Читать книгу: «Seewölfe Paket 22», страница 10
„He, ihr da!“ schrie einer der Spanier. Seiner Montur nach mußte er ein Schiffsoffizier sein, wie O’Leary richtig erkannte. Wenig später sollte er erfahren, daß es sich um den Ersten Offizier des Capitáns Don Gregorio de la Cuesta handelte. „Welches Boot?“ rief er.
O’Leary zuckte nur mit den Schultern, die anderen schüttelten die Köpfe. Die Killigrew-Brüder hatten die Münder halb geöffnet und blickten dümmlich drein.
„Seid ihr Spanier?“ rief der Erste Offizier.
O’Leary grinste und beschrieb eine Gebärde der Hilflosigkeit.
„Franzosen? Engländer?“
Wie sollte ein Mann, der des Spanischen nicht mächtig war, auch nur ein Wort verstehen? O’Leary gestikulierte, seine Crew schaute drein, als sei die ganze Welt ein riesiges Fragezeichen.
„Die verstehen nichts“, sagte der Erste Offizier. „Oder sie tun nur so. Aber das werden wir noch ergründen.“ Er ließ wieder anpullen und steuerte die Jolle an die Backbordseite des englischen Bootes. Von hier aus gab er den Kerlen durch Zeichen zu verstehen, daß sie vor ihm her zu den Galeonen pullen sollten.
Das taten sie nach einigem Hin und Her auch: O’Leary hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. Er mußte sich fügen. Was blieb ihm anderes übrig? Er gab seinen Kerlen ein Zeichen, und sie bewegten die Jolle auf die Kriegsgaleonen zu. Kurz darauf gingen sie längsseits und legten an. Dann mußten sie an Bord der Galeone des Capitáns Gregorio de la Cuesta aufentern.
Sie stellten sich weiterhin taub, aber auf die Dauer war es keine Taktik, die sie aufrechterhalten konnten. O’Leary wußte es bereits jetzt, aber er nutzte jede Chance, um Zeit herauszuschinden. Mit abgespreizten Beinen stand er auf dem Hauptdeck der Galeone, umringt von schwerbewaffneten Seesoldaten. Er verschränkte die Arme vor der Brust und wartete ab, was weiter geschah.
Don Gregorio de la Cuesta stand an der Schmuckbalustrade des Achterdecks und hatte die Hände aufgestützt.
„Sind sie das alle?“ fragte er seinen Ersten Offizier.
„Ja, Señor. Sechzehn Mann.“
„Wer ist ihr Kapitän?“
„Ich weiß nicht, ob sie einen Kapitän haben. Aber der Wortführer scheint der Mann dort zu sein.“ Der Erste deutete auf O’Leary.
De la Cuesta betrachtete den grobschlächtigen Kerl. Er traute ihm auf Anhieb nicht, beschloß aber, sich an die Regeln zu halten.
„Treten Sie näher“, sagte er zu O’Leary.
Dieser grinste und legte den Kopf ein wenig schief. Er spielte seine Rolle gut. Zwar begriff er die Sprache nicht, aber es war natürlich nicht mißzuverstehen, was der Kapitän von ihm verlangte.
De la Cuesta winkte ihm mit der Hand zu. Jetzt tat O’Leary zwei Schritte und stand dicht vor der Querwand des Achterkastells. Den Kopf immer noch etwas schief gelegt, schaute er zu dem Kapitän auf.
Thomas Lionel konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. Simon Llewellyn rammte ihm zwar sofort den rechten Ellenbogen in die Seite, doch die Spanier hatten es natürlich gehört. Aus dem Hintergrund löste sich die Gestalt eines bulligen Mannes, er trat auf sie zu und löste etwas von seinem breiten Ledergürtel, das sie nur zu gut kannten: die neunschwänzige Katze.
„Ich freß einen Dweil, wenn das nicht der Profos ist“, flüsterte Simon Llewellyn. „Genauso sieht er nämlich aus.“
„Halt’s Maul!“ raunte der hinter ihm stehende Mann der Crew.
Der Profos der Kriegsgaleone war ein Bulle, aber er hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit Kerlen vom Kaliber eines Joe Doherty. Er war groß und stark, sein nackter Oberkörper glänzte, als habe er ihn mit Öl oder Fett eingerieben. Er hatte einen schmalen Knebelbart, buschige schwarze Augenbrauen und eine Glatze, die ebenfalls wie poliert wirkte. Seine behaarte Brust zierte eine Kette, die – auf den ersten Blick – aus purem Silber zu sein schien.
Nur einmal zog er die Neunschwänzige durch die Luft, und schon zuckten die Killigrew-Brüder heftig zusammen. Er blieb neben ihnen stehen und sah sie an, ohne ein Wort zu sprechen. Thomas Lionel hätte sich am liebsten in ein winziges Mauseloch verkrochen. Simon Llewellyn schwitzte heftig und glaubte zu zerfließen.
De la Cuesta hatte unterdessen angeordnet, die Jolle der vermeintlichen Schiffbrüchigen – er war sicher, daß sie miese Schnapphähne waren – gründlich zu untersuchen. Vier Soldaten unter der Leitung eines Sargentos nahmen sich das Boot vor und stießen natürlich sofort auf das, was sich da unter der achteren Ducht befand und gleichsam magische Anziehungskraft zu haben schien.
„Wie heißen Sie, Señor?“ fragte de la Cuesta laut und deutlich den Bootsmann O’Leary.
Ja, O’Leary begriff – der Mann wollte seinen Namen wissen. Du kannst mich kreuzweise, dachte er, aber er sagte kein Wort. Wieder zuckte er nur mit den Schultern.
„Sie scheinen nicht fähig zu sein, überhaupt ein Wort herauszubringen“, sagte der Erste Offizier. „Vielleicht hat man ihnen die Zungen herausgeschnitten.“
„Eine Mannschaft von Stummen, meinen Sie?“ De la Cuesta schüttelte den Kopf. „Wissen Sie was? Das sind Engländer.“
„Soll ich Brandez rufen lassen?“ fragte der Erste mit gedämpfter Stimme.
„Ja, das erscheint mir angebracht.“
„Er hat gerade Freiwache.“
„Wir brauchen ihn jetzt“, sagte de la Cuesta. „Er wird uns weiterhelfen können.“
O’Leary gab sich redlich Mühe, so harmlos wie möglich dreinzuschauen, aber er registrierte natürlich, daß die beiden Spanier im Begriff waren, etwas auszuhecken. Auch die Geräusche, die von außenbords heraufdrangen, schienen nichts Gutes zu verkünden. Da polterte es, und irgend etwas Schweres schien bewegt zu werden.
Der Sargento erschien außenbords am Schanzkleid, er war die Jakobsleiter hochgestiegen. „Señor, im Boot befinden sich außer einiger weniger Waffen zwei Kisten mit Goldbarren, die den Stempel der Münze von Potosi aufweisen.“
„Aha“, sagte de la Cuesta trocken. „Danke.“
Der Erste war verschwunden, tauchte aber kurze Zeit darauf in Begleitung eines Mannes auf, der die Gefangenen besonders aufmerksam musterte.
„Brandez“, sagte der Erste Offizier zu diesem Mann. „Sprechen Sie mit Ihnen.“
Brandez blieb bei O’Leary und fragte auf Englisch: „Wie heißen Sie?“
Seine Aussprache war nahezu akzentfrei – und O’Leary verfluchte ihn bis in die tiefsten Schlünde der Hölle, weil er nicht damit gerechnet hatte, hier an Bord einem Dolmetscher zu begegnen.
Wieder zuckte O’Leary nur mit den Schultern und schüttelte grinsend den Kopf.
„Brandez“, sagte Don Gregorio de la Cuesta, „Erklären Sie diesem Mann, daß wir ihn zum Sprechen zwingen werden, falls es nicht tatsächlich ein körperlicher Mangel ist, der ihn daran hindert.“
„Bitte antworten Sie, Señor“, sagte Brandez zu dem Bootsmann der „Lady Anne“. „Es ist nur zu Ihrem Vorteil, glauben Sie mir.“ Er mußte in irgendeiner sehr guten Schule oder gar in England die Sprache erlernt haben, anders konnte es gar nicht sein.
O’Leary gab nur einen dumpfen Laut von sich, der bekundete, daß er entweder schwachsinnig oder taub oder stumm oder alles zusammen war.
„Der hier“, sagte der Profos jetzt und wies auf Thomas Lionel, „hat eben gelacht. Er kann sprechen. Vielleicht sollte man ihn befragen.“
De la Cuesta sagte: „Tun Sie das, Brandez.“
Brandez trat dicht vor Thomas Lionel Killigrew hin. „Wie heißen Sie? Woher kommen Sie? Wie heißt Ihr Schiff, und was haben Sie für einen Auftrag?“
Thomas Lionel wußte nicht, ob er kichern oder fluchen sollte. Er hielt es für besser, auf die Unterlippe zu beißen und ein dummes Gesicht zu schneiden, was ihm ohnehin nicht schwerfiel.
„Noch einmal“, sagte Brandez. „Ich habe Sie mit allem Respekt um Auskunft gebeten.“
Thomas Lionel druckste herum. Seine Augen waren Irrlichter, sie huschten mal nach links, mal nach rechts, mal nach unten oder nach oben. Nur vermied er es, Brandez oder den Profos anzusehen.
„Profos“, sagte de la Cuesta. „Versuchen Sie es mal. Vielleicht versteht er Ihre Sprache bedeutend besser.“
Blitzschnell schlug der Zuchtmeister mit der Neunschwänzigen zu – viel schneller, als man ihm das zugetraut oder als Thomas Lionel es erwartet hätte. Die geknoteten Lederriemen trafen ihn voll ins Gesicht.
Er stürzte mit einem kreischenden Entsetzenslaut auf die Planken und schrie: „Ich bin Thomas Lionel Killigrew, der Sohn vom alten Killigrew! Aber nicht mehr hauen! Ich bin unschuldig! Ich hab’ nichts getan! Ganz bestimmt nicht!“
6.
Der Profos wollte erneut zuschlagen, hielt jedoch verdutzt inne, als er sah, wie sich Thomas Lionel auf den Planken drehte und wand, und vernahm, wie dieser jammerte und offenbar um sein Leben winselte. Mit einem saftigen Fluch quittierte der bullige Mann das Benehmen des ferkelgesichtigen Kerls, dann wandte er sich zu seinen Leuten um und fragte: „Zum Teufel, was ist denn das für ein Jammerlappen?“
„Ohne Zweifel ein Engländer“, erwiderte Brandez. „Und zwar aus Cornwall, das hört man am Akzent.“
„Brandez, ich will wissen, wer sein Kapitän ist und was sie hier zu suchen haben“, sagte de la Cuesta.
Brandez trat auf Thomas Lionel zu, der sich gerade halb am Süll der Ladeluke hochzog und seufzend auf der Gräting niederließ. Stöhnend rieb er sich das schmerzende Gesicht, und mit einer wehleidigen Geste griff er an den Kopf verband, der etwas blutig war.
„Wer ist der alte Killigrew?“ fragte Brandez.
„Mein Vater.“
„Wo ist er?“
„Auf der ‚Isabella‘, in der Vorpiek, nehme ich doch an!“ stieß Thomas Lionel hastig mit einem Seitenblick auf den Profos aus.
„Ist die ‚Isabella‘ euer Schiff?“
„Nein, sie gehört dem Bastard.“
„Welchem Bastard?“
„Dem Bastard aller Bastarde!“ zischte Thomas Lionel. „Der hat uns die ganze Suppe ja überhaupt eingebrockt.“
Brandez übersetzte diese Worte, aber keiner wurde daraus schlau. Jetzt trat der Profos wieder in Aktion. Er drosch wie in einem jähen Wutanfall mit der Neunschwänzigen auf die Gefangenen ein und trieb O’Leary sogar mit Hieben und Tritten gegen die Querwand des Achterkastells, wo dieser sich heftig die Knochen stieß und dann auf die Planken sank.
„Bist du wirklich taub und stumm?“ brüllte der Profos ihn an.
Brandez übersetzte es, wie es seine Aufgabe war. O’Leary spuckte vor Ihnen beiden aus, aber daraufhin traktierte der Profos ihn erneut mit der Peitsche. Thomas Lionel stieß quiekende Laute aus, und auch sein Bruder begann vor lauter Angst entsetzlich zu stöhnen. Die anderen Kerle von der „Lady Anne“ fluchten unflätig.
O’Leary hob plötzlich die Hand, bevor der Profos erneut zuschlagen konnte.
„Das genügt“, sagte er. „Ich rede.“
„Das wird auch langsam Zeit“, sagte Brandez, der Dolmetscher.
„Der Mann dort mit dem Schweinegesicht ist nicht ganz richtig im Kopf“, erklärte O’Leary. „Killigrew war sein Vater, aber er ist jetzt tot, mit unserem Schiff, der ‚Lady Anne‘, gesunken. Wir sind friedliche Kauffahrer, jetzt jedoch Schiffbrüchige. Lange haben wir auf einer Insel der Grand Cays gehockt. Dann trieb die Jolle an, ein Geschenk des Himmels für uns arme Teufel, die wir schon seit Monaten auf dem Eiland dahinvegetierten.“
De la Cuesta ließ sich dies übersetzen, dann enterte er auf das Hauptdeck ab und besah sich den Bootsmann der „Lady Anne“ noch einmal genau. Er schoß eine Reihe von Fragen auf ihn ab, die von Brandez genauso schnell wie die Antworten in die jeweils andere Sprache übertragen wurden.
„Was für ein Schiff war die ‚Lady Anne‘?“
„Eine Dreimastkaravelle.“
„Heimathafen?“
„Falmouth, Sir, wenn’s recht ist.“
„Zielhafen?“
„Havanna.“
„Das ist eine Lüge“, sagte de la Cuesta kalt. „Ich habe noch von keinem englischen Schiff gehört, das Kuba in friedfertiger Absicht angelaufen hat.“
„Es stimmt aber doch“, sagte O’Leary. „Unser Kapitän hatte einen besonderen Vertrag, äh, mit den Spaniern in Havanna.“
„Einen Vertrag welcher Art?“
„Keine Ahnung, das war sein Geheimnis.“
„Warum sank das Schiff?“
„Es geriet in einen Sturm“, erwiderte O’Leary.
„Wann?“ wollte de la Cuesta wissen.
„Ach, so im Juni. Nein, im Mai.“
„An welchem Tag im Mai?“
„Am – sechzehnten. Jawohl, jetzt kann ich mich wieder erinnern“, entgegnete O’Leary frech grinsend.
„An diesem Tag herrschte ruhiges Wetter“, sagte de la Cuesta. „Im übrigen sehen diese Schiffbrüchigen nicht so erbarmungswürdig aus, daß man alles glauben könnte. Sie sind Engländer, Señores, und Schnapphähne obendrein.“
„Stimmt nicht!“ schrie O’Leary. „Wir sind ehrliche Leute!“ Aber er begriff, daß er sich hoffnungslos verrannt hatte.
„Es ist alles erstunken und erlogen“, sagte de la Cuesta. „Aber immerhin – wir wollen uns zeigen lassen, auf welcher Insel diese Kerle gehaust haben. Denn bei mehreren Monaten Aufenthalt müssen sie selbstverständlich ziemliche Spuren hinterlassen haben.“
„Die Grand Cays sind ja nicht weit“, sagte der Erste Offizier.
„Die Boote an Bord hieven, auch die Jolle der Engländer!“ befahl Don Gregorio de la Cuesta. „Wir segeln sofort weiter und sehen nach, was es mit diesem Eiland auf sich hat.“ Noch einmal wandte er sich an O’Leary und fragte ihn, indem er die Fäuste in die Seiten stemmte: „Wart ihr wirklich auf einer Insel?“
„Ich schwöre es.“
„Ich rate dir dazu, die Wahrheit zu sagen. Woher habt ihr die Goldkisten?“
„Wir haben sie in der Jolle gefunden, die angetrieben ist“, erwiderte O’Leary.
De la Cuesta drehte sich um und enterte aufs Achterdeck. „Ich werde ausreichend Gelegenheit haben, das alles gründlich zu überprüfen“, sagte er. „Und gnade dir Gott, wenn du gelogen hast, Kerl.“
„Keiner findet zwei Kisten mit Goldbarren, einfach so“, sagte der Profos. „Das gibt es nicht. Soll ich noch mal zuschlagen, Señor?“
„Nein, jetzt nicht“, erwiderte de la Cuesta. „Die Gefangenen werden in das Kabelgatt gesperrt und bewacht. Wenn sie sich aufsässig benehmen, werden sie in Ketten gelegt.“
Sofort wurden die Befehle ausgeführt. Die Seeleute hievten die Boote hoch und schwenkten sie binnenbords, dann wurden sie auf dem Hauptdeck festgezurrt. Die Jolle der „Dragon“ wurde noch einmal einer genauen Prüfung unterzogen, aber mehr „verdächtiges, belastendes Material“ als die beiden Goldkisten entdeckten die Spanier nicht.
Die Seesoldaten unter der Leitung eines Teniente führten die Gefangenen ab. Dumpf polterten die Schritte auf dem unteren Deck des Schiffes, und mit einem Knall fiel das Schott des Kabelgatts hinter ihnen zu.
O’Leary stand mit etwas gesenktem Schädel da und musterte Thomas Lionel aus schmalen, bösartig funkelnden Augen. Thomas Lionel wich vor ihm zurück.
„Nein“, sagte er mit bebender Stimme. „Diesmal kannst du mir nicht die Schuld geben. Ich – du hast ja auch gequatscht, als dieser Bulle dich gepiesackt hat.“
„Ja. Aber nur, weil du dein Maul nicht halten konntest.“
„Es wäre auch so geschehen“, sagte einer der anderen Männer. „Unsere Tarnung wäre so und so aufgeflogen, O’Leary, sieh das doch ein. Wir hätten uns nicht lange einfach taubstumm stellen können.“
„Und jetzt sitzen wir in der Scheiße“, sagte der Bootsmann. „Und zwar bis zum Hals.“
„Laß deine Wut nicht an uns aus“, sagte Simon Llewellyn. Vorsichtshalber nahm er schon mal eine abwehrbereite Haltung ein.
Aber O’Leary winkte ab und ließ sich auf eine Taurolle sinken. „Ihr könnt mir den Buckel runterrutschen. Überlegen wir lieber, wie wir hier rauskommen.“ Er sprach jetzt leise, denn er befürchtete, daß Brandez, der Dolmetscher, am Schott lauschte.
Das war tatsächlich der Fall. Doch Brandez konnte nicht mehr verstehen, was sie jetzt beredeten. Sie schmiedeten Fluchtpläne, aber sie sahen selbst ein, daß es keinen Sinn mehr hatte. Wenn die Spanier sie nicht gnädigerweise wieder freiließen, hatten sie keine Chance mehr.
Sie waren hoffnungslos festgenagelt. Vom wilden, freien Leben der Freibeuter konnten sie vorläufig nur noch träumen.
Mit vollem Preß segelten die beiden spanischen Kriegsgaleonen, und schon kurz vor Mittag hatten sie die östlichsten Inseln der Grand Cays erreicht. De la Cuesta brauchte nicht lange zu suchen, bald hatte sein Ausguck das Eiland entdeckt, in dessen Nordbucht die Masten zweier versenkter Galeonen aus dem Wasser aufragten. Es waren die traurigen Überreste der „Orion“ und der „Dragon“.
De la Cuesta ließ die Segel ins Gei hängen und beidrehen, dann verständigte er sich kurz mit dem Kommandanten der zweiten Kriegsgaleone, um die nächsten Schritte, die es zu unternehmen galt, zu koordinieren. Die Schiffe lagen sehr nah beieinander, de la Cuesta konnte in normalem Tonfall mit dem anderen Kapitän sprechen.
„Haben Sie das gesehen?“ fragte er. „An Land befinden sich Menschen.“
„Eben sind sie verschwunden“, sagte der andere Kommandant.
„Sie haben die Flucht vor uns ergriffen“, sagte de la Cuesta. „Es sind Engländer. Ich bin ziemlich sicher, daß wir zwei der Kriegsgaleonen vor uns haben, die vor einer Woche St. Augustine passiert haben.“
„Ja, das bin ich auch.“
„Was hier gespielt wird, kriegen wir gleich heraus“, sagte de la Cuesta grimmig. „Ich versichere es Ihnen.“
„Was haben Sie vor?“
„Ich vernehme noch einmal die Gefangenen. Dann setzen wir mit einem Boot zum Ufer der Bucht über und verhandeln mit den Engländern.“
„Ein guter Gedanke, Don Gregorio.“ Der zweite Kommandant hatte weder Einwände noch bessere Vorschläge. Außerdem war de la Cuesta als der Dienstältere ohnehin der Mann, der die Entscheidungen traf.
De la Cuesta gab die Anweisung, die Gefangenen aus dem Kabelgatt zu holen. Sie wurden von den Seesoldaten auf das Hauptdeck geführt und mit Musketen bewacht.
O’Leary und seine Kerle hatten sehr wohl den Wortwechsel von Bord zu Bord der Schiffe vernommen, doch sie wußten nicht, um was es dabei gegangen war. Jetzt sahen sie, daß sie sich unmittelbar vor der Nordbucht der Insel befanden – und ihnen wurde blümerant zumute.
Am Ufer hatten unterdessen Tottenham, Corbett, Gretton, Bush, Ross und die anderen alles stehen und liegen lassen, denn rechtzeitig genug hatte ein Posten das Auftauchen der spanischen Galeonen gemeldet. Die Männer kauerten im Dickicht, hielten ihre Schußwaffen in den Händen und spähten zu den Schiffen hinüber.
„Dons“, sagte Gretton. „Ausgerechnet. Die haben uns zu unserem Glück noch gefehlt. Erst hat die Korsarin mit dem Zweidecker uns zusammengeschossen, jetzt tauchen diese Spanier auf und geben uns den Rest.“
„Warten wir erst mal ab, was sie wollen“, sagte Corbett. „Vielleicht können wir uns auf unsere Notlage berufen und sogar Unterstützung von ihnen erbitten.“
„Nach sittlichen und moralischen Prinzipien sollte bei Schiffbruch Hilfe geleistet werden“, sagte Tottenham, der stets auf Vorschriften bedachte Mann. „Aber leider gibt es keine Vereinbarungen darüber, und nirgends ist das schriftlich festgehalten. Es hängt von der Auffassung und vom Charakter eines Schiffsführers ab, wie er sich verhält. Und das dort, Gentlemen, sind spanische Kriegsgaleonen.“
„Sehr gut armierte sogar“, sagte Gretton. „Ich frage mich, woher die kommen.“
„Das ist jetzt unwichtig“, sagte Corbett. „Eins ist sicher: Sie haben uns mit Sicherheit als Engländer erkannt, denn die Flögel der gesunkenen Schiffe geben Auskunft über unsere Herkunft. Ich schätze, daß sie gleich in die Bucht eindringen und als erstes unsere Hütten zusammenschießen.“
„Sie glauben also auch nicht an, Nachsicht?“ fragte Gretton.
„Ehrlich gesagt, nein.“
Mit wachsender Besorgnis beobachteten sie weiterhin die Schiffe. Sie waren nur froh darüber, daß sie ihre Jollen noch rechtzeitig genug ins Landesinnere geschleppt hatten. Diesen Befehl hatte Tottenham gegeben, sobald der Ausguckposten die heransegelnden Schiffe gemeldet hatte.
Tottenham hatte sich in diesen letzten Sekunden geändert. Er war entschlußfreudiger und mutiger geworden. Seit ihm Männer wie Sir Henry, Monk und Stewart nicht mehr zusetzten, hatte er sich wieder auf seine Pflichten und sein Können als Kommandant eines Kriegsschiffes besonnen. Er war wieder Herr der Lage.
Stewart war immer noch gefesselt, war jedoch aus der Hütte, die als Gefängnis diente, geholt worden. Er hockte nicht weit von den Männern entfernt am Boden und wurde von zwei Seesoldaten mit Musketen bewacht.
Während die Männer der „Orion“ und der „Dragon“ sowie die letzten Mitglieder der Crew Sir John Killigrews im Uferdickicht abwarteten, was geschah, spitzte sich auf der spanischen Führungsgaleone die Lage zu, und zwar für O’Leary und dessen Kerle.
Don Gregorio de la Cuesta stand an der Schmuckbalustrade des Achterdecks und hatte wie immer die Hände aufgestützt. Kalt blickte er zu den Gefangenen. Brandez, der Dolmetscher, stand wieder bereit, um jedes Wort zu übersetzen.
„Señor O’Leary“, sagte der Kommandant. „Ich sehe die Masten von zwei englischen Kriegsgaleonen aus dem Wasser der Bucht aufragen. Es handelt sich also keineswegs um eine Dreimastkaravelle, und die könnte auch nicht hier liegen, wenn sie im Sturm gesunken wäre. Wollen Sie Ihre Aussage gefälligst revidieren und nunmehr die volle Wahrheit berichten?“
„Ich habe die Wahrheit gesagt“, erklärte O’Leary hartnäckig.
De la Cuesta deutete auf Thomas Lionel Killigrew. „Profos, Sie ziehen diesen Mann als ersten an der Nock der Großrah hoch und lassen ihn zappeln. Wir wollen doch mal sehen, ob die anderen sich dann endlich entschließen, die Dinge so zu erzählen, wie sie sich zugetragen haben.“
Thomas Lionel wurde kreidebleich im Gesicht und schien irgendwie Schwierigkeiten mit der Atmung zu haben. Er begann zu keuchen und zu röcheln. Es wirkte so, als würde er jeden Augenblick ohnmächtig zusammenbrechen und auf die Planken sinken.
Der Profos hatte plötzlich ein Tau in den Händen und schlug einen Knoten in das Ende, aus dem rasch eine Schlinge wurde. Er näherte sich Thomas Lionel, und der begann zu schlucken und zu würgen und Unverständliches zu stammeln.
„Ich lasse alle Gefangenen an die Rah hängen“, erklärte de la Cuesta mit scharfer, deutlicher Stimme. „Sie sterben, einer nach dem anderen, wenn sie sich nicht bequemen, auszupacken und die Wahrheit zu sagen.“
„Warum glauben Sie uns denn nicht?“ rief O’Leary. Es war der letzte verzweifelte Versuch, den Kommandanten doch noch zu täuschen.
De la Cuesta musterte ihn wieder eiskalt. „Für wie dumm halten Sie mich eigentlich, O’Leary? Mir ist klar, daß zwischen den Männern an Land und Ihnen und Ihren fünfzehn Kerlen eine Verbindung besteht. Also, überlegen Sie es sich. Der Feigling dort drüben ist als erster dran, als nächster Sie!“
Das Tau wurde über die Großrah geworfen, die Schlinge baumelte bedrohlich und unheilverkündend herunter. Thomas Lionel setzte sich mit einem gurgelnden Laut auf die Kuhlgräting. Simon Llewellyn begann auch bereits zu wanken. Den anderen war jetzt ebenfalls schlecht, sehr schlecht sogar, denn sie waren davon überzeugt, daß dieser de la Cuesta ein eisenharter Mann war, der seine Befehle rigoros zur Durchführung brachte.
O’Leary beschloß zu reden – nicht, um Thomas Lionel das Leben zu retten, sondern um den eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Warum sollte er die „Affen“ von der englischen Marine auch decken? Was hatte er letztlich mit denen zu schaffen? Er hatte Stewart ausgebootet, genauso scham- und skrupellos würde er jetzt die anderen in die Pfanne hauen.
„Also gut“, begann er. „Wir haben alle zu einem Verband von fünf Schiffen gehört, der von England in die Karibik gesegelt ist, um den Seewolf zu jagen.“ Er berichtete alles, was er wußte, und gab de la Cuesta schließlich sogar noch den Hinweis, wo der berüchtigte „El Lobo del Mar“ zu finden wäre.
Damit lieferte er seine Landsleute in der Karibik an den gemeinsamen Feind Spanien aus, doch dieser Verrat bereitete ihm nicht die geringsten Gewissensbisse, denn schließlich rettete er dadurch die eigene Haut, und die bedeutete ihm mehr als alles andere auf der Welt.