Читать книгу: «Seewölfe Paket 19», страница 22

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Diego hieb dem großen Mann auf die Schulter. „Hier, setz dich hin! Sieh dir diese feinen Kerle an – sie sind meine Freunde. Sie heißen Arne von Manteuffel, Oliver O’Brien, Carlos Rivero und Willem Tomdijk. He, das ist ‚El Tiburon‘, der Hai, ein Kerl wie Samt und Seide, der weder Tod noch Teufel fürchtet.“

El Tiburon setzte sich und grinste schwach. „Diego übertreibt mal wieder maßlos. Aber es freut mich, euch persönlich kennenzulernen, ich habe eure Namen nämlich schon gehört.“

„Wo?“ fragte Arne überrascht. „Wir haben dich noch nie gesehen.“

„Hier auf Tortuga. Ich bin seit acht Tagen hier, war auf der Jagd und habe von der Schlacht, die sich abgespielt hat, einiges mitgekriegt. Großartig, wie ihr die Black Queen in die Flucht geschlagen habt. Ich stehe auf eurer Seite. Von der Queen will hier so gut wie keiner was wissen, sie ist eine Gefahr für alle.“

Diego schenkte Wein nach und schob auch El Tiburon einen vollen Becher zu. Aufmerksam musterten Arne und seine drei Gefährten den großen Mann. Er war schlank, sehnig, schien voll unterschwelliger Kraft zu stecken und wirkte mit seinem dunklen Haar und dem mahagonifarbenen Teint wie der Inbegriff eines Spaniers.

„El Tiburon“, sagte Arne. „Ist das dein richtiger Name?“

„Nein, natürlich nicht. Ich heiße Joaquin Solimonte.“ Der Mann nahm einen Schluck von dem Wein und gab durch seine Miene zu verstehen, daß er ihm schmeckte. „Früher war ich einmal Decksmann auf einer spanischen Handelsgaleone – bis ich in Havanna einfach von Bord ging und mich nie wieder blicken ließ. Ich schlug mich bis nach Hispaniola durch, dort habe ich ein neues Leben als Siedler angefangen. Ich wohne in einem einsamen Landstrich der Insel und begegne fast nie einem Menschen. Manchmal habe ich das Bedürfnis, mit anderen zu sprechen und Erfahrungen auszutauschen. Dann setze ich für ein, zwei Wochen nach Tortuga über.“

„Du kennst dich also auf Hispaniola aus“, sagte Willem. „Könnte man dort eine Brauerei bauen? Wie stehen die Chancen?“

„Eine Brauerei? Es gibt doch Wein genug“, entgegnete Solimonte verdutzt.

Willem grinste ihn an. „Du hast eben mein Bier noch nicht probiert. So etwas gibt es in der ganzen Karibik nicht – echten holländischen Gerstensaft. Ich schwöre dir, damit werde ich auf Hispaniola Bombengeschäfte tätigen. In El Triunfo habe ich eine Brauerei gehabt, verstehst du?“

„Ja“, erwiderte der Spanier einigermaßen verwirrt. Er wußte nicht, was er mit diesem Hinweis anfangen sollte.

Diego beugte sich über den Tisch und legte ihm die Hand auf den Unterarm. „Laß Willem reden, wundere dich nicht über ihn. Jedem, den er trifft, geht er mit seinem Geschwafel auf den Geist.“ Der dicke Holländer wollte aufbegehren, aber Diego fuhr fort: „Erzähl uns lieber deine Geschichte, El Tiburon. Jene, durch die du deinen Beinamen erhalten hast.“

„Warum?“ Solimonte schien jetzt eher konsterniert zu sein. „Du weißt doch, daß ich damit nicht gern herumprahle.“

Diego seufzte und blickte zu Arne und Oliver O’Brien. „Er sträubt sich mal wieder, dabei ist die Geschichte hochinteressant. Aber El Tiburon ist zu bescheiden, er stellt sich nicht gern heraus.“

„Ich erinnere mich nur ungern an die Begebenheit, das ist es“, sagte der Spanier.

„Trotzdem – ich will sie euch nicht vorenthalten“, sagte Diego unbeirrt. Er goß wieder Wein nach, und dann begann er zu sprechen, von Piraten und von Haien, Tiburones, den blutrünstigen, mordgierigen Schrecken aller Seefahrer, bei deren bloßer Nennung manchem ein kalter Schauer über den Rücken lief.

Nicht nur Arne, O’Brien, Carlos und der dicke Willem waren aufmerksame Zuhörer – auch Gilbert Sarraux und Joao Nazario lauschten. Vom Nebentisch aus konnten sie jedes Wort verstehen, denn Diego gab sich nicht die geringste Mühe, seine Stimme zu dämpfen. Er war ein fesselnder, mitreißender Erzähler, man konnte nicht umhin, seinem Bericht aufmerksam zu lauschen.

6.

Zwei Jahre lagen die Ereignisse zurück, an die Joaquin Solimonte noch heute mit gelindem Grauen zurückdachte. Seinerzeit hatte er noch mit einer Gruppe von Siedlern aus aller Herren Länder an der Nordküste von Hispaniola gelebt, westlich von Cabo Samaná an einer winzigen, geschützt und gut versteckt liegenden Bucht, in der das halbe Dutzend kleiner Einmaster ankerte, derer sie sich bedienten, um nachts ihre Fischernetze auszuwerfen. Einige der Glücksritter und Abenteurer waren früher Freibeuter gewesen, hatten die Piraterie aber satt und genossen ihr ruhiges, beschauliches Dasein.

Nur eine Gefahr gab es – die Haie, die die kleine Bucht verseuchten. Nie wagte einer der Siedler, ein Bad zu nehmen oder auch nur durch das flache Wasser in Ufernähe zu waten. Die Bucht schien ein Brutplatz der „Tiburones“ zu sein, der Menschenfresser, die überraschend angriffen und stets auf der Lauer lagen.

Manchmal sahen Joaquin und seine Gefährten die Dreiecksflossen, die die Fluten pfeilschnell zerschnitten. An den Lagerfeuern kursierten die wildesten und haarsträubendsten Erzählungen über Männer, die dem Blutrausch der Bestien zum Opfer gefallen waren.

Eines Nachts ging in der Bucht ein Dreimaster mit dunkel gelohten Segeln vor Anker. Viel zu spät warnte der Wachtposten die schlafenden Siedler durch seinen Pfiff. Er selbst war eingenickt und wachte erst auf, als die Besatzung der Galeone ein Beiboot abgefiert hatte und zwölf Männer an Land pullten. Ein fataler Fehler, für den die Siedler mit ihrem Blut bezahlten.

Schlaftrunken, noch halb benommen sprangen sie von ihren Lagern auf, griffen zu den Waffen und stürmten ins Freie, aber schon peitschten die ersten Musketenschüsse. Der Wachtposten brach mit einem gurgelnden Aufschrei zusammen, blieb liegen und rührte sich nicht mehr. Zwei andere Männer sanken vor den Hütten zu Boden, ein anderer blieb schwer verletzt liegen, die anderen rannten an ihm vorbei und eröffneten das Feuer auf die Angreifer.

„Ergebt euch!“ brüllte der Kapitän der Galeone auf französisch. „Ihr habt keine Chance!“ Er selbst führte das Bootskommando an, und er war der erste, der zwischen den Hütten war, seine Pistole abfeuerte und mit dem Säbel zwei Männer tötete.

Französische Piraten hatten die einsame Siedlung überfallen, um sie zu plündern und niederzubrennen. Sie waren auf der Suche nach allem, was es zu rauben gab – Gold, Silber, Juwelen, Munition und Waffen, Proviant und Wasser.

Reichtümer gab es in der Siedlung am Cabo Samaná nicht, wohl aber Pulver, Kugeln, Fisch und Wild – und die Ausrüstungen der Boote, die in der Bucht ankerten. Die Angreifer waren eine skrupellose Horde von Schnapphähnen, denen es an allem mangelte. Sie hatten ein Gefecht gegen zwei spanische Galeonen hinter sich, in dem sie arg angeschlagen worden waren und sich nur mit größter Not gerade noch rechtzeitig hatten zurückziehen können.

Nur notdürftig hatten sie die Schäden am Schiff behoben. Es war jetzt unterbemannt, es hatte mehr als ein Dutzend Tote gegeben, und zwei Freibeuter lagen im Logis im Sterben. Auch das wollte der Franzose: Männer pressen, damit die Galeone wieder voll seetüchtig und manövrierfähig wurde.

Doch der Franzose hatte nicht mit der Zähigkeit der Siedler gerechnet. Der Überraschungsangriff war gelungen, aber jetzt hatten die Überrumpelten sich gefangen und gliederten sich in zwei Gruppen auf. Die eine verteidigte verbissen die Hütten, die andere trieb eine Handvoll Piraten bis in den Urwald zurück, wo sich ein wütendes Handgemenge entwickelte.

Joaquin Solimonte kämpfte bei den Hütten, er schwang einen gewaltigen Schiffshauer und fällte einen Gegner, der ihm mit einem Entermesser entgegensprang. Dann hatte er den Kapitän vor sich – einen schwarzbärtigen, wüst aussehenden Kerl mit breitkrempigem, schwarzem Hut und schwarzer Kleidung. Joaquin griff ihn beherzt an, aber der Kerl konnte verteufelt gut fechten. Fluchend drangen sie aufeinander ein, aber keiner gewann im Kampf die Oberhand über den anderen.

Um sie herum waren das Brüllen und Fluchen der Männer, das Klirren der Blankwaffen und das vereinzelte Krachen von Musketen und Pistolen. Auch aus dem Busch drangen die Kampfgeräusche herüber – und plötzlich johlten und pfiffen die Siedler.

Es war ihnen gelungen, einen Teil der Widersacher niederzuwerfen und zu töten – nur zwei Piraten entkamen und hetzten zurück zum Boot. Vier Siedler jagten ihnen nach und stellten sie wenige Schritte von der Jolle entfernt. Noch einmal flammte das Handgemenge auf, und stöhnend sanken auch diese beiden Schnapphähne zusammen.

Die wenigen Kerle, die an Bord der Galeone zurückgeblieben waren, konnten nicht wagen, die Kanonen einzusetzen. Nichts von dem, was an Land geschah, war im Dunkeln zu erkennen. Sie riskierten, ihre eigenen Kumpane zu töten. Sie konnten nur abwarten.

Joaquin reagierte zu spät auf eine Finte des Piratenkapitäns, er mußte sich zur Seite werfen, um dem drohenden Stich zu entgehen. Er strauchelte und stürzte.

Bevor er sich herumwerfen und wieder aufrappeln konnte, war der Kerl über ihm, senste ihm den Schiffshauer aus der Hand und ließ das Heft seiner Waffe mit dem geschwungenen Handkorb auf Joaquins Kopf niedersausen. Joaquin spürte den Hieb, als habe ihn jemand mit einem Hammer geschlagen. Dann schwanden ihm die Sinne.

Die Schmerzen tosten in seinem Kopf, als habe man seinen Schädel gespalten, aber er erfaßte die Situation doch mit einem Blick, als er wieder bei Bewußtsein war. Sie hatten ihn verschleppt, er befand sich an Bord der Piratengaleone, allein unter Galgenstricken und gnadenlosen Schlagetots. Keinen seiner Kameraden hatte das gleiche Schicksal getroffen.

Er konnte sich den Zusammenhang erklären: Der Franzose hatte den Rückzug anordnen müssen. Im letzten Augenblick hatte er sich, von Schüssen verfolgt, mit seinen letzten Kerlen zum Boot gerettet und war in rasender Eile zum Schiff gepullt. Nur eine Geisel hatte er mitgenommen – ihn, Joaquin, denn noch gab er sich nicht geschlagen.

Der Schwarzbärtige stand breitbeinig vor ihm. Joaquin stellte sich bewußtlos, aber der Kerl hatte bereits bemerkt, daß sein Gefangener wieder bei Sinnen war. Sein rechter Fuß schwang zurück und zuckte vor – Joaquin bäumte sich unter dem Tritt in seine Körperseite auf. Aber er stöhnte nicht, diese Blöße wollte er sich nicht geben.

„Der Hund ist zäh“, sagte der Pirat. „Aber wir bringen ihm das Winseln bei. Er wird um Gnade flehen und seinen Hurensöhnen von Freunden raten, sich schleunigst zu ergeben.“

Joaquin schlug die Augen auf und sah den Mann haßerfüllt an. „Fahr zur Hölle! Du hast dich in uns getäuscht! Keiner wird uns besiegen, wir kämpfen bis zum letzten Blutstropfen!“

Ein zweiter Tritt in die Seite brachte ihn zum Verstummen.

„Wie ich höre, verstehst du meine Sprache!“ brüllte der Piratenkapitän. „Um so besser! Ich bin Chagall, der Diener des Teufels höchstpersönlich! Dich schicke ich zur Hölle, Hundesohn, und dein Schreien wird deine Bastardkumpane überzeugen, daß es besser ist, sich zu ergeben! Sag ihnen, sie sollen die Flagge streichen!“

„Nein.“ Joaquin sprach es ruhig aus. Er wußte, daß sich Chagall an ihnen die Zähne ausbeißen würde. Die Siedler hatten sich im Urwald versteckt, sie kannten sich dort genausogut aus wie die Tiere, die in der immergrünen Selva hausten. Es nutzte Chagall nichts, das Kanonenfeuer auf die Hütten zu eröffnen und alles zusammenzuschießen, er konnte alles in Schutt und Asche legen, doch es brachte ihm nichts ein.

Die geheimen Waffen- und Munitionsdepots der Siedler befanden sich im Urwald, sie hatten alles vergraben, was ihnen gehörte. Auch Proviant und Wasser würde Chagall nicht in seinen Besitz bringen, und mit den sechs Einmastern konnte er wenig anfangen.

Er brauchte Männer, Pulver, Kugeln und Nahrung, aber wenn er erneut mit einem Stoßtrupp an Land ging, erwartete ihn das erbitterte Musketenfeuer der Siedler. Aus dem Busch heraus würden sie ein Zielschießen auf den Gegner veranstalten.

Chagalls einzige Chance lautete Erpressung. Er befand sich in einer verzweifelten Situation und mußte sie zu seinen Gunsten lösen, sonst hatte er auch vor seinen Männern verspielt, und es bestand die Gefahr einer Meuterei.

„Bastard“, sagte er. „Ich habe einiges über diese Bucht vernommen. Sie ist klein, aber fein, nicht wahr? Sie hat den Ruf einer Mördergrube. Requins tummeln sich hier, Haie, die nur auf ein Opfer warten. Wenn sie deine Beine verschlungen haben, wird dein Gebrüll die Narren, die im Dschungel hocken, zur Kapitulation zwingen.“

„Hier gibt es keine Haie“, sagte Joaquin in gebrochenem Französisch. Er sprach Spanisch und Französisch durcheinander.

Die Piraten quittierten seine Worte mit brüllendem Gelächter. Chagall beugte sich zu ihm hinunter und setzte ein süffisantes, falsches Lächeln auf.

„Keine Haie?“ wiederholte er mit vorgetäuschter Freundlichkeit. „Das ist gut für dich. Du hast eine Chance, mein Freund, ich gewähre sie dir, großzügig, wie ich bin. Du gehst von Bord und schwimmst zum Ufer. Wenn du es schaffst, bist du frei. Willst du mir nicht danke schön sagen?“

Joaquin spuckte ihm mitten ins Gesicht. Chagall stieß eine lästerliche Verwünschung aus, das Übelste und Gemeinste, was der Spanier je vernommen hatte. Zwei Kerle rissen Joaquin von den Planken hoch, traten und schlugen ihn und zerrten ihn zum Backbordschanzkleid des Hauptdecks. Sie zogen ihn bis auf eine kurze Hose aus, dann trafen sie Anstalten, ihn ins Wasser zu werfen.

„Halt!“ rief Chagall. „Er soll langsam sterben. Er soll kämpfen und schreien und seine Kumpane das Grausen lehren. Gebt ihm ein Messer! Na los, wird’s bald?“

Einer der Kerle drückte Joaquin mit einem Fluch sein Messer in die Hand. Joaquin wollte sich auf Chagall stürzen, doch sie hielten ihn zurück, und wieder setzte es Prügel. Chagall lachte roh und gab seinen Kerlen ein Zeichen. Sie hoben Joaquin hoch und schleuderten ihn außenbords.

Im Fall stieß er sich den ohnehin schon lädierten Kopf an den Berghölzern. Ihm wurde übel, er drohte das Bewußtsein zu verlieren. Doch als er ins Wasser klatschte, kehrten seine Sinne voll zurück. Er drehte sich um die Körperachse, tauchte wieder auf, schöpfte Luft und nahm das Messer zwischen die Zähne.

Er begann zu schwimmen und hörte, wie Chagall über ihm schrie: „Musketen – Feuer!“

Noch eine Variante des grausamen Spiels also – und Joaquin Solimonte wußte, daß er sterben würde.

7.

Übermächtig ist der Selbsterhaltungstrieb in jedem normalen Menschen – Joaquin wollte sein Leben so teuer wie möglich verkaufen. Es nutzt wenig, ein guter Schwimmer zu sein, wenn ein oder zwei Dutzend lachender Piraten mit Musketen, Arkebusen und Tromblons ein Zielschießen auf einen veranstalten.

Die ersten Schüsse belferten, die Kugeln sirrten heran. Trotz der Dunkelheit bot Joaquins nackter Körper ein gut sichtbares Ziel, er schimmerte weißlich im Mondlicht.

Joaquin zog sich blitzschnell unter Wasser zurück. Ein guter Taucher, das war er schon immer gewesen. Vor vielen Jahren hatte er einen Mann aus Zipangu kennengelernt, der ihm das Tauchen nach Austern beigebracht hatte. Diesem Mann war er jetzt dankbar. Joaquin konnte sich unter Wasser aufhalten und bis hundert zählen, seine Atemluft reichte so lange aus.

Er schwamm bis auf den Grund der Bucht, hielt dann auf das Ufer zu und betete in Gedanken zum Himmel. Mein Gott, bewahre mich vor den Haien! Jesus, Maria, seid gütig und rettet mich!

Die Atemnot begann, er mußte wieder aufsteigen. Seine Lungen taten weh, drohten zu platzen. Er schoß ein Stück aus dem Wasser, schöpfte japsend frische Luft – und blickte über die Schulter in das Aufblitzen von drei, vier Musketen. Noch hatte er sich nicht weit genug von Chagall und dessen Spießgesellen entfernt, noch war er dem höllischen Feuer der Waffen ausgesetzt.

Wie zornige Hornissen zirpten die Kugeln auf ihn zu. Er fiel ins Wasser zurück, glaubte, ihnen zu entgehen, doch plötzlich streifte etwas siedend heiß seine rechte Schulter. Fast schluckte er Wasser. Taumelnd bewegte er sich in den Fluten, die Schmerzen drohten ihm erneut die Sinne zu rauben.

Doch er blieb bei Bewußtsein. Um ein Haar verlor er das Messer, er hatte es beim Luftschnappen in die rechte Hand genommen. Das Entsetzen war schlimmer als die Schmerzen. Blut! Er hatte nur einen Streifschuß empfangen, aber das Blut lockte die Haie an. Er wußte es – und es war ein Ammenmärchen, daß die Haie nachts schliefen und nicht angriffen. Alles, was über die gefürchteten Mörder erzählt wurde, war unwahr, nur eins stimmte: Blut brachte sie um den Verstand und verwandelte sie in rasende Bestien.

Tintenschwarz war das Wasser, und Joaquin konnte nichts von dem, was um ihn herum geschah, sehen. Doch er spürte die Bewegung hinter sich und fuhr herum. Zähne, wie Perlen an einem Band aneinandergereiht, schimmerten zum Greifen nah, gewaltige Kiefer klafften auf – der Hai war da!

Joaquin handelte instinktiv und versuchte auszuweichen. Er wußte nicht, ob er es seiner Bewegung oder einem Zufall zu verdanken hatte, aber er geriet unter den grauen Bauch des Hais und sah ihn über sich hinweggleiten. Ohne zu zögern stieß er mit dem Messer zu. Er fühlte den Widerstand, schloß die Augen, stieß wieder und wieder zu und ahnte, daß dies nur der Auftakt seines Endes sein konnte.

Ein Schemen im Nichts, ein Ungeheuer der Finsternis schien der nächste düstere Leib zu sein, der heranhuschte. Joaquin drehte sich, hackte mit dem Messer um sich, alles schien in Bewegung zu sein, das Wasser quirlte zu wühlendem, schwanzschlagendem, zähnebeißendem Leben auf, und mittendrin schwamm er, der nackte, ungeschützte, verwundbare Mann.

Er stach zu, wie von Sinnen, traf wieder, hatte Glück und entging dem Zuschnappen der messerscharfen Zähne, aber er begriff kaum noch, was um ihn herum geschah.

Ein Alptraum, der ihn in gewitterdurchtobten Nächten gequält hatte, wurde wahr: Er ritt den Hai und klammerte sich an seiner Rückenflosse fest, er hieb mit dem Messer zu und traf ein drittes Mal – dann schoß er wie von einem Katapult geschnellt durch das Wasser auf das Ufer zu.

Keine Luft, es stach in seinen Lungen, aber er fühlte Grund unter seinen Füßen. Er kämpfte, arbeitete sich voran, wühlte sich auf allen vieren durch Schlick, glaubte zu ersticken, zu ertrinken, und doch richtete er sich plötzlich aus dem Wasser auf und watete wankend an Land. Wie ein Betrunkener torkelte er vorwärts, stolperte durch seichte Wellen und durch Gischt und stürzte auf dem Sand auf die Knie.

Ein Stöhnen entrang sich seinen Lippen. Wie im Fiebertraum nahm er die Gestalten neben sich wahr, sie tauchten wie im Spuk auf, packten ihn unter den Achseln und schleppten ihn fort.

Gebrüll vom Schiff der Piraten verkündete, daß Chagall und seine Meute verfolgt hatten, wie sich Joaquin an Land gerettet hatte. Wutentbrannt ließ Chagall die Kanonen zünden. Aber die donnernde Breitseite erfolgte zu spät.

Die Siedler, die Joaquin zu Hilfe geeilt waren, erreichten mit dem taumelnden Spanier das Dickicht und brachten sich in Sicherheit, während die Siebzehnpfünderkugeln im Strand einschlugen und Sandfontänen hochspritzten.

Keiner wurde durch die Kugeln verletzt. Die Männer legten sich platt auf den Untergrund und warteten auf die nächste Breitseite. Doch von Bord der Piratengaleone tönte nur Gebrüll zu ihnen herüber.

Chagall wollte keine Munition mehr vergeuden, er wußte, daß er verloren hatte. Außerdem lag er mit seinen Kerlen im Streit. Sie warfen ihm vor, ein Versager zu sein. Chagall vermochte sich nur durch eine blitzschnelle, rigorose Aktion zu behaupten: Er griff den Wortführer der Meuterer an und tötete ihn im Kampf mit dem Messer.

Klatschend landete die Leiche des Piraten in der Bucht. Chagall brüllte auf die Bande ein, die jetzt wieder gehorchte. Der Anker wurde gelichtet und gekattet, dann setzten die Kerle die Segel, und das Schiff glitt aus der Bucht des Schreckens.

Die Siedler rechneten zunächst mit einem Trick der Freibeuter, doch in diesem Punkt täuschten sie sich. Chagall kehrte nicht zurück. Er segelte weiter und suchte nach einem neuen Opfer, das leichter zu überwältigen war.

Erst im Morgengrauen kehrten die Siedler zu ihren Hütten zurück. Sie bargen und bestatteten die Toten und versorgten die Verwundeten.

Ein Landsmann von Joaquin Solimonte, ein Katalane namens Rosario, deutete auf die Bucht und sagte: „Der tote Pirat ist verschwunden, die Tiburones haben ihn verschlungen. Aber du hast nicht nur Chagall, sondern auch den Haien eine schwere Niederlage zugefügt, Joaquin. Wir werden dich von jetzt an nur noch ‚El Tiburon‘ nennen.“

„Ich habe nur meine Pflicht euch gegenüber getan“, sagte Joaquin. „Ich wollte nicht, daß ihr meinetwegen aufgebt.“

„Chagall wollte ein Exempel statuieren“, sagte Rosario. „Es ist ihm gründlich mißlungen. Und du hast ein Zeichen gesetzt – El Tiburon. Wir werden dir das nie vergessen.“ Er wies noch einmal auf die Bucht – und da blickte auch Joaquin in diese Richtung. Er sah die toten Haie, die mit den Bäuchen zuoberst im Wasser trieben.

„Acht Haie“, sagte Diego und verdrehte etwas die Augen. „Das muß man sich mal vorstellen. Dieser Rosario war mal hier und hat mir alles erzählt, deshalb weiß ich es. Von El Tiburon selbst hätte ich es nie erfahren, er stellt sein Licht ja immer unter den Scheffel.“

„Weil Leute wie du das Blaue vom Himmel herunterlügen“, sagte Solimonte, der jetzt ziemlich ärgerlich wirkte. „Es waren nur drei Haie, das weißt du genau.“

„Rosario sprach aber von acht Haien.“

„Das kann ich mir nicht vorstellen“, sagte der Spanier. „Rosario ist ein aufrichtiger Mann. Aber diese verflixte Geschichte ist immer weiter ausgesponnen worden, und in zwei Jahren haben sich die verdammten Haie vermehrt. Man darf keinem dieser Strolche etwas anvertrauen, sie schwindeln, daß sich die Balken biegen.“ Die letzten Worte hatte er an Carlos Rivero gerichtet, der ihm aufmunternd zulächelte.

„Laß nur“, sagte Carlos. „Diego ist eher noch bescheiden gewesen. Ich kenne Seeleute, die noch zu viel schlimmeren Übertreibungen imstande sind und jede Menge aus der eigenen Phantasie hinzudichten.“

„Ja“, pflichtete O’Brien ihm bei. „Sämtliche Hafenkneipen in England müßten beispielsweise hufeisenförmig gebogene Balken haben – wegen des vielen Seemannsgarns, das dort an den Tischen zum besten gegeben wird.“

„Ich dichte nichts hinzu“, erklärte Diego. „Rosario selbst sagte, daß nach deinem Kampf mit den Haien die Siedler so – äh – motiviert waren, daß sie jederzeit einen neuen Kampf gegen die Piraten gewagt hätten. Oder stimmt das etwa auch nicht?“

„Das stimmt“, erwiderte Joaquin. „Aber ich bleibe dabei: Es waren drei Haie. Ich muß es wohl wissen.“

Arne von Manteuffel beherrschte die spanische Sprache recht gut, er hatte in den vergangenen Wochen fleißig gelernt. Was er noch nicht verstand, ließ er sich von Carlos Rivero oder Willem Tomdijk übersetzen.

Jetzt wandte er sich an Joaquin und sagte: „Immerhin. Auch der Kampf gegen drei Haie reicht schon. Meine Hochachtung. Deine Gefährten haben recht, wenn sie dich El Tiburon nennen.“

„Das ist mir egal“, entgegnete Joaquin. „Ich lege ohnehin keinen gesteigerten Wert darauf, aber der Name haftet mir nun mal an. So etwas wie damals will ich nie wieder erleben, ich habe es mir geschworen. Ich hasse die Haie.“

„Auch auf der ‚Le Vengeur‘ gibt es einen Mann, der Ähnliches erlebt hat“, sagte Arne von Manteuffel. „Er heißt Mel Ferrow und wird der Mann mit dem Haizeichen genannt. Ribault hat mir erzählt, daß er mal einen mörderischen Kampf mit einem Hai geführt hat. Seitdem trägt er eine entsetzliche Bißnarbe auf dem Rücken. Wenn jemand von Haien spricht, kann er fuchsteufelswild werden.“

„Ich kann den Mann gut verstehen“, sagte Joaquin.

Diego kicherte. „Paß auf, daß du nie auf die Totenrutsche gerätst. Du weißt ja, auch um Tortuga herum wimmelt es von Haien.“

„Ja“, erwiderte Joaquin. „Da sagst du mir nichts Neues. Doch laßt uns jetzt das Thema wechseln. Ich bedaure, daß ich während eures Gefechts gegen die Black Queen nicht hier im Hafen war. Als ich aus den Bergen zurückkehrte, waren vier von euren Schiffen schon wieder ausgelaufen. Ich habe aber den Schußwechsel beobachtet und gesehen, wie die Piratengaleonen versenkt wurden. Großartig. Später haben mir die Leute hier im Hafen alles erzählt. Ich bedaure, daß ich den Seewolf nicht persönlich kennengelernt habe.“

„Und Siri-Tong“, fügte Diego grinsend hinzu. „Mein lieber Mann, sie ist ein Prachtbild von Frau.“

„Laß dich nicht weiter aus“, sagte Carlos Rivero drohend. „Die Rote Korsarin ist für jeden tabu. Aber eins ist sicher, Joaquin, auch Hasard, Siri-Tong, Ribault, der Wikinger und Jerry Reeves hätten gern ein paar Worte mit dir gewechselt. Du scheinst ein feiner Kerl zu sein, man sitzt gern mit dir zusammen und trinkt ein Gläschen.“

Diego nahm dies als Aufforderung und füllte erneut die Becher. Joaquin trank einen Schluck, dann nickte er Arne, O’Brien, Carlos und dem dicken Willem zu. „Danke. Eigentlich hatte ich nie damit gerechnet, Männer wie euch in der Schildkröte anzutreffen.“

„Was soll denn das nun wieder heißen?“ fragte Diego.

„Daß hier sonst das übelste Gesindel verkehrt“, erwiderte Joaquin. „Das weißt du doch selbst am besten. Eines Tages gerätst du an den Verkehrten, Diego, und wirst wegen deines Herumspionierens und des Handels mit Informationen gepfählt oder gevierteilt. Oder du saust selbst die Totenrutsche hinunter.“

Diego war viel zu hartgesotten, um sich von solchen Worten beeindrucken zu lassen.

„Nett, wie du das sagst“, erwiderte er und grinste breit und ausgiebig. „Es freut mich immer, wenn mir jemand eine glückliche Zukunft voraussagt.“

Die Männer lachten und stießen miteinander an. Joaquin lag eine Frage auf der Zunge, er sprach sie jetzt aus. „Diese vielen Siedler von El Triunfo, die jetzt auf Tortuga sind – was soll aus ihnen werden? Es gibt doch nicht genügend Unterkünfte, und die Insel selbst ist auch ziemlich klein. Für diese Männer dürfte es mit der Zeit ein Problem werden, hier zu leben – wegen des begrenzten Wildbestandes, meine ich. Auf Dauer gesehen, wird es an der Verpflegung mangeln.“

„Wie sieht es denn auf Hispaniola aus?“ fragte Arne von Manteuffel.

„Ihr wißt ja, wie groß Hispaniola ist“, erwiderte Joaquin. „Dort läßt es sich gut leben. Auch Hunderte von Männern würden sich von dem, was das Land und die See hergeben, ernähren können. Man muß nur den erforderlichen Pioniergeist haben und alles aufbauen, was man braucht.“

„Kennst du denn ein Plätzchen, an dem sich unsere Leute ansiedeln könnten?“ fragte Willem.

„Ja.“

„Darüber müssen wir uns noch ausführlicher unterhalten“, sagte Arne. „Vielleicht wird Hispaniola für die Menschen aus El Triunfo wirklich eine neue Heimat. Wann werdet ihr darüber entscheiden, Willem?“

„Wenn sich die Wogen der jüngsten Geschehnisse ein bißchen geglättet haben“, erwiderte der Dicke. „Noch sind alle viel zu aufgeregt. Bei einer Versammlung würde sich nicht viel ergeben. Ich habe da meine Erfahrungen. Schließlich bin ich der Bürgermeister von El Triunfo gewesen.“

Joaquin wollte wissen, was in El Triunfo vorgefallen war, und Willem berichtete ihm ausführlich von dem Überfall des spanischen Verbandes.

Diego stand auf und kehrte zu seinen Thekengästen zurück. Über die Vorfälle an der Küste von Honduras wußte er ja bereits Bescheid, die Sache war nichts Neues für ihn. Lieber kümmerte er sich wieder um sein Geschäft.

Unauffällig gab er Esther einen Wink. Sie sollte sich mit den beiden „Neuen“ beschäftigen. Esther verstand und lächelte Diego zu. Dann setzte sie sich in Bewegung und durchquerte mit aufreizendem Hüftschwung die Kneipe.

Sarraux und Nazario hatten sich die ganze Zeit über geschickt im Hintergrund gehalten und fast jedes Wort von dem gehört, was an Arne von Manteuffels Tisch gesprochen worden war. Einiges konnten sie sich jetzt schon zusammenreimen, und sie waren sicher, daß die Informationen auf das Interesse der Black Queen stoßen würde.

Esther hatte jettschwarzes Haar, ihre Augen waren dunkel und geheimnisvoll. Ihr Teint war eindeutig südländisch. Irgendwie erinnerte sie Nazario entfernt an Annamaria von Punta Gorda. Esther war genau sein Typ, er sprach sofort mit ihr, als sie sich dem Tisch näherte.

Gilbert Sarraux wollte nicht das dritte Rad am Wagen sein. Er entfernte sich und traf in einer Ecke der Kneipengrotte auf ein anderes Mädchen, das sich bereitwillig zu einem Glas Wein einladen ließ. Da sich auch die Runde um Joaquin Solimonte inzwischen auflöste, sah er keinen Grund dafür, noch länger bei Nazario zu bleiben.

Arne von Manteuffel und Oliver O’Brien verließen die „Schildkröte“ und kehrten an Bord der „Wappen von Kolberg“ zurück. Auch Carlos Rivero ging, nur Willem Tomdijk blieb noch mit Joaquin zusammen, aber sie gesellten sich zu Diego an die Theke, so daß es vorläufig für Nazario und Sarraux nichts mehr aufzuschnappen gab.

Was die Ereignisse in El Triunfo betraf, von denen der dicke Holländer immer noch sprach, so waren der Bretone und der Portugiese im übrigen sicher, daß es zu diesem Thema keine Neuigkeiten mehr für die Queen gab. Sie war ja selbst in El Triunfo gewesen, das hatte sie den beiden erzählt, bevor sie sich in Punta Gorda getrennt hatten.

Joao Nazario hatte also Zeit und Muße, sich dem Mädchen Esther zu widmen. Wie es schien, verstanden sie sich sehr gut miteinander.

„Du bist mein Fall“, sagte Nazario. „Wir zwei könnten einiges zusammen unternehmen.“

„Das glaube ich auch“, sagte Esther lächelnd. Sie versäumte nicht, ihre Oberweite durch einen leichten Ruck nach vorn vollendet zur Geltung zu bringen. „Zum Beispiel könnten wir noch ein Glas Wein zusammen trinken.“

Er mußte lachen. „Ja, natürlich.“ Diego war gerade in Sichtweite, Nazario drehte sich um und winkte ihm zu. Wenig später waren die Becher neu aufgefüllt, und Nazario prostete Esther zu.

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