Читать книгу: «Seewölfe Paket 10», страница 14
„Nicht ganz“, mischte sich die Rote Korsarin ein. „Unser Abstecher nach Kahoolawe hat sich zwar als Schlag ins Wasser erwiesen, zumindest, was die Suche nach den Verschleppten betrifft. Alewas Zeichnung von der Insel Thomas Federmanns war leider höchst unzureichend, so daß wir mehr oder weniger auf Verdacht nach Süden weitergesegelt sind. Aber dann haben wir ja dieses Eiland gefunden.“
„Ja, es lag in direkter Linie südlich von Hawaii“, bestätigte Ben Brighton. „Die Spuren im Sand waren frisch. Jemand war gelandet und hatte nach etwas gegraben. Mehr als dreißig Männer müssen sich über die Insel bewegt haben.“
„Dann, als sie nicht fündig wurden, verließen sie die Insel wieder“, fuhr Siri-Tong fort. „Es liegt doch auf der Hand, daß es sich um Masot und seine Kerle handelte. Und fast ebenso logisch ist es, daß sie weiter in südlicher Richtung segeln, aller Wahrscheinlichkeit nach auf Thomas Federmanns Angaben hin.“
Hasard sagte: „Von dieser Voraussetzung gehe ich aus. Aber wir müssen natürlich auch in Betracht ziehen, daß wir inzwischen jemand Falsches verfolgen und uns nur einbilden, dem Richtigen auf den Fersen zu sein. Daß wir ganz einfach einem Irrtum aufgesessen sind.“
„Dieses Risiko müssen wir eingehen“, meinte die Korsarin.
„Und wir geben nicht auf“, sagte Ben Brighton. „Weder heute noch morgen, noch in einer Woche, Sir.“
Hasard grinste ihn an. „Den Sir kannst du dir an den Hut stecken Ben, das habe ich dir schon öfter gesagt.“
„Aber du bist doch von Elizabeth I. höchstpersönlich zum Ritter geschlagen worden …“
„Und was nutzt mir das?“
„Eine ganze Menge, Sir!“ rief Ferris Tucker.
„Ja“, sagte der Seewolf gedehnt. „Masot zum Beispiel wird vor Ehrfurcht erstarren, wenn er mir endlich gegenübersteht. Fehlt bloß noch, daß ich ihm dann unseren Kaperbrief zeige. Shane, was hältst du davon?“
„Soll ich ehrlich meine Meinung sagen?“
„Ich befehle es dir.“
„Meiner Ansicht nach hilft’s mehr, wenn wir diesem Franzosen kräftig eins über die Rübe ziehen.“
Hasard lachte. „Ja, das finde ich auch.“
„Sir, soll ich jetzt die Hecklaterne anzünden?“ fragte Shane.
„Nein. Es sieht zwar so aus, als befänden wir uns in einem gottverlassenen Winkel der Erde, aber dieser Schein kann auch trügen. Ich will nicht, daß Masot oder irgend jemand anderes uns schon aus der Ferne sehen kann.“
„Aye, Sir.“
Der Seewolf drehte sein Gesicht in den jetzt steif aus Ostsüdost heranpfeifenden Wind. Die Bewegungen der „Isabella“ wurden heftiger, rollender. Man mußte sich schon am Schanzkleid oder an der Schmuckbalustrade festhalten, wenn man das Gleichgewicht nicht verlieren wollte.
„Wir knüppeln unsere alte Lady weiter nach Süden!“ rief Hasard. „Jedenfalls so lange wir den Kurs halten können!“
2.
Wie eine große schwarze Spinne war die Dunkelheit auch in das Innere der „Saint Vincent“ gekrochen und schien die Galeone der Piraten mit einem tödlichen Bann zu belegen.
Mara, das Mädchen von Hawaii, blickte ihre Freundin Hauula von der Seite an. „Ich habe Angst“, wisperte sie ihr zu. „Heute nacht holen sie uns. Ich spüre es.“
„Bleib ganz ruhig“, flüsterte Hauula.
„Ich kann es nicht …“
„Es ist unsere stärkste Waffe gegen diese Bestien.“
„Du meinst, nicht die Ruhe zu verlieren?“
„Ja.“
„Ich schaffe es nicht“, stöhnte Mara. „Mir zittern die Knie. Und die Hände. Meine Zähne schlagen aufeinander. Ich sterbe noch vor Angst.“
„Thomas wird uns helfen.“ Hauula versuchte, Zuversicht in ihre Stimme zu legen, aber es wollte ihr nicht recht gelingen.
Mara schwieg, aber eine der jungen Frauen antwortete aus der Finsternis des engen Schiffsraumes: „Er kann nichts mehr für uns tun. Er muß froh sein, wenn er selbst überlebt. Sie haben ihn auf die Insel geschafft und peinigen ihn so lange, bis er den Schatz herangeschafft oder die Wahrheit gesteht.“
„Zegú, unser König, ist jetzt auch auf der Insel“, raunte eine andere Frau.
„Was haben die Kerle mit ihm vor?“ wollte die entsetzte Mara wissen. Ihre Augen huschten unablässig hin und her, ihr Blick streifte die Gestalten der Leidensgefährtinnen. Sie waren zehn Mädchen und junge Frauen von der Insel Hawaii. Die französischen Freibeuter hatten sie bewußt von den zehn Männern getrennt, die sie ebenfalls als Faustpfand mitgeschleppt hatten. Die Trennung erhöhte die Furcht der völlig hilflosen Frauen und ließ sie zur Panik anwachsen.
Von der Insel drangen das Grölen und Singen der Piraten herüber.
„Sie feiern“, sagte Hauula. „Sie lassen die Mäuse auf dem Tisch tanzen, wie sie sagen. Sie haben lange kein Vergnügen mehr gehabt. Masot läßt es zu, daß sie sich betrinken. Er weiß, daß er es ihnen nach der Überfahrt und der sinnlosen Suche schuldig ist. Außerdem dürfen sie sich hier, in der Lagune, völlig sicher fühlen.“
„Es ist die Lagune des Teufels“, flüsterte Mara.
„Zegú“, sagte die eine Frau, die vorher schon gesprochen hatte. „Sie werden ihn quälen und sich daran weiden.“
„Nein!“ stieß Mara entsetzt hervor.
„Aber das ist nichts gegen das, was sie uns antun, wenn sie uns auf den Strand holen.“
„Sei still!“ zischte Hauula.
„Hört ihr?“ wisperte eine andere junge Frau. „Sind das nicht Geräusche im Wasser? Das Eintauchen von Paddeln?“
„Sie nennen die Paddel ihrer Boote Riemen“, korrigierte ein Mädchen, das an der dem Schiffsgang zugewandten Raumwand hockte. „Thomas hat es uns beigebracht, wie er uns auch die spanische Sprache und Ausdrücke aus dem Englischen und dem Deutschen gelehrt hat.“
„Das alles ist jetzt nichts mehr wert“, murmelte Mara. „Sie kommen. Es geht zu Ende mit uns. Lebt wohl, Schwestern.“
„Unsinn!“ zischte Hauula wütend. „Ich höre kein Boot und keine Riemen. Das ist doch bloß eine Einbildung!“
„Nein!“ raunte die, die die Laute gehört zu haben glaubte. „Ich schwöre es euch, da nähert sich ein Boot!“
Mara zerrte verzweifelt an den Stricken, die ihre Hände und Füße zusammenhielten. „Wenn wir doch bloß nicht gefesselt wären“, schluchzte sie.
„Dann wäre alles einfach gewesen“, sagte Hauula. „Dann hätten wir uns längst aus diesem Verlies befreit.“
„Still“, flüsterte das Mädchen an der Gangseite des Raumes. „Da ist was – Schritte! Schritte auf dem Gang! Nein, nein, ich täusche mich nicht. Schweigt und hört selbst hin.“
Sofort trat Totenstille ein. Dann konnten sie es alle vernehmen: tastende Schritte näherten sich dem Schott des Gefängnisses. Sie waren heran und verharrten. Gleich darauf begann jemand an der Verriegelung des Schotts herumzuhantieren.
Pele, Pele, feuerspeiende Göttin von Hawaii, steh uns bei, dachte Mara, vernichte diese grausamen Kerle. Sie wollten verrichten, was sie schon die ganze Zeit über mit uns tun wollten, und nur du, nur du ganz allein kannst sie noch zurückhalten!
Mit geschickten Fingern hatte der Mann den schweren Eisenriegel beiseite geschoben. Jetzt legte er seine Hände an die Kante des Holzschotts, zerrte daran – und atmete lächelnd auf, als es leise knarrend in seinen Angeln aufglitt. Der Mann, dessen nackter Oberkörper schweißbedeckt war, schlüpfte durch die Öffnung, kniete sich vor die Mädchen und jungen Frauen hin und legte seinen Zeigefinger gegen die Lippen, als Mara und zwei, drei andere entnervt aufschreien wollten.
„Das darf nicht wahr sein“, flüsterte Hauula völlig entgeistert. „Andai – bist du es wirklich?“
Der junge Polynesier schob sich auf sie zu. „Ja“, gab er genauso leise zurück. „Mir ist die Flucht gelungen. Aber verlieren wir keine weitere Zeit. Ich will euch von euren Fesseln befreien. Die anderen sind schon aus unserem gemeinsamen Verlies, dem Kabelgatt, heraus und suchen nach Waffen.“
„Wie habt ihr das geschafft?“ flüsterte Hauula.
Er hatte kein Messer und mußte mühselig die Knoten ihrer Hand- und Fußfesseln lösen. Mit zusammengepreßten Lippen ging er an die Arbeit. Erst als er es geschafft hatte und die Tauenden schlaff zu Boden fielen, entgegnete er: „In tagelanger Arbeit konnte ich eine Bodenplanke lösen. Daran wetzte ich zunächst meine Stricke kaputt und half dann den neun anderen Brüdern, sich der Fesseln zu entledigen. Zu dritt vergrößerten wir die Lücken in den Planken und gelangten so in den unter dem Kabelgatt liegenden Schiffsraum. Von dort aus schlichen wir wieder ein Deck höher, öffneten von außen das Schott unseres Gefängnisses, und dann machte ich mich auf den Weg zu euch. Wenn die anderen Waffen finden, bringen sie bestimmt auch uns gleich ein paar Messer und Pistolen.“
Hauula küßte Andai auf die Stirn und auf die Wangen, dann half sie mit, die Stammesschwestern von ihren Fesseln zu befreien. Mara erlösten sie als erste von den dicken, in die Haut schneidenden Tampen, und das Mädchen brach daraufhin in Tränen aus.
„Hör auf“, flüsterte Hauula ihr zu. „Hilf mir lieber.“
Mara wischte sich die Tränen ab und schickte sich an, ihrer Freundin Unterstützung zu leisten. Plötzlich aber erstarrte sie, denn zwei andere männliche Gestalten waren in dem halboffenen Schott aufgetaucht. Eine furchtbare Eingebung gaukelte Mara vor, die Wachtposten auf dem Schiff hätten alles bemerkt und wären nun erschienen, um den Ausbruch der Gefangenen im Keim zu ersticken.
Sie preßte die Fäuste gegen den Mund und gab einen keuchenden Laut des Entsetzens von sich.
Dann aber lockerte sich ihre Haltung wieder, denn sie erkannte trotz der Dunkelheit, daß es sich um zwei Stammesbrüder handelte. Sie bückten sich und glitten heran, um aktiv an dem Befreiungsunternehmen mitzuwirken.
„Numil und Moho“, flüsterte Hauula begeistert. „Pele sei Dank! Wenn Zegú und Thomas nur wüßten, daß es euch geglückt ist …“
„Warte“, raunte Andai ihr zu. „Wir haben erst den Anfang geschafft. He, ihr zwei, habt ihr die Waffen?“
„Nein“, erwiderte Numil.
„Der Weg zur Waffenkammer im Achterdeck ist versperrt“, flüsterte Moho. „In dem einen Raum davor brennt Licht. Dort sitzen mehrere Kerle beisammen und trinken und fluchen.“
„Die Wachablösung in der Mannschaftsmesse“, murmelte Andai. „Es sind mindestens vier Mann, schätze ich. Die sind mit den Pistolen schnell bei der Hand, außerdem haben sie Musketen, Messer und Säbel. Ehe wir sie überwältigen können, haben sie die meisten von uns getötet. Nein, auf diesem Weg können wir nicht in die Waffenkammer.“
„Dann bleibt nur der Weg über die Kuhl“, sagte Hauula.
„Oben stehen auch vier Männer“, gab Moho zu bedenken. „Die Ankerwache.“
„Vielleicht ist die leichter abzulenken“, wisperte Hauula.
Andai schüttelte den Kopf. „Unmöglich, wie denn wohl? Wir können nur auf einen Zufall hoffen, anderenfalls sitzen wir hier unten fest und können uns nicht rühren. Es würde in jedem Fall ein Blutbad geben, wenn wir …“
Hauula legte ihm die Hand auf den Mund. „Warte“, raunte sie. „Laß uns doch erst einmal alle zum Vordeck schleichen. Numil, wo sind die anderen Männer?“
„Draußen auf dem Gang.“
„Dann laßt uns keine Zeit verlieren“, wisperte das Mädchen. „Vom Schott des Vordecks aus können wir auf die Kuhl blicken und die Wache zumindest beobachten, nicht wahr, Andai?“
Er lächelte ihr im Dunkel des Schiffsraumes zu. „An dir ist ein richtiger Krieger verlorengegangen, Hauula. Glaubst du denn wirklich, daß wir ohne Blutvergießen von diesem Teufelsschiff fliehen können?“
„Pele wird uns dabei helfen.“
„Ja“, murmelte jetzt auch Mara. „Ich habe Pele, die allmächtige Göttin Hawaiis, angefleht – und sie hat mein Gebet erhört.“
„Sind alle von ihren Fesseln befreit?“ fragte Hauula leise.
„Alle“, raunten die jungen Frauen.
„Dann los.“ Hauula schlich zum offenen Schott. Sie folgte Andai, Numil und Moho, die jetzt bereits auf den Gang hinauspirschten. Mara und die anderen acht Mädchen und Frauen schlossen sich ihr lautlos an.
Grand Duc, ein Riese von Mann mit einem gelben Tuch um den Kopf, stand auf sicheren Beinen inmitten der Horde von zwanzig lärmenden Piraten und hob die Rumflasche. Der zuckende Feuerschein ließ sein Gesicht fratzenhaft erscheinen und hob die Narben und anderen Unregelmäßigkeiten darin hervor, die von Messerstichen und wüsten Schlägereien herrührten.
Grand Duc – kein Mensch wußte, warum er diesen Namen angenommen hatte, nur alle waren sich darüber im klaren, daß kein einziger Tropfen adligen Geblüts in den Adern des Kerles pulsierte –, Grand Duc also hob die Flasche an den Mund, nahm einen kräftigen Schluck, setzte sie wieder ab und fuhr sich mit dem Handrücken über die Lippen.
„Gut!“ rief er. „Das lasse ich mir gefallen! Heda, wie weit seid ihr Himmelhunde mit dem Braten der Fische?“
Einer der Piraten, die sich auf dem Strand der Lagune um die zwei Lagerfeuer gekauert hatten, erhob sich, gestikulierte zu dem Riesen herüber und schrie: „Grand Duc, du kannst es wohl kaum erwarten, den ersten Happen herunterzuschlingen, was? Komm her und probiere, wir haben inzwischen auch den dicksten Brokken gar gekriegt.“
„Das ist ein Wort, Picou.“ Grand Duc stapfte mit der zu gut einem Drittel geleerten Flasche auf das Feuer zu, stieß einen der Sitzenden beiseite und trat dicht vor den eisernen Spieß hin, den die Kerle gerade aus den Flammen gezogen hatten.
Auf dem Spieß steckte ein Fisch von imposanter Größe, er mochte gut und gern seine zwanzig Pfund wiegen. Grand Duc war sich nicht sicher, ob es ein Zackenbarsch oder ein Umber war, aber die genauere Bezeichnung der Art interessierte ihn nicht sonderlich.
Er gab Picou, einem hageren Typ mit scharfgeschnittenen Zügen und gekrümmter Nase, ein Zeichen. Picou rückte dem Fisch daraufhin mit einem Messer zu Leibe und säbelte das beste Stück heraus, um es dem Riesen zu reichen.
Grand Duc war Masots rechte Hand und bester Ratgeber. Auf der „Saint Vincent“ galt er als der erste Offizier, Bootsmann und Steuermann in einer Person. So war es mehr als gerechtfertigt, daß er die erste Portion von dem größten gefangenen Fisch empfing.
Er griff mit der Hand zu und verbrannte sich fast die Finger, stieß einen Fluch aus, stopfte sich das weiße, dampfende Fleisch zwischen die Zähne und schluckte es fast unzerkaut herunter. Er spülte mit einem Schluck Rum nach, ließ die Flasche wieder sinken und rief: „Mehr Salz, Picou, du Laus, mehr Salz, zum Teufel, das schmeckt ja elend fad!“
„Sofort“, sagte der Hagere.
Während er den Fisch zusätzlich mit Salz aus den Bordvorräten der „Saint Vincent“ einrieb, blickte sich Grand Duc im Kreise der wilden, abenteuerlich gekleideten Kerle um. Sie hatten ein ordinäres Lied angestimmt, und er sang völlig unmusikalisch die Melodie mit.
Mitten in der Strophe unterbrach er sich jedoch und brüllte: „He, was meint ihr wohl, ob Louis und die anderen von der ‚Saint Croix‘ sich auch so gut amüsieren wie wir?“
„Bestimmt!“ rief einer der Piraten zurück. „Sogar noch besser als wir, sage ich dir. Die Hundesöhne tummeln sich auf Hawaii und können sich die Zeit mit den Inselweibern vertreiben!“
„Die haben’s gut!“ grölte ein anderer.
Picou hatte den großen Fisch jetzt ausreichend gewürzt und schnitt wieder ein Stück für Grand Duc heraus. Grand Duc verspeiste diesen Brocken auf dieselbe Art wie den ersten, nickte, ließ einen undeutlichen, knurrenden Laut vernehmen und sagte dann: „Gut. So ist es recht. Eßt, trinkt, singt, ihr Höllenbraten, laßt uns lustig sein.“
„Wie wär’s, wenn wir die Weiber holen?“ schrie jemand.
Grand Duc achtete nicht auf ihn. Er nahm wieder einen großen Schluck aus der Rumflasche und schaute zu, wie Picou und ein zweiter Freibeuter zunächst den großen Fisch und dann andere gegrillte Fische und Schalentiere zerlegten und an die Kumpane verteilten.
Grand Duc grübelte eine Weile herum, dann wandte er sich ab und schritt zu den Palmen hinüber, die den breiten Sandstrand landeinwärts säumten. Er blieb stehen und blickte zu dem hölzernen Käfig auf, der im zunehmenden Ostwind hin und her schwankte.
Masot hatte diesen Käfig an Bord der „Saint Vincent“ zimmern lassen, um Zegú, den König von Hawaii, hineinzusperren und wie ein wildes Tier darin zu halten. Dies war eine zusätzliche Schmach und Erniedrigung für den stolzen Insulaner. Masot wußte sehr genau, wie er ihn zutiefst kränken konnte, und er hatte in der Absicht gehandelt, Zegú so sehr in seiner Ehre zu verletzen und seelisch zu quälen, wie er irgend konnte. Masot haßte die hochmütige Art, mit der der weißhaarige, hochgewachsene Polynesier ihm begegnet war.
Grand Duc hatte auf Masots Anweisung hin den Käfig mit dem Gefangenen auf die Insel schaffen lassen. Zwei Männer waren auf eine Kokospalme gestiegen, hatten das Tau, das mit dem Dach des Käfigs verbunden war, oben auf eine Weise befestigt, daß man die Gitterkonstruktion hochziehen konnte, und dann hatte Grand Duc den Käfig hochhieven lassen, so daß er gut sechs Fuß über dem Sand hing.
Das war eine weitere Schikane Masots. Er wollte Zegús Stolz brechen und ihn völlig demoralisieren.
Zegú stand aufrecht in seinem hölzernen Gefängnis und sah voll Verachtung auf den Riesen hinunter.
„Geh fort“, sagte er auf spanisch. „Ich will dich nicht sehen, Pirat. Deine Gegenwart beleidigt mich.“ Wie fast alle Bewohner der Dörfer Hawaiis hatte er von Thomas Federmann, dem deutschen Freund, genügend Spanisch, Englisch und Deutsch gelernt, um sich Europäern gegenüber verständlich auszudrücken.
Grand Duc zeigte sich unbeeindruckt. Er trank wieder aus seiner Flasche, spuckte aus und rief zu dem Gefangenen hinauf: „Ich hab schon verstanden, was du sagst, du braunhäutiger Affe. Soviel Spanisch kann ich, du Hund.“
„Verrecke“, sagte Zegú.
„Weißt du, was ich mit dir anstelle?“
„Ich verstehe dein Gekläff nicht“, antwortete Zegú im reinsten Kastilisch – und das stimmte sogar, denn er war der französischen Sprache nicht mächtig.
„Heute nacht lasse ich dich durchs Feuer tanzen, du Kannibale“, erklärte Grand Duc. „Fuego, kapiert? A toda velocidad, comprendido? Ah, du wirst schon sehen. Du wirst tanzen und singen, in den hellsten Tönen singen, das schwöre ich dir.“
Er registrierte eine Bewegung hinter seinem Rücken und fuhr herum. Seine freie Hand fiel auf den Kolben der Steinschloßpistole, die in seinem Waffengurt steckte, aber er hielt in der Geste inne, als er Picou erkannte.
„Gib dich das nächste Mal zu erkennen, du Idiot“, fuhr Grand Duc ihn an. „Ich kann es nicht leiden, wenn man hinter mir rumschleicht.“
„Ja, Grand Duc.“
„Was willst du? Ihr könnt es wohl kaum abwarten, den Kanaken durch die Flammen springen zu sehen, was?“
Picou schüttelte den Kopf. „Grand Duc, die Männer wollen die Weiber holen und ihren Spaß haben. Hörst du nicht, wie sie brüllen? Je mehr sie trinken, desto mehr geraten sie aus dem Häuschen.“
„Ich werde sie schon bändigen, die Bastarde …“
„Grand Duc – Masot hatte es zumindest in Aussicht gestellt, daß wir uns die Frauenzimmer heute nacht mal so richtig vornehmen dürfen.“
Der Riese grinste plötzlich. „Ja, stimmt, ich kann mich daran erinnern. Du meinst also, es ist kein eigenmächtiges Handeln von mir, wenn ich die wilden Weiber an unserem kleinen Fest teilhaben lasse?“
„Genau das meine ich“, erwiderte Picou. Er grinste jetzt auch – noch ein wenig hinterhältiger und begieriger als Grand Duc.
Grand Duc dachte wieder nach, dann hob er den Kopf und sagte entschlossen: „Also gut. Ich fahre selbst mit dem Boot zur ‚Saint Vincent‘ ’rüber und hole die Frauenzimmer. Picou, du begleitest mich. Nimm noch zwei andere als Rudergasten mit, verstanden?“
„Ja.“ Picou drehte sich um und lief zu den Feuern zurück.
Wenig später schwamm das eine Beiboot der Piraten-Galeone, das die Männer zum Übersetzen auf die Insel benutzt hatten, frei im flachen Wasser der Lagune. Grand Duc, Picou und zwei andere Freibeuter setzten sich unter den Hochrufen der anderen auf die Duchten und pullten los.
3.
Sie hatten sich bis zum Vordecksschott der Backbordseite vorgepirscht, ohne auch nur den geringsten Laut zu verursachen. Andai öffnete behutsam das Schott zur Kuhl. Hauula war neben ihm, hinter ihnen drängten sich Mara, die beiden jungen Männer Numil und Moho, und weiter achtern im Schiffsgang standen geduckt die übrigen Mädchen, jungen Frauen und Männer.
Das Schott stand nun spaltbreit offen, und Andai und Hauula spähten über die Kuhl zu den drei Männern, die sie nahe der Gräting undeutlich sehen konnten.
„Wo ist der vierte?“ wisperte Hauula.
„Vielleicht auf dem Achterdeck“, gab Andai genauso leise zurück.
„Oder über uns?“
„Möglich ist es. Auf jeden Fall sind es vier Ankerwachen.“
„Wir müssen sie überlisten. Irgendwie.“
„Das schaffen wir nie“, flüsterte Andai. „Wir haben im Vordeck nur ein paar hölzerne Knüppel als Waffen gefunden. Damit können wir sie nicht überwältigen. Niemals!“
„Nur, wenn sie uns den Rücken zukehren“, raunte Hauula.
„Den Gefallen tun sie uns nicht.“
Sie wandte ihm das Gesicht zu und musterte ihn im Dunkel des Niedergangsschachtes. Er konnte ihre Augen schimmern sehen.
„Andai“, flüsterte sie. „Ich könnte dafür sorgen. Daß sie abgelenkt werden, meine ich. Ich gehe zu ihnen und dann …“
„… schießen sie dich nieder. Nein.“ Er hielt sie am Arm fest.
„Auf ein Mädchen schießen sie nicht.“
„Weißt du das?“
„Sie werden mich packen, um sich einen – einen Spaß mit mir zu erlauben. Ganz bestimmt tun sie es.“
Seine Finger schlossen sich noch fester um ihren Unterarm. „Und in der Zwischenzeit fallen wir über sie her? Ja, ich begreife schon, wie du das meinst. Aber es klappt nicht. Als erstes werden sie sich fragen, wie du überhaupt dein Verlies verlassen konntest. Hast du daran gedacht?“
„Still“, raunte sie.
Über ihren Köpfen waren jetzt dumpfe Laute zu vernehmen. Schritte – sie bewegten sich auf den Planken der Back, also auf dem Deck, das sich genau über ihnen erstreckte. Die Schritte polterten die Stufen des Niedergangs der Backbordseite hinunter. Andai, Hauula, Mara, Numil, Moho und die anderen erstarrten und hielten unwillkürlich den Atem an.
Eine Männerstimme sagte etwas in der seltsamen, für die Insulaner unverständlichen Sprache der Freibeuter. Mit den knarrenden Schritten, die sich zügig über die Planken bewegten, schien diese Stimme dem Vordecksschott näher und näher zu rücken.
Andai hätte das Schott jetzt gern wieder geschlossen, aber er wagte es nicht. Er ließ Hauulas Arm los und umklammerte mit beiden Händen fest den hölzernen Belegnagel, den er beim Durchsuchen des leeren Mannschaftslogis’ entdeckt hatte. Er hob die primitive Waffe und war bereit, sie dem Ankömmling kräftig übers Haupt zu ziehen.
„He!“ sagte draußen die Stimme. „Grand Duc und drei andere von uns pullen mit der Jolle herüber, habt ihr’s schon gesehen?“
„Nein“, antwortete eine der drei Ankerwachen bei der Kuhlgräting. „Hast du eine Ahnung, was die wollen?“
„Ja, ich hab so eine Ahnung, daß sie sich was zum Zeitvertreib holen wollen“, sagte der, der gerade von der Back heruntergestiegen war.
Die anderen drei lachten.
Andai, Hauula und ihre Brüder und Schwestern atmeten auf, denn die Stimme dieses Sprechers entfernte sich jetzt doch von ihnen. Im nächsten Moment vermochte Andai auch die Gestalt dieses Kerles zu sehen, denn der Pirat wanderte von der Backbord- zur Steuerbordseite des Schiffes hinüber, und das Schott versperrte dem Insulaner zu diesem Bereich der Galeone hinüber nicht die Sicht.
Der Mann von der Back gesellte sich zu seinen drei Kumpanen. Alle vier traten sie jetzt an das Schanzkleid der Steuerbordseite, lehnten sich leicht über und spähten in die Nacht.
„Ja, es stimmt, da kommt die Jolle“, sagte der eine.
Jolle – dieses Wort hatte Andai verstanden. Und er wußte auch, daß die „Saint Vincent“ ihre Steuerbordseite dem Strand der großen Lagune zugekehrt hielt. Die Wachtposten blickten jetzt also dort hinüber und mußten im flackernden Schein der Lagerfeuer die Umrisse des Bootes gut erkennen können.
Andai wandte sich zu den anderen um. „Das Boot – diesmal nähert es sich wirklich“, flüsterte er ihnen zu. „Wir müssen jetzt handeln. Jetzt oder nie …“
„Ich bleibe an deiner Seite, Andai“, wisperte Hauula.
Andai schob das Schott noch ein Stück weiter auf – gerade so weit, daß der Spalt groß genug war, um einen Mann seiner Statur durchzulassen. Dann glitt er als erster hinaus auf die Kuhl, gefolgt von Hauula. Nach und nach schlüpften auch die anderen ins Freie. Als die Hälfte der Insulaner das Vordeck verlassen hatte, befanden sich Andai und Hauula bereits auf der Höhe der Gräting, schlichen sich an die Rükken der vier Piraten heran und hoben die Koffeynägel, die sie beide in den Händen hielten.
Numil und Moho waren mit zwei, drei Schritten neben Andai und Hauula. Numil hatte sich mit einer Handspake bewaffnet, Moho verfügte nur über ein Stück Planke, das er aus der Werkstatt des Schiffszimmermanns hatte entwenden können.
Die vier braunhäutigen Gestalten wuchsen hinter den Piraten hoch. Bevor ihre Schlagstöcke auf die Köpfe der Freibeuter niedersausten, nahm der Mann von der Back eine vage Regung hinter sich wahr, wandte den Kopf und gewahrte im nächsten Atemzug Moho, der mit drohend verzerrter Miene direkt hinter ihm stand.
Der Mann von der Back gab einen heiseren Laut von sich, griff zur Pistole und wollte sie aus dem Gurt reißen, aber seine Reaktion erfolgte zu spät.
Moho schlug zu.
Im selben Moment ließen auch Andai, Hauula und Numil ihre Knüppel auf die Häupter der Gegner niederhageln. Alle Schläge waren gut gezielt und von größter Wirksamkeit. Die Franzosen brachen zusammen und sanken schlaff auf die Planken der Kuhl.
Andai hielt seinen Belegnagel bereit, um gleich noch einmal zuzuhauen, aber er sah, daß dies nicht nötig war. Die vier Piraten waren bewußtlos.
Andai blickte über das Steuerbordschanzkleid zu den Lagerfeuern und konnte nun auch die Konturen des näher gleitenden Bootes erkennen.
Hauula, Numil und Moho hatten sich über die reglosen Gestalten gebeugt und waren dabei, ihnen die Waffen abzunehmen – die Pistolen, Entermesser, Säbel und Messer.
Die anderen Insulaner huschten kreuz und quer über die Kuhl und bemächtigten sich einiger Musketen und Tromblons, die bei den Geschützen beider Batterien gegen das Schanzkleid gelehnt standen.
Andai wandte sich zu ihnen um. Sein Blick fiel auf das zweite Beiboot der „Saint Vincent“, das festgezurrt und mit einem Stück gewachstem Segeltuch bedeckt auf der Backbordseite der Kuhl lag.
„Rasch“, zischte er seinen Stammesbrüdern zu. „Wir müssen das Boot aussetzen und damit fliehen. Das Schiff können wir nie und nimmer aus der Lagune manövrieren, wir verstehen es nicht, mit so einem großen Segler umzugehen. Rasch, rasch.“
Numil, Moho und die anderen jungen Männer eilten auf das Beiboot, eine Jolle, zu und lösten die Zurrings. Sie zerrten die Persenning herunter und schickten sich an, das Boot zunächst hoch- und dann außenbords zu hieven, um es anschließend an Backbord abfieren zu können – da wurden sie jäh in ihrer hastigen Tätigkeit gestört.
Einer der vier Piraten von der Wachablösung, die beim Würfelspiel um einen wuchtigen Holztisch in der Mannschaftsmesse versammelt saßen, richtete sich plötzlich kerzengerade auf und wandte mit mißtrauischer Miene den Kopf.
„Was war das?“ sagte er. „Still! Habt ihr das nicht gehört?“
Sein Kumpan zur Rechten grinste und griff zur Muck, die bis zur Hälfte mit Rum gefüllt war. „Du glaubst doch wohl nicht, daß wir darauf hereinfallen, Henri. Hältst du uns wirklich für so dämlich?“
„Ich erzähle keine Witze. Ich habe jemanden stöhnen hören.“
„Stöhnen?“ wiederholte der, der ihm gegenübersaß. „Hölle und Teufel, du hörst und siehst wohl Gespenster, was?“
„Nein.“ Henri stand auf. „Ich gehe nach oben und sehe nach, was los ist.“
„Du hast zuviel Rum getrunken“, sagte der vierte. „Das ist es. He, wir sollten überhaupt mit der Sauferei aufhören, denn bald ist Wachwechsel. Masot und Grand Duc drehen uns die Hälse um, wenn sie uns stinkbesoffen bei der Mittelwache erwischen.“
Henri rückte seinen Hocker beiseite und schritt auf das achtern befindliche Schott der Mannschaftsmesse zu. Er öffnete es, wandte sich dem Niedergang zu, der ihn nach oben, ein Deck höher, führte und zog dabei vorsorglich seine Pistole.
„Er spinnt“, sagte der zweite Freibeuter in der Messe. Er hob die Muck an den Mund und nahm einen Schluck Rum. „Der Alkohol ist ihm wirklich zu Kopf gestiegen. Statt friedlich seine Freiwache abzusitzen, steckt er seine Nase in Angelegenheiten, die ihn nichts angehen.“
Der dritte erhob sich aber auch und zückte wie Henri seine Pistole. „Mag sein, aber sicher ist sicher“, sagte er. „Ich gehe mit Henri rauf an Oberdeck und sehe nach dem Rechten.“
Der vierte hob verwundert die Augenbrauen. „Verdammt, denkst du etwa, die Gefangenen …“
„Ich denke gar nichts, ich finde nur, wir müssen ständig auf der Hut sein, ganz gleich, ob wir Wache haben oder nicht. Ihr zwei – kontrolliert mal das Kabelgatt und das Verlies der Weiber. Hölle, glotzt mich nicht so blöd an. Sie können da nicht raus, das weiß ich so gut wie ihr, aber Vorsicht ist immer noch besser als plötzlich überrascht zu werden, oder?“
Damit war er beim Schott und stürmte Henri nach.
Die beiden anderen verließen die Messe leicht schwankenden Schrittes in der entgegengesetzten Richtung und wandten sich dem Vordeck zu. Wenige Augenblicke später sollten sie die erschütternde Feststellung treffen, daß das Kabelgatt und auch der Gefängnisraum der jungen Frauen und Mädchen verlassen waren.
Henri rannte ein Deck höher durch den Mittelgang der Hütte, stieß das Schott zur Kuhl auf – und sah die Polynesier, die an dem Beiboot hantierten. Er sah die reglos daliegenden Kumpane an der Steuerbordseite der Kuhl, sah Andai und Hauula und Mara, die verblüfft zu ihm herumfuhren – und dann brachte er seine Pistole in Anschlag auf die ausgebrochenen Gefangenen.
Andai duckte sich tief und lief auf den Piraten zu.
Henri stieß einen Fluch aus und krümmte den Zeigefinger um den Abzug der Pistole. Die Ladung zündete mit einem wahren Donnerhall. Schwer brach der Schuß, ein Feuerblitz stach auf Andai zu, und weißlicher Pulverqualm stieg zu den Rahen der „Saint Vincent“ auf.