Читать книгу: «Seewölfe Paket 10», страница 18
Der Riese mit dem gelben Kopftuch stand eine Weile da und überlegte. Was der Kumpan gesagt hatte, hörte sich verlockend an.
„Grand Duc“, flüsterte der andere. „Wir brauchen den Schatz nur durch sieben zu teilen und booten alle anderen aus. Ist das nicht großartig?“
Grand Duc gab einen verhaltenen, brummenden Laut von sich. Er zwang sich dazu real zu denken. Draußen auf See wütete noch der Sturm. Dem konnten sie zwar trotzen, denn er hatte keine Orkanstärke. Aber die Gefahr, auf ein Riff zu laufen, war groß. Außerdem reichten sieben Mann nicht aus, um ein Schiff von der Größe der „Saint Vincent“ quer durch die Südsee zu steuern. Allein in dieser Hinsicht war der Vorschlag des anderen ein Hirngespinst.
Und noch etwas ließ Grand Duc zögern. Masot hatte ihn an diesem Nachmittag beiseite genommen und ihm seinen geheimen Plan offenbart: Nach Hawaii wollte Masot niemals zurückkehren. Sollte Louis, dieser Narr, doch sehen, wie er zurechtkam, sollte die Mannschaft der „Saint Croix“ bis in die Ewigkeit auf sie warten, sie sahen die „Saint Vincent“ nicht wieder – und den Schatz, den sie ihrem Anführer leichtsinnigerweise überlassen hatten, schon gar nicht.
Masot wollte zunächst in die Karibik zurückkehren und dort – nachdem er die Geiseln von Hawaii selbstverständlich unterwegs umgebracht hatte – in einem überraschenden Handstreich auch seine Schiffsbesatzung beseitigen. Nur Grand Duc, sein engster Vertrauter, sollte am Leben bleiben. So konnten sie den Schatz untereinander teilen und auf einer einsamen Insel vergraben, sich dann eine neue Bande suchen und zu neuen Taten aufbrechen. Es würde ein außerordentlich beruhigendes Gefühl für sie sein, ihr Schäfchen im trokkenen zu haben. Noch drei, vier blutige Streifzüge zur See, und sie hatten bis an ihr Lebensende ausgesorgt.
Grand Duc zog sehr schnell seine Pistole aus dem Waffengurt und richtete sie auf sein Gegenüber. Er war jetzt froh darüber, in der Zwischenzeit die Waffenkammer der „Saint Vincent“ aufgesucht und sich dort mit einer neuen Pistole und trockenem Pulver versehen zu haben. Alle anderen Waffen außer seinem Entermesser hatte er ja bei seinem unfreiwilligen Bad in der Lagune verloren.
„Fein hast du dir das ausgedacht, aber daraus wird nichts“, sagte er drohend. Er blickte auch zu den drei anderen, die nach wie vor ziemlich verstört am Schanzkleid standen und zu ihnen herüberschauten. Sicher, sie konnten ihn zu viert überwältigen, aber einen würde er durch den Pistolenschuß töten, und einen zweiten würde er durch einen Streich mit dem Entermesser wohl ebenfalls auf die Höllenfahrt schikken, ehe die beiden anderen ihm zu Leibe rückten. Unter diesem Aspekt fehlte den vier Kerlen der Mumm zu einem raschen Ausfall.
Grand Duc winkte ihnen mit der Pistole zu. „Los, ihr entert jetzt in die Jolle ab. Begeht bloß keine Dummheiten. Der erste, der irgendwelche Tricks versucht, kriegt eine Kugel. Picou!“ Er schritt an dem Kerl, der ihn zur Flucht hatte überreden wollen, vorbei, behielt ihn aber im Augen. „Picou!“ rief er noch einmal.
„Ja, wir sind mit dem Ausösen fertig!“ meldete Picou aus der Jolle.
„Dann steig jetzt wieder herauf und bring die beiden anderen mit“, ordnete Grand Duc an. „Ihr übernehmt die Ankerwache. Ich steige mit diesen vier Hurensöhnen hier in die Jolle und lasse mich zu Masot hinüberpullen.“
Picou enterte als erster an der Jakobsleiter auf, sein Kopf erschien hinter dem Schanzkleid. „Paß auf“, raunte er dem Riesen zu. „Die werden alles versuchen, um der Bestrafung durch Masot zu entgehen.“
„Gib mir deine Pistole“, sagte Grand Duc. „Besorg dir eine neue aus der Waffenkammer.“ Er nahm die Miqueletschloß-Pistole aus Picous Hand entgegen, steckte sie sich in den Gurt und nickte dem Kumpanen zu.
Mit zwei Pistolen, einem Entermesser und einem Messer konnte er sich besser gegen die vier Kerle behaupten. Er trug sein kleines Arsenal mit sich auf die Heckducht der Jolle hinunter, sobald Picou und die zwei anderen Piraten wieder an Deck waren, setzte sich hin und wartete darauf, daß die vier zu ihm abenterten.
9.
Die Lagerfeuer am Strand der Lagune waren jetzt ganz heruntergebrannt, nur die Holzkohlenglut schimmerte rötlich und wurde, wenn sie zu erlöschen drohte, immer wieder von dem Südostwind neu entfacht.
Masot schritt vor seinen Männern auf und ab, blickte immer wieder zur „Saint Vincent“ hinüber und wartete darauf, daß Grand Duc ihm signalisierte. Aber weder die große Hecklaterne noch eine andere Lampe leuchtete an Bord der Dreimast-Galeone auf. Die Erfolgsmeldung blieb aus.
„Da stimmt was nicht“, sagte Masot mit mühsam verhaltenem Zorn. „Sie haben mit den vorderen Serpentinen gefeuert, das heißt, daß die Kanaken irgendwie von Bord gegangen und davongeschwommen sind. Hölle, stehen die denn mit dem Teufel im Bund?“
„Masot.“ Ein untersetzter Kerl zu seiner Linken wies auf das Schiff. „Sie haben die Jolle geborgen, und jetzt pullen sie zu uns herüber, scheint mir.“
„Das wird aber auch Zeit.“ Der Schwarzbart war kurz stehengeblieben, nahm seine Wanderung jetzt aber wieder auf. „Und Vignoc? Wo steckt bloß Vignoc? Verdammt, ich habe ihn doch zur Lichtung geschickt, damit er nachsieht, warum dort geschossen worden ist. Was haben Saint Cyr und Gugnot bloß angestellt?“
Er warf seinen Kumpanen wilde, herausfordernde Blicke zu, aber sie wußten auf seine Fragen auch keine Antworten. Sie konnten nur betreten zu Boden blicken und darauf hoffen, daß er seine unbändige Wut nicht an ihnen, sondern an denen ausließ, die jetzt mit der Jolle auf sie zupullten.
„Holt Vignoc, diesen hirnverbrannten Idioten!“ brüllte Masot sie an. „Stellt fest, was für eine Schweinerei dort oben passiert ist! Wenn Saint Cyr und Gugnot den Deutschen niedergeschossen haben, können sie was erleben! Noch muß der Hund am Leben bleiben, denn ich will den Schatz, verflucht noch mal!“
Zwei Piraten wandten sich ab und rannten los. Sie überquerten den Strand und waren kurz darauf im Inseldickicht verschwunden.
Masot und die anderen Freibeuter blickten ihnen nach, fuhren dann aber zur Lagune herum, denn in der Jolle war ein Schuß gefallen.
Masot sah eine weißliche Qualmwolke von dem Beiboot hochpuffen und Grand Ducs große Gestalt, die sich von der achteren Ducht aufgerichtet hatte. Er konnte auch beobachten, wie die Gestalt eines anderen Mannes langsam über das rechte Dollbord nach außen sank, das Übergewicht erlangte und in den Fluten verschwand. Die Jolle schwankte ein wenig.
Grand Duc glich die Bewegungen durch Beinarbeit aus, hantierte mit seinen beiden Pistolen herum und rief so laut, daß es auch am Strand klar zu verstehen war: „Hat noch jemand Lust, sich mit mir anzulegen? Wer will die nächste Kugel in den Kopf haben?“
Masot ballte die Hände zu Fäusten und stöhnte in ohnmächtigem Zorn auf. Er war am Ende seiner Selbstbeherrschung und wußte, daß er jeden Augenblick zu toben beginnen würde.
Wenig später landete die Jolle.
Masot und seine Leute wateten ein Stück durch die Brandung und empfingen die vier Männer. Grand Duc kletterte als erster aus dem Boot und rief: „Die Wilden sind uns entwischt, und sie haben die vier Mann von der Wachablösung umgebracht. Das alles haben wir nur diesen Hunden hier zu verdanken!“
Er wollte in seinem Lagebericht fortfahren, aber Masot stieß einen Wutschrei aus und warf sich auf die drei Männer in der Jolle. Er sprang zu ihnen in das schwankende Fahrzeug und schlug wie ein Wahnsinniger um sich, ehe sie sich auch nur ansatzweise wehren konnten.
Zegú, der König von Hawaii, beobachtete dieses Geschehen von seinem hängenden Gitterverlies aus. „Die Bestien zerreißen sich untereinander“, murmelte er. „So ist es recht. Pele straft alle, die sich an ihren Kindern vergreifen. Feuerspeiende Göttin von Hawaii – steh meinen Leuten bei! Und hilf auch Thomas Federmann, daß er diesen Teufeln entkommt!“
Die Hauptinsel des Atolls schloß sich von Osten her wie eine Klaue um die große Lagune, und die Greifzangen dieses Gebildes bestanden im Norden und im Süden aus langgestreckten, faserigen Landzungen.
Am Südufer der unteren Landzunge war fast zur selben Zeit auch eine Jolle gelandet, aber davon ahnten Masot und seine Meute nichts. Vorsichtig hatte der schwarzhaarige Bootsführer die Jolle auf die Küste zumanövriert, in der ständigen Befürchtung, mit Untiefen zu kollidieren.
Jetzt aber lag das Boot sicher und unbeschädigt auf dem Strand, und die Brandungswellen umspülten rauschend seinen Rumpf. Der Wind aus Südosten hatte erheblich nachgelassen, umfächelte jetzt fast nur noch die Gestalten der neun Männer und der schwarzhaarigen Frau mit den dunklen Leinenhosen und der roten Bluse.
Der Trupp lief auf das Dickicht zu und tauchte darin unter.
Hasard hatte die Spitze übernommen, gleich hinter ihm folgte Siri-Tong. Ed Carberry, Ferris Tucker, Smoky und Dan O’Flynn schlossen sich an, und hinter ihnen waren Batuti, Sam Roskill, Matt Davies und Jeff Bowie.
Die „Isabella VIII.“ hatte das Westkap der Insel gerundet und war dann mit drei Kreuzschlägen bis dicht vor das südliche Ufer gesegelt. Jetzt hatte sie längst wieder gewendet, lief vor dem Wind nach Nordwesten ab und schickte sich unter Ben Brightons Kommando an, jenseits des Kaps auf Nordost-Kurs zu gehen. Andai, Moho und Numil fungierten als Lotsen, so gut sie konnten. Ben und der Rest der Besatzung sollten durch die Passage, die auch Masot benutzt hatte, um sein Ankergewässer zu erreichen, ganz behutsam in die Lagune lavieren.
Hasard hatte aus seiner privaten Waffensammlung einen scharfgeschiffenen Cutlass mitgenommen, mit dem er sich jetzt einen Weg durch das Dickicht säbelte. Er hatte sich außerdem den Radschloß-Drehling über die linke Schulter gehängt, eine gewehrartige Waffe mit einem sechsschüssigen Cylinder, die sie seinerzeit von den Ladronen mitgebracht hatten.
Die zweite „Wunderwaffe“ von den Diebes-Inseln war der Schnapphahn-Revolverstutzen, den man wechselweise mit einer sechs- oder achtschüssigen Trommel benutzen konnte. Siri-Tong trug den Stutzen bei sich, und sie hatte die Achtkammer-Trommel eingesetzt, um so viele Schüsse wie möglich zur Verfügung zu haben.
Der Profos, Ferris Tucker, Smoky und die fünf anderen hatten sich sowohl mit Pistolen als auch mit kurzläufigen Tromblons, Entermessern und Säbeln ausgestattet. Der schwarze Herkules aus Gambia hatte wie üblich Pfeil und Bogen mitgenommen. Ferris Tucker hatte sich vier prall gefüllte Flaschenbomben in die Jackentaschen gestopft – für alle Fälle. Kurzum, der Stoßtrupp der „Isabella“ war im wahrsten Sinne des Wortes bis an die Zähne bewaffnet.
Hasard plante, in nördlicher Richtung zu wandern und so auf den Strand der Lagune zu stoßen, wo Masots Leute ihre Lagerfeuer entfacht hatten. Es sollte ein Überraschungsangriff werden, kurz, hart, kompromißlos, mit dem Ziel, Zegú und Thomas Federmann herauszuhauen.
Masot mußte inzwischen wohl begriffen haben, daß es ein ausgesprochener Fehler gewesen war, das Lager am Strand einzurichten. Er hätte seine Bande lieber vollzählig an Bord der „Saint Vincent“ belassen sollen, dann wäre den zwanzig Geiseln die Flucht garantiert nicht geglückt.
Ehe Masot veranlassen konnte, daß seine Mannschaft auf die Galeone übersetzte, wollte Hasard seinen Überfall durchgeführt haben.
Ben Brighton sollte zur selben Zeit seinen Beitrag zu dem Unternehmen leisten – es hing viel davon ab, daß er die Passage fand und sich an die „Saint Vincent“ herantasten konnte.
Hasard hatte seine Gruppe ungefähr vierhundert bis fünfhundert Yards tief in den Inseldschungel geführt, da vernahm er plötzlich einen Laut schräg vor sich und blieb abrupt stehen. Durch eine Geste bedeutete er seinen Gefährten, sich gleichfalls still zu verhalten.
Er hatte sich nicht getäuscht – nah vor ihnen raschelte es im dichten Unterholz, und jemand schien mit einemmal in Todesangst zu keuchen. Der Seewolf konnte in der Finsternis nicht die geringste Kleinigkeit vor sich erkennen, im übrigen hätten auch die schweren, Feuchtigkeit ausschwitzenden Blätter des Gestrüpps seine Sicht behindert, aber er war sicher, daß dort vorn ein Kampf stattfand.
Geduckt arbeitete er sich weiter vor, verzichtete jetzt aber darauf, den Cutlass zu benutzen. Er wollte keine unnötigen Geräusche hervorrufen, kroch nur noch flach auf dem modrig riechenden Untergrund entlang und teilte mit den Händen die Zweige und Blätter.
Dann hatte er den Platz erreicht, an dem der Kampf stattfand.
Ein hagerer Mann mit nacktem Oberkörper lag auf dem Rücken, und über ihm kniete ein zweiter Mann in Siegerpose, soviel konnte der Seewolf in der Dunkelheit gerade erkennen. Als nächstes hatte er den Eindruck, daß der unten liegende, schwer atmende, total erschöpft wirkende Mann Thomas Federmann, der Deutsche, war, und er brauchte keine wertvolle Zeit mehr zu vergeuden, um sich endgültig Gewißheit darüber zu verschaffen.
„Fahr zur Hölle“, sagte der Besiegte nämlich – auf deutsch.
Ein dritter Kerl trat soeben hinzu. Er hielt eine Muskete in den Fäusten. Ihrer abenteuerlichen Kostümierung nach konnten die beiden Bezwinger des Deutschen nur Freibeuter sein. Die Situation war klar genug – Thomas war seinen Wächtern entflohen, aber jetzt hatten sie ihn wieder gefaßt.
Hasard schwang hoch, hechtete mit einem panthergleichen Satz auf den über Thomas Knienden zu und riß ihn mit sich von dem Deutschen fort.
Der andere Pirat wollte eingreifen, aber Siri-Tong, Carberry und Ferris Tukker sprangen wie die Teufel aus dem Dickicht und warfen sich gegen ihn, ehe er schießen oder schreien oder seinen Säbel zücken konnte.
Hasard wälzte sich mit dem ersten Kerl auf dem Boden. Es war Saint Cyr, mit dem er kämpfte, aber das sollte er erst später erfahren. Saint Cyr entwikkelte beachtliche Kräfte und brachte den Seewolf für einige Augenblicke in Schwierigkeiten, aber dann hatte Hasard zumindest seinen rechten Arm so weit frei, daß er dem Kerl die Faust unter die Kinnlade rammen konnte.
Siri-Tong hatte Gugnot, dem anderen Widersacher, beachtlich schnell die Muskete entrissen. Carberry wollte den Franzosen mit einem Hieb fällen, aber Ferris Tucker kam ihm zuvor. Seine Fingerknöchel massierten die Schläfe des Freibeuters, und dieser sank mit einem tiefen Seufzer zu Boden.
„Fesselt und knebelt die Burschen“, zischte der Seewolf. „Wir nehmen sie ein Stück mit. Wir können sie hier nicht einfach liegen lassen. Immerhin könnten sie sich befreien und uns dann verraten.“
Thomas Federmann hatte sich halb aufgerichtet. Er stützte sich auf seine Arme und stammelte: „Das – das geht nicht mehr mit rechten Dingen zu. Ich glaube, ich sehe doch Gespenster. Philip Hasard Killigrew, Siri-Tong, Carberry, Tucker – mein Gott, wie schrecklich ist doch der Wahnsinn.“
Smoky, Dan, Batuti, Sam, Matt und Jeff traten jetzt auch aus dem dichten Gebüsch hervor, und Hasards Decksältester wandte sich grinsend an den Deutschen. „Paß mal gut auf, was ich dir sage, mein Freund. Ich will auf der Stelle tot umkippen, wenn wir Geister oder so was Ähnliches sind. Unser Profos sieht zwar aus wie ein Monstrum aus dem Jenseits, aber das sollte dich nicht stören.“
„Wie war das?“ fragte Carberry.
„Ruhe“, raunte der Seewolf ihnen zu. „Himmel, es könnten noch mehr von diesen Kerlen im Dickicht stekken.“
„Ja, das halte ich auch für möglich, Hasard“, sagte Thomas Federmann. „Die beiden hier haben auf mich geschossen, und Masot hat daraufhin bestimmt jemanden losgeschickt, der nachsehen soll, was los ist.“
„Aha, er ist aufgewacht“, sagte Matt Davies.
„Den Rest kannst du uns später erzählen“, flüsterte Hasard dem Deutschen zu. „Mehr brauchen wir vorläufig nicht zu wissen. Kannst du dich auf den Beinen halten?“
„Ja. Jetzt sogar wieder sehr gut“, versetzte Thomas grimmig. „Aber wie seid ihr …“
„Später“, unterbrach ihn der Seewolf. „Zeig uns jetzt lieber, wie wir am schnellsten zum Strand der Lagune gelangen. Dan, gib Thomas deine Pistole und dein Messer, damit er nicht unbewaffnet ist.“
Dan befolgte den Befehl. Thomas Federmann nahm mit dankbarem Lächeln die Waffen entgegen, hob dann auch noch Gugnots Muskete auf und trat zu Hasard und zu Siri-Tong.
Batuti, Sam Roskill, Smoky und Dan O’Flynn hoben die reglosen Piraten Saint Cyr und Gugnot aus dem Dickicht auf. Hasard hatte sich wieder an den Kopf seines Trupps gebracht, blickte sich kurz um und fragte: „Alles in Ordnung da hinten?“
„Ja, Sir“, raunten die Männer.
„Dann los“, sagte er.
10.
Ben Brighton holte tief Luft und versuchte, nicht daran zu denken, was geschah, wenn sie auf ein Korallenriff liefen. Es wollte ihm nicht gelingen.
Gary Andrews lag vorn auf der Galionsplattform und lotete die Wassertiefe aus, aber das nutzte eigentlich herzlich wenig, denn wenn sich plötzlich eine Untiefe ankündigte, dann war es schon zu spät, um durch ein Manöver noch rechtzeitig ausweichen zu können. So ein Atoll war in seiner Struktur unberechenbar und äußerst trügerisch.
Ben Brighton stand auf der Back. Shane, Old O’Flynn und Al Conroy befanden sich in seiner unmittelbaren Nähe, und die Polynesier Andai, Moho und Numil hatten sich vorn über die Balustrade gebeugt, um nach allen Seiten Ausschau halten zu können und die „Isabella VIII.“ nach bestem Wissen und Vermögen durch die Passage zu schleusen.
Keiner sprach ein Wort.
Der Südostwind drückte die mit östlichem Kurs in die Lagune laufende Galeone immer weiter nach Norden hinauf. Ben mußte Überstag gehen und kreuzen, wenn er nicht ganz aus dem Kurs geraten wollte, aber er fragte sich verbissen, ob er überhaupt den Platz hatte, um auf den anderen Bug drehen zu können.
Gary Andrews stieß plötzlich einen verhaltenen Laut aus. Ben wußte nicht, ob es eine Warnung oder eine Erfolgsmeldung sein sollte, aber dann drehte sich Andai lächelnd um und bedeutete ihm durch eine Gebärde, daß sie es geschafft hatten. Tieferes Wasser war erreicht, die Passage lag hinter ihnen.
„Wir gehen auf Steuerbordbug und fahren einen Kreuzschlag nach Süden“, raunte Ben seinen Kameraden zu. „Al, gib das bitte nach achtern weiter.“
Al Conroy stieg zur Kuhl hinunter, um den Befehl weiterzuleiten.
Fast lautlos glitt die „Isabella“ durch die Lagune.
Picou und seine beiden Begleiter marschierten auf der Kuhl der „Saint Vincent“ auf und ab, stiegen hin und wieder auf die Back und auf das Achterdeck und hielten die Augen nach allen Himmelsrichtungen offen, damit ihnen nicht ein ähnlicher Fehler unterlief wie den Kumpanen, die inzwischen von Masot geohrfeigt und niedergeschlagen worden waren.
Picou überlegte sich, daß er durch sein tapferes und loyales Verhalten bestimmt in Grand Ducs Gunst gestiegen war. Der Riese würde dies Masot gegenüber gewiß nicht verschweigen, und das wiederum bedeutete, daß Picou sich einige Chancen ausrechnen durfte, bei der anteilmäßigen Vergabe der Schatzbeute besser als die anderen abzuschneiden. Picou malte sich dies in den schönsten Farben aus und sagte sich im stillen auch, daß es gut war, wenn die Besatzung der „Saint Vincent“ ein wenig schrumpfte. Fünf Mann hatten heute nacht schon das Zeitliche gesegnet – und vielleicht würden die drei übrigen Ankerwachen von Masot höchstpersönlich wegen ihres Versagens hingerichtet werden. Das waren dann acht Kerle weniger. Acht unnütze Parasiten, mit denen man nicht mehr zu teilen brauchte.
Am Strand entstand plötzlich Bewegung.
Picou fuhr herum.
„Ein Angriff!“ riefen seine beiden Kumpane noch. Und dann ging es auch schon los: Zwei Explosionsfeuer stachen zwischen den Palmen himmelan, Donnerschläge rasten über den Strand. Masot, Grand Duc und all die anderen Kerle bei der Jolle schrien auf, zückten ihre Waffen und setzten sich gegen den unbekannten Gegner zur Wehr, der da aus dem Dickicht heraus zu agieren schien.
Die Piraten saßen in der Falle.
Ihr Gebrüll hallte zur Galeone herüber, und Picou und seine beiden Kumpane stürzten entsetzt an das Steuerbordschanzkleid der Kuhl. Alle drei versuchten sie, Genaueres zu erkennen, aber weder mit dem bloßen Auge noch durch den Kieker war etwas von dem unheimlichen Feind im Dunkel zu erspähen. Er hatte sich im Gebüsch eingenistet und schien ein Zielschießen auf die französischen Freibeuter zu veranstalten.
Und was hatte diese rätselhaften Explosionen hervorgerufen?
„Wir müssen ihnen helfen!“ schrie Picou. „Los, feuern wir die Kanonen ab!“
„Und wenn wir unsere eigenen Leute treffen?“ rief sein Kumpan zur Rechten. „Was ist dann? Wir können doch gar nicht richtig zielen!“
Picou kümmerte sich nicht um diesen Einwand. Er stürzte an das Geschütz der Steuerbordseite, das ihm am nächsten stand, wollte die Lunte mit Feuerstein und Feuerstahl entfachen, aber unvermittelt hielt er inne und wandte sich zur anderen Schiffsseite um, weil er dort eine schattenhafte Bewegung wahrgenommen hatte.
Er fuhr zusammen, verschluckte sich und begann heftig zu husten.
Ein Gigant schien sich aus den Schleiern der Nacht hervorzuschieben. Von Backbord achtern schlich er auf die „Saint Vincent“ zu, geräuschlos, unheimlich, unaufhaltsam.
Die „Isabella“ hatte sich mit einem weiteren Kreuzschlag in der Lagune auf Ostkurs gebracht, war dann abgefallen und hatte sich in einer engen Schleife genau auf das Heck der Piraten-Galeone zugeschoben. Dank der ziemlich präzisen Angaben der Männer von Hawaii hatte Ben Brighton dieses Manöver trotz der tiefen Finsternis einwandfrei durchführen können.
Jetzt war die „Isabella“ heran und schickte sich an, bei der „Saint Vincent“ längsseits zu gehen. Auf der Back standen schon die Männer zum Entern bereit, allen voran Ben Brighton, Shane und der alte O’Flynn.
„An die Serpentinen!“ brüllte Picou.
Er stürmte noch zum Achterdeck hinauf und wollte die beiden achteren Hinterlader der Galeone auf den Feind abfeuern, aber dazu kam er nicht mehr. Drohend schob sich die „Isabella“ neben den Franzosen, die Seewölfe jumpten von Bord zu Bord, gefolgt von den Insulanern – ein Menschenschwall schien sich auf das Piratenschiff zu ergießen.
Picou hatte seine Pistole Grand Duc überlassen und sich dummerweise keinen Nachschub aus der Waffenkammer des Schiffes geholt. Er merkte, daß er einen großen Fehler begangen hatte, wollte seinen Säbel zücken, sah sich auf dem Achterdeck aber plötzlich einer überragenden Zahl von Feinden gegenüber. Entschlossen rückten sie auf ihn zu.
Knirschend und schabend drückte sich die „Isabella“ noch ein Stück weiter vor, ihre Kork- und Taufender verhinderten, daß die Bordwände eingedrückt wurden.
„Streicht die Flagge!“ rief Ben Brighton Picou zu. Sein Französisch war nicht das beste, aber es reichte aus, um sich zu verständigen.
Picou ließ den Säbel fallen. Seine Kumpane auf der Kuhl sahen ebenfalls ein, daß Widerstand zwecklos war. Was konnten drei Kerle schon gegen diese Übermacht ausrichten?
Sie ließen also auch von ihren Waffen ab und hoben die Hände.
„Na also“, sagte Ben zu seinen Begleitern. „Damit hätten wir den Zweck der Übung erreicht. Hasard wollte eine heile, seetüchtige ‚Saint Vincent‘ haben – kein Wrack.“
Die beiden Höllenflaschen, die Ferris Tucker und der Profos unter den Palmen hatten hochgehen lassen, hatten nur der Ablenkung gedient. Masot, Grand Duc und die übrigen Piraten waren verwirrt, hasteten quer über den Strand auf den Ort der Detonationen zu – und genau das hatte der Seewolf gewollt. Er brach mit seinem Trupp aus dem Dickicht hervor und fiel der Piratenbande in die Flanke, ehe diese richtig reagieren konnte.
Hasard wollte ein Blutvergießen vermeiden. Im Handgemenge fielen nur wenige Schüsse, und den Radschloß-Drehling brachte er überhaupt nicht zum Einsatz. Mit einigen gezielten Fausthieben trieb er eine Bresche in die Masse von Leibern, arbeitete sich zu Masot durch und forderte diesen vor die Klinge.
Siri-Tong schlug zwei Kerle mit dem Kolben des Schnapphahnstutzens nieder, dann zückte sie ihren Degen und parierte einen wilden Entermesserhieb von Grand Duc.
Smoky, Dan, Batuti, Sam, Matt und Jeff warfen sich derweil in den Kampf gegen die übrige Meute. Thomas Federmann griff ebenfalls mit ein, so gut er konnte.
Die gefesselten und geknebelten Piraten Gugnot und Saint Cyr hatten sie im Dickicht hinter sich zurückgelassen.
Carberry und Ferris wollten unter den Palmen hervortreten und die anstürmenden Piraten zurückwerfen, da gab es einen unerwarteten Zwischenfall. Von Süden her rückten Vignoc und die beiden anderen Freibeuter an, die nach dem Verbleib von Federmann und dessen Bewachern Gugnot und Saint Cyr geforscht hatten. Sie schossen auf den Profos und den rothaarigen Schiffszimmermann, und Ferris Tucker spürte es plötzlich siedendheiß über seine Schulter brennen.
Er warf sich hin, überrollte sich und brachte die dritte Höllenflasche zum Vorschein.
„Ferris!“ schrie der Profos, der sich hinter dem Stamm einer Palme in Dekkung geworfen hatte. „Hölle, du alter Klamphauer, hat es dich etwa erwischt?“
„Nur ein Streifer“, stieß Tucker undeutlich aus. Dann hatte er die Flaschenbombe gezündet und ließ sie mit einem wilden Schlenker des linken Armes zu den anstürmenden drei Franzosen hinübersegeln.
Die Ladung ging im richtigen Moment hoch, und die Todesschreie der Angreifer gellten über den Strand bis auf die Lagune hinaus. Dies gab den Ausschlag – die meisten Piraten ergaben sich plötzlich.
Carberry sah aber, daß Grand Duc die Rote Korsarin immer noch mit dem Entermesser bedrängte. Mit einem Fluch sprang der Profos auf, war mit zwei Sätzen bei Grand Duc und hieb diesem die Faust in die Körperseite. Der Riese mit dem gelben Kopftuch ächzte und ließ seine Hiebwaffe unwillkürlich sinken. Carberry schlug noch zweimal zu, ehe Grand Duc sich richtig gegen ihn zur Wehr setzen konnte. Der Pirat sank in den Knien ein und brach auf dem weißen Sand zusammen.
„Edwin“, sagte die Rote Korsarin lächelnd. „Ich danke dir für die Unterstützung. Es stimmt eben doch – wo der Profos hinhaut, da wächst kein Gras mehr.“
„Och“, meinte Carberry. „War doch nicht der Rede wert, das …“
Plötzlich wirbelte etwas durch die Luft – es war Masots Schiffshauer. Der Seewolf stand mit leicht gespreizten Beinen auf dem Strand und hielt dem Schwarzbart die Spitze seines Cutlass gegen die Gurgel.
„Töte mich!“ schrie Masot. „Warum zögerst du noch?“
„Fesselt ihn“, sagte Hasard, ohne auf das Geschrei des Kerls zu achten.
Ferris Tucker und Carberry packten den vor Zorn bebenden Mann. Hasard ließ den Cutlass sinken, steckte ihn weg und ging zu dem leicht hin und her schwankenden Holzkäfig hinüber, um Zegú, den König von Hawaii, aus seiner schmählichen Lage zu befreien.
Die Schlacht war geschlagen.
In dieser Nacht fand keiner Schlaf. Es gab eine turbulente Wiedersehensfeier der Seewölfe und der Männer und Frauen von Hawaii.
Der Morgen kündigte sich mit strahlendem Sonnenschein an, und die See hatte sich wieder beruhigt. Zwei Schiffe verließen die Lagune und segelten an den hier und da aus dem Wasser ragenden Mastspitzen gesunkener Schiffe vorbei – die „Isabella VIII.“ und die „Saint Vincent“. Fliegende Fische waren aufgetaucht und begleiteten beide Galeonen zur Passage, als wollten sie ihnen eine gute Reise wünschen.
Masot, Grand Duc und die anderen Überlebenden von der Piratenbande blieben auf der Koralleninsel zurück. Sie würden einige Zeit brauchen, bis sie sich von ihren Fesseln befreit hatten, und auch danach würde es ihnen nicht so leichtfallen, den ungastlichen Ort zu verlassen. Hasard hatte ihnen zwar die beiden Jollen der „Saint Vincent“ gelassen, aber er hatte sie weitab vom Ufer der Lagune an verschiedenen Küsten des Eilandes versteckt.
Die „Saint Vincent“ segelte mit Thomas Federmann, Zegú, Andai, Moho, Numil, Hauula, Mara und den anderen Insulanern an Bord nach Norden davon – zurück nach Hawaii mit dem Schatz an Bord. Es hatte eine ergreifende Abschiedszene gegeben, doch nichts hatte den Seewolf davon abhalten können, seine Absichten zu verfolgen.
Er lief mit der „Isabella“ an dem nun wieder aus Osten blasenden Wind nach Süden ab. So sehr Thomas und dessen Freunde ihn auch gebeten hatten, mit ihnen nach Hawaii zurückzukehren – er wollte tiefer in die unbekannte, bisher noch unerforschte Wasserwelt vordringen, die südlich des Atolls lag, und davon konnte ihn nichts und niemand abbringen.
Nicht einmal Siri-Tong hätte es vermocht – und das wollte schon etwas heißen.
Aber sie versuchte es auch gar nicht. Sie war selbst versessen darauf, zu erfahren, was jenseits des Äquators in den Weiten des Stillen Ozeans lag …