Читать книгу: «Seewölfe Paket 29», страница 6
6.
Das war vielleicht eine Situation!
Die Milizsoldaten glotzten wie Mondkälber.
Der dicke Mehmed Kymet hatte auch das Maul offen. Selim Güngör, der Hafenkommandant, stand da, als sei ihm ein Scheunentor an den Kopf geflogen. Die schöne Zlatina hatte einen wogenden Busen, unter dem offenbar ihr Herz flatterte.
Und Carberry? Der kriegte sich nicht mehr ein.
„Hast du nichts Besseres zu tun, Mister Smoky?“ bölkte er den stämmigen Decksältesten an.
„Soll der schöne Wein vielleicht ausfließen?“ brüllte Smoky zurück.
„Scheiß doch auf den Wein!“ röhrte der Profos. „Wir haben verdammt andere Probleme!“ Der Profos hatte blaurot geschwollene Stirnadern, und sein Gesicht glich einer überreifen Tomate.
„Steig mir doch in die Tasche!“ schrie Smoky.
„Nimm deinen dusseligen Daumen aus dem Loch!“ brüllte Carberry.
„Nein!“
„Das ist ein Befehl!“
„Du hast mir nichts zu befehlen! Hol lieber einen Eimer oder eine Balje, du Oberaffenarsch!“ donnerte Smoky.
Carberry hüpfte sozusagen im Viereck. Der grinsende Ferris Tucker hingegen hatte einen Holzpflock entdeckt und befreite Smoky vom Faß.
„Zieh deinen Stöpsel raus“, sagte er, „das Ding hier tut’s auch, da brauchst du keine Balje.“
Smoky zog den Daumen zurück, und blitzschnell rammte Ferris den Pflock in das Schußloch. Er hämmerte mit dem Handballen nach, und damit war der Fall geregelt.
„Danke“, sagte der dicke Kymet verstört.
Ferris drehte sich zu ihm um. „Treten Sie lieber diesem Idioten da in den Hintern, der geschossen hat! Was soll überhaupt der ganze Zirkus? Meinen Sie, wir wollten Sie abmurksen oder was?“
„Sie – Sie sind verhaftet!“
„Verhaftet? Wir? Warum das denn?“ blaffte Ferris.
„Weil Sie zu Igor Samoilows Mörderbande gehören!“
Ferris Tucker trat einen Schritt auf den Dicken zu, der zurückwich. Einer der Milizsoldaten richtete die Pistole auf den Schiffszimmermann und stoppte ihn.
Ferris blickte sprachlos zu Don Juan. Der nickte gleichmütig.
„Eine Verwechslung, Ferris“, sagte er, „mir ist das eben klar geworden. Old Donegal hatte recht. Die halten uns für diese russischen Rabauken, weil wir deren Dubas segeln. Aber das wird sich klären lassen.“
Nichts ließ sich klären. Sie landeten bei den anderen in dem Nebengewölbe, wo die leeren Fässer und Kisten standen. Allerdings nahm Smoky den Eimer mit dem Rotwein mit. Er fand, der stehe ihm zu. Schließlich hatte er verhindert, daß der Wein auslief.
„Na bitte!“ erklärte Dan O’Flynn. „Hatte ich nicht gesagt, daß wir hier bald die nächsten von uns begrüßen könnten? Jetzt sind wir schon elf. Dann ist ja wohl hier demnächst die ganze Crew versammelt.“ Er blickte zu Don Juan. „Ihr hättet doch schon mißtrauisch werden müssen, als Mat und ich nicht zurückkehrten.“
„Und ihr, als der Kutscher mit seiner Gruppe ausblieb“, entgegnete Don Juan. „Machen wir uns doch nichts vor: Wir sind alle elegant aufs Kreuz gelegt worden. Trotz allem glaube ich jedoch fest daran, daß sich der Irrtum aufklären läßt. Der dicke Kaufmann und der Hafenkommandant sind im Grunde anständige Männer. Um Schaden von ihrem Ort und den Bewohnern abzuwenden, haben sie zu einer List gegriffen, was ich ihnen kaum verübeln kann. Sie scheuten eine offene Auseinandersetzung, bei der es Verletzte und Tote gegeben hätte. Das spricht für sie. Sie sind keine wildgewordenen Eisenfresser, die aufs Blutvergießen scharf sind. So gesehen, finde ich es fast amüsant, wie sie uns hereingelegt haben.“
„Na, ich weiß nicht“, murmelte Dan O’Flynn und kratzte sich hinter dem Ohr. „Matt und mir sagte der Dicke, wir seien Mordbrenner, Frauenschänder und Halsabschneider, und deswegen würden unsere Köpfe rollen.“
„Logisch, daß er das sagte, er meinte damit ja auch Samoilow samt seiner Kerle“, erwiderte Don Juan. „Nur hatte ich den Eindruck, daß ihm wohl bereits erste Zweifel aufgestiegen sind. Er war darüber verwundert, einen Spanier in der vermeintlichen Russencrew anzutreffen, dann erschien Sir John, der uns nachgeflogen war, und krakeelte auf englisch los, was den Dicken noch mehr stutzen ließ, und als Smoky dann seinen Wein rettete und das Schußloch im Faß mit dem Daumen verstopfte, war Kymet vollends verwirrt.“
„Den Schuß haben wir gehört. Was war da los?“ fragte Dan.
Don Juan berichtete, was sich abgespielt hatte. Da ging das breite Grinsen um.
„Alles in allem, so glaube ich jedenfalls“, fuhr Don Juan fort, „haben sich Kymet und Güngör Mordbrenner, Frauenschänder und Halsabschneider wohl anders vorgestellt. Ich schätze, keiner von uns hat es an Höflichkeit mangeln lassen, und das ist wahrhaftig kein Kennzeichen für eine Horde von Strolchen, wie sie Samoilow und seine Kerle darstellen. Zumindest Kymet muß dieser Unterschied aufgefallen sein.“
„Hoffen wir’s“, sagte Dan skeptisch. „Ich konnte ihm erzählen, was ich wollte, er glaubte mir nicht, Güngör übrigens auch nicht. Allerdings kann ich mir vorstellen, daß der englischsprechende Sir John den Dicken stutzen ließ. Wie sollen Schwarzmeerpiraten an einen solchen Papagei gelangt sein, nicht wahr? Bin mal gespannt, wie’s weitergeht.“
„Ich hab’ Durst“, erklärte Mac Pellew und schielte zu Smokys Eimer. „Hast du nicht auch Durst, Ed?“
„Immer“, erwiderte der Profos.
„Das schmeckt mir vielleicht!“ legte Smoky los und warf Carberry einen Wilden Blick zu. „Sagtest du nicht: Scheiß auf den Wein, Mister Carberry?“
„Gebrüllt hat er’s“, sagte Ferris Tucker gemütlich.
„Iiich?“ fragte Carberry langgezogen und scheinheilig. „Da müßt ihr euch verhört haben. Ich rief Smoky zu: Reiß dich am Bein – wie man so sagt: Reiß dich am Riemen! Von Scheiß auf den Wein kann keine Rede sein. Wer wird denn auf Wein scheißen, was, wie? Ein so köstliches Getränk! Nein, nein, eine Sünde wär das! Ich wollte sogar eine Balje holen, wie du das ganz richtig erkannt hattest, Smokylein. Aber leider mußte das dieser Mister Tucker mit seinem Holzpflock verhindern, sonst hätten wir hier jetzt eine ganze Balje voll Wein. Stellt euch das vor, Leute!“
„Typisch“, sagte der Kutscher spitz. „Ihr denkt nur ans Saufen!“
„Mitnehmen, Kutscherlein“, sagte der Profos grinsend, „ich hab euch auch was mitgebracht!“ Sprach’s und entleerte seine Taschen auf ein Faß. Dort versammelten sich Käsestückchen und Fladenbrot. „Langt zu, Freunde!“ tönte der Profos.
„Ich werd’ nicht mehr“, stöhnte Ferris Tucker. „So was von dreister Schlitzohrigkeit! Da beklaut dieser durchtriebene Hundesohn schamlos seinen Gastgeber! Das muß man sich mal vorstellen!“
„Hat ja keiner gemerkt“, erklärte der Profos resolut. „Außerdem war er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr unser Gastgeber, sondern hatte uns in die Pfanne gehauen. Und da sagte ich mir, Ed, sagte ich: Nimm mit, was du kriegen kannst, denn wer weiß, wann’s wieder was zu futtern gibt. Und weil Smokylein den Wein mitgehen ließ, hab’ ich für das andere gesorgt, damit hier nicht nur gesoffen wird!“
„Damit hier nicht nur gesoffen wird“, wiederholte der Kutscher fassungslos und griff sich an den Kopf. „Dieser Mensch ist ein Ungeheuer.“
„Iß Käse, Kutscherlein!“ dröhnte der Profos. „Der beruhigt!“
„Nein, der macht sinnlich“, widersprach Smoky. „Hat der Kutscher mal gesagt.“
Carberry fuhr zu ihm herum. „Hab’ ich’s doch gewußt! Darum hast du derart lüstern mit deinen Augen den Busen der schönen Lady befummelt, daß es mir die Schamesröte ins Gesicht trieb!“
Da ging Mac Pellew hoch. „Waaas? Die Lady hatte mit mir tiefe Blicke gewechselt, aus denen deutlich hervorging, daß sie mit mir ein Stelldichein vereinbaren wollte. Und da wagst du Schurke es, ihren Busen zu begrapschen?“
Carberry wiegelte ab – mit einem besorgten Blick zu Smokys Rotweineimer. „Ruhig, Mackilein, ganz ruhig. Das hatte Smoky ja nicht wissen können, daß du bereits mit der Lady verabredet warst, was, wie? Natürlich hätte er dir den Vortritt gelassen – schon weil er mit seiner Gunnhild verheiratet ist, was ich ihm auch in meiner verhaltenen Weise versuchte, anzudeuten. Erinnerst du dich, Smokylein?“
„Du hast gesagt, ich sei mit meinen Augen bis unter ihre Bluse gekrochen!“ fauchte Smoky und hätte beinahe seinen Eimer umgestoßen, weil er so wütend war.
„Schon gut, schon gut!“ Carberry war drauf und dran, die Hände zu ringen. „Kipp um Gottes willen nicht den Eimer um, Smokylein. Darin ist das einzige, was wir in den nächsten Tagen zu trinken kriegen. Sollte ich vielleicht besser auf den Eimer aufpassen?“
Da schritt Don Juan ein, bevor hier ein Unglück passierte. Denn Mac Pellew, zitterte vor eingebildeter Eifersucht, zu der kein Anlaß bestand, der Profos hatte sich zwischen alle Stühle gesetzt, und Smoky kochte über, weil ihm der Profos etwas unterstellte, was völlig aus der Luft gegriffen war.
„Ich schlage vor“, sagte Don Juan, „wir bedanken uns bei Smoky und dem Profos, daß sie so uneigennützig für unser leibliches Wohl gesorgt haben, und teilen redlich ihre Gaben auf. Smoky, Ed, seid ihr einverstanden?“
„Aber natürlich“, sagte der Profos.
„So soll es sein“, sagte Smoky.
Damit war der Frieden wiederhergestellt, und sie konnten tafeln. Fast schmeckten Käse, Fladenbrot und Wein jetzt noch besser als im Weingewölbe. Aber das hing mit der These der Apfeldiebe zusammen, die besagt, daß geklaute Äpfel immer besser schmecken als jene, die man auf dem Markt kauft.
Don Juan de Alcazar hatte – was den dicken Kaufmann Kymet betraf – gut beobachtet, denn dem war tatsächlich einiges aufgefallen.
Er stand inzwischen wieder oben unter den Arkaden, zusammen mit dem Hafenkommandanten, der zur Beobachtung der Dubas in seine Kommandantur zurückkehren wollte. Man hatte von den oberen Fenstern des Gebäudes aus einen Überblick über den ganzen Hafen.
„Ich weiß nicht, ich weiß nicht“, sagte der Dicke zu Güngör, mit dem ihn eine herzliche Freundschaft verband, „diese Männer sind zwar harte und gefährliche Kerle, aber unter so richtigen Halsabschneidern stelle ich mir was anderes vor.“
Selim Güngör runzelte die Stirn.
„Unsinn“, sagte er. „Ich habe eine genaue Beschreibung der Dubas von Samoilow, daran ist überhaupt nicht zu zweifeln. Diese Geschichte der Kerle, sie seien den Tigris hochgesegelt, dann durchs Gebirge gezogen und bei Batumi ans Schwarze Meer gestoßen, ist erstunken und erlogen. Mir ist nur eins immer klarer geworden: diese Halunken sind noch gefährlicher als Schlangen.“
Der Dicke schüttelte den Kopf und zählte auf: „Russen, die englisch und spanisch und türkisch sprechen, ein englisch sprechender Papagei, ein Neger an Bord, ferner ein Spanier, ein Ire, ein Schwede, zwei Dänen und zwei Holländer sowie ein Affe und ein Wolfshund. Die sollen alle aus Rußland sein? Nein, Selim, hier muß eine Verwechslung vorliegen. Woher soll Samoilow den Affen und den Papagei haben? Und wie gelangte ein Neger in seine Mannschaft? Oder der Spanier? Überhaupt der Spanier! Das ist ein Edelmann vom Scheitel bis zur Sohle. Dafür habe ich einen Blick.“
„Aber der Kerl mit dem Rammkinn und dem zernarbten Gesicht, zu dem der Papagei gehört, ist ein Monster, ein Ungetüm“, erwiderte der Hafenkommandant, „dem traue ich jede der schändlichen Taten zu, von denen über die Samoilowbande bisher berichtet wurde.“
Wenn das der Profos Edwin Carberry gehört hätte!
Nur urteilte der Hafenkommandant eben nach dem Äußeren des „Ungetüms“, ohne zu ahnen, was in ihm drinsteckte, nämlich reines Gold.
„Er war es auch“, fuhr der Hafenkommandant fort, „der die letzte Verhaftung beinahe verhindert hätte. Nur der Pistolenschuß hat ihn gestoppt.“
„Alle Männer waren unbewaffnet“, sagte Kymet, „das paßt doch nicht ins Bild, Selim! Piraten vom Schlage der Samoilowbande pflegen bis an die Zähne bewaffnet zu sein. Die gehen doch nicht ohne Waffen an Land!“
„Alles Tarnung“, erklärte Selim Güngör unbeeindruckt. „Gerade daran siehst du, wie gerissen die Kerle sind.“
„Von Gerissenheit wurde bisher nie etwas berichtet“, sagte der dicke Kymet, „im Gegenteil, man erzählte, die Kerle schlügen sofort mit Brachialgewalt drauflos, ohne lange zu fackeln. Außerdem wären sie ständig betrunken und führten sich wie die Barbaren auf. Bei den elf Männern, die wir gefangengesetzt haben, ist von alledem nichts zu bemerken. Zuerst dachte ich zwar auch, sie verstellten sich, um uns in Sicherheit zu wiegen, aber jetzt habe ich meine Zweifel.“
„Es sind Samoilow und seine Totschläger“, beharrte der Hafenkommandant, „verlaß dich drauf. Sie lügen, wenn sie behaupten, sie seien mit Samoilow und seinen Kerlen in Varna aneinandergeraten und hätten ihm die Dubas weggenommen. Wenn das der Fall gewesen wäre, hätte es bei ihnen Verletzte geben müssen. Ich habe aber keine gesehen.“
„Doch! Der dürre Mann mit dem grämlichen Gesicht hat eine hornähnliche Beule auf der Stirn.“
Selim Güngör winkte ab. „Das ist auch der einzige! Reiner Zufall. Wer weiß, gegen was der gerannt ist! Alle anderen haben nicht die geringste Verletzung, die auf einen Kampf hingedeutet hätte. Auch die Dubas ist völlig unbeschädigt, ich habe sie mir genau angeschaut. Du hättest mal sehen sollen, wie die Kerle grinsten, als ich auf dem Steg erschien. Und dieser Samoilow erst! Der hat einen Blick, daß dir das Blut in den Adern zu Eis gefriert. Und er hat eine Narbe von der rechten Stirn über die linke Augenbraue bis hinunter zur linken Wange!“
Der Dicke starrte ihn an. „Eine Gesichtsnarbe? Von der ist bei den Samoilowbeschreibungen aber nie die Rede gewesen. Was hat er denn für eine Haarfarbe?“
„Schwarz, an den Schläfen angegraut.“
„Samoilow ist blond!“ stieß er Dicke hervor.
„Weiß ich, aber der durchtriebene Hund hat sie sich gefärbt. Ist doch klar.“
„Und was ist mit der Narbe?“
Der Hafenkommandant zuckte mit den Schultern. „Die hat eben nie jemand richtig bemerkt.“
„Das glaubst du doch selbst nicht, Selim. Eine Narbe, die von der Stirn bis zur Wange reicht, die sieht man, die fällt auf. Du hast sie doch auch bemerkt!“
„Ich bin eben ein scharfer Beobachter.“
Der Dicke stieß zischend die Luft aus. „Mann, Mann, wenn wir bloß nicht die Falschen erwischt haben! Der Blonde mit den hellen Augen, der mit dem Hakenmann erschien, war sowieso schon ziemlich empört.“
„Sie haben zwei Hakenmänner“, sagte der Hafenkommandant triumphierend. „Wo gibt’s denn so was! Doch nur bei einer Horde wüster Piraten! Und da ist noch ein Alter mit einem Holzbein – ein ganz wilder Kerl! Der hat so helle Augen wie der Blonde und mich angestarrt, als wolle er mir die Kehle durchschneiden!“
Es nutzte nichts, Mehmed Kymet drang nicht durch, der Hafenkommandant blieb unbeirrbar.
„Dann tue mir wenigstens einen Gefallen“, sagte der Dicke. „Laß ein schnelles Pferd satteln und einen deiner Soldaten nach Varna reiten. Er soll sich beim Hafenkapitän erkundigen, ob die Geschichte stimmt, die uns der Blonde erzählt hat. Es muß dort ein Kampf stattgefunden haben – vorausgesetzt, daß er nicht gelogen hat. Darüber muß der Hafenkapitän Bescheid wissen. Wenn wir die Kerle vor Gericht bringen, will ich sicher sein, daß es sich um die Samoilowbande handelt.“
„Du mit deinen Zweifeln“, sagte Selim Güngör unwillig.
„Willst du, daß Unschuldige geköpft werden?“ sagte der Dicke scharf.
„Nein, natürlich nicht.“
„Na also.“
„Gut, gut, ich schicke einen Mann los, wenn es dich beruhigt.“
„Sofort!“
„Ja, sofort. Sei nicht so ungeduldig!“
„Selim“, sagte der dicke Kymet, „du scheinst nicht richtig zu begreifen. Was meinst du wohl, was los ist, wenn die Männer an Bord der Dubas allmählich Verdacht schöpfen – was ich ihnen nicht verdenken kann – und nun ihrerseits vom Leder ziehen? Na? Was meinst du? Glaubst du, die lassen sich das bieten? Die nicht! Das sind Kämpfer. Und ich bin mir gar nicht so sicher, ob deine Miliz dem etwas entgegenzusetzen hat. Wenn diese Männer mit der Samoilowbande aufgeräumt haben, was bisher noch keiner geschafft hat, dann solltest du jetzt um dich und deine Miliz zittern. Verstehst du mich?“
„Ja“, sagte der Hafenkommandant und hatte es plötzlich sehr eilig, zu seiner Kommandantur zu gelangen.
Mehmed Kymet starrte ihm nach, hatte feuchte Handflächen und das unbestimmte Gefühl, auf einem Pulverfaß zu sitzen. Und Selim Güngörs Plan, die Männer der Dubas in seinen Gewölben zu vereinnahmen, fand er gar nicht mehr so genial wie anfangs, als sie alles abgestimmt hatten.
Daß es bisher geklappt hatte, besagte gar nichts. Nein, falsch, es besagte doch etwas! Sie hatten die Männer nur überrumpeln können, weil sie völlig arglos gewesen waren. Und seit wann kaufte ein Samoilow Proviant ein! Der kaufte nicht, der plünderte und raubte!
Ja, bisher hatte Güngörs Plan geklappt. Doch das würde sich ändern. Das Verschwinden von elf Männern seiner Crew, das nahm kein Kapitän hin.
Jetzt stand dem Dicken der Schweiß auch auf der Stirn.
Er ließ das Hoftor verrammeln. Befehlsgemäß zog dort eine Wache der Miliz auf.
7.
„Der Hafenkapitän hat gerade seine Kommandantur betreten!“ meldete Gary Andrews, der als Posten auf dem Steg aufgezogen war.
„Danke, Gary!“ rief Hasard. „Sonst was Auffälliges?“
„Nein, Sir, alles ruhig.“
„Alles ruhig, alles ruhig“, murmelte Hasard. Er marschierte auf dem Achterdeck hin und her und blieb vor Ben Brighton und Big Old Shane stehen, die am Schanzkleid lehnten. „Jetzt fehlen elf Mann! Seit der Kutscher mit seinem Trupp losgezogen ist, sind über fünf Stunden vergangen. Fünf Stunden, um Proviant einzukaufen! Das gibt’s doch gar nicht.“
„War das vor einer halben Stunde ein Pistolenschuß, oder war das keiner?“ fragte Ben Brighton.
„Und danach flatterte Sir John an Bord und führte sich ziemlich verrückt auf“, sagte Big Old Shane.
„Beides kann einen Zusammenhang haben, muß aber nicht“, sagte Hasard. „Und was den Schuß betrifft – der klang ziemlich verzerrt und undeutlich. Vielleicht war’s gar kein Schuß.“
„Sondern?“ fragte Ben Brighton.
„Da kann irgendwo ein Kistendeckel zugekracht sein.“ Hasard nahm seinen Marsch wieder auf.
„Wenn aber kein Kistendeckel zugekracht ist, dann war’s ein Schuß“, sagte Big Old Shane hinter ihm her.
Hasard drehte sich um und rammte die Fäuste in die Hosentaschen. Dann schaukelte er auf den Fußballen.
„Gut, dann war’s ein Schuß“, sagte er. „Und weiter? Hat der Schuß was zu bedeuten?“
„Du stellst Fragen, die keiner von uns beantworten kann“, sagte Ben Brighton: „Du auch nicht.“
„Soll das ein Vorwurf sein?“
„Nein, aber allmählich werde ich nervös.“
„Ausgerechnet du“, sagte Hasard.
Er wandte den Kopf, denn das Holzbein pochte über die Planken. Old Donegal erschien. Hasard schaute ihn kurz an, zog die Hände aus den Hosentaschen und nahm erneut seine Wanderung auf, das heißt, er kehrte seinem Schwiegervater schlicht den Rücken zu.
Old Donegal verzog keine Miene. Als Hasard zurückkehrte, sagte der Alte gelassen: „Vielleicht sollten wir Plymmie mit zwei, drei Mann an Land schicken.“
Hasard hatte an ihm vorbeigehen wollen, blieb jetzt aber stehen, blickte ihn an und sagte knapp: „Nein!“
„Und warum nicht?“
„Weil ich jetzt zum Hafenkapitän gehe“, erwiderte Hasard, „darum.“
„Davon rate ich dir ab“, sagte Old Donegal.
„Ach ja? Hast du wieder deinen schwarzen Rappen gesehen?“
„Daß Rappen schwarz sind, habe ich inzwischen kapiert“, erwiderte Old Donegal mit stoischer Ruhe, „und daß Ochsen stur sein sollen, hat sich auch herumgesprochen. Stur wie ein Ochse, sagt man dazu.“
Hasards Augen waren schmal geworden. „Zu was sagt man das?“
Old Donegal zuckte mit keiner Wimper. „Es soll Kapitäne geben, die stur wie Ochsen sind.“
„Danke!“ schnappte Hasard.
„Keine Ursache“, sagte Old Donegal. „Ich bin nur der Ansicht, daß das Verschwinden von elf Männern dieser Crew allmählich reicht. Daß diese elf Männer nicht irgendwo spazierengehen oder ihren Auftrag, Proviant einzukaufen, vergessen haben oder in einem Bums mit Weibern herumturteln, das dürfte inzwischen ja wohl klar sein. Was dann? Wer zwei und zwei zusammenzählen kann, der weiß, daß etwas passiert sein muß. Wenn sich jetzt der Kapitän dieser Crew zu jenem Mann begibt, der aller Wahrscheinlichkeit nach für das Verschwinden der elf Männer verantwortlich ist, dann kann man diesen Kapitän nur als sturen Ochsen bezeichnen, Mister Killigrew, Sir!“
Das war starker Tabak.
Hasard starrte auf die Planken. Dann drehte er sich um und sagte zu Ben Brighton: „Übernimm das Kommando, Ben. Ich gehe zu Güngör und nehme ihn ins Gebet.“
Hinter ihm höhnte Old Donegal: „Klar, du sprichst ja auch fließend türkisch, nicht wahr?“
Hasard holte tief Luft – und atmete wieder aus. Er nickte Ben zu. „Alles klar?“
„Nein.“
Hasard zog die rechte Augenbraue hoch. „Wieso nicht?“
„Was ist, wenn dir was passiert oder du nicht zurückkehrst?“
„Dann macht ihr gefechtsklar und laßt ein paar Brandsätze los. Ich schätze, die reichen, um die Leute zu Verhandlungen zu zwingen. Ich muß diesen letzten Versuch unternehmen, um Klarheit zu erhalten.“ Er grinste hart. „Auch als sturer Ochse will mir nicht in den Kopf, daß hier dunkle Mächte am Werk sind. Außerdem halte ich den Hafenkapitän für einen anständigen Mann – im Gegensatz zu den Orakeln des Mister O’Flynn.“
Hinter ihm sagte Old Donegal: „Ich schließe mit dir eine Wette ab, Mister Killigrew, Sir. Ich wette, daß der Hafenkapitän dich vereinnahmt.“
Hasard drehte sich langsam zu ihm um. „Warum sollte er?“
„Weil er dich für Igor Samoilow hält!“
Hasard schob den Kopf etwas vor, als habe er sich verhört. „Wie bitte? Ich soll Igor Samoilow sein?“
„Richtig. Und wir, sind dessen Rabauken. Warum sind wir es? Weil wir deren Dubas segeln. Das erkannten bereits die Fischer draußen vor Burgas.“
„Könnte hinhauen“, sagte Ben Brighton.
„Das muß es sein“, ließ sich Old Shane vernehmen.
Hasard grinste. „Wenn dem so ist, habe ich noch mehr Grund, den Hafenkapitän mit meinem Besuch zu beehren. Danke für den Tip, Mister O’Flynn.“
„Keine Ursache“, sagte Old Donegal ein zweites Mal. „Was ist mit der Wette?“
„Die verlierst du!“
„Also wetten wir?“
„Ja. Güngör wird mich nicht vereinnahmen.“
„Da wäre ich mir nicht so sicher“, sagte Old Donegal. „Um was wetten wir?“
„Wir haben vier Fässer Wodka an Bord“, sagte Hasard. „Wer gewinnt, erhält eins dieser Fässer. Einverstanden?“
Da grinste Old Donegal geradezu teuflisch. „Zur eigenen Verfügung?“
„Natürlich“, erwiderte Hasard, „allerdings werde ich mein Faß mit der Crew teilen.“
„Mal sehen“, sagte Old Donegal vage. „Jedenfalls bin ich einverstanden. Wenn das der Profos und Mac wüßten!“
„Ihr seid beide verrückt“, sagte Ben Brighton wütend, denn er dachte daran, was sein würde, wenn er die Brandsätze losjagen mußte, weil der Kapitän nicht zurückkehrte. Und die wetteten um ein verdammtes Wodkafaß! In dieser Situation!
Hasard lachte nur, als er von Bord ging.
Später lachte er nicht mehr, doch er nahm es gelassen.
Die Falle war perfekt aufgebaut, als habe Güngör alles vorausgesehen.
Der Milizsoldat, der vor der Hafenkommandantur Wache ging, grinste freundlich, als Hasard nach „Güngör“ fragte. Dazu nickte der Posten und bedeutete dem großen Mann, er möge ihm folgen. Sie betraten die Kommandantur. Der Posten stellte seine Muskete in einen Gewehrständer, wo nach andere Musketen aufgereiht waren, und geleitete Hasard zu einem hinteren Raum, der mit bequemen Möbeln ausgestattet war.
Hier empfängt der Hafenkapitän offenbar Besuche, dachte Hasard und ließ sich auf einem Polster nieder. Interessiert betrachtete er ein Wandbild, auf dem eine Nymphe dargestellt war. Sie ritt auf einem Delphin durch die Wogen. Ihr Busen wogte auch. Es war ein recht erotisches Bild.
Die Tür schlug zu und wurde verschlossen.
Hasard blieb auf dem bequemen Polster und widmete sich weiter der Nymphe. Was sollte er sonst tun? Old Donegal hatte die Wette gewonnen.
Da war ein Fenster, aber das hatte man von außen verschalkt. Schreien und Brüllen? Aber nicht doch, dachte Hasard, immer die Form wahren. Ein Kapitän hatte Würde zu zeigen, auch in einer solchen Situation. Außerdem war das Spiel noch nicht beendet.
Also wartete er und vertiefte sich in das Nymphenbild. Und er seufzte ein bißchen. Gwendolyn Bernice O’Flynn, die Mutter der Zwillinge, war ein ferner, ferner Traum, der Traum bleiben würde, weil es aus dem Reich der Toten keine Rückkehr gab. Siri-Tong?
Hasard lehnte sich zurück und schloß die Augen.
Er mußte wohl eingeschlafen sein, denn er schreckte etwas auf, als die Tür geöffnet wurde. Zwei Milizsoldaten sprangen in den Raum und nach links und rechts. Sie hatten Pistolen in den Fäusten.
Dann erschien der Hafenkapitän – und mit ihm ein dicklicher Mensch mit einer Knubbelnase und wachsamen Augen, die ihn aufmerksam musterten.
Hasard blieb sitzen und verschränkte die Arme vor der Brust. Und er lächelte freundlich, obwohl er sich ärgerte. Was sollte dieses ganze Theater! Er war unbewaffnet wie die elf nicht zurückgekehrten Männer, und eigentlich sollten diese Gentlemen begreifen, daß sie die falschen Fische gefangen hatten – wenn Old Donegals Theorie stimmte.
„Sie sind Señor Killigrew“, sagte der dickliche Mensch auf spanisch.
Aha, ein Dolmetscher!
Hasard nickte. „Der bin ich. Und wer sind Sie?“
„Mehmed Kymet.“
„Der Kaufmann, bei dem meine Leute einkaufen wollten“, sagte Hasard. „Soso! Und Ihr Hafenkapitän ist der Ansicht, wir seien keine Engländer, sondern Igor Samoilows wilde Horde, nur weil wir dessen Dubas segeln.“
Der Dicke blickte ihn überrascht an. „Woher wissen Sie das?“
„Ich habe einen klugen Mann an Bord“, erwiderte Hasard, „der begann zu kombinieren, als unsere Provianteinkäufer nicht zurückkehrten.“ Und Hasards Stimme wurde scharf. „Was ist mit meinen Männern?“
„Sie befinden sich wohlbehalten in einem Gewölbe meiner Faktorei“, sagte Mehmed Kymet hastig.
Da war dieser Blick, von dem Selim Güngör gesagt hatte, dabei sei ihm das Blut in den Adern zu Eis gefroren. Es stimmte.
„Ihr Allah möge Ihnen gnädig sein, wenn einem meiner Männer auch nur ein Härchen gekrümmt wurde“, sagte Hasard. „Und jetzt teilen Sie dem Hafenkapitän mit, daß meine Männer an Bord die Hölle loslassen, wenn ich nicht zurückkehre. Wir haben chinesische Brandsätze aus Ostasien mitgebracht. Da reichen zwei, um Burgas in Schutt und Asche zu legen. Außerdem verlange ich die Freigabe meiner Männer. Wir sind keine Banditen, sondern englische Seefahrer. Aber wenn jemand meint, uns auf der Nase herumtanzen zu können – wie zum Beispiel dieser Strolch Samoilow –, dann rate ich ihm, vorher sein Testament zu machen. Übersetzen Sie da? Ihrem Hafenkapitän. Und sagen Sie ihm, noch seien wir friedlich. Aber jetzt reicht’s!“
„Einen Moment bitte, Señor Killigrew“, sagte der Dicke, und jetzt stand ihm wieder der Schweiß auf der Stirn. Und er mußte seine Handflächen an der Hose abwischen, weil die ebenfalls feucht geworden waren. „Ich bin inzwischen auch überzeugt, daß eine Verwechslung vorliegt, und ich bitte schon jetzt vielmals um Entschuldigung. Mir ist das alles sehr peinlich. Leider hat sich mein Freund Selim Güngör in die Idee verrannt, daß Sie mit Igor Samoilow identisch seien. Ich habe versucht, ihm das auszureden, aber vergeblich. Immerhin habe ich eins erreichen können: Er hat vor etwa einer halben Stunde seinen besten Reiter mit einem ausdauernden Pferd nach Varna geschickt. Dort soll sich der Mann beim Hafenkapitän erkundigen, ob Ihre Darstellung den Tatsachen entspricht – woran ich nicht mehr zweifele. Mir ist daran gelegen, diese dumme Sache friedlich zu regeln, bevor ein Unglück passiert. Daher erlaube ich mir, Ihnen einen Kompromiß vorzuschlagen: Warten Sie bitte ab, bis der Reiter zurückkehrt!“
„Hm.“ Hasard überlegte und nickte dann. „Warum nicht! Wir haben keinen Dreck am Stecken. Wie lange braucht der Mann bis Varna und zurück?“
„Zehn bis zwölf Stunden, Señor Killigrew.“
„Gut, ich bin einverstanden“, sagte Hasard.
Der Dicke atmete auf und übersetzte seinem Freund Selim Güngör, was er mit dem „Señor Killigrew“ vereinbart hatte. Hasard lauschte der türkischen Sprache und beneidete seine beiden Söhne, die sie perfekt beherrschten. Müßte ich auch mal lernen, dachte er. Nur – wann brauchte er sie? In der Karibik bestimmt nicht.
Jetzt antwortete der Hafenkapitän auf das, was ihm der Dicke vorgetragen hatte. Hasard beobachtete, daß das Gesicht des zuhörenden Mehmed Kymet zunehmend wütender wurde und er mehrmals den Kopf schüttelte. Ja, er stampfte sogar mit dem Fuß auf, der Dicke.
Hasard schaute amüsiert zu. Offenbar konnten sich die beiden nicht einigen.
„Gibt’s Ärger?“ fragte er dazwischen.
Mehmed Kymet schnaufte erbittert. „Dieser Idiot will Sie und Ihre ganze Crew in Haft nehmen, bis der Reiter zurück ist! Ich habe ihm gesagt, daß Sie ein solches Ansinnen strikt zurückweisen würden …“
„Tu ich aber nicht“, unterbrach ihn Hasard grinsend. „Was soll’s! Der beste Beweis, daß wir nicht diejenigen sind, für die er uns hält, ist der, daß wir uns in Haft nehmen lassen. Sagen wir – in eine Art Schutzhaft, das klingt angenehmer. Ihr vernagelter Hafenkapitän möchte sich unbedingt blamieren, und das gönne ich ihm aus vollem Herzen. Vielleicht lernt er daraus, nicht wahr? Und wir haben Gelegenheit, ihn herzlich auszulachen!“
Der Dicke hatte verblüfft zugehört. Und dann glitt ein breites Grinsen über sein Vollmondgesicht.
„Sehr gut, Mister Killigrew!“ rief er und klatschte in die Patschhändchen. „Genial! Sie sind ein ausgezeichneter Diplomat, meine Hochachtung! Da fällt mein guter Selim aber echt auf den Bauch!“
„Der ist auch dick genug, daß es nicht schmerzt“, sagte Hasard trocken.
Der Dicke kicherte, und Selim Güngör schaute verwirrt drein. Was es hier zu kichern gab, war ihm ein Rätsel.
„Allerdings stelle ich eine Bedingung“, sagte Hasard, „nämlich die, daß unsere Crew zusammengeführt und gemeinsam untergebracht wird. Außerdem gehört es sich, daß man Schutzhäftlinge mit allem versorgt und sie nicht darben läßt. Ich erinnere daran, daß wir hier Proviant einkaufen wollten, weil wir kaum noch etwas an Bord hatten – auch so ein Nachteil, wenn man von Strolchen ein Schiff übernimmt, von dem man nicht weiß, was seine Proviantlast enthält. Ich erwarte also, daß man uns entsprechend behandelt und verköstigt. Wir haben seit heute mittag nicht mehr gegessen. Bitte sagen Sie das Ihrem Freund.“