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4.

Tage später lief die einmastige Pinasse mit Gilbert Sarraux und Joao Nazario an Bord in die Hafenbucht von Tortuga ein. Dodger, der merkwürdige Kauz, hatte das „Prachtschiff“, wie er es nannte, allerdings nicht ganz unentgeltlich herausgerückt. Zwei Silberlinge hatte er dafür von dem Bretonen und dem Portugiesen verlangt, und sie hatten sie zahlen müssen.

Auf seine neugierigen Fragen hin hatten sie ihm vorgeschwindelt, daß sie „mal ein wenig in der Mona-Passage herumschnuppern“ wollten, um eventuell einen kleineren Handelsfahrer aufzubringen. Er hatte es ihnen abgenommen. Sonst ahnte in Punta Gorda niemand außer der Queen, was sie wirklich vorhatten. Zur Täuschung waren sie sogar zunächst auf östlichen Kurs gegangen und hatten erst später auf offener See und in ausreichender Entfernung vor dem frisch aus Osten einfallenden Wind Kurs auf Tortuga genommen.

Frech und gottesfürchtig, mit unbekümmerten Mienen, legten die beiden also an einer freien Pier an. Hein Ropers, der an Bord der „Wappen von Kolberg“ gerade die Aufsicht über die Ankerwache führte, beobachtete die Pinasse und ihre Insassen, schöpfte aber keinen Verdacht und sah keinen Grund, Arne von Manteuffel und Oliver O’Brien zu verständigen.

Sie befanden sich an Land und knüpften neue Kontakte – mit allen Leuten auf Tortuga, die sie noch nicht kannten. Diego unterstützte sie als Kontaktmann, und auch Willem Tomdijk und Carlos Rivero trugen ihren Teil zur Aufnahme neuer Verbindungen bei. Tortuga war für den Seewolf gewissermaßen ein Brückenkopf, und Arne wallte über alles unterrichtet sein, was hier geschah. Sicherlich hatte aber auch er die Landung der Pinasse verfolgt.

Jeden Tag trafen kleinere Einmaster auf Tortuga ein. Die Besatzungen gingen an Land, boten Waren feil oder kauften Schiffsausrüstung ein, besorgten Proviant, Waffen oder Trinkwasser. Die meisten blieben nur ein oder zwei Tage, dann liefen sie – nach einem Umtrunk der Crew in der „Schildkröte“ – wieder aus.

Diese Pinassen und Schaluppen boten keinen Anlaß zur Besorgnis. Das Leben verlief in den üblichen, gewohnten Bahnen. Solange keine Galeone, Karacke oder Karavelle auftauchte oder gar ein Verband von Schiffen, schien keine Gefahr zu drohen, weder von der Black Queen noch von irgendwelchen anderen Schnapphähnen oder von seiten der Spanier.

Sarraux und Nazario betraten die „Schildkröte“, die ein gleichsam magischer Anziehungspunkt zu sein schien wie „El Escarabajo“ in Punta Gorda. Hafenkneipen waren Orte, in denen viele Fäden zusammenliefen, es wurde erzählt und gestritten, gemunkelt und gesponnen. Jeder Wirt wußte mehr über die Vergangenheit seiner Gäste als deren eigene Mütter. Wenn es etwas aufzuschnappen gab, dann waren der Bretone und der Portugiese hier am richtigen Platz.

Arne von Manteuffel, O’Brien, Willem und Carlos hockten in einer Nische und lauschten den Berichten eines in Ehren ergrauten Seemanns, der am Vortag mit einer Schaluppe eingetroffen war. Der Mann stammte aus Northumbria nahe der Grenze von Schottland und hatte auf verschiedenen Schiffen nahezu die ganze Welt bereist. Was er vortrug, war interessant, aber es hatte nichts mit den Ereignissen in der Karibik zu tun. Im Grunde war er nur froh, jemanden gefunden zu haben, der ihm zuhörte.

Arne hörte nur mit halben Ohr zu und musterte die beiden Männer, die zur Theke schritten und bei Diego Wein bestellten. Hatte er sie schon einmal irgendwo gesehen? Nein, er kannte sie nicht. Vorerst erregten sie nicht seinen Argwohn. Später würde sich herausstellen, wer sie waren und was sie hier suchten. Diego würde es ihm, Arne, schon sagen.

Diego war bereits dabei, mit den beiden Männern ein Gespräch anzuknüpfen, von dem Arne, O’Brien, Willem, Carlos und der Seemann allerdings nur ein undeutliches Gemurmel verstanden.

Diego unterzog die Thekenplatte einer symbolischen Reinigung und schielte dabei zu Sarraux und Nazario, die ihre Becher fast auf einen Zug leerten. Als er nachschenkte, fragte Diego mit scheinheiligem Grinsen: „Ihr seid wohl nicht von hier, was? Ich habe euch noch nie gesehen. Kommt ihr aus der Alten Welt?“

„Das ja“, entgegnete Joao Nazario. „Aber wir waren seit einer Ewigkeit nicht mehr dort. Ich glaube, es ist schon fünfzehn Jahre her, daß ich meine Heimat nicht mehr gesehen habe.“

„Du bist – Spanier?“ fragte Diego.

„Portugiese. Joao Nazario ist mein Name.“

„Nie gehört. Freut mich aber, dich kennenzulernen.“ Diego wischte sich mit der Hand über die Wange. „Also schön, ich gebe einen aus für euch beide. Ihr scheint ordentliche Kerle zu sein. Außerdem ist das bei Neulingen so üblich in der ‚Schildkröte‘.“ Er füllte wieder die Becher und trank selbst mit. „Zum Wohl. Wollt ihr vielleicht ein Fäßchen Wein kaufen?“

„Darüber ließe sich reden“, sagte der Bretone und lachte. „Aber du hast uns deinen Namen noch nicht verraten.“

„Diego.“

„Ich bin Gilbert Sarraux“, sagte der Bretone. „Wir sind mit der Pinasse eingetroffen, die draußen an der Pier liegt. Zu dir können wir wohl ehrlich sein. Wir sind hier, um was zu erleben.“

„Bei mir seid ihr an der richtigen Adresse“, sagte Diego. „Bei mir könnt ihr euer Herz ausschütten, ich bin darauf eingestellt, daß man bei mir Seelenkummer und jede Menge Schrott ablädt. Wo drückt denn der Schuh?“

„Wir kommen von Hispaniola“, erklärte Nazario. „Wir führen da ein ziemlich einsames Leben als Ackerbauern. Die letzte Zuckerrohrernte hat uns ganz hübsch was eingebracht, darum sind wir mal rübergesegelt nach Tortuga, weil wir gehört haben, hier könne man die Mäuse auf dem Tisch tanzen lassen.“

Diego kicherte und rieb sich die Hände. Er kehrte ganz den Geschäftsmann hervor, aber er verstand es auch, seine Gäste auszuhorchen. Nichts konnte seiner Aufmerksamkeit entgehen.

„Wer hat euch denn erzählt, daß auf Tortuga was los sei?“ fragte er wie beiläufig.

„Ein Kerl namens Larsky“, erwiderte Nazario aufs Geratewohl.

„Den kenne ich auch nicht, aber das spielt keine Rolle. Ihr wollt euch hier also den Wind des aufregenden Nachtlebens um die Ohren wehen lassen?“

„Richtig“, erwiderte Sarraux. „Du hast es genau erfaßt. Wo wir hausen, gibt es leider keinen einzigen Weiberrock.“

Nazario hatte bereits die Mädchen entdeckt, die in den Nischen hockten.

„Hier scheint das anders zu sein“, sagte er und deutete mit einer Kopfbewegung zu den Mädchen. „Sind das deine Frauen?“

„Sie gehören mir nicht, aber sie fressen mir aus der Hand“, erwiderte Diego. „Das sind ganz allerliebste Täubchen, meine Freunde, sie stammen aus Paris und lassen jedes Männerherz höher schlagen. Ich meine, wenn ihr solche Absichten habt, läßt sich bestimmt etwas arrangieren.“ Ein gerissener Kuppler war er schon immer gewesen und fühlte sich ganz in seinem Element.

„Das hängt ganz von der Bezahlung ab“, sagte Nazario.

„Ihr werdet mit den Ladys bestimmt einig“, sagte Diego. „Wartet nur ab, der Tag ist noch lang – und die Nacht noch länger.“

„Stimmt“, sagte Sarraux. „Ich fühle mich hier durchaus wohl.“

Wenig später ließ er sich mit seinem Kumpan an einem freien Tisch nieder. Noch wagten sie nicht, offen nach dem Seewolf zu fragen, es erschien ihnen zu gefährlich. Aber schon bald erkannten sie, daß sich der Todfeind der Black Queen aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr auf Tortuga aufhielt. Die Galeone, die in der Bucht ankerte, entsprach nicht den Beschreibungen, die die Queen von der „Isabella IX.“ gegeben hatte.

Es konnte sich um die „Wappen von Kolberg“ handeln, deren Aussehen die Piratin ebenfalls in allen Einzelheiten beschrieben hatte. Und wo waren die „Tortuga“, der Schwarze Segler und die „Le Vengeur III.“, von denen sie berichtet hatte? Der Großteil des Verbandes von Philip Hasard Killigrew schien bereits ausgelaufen zu sein.

Somit war die Fahrt von Hispaniola nach Tortuga für Sarraux und Nazario eine Enttäuschung. Doch sie hatten ihre klare Anweisungen. Sie sollten nicht wieder aufbrechen und unverrichteter Dinge abziehen. Sie blieben und versuchten, beispielsweise etwas über die Männer herauszufinden, die an einem Tisch bei dem grauhaarigen Seemann saßen und sich offenbar angeregt mit ihm unterhielten. Der Mann, der dem Seewolf so auffallend ähnlich sah – war das nicht Arne von Manteuffel?

„Er ist der Vetter des Seewolfs“, murmelte Nazario. „Die Queen hat ihn doch auch beschrieben.“

„Dann werden wir ihm und seinen Leuten von jetzt an im Nacken sitzen wie die Zecke am Hintern einer Seekuh“, sagte Sarraux gedämpft. „Mal sehen, was dabei für uns herausspringt.“

„Zwanzig Piaster, vergiß es nicht.“

„Ich denke die ganze Zeit daran“, brummte der Bretone. „Und wir verholen uns erst dann wieder, wenn wir uns den Zaster redlich verdient haben, darauf kannst du Gift nehmen.“

Asiaga stand wie verloren am weißen Sandstrand, ihr Blick war in die Ferne gerichtet. Der Wind umfächelte ihr hübsches Gesicht, ihre Gestalt und spielte mit dem Saum ihres Kleides. Lächelnd trat Tamao zu ihr und griff nach ihrer Hand.

„Ich habe dich schon überall gesucht“, sagte er sanft. „Auch die anderen fragen nach dir. Hältst du wieder nach Schiffen Ausschau?“

„Ja“, erwiderte sie und wandte ihm ihr Gesicht zu. „Sie werden kommen. Shawano hat es vorausgesagt, und er täuscht sich selten.“

„Aber auch er kann nicht hinter die Kimm blicken. Das kann nur ein Jonas, sagt Marcos, aber keiner weiß wirklich, was ein Jonas ist.“

Sie mußte lachen. „Dieser Marcos mit seinen Geschichten! Glaubst du denn alles, was er erzählt?“

„Nicht alles. Aber es ist auch nicht immer reines Seemannsgarn, was er so von sich gibt. Er glaubt nicht, daß wir Besuch kriegen. Von wem denn auch?“

„Von Hasard“, entgegnete sie etwas störrisch. „Wir werden ja sehen, wer recht behält. Wenn du willst, kannst du darüber eine Wette mit mir abschließen.“

„Ein Timucua wettet nicht“, sagte Tamao. Seine Miene war jetzt beinah entsetzt. „Das weißt du doch. Ich lasse von unserer Tradition nicht ab und werde nie wie ein weißer Mann denken, sprechen und handeln.“

Sie war darauf aus, ihn zu necken. „So? Den Eindruck habe ich aber nicht. Dauernd hockst du mit unseren vier Spaniern zusammen. Mich hast du schon vergessen.“

„Das stimmt nicht!“ rief er. „Sag so was nie wieder!“

Sie ließ seine Hand los und lief vor ihm weg. Er hörte ihr silberhelles Lachen, begriff und eilte ihr nach. Kurz vor den mächtigen Stämmen der Palmen holte er sie ein, griff nach ihren Hüften und warf sie zu Boden. Sie überrollten sich auf dem weißen Sand, blieben nebeneinander liegen und küßten sich innig.

„Ich liebe dich“, sagte er. „Ich werde nie aufhören, dich zu lieben, und eines Tages werden wir eine Familie sein.“

„Das hoffe auch ich“, sagte sie. „Coral Island ist ein treibendes Floß in einem Meer, das keine Feindschaft, keinen Krieg und keine Krankheit kennt. Ich bin glücklich mit dir, Tamao, und es gibt keinen besseren Vater für meine Kinder als dich.“

Nun begannen sie, Zukunftspläne zu schmieden – wie viele Kinder sie haben wollten, wie viele davon Söhne und Töchter. Asiaga zeichnete mit einem Zweig Linien in den Sand, und es entstand die Hütte ihrer Träume, das Haus, das Tamao für sie bauen würde.

Sie erhoben sich, küßten sich wieder und strebten eng umschlungen dem grünen Vorhang des Inseldschungels entgegen. Fast hatten sie das Buschwerk erreicht, da ertönte ein heller, scharfer Pfiff, der über ganz Coral Island schallte. Tamao und Asiaga blieben stehen und fuhren herum.

Rafael, der als Ausguckposten den höchsten Felsen der Insel erstiegen hatte, hatte den Pfiff ausgestoßen.

„Schiffe!“ schrie er. „Im Südwesten!“

Die beiden jungen Indianer konnten den Spanier nicht sehen, aber sie verstanden seine Worte deutlich genug. Rasch kehrten sie zum Strand zurück, und Tamao kletterte den Stamm der höchsten Palme hinauf. Er richtete seinen Blick in die von Rafael genannte Richtung und schirmte die Augen mit der einen Hand gegen die Sonnenstrahlen ab.

Am frühen Morgen war es sehr dunstig gewesen, doch inzwischen war das Wetter so sichtig, daß Tamao mit dem bloßen Auge die Schiffe erkennen konnte, die sich Coral Island näherten. Galeonen – sie segelten in Dwarslinie! Von den drei letzten waren vorerst nur die Masten zu sehen, das Führungsschiff aber hob sich klar mit den Aufbauten über die Kimm hinaus.

„Es ist die ‚Isabella‘!“ rief Tamao. „Shawano hatte recht! Unsere weißen Freunde besuchen uns!“

„Arwenack!“ brüllte nun auch Rafael. „Es sind die Seewölfe! Hurra!“

Die Kunde verbreitete sich unter den Bewohnern der Insel wie ein Lauffeuer. Shawano verließ seine Hütte, die Männer und Frauen seines Stammes umringten ihn, Kinder stießen helle, jauchzende Laute aus. Die Timucuas, die Spanier und alle anderen, die zu der kleinen, verschworenen Gemeinschaft auf Coral Island gehörten, begaben sich zum Südstrand, um die vier Schiffe in Augenschein zu nehmen.

Tamao saß nach wie vor in der Krone der Palme, und als die Gruppe eintraf, rief er gerade: „Hinter der ‚Isabella‘ segelt das schwarze Schiff! Und das dort, das ist die ‚Le Vengeur‘!“

Shawano blieb unter den Palmen stehen, verschränkte die Arme vor der Brust und nickte Asiaga zu, die ihn voll Verehrung anlächelte.

Für sie war Shawano der größte aller Häuptlinge. Alle Vorzüge, die ein Stammesführer haben konnte, vereinten sich in seiner Person. Er war mutig, ehrlich und gerecht. Seine Aufopferung für die Timucuas kannte keine Grenzen, für jeden von ihnen tat er, was in seinen Kräften stand. Sein Handeln war stets uneigennützig, und nie ließ er es an der erforderlichen Umsicht mangeln. Er war der ideale Häuptling für die Siedler auf Coral Island, sie hätten sich keinen besseren Mann an ihrer Spitze wünschen können.

Das vierte Schiff, so stellte sich jetzt heraus, war die „Tortuga“. Unwillkürlich drängte sich den Beobachtern die Frage auf, wo denn die „Wappen von Kolberg“ sein mochte, aber natürlich sagten sie sich, daß sie mit größter Wahrscheinlichkeit auf der Schlangen-Insel zurückgeblieben war. Den Sachverhalt und derzeitigen Stand der Dinge sollten sie erst erfahren, als der Seewolf und seine Verbündeten landeten.

Tamao stieg von der Palme und schloß sich der Gruppe an, die winkend und lachend zur Bucht lief. Hoch am Wind segelten die vier Schiffe, ihr Vollzeug bauschte sich an den Rahen. Steile Bugwellen, von weißen Bärten gekrönt, schoben sie vor sich her, ihre Parade hatte etwas Majestätisches, Würdevolles.

Ein Begrüßungsböller ertönte von Bord der „Isabella IX.“ Der Seewolf hatte eine der achteren Drehbassen abfeuern lassen. Jetzt kannte der Jubel der sonst reservierten Timucuas keine Grenzen mehr. Sie lachten und schrien, tanzten und sangen und bereiteten den Besatzungen der Schiffe einen Empfang, der an Herzlichkeit nicht zu überbieten war.

Die „Isabella IX.“, die „Le Vengeur III.“, die „Tortuga“ und der Schwarze Segler liefen hintereinander durch die schmale Einfahrt in die Ankerbucht und gingen neben der „San Donato“ vor Anker. Dann wurden die Beiboote abgefiert, und die Crews pullten an Land.

5.

Nachdem der erste Begrüßungssturm abgeklungen war, fand der Seewolf ausreichend Gelegenheit, sich mit Shawano zu unterhalten und ihn über die Geschehnisse in El Triunfo, auf Gran Cayman und auf Tortuga zu unterrichten.

Schweigend lauschte der Häuptling dem Bericht. Als Hasard geendet hatte, sagte er: „Die Götter werden jeden strafen, der sich gegen euch wendet. Die Black Queen ist verflucht, ihre Schergen werden eines schrecklichen Todes sterben. Du, Hasard, kämpfst für eine gerechte Sache – Frieden in der Karibik. Eines Tages wird kein Kanonenschuß mehr fallen und kein Blut mehr fließen.“

„Ich hoffe, daß sich deine Vorausschau erfüllt“, sagte der Seewolf, obwohl er in diesem Punkt eher skeptisch war. „Aber laß uns jetzt über den Grund meines Hierseins sprechen. Ich will zurück zur Schlangen-Insel, hielt es aber für richtig, bei dir einen kurzen Zwischenaufenthalt einzulegen.“

Shawano lächelte. „Du willst wissen, wie es vorangeht, welche Arbeiten inzwischen durchgeführt worden sind. Überzeuge dich selbst davon, ob wir Fortschritte erzielt haben oder nicht.“

„Verstehe mich bitte nicht falsch“, sagte der Seewolf. „Ich bin weder euer Oberaufseher noch euer Ratgeber. Die Verwaltung von Coral Island obliegt dir und deinem Ältestenrat, Shawano. Ich will nur nachsehen, ob es euch an etwas mangelt. Wenn ihr Geräte braucht, besorge ich sie euch.“

Shawano legte ihm die Hand auf die Schulter. „Nie würde Shawano seinen weißen Freund Hasard mißverstehen. Komm, ich will dir die Felder zeigen, die wir angelegt haben. An Gerätschaften haben wir alles, was wir brauchen, und es könnte uns nicht besser gehen. Wir sind zufrieden und glücklich, keiner hat bereut, Florida und das Delta des Mississippi verlassen zu haben. Unser ewiger Dank ist dir gewiß.“

Diese Worte brachten den Seewolf fast in Verlegenheit. Er zog es vor, Shawanos Vorschlag zu folgen. Sie brachen zu einem kurzen Marsch ins Innere der Insel auf. Marcos, Tamao, Asiaga, Ribault, Siri-Tong, Thorfin Njal und Reeves begleiteten sie. Schon wenig später blieben sie stehen, und wieder lächelte Shawano, denn seine Besucher setzten erstaunte Mienen auf.

Fischteiche, von den Quellen der Insel gespeist, waren entstanden, über ein Dutzend, und jeder davon mit größter Präzision quadratisch angelegt. Es gab einen Hühnerhof und Schweinekoben, und im Zentrum von Coral Island dehnten sich frisch bebaute Felder aus. Erste grüne Pflänzchen waren bereits gewachsen, und stolz erklärte Tamao, daß es sich um Mais und Weizen handele.

„Unglaublich“, sagte der Seewolf. „Das hätte ich nie für möglich gehalten. Wie habt ihr das fertiggebracht?“

„Wir sind eben Ackerbauern“, erwiderte Shawano bescheiden. „Was du hier siehst, ist auch nur der Anfang von allem. Komme in zwei Monden wieder, und du wirst die ganze Insel nicht wiedererkennen.“

„Es ist erstaunlich, was diese Menschen zustande bringen“, sagte Marcos. „Sie sind fleißig wie die Ameisen – und genauso flink. Wir selbst können uns an ihnen ein Beispiel nehmen. Mariano, Domingo, Rafael und ich haben übrigens schon eine Menge von den Timucuas gelernt.“

„Und die vier erzählen uns dafür Seemannsgeschichten, bei denen man das Grausen kriegt“, sagte Asiaga lachend.

„Wahre Geschichten“, sagte Marcos. „Nichts daran ist erfunden. Wollen wir wetten?“

„Nein“, erwiderte sie. „Ein Timucua wettet nicht.“

„Schon gut“, sagte der Spanier und seufzte. „Das weiß ich ja. Und ihr spielt auch nicht mit Würfeln. Dafür aber könnt ihr Brot backen, Fische braten, Gemüse pflanzen und ernten, Schuhe und Kleider aus selbstgegerbtem Leder und von euch gewebten Stoffen anfertigen. Wenn das so weitergeht, heirate ich noch eines von euren Mädchen.“

„Langsam, langsam“, sagte Siri-Tong. „Das wohl nur, wenn die Timucuas einverstanden sind. Und wenn ihr euch hier nicht anständig betragt, Don Marcos, werdet ihr auf ein Eiland umgesiedelt, auf dem es nur Felsen und Miesmuscheln gibt.“

„Um Himmels willen, nein!“ stieß Marcos hervor. „Wir benehmen uns wie gesittete Menschen! Über uns werden keine Klagen zu hören sein! Shawano, sag ihnen, was für ordentliche Menschen wir sind!“

Alle mußten lachen. Natürlich wußte Siri-Tong so gut wie Hasard, daß die vier Spanier längst zur Inselgemeinschaft gehörten und man sich auf sie verlassen konnte wie auf Buddy Bolden und dessen „Großfamilie“ sowie die drei Pearsons, die am Mississippi mitgeholfen hatten, die Timucuas von dem Sumpffieber zu heilen.

Der Seewolf, die Rote Korsarin, der Wikinger, Jean Ribault und Jerry Reeves waren heilfroh, daß sich die Indianer auf Coral Island eingelebt hatten und mit ihrer neuen Heimat zufrieden waren. Schon die erste Ernte würde die Versorgung der Schlangen-Insel sicherstellen, künftig war es für den Bund der Korsaren kein Problem mehr, die Proviantfrage zu regeln.

In diesem Zusammenhang mußte noch geklärt werden, was mit der Galeone „San Donato“ geschehen sollte. Hasard, Shawano und die anderen verharrten auf einem nur mit Büschen bestandenen Hang, als sie wieder zur Ankerbucht zurückkehrten.

„Das Schiff“, sagte der Häuptling. „Ich will es gern instand setzen, aber meine Männer wissen nicht, wie sie es an Land ziehen sollen.“

„Zum Aufslippen fehlen uns die Hilfsmittel“, sagte Marcos. „Dabei wäre wirklich dringend notwendig, den Rumpf vom Muschelbewuchs und den Algen zu befreien. Er hat eine Generalüberholung nötig und muß auch kalfatert werden.“

„Richtig“, pflichtete Hasard ihm sofort bei. „Die ‚San Donato‘ ist wichtig für uns, sie darf nicht vernachlässigt werden. Wir brauchen sie später insbesondere für Transportzwecke, außerdem sichert sie den Bewohnern von Coral Island ihre Unabhängigkeit und Beweglichkeit.“

„Wir könnten sie zur Schlangen-Insel überführen und dort gründlich überholen“, schlug Jean Ribault vor. „Ramsgates Werft bietet sich für diesen Zweck doch an.“

„Vergeßt nicht, daß der alte Hesekiel zur Zeit noch mit der Ausrüstung der ‚Empress of Sea‘ beschäftigt ist“, sagte Thorfin Njal.

„Die Werft ist noch nicht wieder frei“, sagte der Seewolf und wandte sich Shawano, Marcos, Tamao und Asiaga zu. „Wenn aber die ‚Empress‘ seetüchtig ist, kehren wir zu euch zurück und holen die ‚San Donato‘. Ihr könnt in der Zwischenzeit schon die Crew zusammenstellen, die das Schiff dann segelt.“

„Darum werden sich Marcos, Domingo und Rafael kümmern“, sagte Shawano. „Aber laßt uns jetzt zu unseren Brüdern und Schwestern gehen, sie warten bereits auf uns.“

Am Strand war ein Fest improvisiert worden. Der Klang von Trommeln empfing die Ankömmlinge, Indianerinnen klatschten im Takt in die Hände und bewegten sich im Kreis. Feuer waren entfacht worden, Fische und Geflügel wurden von flinken Händen ausgenommen, von Schuppen und Federn befreit, gewaschen und auf Spieße gesteckt, die die Timucuas über der Glut drehten.

Hasard ließ ein paar Fässer Wein von der „Isabella“, der „Le Vengeur III.“ und der „Tortuga“ holen, der Wikinger stiftete ein Faß Bier zur Feier des Tages. Die Humpen, Mucks und Becher wurden gefüllt und gingen reihum. Die Indianer kosteten nur von den Getränken und staunten über den kräftigen Zug, den die Seeleute ihnen vorexerzierten.

„Ein vorzüglicher Tropfen“, sagte Domingo, der Spanier, nachdem er von dem Wein gekostet hatte. „Wenn mich nicht alles täuscht, stammt er aus meinem Heimatland.“

„Das ist richtig“, sagte der Seewolf. „Frag mich aber nicht, auf welche Weise ich in den Besitz der Fässer gelangt bin.“

„Das tue ich nicht. Aber ich will dir etwas verraten: Wir werden selbst Wein anbauen und die Trauben in Bottichen gären lassen. Ich habe Rebstöcke gesetzt, auf einem sonnigen Hang im Inneren der Insel.“ Stolz lächelte Domingo. „Ich verstehe etwas davon, mein Vater hatte daheim in Andalusien einen Weinberg. Den eigenen Tropfen werden wir aber erst in zwei Jahren probieren können, so lange dauert es, bis die Reben hoch genug sind und tragen.“

„Wir können warten“, sagte Ben Brighton. „Uns ist kein Opfer groß genug, wenn es um einen guten Wein geht.“

„Wir könnten auch eine Brauerei bauen!“ rief Carberry. „Hölle, dieser dicke Willem hat uns derart die Ohren davon vollgequatscht, daß mir jetzt noch der Kopf summt!“

Die anderen lachten, aber Marcos sagte ernst: „Es wäre keine so schlechte Idee, auf Coral Island auch Hopfen und Gerste anzubauen. Überhaupt gibt es noch viele Pläne, wir sollten sie gemeinsam durchsprechen.“

„Meine weißen Brüder bleiben ein paar Tage“, sagte Shawano. „Wir haben genug Zeit, über alles ausführlich zu beraten und dann abzustimmen.“

„Nein“, sagte der Seewolf. „Es tut mir leid, aber das müssen wir euch überlassen. Was ihr tut, findet ohnehin unsere Zustimmung, das wißt ihr. Und wir müssen weiter – zurück zur Schlangen-Insel. Arkana, Araua, Karl von Hutten, Ramsgate und die anderen erwarten uns dringend. Die, Schlangen-Insel ist unbewacht. Die ‚Wappen von Kolberg‘ befindet sich, wie ich dir erzählt habe, noch vor Tortuga.“

„Du willst schon heute wieder auslaufen?“ fragte Tamao bestürzt. Wie Asiaga war er keinen Augenblick von der Seite des Seewolfs gewichen, seit dieser die Insel betreten hatte.

„Ich muß es tun“, erwiderte Hasard. „Und ihr müßt dafür Verständnis haben. Es wird ohnehin nicht lange dauern, und wir kehren zurück und holen die ‚San Donato‘.“

Shawano nickte mit würdevoller Miene und bedeutete allen anderen durch eine Gebärde, zu schweigen. „Was mein Bruder Hasard tut, ist gut getan. Es steht uns nicht zu, ihn unnötig zurückzuhalten. Unsere Wünsche und Gebete begleiten ihn und seine Freunde.“

Sie ließen sich gemeinsam an den Feuern nieder und genossen das Mahl, dann aber drängte der Seewolf zum Aufbruch. Der Abschied war kurz, aber herzlich. Asiaga standen die Tränen in den Augen. Siri-Tong sprach ein paar tröstende, beschwichtigende Worte, aber auch ihr fiel es nicht leicht, sich von diesen Menschen zu trennen, und sie vergaß auch nicht, sich bei den Timucuas für deren Gastfreundschaft zu bedanken.

Am frühen Nachmittag begaben sich Kapitäne und Mannschaften wieder an Bord ihrer Schiffe. Kommandorufe ertönten, die Anker wurden gelichtet und gekattet, dann setzten die Männer die Segel, und in derselben Formation wie zuvor gingen die vier Schiffe wieder in See – voran die „Isabella IX.“, hinter ihr die „Le Vengeur III.“, dann die „Tortuga“ und schließlich „Eiliger Drache über den Wassern“. Hoch am Wind auf Backbordbug liegend gingen sie auf Kurs und waren den Augen der Beobachter auf Coral Island kurze Zeit später entschwunden.

„Bald sehen wir sie wieder“, sagte Shawano – und wieder sollte er recht behalten.

Der grauhaarige Seemann hatte die „Schildkröte“ mit leichter Schlagseite verlassen und war weinselig und von einem Gefühl der Euphorie erfaßt zu seiner Schaluppe zurückgekehrt.

Jetzt war es Diego, der sich an dem Tisch von Arne von Manteuffel, Oliver O’Brien, Carlos Rivero und Willem Tomdijk niederließ. Er hatte einen vollen Weinkrug mitgebracht, grinste, füllte die Becher und sagte: „Na, ich will mal nicht so sein. Ihr seid gute Kunden, euch will ich zuvorkommend bedienen.“

Willem mußte lachen. „Ich denke, die Geschäfte laufen schlecht, Diego.“

Das alte Schlitzohr blickte ihn aus weit aufgerissenen Augen an. „Das tun sie auch. Schließlich kehren bei mir nicht jeden Tag Leute wie ihr ein. Der alte Grauhai zum Beispiel – der hätte höchstens ein paar müde Copper hiergelassen, wenn ihr nicht laufend welche ausgegeben hättet.“

„Schon gut“, sagte Carlos. Zu Willem gewandt meinte er: „Gib es auf, gegen Diego kommst du nicht an. Hasard hat uns ja vor ihm gewarnt – und Jean Ribault auch.“

„Ach, die übertreiben“, sagte Diego mit einer wegwerfenden Geste. „Ich bin ein aufrichtiger, ordentlicher Wirtsmann, der seine Kunden nicht betrügt. Gepanschten Wein habe ich noch keinem kredenzt, und bei mir gibt es auch keinen andalusischen Schlaftrunk wie bei einem gewissen Plymson in Plymouth.“

„Ja, das glauben wir“, sagte O’Brien und setzte eine amüsierte Miene auf. „Aber nun mal ehrlich, Diego: Wie viele von den Mädchen hast du heute schon an Freier verkuppelt? Wir sehen doch, was du hinter deinem Tresen an den Tischen treibst. Dauernd tuschelst du mit den Kerlen, und ab und zu verschwindet einer mit einer der Ladys. Manon hat wohl einen großzügigen Anteil mit dir ausgehandelt, was?“

Diego grinste breit, seine Mundwinkel drohten die Ohrläppchen zu berühren. „Umgekehrt. Ich habe ihn mit ihr ausgehandelt.“

„Und gemeinsam haut ihr die angetrunkenen Seeleute übers Ohr, wie?“ sagte Arne von Manteuffel. „Na, das sind mir vielleicht Sitten.“

Diego wurde stockernst. „Das ist eine Unterstellung. Es geht sauber und reell zu, ohne Tricks und doppelten Boden. Die Täubchen liefern ja schließlich eine erstklassige Ware für den Preis, und ohne meine Vermittlung würde so manches Stelldichein gar nicht erst klappen. Also?“

„Also, wir ergeben uns“, erwiderte Willem Tomdijk. „Im Prinzip geht es uns ja auch nichts an, was du mit Manon ausheckst. Boussac wollte dich schließlich am Gewinn beteiligen.“

Diego beugte sich etwas vor. „Seht ihr die beiden da drüben, den rothaarigen Bretonen und den Portugiesen mit den strähnigen Haaren? Die sind auch bald reif. Sie sind von Hispaniola herüber gesegelt, um was zu erleben. Sie wissen bloß noch nicht, wie sie sich an die Mädchen ranpirschen sollen. Sie haben zu wenig Erfahrung. Aber gleich schicke ich die kleine Esther zu ihnen. Mal sehen, wen wir dann noch zur Verfügung haben.“

Arne von Manteuffel, O’Brien und Carlos Rivero musterten die beiden Neulinge unauffällig.

„So unerfahren sehen die mir nicht aus“, sagte Arne. „Vielleicht gaukeln sie dir nur was vor, Diego, um den Preis herunterzuhandeln.“

„Da liegen sie bei mir falsch. Diego läßt nicht mit sich handeln und gewährt auch keinen Kredit.“ Grinsend sah er sich nach allen Seiten um und hielt plötzlich in der Bewegung inne. Er schien jemanden entdeckt zu haben, der größere Aufmerksamkeit verdiente. Mit einem Ruck erhob er sich und eilte auf den schlanken, großen Mann zu, der völlig unbemerkt die Höhlenkneipe betreten hatte.

„El Tiburon“, sagte er mit überschwenglichem Gebaren. „Wie geht’s denn so, alter Freund? Willst du dir tüchtig einen hinter die Binde kippen? Nur zu, ich habe gerade einen prächtigen Tropfen hereingekriegt, der dir sicher zusagt. Wie wär’s mit einer Probe? Ich sitze gerade mit ein paar Freunden am Tisch, die würden dich bestimmt auch gern kennenlernen.“

Fast zerrte er den Fremden zu Arne, O’Brien, Carlos und Willem an den Tisch. Dem Mann schien es zu widerstreben, so zur Schau gestellt zu werden, aber Diego wußte, daß Arne jeden Mann von Tortuga kennenlernen wollte, und so ließ er sich die Gelegenheit nicht entgehen, einen neuen „Kontakt“ herzustellen. Immerhin war er ein Meister im Verkauf von Informationen aller Art, und auch Arne ließ sich nicht lumpen. Ein paar Silberlinge hatte er dem Dicken schon zugesteckt.

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