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Fräulein oder Frau

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Fünftes Kapitel.
Das Gesetz über Entführungen

Zwischen vier und fünf Uhr nachmittags, wo die Damen des Westends in ihren Wagen spazieren fahren und die Herren in den Klubs sind, gibt es in London wenige Plätze, die sich zu einem vertraulichen Gespräch besser eignen, als der eingehegte, einsame Garten eines Gutsbesitzers.

An demselben Tage, wo Richard Turlington seinen Besuch in der Villa machte, öffneten zwei Damen, die über ein Geheimnis miteinander zu verhandeln hatten, das Gitter des Gartens von Berkeley—Square. Nachdem sie den Garten betreten hatten, zogen sie das Gitter sorgfältig wieder an, hüteten sich aber wohl, dasselbe ins Schloß fallen zu lassen und beschränkten ihren Spaziergang auf die Westseite des Gartens. Eine dieser Damen war Natalie Graybrooke. Die andere war Frau Sancrofts älteste Tochter. An diese junge Dame hatte sich in der Gesellschaft vorübergehend ein gewisses Interesse geknüpft, denn sie war kürzlich die zweite Frau Lord Winwoods geworden und hatte damit nicht nur die Würde einer Lady, sondern auch die einer Stiefmutter von drei unverheirateten Töchtern ihres Gatten, die sämtlich älter als sie selbst waren, erlangt. Ihrer äußeren Erscheinung nach war Lady Winwood klein und blond; von Charakter war sie entschlossen und ungestüm, der schärfste Gegensatz zu Natalien, und eben deshalb ihre Busenfreundin.

»Liebes Kind«, sagte die Lady, »eine Heirat aus äußern Gründen in der Familie ist ganz genug. Ich habe mir fest vorgenommen, daß du den Mann, den du liebst, heiraten sollst. Sage mir nicht, daß dir der Mut fehlt, die Sache durchzuführen – das ist eine verächtliche Entschuldigung, die ich nicht annehme. Natalie, die Männer haben ein Wort, das ganz auf deinen Charakter paßt: ‚Es fehlt dir an Mark.‘.«

Natalie hätte, wenn sie ordentlich Atem geholt und sich tief genug gebückt hätte, das kleine, lustige, blondhaarige Wesen über das Gartengitter blasen können. Aber wer ist je einem hochgewachsenen Frauenzimmer begegnet, die ihren eigenen Willen gehabt hätte? Nataliens prächtige, schwarze Augen blickten aus ihrer Höhe mit dem Ausdruck demütiger Aufmerksamkeit sanft hernieder.

»Du tändelst mit Herrn Linzie, liebes Kind. Herr Linzie ist ein lieber Mensch. Ich habe ihn gern. Ich will das nicht haben.«

»Louise

»Herr Turlington hat nichts, was ihn empfehlen könnte. Er ist kein wohlerzogener alter Gentleman von hohem Rang. Er ist nur eine rohe Bestie, die zufällig Geld verdient hat. Du sollst Herrn Turlington nicht heiraten, und du sollst Herrn Launcelot Linzie heiraten.«

»Willst du mich anhören, Louise?«

»Ich will deine Antwort hören, weiter nichts. Bist du nicht diesen Morgen weinend zu mir gekommen? Hast du nicht gesagt: ‚Louise, sie haben das Urteil über mich gesprochen! Ich soll mich in der ersten Woche des neuen Jahres verheiraten. Um Gottes willen, hilf mir aus der Sache!‘ Das alles, und noch mehr hast du gesagt. Und was habe ich getan, nachdem ich deine Geschichte gehört hatte?«

»O, du warst so gütig —«

»Gütig ist ein sehr ungenügender Ausdruck. Ich habe deinetwegen Verbrechen begangen! Ich habe meinen Mann und meine Mutter betrogen. Um deinetwillen habe ich Mama vermocht, Herrn Linzie als meinen Freund zum Frühstück einzuladen; um deinetwillen habe ich meinen Gatten vor noch nicht einer Stunde in seinen Klub verbannt. Du abscheuliches Mädchen! Wer hat eine vertrauliche Zusammenkunft in der Bibliothek für dich ermöglicht? Wer hat Herrn Linzie zu seinem juristischen Freunde geschickt, um sich über die Erfordernisse einer heimlichen Heirat zu unterrichten? Wer hat dir geraten, nach Hause zu telegraphieren und die Nacht hier zu bleiben? Wer hat die Verabredung getroffen, daß der junge Mann dich in zehn Minuten hier an diesem langweiligen Platze treffen soll? – das alles habe ich in deinem Interesse für dich getan! Alles, um dich zu verhindern, zu tun, was ich getan habe: deiner Familie, anstatt dir selbst zu Gefallen zu heiraten. Nicht, daß ich mich über Lord Winwood oder seine Töchter beklagte. Er ist äußerst liebenswürdig und seine Töchter werde ich im Laufe der Zeit zähmen. Mit dir ist es etwas anderes, und Herr Turlington ist, wie ich schon vorhin bemerkte, eine Bestie. Nun gut! Was bist du mir nun dafür schuldig? – Du bist dafür mindestens schuldig, zu wissen, was du willst, und das weißt du nicht. Du erklärst mir ganz kühl, daß du schließlich doch nicht wagst, die Gefahr zu laufen und daß du dich nach reiflicher Überlegung nicht entschließen kannst, die Folgen über dich ergehen zu lassen. Ich will dir etwas sagen. Du bist den lieben Jungen gar nicht wert. Du bist ein Milch – und Wasserfräulein. Ich glaube nicht mehr, daß du ihn liebst.«

»Ich ihn nicht lieben…« Natalie stand still und faltete ihre Hände, unfähig, ihren Gefühlen Worte zu leihen. In demselben Augenblicke traf der Klang eines sich schließenden Gitters ihr Ohr. Sie blickte um sich. Launce war noch vor der verabredeten Zeit erschienen. Raschen Schrittes näherte er sich ihnen.

»Nun, wie steht es mit den Gesetzen über heimliche Ehen?« fragte Lady Winwood, als er an sie herangetreten war. »Kommen Sie, Herr Linzie, wir wollen uns dazu setzen.«

Sie ging nach einer der im Garten stehenden Bänke voran und ließ Launce zwischen sich und Natalie sitzen. »Nun, Sie Hauptverschwörer, haben Sie die Erlaubnis erhalten? Nein? Kostet es zuviel? Kann ich Ihnen das Geld leihen?«

»Es kostet in meinem Falle – einen Meineid, Lady Winwood«, erwiderte Launce. »Natalie ist noch nicht mündig. Ich kann die Erlaubnis nur erhalten, wenn ich beschwöre, daß ich sie mit Erlaubnis ihres Vaters heirate.« Dabei wandte er sich mit einem kläglichen Gesicht an Natalie. »Das konnte ich doch nicht gut tun; nicht wahr?« sagte er mit dem Tone eines Menschen, der sich gedrungen fühlt, sich zu entschuldigen. Natalie schauderte. Lady Winwood zuckte mit den Achseln.

»Eine Frau an Ihrer Stelle würde nicht gezögert haben«, bemerkte sie. »Aber ihr Männer seid so selbstsüchtig! – Nun, ich denke, es wird doch noch einen andern Weg geben?«

»Ja, es gibt einen anderen Weg«, erwiderte Launce. »Aber es knüpft sich eine schreckliche Bedingung an denselben.«

»Etwas noch schlimmeres als ein Meineid, Herr Linzie – etwa ein Mord?«

»Ich will es Ihnen gleich sagen, Lady Winwood. Erst kommt die Heirat, dann die Bedingung. Es gibt nur eine Möglichkeit für uns. Wir müssen und aufbieten lassen.«

»Aufbieten?« rief Natalie, »das heißt sich öffentlich in der Kirche aufrufen lassen?«

»Ihr braucht euch ja nicht in eurer Kirche aufrufen zu lassen, du Gänschen«, entgegnete Lady Winwood. »Und wenn ihr das auch müßtet, so würde doch – darauf kannst du dich verlassen – nach der Art, wie die englischen Geistlichen bei solchen Gelegenheiten die Namen aussprechen, kein Mensch etwas davon erfahren.«

»Das sagt mein Freund auch«, rief Launce. »Er rät mir, in der Nähe einer großen Kirche, in einer entfernten Gegend Londons eine Wohnung zu nehmen, dann zum Clerk zu gehen, ihm zu sagen, daß ich aufgeboten zu werden wünsche und zu erklären, daß ich zu dem dortigen Kirchspiel gehöre. ‚Was die Dame betrifft‘, bemerkte er weiter, ‚so würde ich die Sache vereinfachen: Ich würde erklären, daß sie auch zum Kirchspiel gehöre. Geben Sie Ihre Adresse auf und lassen Sie in der gemieteten Wohnung sich jemand aufhalten, der auf Fragen Auskunft geben kann. Was kann der Clerk von Ihren Verhältnissen wissen? – Er wird sich schwerlich viel darum quälen; seine Gebühren betragen achtzehn Pence. Der Clerk rechnet auf das, was er nach der Heirat von Ihnen bekommt. Dasselbe gilt für den Pfarrer. Er legt das Stück Papier, auf dem Ihr Name steht, mit Dutzenden anderer solcher Stücke Papier zusammen und verliest sie alle zusammen in einem unartikulierten Gemurmel von der Kanzel herab. Wenn die Zeit gekommen ist, treten Sie zugleich mit Schultze und Müller, mit Schmidt und Maier, mit Hinz und Kunz vor den Altar. Alles, was Sie dann zu tun haben, ist, sich in Acht zu nehmen, daß Ihre Braut nicht Schultzen und Sie nicht aus Versehen Müllers Braut zugesprochen werden, – und so werden Sie nach vorgängigem Aufgebote getraut.‘ – Das ist der Rat meines Freundes mit seinen eigenen Worten.«

Natalie seufzte und rang die Hände in ihrem Schoß. »Das werden wir nie glücklich durchführen«, rief sie verzweifelt aus.

Lady Winwood faßte die Sache heiterer auf. »Ich sehe bis jetzt nichts Furchtbares in der Sache, aber laß uns erst das Ende hören. Sie sprachen vorhin von einer Bedingung, Herr Linzie?«

»Ich wollte Ihnen eben die Bedingung nennen, Lady Winwood. Sie nehmen natürlich an, wie ich es auch getan habe, daß ich mich nach der Hochzeit mit Natalien in einen Fiaker setzen und direkt von der Kirche mit ihr entlaufen kann.«

»Gewiß. Und ich werfe euch als Glückwunsch einen alten Schuh nach und gehe nach Hause.«

Launce schüttelte bedenklich den Kopf. »Natalie muß so gut, wie Sie, erst wieder nach Hause zurückkehren

Lady Winwood fuhr erschreckt zusammen. »Ist das die Bedingung, von der Sie eben sprachen?« fragte sie.

»Das ist die Bedingung. Ich kann sie heiraten, ohne daß irgendetwas Schlimmes daraus entsteht. Wenn ich aber nach der Heirat mit ihr davonlaufe, und wenn Sie dabei sind und mir helfen und Vorschub leisten, so machen wir uns einer Entführung schuldig, und es kann uns begegnen, daß wir zusammen vor den Schranken des Strafgerichts stehen und und dafür verantworten müssen.«

Natalie sprang entsetzt auf. Lady Winwood drohte ihr mit dem Finger, zum Zeichen, daß sie Launce zu Ende reden lassen solle.

»Natalie«, fuhr dieser fort, »ist noch nicht sechzehn Jahre alt. Sie muß von der Kirche direkt nach ihres Vaters Hause zurückkehren und ich muß – ihren nächsten Geburtstag abwarten, ehe ich mit ihr davonlaufen kann. Mit vollendetem sechzehnten Jahre kann sie sich entführen lassen, aber nicht eine Stunde früher. Da haben Sie, was das Gesetz über Entführungen bestimmt. Ich nenne das: Despotismus in einem freien Lande.«

 

Natalie setzte sich erleichtert wieder nieder.

»Ich finde das Gesetz sehr tröstlich«, sagte sie; »es zwingt einen doch nicht zu dem furchtbaren Schritt, sogleich davon zu laufen. Es gibt einem Zeit, zu überlegen und Pläne zu machen und seine Entschlüsse reifen zu lassen. Das kann ich dir sagen, Launce, wenn mich etwas dazu bringen kann, dich heimlich zu heiraten, so ist es einzig und allein das Gesetz über Entführungen. Du solltest dem Gesetz dankbar sein, anstatt darauf zu schelten.«

Launce hörte ihr zu, ohne ihrer Meinung beipflichten zu können.

»Eine angenehme Aussicht«, sagte er, »sich nach der Trauung von seiner Frau trennen und sie behandeln zu müssen, wie eine mit einem anderen Herrn verlobte junge Dame.«

»Ist es angenehmer für mich«, entgegnete Natalie, »mir, während ich deine Frau bin, die ganze Zeit von Richard Turlington die Cour machen zu lassen? Ach, das halte ich nicht aus! Ich wollte, ich wäre tot!«

»Komm, komm!« sagte Lady Winwood beschwichtigend. »Wir müssen jetzt erst miteinander reden. Nataliens Geburtstag ist am nächsten Weihnachtstag, Herr Linzie. Da wird sie sechzehn Jahre alt.«

»Um sieben Uhr morgens«, bemerkte Launce; »das weiß ich von Sir Joseph. Eine Minute nach sieben Uhr, nach Greenwicher Zeit, können wir uns auf und davon machen. Das weiß ich von dem Advokaten.«

»Und es ist doch keine Ewigkeit, von jetzt bis zum Weihnachtstag zu warten! Inzwischen fragt es sich nur, ob Sie die Hindernisse, die der Heirat im Wege stehen, überwinden können oder nicht.«

»Ich habe alles in Ordnung gebracht«, erwiderte Launce zuversichtlich. »Da ist keine Schwierigkeit mehr.«

Er wandte sich zu Natalien, die ihm mit Erstaunen zuhörte, und erklärte sich näher. Es sei ihm eingefallen, daß er – natürlich mit der Börse in der Hand – vielleicht nicht erfolglos, an das von der Stewardeß der Yacht kund gegebene Interesse in seiner Liebesangelegenheit appellieren könne. Diese vortreffliche Frau habe sich denn auch willig finden lassen, alles, was in ihrer Macht stehe, zu tun, um ihm zu helfen. Ihr Mann habe für sich und sie Stellen am Bord an einer anderen Yacht gefunden und beide seien mit Vergnügen bereit, sich bei irgendeiner Verschwörung zu beteiligen, deren Opfer ihr früherer unbarmherziger Herr zu werden bestimmt sei. So oft sie am Lande seien, wohnten sie in einem volkreichen Londoner Kirchspiel, das von der fashionablen Gegend, in welcher Berkeley Square lag, weit entfernt und von der respektablen Vorstadt Muswell Hill noch weiter entfernt sei. In dem Hause, wo sie wohnten, könne zum Schein ein Zimmer für Natalien als angebliche Nichte der Stewardeß gemietet werden, und die Stewardeß erkläre sich bereit, auf jede etwa von den Kirchenbehörden erfolgende, rein formelle Anfrage Auskunft zu geben und bei der Trauung zugegen zu sein. Er selbst, Launce, würde nicht nur zum Schein, sondern wirklich, ganz i der Nähe dieses Hauses Wohnung nehmen, und über ihn werde der Steward, falls es erforderlich werden solle, Auskunft geben. Natalie könne ja unter der Aegide Lady Winwoods gelegentlich einmal in ihrer Kirchspielswohnung vorsprechen. Kurz, die Verschwörung war bis in alle Einzelheiten vorbereitet. Es bedurfte jetzt nur noch der Einwilligung Nataliens, nach deren Erlangung Launce sich am nächsten Tage nach der betreffenden Kirche begeben und die nötige Meldung in Betreff des Aufgebots machen würde.

Lady Winwood fand den Plan vortrefflich.

Natalie erklärte sich nicht so leicht für befriedigt.

»Mein Vater ist immer so gut gegen mich gewesen«, sagte sie. »Das einzige, über das ich nicht wegkommen kann, Launce, ist Papa betrüben zu müssen. Wenn er hart gegen mich gewesen wäre, wie es manche Väter sind, würde ich kein Bedenken haben.« Plötzlich erheiterte sich ihr Gesicht, wie wenn ihr ihre Lage in einem neuen Lichte erschiene. »Warum drängst du mich so?« fragte sie. »Ich esse ja in der Stadt bei meiner Tante und du kommst abends dahin. Laß mir Zeit! Warte bis heute abend!«

Launce legte sofort Protest gegen die Zumutung ein, noch einen Augenblick länger zu warten. Lady Winwood wollte eben das Wort ergreifen, um ihn zu unterstützen, aber beide wurden in demselben Augenblick durch das Erscheinen eines der Diener Frau Sancrofts, der eben das Gitter des Squares öffnete, zum Schweigen gebracht. Lady Winwood ging dem Diener entgegen. Es stieg ein Verdacht in ihr auf, er möge schlimme Nachrichten bringen.

»Was wollen Sie?« fragte sie.

»Ich bitte um Vergebung, Mylady; die Haushälterin sagte, Sie gingen hier mit Fräulein Graybrooke spazieren. Ich habe ein Telegramm für Fräulein Graybrooke.«

Lady Winwood nahm dem Diener das Telegramm ab, entließ ihn und kehrte zu Natalien zurück. Natalie öffnete das Telegramm in nervöser Aufregung, las die Botschaft und wechselte auf der Stelle die Farbe; ihre Wangen überflog ein tiefes Rot; ihre Augen funkelten vor Entrüstung.

»Also auch Papa kann, scheint es, hart gegen mich sein, wenn Richard ihn darum bittet!« rief sie. Sie reichte Launce das Telegramm. Ihre Augen füllten sich plötzlich mit Tränen. »Du liebst mich«, sagte sie sanft und hielt dann wieder inne. »Heirate mich! Ich will es wagen!« fügte sie in einem plötzlichen Ausbruch von Entschlossenheit hinzu.

Während sie das sagte, schlang Launce seinen Arm um ihren Hals; Lady Winwood ließ sich auf die benachbarte Bank nieder und beschäftigte sich damit, das Telegramm zu lesen. Es lautete wie folgt:

»Natalie Graybrooke, Berkely Square, London. Komm sofort nach Haus. Du mußt hier mit Richard Turlington um sechs Uhr zu Mittag essen. Joseph Graybrooke.«

Sechstes Kapitel.
Eine seltsame Hochzeit

Es war Anfang November, der Nordwind strich mir recht scharfem Hauch durch die Straßen der Hauptstadt und wirbelte den feinen, körnigen Schnee in luftigem Tanze dahin. Über Flüsse und Seen schlug das Eis seine schimmernden Brücken: die Städter hatten ihre dicken Pelze hervorgesucht, um sich gegen die Unbill der Witterung zu schützen. Nach dem langen zweifelhaften Wetter, wie es der Übergang von einer Jahreszeit zur anderen mit sich bringt, war in der letzten Nacht zum ersten Mal ein entschiedener, ja grimmiger Frost eingetreten und hatte den Winter in seiner ganzen Härte gebracht. Dichte Wolken bedeckten den Himmel und obschon es bereits gegen zehn Uhr vormittags war, so lag es in den Straßen Londons doch noch wie trübe, farblose Dämmerung; es schien nicht Tag werden zu wollen.

Wir schlagen den Weg nach einem armen, aber sehr volkreichen Kirchspiel Londons ein; es gehört nicht zu denen, die besonderer Merkwürdigkeiten wegen von Fremden besucht werden, es ist im Gegenteil selbst Manchem, der in der Riesenstadt geboren worden, eine unbekannte Gegend. Hart am Ufer der Themse liegt dort eine Kirche.

Wir treten ohne Zögern hinein.

Ein aus fünf Personen bestehender Trauzug nähert sich gerade dem Altar. Der Bräutigam sieht bleich aus und die Braut scheint etwas ängstlich zu sein. Die Freundin der Braut, eine entschlossen aussehende kleine Dame, flüstert ihr Ermunterungen zu. Die beiden respektablen Personen, offenbar Mann und Frau, welche den Zug beschließen, mögen über ihre Stellung bei der Zeremonie sich nicht ganz klar sein; sie sehen gleichfalls etwas verlegen aus.

Dem Küster fiel auch, während er das Paar mit seinen Zeugen um den Altar aufstellte, an denselben etwas auf. In der Regel gehörten die hier geschlossenen Ehen den unteren Klassen der Gesellschaft an. War dies hier ein davongelaufenes Paar? Schon das dem Küster verabreichte Trinkgeld war ungewöhnlich reich.

Jetzt erschien der Geistliche, der jüngere Pfarrer des Kirchspiels, von der Sakristei her in vollem Ornat. Zugleich nahm der Clerk seinen Platz ein. Die Blicke des Geistlichen hefteten sich plötzlich mit dem Ausdruck eines neugierigen Interesses auf Braut und Bräutigam und auf die Freundin der Braut. Ihm fiel die Abwesenheit älterer Verwandten auf; er bemerkte namentlich an den beiden Damen Zeichen einer höheren gesellschaftlichen Stellung und Bildung, die ihm sonst bei den Paaren und Freundinnen der Bräute, die in dieser Kirche an den Altar traten, nie vorkamen. Er warf dem Clerk, der die Fremden gleichfalls mit Interesse beobachtete, einen raschen, fragenden Blick zu. »Jenkinson«, fragte der Blick des Geistlichen, »ist das hier in Ordnung?« In dem Blick des Clerks lag die Antwort: »Herr Pfarrer, eine Heirat mittelst Aufgebot, bei der alle nötigen Formalitäten beobachtet sind…« Der Geistliche öffnete sein Buch. Die Formalitäten waren beobachtet; seine Pflicht war ihm deutlich vorgezeichnet. Sei aufmerksam, Launce! Mut, Natalie! Die Trauungszeremonie beginnt.

Launce warf einen letzten verstohlenen Blick in die Kirche. Wie, wenn Sir Joseph Graybrooke plötzlich aus einem der Kirchenstühle auftauchte und der Zeremonie Einhalt tat?… Oder wenn vielleicht Richard Turlington oben auf der Orgel lauerte und nur wartete, bis die betreffenden Worte ihn aufforderten, gegen die Heirat Einspruch zu erheben oder aber von Stund an zu schweigen? – Nein. Der Geistliche konnte die Zeremonie vornehmen, ohne durch einen Vorfall gestört zu werden. Nataliens reizendes Gesicht wurde bleicher und bleicher; ihr Herz schlug rascher und rascher, je näher der Augenblick der Verlesung der Worte rückte, die sie fürs Leben vereinigen sollten. Selbst Lady Winwood konnte sich einer ungewöhnlichen Aufregung nicht erwehren. Die Zeremonie erweckte bei ihr nicht die angenehmsten Erinnerungen an ihre eigene Heirat: »Woran habe ich gedacht, als ich hier stand? An mein schönes Brautkleid, und an meine bevorstehende Präsentation bei Hofe!« —

Die Zeremonie war bei den Worten angelangt, bei welchen das Brautpaar sich Treue zu geloben hat. Launce steckte den Ring an Nataliens Finger und sprach dem Geistlichen die entscheidenden Worte nach – das Band war geschlossen, sie waren verheiratet, in aller kirchlichen Form verheiratet. Es war geschehen – mochte daraus entstehen, was da wollte.

Die Zeremonie war zu Ende. Das junge Ehepaar begab sich nebst seinen Zeugen in die Sakristei, um ihre Namen einzutragen. Diese Eintragung war so gut, wie die Trauung, eine ernsthafte Sache. Hier war kein Abweichen von der Wahrheit möglich. Als die Reihe an Lady Winwood kam, mußte sie ihren Namen niederschreiben. Sie tat es, aber dieses Mal ohne ihre gewohnte Leichtigkeit und Entschlossenheit. Ihr Taschentuch entsank ihrer Hand. Der Clerk hob es ihr auf und bemerkte die in eine Ecke desselben gestickte Krone…

Die Gebühren wurden bezahlt. Das junge Paar und die Zeugen verließen die Sakristei.

Andere Paare pflegen, wenn die Zeremonie vorüber ist, glücklich und gesprächig zu sein. Unser Paar war schweigsamer und verlegener als je. Noch auffallender war, daß, während andere Paare mit Verwandten und Freunden aufzubrechen pflegen, um den Tag in geselliger Vereinigung festlich zu begehen, unser Paar und seine Freunde sich an der Kirchentür voneinander trennten. Der respektable Mann und seine Frau gingen zu Fuß ihres Weges. Die kleine Dame mit der Krone in ihrem Taschentuche setzte die junge Frau in einen Fiaker, stieg zu ihr ein und hieß den Kutscher die Wagentür schließen, während der junge Ehemann noch auf den Stufen der Kirchentreppe stand. Er sah finster aus, wie es wohl nicht anders sein konnte. Er steckte seinen Kopf durch das Wagenfenster, ergriff die Hand seiner Frau und flüsterte ihr etwas zu, augenscheinlich entschlossen, noch nicht zu weichen. Die kleine Dame aber machte ihre Autorität geltend; sie trennte die verbundenen Hände, schob den Kopf des jungen Ehemanns zum Wagenfenster hinaus und rief dem Kutscher in gebietendem Tone zu, wegzufahren. Der Fiaker setzte sich in Bewegung und rollte in dem Morgennebel weiter; der verlassene Ehemann ging traurig seines Weges durch die Straße. Der Clerk, der das alles mit angesehen hatte, kehrte in die Sakristei zurück und berichtete dem Geistlichen das Vorgefallene.

Der Hauptpfarrer der Kirche, der im Vorübergehen, mit seiner Frau am Arme, eben eines Geschäftes wegen in die Sakristei getreten war, unterhielt sich mit dem jüngeren Pfarrer über die sonderbare Heirat. Es mußte ihm sehr daran gelegen sein, sich zu vergewissern, daß kein Makel auf die Kirche falle, er erkundigte sich daher genau und fand die ihm gegebene Auskunft befriedigend. Die Frau des Hauptpfarrers war aber nicht so leicht abzufinden. Sie hatte sich die eingetragenen Namen angesehen und gefunden, daß einer derselben ihr wohlbekannt sei. Sobald ihr Gatte mit dem Clerk fertig war, fing sie an, ihn ihrerseits zu befragen. Als sie von der Krone auf dem Taschentuche hörte, deutete sie auf die Unterschrift Louisa Winwood und sagte zu ihrem Mann:

 

»Ich weiß, wer das ist. Es ist Lord Winwoods zweite Frau. Ich bin mit Lord Winwoods Töchtern erster Ehe zusammen in die Schule gegangen, und treffe sie bisweilen in dem Damenkomitée der geistlichen Konzerte; ich werde schon eine Gelegenheit finden, dort mit ihnen zu reden. Einen Augenblick, Herr Jenkinson, ich möchte mir die Namen notieren, ehe Sie das Buch fortlegen: Launcelot Linzie, Natalie Graybrooke. Sehr hübsche Namen, ganz romantisch. Ich schwärme für romantische Geschichten. Leben Sie wohl.«

Mit einem freundlichen Lächeln für den jungen Pfarrer und einem Kopfnicken für den Clerk verließ sie die Sakristei.

Natalie, die in Lady Winwoods Gesellschaft schweigend nach Muswell Hill zurückkehrte und Launce, der das Gesetz über Entführungen verwünschte, während er durch die Straßen streifte, hatten beide keine Ahnung davon, daß der Boden unter ihren Füßen bereits untergraben sei. In Folge der von der Pfarrerin erlangten Kunde konnte Richard Turlington jeden Augenblick von der Heirat hören. Die Entdeckung derselben hing lediglich von einem zufälligen Zusammentreffen der Töchter Lord Winwoods und der Frau des Pfarrers ab. Es war ein gefährliches Spiel, das da gespielt wurde – aber es mußte zu Ende geführt werden!

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