Бесплатно

Armadale

Текст
0
Отзывы
iOSAndroidWindows Phone
Куда отправить ссылку на приложение?
Не закрывайте это окно, пока не введёте код в мобильном устройстве
ПовторитьСсылка отправлена

По требованию правообладателя эта книга недоступна для скачивания в виде файла.

Однако вы можете читать её в наших мобильных приложениях (даже без подключения к сети интернет) и онлайн на сайте ЛитРес.

Отметить прочитанной
Шрифт:Меньше АаБольше Аа

Sechstes Kapitel

»Neapel, den 10. October. Es sind heute zwei Monate verstrichen, seit ich erklärte, ich wolle mein Tagebuch schließen, um es nie wieder zu öffnen.

Warum habe ich meinen Vorsatz gebrochen? Warum bin ich zu diesem geheimen Freunde meiner elendesten und gottlosesten Stunden zurückgekehrt? Weil ich mich freundloser fühle als je, einsamer als je, obgleich mein Gatte im anstoßenden Zimmer sitzt und schreibt. Mein Elend ist das eines Weibes und es muß sich Luft machen, lieber hier als nirgendwo, gegen mein zweites Ich, dieses Buch, da ich sonst Niemand habe, der mich anhören will.

Wie glücklich war ich in den ersten Tagen nach unserer Heirath und wie glücklich machte ich ihn! Erst zwei Monate sind verstrichen und schon gehört jene Zeit der Vergangenheit an! Ich suche mich zu erinnern, ob ich irgend etwas Unrechtes gesagt oder gethan oder er irgend etwas Unrechtes gesagt oder gethan hat, und ich kann mich an nichts erinnern, was meines Gatten oder meiner selbst unwürdig gewesen wäre. Selbst den Tag kann ich nicht bestimmen, an dem zuerst diese Wolke zwischen uns aufstieg.

Wenn ich ihn weniger innig liebte, könnte ich’s ertragen. Ich könnte den Jammer unserer Entfremdung tragen, verriethe er die in ihm vorgegangene Veränderung in derselben brutalen Weise wie andere Männer.

Aber das ist nie geschehen und wird nie geschehen. Es liegt nicht in seiner Natur, Andern wehe zu thun. Kein hartes Wort entschlüpft ihm, kein unfreundlicher Blick. Nur in der Nacht, wenn ich ihn im Schlafe seufzen höre, und zuweilen, wenn ich ihn in den Morgenstunden träumen sehe, erkenne ich, wie hoffnungslos ich die Liebe verliere, die er einst für mich fühlte. Am Tage sucht er aus Schonung für mich dies zu verbergen. Er ist lauter Sanftmuth und Güte, aber sein Herz ist nicht auf seinen Lippen, wenn er mich küßt; seine Hand sagt mir nichts, wenn sie die meine berührt. Die Stunden, die er auf sein verhaßtes Schreiben verwendet, werden mit jedem Tage länger, und in den Stunden, die er mir schenkt, wird er täglich schweigsamer.

Und in alledem ist nichts, worüber ich mich beklagen kann, nichts in dem Grade Ausfälliges, daß ich davon Notiz nehmen könnte. Seine Enttäuschung weicht vor jedem offenen Bekenntnisse zurück; seine Ergebung nimmt so allmälig zu, daß selbst meine Wachsamkeit nicht das Wachsen derselben wahrnehmen kann. Wohl fünfzigmal des Tages sehne ich mich, ihm meine Arme um den Nacken zu legen und zu sagen: »Ich bitte Dich um Gotteswillen, Alles Andere lieber als diese Behandlung!« und jedes mal werden mir die Worte durch sein grausam rücksichtsvolles Wesen, das mir keine Entschuldigung für sie bietet, wieder ins Herz zurückgedrängt. Ich glaubte den bittersten Schmerz empfunden zu haben, den ich überhaupt fühlen könnte, als mir mein erster Gatte mit der Reitpeitsche ins Gesicht schlug. Ich glaubte das Schlimmste erfahren zu haben, was die Verzweiflung vermag, als ich erkannte, daß der andere Schurke, der noch niedrigere Schurke, mich verlassen hatte. Allein wir leben und lernen. Einen bitterem Schmerz gibt es als den, welchen Waldron’s Peitsche mir verursachte, es gibt eine tiefere Verzweiflung als die, welche ich fühlte, als Manuel mich verlassen hatte.

Bin ich etwa zu alt für ihn? Sicherlich noch nicht! Habe ich meine Schönheit verloren? Kein Mann geht auf der Straße an mir vorüber, dessen Augen mir nicht sagen, daß ich noch so schön bin wie immer.

Ach, nein, nein! Das Geheimniß liegt tiefer! Ich habe darüber nachgesonnen und gegrübelt, bis ein grausiger Gedanke sich meiner bemächtigt hat. Er ist während seines vergangenen Lebens edel und gut gewesen, während ich schlecht und schuldbefleckt war. Wer weiß, ob dies nicht eine fürchterliche Kluft zwischen ihm und mir gerissen hat, von der wir beide nichts ahnen. Es ist thöricht, es ist Wahnsinn, aber wenn ich in der Finsterniß an seiner Seite ruhe, frage ich mich oft, ob mir vielleicht in der innigen Vertraulichkeit, die uns jetzt vereint, unbewußterweise eine Enthüllung der Wahrheit entschlüpft. Klebt mir etwa noch immer ein unerklärliches Etwas von dem Grausen meines vergangenen Lebens an? Und fühlt er etwa, ohne es zu begreifen, den Einfluß desselben? O Himmel! Hat denn eine Liebe wie die meinige keine Macht der Reinigung? Ist mein Herz durch meine frühere Schlechtigkeit so fürchterlich befleckt, daß keine Reue es je rein zu waschen vermag? Wer weiß! Ich weiß nur, daß in unserm ehelichen Leben etwas nicht ist, wie es sein soll. Ein feindlicher Einfluß, dessen Spur weder er noch ich erkennen kann, entfernt uns täglich immer weiter von einander. Nun, mit der Zeit werde ich wohl härter werden und es ertragen lernen.

So eben fuhr ein offener Wagen an meinem Fenster vorbei, in dem eine hübsch gekleidete Dame saß. Ihr Gatte saß an ihrer Seite und ihre Kinder ihr gegenüber. In dem Augenblicke, wo ich sie erblickte, lachte und plauderte sie mit großer Fröhlichkeit; ein heiteres, leichtherziges, glückliches Weib. Ah, Mylady, wärest Du gleich mir in Deiner Jugend in die Welt hinausgestoßen und Dir selbst überlassen gewesen —

Den 11. October. Der elfte war der Tag des Monats, an dem wir uns vor zwei Monaten verheiratheten. Weder er noch ich erwähnten hiervon ein Wort, als wir erwachten. Aber ich dachte, ich wolle beim Frühstück die Gelegenheit ergreifen, sein Herz wiederzugewinnen.

Ich glaube, ich habe noch nie eine so sorgfältige Toilette gemacht oder schöner ausgesehen, als da ich heute Morgen herunterkam. Er hatte allein gefrühstückt und ich fand ein Zettelchen auf dem Tische, das seine geschriebene Entschuldigung enthielt. Er sagte, heute gehe die Post nach England ab und er müsse seinen Brief für die Zeitung zum Schlusse bringen. Ich hätte an seiner Stelle lieber fünfzigmal die Post abgehen lassen, ehe ich an diesem Tage allein gefrühstückt hätte! Ich ging in fein Zimmer. Da saß er, bis über die Ohren in seine abscheuliche Schreiberei vergraben! »Kannst Du mir heute Morgen nicht ein wenig von Deiner Zeit schenken?« fragte ich. Er sprang schnell auf. »Gewiß, wenn Du es wünschest.« Er sah mich nicht einmal an, während er sprach. Der Klang seiner Stimme genügte allein, mir zu sagen, daß sein ganzes Interesse sich auf die Feder concentrire, die er so eben niedergelegt hatte. »Ich sehe, Du bist beschäftigt«, sagte ich; »ich wünsche es nicht.« Ehe ich noch die Thür geschlossen, saß er schon wieder an seinem Pulte. Oft habe ich gehört, daß die Frauen von Schriftstellern meistens unglücklich waren. Jetzt weiß ich warum.

Ich meinte gestern, ich würde es ertragen lernen. (Beiläufig, welchen Unsinn ich gestern geschrieben habe! Wie ich mich schämen würde, wenn irgend Jemand außer mir es sähe!) Ich hoffe, das bettelhafte Journal, für das er schreibt, hat keinen Erfolg! Ich hoffe, sein unausstehlicher Brief wird, sowie er im Druck erscheint, von den andern Zeitungen recht gründlich lächerlich gemacht werden!

Was soll ich den ganzen Morgen beginnen? Ich kann nicht ausgehen, denn es regnet. Oeffne ich das Klavier, so störe ich den fleißigen Journalisten, der im nächsten Zimmer scribelt. Mein Himmel! In meiner Wohnung in Thorpe-Ambrose war es schon einsam genug, hier aber ist es noch weit, weit einsamer. Soll ich lesen? Nein; Bücher interessiren mich nicht; ich hasse die ganze Schriftstellerbande. Ich denke, ich will in diesem Tagebuche zurückblättern und mein Leben wieder durchleben, da ich noch intriguirte und Pläne schmiedete und mir mit jeder Tagesstunde eine neue Aufregung schuf.

Er hätte mich wohl ansehen können, wenn er auch noch so emsig mit seinem Briefe beschäftigt war. Wohl hätte er sagen können: »Wie hübsch Du heute Morgen gekleidet bist!« Er hätte sich erinnern können – doch einerlei! Er denkt an nichts als an seine Zeitung.

Zwölf Uhr. Ich habe etwas gelesen und nachgedacht und bin mit Hlfe meines Tagebuchs über eine Stunde hinweggekommen.

Welch eine Zeit, welch ein Leben in Thorpe-Ambrose! Mich wundert nur, daß ich meinen Verstand behielt. Es macht mein Herz klopfen, es treibt mir das Blut ins Gesicht, wenn ich jetzt nur davon lese!

Noch immer regnet es und der Journalist scribelt noch immer fort. Es ift mir nicht darum zu thun, die Gedanken der vergangenen Zeit wieder durchzudenken – doch was soll ich anfangen?

Gesetzt – ich will blos den Fall setzen – ich hätte jetzt dasselbe Gefühl wie damals, als ich in Armadale’s Begleitung nach London reiste und meinen Weg zu seinem Leben so deutlich vor mir sah, wie ich ihn selbst während der ganzen Fahrt mit den Augen erblickte?

Ich will lieber aus dem Fenster sehen. Ich will die Vorübergehenden zählen.

Ein Leichenzug kam vorüber, mit den Büßenden in ihren schwarzen Kutten; die Wachskerzen knisterten im Regen, das kleine Glöckchen läutete und die Priester summten ihren eintönigen Gesang. Ein angenehmes Schauspiel für mich, sowie ich ans Fenster trat! Ich kehre darum zu meinem Tagebuche zurück.

Gesetzt, ich wäre nicht das veränderte Weib, das ich bin – ich sage blos, gesetzt – wie würde die große Gefahr, die ich einst zu laufen im Sinne hatte, sich jetzt anlassen? Ich habe Midwinter unter dem Namen geheirathet, der wirklich der seinige ist. Und damit habe ich den ersten jener drei Schritte gethan, die mir über Armadales Leben hinweg zu Armadale’s Vermögen und der Stellung von Armadales Wittwe verhelfen sollten. Wie unschuldig meine Absichten an meinem Hochzeitstage auch waren – und sie waren allerdings unschuldig – das ist eins der unabänderlichen Ergebnisse meiner Heirath. Nun, da ich also, ob ich nun wollte oder nicht, den ersten Schritt gethan habe, wie – gesetzt, ich wollte den zweiten Schritt thun, was ich nicht will – wie würden sich jetzt die Verhältnisse für mich anlassen? Würden sie mich mahnen abzustehen oder ermuthigen weiter zu gehen?

Es wird mich unterhalten, die Chancen zu berechnen, und hat die Aussicht etwas gar Verlockendes, so kann ich ja leicht das Blatt herausreißen und verbrennen.

 

Wir wohnen hier – der Sparsamkeit wegen – weit von dem kostspieligen englischen Stadttheile entfernt in einer der Vorstädte, auf der Seite von Portici. Wir haben keine Reisebekanntschaften unter unsern Landsleuten gemacht. Unsere Armuth steht dem entgegen, nicht minder Midwinter’s Zurückhaltung und, was die Frauen betrifft, meine persönliche Erscheinung. Die Männer, von denen mein Mann die Neuigkeiten für seine Zeitungsbriefe erlangt, treffen im Cafe mit ihm zusammen und kommen nie hierher. Ich rathe ihm ab, mir Fremde zuzuführen, denn obgleich seit meinem letzten Aufenthalte in Neapel Jahre vergangen sind, bin ich doch nicht ganz sicher, ob nicht von den vielen Leuten, die ich damals hier kannte, noch einige leben. Die Moral von alledem, wie es in den Geschichtenbüchern heißt, ist, daß kein einziger Zeuge in dieses Haus gekommen ist, der, sollten später in England Nachforschungen angestellt werden, behaupten könnte, daß Midwinter und ich hier als Eheleute mit einander gelebt haben. Soviel von den gegenwärtigen Verhältnissen, soweit dieselben mich afficiren.

Dann kommt Armadale. Hat sich etwa irgend etwas ereignet, das ihn bewogen, sich mit Thorpe-Ambrose in Verbindung zu setzen? Hat er die Bedingungen gebrochen, welche der Major ihm aufgelegt und hat er sich, seit ich ihn zuletzt sah, in der Rolle von Miß Milroy’s Verlobtem behauptet?

Nichts von alledem ist passiert Kein unvorhergesehener Zufall hat seine Stellung, seine verlockende Stellung mir gegenüber verändert. Ich weiß Alles, was ihm begegnet ist, seit er England verlassen, und zwar aus den Briefen, die er an Midwinter schreibt und die Midwinter mir zeigt.

Erstens hat er Schiffbruch gelitten. Seine bettelhafte kleine Yacht hat ihn wirklich dem Wellentode nahe gebracht, und dennoch ist ihr’s nicht gelungen! Wie Midwinter es ihm von einem so kleinen Fahrzeuge vorausgesagt hatte, passierte die Geschichte in einem plötzlichen Sturme. Sie wurden an der Küste von Portugal ans Land getrieben. Die Yacht ward in Stücke zerschellt, allein sämtliche Menschenleben, Papiere und dergleichen wurden gerettet. Die Mannschaft ist mit guten Empfehlungen von ihrem Herrn nach Bristol zurückgesandt worden, Empfehlungen, welche ihr bereits Aufnahme auf einem nach auswärts bestimmten Fahrzeuge verschafft haben. Der Herr selbst befindet sich nachdem er sich zuerst in Lissabon und dann in Gibraltar aufgehalten und sich an beiden Orten, jedoch vergeblich, nach einem neuen Schiffe umgesehen hat, auf der Reise hierher. Er denkt in Neapel einen dritten Versuch zu machen, da hier eine englische Yacht zum Verkauf oder zur Vermiethung ausgeboten ist. Er hat seit dem Schiffbruche nicht nach Hause zu schreiben gebraucht, da er die ganze bedeutende Summe, die für ihn bei Coutts deponiert lag, in Creditbriefen mitgenommen hat. Und er verspürt keine Lust, nach England zurückzukehren, denn da Mr. Brock todt, Miß Milroy in der Pensionsschule und Midwinter hier ist, hat er in der ganzen Welt keine Seele, die sich um ihn bekümmern und ihn willkommen heißen würde, wenn er heimkehrte. Sein einziger Zweck geht dahin, die neue Yacht zu sehen und uns zu besuchen. Midwinter erwartet ihn schon seit einer Woche und jeden Augenblick kann er in dieses Zimmer treten, in dem ich schreibe.

Dies sind verlockende Umstände bei all dem Unrechte, das mir von ihm und seiner Mutter widerfahren ist und das mir frisch im Gedächtnisse lebt, während Miß Milroy zuversichtlich ihren Platz an der Spitze seines Haushalts einzunehmen hofft, während mein Traum von einem glücklichen und schuldlosen Leben in Midwinter’s Liebe auf immer zerstört ist und mir an dessen Statt nichts mehr bleibt, was mir gegen mich selbst beistehen könnte. Ich wollte, es regnete nicht; ich wollte ich könnte ausgehen.

Vielleicht geschieht etwas, was Armadale nach Neapel zu kommen abhält! Als er zuietzt schrieb, wartete er auf ein englisches Dampfsschiff, das ihn hierher bringen sollte. Vielleicht wird er des Wartens müde, ehe das Dampfschiff anlangt, oder hört etwas von einer Yacht an irgend einem andern Orte. Ein kleiner Vogel flüstert mir ins Ohr, es dürfte vielleicht das Gescheidteste für ihn sein, was er noch in seinem ganzen Leben gethan, wenn er sein Versprechen, uns in Neapel zu besuchen, bräche.

Soll ich das Blatt herausreißen, auf dem alle diese entsetzlichen Dinge geschrieben stehen? Nein. Mein Tagebuch ist so hübsch gebunden, daß es wahrhaft barbarisch wäre, ein Blatt herauszureißen. Ich will mich harmlos mit etwas Anderem beschäftigen. Was soll es sein? Mein Toilettenkästchen – ich will mein Toilettenkästchen ordnen und die wenigen kleinen Schmucksachen putzen, die noch in meinem Besitze geblieben sind.

Ich habe das Schmuckkästchen wieder verschlossen. Der erste Gegenstand, den ich darin fand, war Armadale’s armseliges Hochzeitsgeschenk an mich, der bettelhafte kleine Rubinring. Dies reizte mich sogleich. Das Zweite, was meinen Fingern begegnete, war mein Fläschchen mit den Tropfen. Ich ertappte mich daraus, wie ich die Dosen mit dem Auge abmaß und berechnete, wie viele davon erforderlich sein würden, einen Lebendigen über die Grenze zu führen, die den Schlaf vom Tode scheidet. Warum ich, noch bevor die Berechnung vollendet war, in großem Schrecken das Schmuckkästchen verschloß, weiß ich nicht, jedenfalls aber that ich es. Und da bin ich wieder bei meinem Tagebuche, ohne das Allergeringste darein verzeichnen zu können. O der lange, lange Tag! Will sich denn gar nichts ereignen, was mir an diesem kläglichen Orte ein wenig Aufregung verschaffen könnte?

Den 12. October. Midwinters gewichtiger Brief an die Zeitung ist mit der gestrigen Abendpost abgegangen. Ich war so thöricht, zu hoffen, daß er mich heute mit einem kleinen Theile seiner Mußezeit beehren werde. Nicht im geringsten. Nach dem vielen Schreiben hatte er eine unruhige Nacht und stand mit Kopfschmerzen und in furchtbar gedrückter Stimmung auf. Wenn er in diesem Zustande ist, so bleibt sein Lieblingsheilmittel, daß er zu seinen alten Vagabundengewohnheiten zurückkehrt und ganz allein umherwandert, Niemand weiß, wohin. Er erbot sich heute Morgen pro forma – denn er weiß, daß ich kein Reitkleid besize – mir ein stolperndes kleines Vieh von einem Pony zu miethen, wenn ich ihn begleiten wollte. Ich zog es vor, zu Hause zu bleiben. Entweder will ich ein schönes Pferd und ein schönes Reitkleid haben, oder gar nicht reiten. Er ging, ohne einen Versuch zu machen, mich umzustimmen, fort. Natürlich wäre ich bei meiner Weigerung geblieben, aber er hätte es doch wohl versuchen können.

In seiner Abwesenheit kann ich das Klavier öffnen – das ist wenigstens ein Trost. Und ich bin in der schönsten Laune zum Spielen – das ist ein zweiter. Es gibt eine Sonate von Beethoven – ich vergesse die Nummer – die mich stets an die Verzweiflung gemarterter Seelen im Fegefeuer erinnert. Also kommt, meine Finger, und führt mich heute Morgen unter die gemarterten Seelen!

Den 13. October. Unsere Fenster gewähren die Aussicht aufs Meer. Heute Mittag sahen wir ein Dampfschiff mit flatternder englischer Flagge hereinsegeln. Midwinter ist nach dem Hafen gegangen, in der Hoffnung, daß dies vielleicht das Schiff von Gibraltar mit Armadale am Bord ist.

Zwei Uhr. Wirklich ist es das Schiff von Gibraltar. Zu der langen Liste seiner Mißgriffe hat Armadale noch einen hinzugefügt, indem er sein Versprechen, uns in Neapel zu besuchen, hält.

Wie wird es jetzt werden?

Wer weißt«

Siebentes Kapitel

»Den 16. October. Zwei Tage nichts eingetragen in dies Buch! Warum, kann ich selbst kaum sagen, vielleicht weil mich Mr. Armadale über alle Begriffe ärgert. Sein bloßer Anblick versetzt mich nach Thorpe-Ambrose zurück. Ich bilde mir ein, ich muß mich vor dem gefürchtet haben, was ich im Laufe der letzten beiden Tage hätte verzeichnen können, wenn ich mir das gefährliche Vergnügen gemacht hätte, diese Seiten auszuschlagen.

Heute Morgen fürchte ich mich vor nichts und nehme demgemäß meine Feder zur Hand.

Hat die brutale Albernheit mancher Männer eine Grenze? Das möchte ich wohl wissen. Ich glaubte an Mr. Armadale diese Grenze entdeckt zu haben, als ich in Thorpe-Ambrose seine Nachbarin war, allein meine spätern neapolitanischen Erfahrungen beweisen mir, daß ich mich irrte. Er ist in unaufhörlicher Bewegung nach und von unserer Wohnung – im Boote von dem Hotel in Santa-Lucia übersetzend, wo er Quartier genommen hat – und hat genau gerechnet zwei Gesprächsthemata, die im Hafen zum Verkaufe liegende Yacht und Miß Milroy. Ja, mich erklärt er zur Vertrauten seiner inbrünstigen Neigung zur Majorstochter! «Es ist so hübsch, einer Frau davon zu erzählen«, so lautet seine ganze Entschuldigung, daß er es für nothwendig erachtet, fünfzigmal des Tags an meine Sympathien – meine Sympathien! – für seine »süße Neelie« zu appellieren. Offenbar lebt er der Ueberzeugung – wenn er überhaupt daran denkt – daß ich so vollständig wie er Alles vergessen habe, was während der ersten Zeit meines Aufenthalts zu Thorpe-Ambrose zwischen uns vorgefallen ist. Solch ein völliger Mangel an dem gewöhnlichsten Zartgefühl und dem gewöhnlichsten Takte an einem Geschöpfe, das mit einer Menschenhaut und nicht mit einem Thierfell begabt ist und, wenn mich meine Ohren nicht gänzlich trügen, spricht und nicht blökt, ist durchaus unglaublich, wenn man es nicht selbst erlebt hat. Allein trotz alledem ist es doch wahr. Gestern Abend fragte er mich, fragte mich wirklich, wie viel hundert Pfund jährlich die Frau eines reichen Mannes auf ihre Toilette verwenden könnte. »Setzen Sie die Summe nicht zu niedrig an«, fügte der Dummkopf mit seinem unerträglichen Feixen hinzu. Neelie soll eine der elegantest gekleideten Damen in ganz England sein, wenn ich sie dereinst geheirathet Und das sagte er zu mir, nachdem ich ihn zu meinen Füßen habe liegen sehen und später durch Miß Milroy verloren habe! Das zu mir mit meinem Alpacakleide und einem Gatten, dessen Einkommen eine Zeitung auf die Beine helfen muß.

Besser, ich verweile bei dem Gegenstande nicht länger; besser, ich denke und schreibe Anderes!

Also zur Yacht! Als eine Befreiung von dem ewigen Reden von Miß Milroy erkläre ich die im Hafen liegende Yacht für einen ganz interessanten Gegenstand! Sie ist ein wunderschönes Muster von einem Fahrzeug, und ihre Topseiten, mag das nun sein, was es will, zeichnen sich dadurch besonders aus, daß sie von Mahagoni sind. Bei allen diesen Vorzügen hat sie indeß den Fehler, daß sie alt ist, natürlich ein schlimmes Gebrechen, und daß Bootsmeister und Mannschaft abgelohnt und nach England zurückgesandt worden sind. Kann jedoch hier eine neue Mannschaft sammt einem neuen Bootsmeister aufgetrieben werden, so ist solch ein wunderschönes Ding mit allen seinen Mängeln nicht zu verachten. Es dürfe immerhin zweckmäßig sein, sie zu einer kleinen Seefahrt zu miethen und zu sehen, wie sie sich dabei aufführt. (Ist sie meiner Gesinnung, so dürfte ihre Ausführung ihren neuen Herrn einigermaßen in Erstaunen setzen.) Die Seefahrt wird zu Tage bringen, welche Fehler sie hat und welcher Reparaturen sie zufolge des unglücklichen Umstandes ihres Alters wirklich bedarf. Dann erst wird es Zeit sein, sich zu entscheiden, sie zu kaufen oder den Handel aufzugeben. Darum bewegt sich Armadale’s Gespräch, wenn er mich nicht von seiner süßen Neelie unterhält. Und Midwinter, der für seine Frau seiner Journalistenarbeit nicht eine Minute Zeit abstehlen kann, er findet Stunden für seinen Freund und kann sie rückhaltlos meiner unwiderstehlichen Rivalin, der Yacht, widmen.

Ich werde heute nicht mehr schreiben. Könnte eine so damenhafte Person, wie ich bin, überhaupt in allen ihren Gliedern bis in die Fingerspitzen hinab ein tigerartiges Zucken empfinden, dann dürfte ich im gegenwärtigen Augenblick fast in einem solchen Zustande sein. Allein bei meinen Manieren und meiner feinen Bildung ist so etwas natürlich außer Frage. Wir alle wissen ja, daß eine Dame keine Leidenschaften hat.

Den 17. October. Diesen Morgen kam an Midwinter ein Brief von seinen Sklavenhaltern, ich meine die Zeitungsleute in London, der ihn fester an den Schreibtisch fesselt als je. Zum Frühstück ein Besuch von Armadale und ein zweiter zum Mittagsessen. Gespräch beim Frühstück die Yacht, Gespräch beim Diner Miß Milroy. Mit Rücksicht auf diese junge Dame hat mich Armadale mit der Einladung beehrt, morgen mit ihm den Toledo zu besuchen und ihm beim Einkauf von allerhand Geschenken für seine Herzallerliebste behilflich zu sein. Ich fiel nicht über ihn her, ich entschuldigte mich blos. Sind Worte im Stande, die Verwunderung auszudrücken, die ich über meine eigene Geduld empfinde? Nein, Worte vermögen das nicht.

Den 18. October. Heute Morgen kam Armadale zum ersten Frühstück, um Midwinter’s habhaft zu werden, ehe sich dieser an die Arbeit setzte.

 

Gespräch ganz dasselbe wie gestern beim Frühstück. Armadale hat mit dem Agenten wegen miethweiser Ueberlassung der Yacht abgeschlossen. Der Agent, dem Armadale’s gänzliche Sprachunkenntniß leid that, hat wohl einen Dolmetscher aufgetrieben, eine Mannschaft aber kann er nicht schaffen. Der Dolmetscher ist höflich und willfährig, doch vom Meere versteht er ganz und gar nichts. Midwinter’s Beistand ist also unentbehrlich, und Midwinter wird ersucht – er willigt auch ein! – jetzt so viel als möglich von seiner Arbeit hinter sich zu bringen, damit er dann Zeit hat, seinem Freunde behilflich zu sein. Sobald eine Mannschaft gefunden ist, sollen Mängel und Vorzüge des Schiffs auf einem Ausfluge nach Sicilien erprobt werden, mit Midwinter am Bord, um sein competentes Urtheil abzugeben. Endlich, wenn ich mich zu Hause zu einsam fühlen sollte, wird die Damenkajüte Midwinter’s Gattin auf das verbindlichste zur Disposition gestellt. Das Alles wurde am Frühstückstische abgemacht und endete mit einem an mich gerichteten, zierlich gefaßten Complimente a la Armadale: «Wenn ich verheirathet bin, denke ich, soll Neelie mit mir zu Schiffe gehen. Und Sie haben so guten Geschmack, Sie werden mir mithin angeben können, was Alles in der Damenkajüte jetzt noch fehlt?

Wenn Frauen solche Männer zur Welt bringen, sollten sie dieselben leben lassen? Es ist eine Meinungssache; ich meinerseits sage: Nein.

Was mich ganz rasend macht, ist, daß ich sehen muß, daß Midwinter in Armadale’s Gesellschaft und in Armadale’s neuer Yacht eine Zuflucht vor mir findet. Wenn Armadale bei uns ist, hat Midwinter immer bessere Laune. Mich vergißt er über Armadale fast so vollkommen, wie er mich über seiner Arbeit vergißt. Und ich – ertrage es! Was für ein Muster von einer Frau, was für eine ausgezeichnete Christin ich bin!

Den 19. October. Nichts Neues, nichts als eine Wiederholung des gestrigen Tages.

Den 20. October. Etwas Neues. Midwinter leidet an nervösem Kopfschmerz und trotzdem sitzt er rastlos an seinem Schreibtische um für die Lustpartie mit seinem Freunde Zeit zu gewinnen.

Den 21. October. Mit Midwinter geht es schlechter. Er ist ärgerlich, verstört und unnahbar nach zwei schlimmen Nächten und zwei ununterbrochen am Sehreibtisch verbrachten Tagen. Unter allen andern Umständen würde er sich warnen lassen und die Arbeit zeitweilig einstellen. Jetzt aber läßt er sich von nichts warnen. Um Armadale’s willen arbeitet er, ohne sich umzusehen, nach wie vor. Wie lange wird meine Geduld noch währen?

Den 22. October. Letzte Nacht Symptome, daß Midwinter seinen Kopf über alles menschliche Maß hinaus anstrengt. Als er endlich einschlief, war er zum Erschrecken unruhig; er stöhnte, sprach und klapperte mit den Zähnen. Nach den wenigen Worten, die ich verstehen konnte, schien mir’s einmal, als träumte er von seinen Knabentagen, von damals, wo er mit den tanzenden Hunden im Lande umherzog. Ein andermal war er mit Armadale wieder die ganze Nacht auf dem Wrack eingesperrt. Gegen Morgen wurde er ruhiger. Ich schlief auch ein, und als ich nach kurzer Zeit erwachte, fand ich mich allein. Sowie ich mich umsah, bemerkte ich, daß in Midwinter’s Ankleidezimmer Licht brannte. Ich stand leise auf, um nach ihm zu sehen.

Er saß in dem großen, häßlichen, altmodischen Lehnstuhl, den ich, als wir hierher zogen, sofort aus dem Wohn- in das Ankleidezimmer hatte schaffen lassen. Sein Kopf war zurückgesunken, und eine seiner Hände hing starr über den Arm des Stuhls herab. Die andere Hand ruhte auf seinem Schooße. Leise schlich ich etwas näher und gewahrte, daß die Erschöpfung ihn beim Lesen oder Schreiben übermannt hatte, denn auf dem Tische vor ihm befanden sich Bücher, Federn, Tinte und Papier. Ich sah mir die Papiere genauer an. Alle waren sauber zusammengefaltet, wie er sie stets zu halten pflegt, nur eins lag offen da – es war der Brief an Mr. Brock.

Nach dieser Entdeckung sah ich mich noch weiter im Zimmer um und bemerkte nun ein anderes Papier, welches unter der auf seinem Schooße ruhenden Hand lag. Ohne zu riskieren, daß ich ihn aufweckte konnte ich es nicht hervorziehen, indeß war ein Theil des Papieres nicht von seiner Hand bedeckt. Ich sah darauf, um zu entdecken, was er so verstohlen gelesen hatte, und fand so viel heraus, daß es die Erzählung von Armadale’s Traum war.

Diese zweite Entdeckung trieb mich sofort wieder ins Bett, mit sehr ernsten Gedanken.

Auf unserer Reise durch Frankreich sah sich Midwinter’s eigenthümliche Menschenscheu einmal von einem sehr angenehmen Manne, einem irischen Arzt, besiegt, den wir im Eisenbahncoups trafen und der während der ganzen Tagesfahrt auf das freundlichste und geselligste mit uns verkehrte. Als er hörte, daß Midwinter literarische Bestrebungen verfolgte, warnte ihn unser Reisegefährte ernstlich davor, zu viele Stunden nach einander am Schreibtische zuzubringen. »Ihr Gesicht sagt mir mehr, als Sie vielleicht glauben«, sprach der Doctor. »Wenn Sie sich je verleiten lassen, Ihren Kopf zu sehr anzustrengen, so werden Sie das eher empfinden als viele andere Männer. Finden Sie, daß Ihre Nerven Ihnen Streiche spielen wollen, so achten Sie ja auf diese Warnung und legen die Feder hin.«

Nach meiner letzten Entdeckung im Ankleidezimmer sieht es mir aus, als ob Midwinter’s Nerven bereits den Ausspruch des irischen Arztes bestätigen wollten. Besteht einer der Streiche, die sie ihm spielen, darin, daß sie ihn mit abergläubischer Furcht quälen, so wird, ehe lange Zeit vergeht, in unserm Leben eine Veränderung eintreten. Ich bin begierig zu sehen, ob die Idee, daß wir beide bestimmt sind, Armadale Gefahr und Unheil zu bringen, von neuem sich in Midwinter’s Geiste festsetzt. Ist dies der Fall, dann weiß ich, was geschieht. Er wird dann keinen Schritt thun, seinem Freunde bei Beschaffung einer Mannschaft für die Yacht behilflich zu sein, und sicherlich ablehnen, sich mit Armadale an der Lustfahrt zu betheiligen oder mich mit ihm segeln zu lassen.

Den 23. October. Offenbar hat Mr. Brock’s Brief seinen Einfluß noch nicht verloren. Heute sitzt Midwinter wieder an seinem Journalartikel und kann die Tage, die er mit seinem Freunde auf der See zuzubringen hofft, kaum erwarten.

Zwei Uhr. Armadale hier wie gewöhnlich; er möchte gern wissen, wann Midwinter ihm zu Diensten steht. Noch keine bestimmte Antwort zu geben, da Alles davon abhängt, ob Midwinter im Stande sein wird, an seinem Pulte auszuhalten. Armadale saß sehr enttäuscht da; er gähnte und steckte seine dicken, großen Hände in die Tasche. Ich nahm ein Buch zur Hand. Der Tölpel verstand nicht, daß ich gern allein sein wollte. Von neuem kam er auf sein unerträgliches Thema von Miß Milroy und von all den schönen Dingen, die sie haben sollte, sobald er sie heirathen würde. Ihr eigenes Reitpferd, ihren eigenen Ponywagen, ihr eigenes schönes Boudoir oben in der ersten Etage des Herrnhauses und so weiter. Alles, was ich einst hätte haben können, soll nun Miß Milroy bekommen – wenn ich es zulasse!

Sechs Uhr. Immer wieder von dem unvermeidlichen Armadale! Vor einer halben Stunde kam Midwinter von seiner Schreiberei zu mir, schwindlig und erschöpft. Den ganzen Tag hatte ich mich nach etwas Musik gesehnt; ich wußte, daß Norma im Theater gegeben wurde und der Gedanke kam mir, daß ein paar Stunden in der Oper Midwinter sowohl als mir gut thun würden. Ich sagte daher: »Warum nehmen wir für heute Abend keine Loge in San-Carlo?« Düster und gleichgültig antwortete er, daß wir nicht reich genug wären, eine Loge zu nehmen. Armadale war zugegen und flunkerte mit seiner wohlgefüllten Börse in seiner gewohnten unausstehlichen Manier. »Ich bin reich genug, alter Junge, und das kommt auf, eins heraus? Mit diesen Worten nahm er seinen Hut und strampelte mit seinen großen Elephantenfüßen fort, die Loge zu besorgen. Ich sah ihm aus dem Fenster nach, wie er die Straße hinabging. »Deine Wittwe mit ihren jährlichen zwölfhundert Pfund«, dachte ich bei mir, »könnte sich jederzeit eine Loge in San-Carlo nehmen, wenn sie Lust hätte, ohne irgendwem dafür Dank schuldig zu sein.« Der strohköpfige Tölpel pfiff, während er seinen Weg zum Theater einschlug, und warf großartig jedem Bettler, der ihm nachlief, seine Silbermünzen zu.

Купите 3 книги одновременно и выберите четвёртую в подарок!

Чтобы воспользоваться акцией, добавьте нужные книги в корзину. Сделать это можно на странице каждой книги, либо в общем списке:

  1. Нажмите на многоточие
    рядом с книгой
  2. Выберите пункт
    «Добавить в корзину»