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Drittes Capitel

Als sie ins Haus trat, machte Miss Garth gar keinen Versuch, ihre ungünstige Meinung in Bezug auf den schwarzgekleideten Herrn zu verbergen. Sein Zweck war ohne Zweifel, von Mrs. Vanstone eine Geldunterstützung zu erlangen. Was er bei ihr für Ansprüche darauf hatte, das war ihr allerdings noch nicht klar, wenn es nicht etwa der Anspruch als armer Verwandter derselben war. Hatte Mrs. Vanstone jemals vor ihren Töchtern den Namen des Hauptmann Wragge ausgesprochen? Keine von Beiden konnte sich ihn je gehört zu haben erinneren. Hatte Mrs. Vanstone jemals auf irgend welche arme Verwandte angespielt, welche von ihr Unterstützung bezögen? Im Gegentheil, sie hatte in früheren Jahren erwähnt, daß sie zweifle, überhaupt noch Verwandte zu haben, die am Leben wären. Und doch hatte Hauptmann Wragge deutlich erklärt, daß der Name auf seiner Karte Mrs. Vanstone eine »Familiensache« ins Gedächtniß zurückrufen werde. Was sollte das heißen? Eine falsche Angabe seitens des Fremden, ohne ersichtlichen Grund, eine solche zu machen? Oder gar noch ein zweites Geheimniß, das der geheimnißvollen Reise nach London auf dem Fuße folgte?

Alle Wahrscheinlichkeit schien auf einen gewissen verborgenen Zusammenhang zwischen den »Familienangelegenheiten«, die Mr. und Mrs. Vanstone so plötzlich vom Hause weggeführt hatten, und der »Familiensache« hinzudeuten, die mit dem Namen des Hauptmann Wragge verknüpft war. Miss Garths Zweifel vom Tage vorher kamen ihr stärker denn zuvor in den Sinn, als sie den Brief an Mrs. Vanstone mit der Karte des Hauptmanns im Einschluß versiegelte.

Mit umgehender Post kam die Antwort an.

Stets die am Frühesten aufstehende Dame im Hause, war Miss Garth allein im Frühstückszimmer, als der Brief ankam. Der erste Blick auf den Inhalt desselben überzeugte sie von der Nothwendigkeit, daß er, bevor irgend welche unbequeme Fragen an sie gerichtet würden, auf ihrem Zimmer aufmerksam durchgelesen sein wollte. Indem sie durch das Dienstmädchen an Nora bestellen ließ, daß sie doch diesen Morgen den Thee bereiten möchte, ging sie die Treppe hinauf, um auf ihrem Zimmer allein und ungestört zu bleiben.

Mrs. Vanstones Brief war ziemlich lang. Der erste Theil desselben bezog sich auf Hauptmann Wragge und ging ohne Rückhalt auf alle diesen Mann selbst und die Gründe, die ihn nach Combe-Raven geführt hatten, betreffenden Einzelheiten ein.

Es er ab sich aus den Angaben von Mrs. Vanstone, daß ihre Mutter zwei Mal verheirathet war. Der erste Gemahl ihrer Mutter war ein gewisser Doctor Wragge gewesen, ein Witwer mit kleinen Kindern, und eines von diesen Kindern war eben jener so gar nicht militärisch aussehende Hauptmann dessen Adresse »Postamt Bristol« war. Mrs. Wragge hatte von ihrem ersten Gatten keine Kinder; sie hatte nachmals Mrs. Vanstones Vater geheirathet. Aus dieser zweiten Ehe war Mrs. Vanstone selber die einzige Frucht. Sie hatte ihre beiden. Aeltern, als sie noch jung war, verloren, und im Laufe der Jahre war von den Verwandten mütterlicherseits einer nach dem andern gestorben (diese Verwandten aber waren ihre nächsten lebenden Angehörigen gewesen). Sie stand nun nach dem vorliegenden Briefe allein noch da ohne Verwandte in der Welt, ausgenommen vielleicht einige Vettern, die sie nie gesehen und von deren Dasein sie zur Zeit keine bestimmte Kenntniß hatte.

Was hatte unter diesen Umständen Hauptmann Wragge denn für Familienansprüche an Mrs. Vanstone?

Durchaus keinerlei. Als der Sohn von ihrer Mutter erstem Manne von dessen erster Ehefrau konnte er, selbst wenn man die Rücksicht aufs Aenßerste treiben wollte, unmöglich jemals in die Reihe von Mrs. Vanstones entferntesten Verwandten aufgenommen werden3. Indem er dies auch recht gut wußte (fuhr der Brief fort), war er doch nichtsdestoweniger dabei geblieben, sich ihr als eine Art Blutsverwandter aufzudrängen, und sie war schwach genug gewesen, seiner Zudringlichkeit nachzugeben, lediglich aus Furcht, er könnte sich sonst bei Mr. Vanstone selber einführen und ohne Scheu Mr. Vanstones Großmuth brandschatzen. Indem es ihr natürlich nur unangenehm sein konnte, wenn ihr Gatte belästigt und wahrscheinlich noch obendrein betrogen werden sollte, von einer Person, die, wenn auch ohne Berechtigung, einen nahen Verwandtschaftsgrad mit ihr selber vorgab, so war es seit Jahren ihre Gewohnheit gewesen, den Hauptmann aus ihrer eigenen Börse zu unterstützen, unter der Bedingung, daß er niemals in ihr Haus käme und daß er sich nicht unterstehen sollte, sich in irgend einer Weise Mr. Vanstone zu nähern.

Mrs. Vanstone gab gern zu, daß sie darin nicht klug gehandelt habe; aber sie war, wie sie im weiteren Verlaufe des Schreibens entwickelte, um so mehr zu dieser Handlungsweise veranlaßt gewesen, als sie seit ihrer frühen Jugend aus Erfahrung gewußt habe, wie der Hauptmann auf Kosten bald dieses, bald auf Kosten jenes Gliedes der Familie ihrer Mutter lebte. Im Besitze von Fähigkeiten, die ihn vielleicht es zu einer ausgezeichneten Stellung hätten bringen lassen, was für eine Laufbahn er auch hätte ergreifen mögen – so war er doch nichtsdestoweniger von Jugend auf für alle seine Verwandten eine Schande gewesen. Er war aus dem Milizregimente ausgestoßen worden, in welchem er eine Offiziersstelle bekleidete. Er hatte einen Beruf nach dem andern versucht und hatte in jedem mit Schimpf und Schande bestanden. Er hatte in der niedrigsten und kläglichsten Bedeutung des Wortes sich durch geschwindelt. Er hatte ein armes Mädchen geheirathet, welche in einem gewöhnlichen Speisehause als Kellnerin gedient hatte und unverhofft zu etwas Gelde gekommen war, und hatte deren kleines Vermögen unbarmherzig bis auf den letzten Heller durchgebracht. Gerade herausgesagt war er ein unverbesserlicher Taugenichts, und er hatte nur einen üblen Streich mehr auf sein Sündenregister gebracht, wenn er jetzt unverschämt genug war, die Bedingung zu brechen, unter der ihn Mrs. Vanstones bisher unterstützt hatte. Sie hatte sofort unter der auf seiner Karte angegebenen Adresse an ihn geschrieben und ihn so deutlich und dergestalt zurecht gewiesen, daß er, wie sie hoffte und wünschte, sich niemals wieder einfallen lassen würde, ihrem Hause zu nahe zu kommen. Solchergestalt schloß Mrs. Vanstone den ersten ausschließlich auf Hauptmann Wragge bezüglichen Theil ihres Briefes.

Obschon die Mittheilungen welche er enthielt, eine Schwäche Mrs. Vanstones Charakter offenbar machten, welche Miss Garth trotz ihres vieljährigen vertrauten Umgangs mit derselben ihr nimmer zugetraut hätte, so nahm sie doch die Erklärung ohne Weiteres an und gab sich damit zufrieden; indem sie dieselbe um so lieber hinnahm, als sie ohne jede Unzuträglichkeit der erwachten Neugier der beiden jungen Fräulein im Wesentlichen mitgetheilt werden konnte. Namentlich aus diesem letzten Grunde las sie die erste Hälfte des Briefes mit dem angenehmen Gefühl einer gewissen Befriedigung durch. Ganz und gar verschieden davon war der Eindruck, den die zweite Hälfte, je weiter sie las und als sie den Brief zu Ende gelesen hatte, auf sie hervorbrachte.

Die zweite Hälfte des Briefes war dem Zwecke der Londoner Reise gewidmet.

Mrs. Vanstone begann damit, sich auf die langjährige vertraute Freundschaft zu beziehen, die zwischen Miss Garth und ihr selbst bestanden hätte. Sie glaubte es ihr als Freundin schuldig zu sein, ihr offen die Beweggründe vorzulegen, welche sie dazu vermocht hätten, mit ihrem Gemahl vom Hause weg zu reisen. Miss Garth habe sich zwar zart genug nichts merken lassen, müsse aber doch im Herzen sehr überrascht gewesen sein und noch sein, von dem Geheimnisse, welches die jähe Abreise umgeben habe, und sie werde sich die Frage vorgelegt haben, was Mrs. Vanstone mit Familienangelegenheiten zu schaffen habe (in ihrer, was Verwandte anlangt, so unbehelligten Stellung), welche doch nur allein Mr. Vanstone persönlich angehen mußten.

Ohne diese Angelegenheiten weiter zu berühren, was sie eben weder gern mochte, noch brauchte, fuhr Mrs. Vanstone fort zu erklären, sie werde alle Vermuthungen von Miss Garth, wenigstens soweit sie selbst dabei in Rede komme, durch ein offenes Geständniß mit einem Male beseitigen. Ihr Zweck dabei, daß sie ihren Gatten nach London begleitete, sei gewesen, einen gewissen berühmten Arzt aufzusuchen und ihn ins Geheim zu befragen über gewisse sehr zarte und zugleich Besorgniß erregende Umstände ihrer Gesundheit. In deutlicheren Worten, diese Besorgniß erregenden Umstände bedeuteten nichts Geringeres, als die Möglichkeit, daß sie vielleicht wieder Mutterfreuden genießen würde.

Als sich dieser Gedanke ihr zuerst aufgedrängt habe, habe sie ihn lediglich als einen Wahn betrachtet. Der lange Zeitraum, welcher vergangen sei nach der Geburt ihres letzten Kindes, die schwere Krankheit, welche sie nach dem in frühester Jugend erfolgtem Tode jenes Kindes ergriffen habe, das Lebensalter, in dem sie nun stehe: Alles veranlaßte sie, den Gedanken sofort, als er in ihrer Seele entstanden war, zurückzuweisen. Er war aber wieder und wieder gekommen, trotz ihres Widerwillens Sie habe nun die Nothwendigkeit erkannt, die erste ärztliche Autorität darüber zu Rathe zu ziehen, und habe doch zugleich um Alles in der Welt ihre Töchter nicht erschrecken mögen, indem sie einen Londoner Arzt ins Haus kommen ließ. Dies ärztliche Gutachten, unter den schon erwähnten Umständen angerufen, lag nun vor. Ihre Vermuthung habe sich als richtig herausgestellt, und der Ausgang, welcher voraussichtlich gegen Ende des Sommers stattfinden könnte, sei nun in ihrem Alter und bei ihren eigenthümlichen Zuständen ein Gegenstand ernster Besorgnisse für die Zukunft, um nicht noch Schlimmeres anzudeuten, für sie geworden. Der Arzt habe sein Möglichstes gethan, sie zu beruhigen, allein sie habe das Bedeutungsschwere seiner Fragen deutlicher, als er geahnt, erkannt und wisse, daß er mit mehr als gewöhnlicher Besorgniß in die Zukunft schaue.

 

Nachdem sie diese Einzelheiten enthüllt, bat Mrs. Vanstone, daß selbige zwischen ihr und der Adressatin ein Geheimniß bleiben möchten. Sie habe es nicht über sich vermocht, Miss Garth ihre Vermuthungen mitzutheilen, bis sich diese Vermuthungen als wahr erwiesen hätten, und sie erschrecke nun mit noch größerem Widerwillen vor dem Gedanken, ihre Töchter irgendwie betreffs ihrer selbst in Unruhe und Bestürzung zu versetzen. Es würde das Beste sein, für jetzt ganz von der Sache zu schweigen und getrost den Sommer herankommen zu lassen. Mittlerweile würden sie hoffentlich am dreiundzwanzigsten des Monats Alle wieder beisammen sein, Mr. Vanstone habe dies als Tag ihrer Rückkehr festgesetzt. Mit dieser Andeutung und den gewöhnlichen Aufträgen brach der Brief plötzlich und verwirrt ab.

Im ersten Augenblicke war ein natürliches Mitgefühl für Mrs. Vanstone die einzige Empfindung, deren sich Miss Garth bewußt war, als sie den Brief weggelegt hatte. Alsbald aber tauchte in ihrer Seele ein leiser Zweifel auf, der sie verstimmte und verwirrte. War die Erklärung, die sie eben gelesen hatte, wirklich eine genügende und so vollständig, also wofür sie ausgegeben wurde? Soweit die Thatsachen für sich selbst sprachen, gewiß nicht.

Am Morgen ihrer Abreise hatte Mrs. Vanstone das Haus ohne Frage in guter Laune verlassen. In ihrem Alter und bei ihrem Gesundheitszustande eine Reise zu einem Arzte, war eine solche, in dieser Laune ausgeführt, in Einklang zu bringen mit der Reise, die sie vor hatte? Oder aber hatte vielleicht jener Brief aus New-Orleans, der Mr. Vanstones Abreise veranlaßt hatte, einen Antheil daran, daß die Reise seiner Frau ebenfalls nöthig wurde? Warum hätte sie sonst so begierig aufgeschaut in dem Augenblicke, wo ihre Tochter den Poststempel erwähnte? Den angeführten Beweggrund ihrer Reise auch wirklich zugegeben, mußte nicht ihr Benehmen an dem Morgen, wo der Brief geöffnet wurde, und ferner an dem Morgen der Abreise das Vorhandensein irgend eines andern Motivs, das ihr Brief aber verschwieg, vermuthen lassen?

Wenn es so war, so war der Schluß, der sich daraus ergab, ein sehr betrübender. Mrs. Vanstone hatte, weil sie fühlte, was sie ihrer langen Freundschaft mit Miss Garth schuldig war, offenbar das vollste Vertrauen auf sie gesetzt, wenigstens in der einen Sache, während sie doch in der andern ganz unbefangen das unverbrüchlichste Stillschweigen beobachtete. – Bei ihrem eigenen offenen Charakter und ihrer Geradheit bei allen Handlungen hütete sich Miss Garth, ihre Vermuthungen unentwegt bis zu diesem Punkte zu verfolgen, weil sie es für eine Art Treuebruch gegen ihre erprobte und hochgeschätzte Freundin hielt, wenn sie noch länger bei sich darüber nachgrübelte.

Sie schloß den Brief in ihr Pult ein, erhob sich schnell, um sich den vorübergehenden Anforderungen des Tages zu widmen, und ging wieder in das Frühstückszimmer hinab. Unter so manchen Räthseln war doch wenigstens eine sichere Thatsache, nämlich die: Mr. und Mrs. Vanstone wollten den dreiundzwanzigsten des Monats zurückkommen. Wer konnte sagen, welche neue Enthüllungen mit ihnen kommen würden?

Viertes Capitel

Es kamen keine neuen Enthüllungen mit ihnen, keine der an ihre Rückkunft geknüpften Voraussetzungen ging in Erfüllung. Ueber den einen verbotenen Gesprächsstoff ihrer Londoner Reise waren weder der Herr noch die Frau vom Hause zum Sprechen zu bringen. Was auch immer ihre Absicht gewesen sein mochte, sie hatten, so schien es ganz, sie nach Wunsch erreicht; denn Beide kamen zurück, unverändert in Blick und Haltung. Mrs. Vanstones Wesen war in sein angeborenes ruhiges Gleichgewicht zurückgekehrt: Mr. Vanstones unerschütterliche Heiterkeit thronte so ruhig und unbekümmert wie sonst auf seiner Stirn. Das war das einzige bemerkbare Ergebniß ihrer gemeinschaftlichen Reise, keines weiter. War das tief verborgene Geheimniß undurchdringlich, verborgen für immer?

In dieser Welt kommt Alles »an das Licht der Sonnen«. Das Gold, das Jahrhunderte unbemerkt im Schoße der Erde lag, verräth sich eines Tages selbst der Oberwelt. Sand wird zum Angeber und verräth den Fuß, der über ihn hinging; Wasser wirft an die geschwätzige Oberfläche den Leichnam dessen aus, der darin ertrunken war. Das Feuer sogar liefert in der Asche, die es hinterläßt, den Nachweis, welches der Stoff gewesen, den es verzehrte. Der Haß zerbricht das Geheimschloß der Gedanken, indem er aus den Pforten der Augen springt, und die Liebe findet den Judas, der sie durch einen Kuß verräth. Sehen wir wohin wir wollen, das unentrinnbare Gesetz der Entdeckung ist ein Naturgesetz: die beständige Bewahrung eines Geheimnisses ist ein Wunder, das die Welt niemals geschaut hat.

Wie sollte das jetzt im Hauswesen auf Combe-Raven noch verborgene Geheimniß nach dem Rathschlusse der Vorsehung sich selbst verrathen? Durch welches neu eintretende Ereigniß in dem Alltagsleben des Vaters, der Mutter und der Töchter sollte das Gesetz der Entdeckung den Weg zur Enthüllung bahnen? – Der Weg wurde gebahnt (ohne daß es die Aeltern sahen und die Kinder wußten) durch das erste Ereigniß nach der Rückkehr von Mr. und Mrs. Vanstone, ein Ereigniß, welches dem ersten Anscheine nach kein Interesse von größerer Wichtigkeit bot, als die gewöhnliche Sitte eines Morgenbesuchs.

Drei Tage nachdem der Herr und die Frau von Combe-Raven zurückgekehrt waren, waren die weiblichen Familienglieder in dem Morgenzimmer beisammen. Die Aussicht aus den Fenstern ging auf den Blumengarten und das Buschwerk hinaus, welches letztere an der Außenseite mit einem Staket umgeben und von dem Heckengange dahinter durch ein Gatterthor zugänglich war. Bei einer Pause in der Unterhaltung wurde die Aufmerksamkeit der Damen plötzlich auf das Thor gelenkt, durch den scharfen Ton der eisernen Klinke, welche ins Schloß fiel. Es war Jemand von dem Heckengange in das Gebüsch getreten, und Magdalene stellte sich sofort an das Fenster, um des Besuchers durch die Bäume zuerst ansichtig zu werden.

Wenige Minuten darauf ward die Gestalt eines Herrn sichtbar, da wo der Baumgang in den gewundenen Gartenweg mündete, der zu dem Hause führte. Magdalene sah ihn aufmerksam an, ohne sofort zu erkennen, wer es war. Als er aber näher kam, brach sie in Erstaunen aus und machte, indem sie sich rasch zu ihrer Mutter und Schwester umdrehte kund, der Herr im Garten sei kein Anderer als »Mr. Francis Clare«.

Der so angekündigte Besuch war der Sohn von Mr. Vanstones ältestem Gesellschafter und nächstem Nachbar.

Mr. Clare der Vater bewohnte eine kleine anspruchslose Besitzung, die gerade an der Außenseite des Gebüschzaunes lag, welcher Letztere die Grenze des Grund und Bodens von Combe-Raven bezeichnete. Da er der jüngeren Linie einer sehr alten Familie angehörte, so war das einzige werthvolle Erbtheil seiner Vorfahren der Besitz einer prachtvollen Bibliothek, die nicht allein alle Zimmer in seiner bescheidenen kleinen Wohnung füllte, sondern auch durchgehends an den Treppen und in den Gängen aufgestellt war. Mr. Clares Bücher bildeten das einzige vorherrschende Interesse in seinem Leben. Er war schon seit vielen Jahren Witwer und machte kein Hehl daraus, daß er sich als Philosoph über den Verlust seiner Gattin zu trösten gewußt habe. Als Vater betrachtete er seine aus drei Söhnen bestehende Familie als ein unabwendbares häusliches Uebel, welches unaufhörlich das Allerheiligste seines Studierzimmers und die Sicherheit seiner Bücher bedrohe. Wenn die Knaben in die Schule gingen, sagte Mr. Clare zu ihnen: »Gott befohlen!« für sich selber aber: »Gott sei Dank!« Was sein kleines Einkommen und noch kleineres Hauswesen anlangte, so sah er Beides aus demselben selbstironisirenden und gleichgültigen Gesichtspuncte an. Er nannte sich selbst einen armen Mann mit einem Stammbaum. Die ganze Führung des Hauswesens überließ er einer alten schlappigen Frau, die sein einziger Dienstbote war, unter der Bedingung, daß sie sich nie unterfange, seinen Büchern mit einem Borstwisch nahe zu kommen vom ersten bis zum letzten Tage des Jahres. Seine Lieblingsdichter waren Horaz und Pope, seine Leibphilosophen Hobbes und Voltaire. Er machte sich nur mit Widerwillen Bewegung in frischer Luft und ging dann immer bis zu derselben abgemessenen Anzahl Schritte auf dem häßlichsten steilsten Wege der Nachbarschaft Er war von krummem Rücken, aber raschem lebhaften Wesen. Er konnte Radieschen vertragen und auf grünen Thee schlafen. Seine Ansichten von der Natur des Menschen waren die des Diogenes, gemildert durch Rochefoucaults Lebensanschauung; seine persönlichen Gewohnheiten waren im höchsten Grade unsauber, und am Liebsten rühmte er sich, über alle menschlichen Vorurtheile hinaus zu sein.

So war der wunderliche Kauz in seinem äußern Wesen. Was für edlere Eigenschaften er vielleicht unter dieser Außenseite barg, das hatte bis jetzt Niemand herausbekommen. Mr. Vanstone versicherte zwar steif und fest: »Mr. Clares schlimmste Seite sei seine Außenseite,« stand aber mit dieser seiner Meinung vereinzelt da unter den Nachbarn. Die Beziehungen zwischen diesen so ganz verschiedenen beiden Männern hatten schon viele Jahre gedauert und waren wohl nahe genug, um als Freundschaft bezeichnet werden zu können. Sie hatten sich gewöhnt, an gewissen Abenden in der Woche in dem Studierzimmer des Cynikers zusammen zu rauchen und sich dort über alle erdenklichen Gegenstände ernst zu unterhalten, Mr. Vanstone die Keule kühner Behauptungen schwingend, Mr. Clare mit dem scharfkantigen Rüstzeug der Sophisten ausparirend. Sie stritten sich gewöhnlich Abends und kamen den andern Morgen auf dem neutralen Grund und Boden des Gebüsches wieder zusammen, um sich zu versöhnen. Das Band des in solch wunderlicher Art zwischen beiden stattfindenden Verkehrs wurde auf Seiten Mr. Vanstones dadurch ein noch stärkeres, daß derselbe an seines Nachbars drei Söhnen einen herzlichen Antheil nahm, eine Theilnahme, welche für diese Söhne um so werthvoller war, als sie sahen, daß eines von den Vorurtheilen, die ihr Vater überwunden hatte, auch das Vorurtheil zu Gunsten seiner eigenen Kinder war.

– Ich sehe auf meine Kinder, pflegte der Philosoph zu sagen, mit vollkommen unparteiischen Augen; ich lasse den zufälligen Umstand ihrer Geburt außer allem Betracht und finde sie daher in jeder Hinsicht mittelmäßig. Die einzige Entschuldigung, welche ein armer Edelmann für seinen Anspruch, im neunzehnten Jahrhundert leben zu dürfen, haben kann, ist, daß er sich durch außerordentliche Fähigkeiten hervorthue. Meine Kinder sind aber von frühester Jugend auf Hohlköpfe gewesen. Wenn ich ihnen einiges Vermögen geben könnte, so würde ich Frank einen Fleischer, Cecil einen Bäcker und Arthur einen Gewürzkrämer werden lassen, da dies die einzigen Berufe des Menschen sind, von denen ich weiß, daß sie immer gebraucht werden. Wie die Sachen aber stehen, habe ich eben kein Geld, um ihnen fortzuhelfen, und sie haben nicht das Zeug, sich selbst fortzuhelfen. Sie kommen mir vor, wie drei menschliche Pleonasmen in schmutzigen Jacken und lärmenden Stiefeln, und wenn sie nicht selber die Gesellschaft von ihrem Anblicke befreien und davon laufen, weiß ich wahrlich nicht, was mit ihnen angefangen werden soll.

Zum Glück für die Knaben waren Mr. Vanstones Ansichten noch ganz in den gewöhnlichen Vorurtheilen befangen. Auf seine Befürwortung und durch seinen Einfluß wurden Frank, Cecil und Arthur mit Freistellen in einer Schule von gutem Rufe untergebracht. An Festtagen hatten sie die Erlaubniß, sich in Mr. Vanstones Park herumtummeln zu dürfen und wurden auch im Hause unter Beihilfe von Mrs. Vanstone und deren Töchtern gezogen und gebildet. Bei solchen Gelegenheiten pflegte Mr. Clare manchmal von seiner Wohnung in Schlafrock und Pantoffeln herüber zu kommen und durch die Fenster oder über den Zaun geringschätzig nach den Knaben zu sehen, als ob es drei wilde Thiere wären, welche sein Nachbar zu zähmen versuchte.

«– Sie und Ihre Frau, Sie sind ein Paar vortreffliche Leute, pflegte er zu Mr. Vanstone zu sagen. Ich habe alle Achtung vor Ihrem ehrenwerthen Vorurtheil zu Gunsten dieser meiner Kinder. Allein Sie befinden sich betreffs ihrer ganz ungeheuer im Irrthume, wahrhaftig! Ich will keinen Anstoß geben, ich spreche ganz unparteiisch; aber merken Sie auf meine Worte, Vanstone: es wird aus allen Dreien Nichts werden, Sie mögen für sie thun, was Sie nur wollen.

In späteren Jahren, als Frank das Alter von siebzehn Jahren erreicht hatte, trat die seltsame Vertauschung der bezüglichen Stellungen als Vater und als Freund noch auffallender zu Tage, als zuvor. Ein Kunstbaumeister im Norden von England, der Mr. Vanstone gewisse Verpflichtungen schuldig war, erklärte seine Bereitwilligkeit, Frank unter den günstigsten Bedingungen von der Welt unter seine Leitung zu nehmen. Als man dies Anerbieten erhielt, trug Mr. Clare wie gewöhnlich seine Eigenschaft als Franks Vater auf Mr. Vanstone über und legte der väterlichen Begeisterung seines Nachbars vom Standpunkte des objektiven Beobachters Zügel an.

 

– Es ist die schönste Aussicht für Frank, welche jemals sich bieten konnte, rief Mr. Vanstone mit der ganzen Wärme väterlicher Theilnahme.

– Mein lieber Alter, er wird nicht darauf eingehen, versetzte Mr. Clare mit der eisigen Ruhe eines gar nicht betheiligten Freundes.

– Aber er soll darauf eingehen, beharrte Mk. Vanstone.

– Sagen Sie, er soll einen mathematischen Kopf bekommen, entgegnete Mr. Clare; sagen Sie, er soll Betriebsamkeit, Ehrgeiz und Beharrlichkeit bekommen. Bah, bah, Sie sehen ihn nicht mit so Unparteiischen Augen an, als ich. Ich sage Ihnen, keine Spur von Betriebsamkeit, von Ehrgeiz, von Beharrlichkeit! Frank ist aus lauter Negationen zusammengesetzt, da haben Sie es!

– Zum Teufel mit Ihren Negationen! schrie Mr. Vanstone. Ich schere mich den Kuckuck um Negationen oder Affirmationen. Frank soll diese glänzende Stelle haben, und ich mache mit Ihnen die Wette, um was Sie wollen, es wird zu seinem Besten ausschlagen!

– Ich bin nicht reich genug, um für gewöhnlich Wetten zu machen, erwiderte Mr. Clare, aber ich habe im Hause irgendwo eine Guinee, und diese Guinee will ich verwetten, Frank kommt wieder in unsere Hände zurück, wie ein schlechter Schilling.

– Es gilt! sagte Mr. Vanstone. Nein, warten Sie eine Minute! Ich möchte dem Charakter des braven Burschen das Unrecht nicht anthun, auf denselben so wenig Geld zu setzen. Ich setze fünf gegen eins, Frank spielt in diesem Berufe seinen Trumpf aus! Sie sollten sich schämen, von ihm so zu sprechen, wie Sie es jetzt gethan. Was für einen philosophischen Hocuspocus Sie dafür vorbringen werden, mag ich nicht wissen; aber soviel ist gewiß, Sie bringen mich schließlich immer dazu, daß ich seine Partie nehmen muß, als ob ich der Vater wäre, nicht Sie.

– O ja, lassen Sie Sich Zeit, Sie werden Sich schon herausreden! Ich werde Ihnen keine Zeit lassen, ich mag Nichts wissen von Ihrer tüfteligen Vertheidigung! Schwarz ist Weiß, wenn nach Ihnen ginge. Das läßt mich sehr ruhig, es ist doch Schwarz trotz alledem. Sie würden durch Ihre Reden neunzehn aus dem Dutzend herausbringen! Ich werde noch mit der heutigen Post an meinen Freund schreiben und Ja sagen in Franks Interesse.

Dies waren die vorhergehenden Umstände, unter denen Mr. Francis Clare nach dem Norden von England ging, um in einem Alter von siebzehn Jahren in die Welt zu treten als zukünftiger Kunstbaumeister.

Von Zeit zu Zeit machte Mr. Vanstones Freund Ersterem Mittheilungen über den neuen Schützling. Frank erhielt das Lob eines ruhigen, anständigen, strebsamen jungen Menschen, aber es wurde auch berichtet, daß er nur langsam die Anfangsgründe der Ingenieurkunst begreife. Andere Briefe von späterem Datum schilderten ihn als vorschnell an sich selbst Verzweifelnd. Man habe ihn aus diesem Grunde nach einer im Baue begriffenen neuen Eisenbahn geschickt, um zu sehen, ob Wechsel des Ortes ihn vorwärts bringen könnte, und es sei denn auch dieser Versuch in jeder Beziehung erfolgreich ausgefallen, nur wohl nicht hinsichtlich seiner Berufsarbeiten, die immer noch langsame Fortschritte machten. Weitere Nachrichten zeigten seine Abreise an der Seite eines zuverlässigen Bauführers nach einigen öffentlichen Bauten in Belgien an, deuteten den allgemeinen Vortheil an, den er augenscheinlich von dieser neuen Stellung habe, rühmten seine ausgezeichnete Führung und Geschicklichkeit, welche sich ganz besonders nützlich erweise zur Erleichterung des geschäftlichen Verkehrs mit den Ausländern, übergingen aber die Hauptfrage, seine gegenwärtigen Fortschritte in der Wissenschaft, mit geheimnißvollem Stillschweigen. Diese Berichte und viele andere, welche ähnlich lauteten, wurden alle von Franks väterlichem Freunde Franks leiblichem Vater gewissenhaft zur Beachtung vorgelegt. Bei jeder Gelegenheit triumphierte Mr. Clare über Mr. Vanstone, und stritt sich Mr. Vanstone mit Mr. Clare.

– Eines schönen Tages werden Sie wünschen, jene Wette nicht gemacht zu haben, sagte der cynische Philosoph.

– Eines schönen Tages werde ich Gott sei Dank die Genugthuung haben, Ihre Guinee in die Tasche zu stecken, rief sein warmblütiger Freund.

Zwei Jahre waren so seit Franks Abreise vergangen. Noch ein Jahr später, und der Erfolg sprach für sich selbst und erledigte die Frage.

Zwei Tage nach Mr. Vanstones Rückkehr von London wurde er von der Frühstückstafel abgerufen, bevor er Zeit gehabt hatte, einen Blick auf die mit der Frühpost gekommenen Briefe zu werfen. Indem er sie alle in eine der Taschen seines Jagdkollers steckte, nahm er später im Laufe des Tages, wo sich Gelegenheit dazu fand, eine Handvoll heraus. Diese Handvoll Umfaßte den ganzen Briefwechsel mit einer einzigen Ausnahme, und diese Ausnahme war ein Schlußbericht von dem Baumeister, welcher ihm anzeigte, daß die Beziehungen zwischen ihm und seinem Schützling zu Ende seien, und daß Frank sofort in seines Vaters Haus zurückkehren werde.

Während noch diese wichtige Anmeldung, ohne daß Jemand eine Ahnung davon hatte, ruhig in Mr. Vanstones Tasche steckte, war schon der Gegenstand derselben auf der Heimreise unterwegs, so schnell die Eisenbahn ihn nur bringen konnte. Um halb elf Uhr in der Nacht, als Mr. Clare einsam studierend über seinen Büchern und bei seinem grünen Thee saß, neben sich zur Gesellschaft seine schwarze Lieblingskatze, hörte er Schritte auf dem Gange, die Thür ging auf, und Frank stand vor ihm.

Gewöhnliche Menschen wären darüber erstaunt gewesen. Allein die Ruhe des Philosophen war durch eine solche Kleinigkeit, als die unerwartete Rückkehr seines ältesten Sohnes war, nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Er hätte nicht mit größerer Gelassenheit von seinem gelehrten Folianten aufblicken können, wenn Frank erst drei Minuten, statt drei Jahre abwesend gewesen wäre.

– Gerade wie ich es voraus gesagt hatte, sagte Mr. Clare. Unterbrich mich nicht mit Erklärungen und erschrecke die Katze nicht. Wenn etwas zu essen in der Küche ist, so nimm es und geh zu Bett. Morgen kannst Du hinüber nach Combe-Raven gehen und Mr. Vanstone Folgendes ausrichten:

– Grüße vom Vater, mein Herr, und ich bin wieder in Ihre Hände zurückgekommen wie ein schlechter Schilling, wie er immer von mir vorausgesagt habe. Er behält seine Guinee und nimmt Ihre fünf und hofft, Sie werden sich ein andermal merken, was er sagt.

– Das ist Dein Auftrag. Mache die Thüre hinter Dir zu. Gute Nacht.

Unter solchen traurigen Aussichten erschien Mr. Francis Clare am nächsten Morgen auf Combe-Raven und näherte sich etwas ungewiß über den seiner harrenden Empfang langsam der Einfassung des Hauses.

Es war gewiß nicht zu verwundern, wenn Magdalene ihn nicht sogleich erkannt hatte, als er zuerst sichtbar wurde. Er war fortgegangen als ein etwas träger Bursche von siebzehn Jahren, er kam zurück als ein junger Mann Von zwanzig. Seine schlanke Gestalt hatte nun Stärke und Ansehen gewonnen und sich der Mittelgröße genähert. Das kleine regelmäßige Gesicht, das er von seiner Mutter geerbt haben sollte, hatte sich gerundet und war voll geworden, ohne die merkwürdige Zartheit des Schnitts verloren zu haben. Sein Bart war noch im ersten Flaum, und um die Wangen ließen sich die ersten schwachen Spuren eines entstehenden Backenbartes hier und da blicken. Seine sanften unstäten braunen Augen würden einem Mädchengesicht besser gestanden haben, sie ermangelten des rechten geistigen Lebens und der Festigkeit, um sich für das Gesicht eines Mannes zu schicken. Seine Hände hatten dieselbe unstäte Gewohnheit, als seine Augen; sie waren bald in dieser, bald in jener Lage, immer spielend und tändelnd mit irgend einem aufgelesenen kleinen Gegenstande. Er war ohne Zweifel hübsch wohl gewachsen und von gebildetem Wesen; aber keinem aufmerksamen Beobachter konnte es entgehen, daß der vollkräftige alte Familienschlag in den späteren Geschlechtern herabgekommen war, und daß Mr. Francis Clare von seinen Vorfahren nicht das Wesen, sondern höchstens das Ansehen geerbt hatte.

3D. h. nach englischen Begriffen. W.
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