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4.
Hasard und der Profos waren plötzlich von einer Übermacht von Gegnern umringt, neue Gesichter waren überraschend aus der Dunkelheit und dem Nebel aufgetaucht. Fast erschien es dem Seewolf so, als sähe er Reeves und Hoback, die beiden Kerle von dem Kampf in der Gasse, wieder vor sich, doch zu genaueren Beobachtungen war keine Zeit, denn das jetzt einsetzende Geschehen verlangte ihm seinen vollen Einsatz ab.
Carberry und er schlugen sich jetzt mit einemmal auf verlorenem Posten. Alles ging sehr schnell. Ben und Dan bahnten sich zwar noch einen Weg durch die Hasard und den Profos umlagernde Menge, aber ihr Handeln erfolgte bereits zu spät.
Carberry sank unter einem Feuer von Hieben als erster zu Boden. Burt, der Blonde, brüllte etwas Triumphierendes, dann wollte er sich auf den fallenden Narbenmann stürzen, wurde aber zur Seite weggedrückt. Vorerst registrierte er noch nicht, daß es außer seinen Leuten auch noch andere Männer waren, die in das Handgemenge eingegriffen hatten, und als er es bemerkte, war der Spuk bereits im Dunkeln verschwunden.
Hasard sah einen großen, breitschultrigen Mann vor sich auftauchen, wollte sich gegen ihn zur Wehr setzen, wurde aber von zwei anderen an den Armen festgehalten. Ihm fiel noch das zynische Lächeln des Kerls auf, der ziemlich lange blonde Haare und ein kantiges Gesicht mit ausdrucksstarken Zügen hatte, dann traf ihn dessen Faust mit größter Wucht unter dem Kinn.
Es dröhnte in Hasards Kopf, jede weitere Wahrnehmung ging jedoch in erlösender Finsternis unter. Er konnte nicht mehr verfolgen, wie auch Ben und Dan unter dem Andrang der Übermacht von Gegnern zusammenbrachen, hörte nicht mehr das Johlen, Grölen und Pfeifen der Kerle, fühlte nicht, wie er hochgehoben und fortgetragen wurde.
Der Kampf vor der „Bloody Mary“ ging weiter, doch die Kerle, die den Männern des Küstenseglers so unverhofft geholfen hatten, waren mit Hasard, Ben, Carberry und Dan O’Flynn verschwunden.
Burt, der Blonde, stolperte zwar noch eine ganze Zeitlang vor der Kneipe herum und suchte nach Carberry, um richtig mit diesem abzurechnen, doch der Profos schien sich in Luft aufgelöst zu haben.
Burt stieß die übelsten Verwünschungen aus. Bald aber schwieg auch er, denn Big Old Shane rammte ihm mit einem zornigen Laut die Faust unters Kinn.
Weitere Männer sanken bewußtlos zusammen, und jetzt zeichnete sich eine Wende in der Keilerei ab, die bislang mehr oder weniger unentschieden verlaufen war. Die Seewölfe siegten. Als aber schließlich wieder Ruhe eintrat und sie sich keuchend umsahen, mußten sie feststellen, daß der Seewolf und drei der wichtigsten Männer von der Crew fehlten.
„Zur Hölle“, sagte Smoky betroffen. „Was jetzt? Was, zum Henker, hat das zu bedeuten?“
Keiner wußte darauf eine Antwort.
Mit der Rückkehr ins Bewußtsein war das so eine Sache. Hasard wollte schleunigst die Augen öffnen, sich umsehen und feststellen, was aus seinen Männern geworden war. Er war voll bei Sinnen, aber irgendwie kriegte er die Lider nicht auf, sie schienen verklebt zu sein. Außerdem tobten höllische Schmerzen durch seinen ramponierten Kopf. Jeder Atemzug war eine Qual. Unter diesem Aspekt schien es doch besser zu sein, gleich wieder in die befreiende Ohnmacht zu sinken, die ihn erneut zu übermannen drohte.
Aber er zwang sich dazu, den Kopf zu heben, kämpfte gegen die Schmerzen und die aufsteigende Übelkeit an und griff mit der Hand nach den Augen. Er stellte fest, daß sie blutverkrustet waren. Unter Zuhilfenahme der Finger konnte er sie öffnen.
Vorsichtig schaute er sich um.
Er lag in einem dunklen Raum, der schätzungsweise fünf mal fünf Yards groß war. Er war ein Gefangener, aber gefesselt hatte man ihn nicht. Er wandte den Kopf und sah Ben, Ed und Dan neben sich liegen. Sie waren noch ohnmächtig.
Draußen hatte sich der Nebel offenbar etwas verflüchtigt, ein wenig Mondlicht drang durch das einzige, vergitterte Fenster des Raums. Es erlaubte dem Seewolf, sich ein Urteil über den Zustand seiner drei Männer zu bilden.
Schön sahen sie nicht aus. Ihre Gesichter waren zerkratzt, blutig und hier und da geschwollen. Ihre Kleidung war zerrissen. Besser ist es um dich sicher auch nicht bestellt, dachte Hasard. Er versuchte zu grinsen, aber auch das tat weh.
Auch Ben, der Profos und Dan waren die Hände und Füße nicht gebunden. Er brauchte sie jetzt nur zu wecken, dann konnten sie gemeinsam versuchen, aus diesem merkwürdigen Verlies zu entwischen.
Gerade wollte er aufstehen, da regte sich etwas unterhalb des Fensters. Funken sprühten, jemand schlug offensichtlich Feuerstein und Feuerstahl gegeneinander. Eine Flamme züngelte auf, der Unbekannte hatte ein Talglicht entfacht.
Hasard hatte sich in Hockstellung gebracht und bereitete sich darauf vor, den Fremden, der ihn schon die ganze Zeit über beobachtet haben mußte, anzuspringen. Er konnte sein Gesicht jetzt im Schein der Flamme erkennen. Es war schmal und ernst und gehörte einem über fünfzig Jahre alten Mann. Der schwarze Filzhut, den dieser Mann trug, verlieh seiner ganzen Erscheinung etwas Würdevolles, aber auch etwas Rätselhaftes.
„Greifen Sie mich bitte nicht an, Mister Killigrew“, sagte er mit halblauter, wohlklingender Stimme. „Ich bin nicht hier, um Ihnen irgendwelchen Schaden zuzufügen. Ich darf Sie doch Mister Killigrew nennen? Oder soll ich Sir Hasard zu Ihnen sagen?“
Der Seewolf richtete sich langsam auf und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. „Den Sir können Sie sich ruhig schenken.“
„Aber die Königin von England hat Sie zum Ritter geschlagen.“
„Sicher, aber mir ist der Kaperbrief wichtiger als jeder Titel.“ Wieder peinigten ihn die Schmerzen. Er verzog das Gesicht.
„Es tut mir leid, daß so etwas vorfallen mußte“, sagte der fremde Mann. „Es lag nicht in meiner Absicht, verstehen Sie?“
„Ja. Sie sind Lord Gerald Cliveden, nicht wahr?“
„Woher wissen Sie das?“ fragte der andere überrascht.
„Ich kann eins und eins zusammenzählen“, erwiderte Hasard. „Mir geht allmählich so einiges auf.“
Das Talglicht, so stellte er jetzt fest, stand auf einem kleinen Pult, und dahinter, unter dem Fenster, befand sich ein Stuhl, auf dem Seine Lordschaft sich niedergelassen hatte. In diesem Augenblick aber stand nun auch Cliveden auf, und Hasard konnte sehen, daß er hochgewachsen und hager war. Er trug ein kurzes Cape, enge schwarze Hosen und dazu Schnallenschuhe. Hasards Augen hatten sich an das Licht gewöhnt, er konnte immer mehr Details erkennen.
„Ach so“, sagte Cliveden. „Nun, ich dachte schon, es hätte sich herumgesprochen, daß ich in Plymouth bin. Meine Mission, die mich hierhergeführt hat, ist nämlich geheim, müssen Sie wissen.“
„Wo sind wir hier?“ fragte der Seewolf.
„In einem alten Haus des Hafenviertels, das nicht mehr bewohnt ist. Wir befinden uns höchstens fünfhundert Yards von der ‚Bloody Mary‘ entfernt.“
„Sehr beruhigend, das zu wissen“, sagte Hasard nicht ohne Ironie. „Würden Eure Lordschaft jetzt so freundlich sein, mir zu verraten, was meine Männer und ich mit dieser geheimen Mission zu tun haben?“
„Selbstverständlich.“ Cliveden lächelte. „Eigentlich müßten Sie sich aber auch in dieser Hinsicht einiges zusammenreimen können, Mister Killigrew.“
„Gewiß, es hängt mit der ‚Hornet‘ zusammen. Aber …“ Hasard unterbrach sich und blickte zu Ben Brighton, der ebenfalls das Bewußtsein wiedererlangte und nach einem unterdrückten Stöhnen erst einmal einen saftigen Fluch von sich gab.
Lord Gerald Cliveden lächelte immer noch.
„Was, zum Teufel, wird hier gespielt?“ fragte Ben wütend. „Wo sind die Hundesöhne? Sir, bist du das?“
„Ja. Aber der Kampf ist vorbei, Ben.“
„Nicht ganz. Wenn ich den Mistbock erwische, der mir dieses Ding verpaßt hat, geht es wieder von vorn los, das schwöre ich dir.“
„Ja, Sir“, sagte Carberry mit knurrender Stimme. „Das ist mal so sicher wie das Ende der ‚Isabella VIII.‘ Wo beim Donner, steckt der blonde Burt?“
„Ich hab keine Ahnung“, brummelte Dan O’Flynn. „Aber wir finden ihn und seine Bande noch, Ed, und wenn ich mir die Hacken bis auf die Knochen ablaufe.“
Cliveden mußte lachen. „Gentlemen, ich versichere Ihnen hoch und heilig, daß die Initiative des Mister Burt nichts, aber auch gar nichts mit Ihrem Hiersein zu tun hat.“
Sie fuhren alle drei zu ihm herum und sahen ihn starren Blickes an. Carberry stieß eine Verwünschung aus, weil die ruckartige Bewegung ihm fürchterliche Schmerzen in seinem Kopf einbrachte.
„Hört mit dem Fluchen auf“, sagte der Seewolf. „Wir haben es hier mit einer echten Lordschaft zu tun. Etwas Respekt bitte, Kerls.“
Carberry ließ wieder einen dieser Grunzlaute vernehmen, die laut Dan dem Röcheln und Rülpsen eines See-Elefanten verblüffend ähnlich waren. „Lord? O Lord, das ist ja zum Heulen!“
„Würde mir mal jemand erklären, was hier eigentlich läuft?“ erkundigte sich Ben. „Sind wir nun niedergeschlagen worden oder nicht? Hat man uns überfallen, oder hab ich das bloß geträumt?“
„Ich will Ihnen ja alles auseinandersetzen“, entgegnete Cliveden. „Aber zuerst müssen Sie mir versprechen, daß Sie sich beruhigen.“
„Dafür übernehme ich die Garantie, Lord Gerald“, sagte Hasard. „Ben, Ed, Dan – reißt euch gefälligst zusammen.“
„Aye, Sir“, murmelten die drei gleichzeitig.
„Ben Brighton, Edwin Carberry und Donegal Daniel O’Flynn?“ fragte Lord Gerald Cliveden. „O, wundern Sie sich bitte nicht darüber, daß ich Ihre Namen kenne. Ich habe mir umfassende Informationen über die gesamte Crew der ‚Isabella‘ verschafft und weiß bestens über Sie Bescheid.“
„Wunderbar“, sagte Hasard. „Dann ist Ihnen sicherlich auch bekannt, daß wir vier neue Männer haben: Jack Finnegan, Paddy Rogers, Roger Brighton und Mac Pellew.“
„Nein“, sagte Cliveden verblüfft. „Das ist mir neu. Ich danke Ihnen für diesen Hinweis, Mister Killigrew.“
„Gern geschehen. Darf ich noch mal raten? Sie sind so was wie ein Sonderbeauftragter, nicht wahr?“
„Ja.“
„Von wem denn?“ fragte Carberry ungeduldig. Das Gespräch zog sich für seinen Geschmack viel zu sehr in die Länge. „Von unserer guten Lissy?“
Cliveden war hinter dem Pult hervorgetreten und näherte sich den vier Männern ohne das geringste Anzeichen von Furcht. „Wen meinen Sie mit der Lissy, Mister Carberry?“ erkundigte er sich amüsiert. „Etwa die Königin? Lassen Sie das Ihre Majestät nur nicht hören.“
„Wir haben zu der Lissy ein ganz besonders gutes Verhältnis“, erklärte der Profos ungerührt. „Im Grunde ist sie ein Prachtmädchen, aber ich begreife nicht, warum sie uns eine Schlägertruppe auf den Hals gehetzt hat.“
„Aber, Mister Carberry!“ stieß Cliveden entrüstet aus.
„Ed“, sagte Hasard scharf. „Etwas mehr Respekt, bitte.“
„Aye, Sir. Verzeihung, Eure Lordschaft.“
„Gentlemen“, sagte Cliveden. „Ich wollte mich noch selbst bei Ihnen entschuldigen wegen dieses Mißverständnisses. Aber lassen Sie mich bitte ausreden.“
„Wir unterbrechen Sie jetzt nicht mehr“, versicherte Hasard. „Halten Sie uns zugute, daß wir noch reichlich benommen sind. Wir müssen erst mal wieder klar sein.“
„Ja, einverstanden“, sagte Cliveden, und jetzt lächelte er wieder. „Ich habe wohl doch den falschen Weg gewählt, um mich mit Ihnen in Verbindung zu setzen, aber im Zuge der strengen Geheimhaltung, der dieses Unternehmen unterliegt, durfte ich um keinen Preis öffentlich in Erscheinung treten. Deshalb schickte ich vorab einen Boten, der Ihnen die Pergamentrolle überbrachte, Mister Killigrew. Ich wollte sicher sein, daß Sie und Ihre Crew sich auch wirklich noch in Plymouth befanden, sobald ich hier eintraf, denn ich wurde länger als ursprünglich geplant in London aufgehalten.“ Er sah Hasard an. „Bitte, sprechen Sie doch, Mister Killigrew. Ich sehe Ihnen an, daß Sie etwas sagen wollen.“
„Ja. Wir sollen also tatsächlich die ‚Hornet‘ übernehmen?“
„Allerdings. Sie ist ein fast ganz neues Schiff und stammt aus Bristol. Bei der Überführung nach Brighton, wo sie den letzten Teil ihrer Armierung übernehmen soll, nachdem sie bereits in Bristol vollständig überholt wurde, bot es sich an, sie in Plymouth Zwischenstation einlegen zu lassen. Dies geschah auf meine direkte Anweisung hin, Mister Killigrew, denn ich wollte, daß Sie schon mal einen Eindruck von diesem schönen Segler erhielten – und einen Vorgeschmack auf das, was Ihnen bevorsteht.“
„Ein Raid?“
„So könnte man es nennen.“
„Aber warum dieses Versteckspiel?“
„Das habe ich Ihnen doch erklärt.“
„Sie hätten in der Pergamentrolle wenigstens den Zeitpunkt für unser Treffen erwähnen können, dann hätten wir nicht so in der Luft gehangen.“
Cliveden räusperte sich. „Was wäre aber gewesen, wenn man den Boten überfallen und ausgeraubt hätte? Wenn Unbefugte die Rolle gelesen hätten? In der Hoffnung, noch zusätzlich etwas zu erbeuten, hätten sie mich überfallen können.“
„Schon gut, ich verstehe. Aber erläutern Sie uns bitte, aus welchem Grund die ‚Hornet‘ in den nächsten Tagen meinem Kommando unterstellt wird.“ Hasard sah Cliveden erwartungsvoll an. Cliveden war ihm alles andere als unsympathisch, er glaubte ihm und schenkte ihm Vertrauen. Die Aussicht, bald wieder in See gehen zu können, war auch mehr als verlockend.
Cliveden kehrte zunächst zu dem Pult zurück, bückte sich dahinter und brachte einen Krug und ein paar Becher zum Vorschein.
„Lassen Sie uns zunächst einen Schluck trinken“, sagte er und beschrieb eine einladende Geste. Dann begann er, die Becher zu füllen. „Keine Angst, es handelt sich um ganz normalen, leichten französischen Landwein. Den können Sie bedenkenlos trinken.“
Ben, der Profos und Dan erhoben sich vom Boden. Sie rieben sich die schmerzenden Köpfe, massierten ein wenig die Arme und Beine und traten mit Hasard an das Pult.
Sie tranken und setzten die Becher wieder an. Der Wein war wirklich ein guter Tropfen, kein Vergleich mit dem Zeug, das Plymson in seiner „Bloody Mary“ ausschenkte.
Ben ergriff als erster wieder das Wort.
„Französischer Wein, ist das ein Omen?“ fragte er. „Lord Gerald, wenn die Königin höchstpersönlich Sie schickt, muß schon etwas Schwerwiegendes vorliegen. Was denn? Krieg mit Frankreich?“
„Nicht ganz“, erwiderte Cliveden. „Aber es muß aller Wahrscheinlichkeit nach gekämpft werden – und Sie, Gentlemen, haben heute nacht schon zur Genüge bewiesen, daß Sie genau die richtigen Männer für das geplante Unternehmen sind.“
„Nicht ganz“, sagte Hasard. „Wir haben allerlei einstecken müssen, und zuletzt hat man uns überwältigt und entführt. Finden Sie das sehr rühmlich?“
Cliveden nickte. „Allerdings, denn ich sehe die Ereignisse in ihrem vollständigen Zusammenhang. Der Seewolf ist noch genauso kühn wie früher, mutiger als Drake sogar, und daher war es kein Fehler, Sie auszuwählen. England kann stolz auf Männer wie Sie sein.“
Carberry kratzte sich leicht verlegen am Kinn, Ben wußte nicht so recht, welchen Wert er diesen Worten beimessen sollte. Dan fand, daß die ganze Sache nun eher peinlich wurde.
Hasard sagte: „Lord Gerald, Sir, ich danke Ihnen für dieses Lob, aber ich möchte vor allen Dingen endlich wissen, wer die Kerle sind, die uns aufgelauert haben.“
„Aufgelauert ist nicht ganz der richtige Ausdruck“, versetzte Cliveden. „Sie erhielten von mir den Auftrag, Sie und Ihre Leute zu finden und zu mir zu bringen, Mister Killigrew.“
„Wie bitte? Und deshalb mußten sie wie die Gassenräuber durch den Hafen schleichen?“
„Das war nicht beabsichtigt. Sie versuchten, Sie einzuholen, aber dann hörten Sie die Leute gar nicht erst an, sondern fielen gleich über sie her, Sir.“
Hasard grinste plötzlich verwegen. „Tut mir leid, aber wir sind oft genug aus dem Hinterhalt überfallen worden. Sie haben da wirklich zu dem falschen Mittel gegriffen, Lord Gerald. Ich kann es den Burschen nicht verdenken, daß sie anschließend zur ‚Bloody Mary‘ gegangen sind, um sich zu revanchieren, aber sie hätten uns auch da nicht gleich wegzuschleppen brauchen.“
„Nun“, meinte Cliveden sichtlich betrübt, „das werde ich mir für die Zukunft merken müssen. Wissen Sie, ich stehe zwar schon seit langer Zeit in Diensten des königlichen Hofes, aber ich habe bis vor einem Jahr immer nur mit inneren Angelegenheiten zu tun gehabt. Jetzt aber bin ich der Leiter des Sonderamtes für außerstaatliche und staatsgefährdende Angelegenheiten. Mit Korsaren hatte ich vorher nichts zu tun.“
„Das merkt man“, sagte Carberry und grinste jetzt ebenfalls. „Aber man lernt ja nie aus, was, Lordschaft?“
„O Himmel, Ed, wie treffend du das sagst“, stöhnte Dan O’Flynn.
Ehe der Profos jedoch zu ihm herumfahren konnte, sagte Ben: „Reeves und Hoback sind also Ihre Untergebenen, Sir?“
„Untergebene ist auch nicht ganz zutreffend“, erwiderte Cliveden. „Es handelt sich um Easton Terrys Männer. Sagt Ihnen dieser Name etwas?“
Hasard, Ben, Ed und Dan sahen sich untereinander an, dann schüttelten sie die Köpfe.
Der Seewolf blickte wieder zu Cliveden und fragte: „Wer ist das?“
„Man merkt es, daß Sie schon seit längerer Zeit nicht mehr in England gewesen sind. Terry und seine Crew gehören zu den hoffnungsvollsten Männern, die die Nation in der jüngsten Zeit hervorgebracht hat. Sie sind erfahrene Seeleute und Kaperfahrer – wie Sie, Mister Killigrew.“
„Das gibt’s doch nicht“, sagte Ben. Carberry hustete, weil ihm nichts Besseres einfiel, Dans Grinsen verschwand.
„Lord Gerald“, sagte Hasard als einziger, der die Fassung voll bewahrte. „Kann man mit diesem Terry mal ein paar Worte wechseln? Es bedarf wohl einer Aussprache, finden Sie nicht auch?“
„Darauf habe ich nur gewartet“, entgegnete Cliveden, dann ging er zur Tür, entriegelte sie und drückte sie auf.
Gestalten traten ein, und im Schein des Talglichtes erkannten Hasard und seine drei Kameraden sofort, wen sie vor sich hatten – die Galgenstricke, mit denen sie sich in dieser Nacht gleich zweimal geprügelt hatten.
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Acht Männer, darunter Reeves und Ray Hoback, aber an der Spitze der Gruppe stand breitbeinig und mit dem offensichtlichen Gebaren des Anführers jener blonde Mann, der Hasard den entscheidenden Hieb verpaßt hatte. Er war groß und muskulös, hatte Narben auf der Brust sowie an den Armen und fiel durch seine grauen Augen auf, die verächtlich blitzten, und durch seinen zu einem abfälligen Lächeln verzogenen Mund.
Carberry sog die Luft laut durch die Nase ein. Seiner Miene war zu entnehmen, was er von diesem Mann hielt. Er konnte ihn auf Anhieb nicht ausstehen, und besonders dieses Lächeln fiel ihm auf die Nerven.
„Ganz recht“, sagte der Blonde. „Ich bin Easton Terry. Es freut mich wirklich, Sie kennenzulernen, Mister Killigrew.“
„Ganz meinerseits“, entgegnete Hasard, und Terrys Männer lachten. Keiner traf Anstalten, einem der Seewölfe die Hand zu schütteln. Noch war das Eis nicht gebrochen, und Terrys arrogantes Verhalten trug eher dazu bei, daß die Fronten sich wieder verhärteten.
Hasard blickte zu Cliveden. „Welche besonderen Aufgaben fallen Mister Terry und seiner glorreichen Mannschaft noch zu, Lord Gerald?“
„Sie nehmen an der Aktion, die der Sicherheit Englands dient, teil.“
„Ich fürchte, dann müssen Sie auf unser Mitwirken verzichten“, sagte der Seewolf kalt, und diese Worte waren Ben, Ed und Dan nun ganz aus dem Herzen gesprochen. Sie fingen an zu grinsen, während das Lächeln von Terry und dessen Begleitern allmählich zerbröckelte.
Ehe Cliveden jedoch etwas erwidern konnte, sagte Terry: „Spaß beiseite, Mister Killigrew, wir sollten unsere kleine Meinungsverschiedenheit vergessen. Nach dem Vorfall vor der ‚Bloody Mary‘ sind wir quitt, nicht wahr?“
„Sie haben eine sehr grobe Handschrift, Mister Terry.“
„Und meine Leute klagen jetzt noch über Schmerzen.“
„Sehr bedauerlich, Mister Terry, aber leider nicht zu ändern. Das nächste Mal geben Sie sich lieber gleich als das zu erkennen, was Sie sind – als Pirat.“
Terry schien aufbrausen zu wollen, doch er fing sich sofort wieder. „Das muß ich berichtigen. Wir sind Korsaren. Wir haben auch einen Kaperbrief, der von der Königin ausgestellt worden ist – wie Sie.“
„Gut, das lasse ich gelten.“
„Sie sind nicht – beleidigt?“
„So etwas gibt es bei mir nicht“, erwiderte Hasard, dann streckte er Terry die rechte Hand hin. Terry ergriff und drückte sie, sie nickten sich zu, der Streit war somit endgültig beigelegt.
Dennoch wahrte Hasard die Distanz, denn irgend etwas an Terry gefiel ihm nicht. Mit diesem zynischen, eiskalten Mann zusammen sollte er einen Auftrag für die Königin ausführen? Kaum zu glauben.
Hasard machte die Terry-Crew mit seinen drei Kameraden bekannt, dann nannte auch Terry die Namen seiner sieben Begleiter, die natürlich nur einen Teil der kompletten Schiffsbesatzung darstellten.
Jerry Reeves schien der jüngste Mann von allen zu sein, trotzdem versah er die Aufgabe des Bootsmannes. Er war schlank und sehnig, hochgewachsen und offenbar in seinem Wesen forsch und entschlossen. Wie Hasard hatte er dunkle Haare und hellblaue Augen. Er war schnell und wendig, das sollten die Seewölfe später noch erfahren, seine Energie ließ nie nach, und an Bord eines Schiffes zeichnete er sich als hervorragender Kanonenschütze aus. Sein Alter schätzte Hasard auf unter dreißig Jahre.
Ray Hoback war der Rudergänger, ein ziemlich beleibter Mann mit rosiger Gesichtsfarbe, der einen Vollbart hatte und im linken Ohr einen Ring trug.
Die fünf anderen waren: George Baxter, Terrys Profos, ein wuchtig gebauter Mensch, nahezu kahlköpfig, mit harten blauen Augen. Er hatte ein kaltes und unnachgiebiges Wesen, wie sich noch herausstellen sollte. Er war um einiges älter als Reeves, und stellte mit diesem zusammen den wichtigsten Mann nach Terry dar. Stoker, der Decksälteste – ein affenähnlicher Mann von gedrungener Gestalt mit langen Armen und großen Händen, einer flachen Stirn und groben Wangenknochen. Mulligan – er war der Schiffszimmermann, praktisch also Ferris Tuckers Kollege. Groß, grob und ungeschlacht, mit strohblonden Haaren und einem dichten Bartgestrüpp, so stand er vor den Seewölfen. Er war, auch das sollte sich noch zeigen, eigentlich der gutmütigste von allen Männern der Terry-Crew.
Schließlich waren da noch Halibut und Bingham. Halibut fiel durch seine platte Nase, den stumpfsinnigen Gesichtsausdruck und den strichdünnen Mund auf, er schien hinterhältig und sehr gefährlich zu sein.
Bingham war der unscheinbarste Mann von allen, sein Name geriet bei den Seewölfen gleich wieder in Vergessenheit.
Hasard richtete seine nächste Frage an Lord Gerald Cliveden. „Sollen wir etwa alle zusammen an Bord der ‚Hornet‘ gehen? Das dürfte ein bißchen eng werden, schätze ich. Die ‚Hornet‘ ist ein stattliches Schiff, aber größer als dreihundert Tonnen ist sie bestimmt nicht.“
„Richtig, Mister Killigrew“, erwiderte der Sonderbeauftragte der Königin. „Aber keine Sorge, es wird ein zweites Schiff geben, und zwar die ‚Fidelity‘. Sie läuft morgen direkt aus Brighton kommend in den Hafen von Plymouth ein. Diese Galeone, die sich in ihrer Größe nur geringfügig von der ‚Hornet‘ unterscheidet, ist für Mister Terry und dessen Mannschaft bestimmt, während Sie mit der ‚Hornet‘ das Kommando übernehmen.“
„So“, sagte Reeves. „Dann wäre die Rollenverteilung also geklärt.“
„Und wir werden uns nicht gegenseitig auf die Füße treten“, bemerkte Easton Terry mit einem raschen Blick zu Hasard. „Jeder hat sein Schiff, es dürfte keine Probleme geben.“
Die werden doch auftreten, dachte der Seewolf, aber er behielt dies lieber für sich. Ehe er weitere Bedenken äußerte, wollte er erst einmal hören, um welche Art von Auftrag es sich handelte.
Ähnlich dachten Ben, Dan und der Profos, die mit gemischten Gefühlen dem lauschten, was Lord Gerald ihnen jetzt vortrug.
„Hören Sie alle gut zu“, sagte Cliveden, nachdem er auch Terry und dessen Männer mit Wein bewirtet hatte. „Ich erkläre Ihnen jetzt alles. Mister Terry, Sie haben sich zwar vor Mister Killigrew mit mir getroffen, doch auch Sie sind über die Art des Unternehmens noch nicht unterrichtet. Was ich jetzt erkläre, ist also für Ihrer aller Ohren bestimmt. Ich bitte Sie, mir genau zuzuhören, denn ich habe nicht vor, mich zu wiederholen. Schon morgen früh verlasse ich Plymouth nach Möglichkeit wieder.“
Und wir bleiben mit dieser Terry-Bande allein zurück, dachte der Profos der „Isabella“ grimmig, Hölle, das gibt noch Verdruß.
Er hütete sich aber, dies laut zu sagen. Im übrigen drückte seine Miene auch genug von dem Mißfallen aus, das er hegte. Immer wieder warf er Terry argwöhnische Blicke zu, die diesem auch nicht entgingen. Ihre beiderseitige Animosität ließ sich nun mal nicht leugnen.
„Ich muß etwas weiter ausholen, um die Hintergründe zu beleuchten“, begann Lord Gerald Cliveden. „Haben Sie deshalb Geduld, Gentlemen. Also: Um Englands alten Feind Spanien war es etwas still geworden, seit die glorreiche Armada geschlagen worden war, und es schien so, als habe Philipp II. endgültig jeden Gedanken an eine Invasion vergessen. Doch der Schein trügt. Immerhin liegt der Untergang der Armada nun schon wieder vier Jahre zurück, wie Sie ja selbst wissen.“
Und ob die Seewölfe das wußten! Hasard und Ben tauschten einen Blick und grinsten. Sie hatten seinerzeit mitsamt der kompletten Crew an Bord der „Isabella VIII.“ an den Gefechten und schließlich auch an der Verfolgung der letzten spanischen Schiffe rund um die Insel herum teilgenommen. Erinnerungen an jene Zeit wurden jetzt wieder wach, und auch Carberry und Dan ging es da nicht anders. Gleichzeitig trauerten sie auch wieder ihrer „Old Lady Isabella“ nach, die sie ja nicht mehr besaßen.
„Der spanische König hat Zeit genug gehabt, sich von diesem Mißerfolg zu erholen, und ist inzwischen nicht untätig gewesen“, fuhr Cliveden fort. „Sie werden mich fragen, welche Beweise wir für diese Tatsache haben. Nun, es gibt sie nicht, aber unsere Vermutungen in dieser Richtung werden sicher bald eine Bestätigung erfahren. Kurzum, die Spanier versuchen wieder einmal, in Frankreich Fuß zu fassen. Der Zeitpunkt ist günstig, denn nach Heinrichs III. Regime zeichnet sich bei unseren Nachbarn eine für uns unerfreuliche Wende ab, und die Spanier unterstützen nach Kräften Heinrich von Bourbon, der höchstwahrscheinlich als Heinrich IV. der nächste König von Frankreich wird. Mit einem botmäßigen Frankreich, so denkt der spanische Herrscher, könnte man vielleicht auch England in einem zweiten Anlauf unterwerfen und zum Vasallen erniedrigen.“
Die Männer begannen erbost zu murmeln. Die Nachricht verlieh ihren patriotischen Gefühlen Aufschwung, plötzlich waren sie bereit, alles zu tun, was England vor einem neuen Angriff schützen würde. Genau dies hatte Cliveden durch seine Worte beabsichtigt, er lächelte.
„Beruhigen Sie sich“, sagte er. „Noch ist es nicht soweit, wir sehen nur die ersten schwarzen Sturmwolken am Horizont. England soll geschwächt werden, die Spanier bereiten das Terrain sorgfältig vor. Neuerdings werden von Frankreich aus Kauffahrer und Kriegsschiffe unserer Nation angegriffen, meist bei Nacht und Nebel. Wir haben schon etliche Verluste hinnehmen müssen. Von wem die Überfälle ausgehen, haben wir trotz eifriger Nachforschungen bislang nicht in Erfahrung bringen können. Offenbar handelt es sich um reine Piratenzüge, aber trotzdem sind wir davon überzeugt, daß der Feind dahintersteckt.“
„So soll also eine neue Invasion eingeleitet werden, bei der sich die Fehler von 1588 nicht wiederholen“, sagte der Seewolf nachdenklich.
Cliveden blickte ihn an. „Sehr treffend haben Sie das ausgedrückt, Mister Killigrew. Während in Cadiz, Malaga und anderen wichtigen spanischen‘ Häfen neue Kriegsschiffe gebaut werden, soll unsere Flotte reduziert werden, wo man sie treffen kann. Das alles geschieht heimlich und unter dem Deckmantel der Piraterie. Die Kundschafter der Königin, die nach Frankreich entsandt wurden, vermuten folgendes: Spanische Spione finanzieren hinter den Kulissen eine Bande französischer Piraten, die sich aller Wahrscheinlichkeit nach irgendwo an der bretonischen Küste niedergelassen hat.“
„Verdammt“, entfuhr es Ben Brighton. „Den Dons ist also wieder mal jedes Mittel recht, um uns Schaden zuzufügen.“
„Ja. Daß dieses hinterhältige Treiben schleunigst unterbunden werden muß, steht natürlich fest. Wir müssen handeln, Gentlemen, und Sie wurden dazu auserwählt, im Namen der Königin entsprechende Nachforschungen anzustellen.“
„Nur Nachforschungen?“ fragte Terry mit seinem unangenehmen Lächeln.
„Nein. Als erstes sollen Sie die Piraten orten und ausschalten. Wie Sie das anstellen, ist Ihre Sache, Sie haben dabei volle Aktionsfreiheit – und natürlich genügend Kanonen und Munition.“
„Die zweite Aufgabe wäre dann wohl, die spanischen Spione zu finden“, meinte Hasard. „Das dürfte der schwierigere Teil sein.“
„Mister Killigrew“, sagte Terry. „Sind Sie sicher, daß wir überhaupt den ersten Teil des Unternehmens bewältigen?“
„Sie vielleicht nicht? Wir zeichnen die Plätze, an denen die Überfälle auf englische Schiffe stattgefunden haben, auf einer Karte ein und legen danach unseren Plan fest.“
„So weit, so gut. Aber was ist, wenn wir die Hunde überhaupt nicht vor die Rohre kriegen?“
„Wir locken sie an“, entgegnete der Seewolf. „Dazu denken wir uns eine List aus. Lassen Sie das ruhig meine Sorge sein – Mister Terry.“
„Aye, Sir“, sagte Terry und grinste.
„Wir sind uns also einig?“ fragte Cliveden. „Ihr einziges Problem, Mister Killigrew und Mister Terry, nämlich der Mangel an geeigneten Schiffen, haben wir bereits bewältigt. Gibt es sonst noch irgendwelche Widrigkeiten?“
Eine ganze Menge, hätte Hasard am liebsten geantwortet, aber er unterließ auch das. Mit Easton Terry mußte er selber fertig werden, daran führte kein Weg vorbei. Cliveden schien den Mann völlig falsch einzuschätzen, oder aber er sagte sich, daß ein kaltschnäuziger Kerl wie dieser gerade der richtige Partner für den Seewolf bei einem solchen Unternehmen war. Was Terrys Kampfeigenschaften betraf, mochte er recht behalten, doch wie es um die Loyalität bestellt war, vermochte im voraus keiner zu sagen. In diesem einen Punkt hatte Hasard schon die haarsträubendsten Überraschungen erlebt.