Читать книгу: «Seewölfe Paket 28», страница 27
Hasard junior gab sich einen innerlichen Ruck. „Fangen wir gleich an?“
„Ihr unterstützt mich also?“ fragte der Kutscher.
„Natürlich“, erwiderten die Zwillinge wie aus einem Mund.
„Ich brauche Mac nicht zu rufen?“
„Der wird an Deck gebraucht, schätze ich, Sir“, entgegnete Philip junior.
Um die „Santa Barbara“ herum war es inzwischen laut geworden. Die Guffas glitten an Backbord und an Steuerbord längsseits. Haken und Leinen flogen hoch, Pfeile surrten durch die Luft. Die Piraten grölten wie die Besessenen.
Ebel Schachnam feuerte seine Kerle an. „Gebt es diesen Giaurs! Schneidet ihnen die Kehlen durch! Macht sie nieder! Keiner darf entwischen!“
Schon enterten die Kerle wie die Affen. Ein wüster Kampf entbrannte – ein Handgemenge am Schanzkleid. Die Flußräuber sprangen auf den Handlauf, zückten ihre Messer und fuchtelten wild damit herum. Mehrere Kerle richteten sich auf, spannten die Sehnen ihrer Bögen und zielten mit den Pfeilen auf die Mannen der „Santa Barbara“.
Aber jetzt gerieten die Arwenacks richtig in Fahrt. Erstens wegen Ben – zweitens wegen der Dreistigkeit, mit der diese Guffapiraten es wagten, die spanische Lady einfach zu entern. Der Gegenschlag begann – geführt von Edwin Carberry.
Er rammte einem der Kerle die Faust unters Kinn. Der Kerl stieg hoch, flog schräg außenbords und landete mit einem Aufschrei im Wasser.
Dann räumte der Profos den nächsten Schnapphahn unter Zuhilfenahme seines Säbels ab. Heulend folgte der Pirat dem ersten Kumpan ins Wasser. Wieder klatschte es. Wellen entstanden. Die Guffas schaukelten.
Batuti schoß von den Hauptwanten aus einen Pfeil auf einen der anderen Schützen ab. Der Kerl kippte rückwärts in die Fluten. Batutis Pfeil steckte in seiner Brust.
Ebel Schachnam erkannte die Wende, die der Kampf nahm. Er sprang auf die Planken der Galeone und trachtete danach, das Achterdeck zu stürmen. Wenn er den Kapitän als Geisel nahm, mußten die anderen Giaurhunde sich ergeben! Dies war sein einfacher Plan.
Der Plan wurde von Higgy vereitelt, der dem Bärtigen einfach ein Bein stellte. Ebel knallte auf die Planke – im nächsten Augenblick hackte ihm Jeff Bowie seinen scharfgespitzten Eisenhaken in den Hintern.
Der Bärtige brüllte auf und schoß wie der Blitz über die Planken. Er knallte mit dem Kopf gegen die Querwand des Achterkastells und blieb liegen. Somit war sein Einsatz beendet.
Die Männer des Seewolfs kämpften wie die Berserker. Kerl für Kerl schickten sie dorthin zurück, woher er gekommen war – in den Fluß. Dort tummelten sich inzwischen einige, die das Gefecht überlebt hatten, neben den treibenden Leichen ihrer Spießgesellen.
Ferris Tucker hatte erwogen, eine oder zwei Höllenflaschen mit ins Spiel zu bringen. Aber vorerst schien das nicht erforderlich zu sein. Ob Carberry und Blacky, Batuti oder Shane, Don Juan, Roger Brighton oder Pete Ballie – alle schlugen sich mit Bravour und warfen die Guffaräuber zurück.
Hasard befaßte sich indessen mit zwei Piraten, die das Heck der „Santa Barbara“ erklettert hatten. Sie dachten, den Giaurs in den Rücken fallen zu können. Weit gefehlt – der Seewolf erwartete sie mit blitzendem Degen.
Dem einen Kerl fegte Hasard das Messer aus der Faust, dem anderen den Bogen. Dann packte er sie und knallte ihre Schädel zusammen. Sie gaben gurgelnde Laute von sich und flogen rücklings ins Kielwasser.
Hasard warf einen Blick nach unten. Aber es gab keine Angreifer mehr, die sich am Ruderblatt hochzogen. Vielmehr zappelten jede Menge Kerle im Wasser, und einige Piraten versuchten von den Guffas aus, sie an Bord der Ruderboote zu zerren.
Der Seewolf enterte auf die Kuhl ab und drehte sich zu Ebel Schachnam um. Daß der Kerl seinem Gebaren nach der Anführer sein mußte, war ihm nicht entgangen.
„Was machen wir mit dem?“ rief Carberry. „Hängen wir ihn auf?“
Hasard ließ Gnade vor Recht ergehen. Er schleppte den Bärtigen zum Schanzkleid, legte ihn darauf und verpaßte ihm einen Stoß. Der Kerl sauste ab in den Fluß.
Aus und vorbei – der Angriff war zurückgeschlagen. Die Mannen verfolgten, wie die Piraten mit ihren Guffas zum Ufer zurückkehrten. Mit ihren Paddeln gelangten sie nur langsam voran. Und ihre Zahl war stark vermindert. Hasard schätzte, daß es sich höchstens noch um die Hälfte der Bande handelte.
„Die sind wir los“, sagte Shane.
Hasard warf ihm einen Seitenblick zu. „Sag das nicht zu früh.“
6.
Die Fluten des Tigris holten Ebel Schachnam ins Bewußtsein zurück. Sie erinnerten ihn aber auch daran, daß sich jemand mit einem eisernen Haken in seinem Hinterteil verewigt hatte. Der Bärtige tauchte auf, spuckte Wasser aus und fluchte fürchterlich.
Das änderte nichts an der Lage. Der Kampf war verloren, der Enterangriff fehlgeschlagen. Ein paar Kerle – unter ihnen der Grinser – hievten Ebel in das Häuptlingsguffa zurück. Keuchend ließ sich der Anführer auf das Stroh sinken.
„Weg“, sagte er.
Abgehauen wären die Kerle auch ohne diesen Befehl. Zu viele Opfer hatte es gegeben. Und die Giaurs waren bei weitem nicht so leicht zu besiegen, wie man angenommen hatte. Die wehrten sich. Mit Zähnen und Krallen.
Die Guffas bewegten sich auf das Ufer zu. Ebel Schachnam richtete sich auf, preßte eine Hand auf den Hintern und schüttelte die andere Faust hinter der „Santa Barbara“ her, die weiter flußauf segelte.
„Ihr Bastarde!“ schrie er. „Wir kriegen euch noch!“
„Wie?“ fragte einer der Kerle.
Ebel Schachnam sah ihn haßerfüllt an. „Bist du blöd? Habe ich nicht von Anfang an gesagt, daß wir es beim erstenmal vielleicht nicht schaffen?“
„Wir schaffen es nie“, erwiderte Haschira. „Die sind zu stark für uns.“
„Geschwätz!“
„Wir haben viele Tote. Zu viele.“
„So ist die Spreu vom Weizen geteilt“, sagte der Bärtige. „Es gibt keine Memmen, keine Versager oder Schwächlinge mehr unter uns. Jene, die bleiben, werden die Giaurs in einem glanzvollen Kampf besiegen.“
Wieder fügten sich die Kerle. Was blieb ihnen auch anderes übrig? Einen besseren Plan als den von Ebel Schachnam hatte es nicht gegeben. Und fast hätte es mit dem Entern ja auch geklappt. Einige waren dabei vor die Hunde gegangen, gewiß. Aber wollte man dem Anführer die Schuld geben?
Jene, die überlebt hatten, waren froh, daß es sie nicht erwischt hatte. Als sie jetzt mit den Guffas am Ufer landeten, waren auch die Kumpane mit den Pferden zur Stelle. Irgendwie fühlten sich die Kerle schon wieder stärker. Die Bande war noch groß genug. Man würde es erneut versuchen, die Hurensöhne zu besiegen – jetzt erst recht!
Ziemlich verblüfft verfolgten die Männer der „Santa Barbara“, was am Ufer vor sich ging. Reiter tauchten auf – sie führten weitere Pferde mit sich. Die Ziegenhäute der Guffas wurden von ihrem Innengestell gezogen, zusammengelegt und mit den Gestellen auf die Pferde verladen. Und schon galoppierten die Kerle seitwärts in die Dattelwälder und verschwanden.
„Das wird ja immer schöner“, sagte Carberry beeindruckt. „Also, daß die Tröge einen solchen Vorteil haben, hätte ich nicht gedacht.“
„Jetzt weißt du Bescheid“, sagte Old O’Flynn gallig.
„Da braut sich was zusammen“, sagte Shane düster.
„Ja“, pflichtete Hasard ihm bei. „Die Kerle geben nicht auf. Sie können uns mit den lahmen Guffas nicht stromauf verfolgen. Aber sie brauchen mit ihren schnellen Pferden nur weiter flußaufwärts zu reiten und an einer günstigen Stelle ihre sogenannten Tröge wieder zusammenzubauen. Dann können sie den nächsten Angriff unternehmen.“
„Sie werden also irgendwo auf uns warten“, sagte Don Juan.
„Zur Hölle mit ihnen!“ wetterte Roger. „Sie haben meinen Bruder angeschossen!“
„Wie geht es Ben überhaupt?“ wollte Ferris wissen.
„Der Kutscher pult ihm gerade den Pfeil raus“, meldete Mac Pellew.
„Dauert das noch lange?“ fragte Roger.
„Er will nicht gestört werden.“
„Das respektieren wir auch“, sagte der Seewolf. „Und wir bereiten uns natürlich auf die nächste Attacke der Schnapphähne vor.“
„Klar“, sagte der Profos. „Wegen denen kehren wir doch nicht um. Irgendwie bin ich neugierig auf Bagdad geworden.“
„Das sind wir alle“, erwiderte Hasard grimmig.
„Und von ein paar lausigen Schnapphähnen lassen wir uns die Fahrt noch lange nicht vermasseln“, sagte Don Juan de Alcazar.
Die „Santa Barbara“ segelte weiter. Die Männer behielten das Ufer des Tigris scharf im Auge – mit allem mußte jetzt gerechnet werden, auch damit, daß ein Angriff von der anderen Seite des Flusses erfolgte.
Hasard schickte Gary Andrews als Ausguck in den Vormars. Bill behielt seinen Posten im Großmars bei. Dan O’Flynn, der Mann mit den schärfsten Augen, spähte ebenfalls unablässig durch sein Spektiv.
Vorläufig zeigten sich die Galgenstricke aber nicht. Der Dattelwald hatte sie verschluckt. Allerdings konnte Dan hinter dem Ufergestrüpp verwaiste Merkmale der Bande erkennen: Hütten und die Reste eines Lagerfeuers.
„Da haben sie also ihren Schlupfwinkel“, sagte der Seewolf.
„Ob es sich lohnt, da mal kurz zu landen?“ fragte Ferris.
Irgendwie schien er zu bedauern, daß seine Flaschenbomben nicht zum Einsatz gelangt waren. Nachdenklich wog er eine Wurfgranate in seiner rechten Hand.
„Davon halte ich nichts“, erwiderte Hasard. „Wir verlieren nur Zeit. Außerdem könnten uns die Kerle an Land leicht einen Hinterhalt legen. Vielleicht warten sie nur darauf, uns in eine Falle zu locken.“
„Eben“, stimmte Old O’Flynn seinen Worten zu. „Und was haben wir schon davon, wenn wir ihre Hütten anzünden?“
„Das wäre ein Vergeltungsschlag“, meinte der rothaarige Riese.
Big Old Shane war mit Hasard und dem alten O’Flynn einer Meinung.
„Packen wir das Übel lieber an der Wurzel“, sagte er. „Es ist wichtiger, die Kerle zu versengen als ihre Hütten. Und sie greifen bestimmt wieder an. Wir brauchen sie also nicht zu suchen.“
„Was ist, wenn sie bei Nacht angreifen?“ fragte Pete Ballie.
„Dann kriegen sie genauso Zunder“, entgegnete Shane. „Was denn sonst?“
„Pete, bereite dir keine Sorgen“, sagte der Seewolf. „Wir werden entsprechend vorbeugen. Mal sehen, vielleicht schicke ich einen Späher an Land.“
„Melde mich freiwillig, Sir“, sagte Batuti vom Hauptdeck. „Mich sehen die Kerle im Dunkeln bestimmt nicht.“
„Es sei denn, sie erkennen dich an deinen weißen Augäpfeln“, versetzte Blacky grinsend.
Der Gambia-Mann grinste ebenfalls. „Ich mache die Augen halb zu.“
„Und den Mund bitte auch“, sagte der Profos. „Sonst kann man deine Zähne blitzen sehen.“
Der Kutscher erschien an Deck und wies die Spitze des Pfeiles vor, die er Ben Brighton soeben aus der Schulter entfernt hatte.
„Geschafft“, sagte er. „Es war kein leichtes Stück Arbeit; aber Ben geht es schon wieder besser.“
„Bist du sicher, daß es kein Giftpfeil war?“ fragte Higgy besorgt.
„Wäre es ein Giftpfeil gewesen, dann würde Ben nicht mehr leben“, sagte der Profos mit unerschütterlicher Logik.
„Dem habe ich nichts hinzuzufügen“, sagte der Kutscher.
Die Männer atmeten auf. Es hatte ihnen schwer zugesetzt, daß ausgerechnet ihr Erster getroffen worden war. Jetzt sah die Lage schon besser aus.
Hasard ließ eine Runde Brandy ausschenken, dann suchte er Ben in der Achterdeckskammer auf. Ben grinste ihm zu und deutete auf seinen Schulterverband. „Der Kutscher hat mich gut versorgt, was?“
„Ja. Wir sind alle sehr froh, daß es doch noch einigermaßen glimpflich für dich abgegangen ist.“
„Ich habe ja gleich gesagt, daß es nur ein Kratzer ist.“
„Wie wär’s mit einem Schluck Brandy?“ fragte der Seewolf. „Als Arznei.“
„Einverstanden“, erwiderte Ben Brighton.
Dann erkundigte er sich, wie der Kampf verlaufen war. Hasard schilderte ihm kurz den Hergang. Ben lachte rauh. Die Arwenacks hatten den Schnapphähnen eine Lektion erteilt – großartig! Für Ben war die Welt wieder in Ordnung.
Weitere vier Augenpaare hatten das Handgemenge an Bord der Galeone beobachtet – aus einiger Entfernung und aus der Deckung eines schier undurchdringlichen Röhrichts am Ufer des Tigris: Branco Fernan, Ton de Wit, Ludmilla und Güner. Der Lärm, der bei dem Kampf entstand, hatte sie auf den Plan gerufen.
Der Lagerplatz des Trios und des verletzten Kurden lag weiter unterhalb am Fluß. Doch die Geräusche – das Schreien und Heulen der Kerle waren bis an ihre Ohren gedrungen. Der Riese war als Späher aufgebrochen und hatte kurz darauf von dem Überfall auf eine Dreimastgaleone berichtet. Da waren auch Branco Fernan und das Mädchen zu dem Platz aufgebrochen, von dem aus man das Geschehen verfolgen konnte.
Der Kurde war noch geschwächt. Dennoch hatte er es sich nicht nehmen lassen, ebenfalls den Überfall zu beobachten. Halb kriechend, halb humpelnd hatte er seine drei Lebensretter erreicht.
Es nutzte Branco Fernan wenig, daß er den Piraten mit strafenden Blicken bedachte. Güner sah zu, wie die Bande von Galgenstricken ins Wasser befördert wurde und die Flucht ergriff.
Der Kurde dachte nicht mehr an seine Wunden, die erneut aufbrechen konnten. Er hatte jetzt auch keinen Blick für Ludmilla, deren entzückend geformte Kehrseite sich in seiner unmittelbaren Nähe befand. Güner dachte nur an Ebel Schachnam, der die Niederlage seines Lebens erlitten hatte.
Güner rieb sich die Hände. „Das geschieht diesem Mistkerl recht. Jetzt hat er sein Fett.“
„Es sind also deine Leute, die da eine Abreibung kriegen?“ fragte Ton de Wit. Er war nicht immer der schnellste Denker.
„Ja.“
„Sie sind dumm“, sagte der Riese.
„Aber sie haben Mut“, sagte Branco Fernan.
Der Riese beschrieb eine wegwerfende Gebärde. „Narrenmut. Der Kapitän der Galeone hätte nur seine Kanonen anzünden brauchen, und er hätte alle geradewegs in die Hölle geblasen.“
„Er hat zu spät bemerkt, was die Kerle in den Guffas eigentlich wollten“, meinte das Mädchen.
„So ist es“, bestätigte der Riese.
Güner ließ sich alles von Branco Fernan übersetzen, dann sagte er: „In erster Linie haben sie Hunger. Ihre Mägen sind leer. Wenn es Ebel, dem Sohn einer triefäugigen Hure, nicht gelingt, ihre Mäuler zu stopfen, ergeht es ihm übel.“
„Noch übler?“ fragte Ton de Wit verdutzt.
„Unser Freund meint, sie zerfleischen sich bald gegenseitig“, erklärte Branco Fernan. „Diese Piraten haben ja keinerlei Moral und Anstand. Sind sie unzufrieden, fallen sie übereinander her.“
Der Kurde grinste schief. „Ich möchte mal wissen, was Ebel jetzt vorhat.“
Eben waren die Flußräuber am Ufer gelandet. Sie verfrachteten ihre Guffas und die Pferde und jagten davon – in den Dattelwald. Ton de Wit gab einen glucksenden Laut von sich.
„Die haben genug“, sagte er.
„Nein“, erwiderte der Kurde. „Sie reiten flußaufwärts. Dann lauern sie der Galeone noch einmal auf.“
„Und der Kapitän feuert seine Kanonen ab“, sagte der Riese. „Aus und vorbei.“
„Vielleicht warten sie ja die Nacht ab“, meinte Branco Fernan.
„Unsereins kämpft nachts nicht so gern“, sagte Güner. „Die meisten Kerle sind abergläubisch und reden ständig von Geistern und solchem Kram. Aber ich denke schon, daß sie heute nacht zuschlagen, die räudigen Ratten.“
„Was für ein schönes Schiff“, sagte Ludmilla seufzend. „Ob es wohl aus der Heimat kommt?“
„Es sieht mir mehr nach einem spanischen Segler aus“, erwiderte der gottesfürchtige Ritter.
„Wie gerne würde ich mitfahren“, sagte das Mädchen. Ihr Gesicht hatte einen verzückten Ausdruck angenommen.
Ton de Witt griff nach ihrer Schulter.
„Laß dir nicht einfallen, wieder zu verduften“, sagte er grob. „Diesmal haue ich dir den Arsch voll, das schwöre ich dir. Außerdem segelt der Kahn flußauf und nicht flußab. Der Kapitän will nach Bagdad, schätze ich. Vielleicht hat er Ladung, die er auf dem Markt verkaufen will.“
„Bagdad“, murmelte Ludmilla.
„Da würde ich nicht hingehen“, sagte der Kurde. „Es könnte sein, daß dich irgendwelche Halunken entführen und als Hure verkaufen, Mädchen. Sei vorsichtig.“
„Als Hure?“ Ludmilla schüttelte den Kopf. „Nein, das will ich nicht.“
„Was tun wir jetzt?“ wollte Ton de Wit wissen.
Branco Fernan schob das Visier seines Helmes hoch und grinste. „Nun, ich schlage vor, wir ziehen auch ein wenig flußaufwärts. An uns haben die Piraten ja vorläufig das Interesse verloren. Und ich möchte mir die Dinge, die sich in den nächsten Stunden zwangsläufig abspielen werden, nicht entgehen lassen.“
„Na gut“, brummte der Riese.
„Großartig“, sagte Güner. „Wenn Ebel Schachnam von den Männern der Galeone abgemurkst wird, danke ich Allah.“
„Gott sitzt über die Mörder zu Gericht“, sagte Branco Fernan. „Das ist recht so.“
„Ich denke, man soll seinen Nächsten lieben und ihm verzeihen“, erwiderte der Riese.
„Nicht in jedem Fall.“
„Das kapiere ich nie“, stöhnte Ton de Wit.
Etwas später, als die Galeone flußaufwärts um die nächste Biegung verschwand, rüsteten die vier zum Aufbruch. Sie kehrten zu ihrem Rastplatz zurück und kramten ihre Habseligkeiten zusammen. Güner durfte sich in Jolantes Sattel schwingen.
Branco Fernan übernahm die Leitung und führte seinen Klepper am Zügel. Ludmilla und Ton de Wit trotteten hinter ihnen her. Er war darauf vorbereitet, daß sie wieder weglief. Sie konnte es nun mal nicht lassen.
7.
Der Tag verstrich schneller, als die Männer der „Santa Barbara“ angenommen hatten. Bald senkten sich fade Nebelschleier auf die Flußniederungen. Das Licht färbte sich rötlich. Die Dämmerung kroch von Osten her über den Tigris.
Der Seewolf wartete, bis die Dunkelheit eintrat. Dann ließ er für kurze Zeit ankern. Die Männer setzten die Jolle aus. Jack Finnegan und Paddy Rogers enterten ab – dann auch Batuti.
Der Gambia-Mann verstaute seine Waffen im Boot – Pfeil und Bogen sowie den Morgenstern. Er hatte außerdem eine Pistole samt Munition dabei sowie Feuerstahl und Flint, um jederzeit einen Brandpfeil entfachen zu können.
Das Boot legte ab. Die Männer pullten zum nahen Ufer. Der schwarze Herkules stieg aus und watete im Röhricht an Land. Durch ein Zischen gab er Jack und Paddy zu verstehen, daß die Luft rein sei. Jack und Paddy pullten zum Schiff zurück.
Hasard und die Männer blickten vom Schiff aus zum Ufer.
„Vielleicht hättest du Batuti doch lieber einen zweiten Mann mitgeben sollen“, sagte Don Juan.
„Das wollte er nicht“, entgegnete der Seewolf. „Allein fällt er am allerwenigsten auf, da hat er recht.“
„Ja, das sehe ich ein. Aber wenn ihm die Kerle eine Falle stellen …“
„Ich schätze, daß unser Gambia-Mann gerissener als die Piraten ist“, sagte Hasard. „Und mit seinem Morgenstern weiß er sich zu wehren, verlaß dich drauf.“
Jack und Paddy legten an der Backbordseite der „Santa Barbara“ an und enterten auf. Die Jolle wurde wieder hochgehievt und binnenbords geschwenkt. Vier Männer zurrten sie auf dem Hauptdeck fest. Der Anker wurde gelichtet – die Reise ging weiter.
Lautlos strich die Galeone durch die Nacht. Nur eine schwache Welle rollte vor ihrem Bug her. Hasard hatte die Marssegel wegnehmen lassen, das Schiff lief nicht zu schnelle Fahrt. Batuti sollte Vorsprung gewinnen, um in seiner Funktion als Späher einen entsprechenden zeitlichen Vorteil zu haben.
Der Gambia-Mann schlich aus dem Röhricht und pirschte auf den Dattelwald zu. Aufmerksam schaute er sich nach allen Seiten um. Seine Augen hatten sich hervorragend auf die Dunkelheit eingestellt. Seine Körperfarbe und der dunkle Lendenschurz, den er trug, waren die beste Tarnung, die man sich vorstellen konnte.
Sollten sich irgendwo Schnapphähne zeigen, so entdeckte er sie als erster. Sie hingegen sahen ihn erst, wenn er unmittelbar vor ihnen stand – oder hinter ihnen, um sie niederzuschlagen.
Keine Gefahr – vorläufig jedenfalls nicht. Batuti setzte sich in Bewegung. Geduckt eilte er durch die Nacht. Flußaufwärts. Er hielt sich zwischen dem Dattelwald und dem Ufer, hatte nur Sand und Steine unter den Füßen und gelangte zügig voran. Nirgends waren Hindernisse zu entdecken. Er hatte freie Bahn.
Hasards Anweisungen waren klar. Batuti sollte dem Schiff vorauseilen und jede „Feindbewegung“ rechtzeitig melden. Etwa eine Stunde vor Mitternacht würde die „Santa Barbara“ in ihrer Fahrt innehalten und auf dem Fluß ankern.
Das war der kritischste Moment. Wenn die Piraten eine Spur von Scharfsinn hatten, dann warteten sie auf diesen Zeitpunkt. Sie brauchten dann nur wieder ihre Guffas ins Wasser zu schieben und sie auf die „Santa Barbara“ zutreiben zu lassen.
Die Nacht war ihr Verbündeter. Verhielten sie sich still, hatten sie einige Chancen, die Ankerwachen zu überrumpeln.
So zumindest ließ sich der Fall aus der Sicht der Flußräuber an. Daß die Ankerwachen verdoppelt worden waren und garantiert nicht schlafen würden, paßte nicht in das Kalkül des Ebel Schachnam. Er ging davon aus, daß sich die „Giaurs“ nach dem einen Überfall in Sicherheit wähnten.
Jedoch herrschte an Bord der „Santa Barbara“ nach wie vor volle Gefechtsbereitschaft. Zu groß war die Erfahrung von Hasard und der Crew. Die vielen Jahre, die sie gemeinsam die Weltmeere befuhren, hatte sie so manches gelehrt. Was fremde Gebiete betraf, konnte man nicht argwöhnisch und vorsichtig genug sein.
Oft waren sie auf Inseln gelandet, die aus der Entfernung wie das Paradies anmuteten. Nach der Landung hatte sich herausgestellt, daß man es mit Menschenfressern, Kopfjägern, Schnapphähnen oder wilden und giftigen Tieren zu tun hatte.
Auch die jüngsten Abenteuer hatten wieder einmal bewiesen, wie mannigfach die Gefahren waren, die überall auf Seefahrer lauerten. Ob nun auf Madagaskar, in Masquat oder an der Piratenküste – überall hatten die Arwenacks ihr Leben aufs Spiel gesetzt.
Der Gambia-Mann eilte durch die Nacht. Bislang hatte er keine Spur von den Flußräubern entdeckt. Nicht einmal ihre Pferde hörte er schnauben. Die Tiere mußten die Kerle verraten – sie gaben immer irgendwelche Geräusche von sich.
Hatten die Piraten am Ende doch die Vernunft aufgebracht, sich ganz abzusetzen? Möglich war es. Denkbar auch. Um so besser, dachte der Gambia-Mann. Er mußte unwillkürlich grinsen. Dann fiel ihm ein, daß es besser war, den Mund geschlossen zu halten.
Einem Schemenwesen gleich huschte der schwarze Herkules zwischen Dattelwäldern und Uferdickicht dahin. Manchmal öffnete sich das Gestrüpp und gab seichte Ausbuchtungen frei. Hier wirkte der Tigris friedlich und freundlich.
Batuti wußte, daß man sich darauf nicht verlassen durfte.
Es gab Schlick-, Schlamm- und Wasserlöcher, stellenweise vielleicht sogar Treibsand. Man mußte aufpassen, wohin man seine Füße setzte. Batuti war auf der Hut. Ständig darauf gefaßt, in ein Sumpfloch zu treten, hielt er sich weiter links, am Rand des Dattelwaldes. Das war sicherer. Hier war der Boden fester.
Eine halbe Stunde mochte vergangen sein. Batuti verlangsamte seine Schritte. Er brauchte jetzt nicht mehr zu laufen. Genug Vorsprung vor der „Santa Barbara“ hatte er. Er schritt vorwärts. Allmählich beruhigte sich sein Atem.
Es war kühl geworden. Der Mond war eine schmale Sichel am Sternenhimmel. Eigentlich, so fand der Gambia-Mann, war es doch eine recht schöne Nacht.
Die Wahl des Bärtigen war auf Haschira, den Grinser, und einen anderen Kerl gefallen, dessen Name Zurkut lautete. Diese beiden mußten am Ufer des Flusses Wache halten. Der Rest der Bande ruhte sich im Dattelwald von den Strapazen der vergangenen Stunden aus.
Haschira paßte das gar nicht.
Erstens hatte er das Gefühl, für Ebel Schachnam so etwas wie ein Prügelknabe geworden zu sein, obwohl der Bärtige ihn doch wenigstens einmal gelobt hatte. Aber was besagte das schon! Zweitens: er konnte Zurkut nicht leiden, denn der Kerl war finster und verschlagen und stank obendrein wie ein Ziegenbock.
Haschira rückte also weit genug von Zurkut ab.
Dumpf vor sich hin brütend, hockten die beiden im Röhricht und hielten nach dem Giaurschiff Ausschau, das ja irgendwann auftauchen mußte – wenn Ebel Schachnam recht behielt. Ebel sagte, das Schiff würde kommen. Ebel hatte aber auch gesagt, man würde diese Giaurs besiegen. Das Gegenteil war der Fall gewesen.
Endlich war es Zurkut, der das Schweigen brach.
„Dreck, das“, brummte er. „Ich habe Hunger.“
„Ich auch“, murmelte Haschira.
„Wann kriegen wir jemals wieder was zu fressen?“
„Friß doch Datteln.“
„Was meinst du, was ich tagsüber tue?“
„Ich kann das Wort Dattel nicht mehr hören.“
„Aber wenn man Kohldampf hat, stopft man alles in sich rein“, sagte Zurkut. „Auch Pferdedreck.“
„Pfui, Teufel.“
„Ich hab’ die Nase voll“, murmelte Zurkut.
„Ich auch.“
„Warum hauen wir nicht einfach ab?“
„Ebel würde uns erwischen und uns zuerst die Arme und Beine abschneiden“, erklärte der Grinser. „Danach würde er uns die Köpfe abschlagen, du hast ja auch gesehen, wie er den Kurden abgestochen hat.“
„Der Kurde hat das einzig Richtige getan“, sagte Zurkut gedämpft. „Er hat diesem Hundesohn gezeigt, daß er nicht Allah auf Erden ist.“
„Du willst also türmen?“
„Ja.“
„Es wäre besser, Ebel Schachnam vorher zu beseitigen“, sagte Haschira.
„Haßt du ihn?“
„Du vielleicht nicht?“
„Es ist schwer, an ihn ranzukommen“, sagte Zurkut. „Er schläft mit einem offenen Auge und hat die Hand immer am Messer. Ich denke, es ist leichter, einfach abzuhauen, als ihn zu töten und dann zu türmen.“
„Moment mal“, sagte Haschira. „Wenn wir ihn abmurksen, brauchen wir nicht mehr zu fliehen. Dann sind wir die Häuptlinge.“
„Ja, da hast du recht.“
„Alle würden zu uns halten“, sagte der Grinser.
„Und wir würden alles viel besser hinkriegen als der Schweinehund Ebel.“
Haschira fand Zurkut gar nicht mehr so unsympathisch. Irgendwie konnte man sich selbst mit diesem Kerl zusammenraufen. Es gab nur Unzufriedenheit in der Meute, weil sich Ebel Schachnam in der letzten Zeit als Versager, als Null, erwiesen hatte.
„He!“ zischte Zurkut. „Warum erledigen wir das nicht gleich?“
„Jetzt, meinst du?“
„Der Bastard schläft jetzt.“
„Ich weiß nicht so recht“, murmelte Haschira.
Wie war es wohl, wenn Ebel Schachnam plötzlich aufwachte und seine verhinderten Mörder überwältigte? Dann erntete er dieses Mal nicht nur Tritte und Hiebe und Flüche, sondern es ging ihm erbarmungslos an den Kragen. Der Grinser kriegte es mit der Angst zu tun.
„Hast du etwa Angst?“ fragte Zurkut, als habe er seine Gedanken erraten.
„Ach wo.“
„Es hört sich aber so an.“
„Ein Haschira hat keinen Bammel“, behauptete der Grinser. „Aber es wäre besser, wenn wir die anderen erst unterrichten würden. Ich meine, sie sind doch alle mit dabei, wenn es darum geht, Ebel abzustechen.“
„Verschwörung?“ Zurkut stieß ein leises Grunzen aus. „Auch das hört sich nicht schlecht an. Gemeinsam haben wir alle mehr Macht gegen diesen Tyrannen.“
„Jawohl, er ist ein Tyrann“, sagte Haschira. „Beim Propheten, und ob er das ist!“
„Nicht so laut!“ zischte Zurkut.
„Du meinst, er könnte uns hören?“
„Das nicht gerade, aber – die Giaurs.“
„Kommen sie?“
Zurkut teilte die Rohre und Halme mit den Händen und spähte über den Tigris. „Noch nicht. Aber sie sind im Anmarsch. Ich spüre das.“
„Wie kannst du etwas wissen, das du nicht siehst?“
„Ich habe so meine Ahnungen“, brummte Zurkut.
Dem Grinser war das nicht geheuer, und er dachte auch wieder an die Geister und Dämonen, die nachts aus den Höllenlöchern krochen und die Gegend verunsicherten.
Was nun, wenn Güners Gespenst zurückkehrte und grausame Rache hielt? Dann ging es vielleicht nicht nur Ebel Schachnam, sondern auch den Kerlen an die Gurgel, weil alle zugelassen hatten, wie der Bärtige den Kurden abmurkste.
Güner haßt uns alle, dachte Haschira.
Noch etwas beschäftigte ihn. Wo war die Sumpfhexe abgeblieben? Und wo steckten ihre Schergen, dieser Riese und das Ungeheuer auf dem Sattel des Kleppers? Man hatte sie aus den Augen verloren, doch auch sie konnten unversehens wieder aus dem Dunkel auftauchen.
Ein kalter Schauer lief dem Grinser über den Rücken. Die Gegend gefiel ihm nicht mehr. Wenn Zurkut und er das Kommando übernahmen, würde er darauf drängen, als erstes ein neues Jagdgebiet zu beziehen, wo man vor allem nicht so am Hungertuch zu nagen und im übrigen nicht gegen Wesen der Hölle zu kämpfen brauchte.
Zurkut stieß plötzlich einen warnenden Laut aus.
Haschira schreckte aus seinen Überlegungen hoch. Er blickte aufs Wasser – und da, in dem wenigen fahlen Licht, das die Mondsichel ausschickte, konnte auch er sehen, was Zurkut bereits entdeckt hatte: das Schiff.
Die Galeone glitt auf die beiden Wachtposten zu. Wie ein Geisterschiff hatte sie sich um die Biegung geschoben, die sich etwa eine halbe Meile weiter flußab befand.
Haschira schluckte, als er das große Schiff so dicht vor sich sah. Waren die Männer dort an Bord am Ende auch Abgesandte des Scheitans? So, wie die zugeschlagen hatten, schienen sie über übernatürliche Kräfte zu verfügen.
Die Dreimastgaleone beschrieb eine halbe Drehung auf dem Fluß. Dann klatschte etwas ins Wasser – der Anker. Die Segel wurden ins Gei gehängt. Das Schiff schwojte an der Ankertrosse, bis es in der Strömung lag.
Zurkut kicherte. „Sehr gut. Da wären sie also, die Hunde. Melde das dem Häuptling.“
„Warum ich? Geh du doch.“
„Willst du ihn nicht abstechen?“ zischte Zurkut.
„Ich will erst mit den anderen reden.“
„Also gut, ich gehe“, sagte Zurkut. „Ich werde selbst entscheiden, was der richtige Weg ist. Entweder bringen wir Ebel Schachnam um und überfallen dann die Galeone, oder aber wir töten die Giaurs mit seiner Hilfe und lassen ihn anschließend über die Klinge springen.“
„Ja.“
Zurkut verschwand und huschte zum Lager.
Haschira sah zu dem Schiff und fragte sich, ob man wirklich so hirnverbrannt sein sollte. Niemals würde ein neuer Überfall auf den Segler den gewünschten Erfolg bringen. Die Giaurs waren zu gerissen. Man konnte sie nicht bezwingen.
Also würde es weitere Tote geben. Haschira aber wollte nicht im Fluß enden wie die Kumpane, die er vor Stunden hatte sterben sehen. Haschira wollte leben. Er war nicht so verrückt wie Zurkut, der unbedingt wieder Blut sehen wollte, und sei es sein eigenes.
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