Читать книгу: «Seewölfe Paket 22», страница 9

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4.

Stewart musterte Gretton aus schmalen, haßsprühenden Augen. Er überlegte sich, ob er ihn wegen der Anrede zurechtweisen sollte, verzichtete dann aber darauf. Er konnte sich jetzt nicht mit Fragen des Protokolls und der allgemeinen Formen aufhalten. Vordringlich war das Unternehmen, das er sich in den Kopf gesetzt hatte und unbedingt durchführen wollte.

„Das ist so“, sagte er. „Ich habe den Entschluß gefaßt, wieder zur Insel zurückzukehren, weil ich gestern die beiden Schiffe des Piraten Killigrew entdeckt habe.“

„Wo?“ fragte Corbett.

„Sie ankern in einer Bucht der Pensacola Cays etwa vierzig Meilen südöstlich dieser Insel“, erwiderte Stewart. „Letzte Nacht haben wir einen Angriff gewagt, und zwar auf beide Schiffe, aber der ist fehlgeschlagen.“ Er schilderte in knappen Zügen, was sich zugetragen hatte.

„Verrückt, das Ganze“, sagte Gretton. „So ganz ohne Pulver und Kugeln. Kaum zu fassen.“

„Den Angriff habe ich nur unternommen, um die beiden Schiffe für die Kameraden von der ‚Orion‘ und der ‚Dragon‘ zu erobern“, sagte Stewart. Er blickte reihum in die Gesichter der Männer und versuchte, bieder dreinzuschauen. Aber ihre Mienen blieben verschlossen. Sie trauten ihm nicht. Bei ihnen hatte er verspielt. Trotzdem versuchte er, sich wieder durchzusetzen. Dazu gehörte wirklich Diplomatie.

„Wenn wir jetzt mit den Jollen – auch mit meiner, die dieser Schurke O’Leary mit seinem Gesindel entführt hat – den Angriff auf die beiden Schiffe wiederholen, dann haben wir natürlich eine sehr gute Aussicht, sie zu kapern“, fuhr er hastig fort. „Ist das nicht ein Angebot?“

„Reiner Wahnsinn“, sagte Gretton.

„Aber Sie meinen es gut mit uns, Stewart, nicht wahr?“ sagte Corbett in sarkastischem Tonfall.

„Ja“, erwiderte Stewart. „Damit wir nicht mehr schiffbrüchig sind. Außerdem erfüllen wir damit den Auftrag Ihrer Majestät, den Verräter und Betrüger Philip Hasard Killigrew gefangenzunehmen.“

„Ja, wir schlagen also zwei Fliegen mit einer Klappe“, sagte der Zweite Offizier der „Orion“.

„Und darüber sollten wir eigentlich froh sein“, sagte Bush, der Decksälteste der „Orion“. „He, warum freut sich denn keiner? Seid ihr etwa schwerhörig?“

„Aber zunächst muß meine Jolle verfolgt und aufgebracht werden“, sagte Stewart. „Das ist jetzt das allerwichtigste.“

Corbett erwiderte kalt: „Also gut. Wenn Sie Ihre Jolle zurückhaben wollen, können Sie ja hinter ihr herschwimmen. Was die anderen Jollen betrifft, so denke ich gar nicht daran, sie in einem leichtfertigen Angriff auf zwei ungewöhnlich kampfstarke Schiffe aufs Spiel zu setzen, geschweige denn Männer aufzuopfern – noch dazu in einem Kampf gegen einen Mann, der wohl der persönliche Feind einer gewissen Adels-Clique ist, aber niemals ein Gegner der Krone oder Englands, wie er wiederholt mit seinen Kämpfen gegen Spanien bewiesen hat.“

„Was?“ schrie Stewart plötzlich los. „Sie stellen sich auf die Seite dieses Piraten?“

„Ich sage nur, wie die Sachlage ist.“

„Der Killigrew-Bastard ist unser aller Feind!“ brüllte ihn Stewart mit hochrotem Gesicht an. „Hören Sie doch auf, sich was anderes vorzumachen! Er hat die Spanier bekämpft, um sich ihr Gold und Silber unter den Nagel zu reißen!“

„Und er ist dafür auch von Ihrer Majestät, der Königin, mit dem Ritterschlag geehrt worden“, sagte Corbett völlig ruhig.

„Sie haben sich mit ihm verbündet!“

„Ich diene nach wie vor der Marine.“

„Pirat!“ brüllte Stewart. „Ihr seid alle Piraten! Aber ich zeige euch, wie ich mit Lumpenpack wie euch umspringe!“ Er versuchte, Ross den Säbel zu entreißen und wollte sich damit auf Corbett stürzen. Doch Ross wich aus und riß die Muskete herum. Der Schaft traf Stewarts Brust und warf ihn zurück.

Stewart verlor völlig die Beherrschung und schlug wild um sich.

„Ich bringe euch alle um!“ schrie er. „Ihr seid Galgenstricke! Drecksgesindel! Nicht besser als O’Leary und die Crew von Bastarden!“

Bush, Ross und einige andere Männer der „Orion“ fielen über ihn her.

„Du blöder Hund!“ stieß Bush wütend hervor. „Leuteschinder! Du hast wohl schon vergessen, was du uns angetan hast, wie?“

Ein paar Schläge prasselten auf Stewart ein. Er ging zu Boden, versuchte noch, sich zu wehren, hatte aber keine Chance. Zuletzt schützte er seinen Kopf mit den Händen.

„Aufhören“, sagte Corbett. „Ihr bringt ihn sonst noch um.“

„Das hätte der Kerl verdient“, sagte Ross aufgebracht.

Aber die Männer ließen von Stewart ab. Die Tracht Prügel, die er bezogen hatte, wirkte auch so schon. Er blutete aus ein paar Platzwunden und Kratzern, auf seiner Stirn begann eine Beule zu schwellen. Halb benommen lag er auf dem weißen Sand, vor lauter Schmerzen konnte er ein Stöhnen jetzt nicht mehr zurückhalten.

Damit war der Traum, noch irgendeinen seiner dunklen Pläne zu verwirklichen, für ihn aus. Er hatte sich bei diesem Karibik-Unternehmen zu viele Übeltaten geleistet. Wie durch einen Schleier erkannte er die Gestalt von Sir Edward, als er aufblickte. Dieser war nun endlich erschienen und trat auf ihn zu.

„Fesseln und unter Bewachung in eine der Hütten sperren, den Mann“, befahl er.

„Sir“, sagte Stewart mit dunkler, undeutlicher Stimme. „Die Jollen. Wir – müssen …“

„Ich habe jedes Wort gehört“, sagte Tottenham kalt. „Aber wir sehen von einer Verfolgung der Jolle oder einem Angriff auf die beiden Schiffe ab, wie Mister Corbett Ihnen bereits zu verstehen gegeben hat.“

Stewart wollte noch etwas dazu äußern, aber seine Stimme wurde breiig, man konnte kein Wort mehr verstehen. Dann brach er bewußtlos vor den Augen der um ihn versammelten Männer zusammen.

„In die Hütte mit ihm“, sagte Tottenham. „Und halten Sie weiterhin die Augen offen. Ich glaube zwar nicht, daß auch O’Leary so verrückt ist, zurückzukehren, aber man kann ja nie wissen, was kommt.“

Darüber waren sich alle einig, und Bush, Ross und die anderen Männer nahmen wieder ihre Wach- und Kontrollgänge über die Insel auf, nachdem sie den besinnungslosen Stewart gefesselt und in eine der Unterkünfte geschleppt hatten.

Mit gierigen Augen blickten O’Leary, die Killigrew-Brüder und die Kerle der Crew auf den ersten Goldbarren, den O’Leary der einen Kiste entnahm. Inzwischen war es ihm gelungen, sie zu öffnen.

Das Gold hatte einen matten Glanz, der die Lichtstrahlen der Sonne reflektierte.

„Schwer, das Ding“, sagte O’Leary. „Und die anderen sehen genauso hübsch aus.“ Er warf einen Blick in die offene Kiste und grinste.

„Darf ich mal sehen?“ fragte Thomas Lionel.

„Ja, aber paß auf, daß der Barren nicht ins Wasser fällt“, erwiderte O’Leary.

„Ich bin doch nicht blöd“, brummelte Thomas Lionel.

„Aber ungeschickt“, sagte sein Bruder.

„Ist das nicht das gleiche?“ fragte einer der Kerle.

„Nein“, sagte Thomas Lionel. „Und ich laß mir auch nicht gefallen, daß ihr mich dumm anredet.“

„Das tut doch keiner“, sagte sein Bruder mit breitem Grinsen. Er nahm den Barren aus der Hand von O’Leary in Empfang und hob ihn prüfend an. „Wie viele Unzen wiegt der denn?“

„Hundert“, sagte einer der Kerle.

„Quatsch“, meinte ein anderer. „Zehn.“

„Gib her“, drängte Thomas Lionel seinen Bruder. „Ich will mal einen richtig dicken Klotz Gold halten. Ach, ist das schön.“ Er ließ sich den Barren aushändigen, aber fast fiel er ihm auf die Füße. „Mann, daraus könnte man ein ganzes Schwert aus Gold gießen, was?“

„Zweifellos“, erwiderte Simon Llewellyn. „Aber das wäre reine Verschwendung.“

„Na, meinetwegen“, sagte Thomas Lionel. „Aber vielleicht könnte man hundert hübsche Ketten daraus herstellen.“

„Was du willst“, sagte O’Leary. „Aber gib den Brocken wieder her, ich will ihn in die Kiste zurückpacken.“

Thomas Lionel preßte den Barren an sich. „Nein! Ich behalte ihn! Er ist mein Anteil!“

„Wir teilen später“, sagte O’Leary. „Das haben wir vorhin schon vereinbart.“

„Sei brav und rück den Barren wieder raus“, sagte nun auch Simon Llewellyn. „Wir haben das wirklich so abgesprochen. Oder hast du’s vergessen? Leidest du an Gedächtnisschwund oder so, wegen deiner Blessur?“

„Ziehst du mich deswegen jetzt auch auf?“ stieß Thomas Lionel schrill hervor.

„Nein.“

„Fehlt noch, daß du sagst, mein Grips sei angekratzt.“

„Ist er das nicht?“ fragte O’Leary, dann stieg er über eine Ducht und streckte die Hand aus. „Den Barren her, wir schließen die Kiste wieder ab, und damit hat sich der Fall.“

„Hältst du mich für verrückt?“ fuhr Thomas Lionel ihn an.

„Für total bescheuert, wenn du’s genau wissen willst.“

„Das laß ich mir von dir nicht sagen!“

„Von mir nicht?“ O’Leary lachte roh und wandte sich an die anderen. „Dann sagt ihr es ihm.“

„Ja, einen Schlag hast du weg, Söhnchen“, sagte einer der Kerle. „Aber das braucht dich nicht zu kratzen. Nicht jeder kann im Kopf richtig sein.“

„Drecksäcke!“ Thomas Lionel hielt den Barren mit beiden Händen außenbords. „Da, seht mal, was ich mit dem blöden Mistding mache!“

„Ich hab’s ja gleich gesagt“, brummte O’Leary. „Der Kerl ist total bescheuert.“

„Nimm das zurück, was du gesagt hast!“

„Gut. Ich nehme es zurück und entschuldige mich.“

Thomas Lionel kicherte. „Dann ist es gut.“ Er zog den Barren wieder zu sich heran. Dann, einem jähen Entschluß folgend, warf er ihn O’Leary vor die Füße. Es krachte, und fast hatte es den Anschein, als sei eine der Planken beschädigt. Doch das war nicht der Fall.

O’Leary stieß einen Wutschrei aus, der wie eine Mischung aus Brüllen und Heulen klang, und wollte sich auf Thomas Lionel stürzen. Simon Llewellyn fuhr jedoch hoch, um seinen Bruder zu verteidigen, und zwei Kerle hielten den fluchenden Bootsmann an beiden Armen fest.

„Laßt mich los!“ brüllte O’Leary. „Ich bringe ihn um, den blöden Hund!“

„Ich hau’ dir die Rübe zu Brei!“ kreischte Thomas Lionel.

„Hört doch endlich auf!“ rief einer der Männer. „Fangt nicht schon wieder an! Wir müssen zusammenhalten, verflucht noch mal!“

Es gelang ihnen, O’Leary halbwegs zu beruhigen. Er stieß zwar noch üble Verwünschungen aus und warf Thomas Lionel dolchspitze, mörderische Blicke zu, aber allmählich verrauchte seine Wut, und er kehrte auf seinen Platz am Bootsheck zurück.

Sorgsam verstaute er den Goldbarren wieder in der Kiste und riegelte sie zu. Dann befaßte er sich eingehend mit einer Seekarte, die Charles Stewart an Bord zurückgelassen hatte.

Simon Llewellyn untersuchte den Boden der Jolle und hob grinsend den Kopf.

„Nichts kaputt“, sagte er. „Keine Planke beschädigt. Dabei ist der Barren ganz schön schwer.“

„Halt’s Maul!“ zischte einer seiner Kumpane. „Das fehlte uns noch, daß ihr uns den Kahn kaputtschlagt. Wenn ihr euch noch mal so ein Ding leistet, rechnen wir miteinander ab, verstanden?“ Er sah dabei Thomas Lionel an. Der senkte den Blick und kaute angelegentlich auf der Unterlippe herum.

„Wir gehen auf Westkurs“, sagte O’Leary plötzlich. „Das bietet sich an.“ Er schaute von der Karte auf. „Nach der Karte hier liegt im Westen – an die hundertzwanzig Meilen entfernt – das Land Amerika.“

Einer der Kerle warf einen Blick auf die Seekarte.

„Sieht riesig aus“, brummte er. „Und da sind sicher auch Häfen an der Küste.“

„Eben“, sagte der Bootsmann. „Da will ich hin.“

„Eine gute Idee“, sagte ein anderer Mann der Crew. „Endlich mal wieder richtig einen saufen, was? Und Weiber gibt’s in den Häfen auch.“

„Aber keine Indianerhuren“, sagte sein Nebenmann. „Sondern Spanierinnen und Französinnen.“

„Keine Engländerinnen?“ fragte Simon Llewellyn.

„Weiß ich nicht“, erwiderte der andere. „Aber auf die Suppenhühner leg’ ich auch keinen gesteigerten Wert.“

Die anderen lachten, und sogar O’Leary grinste jetzt.

Rasch wurde er jedoch wieder ernst, beugte sich vor und sagte: „Es sind spanische und französische Häfen, Leute, das haltet euch mal vor Augen. Aber mich beeindruckt das nicht weiter. Wir haben schließlich das Gold, und wenn wir es geschickt genug anstellen, sollte es auch möglich sein, daß wir uns ein gutes, handiges Schiff besorgen.“

„Ein Schiff“, sagte der Kerl, der ihm gegenüber auf der Ducht saß. „O ja, Mann, das wäre was! Ein eigenes Schiff! Wer hätte je gedacht, daß wir eins kriegen! Dann kann uns auch Sir John gestohlen bleiben.“

„Wie war das?“ sagte Simon Llewellyn aufbegehrend. „So haben wir aber nicht gewettet!“

„Das haben wir auch nicht“, sagte O’Leary. „Mit dem Schiff klopfen wir den Alten raus, das ist mal sicher. Und dann geht’s los, auf Kaperfahrt. Wir holen uns die ‚Lady Anne‘ wieder und überfallen jede Menge spanische Galeonen.“

„Gold und Silber“, sagte einer von der Crew lachend. „Und Diamanten, Edelsteine, Perlen! Das wird ein Leben! In Saus und Braus!“

„Wir sehen ganz einfach zu, daß sich zu den beiden Goldkisten hier noch viele andere gesellen“, sagte O’Leary. „Für uns ist das keine Schwierigkeit, das haben wir ja wohl bewiesen. Wir dürfen nur keine Hohlköpfe wie Stewart oder Monk oder Doherty dabeihaben. Keine Fremden.“

„Und selber essen macht fett“, sagte ein Kerl mit zustimmendem Kopfnicken.

O’Leary warf wieder einen Blick auf die Karte, nachdem das Manöver vollzogen war und die Jolle hoch am Wind auf Kurs lag. Über Steuerbordbug liegend rauschte sie westwärts. Das fremde, vielverheißende Land Amerika schien schon bald zum Greifen nah zu sein.

Jetzt waren die Kerle wieder voller Hoffnung. Es wurden bereits die kühnsten Pläne geschmiedet, wie man die Spanier überfallen würde. Tollkühne Raids, denn diese Crew des Teufels schreckte vor nichts zurück.

O’Leary sagte: „Soweit mir bekannt ist, haben die Spanier eine feste Segelroute für ihre nach Spanien zurückkehrenden Schatzschiffe.“

„Solche Schiffe wie die ‚Santa Cruz‘“, sagte Thomas Lionel.

„Solche“, sagte O’Leary, warf ihm dabei aber einen finsteren Blick zu. „Also, die Route führt von Havanna durch die Florida-Straße zu den Bermuda-Inseln und von dort aus quer über den Atlantik und die Azoren nach Spanien.“

„Da kann man ganze Konvois aufbringen“, sagte einer der Kerle.

„Und in die Herde einfallen wie ein reißender Wolf“, fügte der Bootsmann grinsend hinzu. „Ja, so stelle ich mir das auch vor. Daß wir hier, in der nördlichen Florida-Straße, auf den Bastard Hasard Killigrew gestoßen sind, beweist ja auch, daß er in dieser Ecke ebenfalls herumräubert.“

„Und der räubert nur, wo es wirklich was zu holen gibt“, sagte Simon Llewellyn.

O’Leary spuckte kräftig ins Wasser und blickte dann voraus. „So ist es. Und was der kann, können wir auch. Oder hat einer von euch Angst?“

Die Kerle grinsten und lachten, und einige von ihnen ließen entsprechende Bemerkungen fallen.

„Hei, das wird ein feines Leben!“ rief einer von ihnen. „Nur noch tüchtiges Rupfen – und Weiber, Wein und Gold in rauhen Mengen!“

Simon Llewellyn hockte neben seinem Bruder und hatte die Hände vor dem Bauch gefaltet.

„Bald sind wir alle steinreich“, sagte er. „Wunderbar. Irgendwo, auf einer wilden Insel, richten wir uns häuslich ein, und keiner kann uns was anhaben.“

Das war keine Utopie. Mit einer Meute wie dieser konnte man immer noch sehr viel auf die Beine stellen, wenn sie in der Zwischenzeit auch der Umstände halber um einige Männer vermindert worden war. Darauf verließ sich ein Mann wie Simon Llewellyn Killigrew. Sein Bruder Thomas Lionel dachte genauso. Sie würden Schiffe kapern und Festungen stürmen und bald die unumstrittenen Herren der Karibik sein. Der Seewolf war ohnehin erledigt – wer sollte ihnen da noch im Wege stehen?

5.

Genau sechs Tage zuvor, also am 18. August, hatte der englische Verband auf der Fahrt südwärts entlang der amerikanischen Ostküste das spanische Fort St. Augustine passiert – die erste spanische Niederlassung in Florida.

Weder Sir John Killigrew noch Kapitän Tottenham, Kapitän Stewart oder Rooke und Wavell hatten jedoch Notiz von dem Kastell oder dem Hafen genommen, zumal beide auch durch die davorliegende Insel Anastasia verdeckt waren. So waren sie völlig unbekümmert weitergesegelt: die „Lady Anne“, die „Orion“, die „Dragon“, die „Centurion“ und die „Eagle“.

Etwas später fand der Überfall auf die spanische Galeone „Santa Cruz“ statt, und diese Begebenheit zerriß den Verband. George Rooke und James Wavell, die Kapitäne der „Centurion“ und der „Eagle“, waren über Sir Johns Alleingang empört und sonderten sich ab, um unverzüglich zurück nach England zu segeln.

Die „Lady Anne“ wurde auf der Insel der Grand Cays vom Seewolf aufgebracht, Jean Ribault überführte sie samt ihrer Schatzladung zur Schlangen-Insel. Siri-Tong versenkte mit der „Caribian Queen“ die Kriegsgaleone „Orion“ und „Dragon“. Damit bestand der einst so stolze Verband nicht mehr, und das Unternehmen war gescheitert.

Dennoch war es gelungen, den „Bastard“ Philip Hasard Killigrew „zur Strecke zu bringen“, und darüber freute sich besonders diebisch Sir John Killigrew, der sich in der Vorpiek der „Isabella“ grinsend die Hände rieb.

Die Spanier von Fort St. Augustine hatten von diesen Geschehnissen nicht die geringste Ahnung. Aber die fünf Schiffe – vier Kriegsgaleonen und Sir Johns Dreimastkaravelle – waren von den Ausguckposten auf dem Wehrturm des Kastells natürlich gesichtet und auch als englischer Verband erkannt worden.

Als die Schiffe weitersegelten und schließlich ganz verschwanden, atmeten alle auf, besonders der Festungskommandant. Es hatte schon einige Überfälle auf St. Augustine gegeben. Bei einem solcher Raids war ein gewisser „El Lobo del Mar“ als lachender Dritter aufgetaucht und hatte die in der Festung lagernden Schätze mitgehen lassen. Das war der tollkühnste Handstreich gewesen, den es hier je gegeben hatte.

Der derzeitige Kommandant war erst seit ein paar Monaten in seinem Amt, aber man hatte ihm haarklein erzählt, wie es seinerzeit zugegangen war. Immer, wenn er daran dachte, lief es ihm eiskalt den Rücken herunter.

Das Kastell war teilweise neu aufgebaut worden. Neue Kanonen standen auf den Wehrgängen, bereit, alles in Fetzen zu schießen, was sich in kriegerischer Absicht dem Hafen näherte. St. Augustine lag isoliert und war ein vorgeschobener Posten, der letzte Hafen für die Konvois, die die Karibik mit dem Ziel Spanien verließen, und der erste Zufluchtsort für Schiffe aus der Alten Welt, die sich vor Stürmen in Sicherheit bringen mußten oder Kranke oder Verletzte an Bord hatten.

Es war kein schöner Platz, dieses St. Augustine, denn es war von tückischen Sümpfen umgeben, die Giftschwaden verbreiteten und den Tod brachten. Das Sumpf- und Schüttelfieber hatte schon viele Soldaten getroffen, die hier ihren Dienst taten, und mancher hatte die Festung nur mit den Füßen voraus wieder verlassen.

Man konnte sich auch anstecken, wenn Kranke von den atlantiküberquerenden Galeonen hier abgeladen wurden. Das ganze Klima war ungesund. Hinzu kam die ständige Furcht vor Überfällen durch Piraten oder Indianer.

Nun, die Indianer waren in der letzten Zeit ruhig geworden. Die Timucuas, ein Stamm der von Ponce de Léon entdeckten Halbinsel, waren ohnehin friedlich. Die Seminolen schienen derzeit kein Interesse mehr an St. Augustine zu haben, sie hatten sich tief in die Sümpfe zurückgezogen. Das war gut so, befand der Festungskommandant, aber was blieb, war die Angst vor den Piraten, die völlig überraschend auftauchen konnten.

Engländer galten natürlich auch als Piraten, auch wenn ihre Schiffe zur Marine gehörten. England, dieses Armenhaus Europas, hatte sowieso keine richtige, sondern nur eine sogenannte Marine, wie die Spanier und auch die Portugiesen hochnäsig behaupteten. Daß diese „erbarmungswürdige Ansammlung von Wracks“ ihrer glorreichen Armada 1588 die Niederlage des Jahrhunderts beigebracht hatte, schienen sie inzwischen fast schon wieder vergessen zu haben.

Der Verband von fünf Schiffen war auf See erschienen wie ein Spuk und wie ein solcher auch wieder verschwunden. Sollte man dennoch Bedenken haben? Ja – es bestand aller Anlaß dazu.

Ganz unverhofft konnte dieser Fünfer-Verband von offensichtlich gut armierten Schiffen zurückkehren und möglicherweise St. Augustine angreifen. Man wußte nie, was in den Köpfen dieser angelsächsischen Dickschädel vor sich ging.

Darum war man in Fort St. Augustine alarmiert. Das Auftauchen englischer Kriegsschiffe vor der Ostküste von Amerika konnte, alles in allem betrachtet, nichts Gutes bedeuten. Selbstverständlich hätte der Kommandant gern entsprechend gehandelt, als sie vorbeisegelten, aber ihm waren zu diesem Zeitpunkt die Hände gebunden. Man wäre am besten sofort ausgelaufen, um diesen Engländern auf den Zahn zu fühlen und es ihnen gründlich zu verleiden, überhaupt hier aufzukreuzen. Doch dazu mußte man ein kampfstarkes Geschwader haben, und das war leider nicht der Fall.

Nur zwei Kriegsgaleonen standen zur Verfügung, und die befanden sich an diesem 18. August zur Überholung in der Werft. Es war paradox – und höchst gefährlich zugleich. Don Gregorio de la Cuesta, der dienstälteste Kommandant einer der beiden Galeonen, bat den Festungskommandanten aus diesem Grund um eine dringende Unterredung.

„Wir können den Engländern nicht trauen“, sagte er, sobald er die Diensträume betreten hatte. „Wir müssen die Schiffe so schnell wie möglich ausrüsten, trotz der Überholungsarbeiten.“

„Darüber habe auch ich schon nachgedacht“, sagte der Kommandant. „Was haben Sie vor, de la Cuesta?“

„Ich will den Engländern nachspüren oder zumindest Havanna anlaufen und den Gouverneur, Don Antonio de Quintanilla, wegen dieses Verbandes warnen.“

„Sie glauben, die Engländer laufen Kuba an?“

„Möglich ist alles, oder schließen Sie das etwa aus?“

„Nein.“

„Genausogut können sie hierher zurückkehren“, sagte de la Cuesta.

„Ja. Einer ihrer Ausgucks könnte das Kastell sehr wohl entdeckt haben“, sagte der Kommandant. „Jetzt bedienen sie sich eines Tricks und warten in irgendeiner Bucht die Nacht ab, um uns in Sicherheit zu wiegen und dann über uns herzufallen.“

„Señor“, sagte de la Cuesta. „Noch sind alle Möglichkeiten offen. Doch ungeachtet dessen sollten wir die Arbeiten an den Schiffen vorantreiben. Ich bitte Sie aus diesem Grund um alle Männer, die Sie entbehren können, dann sind wir schneller fertig. Es geschieht zum Schutz von St. Augustine, bitte bedenken Sie das.“

„Ich habe mir das schon überlegt“, sagte der Festungskommandant. „Sie erhalten alle Männer, die Sie brauchen.“

So wurde verstärkt an den in der Werft liegenden Galeonen geklopft und gehämmert, gepönt und kalfatert. De la Cuesta legte sich in der Zwischenzeit einen Plan zurecht. Griffen die Engländer in den nächsten zwei, drei Tagen Fort St Augustine nicht an, dann bedeutete dies, daß sie tatsächlich weitergesegelt waren. In dem Fall wurde die Havanna-Theorie, die er entwickelt hatte, aktuell, und es galt, so schnell wie möglich, Kuba anzulaufen, Alarm zu geben und nach Möglichkeit ein Gegengeschwader zusammenzustellen.

Erst am 22. August verließen die beiden spanischen Kriegsgaleonen den Hafen von St. Augustine. Inzwischen waren sie überholt und ausgerüstet. Sie gingen auf südlichen Kurs und segelten bei dem anhaltenden Wind aus Südwesten über Backbordbug liegend mit Steuerbordhalsen.

Am 24. August vormittags wollte es der Zufall, daß der Ausguck im Großmars von de la Cuestas Galeone Backbord voraus die mit Westkurs segelnde Jolle sichtete.

„Welcher Herkunft ist die Jolle?“ fragte de la Cuesta, der auf dem Achterdeck seines Schiffes stand und das auseinandergezogene Spektiv nach Backbord voraus richtete.

Sein Erster Offizier fragte den Ausguck, doch der schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht, Señor! Sie führt keine Flagge!“

„Vielleicht sind es Schiffbrüchige, Señor“, sagte der Erste.

„Oder Engländer. Das stellen wir jetzt fest.“

„Wir steuern die Jolle an, Señor?“

„Wir schneiden ihr den Weg ab“, entgegnete de la Cuesta.

Nur eine geringe Kurskorrektur wurde vorgenommen, und die beiden Kriegsgaleonen segelten im stumpfen Winkel auf die Jolle zu. Bereits aus einiger Entfernung ließ de la Cuesta aus den Masttoppen signalisieren, und der Jollenführer wurde aufgefordert, sich zu erkennen zu geben und beizudrehen.

„Verdammt“, sagte O’Leary genau in diesem Moment. „Das sind Spanier. Die wollen uns schnappen.“

„Hauen wir ab“, sagte Simon Llewellyn.

„Ich will nicht sterben“, begann Thomas Lionel sofort zu jammern. „Nicht in einem spanischen Gefängnis.“

„Sondern im Meer bei den Haien, wenn du nicht deine Schnauze hältst“, sagte O’Leary. Es klang so kalt und gemein, daß Thomas Lionel sich einschüchtern ließ und fortan wieder verstummte. Alle waren ihm dafür dankbar, sogar sein Bruder.

„Wir können nicht mehr abdrehen“, sagte O’Leary. „Wenn wir das tun, eröffnen sie das Feuer. Wir können nur tun, was sie von uns verlangen.“

„Verstehst du denn die Signale?“ fragte einer seiner Kumpane.

„Nein, aber es ist auch so klar, was sie wollen. Sieh mal genau hin.“

„Die haben die Stückpforten offen.“

„Und sie können uns in lauter kleine Krümel zerschießen, wenn sie wollen.“

„Also beidrehen?“ fragte ein anderer Kerl.

„Segel bergen und abwarten“, erwiderte O’Leary. „Gegen Kanonen, Drehbassen und sonstige Schußwaffen haben wir nicht die geringste Chance.“

„Dann ist es also aus mit den schönen Träumen vom feinen Leben?“ fragte Simon Llewellyn mit weinerlicher Stimme.

„Warte doch erst mal ab!“ zischte O’Leary. „Die kühnen Träume habe ich immer noch. So schnell schmeiß ich die Muskete nicht ins Wasser. Aber wir müssen versuchen, diese bescheuerten Dons irgendwie aufs Kreuz zu legen. Wir müssen sie täuschen, kapierst du das?“

„Ja. Wie?“

„Wir stellen uns erst mal dumm“, entgegnete O’Leary. „Wir verstehen kein Wort Spanisch. Stimmt ja auch. Wir sind völlig taub.“

„Und stumm auch“, sagte Simon Llewellyn.

„Wäre doch gelacht, wenn wir diese Olivenfresser nicht an der Nase herumführen könnten“, murmelte ein anderer Kerl, der vorn im Bug saß. „So schlau, wie sie denken, sind sie nun auch wieder nicht. Sie patrouillieren hier an der Küste rum und kontrollieren jeden, den sie antreffen. Das ist ja wohl ihre Aufgabe, nicht wahr?“

„Genau“, erwiderte O’Leary. „Mal sehen, wie ihr Kommandant aussieht. Vielleicht ist er faul und hat keine Lust, groß herumzuspinnen. Wir lassen uns von ihm untersuchen, und dann segeln wir wieder weiter.“

„Und die Kisten?“ fragte einer der Kerle.

„Deck ein Stück Segeltuch darüber“, erwiderte O’Leary. „Vielleicht filzen sie unseren Kahn überhaupt nicht. Vielleicht denken sie, daß wir harmlose Küstenhändler sind. Oder Schiffbrüchige. Vielleicht kann ich ihnen das irgendwie erklären, durch Gesten und so.“

„Wir hauen sie übers Ohr“, sagte Simon Llewellyn. Plötzlich konnte er schon wieder grinsen. „Ha, das wird ein Riesenspaß.“

Zum selben Zeitpunkt wandte sich der Ausguck im Großmars von Don Gregorio de la Cuestas Galeone erneut an das Achterdeck.

„Deck!“ rief er. „Die sehen wie Ausländer aus! Franzosen oder Engländer! Vielleicht auch Holländer! Es scheinen Piraten zu sein!“

„Aha“, sagte de la Cuesta grimmig. „Na, die nehmen wir uns jetzt mal richtig vor.“

„Deck! Sie verstecken was unter der achteren Ducht und packen ein Stück Segeltuch darüber!“

„Gut, das zu wissen“, sagte de la Cuesta.

Dann richtete er selbst wieder sein Spektiv auf die Jolle und erkannte, wie die Kerle im Boot achtern herumhantierten. Offenbar gaben sie sich sehr viel Mühe, etwas unter der Heckducht zu verbergen.

Beigedreht lag die Jolle inzwischen im Wind. Nur noch eine Kabellänge trennte die erste Kriegsgaleone von ihr. Inzwischen hatte auch die zweite Galeone aufgeschlossen, und gemeinsam schickten sie sich an, das fremde Boot zu stellen. Fast wirkte es so, als wollten sie es rammen, dann aber wurden auf beiden Schiffen die Segel aufgegeit, und sie drehten mit ihrem Bugspriet in den Südwestwind.

„Ganz ruhig bleiben jetzt“, sagte O’Leary. „Sie haben uns mit den Drehbassen im Visier. Wir tun so, als wüßten wir überhaupt nicht, was los ist.“

„Ob sie uns das abnehmen?“ fragte Thomas Lionel.

„Laß das nicht deine Sorge sein“, entgegnete einer der Kerle. „Und halte besser weiterhin die Klappe. Die Dons hören uns sonst noch und kapieren, daß wir Engländer sind.“

„Sie kommen“, sagte O’Leary gedämpft.

Er hatte die Augen zusammengekniffen und verfolgte, wie von den beiden Galeonen, die jetzt ohne Fahrt in den Fluten lagen, Boote abgefiert wurden. Männer enterten an den Jakobsleitern ab, in erster Linie Seesoldaten, wie O’Leary und seine Kerle an den Helmen und Brustpanzern erkannten.

„Das Begrüßungskomitee“, zischte Simon Llewellyn. „Hölle, wie wäre es, wenn wir die aus den Booten hauen würden?“

„Wir haben kein Schießpulver“, murmelte der Kerl neben ihm auf der Ducht.

„Brauchen wir nicht.“

„Die Kanonen sind auch auf uns gerichtet, nicht nur die Drehbassen“, raunte O’Leary. „Wenn wir einen blitzschnellen Überfall auf diese Hunde riskieren, eröffnen sie von den Schiffen aus garantiert das Feuer auf uns.“

„Warum nehmen wir die Burschen nicht als Geiseln?“ fragte einer der Kerle leise. „Wir hätten dann auch ihre Waffen.“

„Es sind zu viele“, flüsterte O’Leary. „Gegen die haben wir kaum eine Chance. Wir dürfen nicht den Fehler begehen, der Stewart unterlaufen ist. Wir dürfen uns nicht überschätzen. Vorsicht ist geboten.“

Er verstummte jetzt. Die voll besetzten Jollen näherten sich unter zügigem Riemenschlag. Einige der Seesoldaten hatten sich von den Duchten erhoben und richteten ihre Musketen unmißverständlich auf die Crew der „Lady Anne“. Es war offensichtlich: Die Spanier trauten ihnen nicht und ließen sich nicht auf das geringste Risiko ein.

Wie sahen sie denn auch aus, diese Engländer! Schmutzig und abgerissen waren sie, finster und verbiestert, und Thomas Lionels Kopfverband wirkte auch nicht gerade vertrauenerweckend. Alles in allem sah man ihnen an, daß sie eine Meute von Höllenbraten und Lumpenhunden waren. Kein Mensch der Welt hätte sie für fromme Seepilger oder gute Christenmenschen gehalten.

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