Die Pest zu London

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Die Geschäfte führten mich zuweilen an das andere Ende der Stadt, als die Seuche dort am stärksten herrschte, und da mir wie übrigens jedem andern die Sache noch neu war, sah ich mit keiner kleinen Überraschung, wie verödet die sonst so belebten Straßen waren, in denen man kaum hier und da einen Menschen antraf. Wäre ich ein Fremder gewesen, hätte ich manchmal ganze Straßen lang, wenigstens was die Nebengassen betrifft, kein lebendes Wesen gefunden, um nach dem Wege zu fragen, außer den Wachleuten, die vor den abgesperrten Häusern aufgestellt waren, welchen Umstand ich gleich näher erklären werde.

Als ich eines Tages in einer besonderen Angelegenheit in jenem Teile der Stadt war, bewog mich die Neugier, alles genauer als sonst zu betrachten. Ich ging daher eine große Strecke weiter, wo ich eigentlich nichts zu tun hatte. In Holborn waren viele Leute auf der Straße, aber sie gingen alle in der Mitte, weder rechts noch links, um, wie ich vermute, ein Zusammentreffen mit jedem zu vermeiden, der etwa aus einem Hause herauskäme, und auch, um den Gerüchen zu entgehen, die aus den verseuchten Häusern drangen.

Die Rechtskollegien waren alle geschlossen, und auch im Temple, in Lincolns Inn oder Grays Inn fand man nur wenige Rechtsanwälte. Es gab keine Prozesse mehr, also hatten sie nichts zu tun, abgesehen von den Gerichtsferien, die die meisten dazu benutzten, aufs Land zu gehen. An einigen Plätzen waren ganze Häuserreihen sorgsam verschlossen. Die Bewohner waren alle geflohen, nur ein oder zwei Wachleute zu sehen.

Wenn ich sage, daß ganze Häuserreihen verschlossen waren, so meine ich nicht, daß das auf Befehl der Behörden geschehen war. Eine Menge Leute waren dem Hofe gefolgt, in dessen Diensten sie standen, und auch andere waren aus Angst vor der Pest geflohen, so daß manche Straßen völlig verödet erschienen. Die Furcht war damals in der eigentlichen City noch lange nicht so groß, denn wenn auch anfangs dort ein unaussprechliches Entsetzen überhandnahm, ging die Seuche zuerst doch oft wieder zurück, so daß die Leute wiederholt aufgeschreckt wurden und sich dann wieder beruhigten, bis sie sich endlich daran gewöhnten. Selbst wenn die Seuche dann von neuem heftiger auftrat, verloren sie nicht mehr den Mut, weil sie sahen, daß sie sich nicht sofort in der City, den östlichen und südlichen Teilen verbreitete. Und außerdem war alles ein wenig abgestumpft. Es ist nicht zu leugnen, daß eine ungeheure Masse Volkes geflohen war, aber hauptsächlich aus den westlichen Stadtteilen und jenen, die man das Herz der City nennt, also vornehmlich reiche Leute oder solche, die weder Beruf noch Geschäft hatten. Die andern waren im allgemeinen geblieben, in Erwartung des Schlimmsten, so in den äußern Bezirken und Vorstädten, in Southwark, Ratcliff, Stepney, Rotherhithe und da herum, bis auf die wenigen Wohlhabenderen, die unabhängig waren.

Man darf nicht vergessen, daß beim Ausbruch der Seuche London mit all seinen Vorstädten richtig überfüllt an Menschen war. Wenn auch seither die Bevölkerung weiter mächtig zugenommen hat, so waren doch damals, nach Beendigung des Krieges, Auflösung der Heere, und Wiederherstellung der Monarchie die Leute haufenweise nach London gekommen, um sich dort geschäftlich niederzulassen oder bei Hofe Anstellung, Belohnung für geleistete Dienste und was dem mehr ist, zu suchen. Man nahm an, daß auf solche Weise die Stadtbevölkerung um mehr als 100 000, ja, wie manche behaupteten, aufs Doppelte gestiegen war. Strömten doch all die zugrunde gerichteten Familien der Königspartei hier zusammen, all die verabschiedeten Soldaten, die sich nun um irgendeinen Handel umsahen, und auch außerdem eine Masse Menschen. Denn der Hof erschien in Pracht und neuem Glanze, das Geld flog nur so hinaus, und die Befriedigung über die Wiederherstellung des Königtums zog nicht wenige Familien nach der Hauptstadt.

Aber nun wieder zurück zum Beginn dieser erstaunlichen Zeit, als die Angst des Volkes erst im Entstehen war. Mehrere seltsame Ereignisse kamen dazu, sie zu verstärken, und wenn man sie nebeneinander hält, muß man sich wirklich wundern, daß nicht das ganze Volk, wie ein Mann, die Heimstätten verließ und sich aus einem Orte flüchtete, den der Fluch des Himmels getroffen hatte, mit allem, was in ihm lebte, vom Erdboden zu verschwinden. Ich will nur einiges davon anführen, von dem vielen, mit dem die Hexenmeister und Schlauköpfe einen solchen Schwindel trieben, daß ich nicht erstaunt gewesen wäre, wenn alle, besonders die Frauen, die Stadt verlassen hätten.

Vor allem war es ein Schweifstern oder Komet, der mehrere Monate vor der Pest am Himmel erschien, gerade wie damals vor der großen Feuersbrunst. Die alten Weiber und jener Teil des stärkeren Geschlechts, den ich auch alte Weiber nennen möchte, beobachteten damals, aber natürlich erst, als beide Heimsuchungen vorüber waren, daß die beiden Kometen unmittelbar über die Stadt hinweggezogen waren, und das so nahe über den Häusern, daß es offensichtlich für die Stadt etwas Besonderes zu bedeuten hatte. Ferner hieß es, daß der Komet, der vor der Seuche erschien, von blasser, matter, flauer Farbe gewesen wäre, sich auch sehr langsam, feierlich und schwerfällig bewegt habe, während der Komet, der die Feuersbrunst anzeigte, hell, glänzend und sprühend ausgesehen hätte und sich schnell und wütend bewegt habe. Woraus hervorgeht, daß der eine eine langsam verlaufende, aber schwere, schreckliche und verderbliche Heimsuchung anzeigte, wie es die Pest ist, der andere aber ein plötzliches, schnell hereinbrechendes Unglück, nämlich die Feuersbrunst. Einige Leute behaupteten sogar, beim raschen Vorüberziehen des Feuerkometen, dessen Bewegung sie mit den Augen folgten, ein gewaltiges, sausendes Getöse vernommen zu haben, wie aus weiter Entfernung, so daß es gerade noch hörbar war.

Ich selbst habe beide Himmelskörper gesehen und muß gestehen, daß auch ich so weit von dem allgemeinen Glauben angesteckt war, um in ihnen die Vorboten und Warnungen des göttlichen Gerichtes zu erkennen, besonders, als auf den ersten die Pest folgte. Als ich dann den zweiten erblickte, konnte ich nicht anders als glauben, daß Gott die Stadt noch nicht genügend gestraft hätte.

Die Furcht des Volkes wurde noch mehr gesteigert durch den Aberglauben jener Zeit, die, ich weiß nicht auf was hin, mehr für Vorhersagungen, astrologisches Gerede, Träume und Altweibergeschwätz empfänglich war, als irgendeine vorher oder nachher. Ob diese unselige Neigung ursprünglich durch die Narreteien jener Leute genährt wurde, die dadurch Geld verdienten, indem sie allerlei Prophezeiungen und Horoskope drucken ließen, weiß ich auch nicht, aber sicher ist es, daß alles Gedruckte auf das Volk einen tiefen Eindruck machte, solches Zeug wie Lilys Almanach, Gadburys Astrologische Prophezeiungen, Poor Robins Kalender und ähnliches mehr, ebenso wie vorgebliche Andachtsbücher. Eins von ihnen trug den Titel: Zieh aus von ihr, mein Volk, damit du nicht zum Mitschuldigen an ihren Seuchen werdest; ein anderes hieß: Guter Rat, ein drittes: Britisches Memento usw. Alle oder fast alle sagten offen oder verschleiert das Verderben der Stadt voraus. Manche Leute stellten sich so begeistert, daß sie, Prophezeiungen ausrufend, durch die Straßen liefen, unter dem Vorgeben, sie wären gesandt, der Stadt Buße zu predigen. Einer besonders schrie in den Straßen wie Jonas in Ninive: Noch 40 Tage, dann wird London zerstört werden! Ganz genau weiß ich allerdings nicht mehr, ob er 40 Tage oder ein paar Tage sagte. Ein anderer trieb sich, bis auf eine Unterhose splitternackt, herum und rief wie jener Mann, von dem Josephus erzählt, der vor der Zerstörung Jerusalems »Wehe Jerusalem« schrie, Tag und Nacht: O des großen und schrecklichen Gottes! Mehr sagte er nicht, sondern wiederholte nur immer wieder dieselben Worte mit einer Stimme und einem Gesicht, in denen sich das Entsetzen malte, während er unaufhörlich weiter rannte, ohne jemals stehen zu bleiben, sich niederzusetzen oder irgendeine Nahrung zu sich zu nehmen, wenigstens nach dem, was ich von ihm gehört habe. Ich sah den armen Teufel mehrmals auf der Straße und würde ihn angeredet haben, aber er wollte weder mit mir noch irgend jemand sonst etwas zu tun haben, sondern fuhr nur fort, sein schauerliches Geschrei von sich zu geben.

Durch derartige Vorfälle wurde das Volk aufs äußerste erregt, besonders, als wie schon berichtet, in den öffentlichen Sterberegistern zwei oder drei Pestfälle in St. Giles erschienen.

Zu all dem kamen noch die Träume der alten Weiber, oder richtiger: die Auslegungen der alten Weiber der Träume anderer Leute. Sie machten Haufen von Menschen geradezu verrückt.

Einige hörten Stimmen, die sie ermahnten fortzugehen, denn es würde eine solche Seuche in London ausbrechen, daß die Lebenden nicht mehr imstande wären, die Toten zu begraben. Andere sahen Erscheinungen in der Luft, und ich glaube, ich darf von beiden, ohne die Gefühle des Mitleids zu verletzen, sagen, daß sie Stimmen hörten, die niemals sprachen und Erscheinungen sahen, die nicht da waren. Aber die Einbildungskraft der Leute war nun einmal wie besessen, und kein Wunder, daß die, die beständig in die Wolken schauten, endlich Umrisse und Gesichter und Erscheinungen sahen, die aus nichts als Dunst und Qualm bestanden. Die einen schrien, sie sähen eine Hand, die ein Flammenschwert mit der Spitze über die Stadt hielte, aus der Wolke hervorkommen; andere erblickten in der Luft Bahren und Särge, die zum Begräbnisplatz zogen. Dann wieder Leichenhaufen, die unbeerdigt herumlagen, -- was eben die Phantasie des armen verwirrten Volkes gerade hervorbrachte.

Ganze Bücher könnte ich mit den Erzählungen solcher Leute anfüllen von dem, was sie täglich gesehen hatten. Und dabei glaubte jeder so fest an das, was er erblickt zu haben vorgab, daß man keinem widersprechen durfte, ohne ihn zum Feinde zu machen oder einerseits roh und unmanierlich, oder frivol und oberflächlich gescholten zu werden. Eines Tages, ehe sich die Pest noch über St. Giles hinaus verbreitet hatte, sah ich mitten auf der Straße einen Haufen Menschen. Aus Neugier ging ich hin und sah, daß sie alle in die Luft starrten, um das gewahr zu werden, was ein altes Weib dort erblickte, nämlich nach ihren eigenen Worten, einen weißgekleideten Engel, der ein feuriges Schwert über seinem Haupte schwang. Sie beschrieb die Gestalt bis ins einzelne mit jeder Bewegung, und die Leute waren voll Begier, sie auch zu sehen, bis endlich einer schrie: Ja, ich seh's ganz deutlich, da ist ein Schwert, wie's nur eins gibt; einer sah den Engel, ein anderer sein Gesicht und rief: Was für eine wundervolle Gestalt; und so sah der eine dies und der andere das. Ich schaute ebenso eifrig wie die anderen hinauf, wenn auch wahrscheinlich mit weniger Bereitwilligkeit, mir etwas einreden zu lassen, aber ich konnte nichts sehen als eine weiße Wolke, die auf der einen Seite glänzte, weil auf die andere die Sonne schien. Das Weib versuchte, mir's zu zeigen, konnte mich aber nicht zum Geständnis bringen, daß ich etwas sah. Denn ich hätte lügen müssen, wenn ich behauptet hätte, ich sähe etwas. Worauf das Weib mich anblickte und meinte, ich lache sie aus, was aber wiederum nur in ihrer Phantasie geschah, weil's mir wirklich nicht ums Lachen war, sondern ich bei mir überdachte, wie sich die armen Leute durch ihre eigene Einbildungskraft ins Bockshorn jagen ließen. Die Frau wandte sich nun mir zu, nannte mich einen unheiligen Burschen und Spötter, und rief, es sei eine Zeit von Gottes Zorn, sein schreckliches Gericht rücke näher und solche, wie ich, die ihn mißachteten, sollten hinausziehen und zugrunde gehen.

 

Die herumstehenden Leute schienen ebenso aufgebracht als das Weib selber, und da ich sah, ich könnte sie doch nicht überreden, daß ich sie nicht ausgelacht hätte, und eher Mißhandlungen befürchten mußte, ging ich meines Weges und ließ die Engelserscheinung ebenso wirklich sein wie die des Kometen.

Noch eine andere Begegnung hatte ich am hellichten Tage, in einem engen Durchgang von Petty-France in dem Bishopsgate-Kirchhof, an einer Reihe von Armenhäusern vorbei. Dabei muß ich bemerken, daß es zwei Kirchhöfe im Kirchspiele von Bishopsgate gibt, den einen zwischen dem Platz von Petty-France und der Bishopsgate-Straße, der gerade bei der Kirchtüre aufhört, den andern an dem engen Durchgang, wo die Armenhäuser zur Linken bleiben und eine kleine Mauer mit Holzplanken darauf den Weg rechts begrenzt, während die Stadtmauer noch weiter rechts liegt.

In diesem Durchgang nun stand ein Mann, der durch die Holzplanke in den Kirchhof hineinspähte und so viele Leute um ihn herum, daß man sich gerade noch durchzwängen konnte. Der Kerl sprach mit allem Eifer zu ihnen, und während er bald dahin bald dorthin zeigte, behauptete er einen Geist über einen Grabstein schreiten zu sehen und beschrieb ihn in Gang, Haltung und Aussehen so genau, daß er um alles in der Welt nicht begriff, wie nicht jeder sonst ihn ebensogut sehen sollte. Plötzlich rief er aus: Da ist er! Jetzt geht er da! Nun dort! Jetzt hat er sich umgedreht!, bis er die Leute endlich so beschwatzt hatte, daß einer sich einbildete, er sähe nun auch den Geist. Und so kam er jeden Tag und verursachte förmlich einen Auflauf in diesem engen Durchgang, bis es auf der Kirchenuhr elfe schlug und der Geist gerade so, als ob er abgerufen würde, verschwand.

Ich schaute überall herum, und zwar genau in dem Augenblicke, als der Mann hindeutete, konnte aber auch nicht den Schatten einer Erscheinung erblicken. Aber der arme Teufel tat so bestimmt, daß die Leute Nervenzufälle bekamen und schließlich zitternd und voll Schrecken sich fortschlichen, bis bald nur mehr ganz wenige, die von der Geschichte wußten, sich trauten, den Durchgang zu benutzen. Bei Nacht aber hätte sich niemand, und hätte er's noch so wichtig gehabt, durchgewagt.

Dieser Geist machte, wie der Mann versicherte, Zeichen gegen die Häuser, gegen den Boden und die Leute, offenbar, um anzudeuten, daß sie haufenweise in diesem Kirchhof begraben würden. Wenigstens verstanden sie's so. Es kam auch, wie's der Geist vorhergesagt hatte, und vielleicht sah der Mann Dinge, an die ich niemals geglaubt habe. Ich selbst konnte nichts davon entdecken, so sehr ich mich auch anstrengte.

Man versuchte wohl das Drucken solcher Bücher, die die Leute nur in Verwirrung setzten, zu verbieten, und jene, die sie in Umlauf brachten, zu bestrafen, aber zu rechten Maßregeln kam es doch nicht, da die Regierung, soviel ich weiß, das Volk nicht weiter aufbringen wollte, das so schon am Ende seiner Vernunft war.

Auch mit jenen Geistlichen kann ich mich nicht einverstanden erklären, die durch ihre Predigten das Gemüt ihrer Zuhörer noch mehr niederdrückten, statt es zu erheben. Manche taten es zweifellos, um den Mut der Leute zu stärken und sie zur Buße anzuhalten. Aber diesen Zweck erreichten sie doch kaum, jedenfalls nicht verglichen mit dem Schaden, den sie anrichteten.

Ein Unfug hat immer einen anderen im Gefolge. Diese Furcht und Angst der Leute brachte sie auf tausend törichte, abgeschmackte und schlimme Dinge, wozu sie von den wirklich bösen Elementen noch ermutigt wurden. Sie rannten zu Wahrsagern, Hexenmeistern und Astrologen, um ihr Schicksal zu erfahren oder, wie man gewöhnlich es nennt, um sich ihr Schicksal sagen und sich die Nativität stellen zu lassen und zu ähnlichem Unsinn, und diese Narretei brachte in der Stadt im Augenblick einen Schwarm vorgeblicher Magier hervor, die sich der Schwarzen Kunst und weiß Gott, was sonst noch alles, rühmten und behaupteten, mit dem Teufel besser zu stehen, als es wohl wirklich der Fall war. Dieses Geschäft wurde so offen und allgemein betrieben, daß man an den Türen Anzeigen lesen konnte: Hier wohnt ein Wahrsager; hier wohnt ein Astrologe; hier wird die Nativität ausgerechnet. Der Bronzekopf Bruder Bacons, das gewöhnliche Zeichen solcher Art Leute, war fast überall in jeder Straße zu sehen, oder auch das Zeichen der Mutter Shipton oder der Kopf Merlins und mehr dergleichen.

Mit was für sinnlosem und lächerlichem Blödsinn diese Teufelsorakel die Leute zu ihrer Befriedigung vollstopften, weiß ich zwar nicht, aber sicher ist, daß jeden Tag zahllose Menschen vor ihren Türen sich herumdrängten, und sobald sich nur einer dieser Burschen in einer Samtjacke und schwarzem Mantel, der gewöhnlichen Kleidung dieser Beschwörer, auf der Straße zeigte, folgten ihm die Leute in Scharen und stellten während des Gehens allerlei Fragen. --

Die armen Dienstboten hatten eine recht schlechte Zeit, wie ich noch nach und nach berichten werde. Es war vorauszusehen, daß eine ungeheure Anzahl von ihnen entlassen würde, und tatsächlich war es auch so. Eine Menge von ihnen gingen zugrunde, besonders die, denen die falschen Wahrsager Hoffnungen gemacht hatten, daß sie im Dienst bleiben und von ihren Herrschaften aufs Land mitgenommen werden würden. Hätte sich nicht die öffentliche Wohltätigkeit dieser armen Geschöpfe angenommen, wie es sich auch gehört in solchen Fällen, so wären sie von der ganzen Bevölkerung in der allerschlechtesten Lage gewesen. --

Mit solchen Dingen beschäftigte sich das gewöhnliche Volk monatelang, als die Sorgen erst anfingen und die Pest noch nicht richtig ausgebrochen war, aber ich darf auch nicht vergessen, daß der bessere Teil der Bevölkerung sich ganz anders benahm. Die Regierung ermutigte ihre Andachtsübungen, und bestimmte öffentliche Gebets-, Buß- und Fasttage, an denen die Sünden laut bekannt und die Gnade Gottes angerufen wurde, um sein schreckliches Gericht, das über unseren Köpfen hing, abzuwenden. Man kann kaum beschreiben, mit welcher Bereitwilligkeit die Leute aller Berufe diese Gelegenheit begrüßten, wie sie sich in die Kirchen und zu den Versammlungen drängten, daß man nicht bis zu den Türen der allergrößten Kirchen gelangen konnte. In mehreren Kirchen wurden morgens und abends täglich Bittgebete abgehalten, ebenso wie Gebetstage an anderen Orten, und zu allen diesen Veranstaltungen erschienen die Leute mit ungewöhnlicher Andacht. Auch einzelne Familien, selbst wenn sie nicht desselben Glaubens waren, hielten Fasttage, zu welchen nur die nächsten Verwandten zugelassen waren. Mit einem Wort: alle, die wirklich fromm und glaubenseifrig waren, gaben sich in echt christlicher Weise dem Werk der Reue und Bußfertigkeit hin, wie es einem christlichen Volke geziemte.

Auch die Öffentlichkeit zeigte, daß sie sich an diesen Dingen beteiligen wolle, ja sogar der Hof, der in aller Lust und Freude lebte, stellte sich, als ob ihn die allgemeine Gefahr wirklich bekümmerte. Schauspiele und Possen, die, nach der Mode am französischen Hofe, eingeführt worden waren und immer beliebter wurden, durften nicht mehr gespielt werden. Die Spiel- und Tanzhäuser wie die Musikhallen, die sich ständig vermehrt hatten und bereits die Sitten des Volkes zu untergraben drohten, mußten geschlossen werden, und die Kasperl- und Marionettentheater, Seiltänzer und was dergleichen Leute mehr sind, die beim gewöhnlichen Volke beliebt sind, machten selbst zu, da niemand mehr etwas von ihnen wissen wollte. Denn die Leute hatten nun an anderes zu denken, Grausen und Sorge malten sich auf den Gesichtern selbst der Rohesten. Alle hatten den Tod vor Augen, und jedem war nun das Grab näher als Lustbarkeit und Unterhaltung.

Das waren wohl heilsame Betrachtungen, die, wenn man es richtig verstanden hätte, das Volk auf seine Knie gezwungen hätte, um seine Sünden zu bekennen und den barmherzigen Schöpfer um Gnade anzurufen und sein Mitleid in solcher Zeit der Heimsuchung zu erflehen, wie es einst in Ninive geschah. Aber beim niederen Volke schlugen sie nun ins andere Extrem um. Zuvor schon gedankenlos und leichtfertig, griff es nun in seiner Unwissenheit, Torheit und Angst zu den sinnlosesten Mitteln. Es lief, wie schon erwähnt, um die Zukunft zu erfahren, zu Beschwörern, Hexenmeistern und sonstigen Schwindlern, die es in beständiger Furcht und Unruhe erhielten, um Geld aus ihm herauszulocken. Ebenso wild war es hinter Quacksalbern und Marktschreiern her und ließ sich von jedem alten Kräuterweib mit Pillen, Tränken und Schutzmitteln vollstopfen, daß nicht nur das Geld hinausflog, sondern auch statt des Seuchengiftes ein anderes Gift in den Körper hineinkam. So machten die, die sich vor der Pest schützen wollten, sich erst recht für die Ansteckung empfänglich. Anderseits kann man es kaum glauben oder sich vorstellen, wie die Straßenecken und Hauswände über und über mit Anschlagzetteln von Ärzten bedeckt waren, mit Anzeigen von unwissenden, quacksalbernden Burschen, die die Leute einluden, sie aufzusuchen und ihnen Schutzmittel anpriesen. Die Sprache solcher Anpreisungen war echt marktschreierisch. Z. B.: Unfehlbar vorbeugende Pillen gegen die Pest; untrügliche Schutzmittel gegen die Ansteckung; höchst vortreffliche Tränke gegen die Fäulnis der Luft; genaue Anweisung sich im Falle der Ansteckung zu verhalten; Antipestpillen; unvergleichliche noch niemals zusammengestellte Mixtur gegen die Seuche; Universalmittel gegen die Pest; das einzig echte Pestwasser; das königliche Gegenmittel gegen alle Arten der Ansteckung, und noch eine ganze Anzahl mehr, die ich nicht anführen kann, da ich sonst ein eigenes Buch schreiben müßte.

Andere wieder klebten Anzeigen an, um sich den Leuten für Rat und Hilfe im Falle der Ansteckung zu empfehlen. Auch da gab es Titel, die sich gewaschen hatten, wie die folgenden:

Hervorragender hochdeutscher Arzt, eben von Holland gekommen, wo er sich während des ganzen Verlaufs der großen Pest aufhielt, letztes Jahr in Amsterdam, hat Haufen von Leuten geheilt, die wahrhaftig an der Pest erkrankt waren.

Italienerin von Stande, gerade von Neapel angelangt, besitzt ein besonderes Geheimnis, um die Ansteckung zu verhindern, das sie durch ihre tiefe Wissenschaft entdeckte, und womit sie bei der letzten Pest, an der 20 000 in einem Tage starben, wundervolle Kuren vollführte.

Alte Dame, die mit großem Erfolg während der Londoner Seuche von 1636 ihre Kunst ausübte, gibt Rat nur an Frauen. Sprechstunde usw.

Erfahrener Arzt, der lange das Studium der Gegenmittel gegen alle Arten von Giften und Ansteckungen betrieb, hat sich nach vierzigjähriger Praxis eine solche Geschicklichkeit erworben, daß er, mit Gottes Hilfe, jedermann vor der Ansteckung irgend welcher Seuche schützen kann. Arme werden umsonst behandelt.

Ich führe das nur als Beispiele an, von denen ich noch ein paar Dutzend geben könnte, ohne meinen Vorrat zu erschöpfen. Doch mögen diese genügen, um einen Begriff von der Gemütsverfassung dieser Zeit zu geben. Nicht nur, daß ein Haufen von Schwindlern und Geldschneidern den armen betrogenen Leuten das Geld aus der Tasche stahl, wurden sie auch mit gräulichen und gefährlichen Mitteln vergiftet. Einige mit Quecksilber, andere mit ebenso schädlichem Zeug, das weit entfernt war, die versprochenen Wirkungen hervorzubringen und im Falle einer Ansteckung dem Körper eher schadete als nützte.

 

Doch von einem Schlich eines dieser Quacksalber muß ich doch noch erzählen, mit dem er die armen Teufel an sich heranlockte und sie um ihr Geld brachte. In einem Nachtrag stand auf den Zetteln, die er auf der Straße austeilte, in dickgedruckten Buchstaben: Behandlung der Kranken umsonst.

Natürlich drängten sich die Leute zu ihm, worauf er ihnen die schönsten Reden hielt, sie auch auf ihren Gesundheitszustand hin untersuchte und ihnen manche Ratschläge gab, die freilich nicht viel wert waren. Sie kamen immer darauf hinaus, daß er eine Medizin besitze, die allmorgendlich genommen, jeden, bei Verpfändung von des Doktors Leben, vor der Pest schützen würde, selbst wenn er mit kranken Leuten in einem Hause wohnte. Natürlich brannten nun alle darauf, dieses Mittel zu haben, aber der Preis war sehr hoch, ich glaube, 2½ Schillinge. »Aber Herr,« sagte eine arme Frau, »ich bin eine Armenhäuslerin, und werde vom Kirchspiel erhalten, und Ihr sagt, daß die Armen Eure Hilfe umsonst haben.« -- »So ist es, gute Frau,« entgegnete der Doktor, »wie's hier gedruckt steht: ich gebe meinen Rat, aber nicht meine Medizin!« -- »Dann, Herr,« sagt sie, »ist es eine Schlinge für die Armen; Ihr gebt ihnen wohl Euren Rat umsonst, nämlich den Rat, Eure Medizin für ihr Geld zu kaufen, wie es jeder Händler mit seinen Waren macht.« Darauf fing sie zu schimpfen an und blieb den ganzen Tag vor seiner Türe stehen, indem sie allem Volk, das kam, ihre Geschichte erzählte, bis der Doktor, als er sah, daß sie ihm alle Kunden vertrieb, sich genötigt sah, sie nach oben zu rufen und ihr eine Schachtel seiner Medizin für nichts zu geben, die ihr wahrscheinlich auch zu nichts taugte.

Aber die Verwirrung, in der sich das Volk befand, war eben geeignet, es für das Gerede jedes Schwindlers empfänglich zu machen. Zweifellos zogen diese quacksalbernden Burschen einen großen Gewinn aus der Torheit der bejammernswerten Leute, denn das Gedränge vor ihren Türen und das Gelaufe zu ihnen war viel größer als vor den Wohnungen von Dr. Brooks, Dr. Upton, Dr. Hodges, Dr. Berwick oder sonst irgendeinem der damals berühmtesten Ärzte, und ich habe mir sagen lassen, daß einige dieser Marktschreier durch ihre Medizinen nicht weniger als 5 Pfund im Tage verdienten.

Aber noch eine andere Verrücktheit gab es, die über all dies hinausging, und eine gute Vorstellung von dem vertrackten Gemütszustand des Volkes in jener Zeit gibt. Es lief noch hinter einem weit schlimmeren Pack von Betrügern her als alle die schon erwähnten waren, die es doch nur täuschten, um Geld aus ihm herauszuziehen, so daß die Schlechtigkeit ganz auf ihrer Seite war und nicht bei den Betrogenen. Bei dem aber, was ich jetzt erzählen werde, waren beide Teile gleich schuldig. Das war das Tragen von Amuleten, Beschwörungsformeln, Zaubermitteln und, was weiß ich, sonst noch für Zeug, um den Körper gegen die Seuche »fest« zu machen, so als ob die Pest nicht von Gott geschickt worden wäre, sondern gleichsam von einem bösen Geiste hervorgebracht würde, gegen den man sich durch kreuzförmige Striche, astrologische Zeichen, mit so und so vielen Knoten zusammengebundene Papiere, aus die gewisse Worte und Zeichen geschrieben waren, schützen könne. Für besonders wirksam galt das Wort Abracadabra, dreiecks- oder pyramidenförmig geschrieben, so nämlich:

A B R A C A D A B R A

A B R A C A D A B R

A B R A C A D A B

A B R A C A D A

A B R A C A D

A B R A C A

A B R A C

A B R A

A B R

A B

A

Andere trugen das Zeichen der Jesuiten in einem Kreuz:

I H

S

und noch andere machten nichts als ein gleichschenkeliges Kreuz:

+

Ich könnte einen großen Teil meiner Zeit aufwenden, um gegen solche Narrheiten zu eifern, denn sie bedeuten wirklich eine Leichtfertigkeit in einer Zeit derartiger Gefahr und Volksverseuchung, aber meine Aufzeichnungen wollen hauptsächlich die Tatsache als solche festlegen. Wie viele dieser armen Teufel später die Wirkungslosigkeit von all diesem Zeug herausfanden, wie viele in den Leichenkarren fortgeschafft und mitsamt ihren Amuletten und ihrem teuflischen Quark um den Hals in die Massengräber geworfen wurden, das wird im folgenden noch besprochen werden.

Alles dies war die Folge von der Kopflosigkeit, die das Volk ergriffen hatte, nachdem das erste Gerücht von der Pest sich ausbreitete, also ungefähr um Michaeli 1664, dann besonders, als die beiden Männer in St. Giles Anfang Dezember starben, und später noch einmal im Februar. Denn als nun die Seuche offenbar weiter um sich griff, begannen die Leute bald den Unsinn einzusehen, sich solchen unnützen Kerlen anzuvertrauen, die ihnen nur das Geld aus der Tasche zogen. Dann schlug ihre Angst in Stumpfheit und eine Art von Fühllosigkeit um, da sie nicht wußten, was sie tun oder lassen sollten, um sich Erleichterung zu verschaffen. Sie rannten von einem Nachbarn zum andern, oder auch in den Straßen herum, von einer Tür zur andern und riefen fortwährend: Herr, hab' Mitleid mit uns, was sollen wir tun?

Ich glaube jetzt selbst, daß gleich nach dem ersten Auftreten der Seuche die Behörden die Lage des Volkes in ernsthafte Erwägung zogen. Ich werde gleich berichten, was geschah, um die Ordnung in Hinsicht auf die Bevölkerung und die verseuchten Familien aufrechtzuerhalten. Aber was den geistigen Gesundheitszustand anbetrifft, muß erwähnt werden, daß ich selbst das verrückte Wesen der Leute beobachtet habe, die wie Wahnsinnige hinter den Quacksalbern, Schwindlern, Wahrsagern und Hexenmeistern her waren. Der Lordmayor, ein sehr gewissenhafter und frommer Mann, bestimmte Ärzte und Bader zur Hilfe für die Armen, wenn sie krank wurden und befahl insbesondere dem Ärztekollegium, Leitsätze für billige Heilmittel bei allen Symptomen der Seuche herauszugeben. Das war auch wirklich eine der besten und richtigsten Maßregeln, die zu jener Zeit getroffen werden konnte; denn dadurch vertrieb man das Volk von den Türen der Quacksalber und bewahrte es davor, jedes Gift wahllos als Medizin hinunterzuschlucken und sich den Tod statt der Genesung zu holen.

Die Anweisung der Ärzte wurde in einer Sitzung des ganzen Kollegiums ausgearbeitet, und da sie hauptsächlich zum Gebrauch der Armen und zur Anwendung billiger Heilmittel berechnet war, wurde sie veröffentlicht und Abzüge an jeden gegeben, der davon haben wollte. Da sie überall im Wortlaut zu lesen ist, brauche ich den Leser damit nicht weiter zu belästigen.

Noch muß ich schildern, welche Maßregeln von den Behörden für die allgemeine Wohlfahrt getroffen wurden, um die Weiterverbreitung der Seuche zu verhindern, wenn sie einmal ausgebrochen war. Ich werde oft genug Veranlassung haben, von der Umsicht der Behörden zu reden, ihrer Wohltätigkeit und Sorgfalt für die Armen, ihrem Bemühen, die Ordnung aufrechtzuerhalten, Nahrungsmittel herbeizuschaffen und dergleichen mehr, als die Seuche nun wirklich zunahm. Aber zuerst will ich die Maßregeln beschreiben, die für die verseuchten Familien in Kraft traten.

Ich erwähnte schon früher das Absperren der Häuser, und es muß gerade darüber mehr gesagt werden. Wenn auch dieser Teil der Geschichte der Pest vielleicht der allertraurigste ist. Aber auch das Ärgste darf nicht verschwiegen werden.

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