Читать книгу: «Seewölfe Paket 17», страница 20
„Die Tatsache als solche ist noch zu ertragen“, sagte Hasard grimmig, „aber ich darf nicht daran denken, was sich diese sauberen de Coria-Brüder noch alles geleistet haben. Da war beispielsweise das Lösegeld, das meine Mutter gezahlt hatte, um meinen Vater als Galeerensklaven aus dem Dienst eines gewissen Uluch Ali freizukaufen. Ihre drei ehrenwerten Brüder haben dafür gesorgt, daß das Geld nie den Empfänger erreichte, sondern in die Taschen eines Dunkelmannes in Cadiz wanderte.“
„Diesem angeblichen Gesandten des spanischen Königs haftet der Gestank von Schmutz und Verleumdung an“, sagte Hasso von Manteuffel angewidert, „mein Gott, wenn ich das alles gewußt hätte, ich hätte ihn sofort mit einem Fußtritt vor die Tür befördert.“
„Es hat sich nichts geändert“, sagte Hasard erbittert. „In all den Jahren ist es geblieben, wie es war: Ein de Coria bleibt ein de Coria. Ihre niederträchtigen Geschäfte wollen sie jetzt hier fortsetzen.“ Er erinnerte sich an den Blick durch das Spektiv. Jetzt wurde ihm klar, warum ihm dieser alte hagere Geck auf der spanischen Galeone so bekannt erschienen war. Die Ähnlichkeit mit Salvador de Coria! Hasard wandte sich wieder an seinen Onkel und fragte, was er auf die unverschämte Forderung des höchst ehrenwerten Besuchers geantwortet habe.
„Natürlich habe ich mich nicht entschieden“, erwiderte Hasso von Manteuffel, „ich habe diesem Betrüger nur erklärt, daß die ganze Angelegenheit im Familienrat besprochen werden müsse. Und dazu gehöre nun einmal mein ältester Sohn, der in Kürze zurückerwartet werde. Ich hatte sowieso starke Bedenken. Nur erschien mir die Unterschrift auf der Urkunde echt. Ich habe sie eigens noch mit einer alten Signatur meines Bruders verglichen.“
„Die Unterschrift ist gefälscht“, sagte Hasard mit Bestimmtheit, „daran gibt es nichts zu rütteln. Es ist einfach ungeheuerlich, was sich dieser de Coria hier leistet.“
Die Vorstellung, daß dieser Mann auch sein Onkel war, jagte dem Seewolf einen Schauer über den Rücken. Welch ein Unterschied zwischen Hasso von Manteuffel und diesem spanischen Geck! Eine Welt trennte diese beiden Männer.
„Nun“, sagte Hasso von Manteuffel nach kurzem Nachdenken, „wir müssen uns jetzt darüber klarwerden, wie wir weiter vorgehen wollen.“ Er sah seinen Neffen besorgt an. Wie sehr die Empörung in Hasard brodelte, war leicht zu erkennen. Und auch Arne war nicht minder aufgebracht.
„Schicken wir einen Boten zu den Spaniern“, schlug Hasard kurzerhand vor, „und bitten wir den ehrenwerten Señor de Coria hierher zu einer Unterredung.“
Es gab keinen Einwand.
4.
„Zurück!“ brüllte Mac Pellew. „Willst du wohl abhauen, du Mistvieh!“
Big Old Shane, schon im Begriff, durch die Grätingsluke abzuentern, grinste breit. Plymmie ließ sich nicht abschütteln. In Ermangelung der Zwillinge, die sonst ihre ständigen Begleiter waren, hatte sie sich dem Mann aus der Kombüse angeschlossen, zumal auch Arwenack und Sir John nicht verfügbar waren. Denn der Schimpanse und der karmesinrote Arara-Papagei turnten wieder einmal hoch oben in den Wanten herum.
„Laß sie in Ruhe“, sagte Shane und winkte ab, „ein Hund ist nicht gern allein.“
„Weiß ich doch.“ Mac Pellew zog hilflos die Schultern hoch. Mit Trinkwasserkanne in der einen und Henkeltopf in der anderen Hand war er ohnehin nicht in der Lage, sich die Wolfshündin vom Hals zu halten. „Aber ich entsinne mich, daß es mit dem Knilch da unten schon mal Schwierigkeiten gegeben hat. Ihretwegen.“ Er hob die Kanne und deutete auf den grauen Vierbeiner, der auf einstimmigen Beschluß der Seewölfe zum Bordhund ernannt worden war.
„Hunde sind manchmal wie Menschen“, entgegnete Shane, „an unsympathische Zeitgenossen müssen sie sich erst gewöhnen.“
„Zeit genug hatte sie dazu allerdings.“ Mac Pellew bewegte sich in Richtung Grätingsluke und gab seinen Widerstand endgültig auf, als Plymmie prompt hinter ihm herhechelte.
„Sie wird ihn nicht gleich auffressen.“ Big Old Shane setzte seinen Weg in den Bauch des Schiffes fort. „Wie auch immer, unser Freund Woyda wird langsam zum Klotz am Bein. Wie lange haben wir ihn jetzt an Bord?“
„Mindestens zehn Tage. So lange kochen der Kutscher und ich nun schon zusätzliche Rationen.“
„Stimmt. Das war am Abend des 29. März, als Woyda in Hapsal eins auf den Schädel gekriegt hat.“
In der späteren Auseinandersetzung mit Kriegsschiffen der polnischen Krone hatte Witold Woyda, seines Zeichens Generalkapitän im Dienst des Polenkönigs Sigismund, Hasard und Arne und ihren Männern als Geisel gedient.
Big Old Shane hatte eine Öllaterne angezündet. Nach dem Weg durch die Unterdecksräume öffnete er das Schott zur Vorpiek und hielt die Laterne in den engen Raum.
Witold Woyda sah ganz und gar nicht mehr eindrucksvoll aus. Seine goldbetreßte Uniform war schmutzig und zerknittert, die vornehme Lockenperücke saß nicht mehr richtig, denn das ehedem kurzgeschorene Haar des Generalkapitäns war bereits zu sehr nachgewachsen. Sein Gesicht war eingefallen und bleich, die Augen waren flackernd auf den bärtigen Hünen gerichtet.
„Kein Grund zur Panik“, sagte Big Old Shane beruhigend, obwohl Woyda ihn nicht verstehen konnte. „Zeit zum Essenfassen, sonst nichts.“
Der Pole reagierte nicht. Er schien nicht einmal wahrgenommen zu haben, daß der hünenhafte Schmied von Arwenack etwas gesagt hatte. Big Old Shane zuckte mit den Schultern und wich zur Seite, um Mac Pellew hereinzulassen.
Woydas unruhiger Blick wanderte an dem Mann aus der Kombüse vorbei, als dieser die Kanne und den Topf vor ihm auf die Planken stellte. Jäh zuckte der Generalkapitän zusammen, seine Gesichtsmuskeln bewegten sich krampfartig. Abwehrend hob er die Hände. Die Fesseln hatte der Seewolf ihm abnehmen lassen, da er längst nicht mehr in der Lage war, Widerstand zu leisten.
„Fang nicht an, verrückt zu spielen, du Stint“, sagte Mac Pellew knurrend, „ich sorge dafür, daß du was zwischen die Kiemen kriegst, und du tust so, als ob ich dir Böses will!“
Woyda stieß einen schrillen Angstschrei aus.
Erst jetzt begriff Mac Pellew. Er mußte grinsen, als er sich umdrehte und Plymmie zwischen den Beinen Big Old Shanes stehen sah. Die Wolfshündin fletschte das Gebiß, nichts weiter. Und es schien ihr mächtig zu gefallen, daß sie allein dadurch einen ausgewachsenen Mann zum Zittern bringen konnte.
Der Schrei des Generalkapitäns wollte nicht enden.
Mac Pellew machte kurzen Prozeß. Er packte ihn am Kragen und versetzte ihm eine Ohrfeige, daß es klatschte. Es wurde still.
„Hier!“ brüllte Mac. Er stieß den Schlotternden von sich und deutete auf die Kanne und den Topf. „Essen! Kapiert? Von Heulen hat keiner was gesagt. Das kannst du Plymmie überlassen, die kann’s nämlich besser.“
Woyda schluckte, holte tief Luft, und dann antwortete er mit einem Wortschwall, der ebensowenig abreißen wollte wie sein Geschrei. Mac Pellew und Big Old Shane wechselten einen Blick. Das einzige Wort, das sie verstanden, war „Stenmark“. Und der Pole dachte nicht daran, seine Litanei zu beenden.
„Sieht so aus, als ob er uns einen Vortrag halten will.“ Big Old Shane blies die Luft durch die Nase. „Holen wir also unseren Dolmetscher.“
„Das bleibt natürlich an mir hängen“, sagte Mac Pellew ärgerlich.
„Erraten.“ Shane grinste. „Für die Bewachung des Gefangenen bin ich zuständig. Also los, tu unserem hochwohlgeborenen Generalkapitän den Gefallen.“
Mac Pellew begab sich seufzend auf den Weg. Während der Wartezeit forderte Shane den Polen mehrmals mit Gesten auf, sich um sein leibliches Wohl zu kümmern. Doch Woyda rührte keinen Bissen an.
„Will der Bastard etwa in den Hungerstreik treten?“ sagte Shane, als Mac Pellew mit Stenmark, dem blonden Schweden, zurückkehrte.
„Das werden wir gleich haben.“ Stenmark wandte sich in seiner Muttersprache an den Generalkapitän. Woyda war es bereits gewohnt, sich an Bord der „Isabella“ auf Schwedisch zu verständigen – seit dem Verhör durch den Seewolf, das Stenmark übersetzt hatte.
Wieder ergoß sich ein Wortschwall aus der engen Vorpiek.
Stenmark drehte sich schließlich, und er mußte an sich halten, um nicht in Gelächter auszubrechen.
„Er bittet mich in aller Form, Kapitän Killigrew seinen Protest zu übermitteln.“
„Protest?“ Big Old Shane rieb sich das Kinn. „Gegen was?“
„Gegen die schlechte Behandlung. Er fühlt sich als Kriegsgefangener und möchte als solcher behandelt werden. Er sagt, er brauche sich nicht gefallen zu lassen, ständig von einem reißenden Wolf bedroht zu werden.“
Die Männer starrten sich sekundenlang stumm an. Dann prusteten sie los. Mac Pellew kniete nieder und kraulte der Hündin das Fell.
„Hast du das gehört, Lady? Du bist soeben zum reißenden Wolf befördert worden.“
Plymmie hatte längst aufgehört, die Zähne zu fletschen. Statt dessen schloß sie die Augen und genoß es, gestreichelt zu werden.
Big Old Shane hatte sich von seinem Heiterkeitsausbruch erholt.
„Sag ihm, wir werden künftig auf seine zarten Nerven Rücksicht nehmen und den bösen Wolf an die Leine legen, solange der Mister Generalkapitän seine kärglichen Mahlzeiten einnimmt.“
Stenmark übersetzte wortgetreu.
Witold Woyda verstand den Spott sehr gut. Beleidigt riß er den Topf an sich und begann, Bohnen und Speck in sich hineinzustopfen. Die Männer würdigte er keines Blickes mehr.
Rodriguez de Coria legte die Hände auf den Rücken und durchmaß den Kapitänssalon mit kurzen, gestelzten Schritten. Die blütenweißen Rüschen seines Hemdes wippten auf und ab und bildeten einen grellen Kontrast zum öligen Schwarz seiner Lockenperücke.
„Wollen Sie sich nicht setzen, Don Rodriguez?“ fragte Kapitän de Frias. Er verharrte unschlüssig vor dem Tisch, auf dem eine Weinkaraffe und funkelnde Kristallgläser wie immer bereitstanden.
De Coria drehte sich um und wedelte fahrig mit der rechten Hand.
„Nein, nein, schon gut.“ In der Furchenlandschaft seines hageren Gesichts zuckte es. „Ich verzichte. Aber tun Sie sich keinen Zwang an.“
Der Kapitän der „Santissima Madre“ zog irritiert die Augenbrauen hoch. Er war um etliches jünger als de Coria, doch ebenso gepflegt und gepudert.
„Fühlen Sie sich nicht wohl, Don Rodriguez? Sie sind doch sonst nicht abgeneigt.“
„Was nehmen Sie sich heraus!“ De Corias Gesicht rötete sich in aufbrausender Wut. „Unterlassen Sie solche Andeutungen, de Frias. Wenn wir gelegentlich zusammen trinken, bedeutet das noch lange nicht, daß ich Ihnen solche primitiven Vertraulichkeiten gestatte. Ich bin keineswegs auf Sie angewiesen.“
Wenn du dich da nur nicht täuschst, alter Halunke, dachte de Frias, doch er hütete sich, seine Gedanken auszusprechen. Ohne mich wärst du hier in fremden Gewässern ziemlich hilflos. Aber das ist noch das Nebensächlichste. Wenn ich wollte, könnte ich dich auffliegen lassen, und du wärst für alle Zeiten erledigt. Madre mia, was bist du doch für ein alter Narr, de Coria! Der Heimweg nach Spanien ist noch verdammt lang. Ich denke, ich werde dich erst dein sauberes Geschäft abschließen lassen. Dann habe ich immer noch Zeit genug, den Gewinn einzustreichen. Ärgere mich nur weiter, de Coria, und deine Chancen, Spanien lebend wiederzusehen, werden immer geringer!
Laut sagte de Frias: „Verzeihen Sie vielmals, Don Rodriguez. Es war nicht meine Absicht, Sie zu beleidigen. Wenn Sie erlauben, werde ich einen aufmunternden Schluck zu mir nehmen.“
„Bitte“, sagte de Coria steif. Er wandte sich abrupt ab, blieb vor dem Fenster an Backbord stehen und starrte durch die Bleiglasscheiben, als könne er auf diese Weise die Lösung eines Rätsels finden, das nur ihm selbst bekannt war.
Kapitän de Frias setzte sich und ließ den Wein in eins der Gläser perlen. Nach dem ersten Schluck gab er einen wohligen Laut von sich und lehnte sich zurück.
„Ein elendes Wetter ist das, nicht wahr, Don Rodriguez? Ehrlich gesagt, an solchen Tagen kriegt selbst ein alter Seefahrer wie ich eine Ahnung davon, was Heimweh ist. Was für ein gottverlassenes Land dies doch ist! Die Menschen hier müssen mit Schwimmhäuten zwischen den Zehen und den Fingern geboren werden.“
Rodriguez de Coria antwortete nicht sofort. Immer noch starrte er hinaus. Der andauernde Regen war wie ein trübgrauer Vorhang, der sich über den Mastenwald der Schiffe im Hafen von Kolberg gelegt hatte. Selbst die Frachtsegler in unmittelbarer Nähe der spanischen Galeone waren nur schemenhaft zu erkennen. Schließlich wandte de Coria sich um.
„Sie reden zuviel, de Frias, besonders heute. Ich überlege, ob ich mich nicht in meinen eigenen Salon zurückziehe.“
„Oh, ich bitte abermals um Vergebung, Don Rodriguez.“ De Frias erhob sich halb, deutete eine Verbeugung an und setzte sich wieder. Er bemühte sich, seinen Spott nicht herausklingen zu lassen. „Aber, mit Verlaub gesagt, was schadet es Ihnen, solange ich belangloses Zeug rede?“
De Corias Augen verengten sich.
„Was wollen Sie damit andeuten?“
„Nichts, absolut nichts.“
„Halten Sie mich nicht zum Narren.“ Die Stimme de Corias war wie ein Zischen. „Sie glauben, Sie haben mich in der Hand, weil ich Sie in meine Pläne eingeweiht habe.“
„Ich habe das als eine Ehre aufgefaßt, Don Rodriguez. Im übrigen denke ich, daß Sie mich einweihen mußten. Denn ohne meine Hilfe stehen Sie hier in der Ostsee auf verlorenem Posten.“
„Allerdings“, entgegnete de Coria verächtlich, „erwähnen Sie es nur oft genug, damit ich es nicht vergesse.“
Kapitän de Frias hob sein Glas und nahm einen langen Schluck.
„Don Rodriguez“, sagte er besänftigend, „warum hören wir nicht auf, uns gegenseitig anzustacheln? Ich denke, Sie sind ein wenig nervös. Liegt das am Wetter?“
Einen Moment schien es, als wollte de Coria erneut aufbrausen. Doch er besann sich, zog die Schultern hoch und ließ sie wieder sinken. Dann gab er sich einen Ruck und setzte sich zu de Frias an den Tisch.
„Geben Sie mir ein Glas. Sie haben recht. Ich fange an, mich selbst verrückt zu machen.“
De Frias nickte, lächelte und schenkte ein.
„So gefallen Sie mir schon besser. Ehrlich gesagt, ich fing an, mich zu wundern. Denn ich hatte nie einen angenehmeren Trinkgenossen als Sie.“
„Dabei soll es auch bleiben.“ De Coria hob sein Glas. Nachdem sie sich zugeprostet hatten, fuhr er fort: „Irgend etwas ist mir auf den Magen geschlagen. Bestimmt nicht das Wetter. Vielleicht hängt es mit dieser englischen Galeone zusammen.“
„Dem muß ich zustimmen. Der Anblick eines Engländers kann einem die beste Laune verderben. Aber mit unserer Angelegenheit sollte das doch nichts zu tun haben, oder?“
„Nein, überhaupt nicht. Nur – wenn ich richtig gesehen habe, haben der Engländer und die andere Galeone am Liegeplatz der von Manteuffels vertäut. Es scheint so, als unterhalte das Handelshaus von Manteuffel Beziehungen zur englischen Krone. Ein Umstand, der zumindest Unwohlsein hervorruft.“
„Zugegeben. Aber ich beharre darauf, daß dies Ihr Vorhaben in keiner Weise beeinträchtigen wird, Don Rodriguez. Der alte von Manteuffel hat keine Möglichkeit, die Wahrheit herauszufinden. Spanien ist weit. Und in England gibt es niemanden, der uns gefährlich werden könnte.“
Rodriguez de Coria sah sein Gegenüber stumm und sinnierend an. Er war noch nicht imstande, jenes Unbehagen in Worte zu kleiden, das ihn befallen hatte.
Aber, verdammt, es ließ sich nicht wegwischen.
5.
Es goß noch immer in Strömen, als Schritte im Korridor des Handelshauses von Manteuffel den erwarteten Besuch ankündigten. Der Bedienstete, der als Bote zur „Santissima Madre“ geschickt worden war, klopfte und öffnete die Tür. Der Geruch regenfeuchter Kleidung wehte herein.
„Herr de Coria und sein Dolmetscher.“
„Ich bitte die Herren herein.“ Hasso von Manteuffel erhob sich, und ihm war anzusehen, wie schwer es ihm fiel, die Formen zu wahren.
Den Seewolf durchzuckte ein Stich, als er den Mann sah, mit dem er auf widersinnige Weise verwandt war. Rodriguez de Coria begrüßte Hasso von Manteuffel mit schleimiger Höflichkeit. Der Spanier sah aus der Nähe noch verlebter und aufgeputzter aus, als es der Blick durch das Spektiv ermöglicht hatte. Er war ein alter Mann, gewiß. Doch die dunklen Ränder unter seinen Augen und die kalkige Farbe seines Furchengesichts rührten nicht allein vom Alter her.
Hasso von Manteuffel stellte Arne als seinen ältesten Sohn und Hasard als einen entfernten Verwandten vor, der mit seinen Zwillingssöhnen und einem Decksmann eingetroffen sei, um Familiäres zu besprechen. Hasard hatte das Gefühl, sich schütteln zu müssen, als er de Coria gezwungenermaßen die Hand reichte. Der Dolmetscher war ein dicklicher Zwerg namens Esteban Romero.
„Nun?“ fragte de Coria, nachdem sie sich gesetzt hatten. Er blickte den Hausherrn an und faltete die mageren Finger. „Ist der Familienrat bereits zu einem Ergebnis gelangt?“ Romero übersetzte es ins Deutsche, mit einem harten, rollenden Akzent.
Hasard dachte nicht daran, sich auch nur eine Sekunde zurückzuhalten.
„Darf ich dieses famose Schriftstück sehen, Señor de Coria?“
Der Spanier riß die Augen auf.
„Oh! Sie sprechen meine Sprache besser als mancher Landsmann. Woher stammen Ihre hervorragenden Kenntnisse, Señor von Manteuffel?“
Der Seewolf lächelte kalt.
„Deutsche Kaufleute haben sich schon immer durch ihr besonderes sprachliches Talent ausgezeichnet.“
„Nun, da haben Sie zweifellos recht.“
„Ich erinnere an das Schriftstück.“
Rodriguez de Coria verzog das Gesicht in einem Anflug von Ärger. Dieser Spanisch sprechende von Manteuffel wollte ihm ganz und gar nicht gefallen, einer von der hartnäckigen Sorte. De Coria witterte Verdruß, und dieser Verdruß würde von diesem Mann ausgehen, der dem ältesten Sohn des Firmeninhabers wie ein Bruder ähnlich war.
„Aber bitte, natürlich.“ De Coria ließ sich von seinem Dolmetscher eine lederne Mappe geben und zog das Papier heraus.
Hasard nahm es mit einer scheinbar dankenden Geste entgegen. Er warf nur einen flüchtigen Blick auf die Schrift.
„Sehen Sie her“, sagte er kühl und hob das Dokument mit spitzen Fingern empor.
Rodriguez de Coria blinzelte irritiert.
Im nächsten Moment zuckte er zusammen.
Das Geräusch reißenden Papiers drang überlaut in die Stille des Raumes. Hasard zerfetzte das sogenannte Schriftstück seelenruhig in kleine Stücke und ließ sie zu Boden regnen.
De Coria sperrte den Mund auf und bewegte die dünnen Lippen. Doch in seiner Fassungslosigkeit brachte er keinen Ton heraus.
Die Stimme des Seewolfs war wie klirrender Frost.
„Dieses Schriftstück ist eine Fälschung. Oder können Sie mir erklären, de Coria, wie ein Toter noch eine Unterschrift leisten kann?“
Der Spanier schnappte heftiger nach Luft. Im nächsten Moment sprang er auf.
„Was nehmen Sie sich heraus!“ brüllte er, wobei sich sein Gesicht krebsrot färbte. „Sie wagen es, einem Gesandten des spanischen Königs in einem solchen unverschämten Ton zu begegnen?“ Sein hagerer Kopf ruckte herum. Anklagend sah er Hasso von Manteuffel an. „Ich muß Sie dringend ersuchen, Ihren Verwandten zu maßregeln. Ich denke nicht daran, das Gespräch auf dieser Basis fortzusetzen.“
Esteban Romero fand keine Zeit mehr, zu übersetzen. Denn der Seewolf stieß den sehr ehrenwerten Señor de Coria kurzerhand in seinen Sessel zurück.
„Sie werden jetzt zuhören“, sagte Hasard kalt, „meine Verwandten sind über alle Zusammenhänge informiert. Eine Übersetzung können wir uns daher schenken. Punkt eins: Godefroy von Manteuffel, der Ihre Urkunde unterschrieben haben soll, ist am vierten Oktober des Jahres 1580 durch Mörderhand aus dem Leben geschieden. Punkt zwei: Der Mörder hat seine Untat allerdings auch nicht überlebt. Genau vier Sekunden nach dem Mord ist er mit einer Axt geköpft worden. Der Name dieses Schurken lautete Salvador de Coria.“
Hasard hielt inne, und der Nachhall seiner Worte klang wie Hammerschläge.
Rodriguez de Coria war schneeweiß geworden. Sein Atem ging jetzt stoßweise, und fast schien es, als würde er ohnmächtig werden und aus dem Sessel kippen. Doch diesmal hatte er sich erstaunlich schnell wieder in der Gewalt.
„Das ist erlogen“, keuchte er wutentbrannt, „woher wollen Sie diese Information haben, Señor von Manteuffel?“
Der Seewolf konterte unbarmherzig und mit beißender Schärfe.
„Dazu brauche ich keine Information, werter Señor de Coria. Ich bin nämlich selbst dabeigewesen. In Spanien kennt man mich unter dem Namen Philip Hasard Killigrew, man nennt mich auch den Seewolf. Zufällig bin ich auch der Sohn Godefroy von Manteuffels. Ich war kaum ein Jahr alt, als ich von den sauberen drei Brüdern de Coria der Mutter geraubt wurde.“
„Das ist nicht wahr!“ De Coria röchelte, griff sich an den Hals.
Hasards Stimme peitschte gnadenlos weiter. Hasso von Manteuffel und die anderen hielten den Atem an.
„Einem Betrüger und Verbrecher tut die Wahrheit immer weh. Das wundert mich überhaupt nicht. Aber die Geschichte geht noch weiter, de Coria. Und wenn es sein muß, werde ich den Rest der Wahrheit in Sie hineinprügeln. Erinnern Sie sich an die deutsche Hansekogge ‚Wappen von Wismar‘! Auf dieses Schiff wurde ich damals in Cadiz im Säuglingsalter gebracht. Das unerwünschte Balg sollte nach Deutschland abgeschoben werden, nicht wahr? Der Mittelsmann dieser niederträchtigen Tat war ein gewisser Handelsherr namens Romeronde Zumarraga in Cadiz. Derselbe Halunke übrigens, der auch das Lösegeld für Godefroy von Manteuffel auf Betreiben der drei sauberen Brüder de Coria in die eigene Tasche gesteckt hat, statt es Uluch Ali zu überbringen.“
Rodriguez de Coria verdrehte die Augen. Er war jetzt offensichtlich einer Ohnmacht nahe. Hasard packte ihn kurzentschlossen am Rüschenkragen, schüttelte ihn in die Wirklichkeit zurück und ließ ihn wieder in den Sessel fallen.
„Das war eine gemeine Unterschlagung“, fuhr Hasard mit unverhohlenem Zorn fort, „wegen der Godefroy von Manteuffel mehr als zwanzig Jahre als Galeerensklave Uluch Alis erleiden mußte. Zwanzig Jahre! Ist Ihnen überhaupt klar, was das bedeutet? Und dann, als ich meinen Vater befreit habe, wird er hinterrücks von Ihrem Bruder niedergestochen.“ Hasard schüttelte voller Abscheu den Kopf und preßte sekundenlang die Lippen aufeinander. Grenzenlose Verachtung lag in seiner Stimme, als er fortfuhr: „Diese Verbrechen, die Sie und Ihre Brüder sich geleistet haben, waren schon abscheulich genug – von der Anmaßung her, sich als Moralapostel über Ihre Schwester aufzuspielen, über Kindesraub und Unterschlagung bis hin zum Mord. Aber das Bubenstück, zu dem Sie sich jetzt erdreisten, ist der Gipfel. Zehntausend Goldtaler wollen Sie erschwindeln, indem Sie eine Urkunde fälschen und einen aufrechten, anständigen, ehrlichen Mann, der seit mehr als zwölf Jahren tot ist, als Spieler und Schuldenmacher diffamieren. Das ist noch infamer und hinterhältiger als Ihre bisherigen Schandtaten. Für mich sind Sie nichts weiter als ein elender, dreckiger Leichenfledderer!“ Hasard hatte sich in Rage geredet. Ihm kribbelte es in den Fingern, den Spanier zu packen und ihm auf der Stelle eine Lektion zu erteilen, die er so schnell nicht vergaß.
Doch dies erledigte sich gewissermaßen von selbst.
Hasards zornige Anklage wirkte im wahrsten Sinne des Wortes niederschmetternd auf Rodriguez de Coria.
Der noble Gesandte des spanischen Königs war aschgrau im Gesicht, das krampfartig zuckte. Mit einem vernehmlichen Röcheln kippte er zur Seite aus dem Sessel.
Der Dolmetscher sprang auf und wollte ihm zu Hilfe eilen.
„Finger weg!“ fuhr ihn der Seewolf an.
Mit zwei Schritten war er bei dem Ohnmächtigen, packte ihn, hob ihn mühelos auf und schleifte ihn auf den Korridor hinaus.
Esteban Romero folgte ihm zeternd.
„Señor, ich ersuche Sie dringendst – nicht diese Behandlung! Sie haben es mit einem Gesandten des spanischen Königshauses zu …“
Er verschluckte sich an seinen eigenen Worten, als der Seewolf, schon an der Haustür, ruckartig herumfuhr. In den eisblauen Augen des hochgewachsenen schwarzhaarigen Engländers glomm ein gefährliches Feuer.
„Schweigen Sie, Mann! Nehmen Sie Ihre Sachen, und verschwinden Sie!“
Romero beeilte sich, der Anordnung Folge zu leisten. Erschauernd sah er, wie der Seewolf die Tür aufstieß und den Ohnmächtigen in die Gosse hinauswarf.
Romero zuckte zusammen, als ihn der nächste Befehl Hasards wie ein Peitschenhieb traf.
„Räumen Sie dieses Stück Dreck weg, bevor ganz Kolberg zu stinken anfängt!“
Esteban Romero zitterte vor Aufregung und Empörung. In fieberhafter Eile versuchte er, der für ihn entwürdigenden Situation Herr zu werden. Daß es ihm nicht gelang, lag in erster Linie an dem noch immer in Strömen herabrauschenden Regen.
Wie zum Hohn fiel die schwere Eichentür des Handelshauses von Manteuffel vor ihm ins Schloß. Romero fühlte sich mutterseelenallein und so verlassen wie nie zuvor in seinem Leben, allein mit dem von ihm verehrten Gesandten, den dieser englische Teufel nach seiner Meinung auf demütigende Art und Weise in die Ohnmacht getrieben hatte.
Romero verhedderte sich in seinem eigenen Umhang und dem goldbestickten Mantel de Corias. Verzweifelt versuchte er, den Ohnmächtigen mit dessen Mantel zu bedecken, um ihn wenigstens einigermaßen vor der Nässe zu schützen. Doch je mehr er sich bemühte, desto mehr verfing er sich in dem schweren Tuch. Schon spürte er, wie ihm der Regen bis auf die Haut drang. Die schweren Tropfen, die auf das Steinpflaster klatschten, riefen kleine Fontänen hervor. Keine Menschenseele war ringsherum zu sehen, und dennoch hatte Romero das bohrende Gefühl, aus allen Fenstern von höhnischen Blicken beobachtet zu werden.
Er wollte de Coria unter den Armen fassen und geriet mit den Füßen auf den eigenen Mantelsaum. Mit einem spitzen Schrei stürzte Romero über den Bewußtlosen und landete mit dem ganzen Gewicht seines kurzen, rundlichen Körpers in einer knöcheltiefen Pfütze.
Heulend vor Wut rappelte er sich wieder auf. Kurzerhand schleuderte er de Corias Mantel beiseite, und jetzt gelang es ihm endlich, den Reglosen unter den Achseln zu packen. Romero war kein sehr kräftiger Mann. So blieb ihm nichts anderes übrig, als seinen hilflosen Herrn am Kai entlangzuschleifen. Daß die kostbaren Schnallenschuhe des hochwohlgeborenen Gesandten dabei arg in Mitleidenschaft gezogen wurden, war noch das kleinste Übel. Viel schlimmer war, daß der Mantel zurückbleiben mußte. Oh, wenn diese von Manteuffels einen Funken Anstand im Leib hatten, dann würden sie das teure Kleidungsstück schleunigst zurückgeben.
Esteban Romero schwitzte unter dem Regen, und das lag nicht nur an der Anstrengung. Seine Empörung steigerte sich mit jedem Schritt, den er rückwärts keuchend zurücklegte. Er fand sich damit ab, daß er vor Nässe triefte. Er fand sich damit ab, daß er nicht der Mann war, der Señor de Coria hätte schützen können. Aber er würde sich niemals damit abfinden, daß ein spanischer Edelmann so gedemütigt worden war.
Er erreichte die Pier, an der die „Santissima Madre“ vertäut lag. Nur noch hundert Yards waren jetzt zurückzulegen. Hundert Yards durch die rauschenden Schleusen des Himmels. Romero hatte das Gefühl, daß die Schmach noch eine Ewigkeit andauern würde.
Er passierte einen offenen Schuppen an der Landseite der Pier. Schauerleute hatten unter dem Bretterdach Zuflucht gesucht.
„Nun seht euch das an!“ grölte eine rauhe deutsche Stimme. „Früh am Tag – und schon stinkbesoffen!“
„Tja, die feinen Leute können sich das leisten!“ rief ein anderer.
„Keiner von den unseren“, fügte ein dritter dröhnend hinzu, „das ist einer der feinen Pinkel von dem spanischen Schnörkelkahn!“
„Ah, kein Wunder“, ließ sich wieder der erste vernehmen, „die Offiziere auf diesen Feudalschiffen sollen ja nichts Besseres zu tun haben, als von morgens bis abends ihren stinkigen Rotwein in sich hineinzukippen.“
Esteban Romero wünschte sich ein Loch im Erdboden, in das er am liebsten versunken wäre. Daß er den Kerls in ihrer eigenen Sprache mit einer passenden Bemerkung hätte antworten können, fiel ihm nicht einmal ein.
Dann, nach endlosen Minuten, hörte er vertraute spanische Stimmen, aufgeregte Stimmen. Und eilige Schritte näherten sich. Als die Decksleute ihm die schwere Last abnahmen, empfand er keine Erleichterung – eher den Drang, nun seinerseits in Ohnmacht zu fallen.
Wie er an Bord gelangte und mit trockenen Sachen versorgt wurde, wußte er später nicht mehr. Als Kapitän de Frias ihn dann in seinen Salon zitierte, spürte Romero, daß sein Kopf glühte, und er wünschte sich abermals jenes Loch im Erdboden.
Rodriguez de Coria, mit bleichem und eingefallenem Gesicht, lag auf der Koje und hielt sich ein Fläschchen Riechsalz unter die Nase.
„Niemand wirft Ihnen etwas vor, Romero“, sagte de Frias, „ich habe von Señor de Coria bereits erfahren, was sich im Hause von Manteuffel abgespielt hat. Es handelt sich lediglich darum, daß wir Sie als Zeugen brauchen. Denn wir werden diesen unerhörten Vorfall keineswegs auf sich beruhen lassen.“
Unendliche Erleichterung befiel den Dolmetscher. Und wieder war es die Empörung, die ihn zittern ließ, als er in allen Einzelheiten über das unerhörte Geschehen berichtete.
Kapitän de Frias entließ ihn mit einer gnädigen Geste. Er wandte sich an de Coria, der unter einem Deckenstapel ruhte.
„Ein Branntwein könnte Ihnen jetzt nicht schaden, Don Rodriguez.“
„Her damit“, entgegnete de Coria, und er konnte nicht verhindern, daß seine Zähne klapperten.
De Frias schenkte ein und brachte ihm das Glas.
„Eins ist ja wohl klar“, sagte er grinsend. „Ihre Felle schwimmen davon, Don Rodriguez. Wenn Sie jetzt noch etwas beschicken wollen, gibt es nur eins.“
„Und das wäre?“ De Coria stellte das Riechsalzfläschchen beiseite und leerte das Branntweinglas in einem Zug.
„Die Flucht nach vorn. Was denn sonst? Am besten verteidigt man sich, indem man angreift.“