Читать книгу: «Seewölfe Paket 33», страница 17
Eimer um Eimer kippte er mit Schwung auf den Boden und gegen die Wände. Es zischte und knisterte, und Dampf und Qualm vermischten sich zu einer immer dichteren Suppe, vom Feuer gespenstisch flackernd erhellt.
Ein zweiter Mann stieg hinunter. Weil in dem Moment ein Teerfaß hell aufloderte, erkannte der Segelmacher Jorge Zapatas kantiges Gesicht.
Der Teer brannte mit greller Flamme und unter stärkster Rauchentwicklung. Kurz entschlossen kippte Zapata einen vollen Eimer auf die brennende, zähflüssige Masse. Es gab ein dumpfes, fauchendes Geräusch wie bei einer Verpuffung, und glühender Teer spritzte nach allen Seiten.
Barbara, der unmittelbar neben dem Faß gestanden hatte, schrie entsetzt auf. Die Glut fraß sich durch seine Kleidung. Er hatte plötzlich genug damit zu tun, die winzigen Flammen auf seinem Hemd auszuschlagen.
Zapatas Angriff traf ihn deshalb unvorbereitet, er brachte nicht einmal mehr die Arme abwehrend hoch, als der Decksmann ihm einen Eimer an den Kopf schmetterte. Der Schlag war hart genug, ihn von den Beinen zu fegen.
Noch im Sturz begriff er, daß er um sein Leben kämpfen mußte. Zapata hatte viel zu verlieren, und er hatte sich offenbar entschlossen, den Mitwisser aus dem Weg zu räumen.
Wieder schlug er zu. Der stechende Schmerz, der jäh durch seine Schulter zuckte, raubte dem Segelmacher den Atem, obwohl unmittelbar über den Planken der Rauch nicht so dicht war. Verzweifelt wollte er sich herumwälzen und nach den Beinen des Gegners treten, doch Zapata war schneller.
Der Segelmacher entging dem zweifellos tödlichen Hieb gegen seinen Kopf um Haaresbreite. Die Verzweiflung mobilisierte nochmals seine Kräfte. Er kriegte den Eimer zu fassen und zerrte Zapata ruckartig zu sich heran.
Im nächsten Moment wälzten sie sich in verbissenem Zweikampf über den Boden. Juan Barbara hatte seine Linke in den Haaren des Decksmannes verkrallt und versuchte, mit der Rechten den Dolch aus dem Gürtel zu ziehen.
Zapata hingegen tastete mit beiden Händen nach seiner Kehle. Sie keuchten halb erstickt. Die Glut und der fehlende Sauerstoff setzten ihnen zu. Ihre Griffe erlahmten von selbst.
Irgendwie schaffte Barbara das Kunststück, die Knie anzuziehen und den Gegner zur Seite zu drücken. Zapatas Gesicht, das er gerade eine Handspanne vor sich sah, war zur haßverzerrten Fratze geworden.
Undeutlich und wie aus weiter Ferne vernahm der Segelmacher eine Stimme vom oberen Deck, die nach ihnen rief.
Im selben Moment zerbarst das Teerfaß. Wie glühende, zähflüssige Lava ergoß sich die brennende Masse auf die Planken, keine zwei Schritte von den Kämpfenden entfernt.
Die Hitze versengte ihre Haare und verbrannte die Haut. Juan Barbara rang nach Luft, da schlug Zapata mit einer brennenden Daube aus dem Faßmantel zu.
Taumelnd richtete sich der Decksmann auf. Seltsamerweise empfand er keine Erleichterung, sondern nur eine grenzenlose Leere. Ohne daß er es merkte, ließ er das brennende Holz fallen.
Die Hitze war nicht mehr zu ertragen.
Weg von hier! schoß es ihm durch den Sinn. Oder du stirbst ebenfalls in den Flammen.
Erst jetzt hörte er das Geschrei von oben. Die Jakobsleiter hatte Feuer gefangen und wurde herabgeworfen. Zugleich kippten die Männer Pütz um Pütz voll Seewasser aus. Jorge war dennoch der Rückweg abgeschnitten.
Der brennende Teer ließ die Vorpiek zur Todesfalle werden. Schützend die Arme vors Gesicht geschlagen, torkelte Zapata an der Wand entlang. Zum Glück fand er das Schott auf Anhieb, weil sie sich als helleres, stärker brennendes Viereck inmitten der glimmenden Beplankung abzeichnete.
Mit dem letzten Rest von Selbstbeherrschung warf er sich dagegen. Das Schott sprang auf, Zapata stürzte und kämpfte verzweifelt gegen die beginnende Ohnmacht an. Die Außenluft empfand er als angenehm kühl auf der glühenden Haut. Der Qualm war nur über dem Boden etwas lichter.
Jorge atmete kurz und hastig. Auf allen vieren schleppte er sich vorwärts, weg von der Hölle, die er eben erlebt hatte. Er glaubte nicht mehr daran, daß die „Respeto“ noch zu retten war.
Neben ihm huschten kleine, blaue, zitternde Flämmchen durch die Plankennähte. Weitere Brandherde hatten sich in dem vor der Piek lagernden Gerümpel gebildet, und auch in dem anschließenden Laderaum flackerten schon die Flammen.
Zapata dachte an den Rum. Zwei der Fäßchen waren aufs höchste gefährdet. Falls sie zu brennen begannen, würde sich das Feuer schlagartig weiter ausbreiten.
Er hörte Stimmen.
Im einen Moment waren sie ganz nahe und so laut, daß seine Trommelfelle schier zerplatzten – im nächsten Moment schwanden sie zum verhaltenen Raunen eines Maienlüftchens und schienen möglicherweise gar nicht mehr vorhanden zu sein, sondern auf bloßer Einbildung zu beruhen.
Jorge Zapata verstand ohnehin nicht, was sie sagten.
Seine Lider waren schwer wie Blei. Er hatte Mühe, sie wenigstens so weit zu öffnen, daß er unter den Wimpern hindurch verschwommen seine Umgebung wahrnehmen konnte.
Rauch wölkte über ihm. Aber da waren auch straff durchgeholte Taue und ein im Dunst verschwindender Mast. Und flüchtig gewahrte er ein winziges Stückchen blauen Himmels, das sich jedoch rasch wieder verhängte.
Er lag an Deck und wußte nicht, wie er es geschafft hatte, nach oben zu gelangen. In seiner Erinnerung klaffte eine mehr oder weniger große Lücke.
Die Stimmen wurden deutlicher. Jorge Zapata hörte den Capitán Befehle brüllen. Hand in Hand mühte sich die Crew, von außenbords Wasser in Pützen aufzuhieven und unter Deck zu mannen. Aber offenbar war das Feuer nicht einzudämmen.
Wie lange mochte er ohne Besinnung gewesen sein? Zapata hatte keine Ahnung. Ebensowenig wußte er, was geschehen war. Hatte er sich aus eigener Kraft über die Niedergänge nach oben geschleppt, oder war er von jemandem entdeckt und gerettet worden?
Gesicht und Hände glühten, die Kopfhaut juckte schier unerträglich. Mühsam versuchte er, sich zu bewegen. Wieder wurde ihm schwarz vor Augen, aber er schaffte es, einen Arm zu heben und sich mit den Fingern durchs Haar zu fahren.
Die Berührung erzeugte einen stechenden Schmerz. Erschrocken zog Zapata die Hand zurück. Abgesehen von den großflächigen Brandblasen, war sie plötzlich rußgeschwärzt. Versengte Haare klebten zwischen den Fingern.
Bruchstückweise entsann er sich. Erst die Vorpiek, danach der Laderaum, aber auch hier Feuer und Flammen, die ihn einschlossen.
Verzweifelt raffte er sich auf, um dem Tod zu entgehen. Er kroch, taumelte und stolperte vorwärts, seine Kleidung fing Feuer, er schlug die Flammen aus, doch sie züngelten von neuem hoch. Aber plötzlich waren da schemenhafte Gestalten. Die jähe Kälte über ihm zusammenschlagenden Wassers raubte ihm endgültig die Besinnung …
Mühsam stemmte er sich hoch. Niemand achtete auf ihn, die Mannschaft befand sich in Panikstimmung. Aber noch dachte keiner daran, die Jollen klarzumachen und auszusetzen. Der Capitán hatte befohlen, die „Respeto“ zu retten. Wer unter diesen Umständen nicht bis zum Letzten seinen Mann stand, würde wenig zu lachen haben.
Julio Cazalilla, der Feldscher, nahm sich seiner an. Ein verflucht mulmiges Gefühl breitete sich in Zapatas Magengegend aus, als er endlich die vielen Verbrennungen sah, die er erlitten hatte. Daß er noch lebte, schien schlichtweg ein Wunder zu sein.
Andere hatten weniger Glück als der Decksmann. Während sich die einen verbissen bemühten, das Feuer in der Vorpiek von oben her unter Kontrolle zu bringen und Unmengen von Wasser auf das schwelende und brennende Gerümpel ausleerten, versuchten die anderen, ein weiteres Ausbreiten der Flammen zum Achterschiff hin zu verhindern, was sich letztlich als schwieriger erwies als angenommen.
Das ausgedörrte Werg in den Plankennähten wirkte zum Teil wie eine Pulverspur, so schnell und zielstrebig fraß sich die Glut daran entlang.
Und plötzlich loderten irgendwo neue Flammen auf und griffen gierig um sich.
Rußgeschwärzte, schwitzende Gestalten hasteten durch den Qualm, der sich wieder dichter ausbreitete. Verschalkungen wurden eingerissen und Latten und Taue nach achtern geschleppt, um dem Feuer möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten.
Aber auch Gold und Silber behinderten die Löschmannschaften, zumal Glutnester überall entstanden – es war nur noch eine Frage der Zeit, bis der massive Rumpf der Galeone entweder durch die Flammen selbst oder durch langsam kokelnde Balken so weit geschwächt sein würde, daß er dem Wasser nicht mehr standhielt. Die „Respeto“ war dann unweigerlich verloren.
Francisco Avila, der Navigator, und Vincente Camoiras, der Stückmeister, hatten gerade im vorderen Teil eines Laderaums alle Glutnester gelöscht und waren im Begriff, goldene indianische Kultgegenstände umzuladen, als sie unvermittelt auf ein Fäßchen stießen, dessen Dauben bereits brannten. Seltsamerweise wirkten die Bodenplanken rundherum, als böten sie den Flammen besonders viel Nahrung.
Das Faß gehörte bestimmt nicht hierher. Bevor Avila sich jedoch darüber klarwerden konnte, sagte Camoiras: „Das ist Rum!“
Er deutete auf die Dauben, zwischen denen eine sofort hell auflodernde Flüssigkeit hervorquoll.
Im selben Moment schlug das Feuer durch. Eine grelle Stichflamme sprengte das Holz und die schon lockeren Eisenreifen.
Der Stückmeister, der unmittelbar vor dem Faß gestanden hatte, wurde von der Verpuffung zurückgeschleudert. Im Nu glich er einer lodernden Fackel, die nichts und niemand mehr zu löschen vermochte. Brüllend wirbelte er im Kreis herum, aber sein Schreien verstummte sehr schnell.
Avila, der mit sich selbst mehr als genug zu tun hatte und ebenfalls schwere Verbrennungen davontrug, konnte ihm nicht helfen. Bis weitere Männer, dem Lärm folgend, zu Hilfe eilten, lebte Vincente Camoiras schon nicht mehr und nur mit Mühe schafften sie es, den Navigator zu löschen und ihn aus der unmittelbaren Gefahrenzone zu schleppen.
An einigen Stellen brannte der Laderaum lichterloh. Die um sich greifende Hitze zwang die Männer, sich weiter zurückzuziehen.
7.
„Dieser Capitán Pigatto ist ein hirnloses Rindvieh“, sagte der Profos im Brustton der Überzeugung. „Man sollte ihn in den Hintern treten und danach versuchen, den Brand zu löschen.“
„Er unternimmt sicher alles in seiner Macht Stehende“, erwiderte Matt Davies, wobei er sich vergeblich bemühte, eine zwischen seinen Zähnen hängende Fleischfaser zu entfernen. Er schmatzte und schnitt Grimassen, die selbst Old Donegal das Fürchten gelehrt hätten.
„Nimm einfach den Haken!“ riet Carberry und deutete auf die Prothese, die Matts rechte Hand ersetzte.
„Was du nicht sagst.“ Davies reagierte überaus gereizt. „Deine klugen Ratschläge kannst du dir sonstwohin stecken, Mister.“
„Ach nee. Wohin zum Beispiel?“
Matt Davies schmatzte steinerweichend. Er ließ den Profos Profos sein und zeigte ihm die kalte Schulter.
Es sah nicht so aus, als hätten die Dons auf der „Respeto“ den geringsten Erfolg zu verzeichnen.
„Denen brennt der Kahn unter dem Hintern weg, und sie tun nichts dagegen“, sagte der Profos grollend. „So etwas muß man erst mal gesehen haben. Oder bist du immer noch anderer Meinung, Matt?“ Er verpaßte Davies einen freundschaftlichen Klaps zwischen die Schulterblätter, daß der beinahe über Bord gegangen wäre.
„Hoppla! Wenn ich dich nicht aufgefangen hätte, wärst du glatt naß geworden. Stehst ziemlich wacklig auf den Beinen, was, wie?“
Matt Davies schwieg. Dazu gehörte eine gehörige Portion Selbstbeherrschung. Er brachte es sogar fertig, den Profos anzulächeln.
„Du bist mir doch von allen der Liebste, lieber Edwin.“ Sprach’s, drehte sich auf dem Absatz um und verschwand, nach wie vor heftig schmatzend, unter Deck. Er ließ einen völlig verdatterten Profos zurück, der sich intensiv und nachdenklich die Nase rieb.
„Was das Rübenschweinchen damit wohl meint?“ Dan O’Flynn trat vorsichtig näher, darauf bedacht, nicht in Carberrys Reichweite zu gelangen. „Womöglich ist er ein feuriger Verehrer deiner Männlichkeit und du hast es nur noch nicht spitzgekriegt. Du solltest ihn einfach mal fragen.“
„Noch ein Wort von Feuer, und ich vergesse mich“, sagte der Profos grollend. Womit er wieder beim Thema war. Und das behagte ihm überhaupt nicht. Ob die „Respeto“ zum Teufel ging, war ihm scheißegal, aber das schöne Gold und Silber, das unwiederbringlich verloren wurde, taten ihm auf der Seele weh.
„Die Ratten schicken sich an, das sinkende Schiff zu verlassen“, sagte Dan.
„Quatsch, die sind längst von Bord.“
„Ich meine die zweibeinigen“, klärte Dan den Profos auf.
„Pigatto?“
„Der nicht – ich traue ihm nicht zu, daß er seine Männer im Stich läßt.“
Edwin Carberry kniff die Augen zusammen, als könne er auf diese Weise besser sehen. Trotzdem erkannte er nur einige vage Schatten inmitten der wirbelnden Rauchwolken.
„Wenn du mir einen Bären aufbindest, Jungchen …“
„Die Dons machen ihre Boote klar!“
„Dann wir es Zeit für uns, einzugreifen. Der Mückenschisser auf der Back paßt bestimmt nicht mehr auf.“
Philip Hasard Killigrew gelangte ungefähr gleichzeitig mit seinem Profos zu derselben Ansicht. Mittlerweile mußte der Querkopf Pigatto einsichtiger geworden und von seinem hohen Roß heruntergestiegen sein. Falls nicht, gab es genug Mittel, ihn zu einer anderen Ansicht zu bekehren. Der Profos würde dabei ganz bestimmt kräftig mitmischen.
Hasard befahl, Fahrt aufzunehmen. Langsam glitt die Schebecke näher an die qualmende Galeone heran.
Die Dons schöpften wie die Verrückten Wasser, allem Anschein nach aber ohne den erhofften durchschlagenden Erfolg. Lange konnte das nicht mehr gutgehen.
Hasard fixierte die Back der „Respeto“. Er glaubte sogar, ungefähr dort, wo die Drehbasse montiert sein mußte, eine Bewegung zu erkennen. Augenblicke später stach eine grelle Feuerlanze durch den Dunst, gefolgt vom kurzen, aber scharfen Krachen der Pulverexplosion. Die Entfernung war mittlerweile gerade so, daß ein Einpfünder treffen konnte.
Al Conroy, der unentwegt an seinen Culverinen ausharrte, wandte sich flüchtig zum Achterdeck um und winkte ab.
„Das war ein Böller, Sir!“ rief er. „Ich will mich freiwillig zum Deckschrubben melden, wenn ich das nicht heraushöre.“
Tatsächlich erfolgte nirgendwo ein Einschlag. Auch Backbord voraus stieg keine noch so kleine Fontäne auf.
„Ein Kapitän, dessen Befehle nicht mehr wortgetreu befolgt werden, hat abgewirtschaftet“, sagte Don Juan. „Wahrscheinlich hält nur noch der Kampf gegen das Feuer die Crew der ‚Respeto‘ von einer offenen Meuterei ab. Pigatto läßt auf uns schießen, und seine Geschützbedienung verzichtet auf die Kugel – deutlicher können die Verhältnisse kaum zutage treten.“
Der Seewolf nickte flüchtig. Ungefähr fünfzig Yards trennten die Schebecke noch von der Galeone. Näher heranzusegeln, verbot sich von selbst. Während des ersten Schwelbrands waren zwar die Rumvorräte von Bord geschafft worden, keineswegs aber das sicher reichlich vorhandene Schießpulver.
Hasard hatte mitgekriegt, daß die Pulverfässer und Kartuschen ursprünglich in mehrere Kammern aufgeteilt gewesen waren, um mit der schweren Gold- und Silberladung einen besseren Trimm zu erreichen, inzwischen lagerte aber wohl alles im Achterschiff.
Sobald das Feuer die Pulvervorräte erreichte, würde die „Respeto“ in einer verheerenden Explosion in die Luft fliegen. Dann waren selbst hundert Yards Distanz zu wenig, dem Feuerregen zu entgehen, der im weiten Umkreis die See brodeln lassen würde.
„Mister Carberry!“ rief Hasard. „Die Jolle zum Aussetzen bereit!“
Die Mundwinkel des Profos’ wanderten bis gefährlich nahe an seine Ohrläppchen heran, und vorübergehend sah es so aus, als würde er sich den Kiefer ausrenken.
Aber dann schallte sein begeistertes „Si, si, Capitán!“ über Deck.
Hasard wählte den Profos, Don Juan, Ferris Tucker und Bob Grey als weitere Begleitung aus. Bis er selbst in das Boot abenterte und auf der Achterducht Platz nahm, warteten sie schon begierig aufs Abstoßen.
Niemand auf der „Respeto“ schien das kleine, sich schnell nähernde Boot zu sehen. Die Dons hatten genug mit sich selbst zu tun. Hasard steuerte auf die Höhe des Großmasts zu.
Endlich wurden zwei Kerle, die hastig mit allen möglichen Gefäßen Wasser schöpften, aufmerksam. Sie ließen sich aber nicht für einen Augenblick unterbrechen.
Natürlich brachte niemand eine Jakobsleiter aus, das wäre zuviel verlangt gewesen. Bob Grey, der drahtige, blonde Engländer, kletterte über die Berghölzer und die Großmastrüsten zur Kuhl hinauf.
Edwin Carberry folgte ihm wohlweislich sozusagen auf den Fersen, und das war gut so, denn der Empfang für Bob fiel alles andere als besonders freundlich aus. Es sei denn, er hätte Gefallen an der Degenspitze gefunden, die haargenau auf seinen Bauch zielte.
Capitán Pigatto höchstpersönlich stand am anderen, dem ungefährlichen Ende des Degens. Er wirkte verbohrt.
„Ich habe niemanden an Bord gebeten!“ fuhr er Bob an.
„Da er aber auch nun schon an Bord ist, werden Sie ihn nicht wieder wegschicken. Mich übrigens auch nicht.“ Der Profos schwang sich über die Verschanzung und deutete einen eleganten Kratzfuß an, der dem Kapitän wie blanker Hohn erscheinen mußte.
„Runter von meinem Schiff!“ schnaubte Pigatto.
Bob Grey war für ihn nicht mehr interessant. Die Klinge zuckte herum und zielte auf Carberry.
„Was glaubst du Affenarsch eigentlich, wer du bist?“ Der Profos wich so schnell zur Seite hin aus und packte zu, daß dem Capitán die Zeit für eine angemessene Reaktion fehlte. Carberrys Finger schlossen sich bereits um Pigattos Handgelenk, als er den Degen nach vorn stieß.
„Ts-ts-ts“, sagte der Profos, „das hätte ins Auge gehen können.“
Er packte nur ein klein wenig fester zu, aber der Kapitän stieß einen gellenden Aufschrei aus und ließ den Degen fallen. Carberry bemühte sich gar nicht erst, die Waffe aufzuheben. Mit dem Fuß fuhr er unter die Klinge und wirbelte sie hoch, und geschickt faßte er mit der Rechten nach dem Griffstück.
Als er Pigatto gleich darauf den Degen zurückgab, war der zwar nur mehr halb so lang, bestand dafür aber immerhin aus zwei Teilen.
„Vorsichtig damit umgehen“, sagte er warnend. „Der Piekser ist verdammt spitz.“ Eindringlich fixierte er den Kapitän. „Wir sind hier, um zu helfen, nicht um uns zu prügeln.“
Um Pigattos Mundwinkel zuckte es verächtlich.
„Nur über meine Leiche“, antwortete er.
Carberrys Grinsen wurde noch eine Spur breiter, als es ohnehin schon war.
„Das kannst du haben, Señor“, sagte er freundlich.
Miguel Pigatto wechselte mehrmals rasch hintereinander die Farbe. Er schien etwas erwidern zu wollen, brachte aber nur ein halb ersticktes Ächzen hervor. Sein Gesicht war jetzt rot wie eine überreife Tomate.
Er starrte den zerbrochenen Degen an, dann den Profos und schließlich den vermeintlichen Don Julio de Vilches, Sonderbeauftragter seiner Majestät Philipp III., der eine bessere Behandlung verdient hatte, als sie ihm und seinen Leuten momentan widerfuhr. Dabei hatte der ehrenwerte Capitán diesen Don Julio schon einmal aufrichtig bewundert, nachdem der den letzten Schwelbrand gelöscht hatte. Aber das war Pigatto wieder entfallen.
Tomas d’Alvarez, der Bootsmann, schien sich ebenfalls nur mühsam zu beherrschen. Schließlich galt es, das Feuer zu bekämpfen, und nicht die eigenen Landsleute. Die übrige Crew schuftete indessen unbeeindruckt weiter.
„Ab sofort übernehme ich das Kommando über die ‚Respeto‘!“ rief Hasard über die Decks.
Capitán Pigatto wollte aufbegehren, doch der Profos überzeugte ihn sehr schnell davon, was ihm zuträglich war und was nicht. Ein sanfter Klaps auf die Wangen hatte noch nahezu jeden Dickkopf zur Räson gebracht.
„Capitán de Vilches kann das“, sagte Carberry betont. „Er könnte sogar dafür sorgen, daß du nie wieder ein Schiff betrittst.“
Pigatto schluckte, verzichtete aber auf eine Antwort.
Der Seewolf ließ sich von einigen Decksleuten erklären, wie es um die Galeone stand. Etwas Ähnliches hatte er beinahe erwartet. Die Bemühungen, von oben her den Brand, der sich mittlerweile noch weiter ausgebreitet hatte, zu bekämpfen, mußten Stückwerk bleiben.
Inzwischen war die Hitzeentwicklung unter Deck so stark, daß sich kaum mehr jemand dem Feuer nähern konnte.
„Die Männer müssen von Bord!“ bestimmte Hasard. „Lediglich ein kleines Kommando bleibt zurück.“
„Sie sind verrückt!“ begehrte Pigatto auf. „Ebensogut könnten Sie das Schiff anbohren, um es sofort auf Grund zu setzen.“
„Vielleicht werde ich das sogar tun“, sagte der Seewolf. „So abwegig ist der Gedanke gar nicht.“
Der Capitán plusterte sich auf wie ein Gockel während der Balz.
„Ein Ochsenfrosch ist nichts dagegen.“ Edwin Carberry wartete gespannt darauf, daß Pigatto mit lautem Knall platzte.
Doch den Gefallen tat ihm der schwarzbärtige Spanier mit der Knubbelnase nicht. Brüllend begann er Luft abzulassen.
„Sie sind eine Gefahr für den Konvoi, Capitán de Vilches. Sie behaupten, im Namen Seiner Majestät zu befehlen, aber Sie legen es darauf an, daß die ‚Respeto‘ sinkt. Sie sind ein Narr, dem wir alle viel zu lange Glauben geschenkt haben.“
„Vorsichtig, Mann!“ warnte der Profos. Wer ihn kannte, der wußte, daß das Gewitter auf dem Fuß folgte.
Miguel Pigatto kannte ihn nicht. Deshalb hörte er nicht auf zu brüllen.
„Sie sind verantwortlich, wenn die Schätze der ‚Respeto‘ verlorengehen. Sie allein, de Vilches, weil Sie mich an der Ausübung meiner Pflicht hindern. Ich werde auf dem schnellsten Weg nach Spanien segeln und Sie anklagen …“
Der Profos schlug zu. So plötzlich und unerwartet wie ein tropischer Hurrikan.
Für den Kapitän war es, als schlage ein Blitz ein. Wahrscheinlich sah er auch viele bunte Sterne. Als Carberrys Faust sein Kinn traf, wurde er aus den Stiefeln gehoben und lernte fliegen. Leider stand der Großmast im Weg. Und Pigatto hatte hinten keine Augen. Deshalb spürte er das Hindernis erst, als er schon dagegenkrachte – sofern er zu dem Zeitpunkt überhaupt noch etwas spürte und nicht bereits die Englein singen hörte.
„Hat er etwas gesagt?“ erkundigte sich der Profos fürsorglich.
„Ich glaube – pfft“, erklärte Bob Grey.
„Dann ist es gut.“
In sich zusammengesunken wie ein Häufchen Elend hing der Kapitän halb über der Mastbeting. Seltsamerweise traf keiner der Mannschaft Anstalten ihm beizustehen.
„Du Mistkerl hast ihn umgebracht!“ schrie Tomas d’Alvarez mit sich überschlagender Stimme. „Das wirst du büßen!“
Der Profos blickte geradewegs in die Mündung einer Pistole.
„Du bist doch derselbe Pavianarsch wie dein Capitán“, sagte er grimmig.
D’Alvarez’ Zeigefinger krümmte sich um den Abzug. Die Waffe entlud sich krachend und in einer Wolke von wirbelndem Pulverdampf, aber die für den Profos bestimmte Kugel verlor sich sonstwo zwischen den Spieren. Der Bootsmann führte da bereits einen Veitstanz auf und hüpfte im Kreis, daß jeder Wilde vor Neid erblaßt wäre.
Bob Grey hatte eins seiner Messer geworfen. Die Klinge hatte d’Alvarez’ Waffenhand durchbohrt, und da steckte sie noch und zwang ihm die mörderischsten Rachegedanken auf.
Hasard achtete nicht mehr auf ihn. Die beiden Zwischenfälle hatten unnötig Zeit gekostet. Ein rascher Rundblick verriet ihm, daß viele der Männer erschöpft waren. Sie noch für Löscharbeiten einzusetzen, wäre sinnlos gewesen.
„Geht in die Boote!“ befahl er. „Setzt zu den anderen Galeonen über. Wer versteht sich aufs Signalisieren?“
Ein glatzköpfiger, feister Bursche meldete sich. Er schien Vertrauen zu de Vilches zu haben, wie überhaupt die Mehrzahl der Männer ihm zutraute, daß er die „Respeto“ noch retten könne. Nur einige wenige bedachten ihn mit verächtlichen Blicken – das waren wohl jene, die bei der Schiffsführung lieb Kind sein wollten.
„Wir brauchen Jollen von den anderen Schiffen und Männer, die noch ausgeruht sind“, bestimmte Hasard. „Außerdem Zimmermannswerkzeug und nach Möglichkeit geteertes Segeltuch. Wer ist im Tauchen geübt?“
„Tito Menéndez.“
„Noch jemand?“
„Keiner von den Männern, die zurückgeblieben sind.“
„Gut.“ Hasard nickte. „Hängt einen Bootsmannsstuhl vor die Galion. Außerdem …“
Vom Achterdeck her brandete Geschrei auf. Der Seewolf erkannte, daß mehrere Männer aus dem Niedergang wankten. Sie waren erschöpft, mit rußgeschwärzten Gesichtern und halb verkohlter Kleidung, die nur mehr in Fetzen an ihnen hing.
„Das Pulver!“ keuchten sie. „Das Feuer wird in Kürze in die provisorische Waffenkammer hinter dem Großmast eindringen. Wir haben versucht, die Flammen zu löschen, wir schaffen es nicht.“
„Wo liegt die Kammer genau?“ fragte Hasard. „Mittschiffs?“
Der Glatzkopf, der für ihn signalisierte, wandte sich flüchtig um. „An Steuerbord“, sagte er. „Unmittelbar über der Wasserlinie.“
„Dann los! Unsere einzige Chance ist es, das Pulver in die See zu werfen.“
Die Spanier kapierten. Aufgescheucht rannten sie durcheinander. Der eine oder andere sprang entsetzt außenbords und versuchte schwimmend, die Gefahrenzone zu verlassen. Eine Pulverexplosion würde das Schiff zerfetzen und jeden an Deck töten.
Jemand warf Hasard ein Zimmermannshandbeil zu. Er fing das kleine, leichte Beil geschickt auf und schwang sich über die Verschanzung. Hinter sich hörte er den Profos mit gewohnter Lautstärke Befehle brüllen. Die Wirkung war beachtlich. Die Dons, ein solches Organ nicht gewohnt, gehorchten willig. Vielleicht brauchten sie auch nur jemanden, der ihnen sagte, was zu tun war.
Drei, vier Kerle hingen schon an den Berghölzern oder den Püttings und droschen aus Leibeskräften mit Äxten und Beilen auf die Planken ein. Bob Grey, Don Juan und Ferris Tucker mischten von der Jolle aus kräftig mit.
Das Dröhnen und Hämmern steigerte sich zum Stakkato. Holz splitterte, die ersten Planken wölbten sich ab und wurden von kräftigen Fäusten einfach abgefetzt.
Ein Leck entstand, noch ausgezackter, als es ein Kettengeschoß reißen konnte. Aber es war zu klein, als daß die Pulverfässer schon hindurchgepaßt hätten.
Zwei Dons kletterten nach innen und halfen von der Kammer aus mit wuchtigen Hieben nach, das Loch zu vergrößern.
Ein Mann, oben, hinter der Verschanzung, begann lautstark zu beten. Seine Stimme übertönte sogar das Dröhnen der Äxte. Der Profos, dessen kantiger Schädel kurz über dem Schanzkleid erschien und in die Tiefe blickte, ließ ihn gewähren.
„Beeilt euch!“ erklang es aus der Pulverkammer. „Das Feuer schlägt durch.“
Rauch quoll aus dem Leck hervor. Obwohl er sofort verwehte, kündete er vom Tod.
Wie von Sinnen hackten die Dons auf die Planken ein. Endlich war das Loch groß genug. Flackernder Glutschein zeichnete sich in der dunkel gähnenden Öffnung ab.
Im nächsten Moment flog das erste, schon glimmende Pulverfaß in hohem Bogen heraus und landete zischend und dampfend neben der Jolle im Wasser. Unwillkürlich versteifte sich Hasard, doch der befürchtete ohrenbetäubende Donner blieb aus.
Sanft dümpelte das Faß auf den Wellen dahin. Der Wind, der in Luv gegen die Bordwand drückte, trieb es langsam wieder zurück. Aber ebenso langsam ging es auf Tiefe, bis nur mehr ein Teil der bauchigen Rundung wie ein Walbuckel aus dem Wasser ragte.
Insgesamt zwölf Fässer und mehrere Kisten voll Kartuschen wurden von den Dons in höchster Elle ins Freie befördert. Dann war die unmittelbare Gefahr für die „Respeto“ wenigstens vorerst gebannt. Die Männer ließen sich von der Kuhl Eimer herabreichen und schütteten Wasser ins Innere der engen Kammer.
Hasard konnte zusehen, wie die eben noch gierig um sich greifenden Flammen zusammenfielen und gleich darauf erloschen. Der Erfolg spornte die Spanier an, doch ihnen mußte klar sein, daß sie längst nicht gesiegt hatten.
In den unteren Decks der Galeone tobte die Feuersbrunst unvermindert.