Die Fanfarlo

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Die Fanfarlo

Erotische Bibliothek

Band 1

Die Fanfarlo

Charles Baudelaire

Eine Liebesgeschichte

Erstmals erschienen 1847 unter dem Titel La Fanfarlo

Aus dem Französischen von Terese Robinson 1925

© Lunata Berlin 2019

Inhalt

Ohne Titel

Über den Autor

Die erotische Bibliothek

Samuel Cramer, der früher – in der guten Zeit der Romantik – mit dem Namen Manuela de Monteverde einige romantische Torheiten zeichnete, ist das widerspruchsvolle Produkt eines blassen Deutschen und einer braunen Chilenin. Fügt diesen verschiedenartigen Eltern eine französische Erziehung und eine literarische Zivilisation hinzu, so werdet ihr über die bizarre Kompliziertheit dieses Charakters weniger erstaunt, wenn nicht befriedigt und erbaut sein. Samuel hatte eine reine und edle Stirn, glänzende kaffeebraune Augen, eine spottsüchtige Nase, schamlose und sinnliche Lippen, ein viereckiges und despotisches Kinn und anspruchsvoll raffaeleskes Haar. – Er ist zu gleicher Zeit ein grosser Nichtstuer, ein trauriger Ehrgeiziger und ein berühmter Unglücklicher; denn er hat sein ganzes Leben lang nur halbe Ideen gehabt. Die Sonne der Faulheit, die fortwährend in ihm leuchtet, frisst und verdampft das halbe Genie, mit dem der Himmel ihn begabt hat. Unter all diesen halbklugen Männern, die ich in diesem schrecklichen Pariser Leben kennenlernte, war Samuel an erster Stelle der Mann der verfehlten schönen Werke; als eine kränkliche und phantastische Natur, deren Poesie heller in seiner Person als in seinen Werken glänzt, und die mir gegen ein Uhr morgens zwischen dem Leuchten eines Holzkohlenfeuers und dem Ticktack einer Uhr immer wie der Gott der Ohnmacht erschien. – Moderner und zwiegeschlechtlicher Gott – einer so ungeheuren und riesenhaften Ohnmacht, dass sie episch wirkte!

Wie soll ich es euch klarmachen, wie euch deutlich diese dunkle von hellen Blitzen durchzuckte Natur veranschaulichen, die zugleich faul und unternehmend, reich an schweren Plänen und lächerlichen Fehlgeburten war, ein Geist, in dem das Paradox oft als Naivität wirkte und dessen Phantasie ebenso gross war wie die reine Einsamkeit und Trägheit? – Einer der eigentümlichsten Fehlschlüsse Samuels war es, sich denen gleich zu fühlen, die er hatte bewundern können; hatte er sich bei der Lektüre eines schönen Buches begeistert, schloss er daraus unwillkürlich: »Das ist so schön, dass es von mir hätte sein können« – und von da bis zum Gedanken: »Also ist es von mir«, bleibt nur ein sehr schmaler Weg.

In der gegenwärtigen Welt findet man diese Art Charaktere häufiger als man glaubt; Strassen, öffentliche Wege, Kneipen und alle Asyle der Nichtstuer wimmeln von Wesen solcher Art. Sie verstehen es, sich so mit dem neuen Vorbild zu identifizieren, dass sie nahe daran sind zu glauben, sie hätten es selbst erfunden. – Heute entziffern sie mühsam die geistigen Schriften von Plotin oder Porphyrios; morgen bewundern sie Crébillon den Jüngeren, der die heitere und französische Seite ihres Charakters trefflich ausgedrückt hat. Gestern unterhielten sie sich familiär mit Jérôme Cardan; heute spielen sie mit Sternen oder wälzen sich mit Rabelais in den auserlesensten Hyperbeln. Übrigens sind sie so glücklich in jeder ihrer Wandlungen, dass sie es all diesen schönen Genies nicht verübeln, ihnen den Ruhm der Nachwelt vorweggenommen zu haben. Naive und respektfordernde Schamlosigkeit. So beschaffen war der arme Samuel.

Von Geburt sehr anständig und ein wenig Lump aus Zeitvertreib – Schauspieler aus Temperament –, spielte er für sich selbst und bei geschlossenen Türen unvergleichliche Tragödien oder besser gesagt Tragikomödien. Fühlte er sich von Heiterkeit berührt und gekitzelt, musste man sich das beweisen, und unser Freund übte sich herzlich zu lachen. Trieb ihm irgendeine Erinnerung eine Träne in die Augen, ging er zum Spiegel, um sich weinen zu sehen. Wenn irgendein Mädchen ihn in einem brutalen und kindlichen Eifersuchtsanfall mit einer Haarnadel oder einem Federmesser kratzte, rühmte sich Samuel vor sich selbst eines Messerstiches; und wenn er irgendeinem Unglücklichen zwanzigtausend Franken schuldete, rief er fröhlich aus: »Welch trauriges und bejammernswertes Los trifft ein Genie, das eine Millionenschuld drückt.«

Man darf im Übrigen nicht glauben, dass er unfähig gewesen wäre, wahre Gefühle zu empfinden, und dass die Leidenschaft nur seine Haut gestreift hätte. Er hätte sein letztes Hemd für einen Menschen verkauft, den er kaum kannte, und den er auf seine Stirn und seine Hand hin seit gestern zu seinem intimen Freunde ernannt hatte. Er mengte den Dingen des Geistes und der Seele die ruhige Kontemplation germanischer Naturen, den Dingen der Leidenschaft die schnelle und flüchtige Glut seiner Mutter, – und in das praktische Leben alle Schiefheiten der französischen Eitelkeit. Er hätte sich für einen seit zwei Jahrhunderten toten Autor oder Künstler duelliert. Da er fanatisch gläubig gewesen war, wurde er leidenschaftlicher Atheist. Er barg gleichzeitig alle Künstler, die er studiert, und alle Bücher, die er gelesen hatte, in sich, und blieb dennoch, mangels schauspielerischer Begabung, durchaus originell. Er war immer der sanfte, fanatische, steife, schreckliche, weise, unwissende, ausgelassene, kokette Samuel Cramer, die romantische Manuela de Monteverde. Er schwärmte von seinem Freunde wie von einer Frau, er liebte eine Frau wie einen Kameraden. Er besass die Logik aller guten Gefühle und die Weisheit aller Verschlagenheit, und trotzdem kam er nie zu etwas, weil er zu sehr an das Unmögliche glaubte. – Ist es erstaunlich? Er war immer dabei es zu konzipieren.

Eines Abends empfand Samuel Lust auszugehen. Das Wetter war schön und duftend. – Er hatte gemäss seines Geschmackes am Ungewöhnlichen gleich starke und lange Perioden der Zurückgezogenheit und der Zerstreuung, und hatte sich lange Zeit über nicht aus seiner Wohnung gerührt. Die mütterliche Faulheit, die kreolische Lust am Nichtstun, die in seinen Adern rollte, hinderten ihn daran, unter der Unordnung seines Zimmers, seiner Wäsche und seiner eingefetteten und vollkommen unordentlichen Haare zu leiden. Er kämmte sich, wusch sich und fand in einigen Minuten die Sicherheit der Leute wieder, für die die Eleganz alltäglich ist, dann öffnete er das Fenster. – Ein warmer und goldiger Tag flutete in das staubige Zimmer. Samuel wunderte sich, wie schnell in den wenigen Tagen ohne laute Ankündigung der Frühling gekommen war. Eine milde Luft voll von Wohlgerüchen drang ihm in die Nüstern, – ein Teil stieg in sein Gehirn und füllte es mit Träumen und Wünschen, der andere Teil bewegte Fleisch, Herz, Magen und Leber. – Entschlossen blies er zwei Kerzen aus, deren eine noch auf einem Band Swedenborg flammte, während die andere auf einem dieser schmählichen Bücher verlosch, deren Lektüre nur den Geistern vorteilhaft ist, die einen unmäßigen Geschmack an der Wahrheit haben.

Aus der Höhe seiner Einsamkeit, die voll Papiere steckte, mit Schmökern gepflastert und mit Träumen erfüllt war, sah Samuel oft eine Gestalt und eine Figur in einer Allee des Luxembourg spazieren, wie er sie in der Provinz geliebt hatte, – im Alter, wo man aus Liebe liebt. – Ihre Züge, die durch einige Jahre der Praxis gereift und fetter geworden waren, hatten die tiefe und dezente Grazie der anständigen Frau; im Grunde ihrer Augen leuchtete von Zeit zu Zeit noch die feuchte Träumerei des jungen Mädchens auf. Sie ging hin und her und wurde gewöhnlich von einem ziemlich eleganten Wesen begleitet, dessen Gesicht und Haltung mehr auf eine Vertraute und Gesellschaftsdame als auf einen Dienstboten schließen liessen. Sie schien einsame Plätze aufzusuchen und setzte sich traurig, wie eine Witwe, nieder. Mitunter hielt sie in ihrer zerstreuten Hand ein Buch, in dem sie nie las.

Samuel hatte sie in der Gegend von Lyon gekannt, wo sie jung, heiter, tollend und noch dünner war. Während er sie ansah und sozusagen wiedererkannte, hatte er nach und nach all die Erinnerungen zurückgerufen, die sich ihm in seiner Phantasie verbanden; er hatte sich diesen Jugendroman in allen Einzelheiten wiedererzählt, der sich seither in der Geschäftigkeit seines Lebens und im Wirrsal seiner Leidenschaften verloren hatte.

An diesem Abend grüßte er sie, sorgfältiger aber und eingehender. Als er an ihr vorüberging, hörte er hinter sich diesen Fetzen eines Zwiegespräches:

»Wie finden Sie diesen jungen Mann, Marietta?« Aber sie sagte das so zerstreut, dass daraufhin der boshafteste Beobachter nichts gegen die Dame hätte sagen können.

»Ich finde, dass er sehr gut aussieht, gnädige Frau ... gnädige Frau wissen, dass es Herr Samuel Cramer ist?« Worauf sie strenger: »Woher wissen Sie denn das, Marietta?«

Darum beeilte sich Samuel am andern Morgen, ihr ihr Taschentuch und ihr Buch wiederzubringen, die er auf einer Bank fand und die sie nicht verloren hatte, da sie in der Nähe stand, zuschaute, wie Spatzen sich um Brotkrumen stritten, oder aussah, als beobachtete sie die innere Arbeit der Vegetation. Wie es denn häufig zwischen zwei Wesen geschieht, deren gemeinsames Geschick die Seelen in die gleichen Schwingungen versetzt, hatte er – indem er alsbald ungeschminkt zu sprechen begann – das außergewöhnliche Glück, einen Menschen zu finden, der bereit war, ihm zuzuhören und ihm zu antworten.

»Hatte ich das Glück, gnädige Frau, in einem Winkel Ihrer Erinnerung noch zu leben? Habe ich mich so verändert, dass Sie in mir nicht den Spielkameraden wieder erkennen können, mit dem Sie sich herabliessen, Versteck zu spielen und hinter die Schule zu gehen?«

 

»Eine Frau,« antwortete die Dame mit halbem Lächeln, »hat nicht das Recht, jemanden wiederzuerkennen. Deshalb danke ich es Ihnen, mir als erster die Möglichkeit gegeben zu haben, an diese schönen und heiteren Erinnerungen zurückzudenken ... und dann ... jedes Jahr unseres Lebens ist so voller Geschehnisse und Gedanken ... und ich glaube, es sind wirklich sehr viele Jahre her ...«

»Jahre,« antwortete Samuel, »die für mich bald langsam dahinschlichen, bald recht schnell entflogen, aber alle sehr grausam waren!«

»Und die Dichtkunst ..?« fragte die Dame und lächelte mit den Augen.

»Gedeiht, gnädige Frau!«, antwortete lächelnd Samuel, »aber was lesen Sie denn da?«

»Einen Roman von Walter Scott.«

»Jetzt verstehe ich, warum Sie mich so häufig unterbrechen ... – Ach, welch langweiliger Schriftsteller! Ein verstaubter Ausgräber von Chroniken! Eine langweilige Anhäufung von Bric-à-Brac, ein Haufen Altwaren und Trödel aller Art: Waffen, Geschirre, Möbel, gotische Kneipen und melodramatische Schlösser, in denen einige Aufziehpuppen spazieren laufen und mit Röcken und bunten Wämsern bekleidet sind, bekannte Typen, von denen kein achtzehnjähriger Plagiator in zehn Jahren noch etwas wird wissen wollen. Unmögliche Schlossfrauen, unvollkommene und unwahre Liebhaber; keine Wahrheit des Herzens; keine Philosophie der Gefühle! Welcher Unterschied gegen unsere guten französischen Romanciers, bei denen Leidenschaft und Gefühl immer den Sieg über die materielle Beschreibung der Gegenstände davon tragen! –Wie gleichgültig, ob die Schlossfrau in Fraise geht, Paniers oder einen Unterrock Oudinout trägt, wenn sie nur schluchzen und anständig verraten kann. Interessiert Sie der Liebhaber mehr, wenn er in seiner Weste einen Dolch anstatt einer Visitenkarte verbirgt, oder erregt ein Despot im Gehrock weniger poetisches Entsetzen als ein Tyrann in Rüstung und Eisen?« Man sieht, Samuel verfiel wieder in den Fehler der »gründlichen« Leute, dieser unausstehlichen und leidenschaftlichen Menschen, bei denen der Beruf die Unterhaltung verdirbt und denen jede Gelegenheit zu recht kommt, selbst einer zufälligen Bekanntschaft bei einem Baum oder an einer Straßenecke, und wäre es die mit einem Lumpensammler, hartnäckig ihre Ideen auseinanderzusetzen. – Die Handlungsreisenden, Industriellen, Bürger, Makler und die »Gründlichen« unterscheiden sich nur durch die Reklame, die sie für ihre Versprechungen machen. Die Sünden der letzten dienen freilich keinem persönlichen Interesse.

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