Читать книгу: «Seewölfe Paket 33», страница 28
6.
Als die beiden Schiffe zum Geleitzug aufgeschlossen hatten, dämmerte bereits der Morgen. Jean Ribault und Arne von Manteuffel hatten die Schatzgaleonen zuverlässig auf Kurs gehalten.
Der Tag blieb wolkenverhangen und trist. Bleigrau rollte die See heran, und nicht weniger düster zeigte sich die Kimm. Bis die Sonne endlich den Dunst durchbrach und vereinzelte Strahlenfinger tatsächlich so etwas wie Helligkeit verbreiteten, stand sie schon hoch im Zenit.
Später briste es auf.
Der Wind hatte wieder gedreht. Ein steifer Nordwest fegte den Schiffen entgegen. Er brachte eisige Kälte und zeitweise Graupelschauer. Alle eisernen Beschläge und die Kanonen, soweit sie nicht abgedeckt waren, setzten Rauhreif an.
Am späten Nachmittag lachte dann endlich wieder die Sonne und versöhnte ein wenig mit den vorangegangenen Unbilden, obwohl es bitterkalt blieb. Den Männern stand der Atem vor den Gesichtern.
Die beiden letzten Tage im November würden mit Sturm und bissiger Kälte zu Ende gehen. Old Donegal Daniel O’Flynn spürte das in seinen Knochen.
„Wir kriegen einen rauhen Winter“, erklärte er. „Das Eis wird sich auf der Themse türmen und für London den Zugang zum Meer blockieren.“
„Unkenrufe“, widersprach Big Old Shane. „Woher willst du das wissen?“
„Mein Bein schmerzt, Mister“, sagte Old Donegal. „Das ist ungefähr so, als liege der Schnee schon einige Inches hoch auf den Piers.“
„Welches Bein?“ fragte der Riese mit dem mächtigen grauen Bartgestrüpp, der weder an Geister glaubte noch an Old Donegals gelegentliche Prophezeiungen.
„Das rechte“, sagte der Alte prompt.
Shane sah ihn an, als könne er nicht glauben, was er eben gehört hatte.
„Dann ist der Holzwurm drin!“ entfuhr es ihm. „Wie kann etwas weh tun, was gar nicht mehr vorhanden ist?“
Old Donegal Daniel O’Flynn schnaubte wie ein Wal vor dem Abtauchen. Ihm war anzusehen, daß er dem Schmied von Arwenack am liebsten die Krücke an den Kopf geschlagen hätte. Doch bestand die Gefahr, daß das kostbare Stück dabei zerbrach – nicht der Kopf, wohlgemerkt, sondern die Krücke –, und Old Donegal hatte sich so an sie gewöhnt, daß er keine neue haben wollte.
„Obwohl ich ein Holzbein trage“, sagte er, „glaube ich manchmal, noch die Zehen bewegen zu können. Das ist nun mal so. Laß dir auch ein Bein absägen, dann glaubst du mir hoffentlich.“
„Ich bin doch nicht verrückt“, erklärte Shane.
Scheinbar abrupt wechselte Old Donegal das Thema. „Spürst du mitunter Kopfschmerzen?“ fragte er. „Wenn das Wetter umschlägt, meine ich.“
Der Schmied zögerte mit der Antwort. „Na ja.“ Er druckste herum. „Kann sein, daß da hin und wieder so ein Zeichen unter der Schädeldecke ist. Aber der Kutscher behauptet, das sei normal, und ich sei nicht gesund, wenn die Schmerzen sich nicht meldeten. Außerdem, was hat mein Kopf mit deinem Holzbein zu tun?“
Old Donegal feixte. Grinsend mahlte er mit dem Unterkiefer und faßte sich nachdenklich ans Kinn.
„Weißt du, Mister Shane“, sagte er langsam, „wenn du Kopfschmerzen hast, ist das doch nur ein Beweis dafür, daß etwas weh tun kann, was gar nicht da ist. Mein Hirn tut nämlich nicht weh. Niemals.“ So schnell er konnte, humpelte er zum nächsten Niedergang und stieß prompt mit Carberry zusammen, der soeben an Deck wollte.
„Hoppla!“ rief der Profos überrascht. „Du hüpfst, als wäre Mary Snugglemouse mit der Bratpfanne hinter dir her.“
„Laß meine Mary aus dem Spiel, du, du …“ Old Donegal versuchte sich loszureißen, doch da geriet er bei Carberry an den Falschen. Der packte nämlich um so fester zu.
„Sag’s!“ forderte er den Alten auf. „Nur zu, keine Hemmungen. Ich bin schließlich kein Unmensch.“
„Du Profos, du!“ stieß Old O’Flynn zornig hervor.
Carberry begann herzhaft zu lachen. „Ich weiß auch ein neues Schimpfwort“, prustete er: „Old Donegal!“
„Ha!“ schnappte der Alte. „Wirklich sehr komisch.“
„Bleib lieber bei Affenarsch, Ed!“ rief Shane.
Der Profos schnalzte mit der Zunge. „Hat der was gegen dich?“ fragte er.
„Der?“ Old Shane zuckte mit den Schultern.
„Und du, Shane? Du siehst aus, als hätte es dir die gesamte Takelage verhagelt.“
„Du siehst Gespenster, Ed.“ Natürlich dachte der Schmied nicht daran, das eben Gesagte breitzutreten. Er sah lieber zu, daß er sich verdrückte. Old Donegal Daniel O’Flynn konnte ihn mal hinterm Mast besuchen.
Der Profos stand plötzlich allein da. Er fragte sich, ob Shane und Hasards kauziger Schwiegervater vom Affen gebissen seien.
Zufällig fiel sein Blick auf Jack Finnegan und Paddy Rogers, die nebeneinander auf der Kuhlgräting saßen und Taue spleißten und betakelten. Das heißt, die beiden hatten das wohl bis vor wenigen Augenblicken getan. Jetzt hockten sie faul herum und grinsten sinnig.
Carberry stemmte die Fäuste in die Seite, holte tief Luft und brüllte los, daß sich die Masten bogen.
„Was fällt euch Nichtsnutzen eigentlich ein? Dem lieben Gott den Tag klauen und den Profos für dumm verkaufen, das könnte euch so passen, was?“
„Schlecht wär’s nicht“, erwiderte Paddy Rogers, gutmütig wie er war und schwerfällig im Denken.
Das hätte er besser nicht gesagt. Carberry brüllte daraufhin noch lauter.
„Ihr beiden klart die Bilge auf. Ich will, daß man anschließend von den Planken essen kann. Habt ihr verstanden?“
„Ist auch nicht besser oder schlechter als Spleißen“, sagte Jack Finnegan.
Paddy Rogers seufzte lediglich ergeben.
„Ob ihr verstanden habt, will ich wissen“, schnaubte der Profos.
Paddy bequemte sich endlich zu einem müden: „Aye, Sir!“
„Das heißt ‚Si, Señor‘!“ Carberry reckte sein Rammkinn angriffslustig vor. Aber keiner tat ihm den Gefallen, sich auf eine kleine Prügelei einzulassen.
Paddy und Jack beeilten sich vielmehr, unter Deck zu verschwinden. Bis der Profos bemerkte, daß sie vor der Kuhlgräting nicht aufgeklart hatten und Kabelgarn, Taue und Marlspieker noch herumlagen, waren beide längst aus seiner Reichweite verschwunden.
Das Wetter ließ eben jeden kribbelig werden.
Während der Nacht frischte der Wind weiter auf und wurde böig. Der Konvoi gewann nur mehr langsam Höhe und war zu weiten Kreuzschlägen gezwungen. Es regnete wieder, nicht stark zwar, doch dafür ohne Unterbrechung. Gelegentlich verwandelte sich der Regen in Schneematsch. Die noch an karibische Temperaturen gewöhnten Männer fröstelten und liefen in dicker Kleidung herum.
„Einen wärmeren Empfang dürfte die Heimat uns schon bereiten“, maulte Mac Pellew.
Der Nordwest peitschte die See zunehmend höher. Die fünf bis sechs Yards hohen Wellenberge mit ihren langen Kämmen, von denen Gischt abzuwehen begann, beschränkten die Sicht. Die Kimm war plötzlich wieder sehr nah.
Auch der neue Tag, der 30. November des Jahres 1598, brachte keine Veränderung. Der Nordatlantik zeigte sich von seiner trüben Seite. Grau in Grau verschmolzen Meer und Wolken miteinander, und die klamme Nässe durchdrang selbst kleinste Ritzen.
Auf mehreren Schatzgaleonen mußte gelenzt werden, weil Wasser auch über die Laderäume eindrang und sich in der Bilge sammelte. Die Männer an den Pumpen gerieten trotz der anhaltenden Kälte gehörig ins Schwitzen.
Spieren und Taue begannen rutschig zu werden. Eine tückische Eisschicht bildete sich, hauchdünn und von Feuchtigkeit überzogen.
Stunde um Stunde quälte sich der Konvoi durch die aufgewühlte, aber noch lange nicht wirklich stürmische See. Gischt verminderte nun zusätzlich zu den hohen Wellenbergen die Sicht. Es wurde schwieriger, den Geleitzug zusammenzuhalten. Allerdings schien zumindest jetzt keiner der Spanier mehr an Flucht zu denken.
Hasard und Dan O’Flynn, der Navigator der Arwenacks, versuchten eine Positionsbestimmung. Aber ebensogut hätten sie mit dem Finger auf eine der Seekarten tippen und behaupten können, die Schiffe stünden genau da und nirgendwo sonst. Es war schlichtweg unmöglich, die Position festzustellen.
Ich schätze die Entfernung zu den Scillys noch auf rund zwanzig Seemeilen. Der Geleitzug segelt süd- bis südwestlich der Inseln. Falls das Wetter anhält, werde ich gezwungen sein, früher als geplant nach Nordost abzudrehen.
Es klopfte. Während Philip Hasard Killigrew zum Eintreten aufforderte, streifte er den Federkiel ab, danach streute er Sand über die noch feuchte Tinte im Logbuch und verschloß das Tintenfaß.
Ben Brighton bückte sich unter dem niedrigen Türstock hindurch und trat ein.
„Die ‚Nuestra Señora de lagrimas‘ läuft aus dem Ruder“, meldete er.
Hasard warf ihm einen forschenden Blick zu. Ben wußte auch ohne Worte, was den Seewolf bewegte.
„Ich glaube nicht, daß Capitán Chinchilla einen neuen Fluchtversuch plant“, sagte er. „Es sieht eher so aus, als hätte die Galeone Ruderschaden.“
„Ich gehe mit an Deck.“ Hasard klappte das Logbuch zu und erhob sich. Ben ließ ihm den Vortritt.
Von der „Señora“ war im Moment nicht viel mehr zu sehen als die Toppen. Aber schon nach wenigen Augenblicken schoß sie aus dem Wellental hoch und bäumte sich auf wie ein weidwundes Tier. Chinchilla hatte bereits das leichte Tuch wegnehmen und die kleineren Sturmsegel setzen lassen.
Trotzdem konnte er nicht verhindern, daß das Schiff zunehmend in eine Lage geriet, in der es querzuschlagen drohte. Eine deutliche Krängung nach Lee zeigte sich. Falls auch noch die Ladung verrutschte, wuchs die Gefahr des Kenterns rapide.
„Wollen wir hoffen, daß da drüben alles gut verschalkt ist.“ Das Heulen des Windes und das Donnern der Brecher riß Hasard die Worte von den Lippen.
„Signale wurden nicht beantwortet. Die Dons haben wohl genug mit sich selbst zu tun.“
„Wir segeln auf“, entschied der Seewolf.
Ben hatte nichts anderes erwartet. Er gab die Befehle lautstark weiter. Ächzend luvte die Schebecke an und begann vorübergehend zu rollen, lag dann jedoch gut am Wind.
Donnernd brachen sich die Wellen am Vorsteven, stiegen zu beiden Seiten des Bugs in die Höhe und schlugen klatschend in die See zurück. Der Wind drückte die Brecher von Luv her schäumend über die Back. Sogar die Kuhl verschwand hin und wieder unter gurgelnden Sturzfluten, die sich vor den Speigatten stauten.
Zeitweise waren von der „Nuestra Señora de lagrimas“ nur die Stengen mit den oberen Rahen zu sehen, dann wieder schien sich das Schiff schwerelos erheben zu wollen, tauchte aus der brodelnden See auf, ritt einzelne Wellenkämme ab und wurde erneut hinabgezogen.
Endlich brachten die Dons vorn auf der Galeone einen Treibanker aus. Der kegelförmige Sack aus schwerem Segeltuch, dessen breite Öffnung durch eingenähte Eisenringe offengehalten wurde und dessen schmäleres Ende abgeschnitten war, trieb sofort ab.
Die Schleppleine straffte sich, dann schwang die Galeone langsam herum und legte sich mit dem Bug in den Wind. Die Krängung ließ jedoch nur unmerklich nach. Das bedeutete, daß die „Nuestra Señora de lagrimas“ entweder schon sehr viel Wasser gezogen hatte oder aber Teile der Ladung verrutscht waren.
Jetzt, da das Schiff nicht mehr unmittelbar vom Querschlagen bedroht war, begannen die Spanier mit der Reparatur des Ruders.
Capitán Alvaro Chinchilla und sein Erster Offizier, José Serrador, umkreisten einander wie lauernde Hyänen. Das Verhältnis zwischen ihnen war eisig geworden, aber keiner von beiden brachte die Sprache auf die Geschehnisse der vorletzten Nacht.
Chinchilla fühlte sich zu Recht hintergangen und verraten, und Serrador wiederum hatte einiges gegen die Art, wie Alvaro das Wohl des Königs als Vorwand für seine eigene Unzulänglichkeit benutzte.
Aus dem Weg gehen konnten sie sich nicht, dazu war ein Schiff wie die „Nuestra Señora de lagrimas“ nicht groß genug. Ihre Kontakte beschränkten sich jedoch auf die Weitergabe der nötigsten Befehle.
Als Serrador kurz nacheinander erst Antonio Rojas, dann Jesús Cortès und schließlich den Bootsmann und einen der Rudergänger in die Kapitänskammer huschen sah, wußte er, daß Chinchilla seine Fluchtgedanken noch nicht aufgegeben hatte. Die Drohung, ihn an die Rah zu hängen, hatte ihn bestenfalls vorübergehend beeindruckt.
Der Capitán rückte sich damit selbst in die Nähe von Meuterern, er wurde für die spanische Krone untragbar und mußte durch einen fähigeren Mann abgelöst werden. Wahrscheinlich war es das Alter, das ihn verknöchern ließ.
Liebend gern hätte Serrador jetzt mit Capitán de Vilches darüber gesprochen. Aber der Seegang erlaubte ihm nicht, zur Schebecke überzusetzten. Wenn er etwas tun wollte, mußte er es selbst tun, und das schnell, bevor Chinchilla Gelegenheit erhielt, seine Pläne zu verwirklichen.
Über die Bestimmung der Gold- und Silberladung zerbrach sich der Erste nicht den Kopf. Er vertraute Don Julio de Vilches. Vielleicht würde ihn der Sonderbeauftragte protegieren, wenn er das Komplott verhinderte.
José Serrador wartete auf der Kuhl. Nahezu eine halbe Stunde verging, bis die beiden Decksleute die Kapitänskammer wieder verließen. Auf gewisse Weise wirkten sie verändert – bedrückt, wie es dem Ersten schien. Wahrscheinlich hatte ihnen Chinchilla keine andere Wahl gelassen, als ihn zu unterstützen.
Während Antonio Rojas das Vorschiff betrat, stieg Jesús Cortès durch ein Luk ab. Serrador folgte ihm, er stellte Cortès hinter einem Bretterverschlag, in dem vor wenigen Monaten noch mehrere Schweine als Lebendproviant gehaust hatten und jetzt allerlei Ausrüstungsgegenstände gelagert wurden. Der Mief, den die Schweine hinterlassen hatten, lag noch immer in der Luft.
Cortès zuckte zusammen, als er den Ersten bemerkte.
„Wer wird denn so schreckhaft sein?“ fragte Serrador spöttisch. „Oder sollte ich etwa daran Schuld haben?“
Der Decksmann starrte ihn mit offenem Mund an.
„Nein“, murmelte er tonlos. „Warum auch?“
José Serrador lehnte am Verschlag und versperrte Cortès den Durchgang. Lauernd begann er, jeden seiner Finger in die Länge zu ziehen, daß die Gelenke knackten.
„Ich höre“, sagte er. „Ich bin sogar begierig darauf.“
„Ich – ich weiß nicht, was Sie von mir wollen, Señor.“ Cortès begann zu stottern.
Der Erste bedachte ihn mit einem verächtlichen Grinsen. „Wie war’s beim Kapitän?“
„Nichts Besonderes. Wir …“
Serrador packte blitzschnell zu, zog den Decksmann am Hemdaufschlag zu sich heran und verpaßte ihm eine Maulschelle, daß er haltlos nach hinten taumelte und über zwei Taurollen stützte. Cortès’ Blick ließ jäh aufflackernde Furcht erkennen. Zögernd wischte er sich mit dem Handrücken das Blut von der aufgeplatzten Unterlippe.
Serrador griff sich ein herumliegendes Tauende und schlug damit auf seine linke Handfläche.
„Ich lasse den Tampen über deinen Rücken tanzen, bis ich weiß, was los ist“, versprach er. „Wann will der Capitán den Konvoi verlassen?“
Cortès blickte ihn aus weitaufgerissenen Augen überrascht an. Offenbar konnte er nicht verstehen, woher der Erste das wußte.
„Spätestens nach Einbruch der Dämmerung“, stammelte er. „Solange die See noch aufgewühlt ist.“
„Bestimmt sind nicht alle Männer damit einverstanden. Oder?“
Cortès schwieg. Er hatte ohnehin schon zuviel verraten.
„Was soll mit denen geschehen, die gegen die Flucht sind?“ Abschätzend wog der Erste den Tampen in der Hand. Als Cortès den Mund noch immer nicht öffnete, schlug er zu. Das Tauende trieb dem Decksmann die Luft aus den Lungen. Krampfhaft nach Atem ringend, kippte er zur Seite.
„Das war erst der Anfang“, sagte Serrador warnend. „Ich warte auf eine Antwort.“
„Einsperren“, keuchte Cortès. „Alle sollen überwältigt werden und …“
„Ich auch?“
Schwerfällig zuckte der Mann mit den Schultern. Als Serrador den Tampen hob, beeilte er sich zu versichern, daß der Señor als erste festgesetzt und in die Vorpiek geworfen werden sollte.
José Serrador schäumte. Er sprang mit Cortès nicht eben sanft um, als er ihn fesselte und ihm zusammengeknülltes Werg als Knebel in den Mund stopfte. Der Decksmann schluckte und keuchte, doch wurde er schnell ruhiger, weil er herausfand, daß sich so seine Lage leichter ertragen ließ.
„Du wirst schon nicht ersticken“, sagte Serrador. „Außerdem ist es nur vorübergehend, bis ich das Kommando übernommen habe. Später werde ich entscheiden, was mit dir und den anderen Verrätern geschieht.“
Dann war Jesús Cortès allein in dem Bretterverschlag, durch den nur spärlicher Lichtschein fiel. Solange er nicht in der Lage war, Lärm zu schlagen, würde ihn niemand so schnell finden.
Vielleicht war es aber auch vorteilhafter, wenn er sich ruhig verhielt. Er sagte sich, daß es angenehmer war, für einige Stunden gefesselt zu sein, als ausgepeitscht oder am Hals aufgehängt zu werden, nur weil er sich womöglich für die falsche Seite entschieden hatte.
Er schloß die Augen und versuchte zu schlafen. Doch das Brausen, Gurgeln und Donnern der Wogen, die sich am Schiffsrumpf brachen, schreckten ihn immer wieder hoch.
7.
Capitán Alvaro Chinchilla fuhr jäh herum, als die Tür zu seiner Kammer aufgestoßen wurde. Unglaube und Unwille spiegelten sich in seinem Gesicht und wichen gleich darauf einer deutlichen Verärgerung. Zornesadern schwollen auf seinen Schläfen, bevor er hastig auf seinen Ersten Offizier zuschritt.
Doch ebenso abrupt blieb er wieder stehen, als die beiden Kerle hinter Serrador eintraten und sich rechts und links vom Schott aufbauten. Die Hände hielten sie unmißverständlich an den Pistolen, die hinter ihren Gürteln steckten. Ihre Gesichter wirkten starr und ausdruckslos.
„Was soll das?“ herrschte Chinchilla den Ersten an. „Ich verlange Aufklärung über dieses unmögliche Benehmen.“
„Sie sind abgesetzt, Capitán“, sagte Serrador. „Wegen Verschwörung gegen die Interessen Spaniens.“
Chinchilla brauste prompt auf. „Sie sind verrückt! Sie – können mir nichts beweisen.“ Blitzschnell wägte er seine Chancen ab, deshalb verfiel er mitten im Satz in einen gemäßigteren Tonfall.
Serrador sonnte sich im Bewußtsein seiner Überlegenheit. Die beiden Seeleute an seiner Seite hielten zwar die Pistolen griffbereit, doch rechneten sie bestimmt nicht mit einem Angriff. Keiner konnte in ihren Augen so verrückt sein, daß er es mit drei Gegnern gleichzeitig aufnahm.
Kopfschüttelnd blickte der Kapitän den Offizier an. „Sie tun mir leid. Die Folgen Ihres Tuns dürften Ihnen klar sein.“
„Ich habe Beweise für meine Behauptung“, sagte Serrador selbstsicher. „Außerdem halte ich Don Julio de Vilches für einen Mann, der durchaus fähig ist, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden. Ihr Verrat, Señor Chinchilla, ist Gott sei Dank beendet, noch ehe er richtig begonnen hat.“
Mit einer blitzschnellen Bewegung riß der Capitán den Degen an sich, der neben ihm auf der Tischplatte lag. Singend schnitt die Klinge durch die Luft, zerfetzte dem links neben Serrador stehenden Mann das Hemd, zeichnete eine blutende Wunde quer über seinen Oberkörper und zuckte auf Serrador selbst zu, der keine Zeit fand, den überraschenden Hieb zu parieren, sondern lediglich geistesgegenwärtig nach hinten gegen das Schott fallen ließ. Die Klinge verfehlte seinen Hals gerade um zwei Handbreiten.
Im selben Moment peitschte ein Schuß auf. Der zweite Seemann hatte die Steinschloßpistole hochgerissen und abgedrückt. Die Kugel traf Chinchillas Oberarm. Ein glatter Durchschuß, wie sich später herausstellte, doch der Schmerz ließ den Kapitän taumeln. Keuchend preßte er seine linke Hand auf die Wunde.
Der Erste Offizier brachte den Degen an sich und kümmerte sich erst um seinen verletzten Begleiter, den die Klinge lediglich gestreift hatte, bevor er sich Chinchilla zuwandte.
„Ihren Angriff werden Sie noch bereuen“, sagte er verächtlich. „Kerle wie Sie haben Spanien an den Rand des Ruins gebracht. Es wird mir eine besondere Ehre sein, Sie nach unserer Ankunft in Irland der Obhut des Capitáns de Vilches zu überantworten. Bis dahin ist die Vorpiek gerade gut genug. Fesseln und abführen!“ befahl er.
Trotz der tosenden See war der Schuß vermutlich gehört worden. José Serrador trat deshalb auf das Achterdeck hinaus und sprach zur Mannschaft. Die meisten Männer schienen schon geahnt zu haben, daß er das Kommando übernehmen würde. Nur einige wirkten unzufrieden, wagten aber nicht aufzumucken.
„Geht wieder auf eure Stationen!“
Der Erste hatte den Satz noch nicht ganz ausgesprochen, als die Galeone von zwei unmittelbar aufeinanderfolgenden mächtigen Wellen angehoben wurde. Schwer krachte sie in die aufgischtenden Fluten zurück, Brecher überspülten das Deck und ergossen sich sprudelnd durch die Kuhlgräting. Die „Nuestra Señora de lagrimas“ legte sich quer zur Strömung. Die Sturmsegel begannen zu schlagen und drückten das Schiff weiter zur Seite.
„Das Ruder klemmt!“ brüllte der Mann am Kolderstock.
Serrador war sofort neben ihm, stieß ihn schroff zur Seite und griff selbst mit beiden Händen zu. Der vertikale Hebel ließ sich nur noch mit äußerster Kraftanstrengung bewegen.
Serradors erster Blick galt dem Werbel, jenem eiförmigen Gelenk zwischen den Planken, in dem der Kolderstock bewegt wurde und damit die Pinne dirigierte. Der Werbel war nicht blockiert.
Eine heftige Verwünschung auf den Lippen, verschwand José Serrador unter Deck. Er überzeugte sich davon, daß das untere Ende des Kolderstocks noch unverrückbar fest mit dem geschmiedeten Zapfen der Pinne verbunden war. Die Pinne führte durch eine Öffnung zum Achtersteven, das Hennegat, nach draußen, lief durch den verdickten Kopf des Ruders hindurch und war mit einem Keil gesichert. Mit Hilfe dieser relativ einfachen Konstruktion wurde die Kraft des Rudergängers mit deutlicher Hebelwirkung auf das Ruder übertragen.
Serrador stemmte sich gegen die Pinne. Sie gab um eine oder zwei Fingerbreiten nach, saß dann aber um so unverrückbarer fest und ließ sich nicht mehr zurückziehen. Der Erste Offizier und neue Kapitän der Schatzgaleone fluchte inbrünstig.
Das Problem lag außenbords. Aus irgendwelchen Gründen hatte sich das Ruderblatt verklemmt. Falls der Schaden nicht sehr rasch behoben wurde, lief die „Nuestra Señora de lagrimas“ Gefahr querzuschlagen und zu kentern. Zumindest falls die See noch höher ging als im Augenblick. Und nach Wetterbesserung sah es weiß Gott nicht aus.
Serrador scheuchte seine Leute herum, daß es nur so „staubte“. Mit Chinchillas Absetzung hatte er zugleich die Verantwortung übernommen, und das zu einem verdammt unglücklichen Zeitpunkt. Die Brecher krachten nun nahezu ununterbrochen von der Breitseite her über Deck.
In aller Eile wurde versucht. Luken und Niedergänge zu verschallten, aber das war ein nahezu aussichtsloses Unterfangen. Die Männer mußten an die Pumpen, um das stärker eindringende Wasser zu lenzen.
Jemand meldete, daß die Schebecke aufsegelte. Offenbar in der Absicht, der bedrängten Galeone Hilfe zu leisten. Serrador sah nur flüchtig hin. Bei dem Seegang konnte der flachgehende Mittelmeerdreimaster kaum nahe genug heran, es sei denn, er wurde von Verrückten gesegelt.
Um die Lage der „Señora“ zu stabilisieren, ließ der Erste einen Treibanker ausbringen. Danach schickte er den Schiffszimmermann außenbords.
Garcia war mit einer Leine um die Brust gesichert und wurde mittels einer an die Besanrah angeschlagenen Talje abgefiert. Schon als er auf dem achteren Schanzkleid stand, wollte ihn der stürmische Wind wie welkes Herbstlaub davonwirbeln. Das wurde aber besser, als er tiefer sank. Hinter dem Heck befand er sich gewissermaßen in Lee, das heißt, die Masse des Plattgatthecks – größer als ein Scheunentor – gab ihm Windschutz.
Der Schiffszimmermann fand einigermaßen guten Halt, aber als er über die Heckgalerie hinaus war, hing er frei in der Luft und begann zu pendeln. Die Wellen sprangen ihn an und wollten ihn gierig in die Tiefe ziehen. Erst jetzt, da die Galeone mit dem Bug im Wind lag, hatte Garcia überhaupt eine Möglichkeit, den Kopf des Ruderblatts zu erreichen. Aber er schaffte es nicht. Die vorkragende Galerie behinderte ihn.
„Fiert weiter ab!“ befahl Serrador.
Jäh schlugen die Fluten über dem Schiffszimmermann zusammen. Im ersten Moment glaubte er, ersticken zu müssen, doch dann wirbelte eine Woge ihn wieder hoch, er schlug um sich, rang nach Atem und begriff, daß er schwimmen mußte.
Das schwere Werkzeug am Gürtel behinderte ihn, zog ihn wieder tiefer, aber er schaffte es und erreichte das Ruderblatt, als er schon glaubte, sein Schädel und die Lungen würden vor Anstrengung schier zerplatzen.
Tosend umschäumte ihn die Hecksee. Unmittelbar unter der Gillung blieb ihm Platz genug, um Luft zu holen. Mal sah er den oberen Teil des Ruders deutlich unter sich, dann verschwand alles wieder unter schäumendem, gurgelndem Wasser.
Der Ruderkopf war in Ordnung, da gab es keine Probleme. An einen Bruch des Ruders hatte ohnehin niemand geglaubt, dann hätte der Kolderstock sich leicht bewegen lassen.
Der Spanier tauchte, tastete sich vorwärts, bis das Blut in seinen Schläfen dröhnte, stieg wieder auf und tauchte erneut. Die Furcht, gegen den Rumpf geschmettert zu werden, sich am scharfkantigen Muschelbewuchs das Fleisch aufzuschneiden oder gar, von der Leine losgerissen, jämmerlich zu ersaufen, war ständig gegenwärtig.
Garcia wußte nicht, wie lange er der entfesselten See trotzte, die Zeit, bis er endlich den Schaden fand, erschien ihm wie eine Ewigkeit.
Die eisernen Bänder, die das Ruderblatt zusammenhielten, waren mit starken Zapfen, den sogenannten Fingerlingen, versehen. Diese Zapfen griffen in kurze, an den Bändern des Achterstevens angeschmiedete Ruderösen ein. In diesen stabilen Angeln war das Ruder beweglich aufgehängt. Da es gelegentlich schon mal passierte, daß ein Ruderblatt durch Seegang oder Auflaufen ausgehoben wurde, war es mit zwei Sorgleinen, die durch Öffnungen neben dem Hennegat führten, zusätzlich gesichert.
Das Ruder mußte tatsächlich hochgehoben worden sein. Danach hatten sich jedoch nicht alle Zapfen wieder richtig gesenkt, sondern die beiden oberen standen rechts und links außerhalb der Ruderösen. Die Spannung, die sie verursachten, war so groß, daß selbst der Druck der Pinne nicht mehr genügte, das Ruder zu bewegen.
Garcia hatte den Schaden mehr ertastet, als wirklich gesehen. Er hatte auch versucht, das Ruderblatt hochzuwuchten, dabei aber nur sein Werkzeug verloren. Bis er endlich wieder an Deck stand, war er total erschöpft und nahezu erfroren. Er brach vor Serrador zusammen. Erst ein kräftiger Schluck Rum peitschte seine Lebensgeister wenigstens so weit wieder auf, daß er stockend berichten konnte.
Von der Schebecke aus war der vergebliche Versuch, das Ruder instand zu setzen, mit Interesse verfolgt worden.
„Wenn die es nicht schaffen, werden wir das Schiff aufgeben müssen“, sagte Ben Brighton. „Ich vermute, daß der Sturm noch lange nicht den Höhepunkt erreicht hat. Aber spätestens dann dürfte es auf der Galeone ungemütlich werden.“
Hasard ließ weiter aufschließen. Nur mehr unter der Fock segelte die Schebecke bis auf etwa zwanzig Yards an die „Nuestra Señora de lagrimas“ heran.
„Sie geben Zeichen!“ rief Dan O’Flynn. „Das Ruder klemmt. Eine Instandsetzung ist momentan nicht möglich. Die Dons wollen versuchen, sich treiben zu lassen und eine Wetterbesserung abzuwarten.“
Hasards Stirn umwölkte sich. Er vermutete hinter der vermeintlichen Havarie einen neuen Versuch Chinchillas, den Geleitzug zu verlassen. Immerhin konnte der Kapitän sich ausmalen, daß de Vilches nicht mit allen Schiffen auf Warteposition gehen würde. Bis die See sich wieder beruhigte, vergingen unter Umständen Tage. Andererseits wollte er nicht vorschnell vorschlagen, die Mannschaft abzubergen und das Schiff seinem Schicksal zu überlassen.
Bevor sich Philip Hasard Killigrew zu einer Entscheidung durchrang, erschien Ferris Tucker auf dem Achterdeck und hielt genau auf ihn zu. Der rothaarige Riese mit dem breiten, muskulösen Kreuz blicke erwartungsvoll drein, und Hasard hätte sich schon sehr getäuscht, hätte er diese Erwartung nicht sofort auf die spanische Galeone bezogen.
„Es ist dein Entschluß“, sagte er, noch ehe der Schiffszimmermann der Arwenacks nur ein Wort hervorbrachte.
Ferris Tucker grinste jetzt. Er gehörte von Anfang an zur Crew des Seewolfs – ein Mann, der durchaus das Zeug hatte, Schiffsbaumeister zu werden, der aber nichts davon hielt, an Land herumzuhocken und die See nur aus der Ferne zu betrachten. Mit seinen handwerklichen Fähigkeiten hatte er es noch immer geschafft, einen Ausweg zu finden, selbst wenn das „Kleinholz“ an Bord einmal nicht mehr reparaturfähig ausgesehen hatte.
Flüchtig deutete Tucker zur Galeone hinüber, die unvermindert schwer auf und nieder tanzte.
„Ein verklemmtes Ruder ist nichts, was Ärger bereiten dürfte“, erklärte er. „Vielleicht kriege ich den Goldkahn wieder flott. Ich muß es zumindest versuchen.“
„Und wenn dein Versuch fehlschlägt?“
„Dann kannst du die Dons immer noch abbergen.“
Hasard nickt zögernd. „Riskiere aber nicht zuviel“, sagte er. „Lieber versenke ich die Galeone mitsamt ihrer Ladung, als daß du dabei draufgehst.“
Tucker zog die Brauen hoch. „Danke für die Aufmunterung, Sir.“ Er lächelte.
Wenig später erschien er auf der Back der Schebecke, um von dort aus zur Galeone überzusetzen. Er trug mindestens vier oder fünf Hemden übereinandergezogen und zwei Hosen, das oberste Kleidungsstück jeweils aus grobem Segeltuch gewebt. Die Füße steckten in fast kniehohen, engen Stiefeln.
„Das Wasser soll heute nicht besonders warm sein“, erklärte er, als er die feixenden Blicke einiger Mannen auffing. „Ich habe keine Lust, mir den Dons wegen was abzufrieren.“
„Was Wichtiges?“ fragte der Kutscher scheinheilig.
„Ich habe nur wichtige Körperteile“, erklärte Tucker, woraufhin brüllendes Gelächter einsetzte.
Die Arwenacks hatten dann jedoch alle Hände voll zu tun, um während der weiteren Annäherung an die Galeone eine Ramming zu vermeiden. Auf der „Nuestra Señora de lagrimas“ waren mittlerweile die Sturmsegel abgeschlagen worden. Das Schiff rollte unkontrolliert von einer Seite auf die andere. Die Schebecke näherte sich von Backbord.
Бесплатный фрагмент закончился.