Читать книгу: «Seewölfe Paket 28», страница 22

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5.

Im Zeltlager der Türken wurde gelacht und gesungen. Grelle Frauenstimmen überlagerten die dunkleren Organe der Männer in Tonfolgen, die für Hasards Ohren disharmonisch und klagend klangen. Dennoch mußte es sich um Spottlieder handeln, denn nach jedem Vers brachen alle in grölendes Gelächter aus.

Längst war es dunkel geworden. Flammen prasselten. In der Mitte des großen Platzes war ein Feuer entfacht worden. Große Fleischbrocken wurden an Spießen gedreht. Hasard hatte es gesehen, als die Frauen ihn zuletzt mit Essen versorgt hatten.

Zu dem Zeitpunkt waren draußen die Vorbereitungen getroffen worden. Inzwischen wurde gegessen und getrunken. Von den Glaubensgrundsätzen ernsthafter Muselmanen schien hier niemand etwas zu halten.

Der Seewolf streckte sich auf seinem Deckenlager aus und faltete die Hände hinter dem Kopf. Es war kein besonderes Fest, das da gefeiert wurde. Er wußte es von den Frauen. Nicht einmal die Vorfreude auf die Rückkehr Gökhüyüks und auf die Übernahme der Ladung der „Santa Barbara“ war der Grund für die Ausgelassenheit.

Für Hasard bedeutete der Trubel dennoch keine Ungereimtheit. Üzürgül mußte seine Horde bei Laune halten. Er konnte ihnen nicht wochen- und monatelang ein Lagerleben ohne die geringste Abwechslung zumuten. Da spielte es nicht einmal eine Rolle, daß sie Frauen zur Verfügung hatten.

Die Zahl der Frauen war ohnehin zu gering, so daß nicht jeder der Kerle ständig zu seinem Recht kam. Üzürgül hatte zweifellos Schwierigkeiten damit, geeigneten und ausreichenden weiblichen Nachschub herbeizuschaffen.

Hasard blickte zum Zeltdach hoch, und er sah doch nichts von seiner Umgebung. Nicht die rauhe Unterseite der Häute, nicht die mit winziger Flamme blakende Öllampe, die am Mittelpfosten des Zelts aufgehängt war. Draußen stieg die Stimmung. Die Gesänge wurden lauter, schriller und scheinbar klagender. Das Gelächter steigerte sich zu kindlicher Albernheit.

Die Gedanken des Seewolfs wanderten zu Günel, diesem rätselhaften jungen Wesen, das ihn vom ersten Moment an fasziniert hatte. Immer wieder, bei jeder Begegnung, hatte sie ihn mit Blicken spüren lassen, was sie empfand.

So unverhohlen und ohne Scheu sie dies auch tat, so wenig vulgär waren doch zugleich ihre angedeuteten Gefühlsäußerungen. Ihre Blicke, die kleinen Berührungen ihrer Hände und die hastigen Gesten, die keine der anderen mitbekam, mochten bei jeder anderen Frau billig und primitiv wirken.

Nicht so bei Günel. Sie hatte eine Art von Stolz und Vornehmheit, die dem Seewolf unvergleichlich erschien. Nie zuvor hatte er eine Frau kennengelernt, die auf diese gelassene Weise unnahbar blieb und doch gleichzeitig nichts dabei fand, ihre geheimsten Wünsche zu äußern.

Mit Worten hatte sie das nicht getan. Noch nicht.

Der Zelteingang wurde geöffnet. Eine flackernde Lampenflamme glitt aus der Dunkelheit herein. Hinter dem kleinen Lichtkreis war Günels Gesicht wie hinter einem durchscheinenden Schleier erhellt, und das Dunkel umrahmte dieses Gesicht, als hätte ihr ein Maler auf der Leinwand einen mystischen Schwarzton als Hintergrund gegeben.

Sie zog die Rinderhaut vor dem Eingang wieder zu und richtete sich auf.

Hasard hatte sich aufgesetzt.

„Kannst du Gedanken lesen?“ sagte er lächelnd.

Sie löschte die Lampe und stellte sie auf den Boden.

„Nein“, antwortete sie leise und näherte sich ihm. „Aber ich habe meinen eigenen Gedanken Kraft verliehen und gehofft, daß du an mich denken wirst.“

„Dazu brauchtest du keine Gedankenkraft aufzuwenden. Du hast mich auch so beeindruckt. Es ist fast unmöglich, nicht an dich zu denken.“

„Verspotte mich nur“, sagte sie mit einem spitzbübischen Lächeln. Sie trat in das schwache Licht der aufgehängten Lampe. Unter dem dunkelblauen Seidengewand, das sie trug, zeichneten sich die Linien ihres schlanken Körpers wie von Meisterhand modelliert ab.

„Es ist kein Spott“, widersprach Hasard. „Es ist die Wahrheit, und du weißt es.“

Ihr Blick vertiefte sich in den seinen.

„Ich habe es mir gewünscht“, flüsterte sie. „Wissen konnte ich es wirklich nicht. Du bist ein Mann, der auf dieser Welt alles gesehen hat. Warum solltest du dich ausgerechnet für eine wie mich interessieren? Eine, die sich anbietet. Noch dazu in dieser Situation.“

„Setz dich zu mir“, bat er.

Sie folgte der Aufforderung, und er spürte die Wärme und die Straffheit ihres Körpers.

„Sag jetzt nicht, daß ich mich irre“, hauchte sie und blickte ihm von der Seite her in die Augen.

Er strich über ihr schwarzes Haar, das so seidenweich war wie der Stoff ihres Gewandes.

„Ich sage, was ich denke“, entgegnete er. „Und ich denke, daß du nur in einem Punkt recht hast. Ich habe tatsächlich auf der Welt alles gesehen. Aber das schließt nicht aus, daß man immer noch Neues entdecken kann. Du bist so eine Entdeckung.“

„Schmeichler!“

„Unsinn“, sagte er mit gespieltem Tadel. „Ich interessiere mich nicht für dich. Ich lehne es innerlich ab, mich überhaupt mit dir zu befassen. Und du kannst mir glauben, daß ich die Kraft dazu habe. Trotzdem gelingt es dir, dich in mein Bewußtsein zu drängen. Es ist kein Sich-Anbieten. Wenn es so wäre, würde es mir leichtfallen, dich zu ignorieren.“

Atemzüge lang sah sie ihn schweigend an.

„Es ist wie ein Traum“, murmelte sie dann. „Ich habe immer und immer wieder davon geträumt, einen Mann so reden zu hören wie dich – jetzt, in dieser Minute. Aber ich weiß, daß der Traum nie Wirklichkeit sein wird.“

„Er kann es nicht sein.“

„Ich weiß. Ich gebe mich auch keinen Illusionen hin.“

„Ich bin froh, daß du so vernünftig bist.“

„Es sind eher die Tatsachen, die mich dazu zwingen.“ Günel seufzte. „Alles, was du gesagt hast, ändert doch nichts an dem, was ich bin. Ich befinde mich in der Gesellschaft von Halunken. Selbst wenn ich händeringend beteuern würde, daß mich noch keiner von ihnen auch nur berührt hat, würdest du es mir wohl nicht glauben.“

Hasard zog überrascht die Brauen hoch.

„Ich gebe zu, daß es mir schwerfallen würde.“

„Siehst du.“ Sie nickte. „Äußerlich sieht man mir nicht an, daß ich unter Üzürgüls Schutz eine Sonderstellung genieße. Er hat mich in Kuweit entführt, weil er von meinen Fähigkeiten beeindruckt war. Ich kann lesen und schreiben, und ich beherrsche mehrere Sprachen. Es hat ihn fast umgeworfen, so etwas an einer Frau festzustellen.“

Hasard schüttelte verständnislos den Kopf.

„Er scheint alles zu entführen, was ihn interessiert. Wie ist das geschehen – in Kuweit?“

„Ich arbeitete dort in einem Kontor, bei guten Freunden, mit denen ich auch außerhalb der Arbeitszeit engen Kontakt hatte. Sie haben mir geholfen, mich vom Joch meiner Familie zu befreien. Meine Eltern sind strenggläubig. Ich konnte das nie ertragen. Deshalb habe ich sie verlassen, um meine eigenen Wege zu gehen. Das einzige, was ich ihnen verdanke, ist eine gute Bildung. Ich stamme aus Ankara, mußt du wissen.“

„Und Üzürgül ist dir zufällig über den Weg gelaufen?“

„Nicht gerade zufällig. Er tauchte eines Tages bei uns im Kontor auf, um Gewürze einzukaufen. Während er warten mußte, hat er mich beobachtet und gehört, wie ich mit meinen Freunden sprach. Er hat mir hinterher gesagt, daß er hingerissen gewesen sei und große Mühe gehabt hätte, sich nichts anmerken zu lassen. Später hat er mir dann auf dem Heimweg aufgelauert und mich verschleppt. Ehe ich mich versah, befand ich mich auf einem Segelschiff. Meine Freunde in Kuweit wissen bis heute nicht, was aus mir geworden ist.“

Der Seewolf sah sie ernst an.

„Ich weiß, daß du mir helfen wirst, hier herauszukommen.“

„Ja, das werde ich tun.“

„Dann bringe ich dich zurück nach Kuweit.“

„Wenn es uns beiden gelingt, am Leben zu bleiben.“

„Sprich nicht so, Günel, es gibt keinen Grund dafür. Wir werden es schaffen.“

Sie lächelte wieder.

„Deine Zuversicht ist wundervoll. Ich habe von meinem Traum gesprochen. Du erinnerst dich?“

„Natürlich.“

„Wenn er nur für einen kurzen Moment Wirklichkeit wird, ist es für mich schon etwas, das mir mehr bedeutet als der kostbarste Schatz.“

Hasard verspürte einen Druck in der Kehle. Diese junge Frau brachte ihn mit ihrer Offenheit in einen seltsamen seelischen Zustand. Ein Schwanken zwischen dem Wunsch, sie an sich zu reißen, und der Befürchtung, daß er ihre Sehnsüchte letztlich doch enttäuschen mußte.

Er glaubte ihr jedes Wort, das sie gesagt hatte. Sie genoß in der Tat die Sonderstellung, von der sie gesprochen hatte. Es gab keinen Grund, daran zu zweifeln. Hasard hatte beobachtet, welchen Respekt die anderen Frauen ihr entgegenbrachten.

Und Üzürgül war haargenau so, wie sie ihn geschildert hatte. Ein Mann, der sich von seiner Gier treiben ließ. Der aber auch Grundsätze entwickelte, auf deren Einhaltung er mit allen Mitteln seiner Macht achtete.

Günel schmiegte sich an den großen Mann, der aus einer Welt stammte, von der sie unendlich viel gehört und gelesen, die sie selbst aber nie gesehen hatte. Es war eine Welt, die in ihrer Vorstellungskraft existierte. Sicher waren ihre Eindrücke davon präziser und besser als die manches simplen Menschen, der wirklich in jener Welt lebte.

„Ich bringe dich nach Kuweit“, sagte Hasard und wies sie nicht von sich. „Mehr kann ich dir nicht versprechen.“

Sie blickte mit ihren großen dunklen Augen zu ihm auf.

„Es ist nicht so, daß ich von dir eine Gegenleistung für irgend etwas erwarte.“

Er fühlte sich beschämt.

„Ich wollte dich nicht kränken“, sagte er. „Ich will nur, daß zwischen uns Klarheit besteht.“

„Absolut.“ Sie lächelte. „Der Traum, der für ein paar Stunden wahr wird. Nicht mehr und nicht weniger. Das hat nichts mit unserer Flucht zu tun. Das eine ist nicht vom anderen abhängig. Ich würde dir auf jeden Fall helfen.“

„Ich glaube dir.“

„Dann ist es gut. Ich könnte den Gedanken nicht ertragen, daß du mich für berechnend hältst.“

Er schüttelte sacht den Kopf.

„Wir sollten aufhören, uns gegenseitig etwas zu beteuern. Was ist mit dem Posten draußen vor dem Zelt?“

Günel schob ihren weichen Arm um die Schulter des Seewolfs, und ihre Hand erreichte seinen Nacken.

„Ich habe gewisse Privilegien, die man zu respektieren hat. Ein einfacher Mann würde nie wagen, mir in irgendeiner Weise etwas vorzuschreiben, solange er nicht von Üzürgül ausdrückliche Weisung dazu erhalten hat.“

„Du hast das Fest bewußt abgewartet?“ sagte Hasard.

Sie nickte.

„So etwas geschieht hier öfter. Ich wußte nicht, wann es sein würde. Aber es wird bis in die späte Nacht dauern. Auf den günstigsten Zeitpunkt müssen wir noch warten.“

„Was mir nicht schwerfallen wird“, entgegnete der Seewolf und lächelte.

Sie erwiderte sein Lächeln. Damit stand fest, daß sie ihre Beziehung von der heiteren, lebensfrohen Seite sehen und nicht in Schwermut versinken würde, sobald die Stunde des Abschieds schlug. Sie hatte sich selbst zum Wahrwerden eines Traums verholfen. Es war ihre freie Denkart, die das ermöglicht hatte. Sie würde den Traum dieser Nacht in ihrer Erinnerung bewahren. Unerschütterlich.

Hasard nahm sie in seine Arme.

6.

Das Fest der Küstenhaie wurde immer ausgelassener, immer lauter.

Hasard hatte bisweilen den Eindruck, daß auch der Posten, der eigentlich vor seinem Zelt stehen mußte, an dem Gelage teilnahm und seine Aufgabe höllisch vernachlässigte. Günel hatte den Seewolf jedoch davon überzeugen können, daß Üzürgül gerade auf solche Dinge ein scharfes Auge hatte.

Selbst wenn er dem Posten erlaubte, sich an der Feier zu beteiligen, würde der Anführer der Türken dennoch das Zelt des Gefangenen unter Kontrolle halten. Üzürgül vertrug Alkohol in Unmengen, und er war selbst dann noch hellwach und wachsam, wenn andere schon schnarchend alle viere von sich gestreckt hatten. Außerdem wußte er, daß Günel bei seinem Gefangenen war. Üzürgül verstand es, stets dafür zu sorgen, daß er jemanden hatte, den er zur Rechenschaft ziehen konnte.

Gegen Mitternacht wurde der Lärm schwächer. Immer mehr Gröler verstummten. Die Lautstärke der Stimmen sank auf ein dumpfes Lallen zurück.

Günel hob den Kopf in der Armbeuge des Seewolfs.

„Jetzt ist unser Traum fast zu Ende“, sagte sie mit matter Stimme. Sie brachte ein Lächeln zustande. „Und stell dir vor, wie bitter es für mich ist, den genauen Zeitpunkt dieses Endes selbst zu bestimmen.“

„Du siehst nicht nach Bitterkeit aus.“

„Nein. Du hast recht.“ Sie setzte sich halb auf und blickte voller Sanftheit auf ihn hinunter. „Es ist so, wie ich gesagt habe. Die Stunden unseres Wirklichkeit gewordenen Traums werden zu einem kostbaren Schatz in meiner Erinnerung werden. Dafür werde ich immer dankbar sein.“

„Hältst du mich für einen gefühllosen Holzklotz?“

„Wieso?“ Sie zog die Stirn kraus, und kleine Fältchen entstanden auch über ihrer schmalen Nase.

„Weil du ständig nur von deiner Erinnerung sprichst.“

Sie strich mit den Fingerkuppen ihrer rechten Hand über seine harten Armmuskeln.

„Verzeih. Willst du damit sagen, daß du auch mich nicht vergessen wirst?“

„Genau das.“

Sie senkte ihre Stimme.

„Es macht mich stolz und glücklich zugleich, das zu hören.“ Nach einem langen, stummen Blick beugte sie sich zu ihm und küßte ihn.

Unvermittelt waren Schritte zu hören. Die Schritte wurden lauter als das nachlassende Stimmengemurmel. Im nächsten Moment stand eindeutig fest, daß sich die Schritte dem Zelt näherten.

Günel hatte sich aufgerichtet, und der Seewolf war ihrem Beispiel gefolgt.

„Das ist der Posten“, flüsterte Günel. „Er dürfte zwar nicht mehr ganz sicher auf den Beinen sein, aber er wird nicht einschlafen. Dazu hat er zuviel Angst vor Üzürgül. Wer auf Wache schläft, wird zum Tode verurteilt. Enthauptung. Wir hatten schon ein paarmal solche grausigen Schauspiele. Üzürgül hat mir erklärt, daß es abschreckend wirkt und die Kerle vor Nachlässigkeiten bewahrt.“

„Er weiß, was er tut“, entgegnete Hasard ebenso leise. „Wo steckt er jetzt?“

„In seinem Zelt“, erwiderte Günel. „Daß er den Posten schickt, besagt, daß er sich ins Zelt zurückgezogen hat. Unsere Gelegenheit, Hasard.“

Der Seewolf nickte. Günel kannte den Ablauf des Lagerlebens genau. Sie würde wissen, was sie zu tun hatte.

„Bestimmt hast du dir einen Plan zurechtgelegt“, flüsterte er.

Sie richtete sich auf und verhüllte ihre Nacktheit mit dem Seidengewand. Dann bückte sie sich noch einmal und reichte ihm die Scheide mit dem Krummdolch. Es befanden sich schmale Lederriemen daran, mit denen sie die Scheide knapp unterhalb ihres Knies am rechten Bein zu tragen pflegte.

„Es gibt nur eine Möglichkeit“, sagte Günel. „Da der Posten nie und nimmer einschlafen wird, müssen wir ihn überwältigen.“ Sie zeigte auf den Dolch, den Hasard zwischen den Fingern beider Hände drehte. „Du wirst ihn töten müssen. Nur dann haben wir eine Chance. Selbst in einer Bewußtlosigkeit würde der Mann noch so viel Willenskraft aufbringen, daß er schnell genug aufwacht, um Üzürgül zu alarmieren.“

„Mir scheint, du glaubst an die verborgenen Geisteskräfte des Menschen.“

„Du hast mich durchschaut. Es ist wahr. Aber glaubst du denn nicht, daß die Angst vor Üzürgül selbst solche Dinge bewirken kann?“

„Ich halte es nicht für ausgeschlossen“, antwortete Hasard. „Aber wir brauchen nicht mehr darüber zu reden. Wir werden es so tun, wie du sagst. Ich nehme an, du gehst als erste hinaus, um den Wächter abzulenken.“

„Das habe ich vor“, erwiderte Günel. „Bist du einverstanden?“

„Nur, wenn du dich nicht in Gefahr bringst.“

„Keine Sorge. Wir werden ein kleines Schauspiel inszenieren. Wir fangen an, uns zu streiten, damit der Bursche draußen die Ohren spitzt. Und dann wird er keinen Verdacht schöpfen, wenn ich mich ihm hilfesuchend an den Hals werfe.“

„Die Wirksamkeit der weiblichen List“, sagte Hasard lächelnd. „Dagegen ist einfach kein Kraut gewachsen.“

„Du mußt nur den richtigen Moment abpassen, in dem du zur Stelle bist.“

Der Seewolf nickte ihr beruhigend zu. Dann streifte er seine Sachen über und stieg in die Stulpenstiefel. Günel küßte ihn noch einmal, bevor sie loslegte.

„Bist du verrückt geworden!“ fauchte sie laut und vernehmlich. „Wie kannst du so etwas von mir verlangen!“

Er grinste. Ihre Inszenierung war in der Tat hervorragend.

„Sei still!“ rief er mit gepreßter Stimme. „Um Himmels willen sei still. Wenn einer hört …“

„Ich denke nicht daran!“ fiel sie ihm mit gellender Stimme ins Wort. „Faß mich nicht an! Wage es nicht! Wenn das deine wirklichen Absichten waren, will ich mit dir nichts mehr zu tun haben. Du verdammter, hinterlistiger Kerl!“ Sie warf sich herum und lief zum Zelteingang.

„Günel, so hör doch!“ rief Hasard in gespielter Verzweiflung. „Sei doch vernünftig! Ich habe doch nichts getan, was …“ Er brach ab, seufzte tief.

Günel hatte die Rinderhaut zur Seite geschlagen und schlüpfte ins Freie.

Hasard hörte, wie sie mit dem Posten redete.

„Hast du mitgekriegt, was er von mir verlangte?“ fragte sie auf türkisch. Ihre Stimme bebte vor Empörung.

„Ein bißchen“, sagte der Mann mit schwerer Zunge. „Irgendwas wollte er von dir, was? Irgendwas, was du nicht willst. War doch so, oder?“ Er lachte meckernd.

„Du bist ja betrunken!“ rief Günel vorwurfsvoll. „Reiß dich gefälligst zusammen. Ich werde sonst Üzürgül melden, wie hilfsbereit du zu mir warst.“

Auf einen Schlag hörte sich der Posten hellwach an.

„Was war es?“ fragte er kurz angebunden. „Soll ich Alarm schlagen?“

„Das wird nicht nötig sein.“ Günel tat, als müsse sie tief Luft holen, um die Aufregung zu überwinden. „Der verfluchte Hund hat von mir verlangt, ihm bei der Flucht zu helfen. Er hat allen Ernstes verlangt, ihn auf einem sicheren Weg hinauszubringen. Ich konnte gerade noch entwischen. Er war so weit, daß er mich mit Gewalt dazu zwingen wollte.“

„Ach so“, sagte der Posten, und es klang beinahe enttäuscht.

„Wolltest du etwas anderes hören, du Mistkerl?“ zischte Günel erbost. „Du wirst jetzt gut auf ihn aufpassen, verstanden? Die Verantwortung für ihn liegt ab sofort wieder bei dir.“

„Meine Güte, sei doch nicht so kratzbürstig“, sagte der Posten. Das Rascheln von Stoff war zu vernehmen. „Machen wir uns die letzten Nachtstunden ein bißchen gemütlich. Einverstanden?“

„Laß mich los!“ ächzte Günel. „Wenn du mich nicht sofort losläßt, werde ich Üzürgül alles sagen.“

„Und ich werde alles abstreiten“, entgegnete der Posten lachend. „Ich werde ihm sagen, daß du in Wahrheit scharf auf mich warst. Kein Wunder, nach der Enttäuschung mit dem Engländer.“

„Untersteh dich!“ rief Günel, und die Anstrengung, mit der sie sich loszureißen versuchte, war ihrer Stimme anzuhören.

Es war das Zeichen für Hasard.

Geräuschlos zog er den Dolch aus der Scheide und schnellte los. Mit drei langen Sätzen erreichte er den Zelteingang. Auf dem großen Platz brannten noch Reste von Holzscheiten. Pechlichter in hohen Stangenkörben spendeten zusätzliche Helligkeit.

Hasard erfaßte die Situation im Bruchteil einer Sekunde. Der Posten, der Günel verbissen keuchend an sich klammerte, stand mit dem Rücken zum Zelt. Sie hatte es so arrangiert, denn sie wußte, worauf es ankam.

Der Seewolf packte den Mann an der Schulter, riß ihn herum und tötete ihn, bevor er seinen Schreck überwinden konnte. Vorsichtig ließ Hasard den leblosen Körper zu Boden gleiten, damit kein dumpfer Laut entstand.

Günel war zurückgewichen. Eilig sah sie sich um.

„Schnell!“ zischte sie, nahm Hasard beim Arm und zog ihn mit sich in die dunkle Gasse neben dem Zelt. Dort verharrten sie. Hasard schob den Dolch in die Scheide und verstaute die gesicherte Blankwaffe unter seinem Hosenbund.

„Den direkten Weg werden wir nicht nehmen können“, flüsterte er, nachdem er sich einen Überblick verschafft hatte.

Rings um das Feuer waren hockende und liegende Gestalten zu erkennen. Männer und Frauen. Einige bewegten sich noch, wenn auch schwerfällig und unsicher vom Alkohol. Worte waren nicht mehr zu vernehmen. Wahrscheinlich bewirkte auch dies die Angst vor Üzürgül, der in seiner Nachtruhe nicht gestört werden wollte.

Günel deutete nach links. Ihre Hand zeichnete sich hell in der Dunkelheit ab.

„Wir müssen nach Westen hin einen Bogen um den Schlupfwinkel schlagen. Auf der anderen Seite befindet sich Üzürgüls Zelt.“

„Heißt das, daß du auch so gewaltigen Respekt vor ihm hast? Sogar wenn er schläft und keiner Fliege etwas zuleide tun kann?“

„Er ist ein Teufel“, flüsterte Günel. „Laß es dir gesagt sein.“

Hasard strich ihr über das Haar.

„Verlieren wir keine Zeit mehr. Wie viele Posten sind an der Bucht?“

„Zwei, soweit ich weiß. Einer ist an der Außenbucht postiert, direkt am Flußufer.“

„Dort habe ich nichts gesehen, als sie mich hergebracht haben.“

„Kein Wunder. Der Außenposten hat ein perfektes Versteck im Schilf. Und der andere steht am Verbindungsweg von der Nebenbucht zum Lager. Zusätzliche Wachen läßt Üzürgül nur dann auf stellen, wenn er mit Gefahr rechnet. Aber das dürfte wohl kaum der Fall sein.“

Sie setzten sich in Bewegung. Günel ergriff Hasards Hand. Lautlos drangen sie durch die Zeltgassen zum Westrand des Schlupfwinkels vor. Aus etlichen Zelten waren Schnarchgeräusche zu hören.

Dann, mit einigem Abstand vom Lager, gelangten sie schneller voran. Hasard wußte, daß sie keineswegs schon in Sicherheit waren. Die entscheidenden Hindernisse wollten noch überwunden werden. Den ersten Posten zu überwältigen, ohne daß der andere etwas bemerkte, war die größte Schwierigkeit.

Langsamer, vorsichtiger jetzt, schlugen der Seewolf und die junge Türkin einen Bogen in nordöstlicher Richtung. Der höhere Buschgürtel, der die Innenbucht umgab, war in der schwachen Helligkeit von Sichelmond und Sternen bereits zu erkennen.

Günel kannte einen Trampelpfad, der an der Westseite der Innenbucht zu einer Stelle führte, an der die Frauen gelegentlich badeten. Einen kleinen Strand gab es dort, und man hatte in der Gluthitze der Nachmittage ein wenig Schatten, so daß man sich nicht die nackte Haut von der Sonne verbrennen lassen mußte.

Unbemerkt erreichten Hasard und Günel die Badestelle, und sie verharrten im Schutz von Schilf und Buschwerk.

Nirgendwo rührte sich etwas. Kein Wasservogel, der aufgeschreckt wäre. Kein Landtier, das – unüberhörbar im Gebüsch – die Flucht ergriffen hätte. Und auch von dem Posten am Verbindungsweg war kein Laut zu hören.

Hasard berührte Günels Schulter. Im Dunkel des Buschwerkes sah er das Weiße ihrer Augen. Er näherte sich ihrem Ohr, als er flüsterte. Seine Stimme war nur ein Hauch, in einem halben Yard Entfernung schon nicht mehr zu hören.

„Ich muß näher an den Mann heran. Bleib hier und rühr dich nicht vom Fleck.“

Günel schob ihn nur sanft von sich und gab damit zu verstehen, daß sie seine Anweisung befolgen würde.

Hasard nutzte die beste Möglichkeit, die es für ihn gab. Vorsichtig schob er sich auf den schmalen Streifen Strand hinaus, hielt sich dann aber hart am Rand des Schilfs, so daß er mit dem finsteren Schatten der Wasserpflanzen nahezu verschmolz. Zu erkennen war er in der bleifarbenen Helligkeit von Mond und Sternen nur, wenn er sich bewegte. Doch das geschah so langsam, daß es nur jemandem aufgefallen wäre, der ihn von Anfang an beobachtet hätte.

Zoll für Zoll schob sich der Seewolf voran, immer weiter auf die Liegeplätze der Boote zu. Die Dhau fehlte. Gökhüyük, der Unterführer, war von der sogenannten Verhandlung mit den Männern auf der „Santa Barbara“ noch nicht zurück.

Hasard schaffte nur die Hälfte der Distanz.

Plötzlich ertönte vom Fluß her ein Ruf.

„Ich bin es, Mehmet Gökhüyük!“

„In Ordnung, schon erkannt!“ antwortete eine andere Stimme.

Der Posten an der Außenbucht.

Hasard erstarrte zur Bewegungslosigkeit.

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