrund seiner Religion, Hautfarbe oder des Geschlechts.

Er sagte, dass alle Menschen aus Sternenstoff gemacht seien. Sternen­stoff.

Stell dir das vor.

Und aus was besteht Sternenstoff? Das war meine erste Reaktion, wenn ich an Sagan dachte. Und wir Menschen sind alle aus diesem Stoff gemacht?

Das überschritt jede Definition, die ich bislang kennengelernt hatte. Andere Definitionen waren lediglich eine Ablenkung von dieser Schlüsselwahrheit.

Im Laufe der Zeit zeigte mir Sagan mit seiner Ansicht etwas Schönes auf. Und den Gedanken, den er mittels eines Computerbildschirms mit mir teilte, wurde für mich wertvoll und verwandelte mich. Vielleicht nur schrittweise, doch Veränderung ist Veränderung. Zum ersten Mal wurde das Periodensystem Teil meines Lebens. Eine neue Sichtweise anzunehmen, eine Idee, die keinen Teil meiner inneren Welt darstellte oder meiner Selbsteinschätzung … ja, das fühlte sich wirklich beängstigend an. Veränderung kann furchterregend sein. Als Individuen durchleben wir unsere Prüfungen und werden auf die Probe gestellt, erleben unsere persönlichen Kämpfe und Verluste. An manchen Tagen nehmen wir es als selbstverständlich, das zu erreichen, was wir uns vorgenommen haben. Wir stecken in unserer Routine – was nicht bedeutet, dass es keine Herausforderungen gibt, doch in der Regel meistern wir sie. Und dann kommt ein Hurrikan, ein Feuer, eine Massenschießerei, ein Terrorangriff – ein Geschehnis, das uns zu einer Auseinandersetzung zwingt, auf die wir nicht vorbereitet waren. Ich habe hochgeschaut und nach draußen gesehen, verzweifelt ein Gespräch gesucht, um Hilfe gerufen, bitte helft mir – ich bin nicht auf das vorbereitet, was vor mir liegt.

Und manchmal finde ich keine Antwort, höre nur das stumme Nichts, überhaupt keinen Song. Nicht in dem Augenblick. Wir alle waren schon zu einer Auseinandersetzung mit dem Selbst gezwungen – fühlten, dass wir aus Sternenstoff gemacht, aber durch ein Ereignis vollkommen überwältigt sind. Wo ist die Blaupause dieses Gefühls?

Manchmal muss man sich mit niederschmetternden Ereignissen auseinandersetzen, die nicht nur die Familie und Freunde betreffen, sondern eine ganze Gemeinde, eine Stadt, etwas Größeres. Einige nutzen ein tragisches Geschehen, um eine Erzählung zu verdrehen und ihre eigene politische Agenda durchzudrücken. Das sind die Kriegsherren des Hasses.

Andere stellen sich einer Tragödie durch die Auseinandersetzung mit Bewältigungsprozessen. Wir alle trauern unterschiedlich: Einige verschließen sich; andere öffnen sich. Einige gebären sich aggressiv. Manche Stunden des Tages verbringen wir in einer Art Schockstarre, ertrinken in Gefühlen. In anderen Momenten sind wir uns allein überlassen, mit dem Gefühl einer grauen, trostlosen Taubheit.

Das kollektive Trauma hat seine eigene Energie.

Nicht nur einzelne Songs wurden geschrieben, sondern ganze Alben, um das aufzuzeichnen, was mir Menschen berichtet haben, was sie sahen, hörten und fühlten.

Manchmal warnten mich die Musen, und ihre Lektionen können hart und auch harsch sein. Sie schienen mir zu sagen: „T, du musst es respektieren, in welcher Phase des Verarbeitungsprozesses diese Leute stecken, dass sie noch keine Lösung gefunden haben. Auch wenn es dich beruhigen würde, wenn sie bereits vor dem Abschluss stünden, leiden sie noch. Wenn du also die Wahrheit dieses Augenblicks in einen Song einwebst, kannst du sie nicht auf diese Menschen projizieren. Möchtest du wirklich die Gefühle dieses Augenblicks dokumentieren, liegt der Schlüssel im Zuhören.“

Die wichtigste Eigenschaft einer Songwriterin besteht im Vermögen des Zuhörens. Wie bei einem Elefanten – Ohren in der Größe von Kansas. Du musst nicht nur das hören, was in den Atempausen „gesagt“ wird. Du musst das hören, was gar nicht gesagt wird.

Bei einem kollektiven Trauma trauert eine Gruppe von Menschen gemeinsam. Dabei hat natürlich jeder eine ausgeprägte Empathie für das, was die anderen durchmachen. Der gemeinsame Nenner ist „diese“ bestimmte Tragödie, und somit können alle das Geschehnis verarbeiten – einzeln und zusammen.

Es gibt Zeiten, in denen wir einsam sind, in denen wir uns zerbrochen oder innerlich in einzelne Teile aufgelöst fühlen, aber dann – kommt plötzlich ein anderer, den wir vielleicht gar nicht oder nicht gut kennen, und dann macht es: BANG. Diese anderen spiegeln einen uns bekannten erschütternden Schmerz wider, den man erkennt, schaut man in ihre Augen. Da ist es, genau da. Ein gemeinsam empfundenes Gefühl, ein Wissen … und man beginnt, zusammen zu trauern.

GIRL

from in the shadow she calls

and in the shadow

she finds a way

finds a way

and in the shadow she crawls

clutching her faded photograph

my image under her thumb

yes with a message for my heart

yes with a message for my heart

she’s been everybody else’s girl

maybe one day she’ll be her own

everybody else’s girl

maybe one day she’ll be her own

and in the doorway they stay

and laugh as violins fill with water

screams from the bluebells can’t

make them go away

well I’m not seventeen

but I’ve cuts on my knees

falling down as the winter

takes one more cherry tree


she’s been everybody else’s girl

maybe one day she’ll be her own

everybody else’s girl

maybe one day she’ll be her own

rushin’ rivers

thread so thin

limitations

dreams with the flying pigs

turbid blue

and the drugstores too

safe in their coats

and in their dos

a smother in our hearts

a pillow to my dots

one day maybe one day

one day

she’ll be her own

and in the mist there she rides

and castles are burning in my heart

and as I twist I hold tight

and I ride to work

every morning wondering why


„Sit in the chair and be good now.“

and become all that they told you

the White Coats enter her room

and I’m callin’ my baby

callin’ my baby

callin’ my baby

callin’

everybody else’s girl

maybe one day she’ll be her own

everybody else’s girl

maybe one day she’ll be her own

everybody else’s girl

maybe one day

she’ll be

her

own


SONGS SIND LEBENDE UND ATMENDE WESEN. „Girl“ ist nicht in ihrer Zeit eingeschlossen und bezieht sich nicht nur auf die Begleitumstände ihrer Geburt 1990. Sie bezieht sich nicht nur auf die Geschichte einer jungen Frau, sondern auf jede in jedem Alter, die sich selbst ein wichtiges Versprechen gegeben hat. Es kann das Bestreben nach Beendigung einer Lebensphase sein – in der man eine Person ist, die ein anderer braucht oder verlangt, zu der er dich verführt oder einschüchtert. Egal, ob wir zu „dieser Person“ werden, um einem Konflikt aus dem Weg zu gehen oder einer Ablehnung vorzubeugen – wir alle haben uns schon mal in dieses „Ich“ verwandelt, das ein Gegenüber in uns sehen will.

Manche Beziehungen können dich zermürben und ausmergeln. Und so spiegelt man es wider oder reflektiert es – das, was der Meister will, wie eine Art Schoßhündchen. In so einem Augenblick erscheint es der einfachere Weg zu sein: Was immer es braucht, um sich der negativen Stimmung des anderen zu beugen. Der Meister muss nicht zwangsläufig ein Mann sein. Manchmal ist er es, aber nicht immer. Egal, wer er auch ist, er weiß, dass man andere Menschen abrichten und trainieren kann. Entweder mit Lob, Scham, der Angst vor dem Versagen oder der Angst vor Manipulation. Die grundlegende Technik ist das eng verknüpfte Wechselspiel zwischen Belohnung und Bestrafung. Hier findet sich keine bedingungslose Liebe. Nein, diese Form der Beziehung unterliegt allein den Regeln des Meisters. Es sind keine respektvollen und auf gegenseitigem Einverständnis beruhenden Bedingungen – es sind die ihren, die der anderen.

Das Mantra vor „Girl“ lautet: Ich muss mich allein besitzen, meine eigene Autorität sein. Ich muss für mich selbst ein Zuhause bieten und einen Weg finden, das zu leben, an was ich glaube.

Die Selbsterkenntnis als Mensch und das Entdecken all der verschiedenen Charakterzüge, die „dich“ ausmachen, ist keine leichte Aufgabe. Besonders, wenn du bislang dieses Bisschen oder diesen Byte oder sogar diese Megabytes ausgelassen hast. Du magst dich wie ein verblassendes Gemälde des „Ichs“ fühlen, das du einmal sein wolltest. „Girl“ brachte mich dazu, im ganzen Haus Traumfänger aufzuhängen, um Teile von mir zu retten, die ich früher ignoriert hatte.

Einige meiner Charakterzüge waren nicht mehr hilfreich. Und „Girl“ sagte: Das ist nur natürlich. Dieser Teil von dir hat seinen Zweck erfüllt. Danke ihm, und lass ihn gehen.

„Einfach so?“, fragte ich.

Schick ihn mit einer Margarita fort. Ihm wird es gutgehen.

Nicht nur leitete sie mich an, bestimmte vernachlässigte Aspekte in die Arme zu schließen; sie ermutigte mich auch dazu, mich anderen Seiten zu öffnen, deren Erkundung ich mir bisher nicht erlaubt hatte. Mir dämmerte die Erkenntnis, dass es völlig okay wäre, ein bisschen an mir „herumzujustieren“. Einige dieser Nachjustierungen führten zu riesigen Verbesserungen.

„Girl“ war eine wichtige Wegweiserin, als sie mich lehrte: Hab keine Angst davor zu wachsen und dein Selbstwertgefühl als Mensch und Künstlerin zu erweitern. Wer weiß? Möglicherweise magst du Oper – eines Tages. Vielleicht nicht heute, aber du wirst dich während des ganzen Lebens an Kreuzungen wiederfinden. Hab keine Angst davor, etwas ganz anderes zu erschaffen.

„Girl“ wusste nur zu gut, dass ich mich in dieser Phase im Jahr 1990 als Künstlerin an einer weiteren wichtigen Weggabelung befand und gegen mächtige Kräfte ankämpfte, die auf eine potentielle Song-Zerstörung hinwirkten. „Girl“ war noch nicht geschrieben, doch sie lauschte mir vom Äther aus und hörte die immensen musikalischen Probleme, mit denen ich mich all diese Jahre konfrontieren musste.

 

Aber ich wusste, dass sie schon bei mir war, sich selbst als ein Song-Being manifestieren würde. Ich weiß es auch jetzt, während ich diese Zeilen an euch verfasse, zu ihrem 30. Geburtstag im Jahr 2020.

1990 war Little Earthquakes, mein zweites Album (und meine erste Soloveröffentlichung), von meinem Label Atlantic Records gerade abgelehnt worden. Einige von euch mögen die Geschichte kennen, andere eventuell nicht. Ich bin sicherlich nicht die erste Künstlerin, deren Album auf Ablehnung stieß, und werde auch nicht die letzte sein. Doch die Musen überzeugten mich davon, die Komplexität des Problems anderen mitzuteilen und dass wir eine Lösung finden würden, die für mich funktionierte, für mich, die Künstlerin, und für den Investor, das Plattenlabel.

Wie jeder weiß, sind zahlreiche Leute involviert, wenn eine Künstlerin in einer Krise steckt und für einen krachenden Audio-Unfall designiert ist. Um alle Namen zu erwähnen, würden die Seiten des Buches nicht ausreichen, doch es ist klar, dass ich den Konflikt nicht allein löste. Die folgende Straßenkarte beschreibt die möglichen Routen, die man nehmen oder vermeiden sollte, um eine zufriedenstellende Lösung für alle zu finden, die sich in einer kreativen Krise befinden.

Das Problem zeichnete sich durch mehrere Komponenten aus. Wie in meinem ersten Buch erwähnt, brachte mich die Ablehnung von Little Earthquakes zu einem Stillstand. Natürlich war ich auch schon vorher mit Absagen konfrontiert. Mein erstes Album Y Kant Tori Read von 1988 war ein Misserfolg gewesen. Aber dann entdeckte ich das Klavier neu – ich sollte lieber sagen, sie entdeckte mich –, und Little Earthquakes wurde um diese Wiederentdeckung herum aufgebaut, also nach dem Verrat am Instrument. In meiner Sicht waren die Songs, die Künstlerin und die Aufnahmen ehrlich und authentisch, und die daran Beteiligten hatten das Gefühl, dass dem Album eine alte und reine Magie innewohnte.

Die Ablehnung durch die Plattenfirma und der Lösungsansatz der mächtigen Männer stellte dann eine traumatische und vernichtende Antwort dar: „Ersetzen Sie alle Klaviere durch Gitarren.“

Die Schlacht um die Integrität der Stücke und um den Schutz der Aufnahmen war eröffnet, doch wie sollte man kämpfen? Wie bekämpft man die Meinung eines Plattenmoguls, der große Erfolge als Produzent verbucht und sehr viele Platten verkauft hatte – und diese Lösung anbot: „Schalten Sie alle Klaviere stumm, und nehmen Sie Gitarren auf. Das sollte funktionieren.“

Nun war alles klar, und ich rastete aus. Ich durchlebte eine Kernschmelze, hyperventilierte und schleuderte Wassermelonen gegen die Wände. Die Entscheidung kam von höchster Stelle. Es gab keinen Mächtigeren in der Firma.

Ich war für acht Alben an einen Vertrag gekettet, die alle von dem Urteil und der Meinung des Labels abhingen. Das summierte sich bei einem Erfolg auf 16 Lebensjahre, wenn man in einem Jahr aufnimmt, im folgenden auf Tour geht und das Songwriting des nächsten Albums während der Tournee in Angriff nimmt. Vorausgesetzt, du hältst den Schreiben-Aufnehmen-Tourneen-Marathon durch. Wahrscheinlicher ist es aber, dass ein Künstler bei so einem Vertrag 20 Jahre feststeckt.

Dazu kommt noch, dass der Plattenfirma die Aufnahmen gehören, die man im Rahmen des Deals einspielt. Wenn sie dich nicht an andere Firmen verkaufen wollen, ist es ihre Entscheidung, und nicht deine! (Ich schlug den Verkauf vor.) Als Alternative können sie dich im Regal stehen lassen, in einer Art Warteschleife, dich weder vermarkten noch an ein anderes Label vermitteln. Dieser Prozess kann dermaßen in die Länge gezogen werden, dass dich niemand mehr unter Vertrag nehmen wird. Die Macht, die die Labels haben, ist sehr real. Das war lange Zeit vor dem Internet, und somit waren sie die einzigen Player, was sie auch wussten.

Zur Zeit der Ablehnung des Albums stand ich kurz vor meinem 27. Geburtstag. Damals war das Klavier musikgeschichtlich noch nicht in der Popkultur angekommen. Die Folk-Szene feierte mit Künstlerinnen wie Tracy Chapman, Suzanne Vega und vielen anderen einen Neubeginn, wodurch sich die Akustik-Gitarre bei Kritikern neu bewies. Auch die Umsätze steigerten sich. Synthies waren die Tasteninstrumente des Tages. Das Piano wurde von den Mächtigen der Labels als „schnarchig“ und unmodern angesehen. (Elton und Billy waren die Ausnahmen, Legenden, die nach eigenen Regeln spielten.) Wenn man auf den untersten Sprossen der Nahrungskette des Musikbusiness stand, musste man ein anderes Spielchen spielen.

Die einzigen Platten, die ich von meinem ersten Bandalbum Y Kant Tori Read verkaufte, gingen an meine Eltern Ed und Mary, einige entsetzte Kirchgänger der Methodisten und vielleicht an einen Metal Head irgendwo in Idaho. Darum musste ich mich beweisen, zeigen, dass das Klavier bereit war, eine neue Nische in der snobistischen Popkultur zu besetzen, die „für Sünder“ spielte. Ich gehörte natürlich dazu und schwitzte meine Dämonen aus, mit dem linken Absatz auf dem Sustain-Pedal, für die Errettung singend, eine musikalische Tochter von Jezebel, die rechte Hüfte dem Kirchen-Revival des Südens entgegengestreckt.

Doch das waren bislang nur Visionen, eingefangen auf den Bändern, die Atlantic gehörten und mit denen sie laut Vertrag alles anstellen durften, was sie wollten. Und so lag meine Aufgabe darin, meine Songs der Sünde und Erlösung neu zu verhandeln. Die Musen überbrachten mir eine Botschaft: Du als Songwriterin magst nicht die geschickteste Verhandlungspartnerin sein, um eine Lösung zu finden, denen die mächtigen Männer zustimmen. Die Songwriterin ist aber nur ein Teil dessen, was eine Künstlerin ausmacht, und sie trägt besondere beobachtende und emotionale Fähigkeiten in sich. Doch diese Männer stellen keine Fragen. Ihre Forderung nach „etwas anderem“ muss erfüllt werden. Um das herauszufinden, ist die Einschätzung hilfreich, welcher Teil von dir und deiner Ausbildung der herausfordernden Aufgabe am besten dienlich ist. Deine komplexe Aufgabe ist es, ihre Problemlösung abzulehnen, aber auch zu erklären, ihre Bedenken gehört zu haben. Dann musst du sie dazu bringen, einer anderen Lösung zuzustimmen – die, mal ganz nebenbei gesagt, du dir einfallen lassen musst.

Bis zum heutigen Tag bringen mich die Musen dazu, eine Technik anzuwenden, die ich 1990 erlernte. Sie ermutigen mich, all meine Fähigkeiten genau unter die Lupe zu nehmen und dabei den Teil von mir zu finden, der Erfahrung damit hat, sich auf eine aktuelle Herausforderung einzupendeln.

Die Begleitumstände der neuen Aufgabe mögen vielleicht keinem der alten Probleme aus der Vergangenheit ähneln, doch es mag etwas geben, auf das ich mich beziehen kann, das ich in dem neuen Bild einbaue. Es gab einen Punkt, an dem die Musen eine sehr direkte Anweisung gaben. Ich sollte dem Plattenlabel „Fickt euch doch“ verkünden, doch das war sicherlich kein intelligenter Schachzug und hätte mich wahrscheinlich für immer und ewig auf den Klavier-Bar-Abschiebeplatz verdammt. Ich musste aus dem Bannstrahl ausbrechen, um das Album wieder in die Spur zu bringen und aus der Blockade zu befreien. Von den Musen geleitet, fand ich mein 20-jähriges klavierspielendes Ich wieder. Wir saßen gemeinsam in meinem Ein-Zimmer-Apartment hinter der Highland Methodist Church in Hollywood und beschworen die Energie und die Perspektive, die mein altes „Ich“ 1984 auszeichnete.

Die Musen fragten mich: Zu dem Zeitpunkt in deinem Leben, als man dich dafür bezahlte, in Washington zu spielen, konntest du da als Künstlerin genau das machen, was dir vorschwebte?

Nein, um ehrlich zu sein, muss ich eingestehen, dass ich meist die Wünsche der Gäste bediente.

Die Musen: All die Anwesenden – variierten ihre Wünsche immer, oder gab es Gemeinsamkeiten?

Tja, ich denke das offensichtlichste Beispiel kontrastierender Veranstaltungen fand sich an einem Tag, an dem ich bei einer Beerdigung und einer Hochzeit auftrat. Dad bezahlte mich an jenem Tag „im Paket“, also eine Gage für zwei Auftritte, und somit war das Engagement ein guter Deal – eine Art Anfängerbonus. Keine Ahnung, ob Dad sich einen Teil des Honorars in die eigene Tasche steckte, aber es war ein Job und die damit verbundenen Energien und die Atmosphäre unterschieden sich zwangsläufig. In vielerlei Hinsicht waren Hochzeiten weniger kreativ, denn Braut und Bräutigam hatten natürlich genaue Vorstellungen, welche Stücke „ihre Songs“ waren und wollten keinen Titel hören, der sie an den/die Ex erinnerte. Und so folgte ich den Vorgaben, denn wenn ich einen vorher nicht abgestimmten Love Song gespielt hätte, hätte ich alle Zuhörer verlieren können. Möglicherweise hätte ich auch noch mehr Unheil angerichtet und die Menschen verletzt.

Die Musen: Und bei Beerdigungen?

Beerdigungen waren oft höchst schwierig und mit weniger Aufregung verbunden, mal abgesehen von Spannungen, ausgelöst durch ein Testament. Meist wusste Dad von Streit oder Fehden und teilte es mir insgeheim mit. Wahrscheinlich wäre ich den Leuten aber sowieso nie mehr begegnet, ausgenommen, sie gehörten zum Georgetown- oder Capitol-Hill-Set, wo ich ständig spielte. Dad dachte also, mir durch die Schilderung der Situation bei der Gestaltung eines bedächtigeren Gottesdiensts zu helfen, und wurde damit seiner Verantwortung gegenüber den Hinterbliebenen gerecht. Meist hatte ich bei einer Trauerfeier mehr Freiraum, doch gelegentlich gab es auch Wünsche wie zum Beispiel einen ganz bestimmten Song oder eine Hymne. Meine Aufgabe bestand darin, die Stimmung zu gestalten und eine bestimmte Atmosphäre im Raum zu erzeugen.

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