Der verteufelte Herr Engel

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Der verteufelte Herr Engel
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Der verteufelte Herr Engel

Edgar Wallace

Inhaltsverzeichnis

1. Das Depot in der Lombard Street

2. Das Haus in Terrington Square

3. Meister Engel

4. Die ›Stadtbande‹

5. Das Kryptogramm

6. Das rote Kuvert

7. Was das rote Kuvert enthielt

Der alte George

Impressum

1.
Das Depot in der Lombard Street

Herr William Spedding von der Anwaltfirma Spedding, Mortimer und Larach hatte das Grundstück in Lombard Street auf ganz einfache Art und Weise erworben. Nach dem Tod einer alten Dame, die in Market Harborough wohnte und mit dieser Geschichte nichts weiter zu tun hat, war das Besitztum auf den Markt gekommen und in der üblichen Weise versteigert worden.

Herr William Spedding hatte das Grundstück für 106 000 Pfund erstanden; diese Summe war hoch genug, um das Interesse aller Abendzeitungen und auch vieler Morgenblätter zu erregen.

Die Pläne zur Errichtung eines Gebäudes von absonderlicher Art wurden durch die Baubehörde geprüft und gebilligt. Der Bauinspektor war zwar einigermaßen verblüfft über die innere Einrichtung des neuen Hauses; aber da es allen baupolizeilichen Vorschriften der Stadt London entsprach, hatte er schließlich die Pläne mit einem Achselzucken genehmigt; die Fassade war so geschickt entworfen, daß man zehnmal am Tag hätte vorbeigehen können, ohne etwas Auffälliges daran zu finden, und auch die Durchlüftungs- und Beleuchtungssysteme waren über jeden Tadel erhaben.

»Ich verstehe nicht, Herr Spedding,« sagte der Bauinspektor und zeigte auf die Blaupause, »wie Ihr Klient sich Ruhe und Abgeschlossenheit verschaffen will. Er hat ein Vestibül und eine einzige große Halle. Wo sind die Privatkontore, und was bedeutet dieser riesige Safe mitten in der Halle, und wo sollen die Angestellten sitzen? Denn er wird doch Angestellte beschäftigen? Mensch, er wird ja keine Minute Ruhe haben!«

Herr Spedding lächelte grimmig.

»Er wird Ruhe haben, soviel er will,« sagte er.

»Und die Gewölbe – ich sollte denken, daß Sie vor allem Gewölbe hier nötig hätten.« Er tippte auf die Ecke des Bogens, wo vorschriftsgemäß »Plan zur Errichtung eines neuen Safe-Depots« stand.

»Da ist der Safe,« sagte Herr Spedding und lächelte wieder.

Dieser William Spedding, der leider nicht mehr unter uns weilt – er starb ganz plötzlich, wie ich noch berichten werde –, war ein großer, verbindlicher Mann mit glattem Gesicht und glatten Manieren. Er rauchte gute Zigarren, deren Spitzen er mit einem goldenen Abschneider kappte, und war stets bereit zu lächeln, als ein Mann, der am Leben nichts auszusetzen hat.

Angebote wurden nun eingefordert für den Bau des neuen Safe-Depots, und es rechtfertigte sich die Bemerkung des Inserats, daß es nicht unbedingt auf Billigkeit ankäme; denn es wurde der Plan von Potham & Holloway gewählt, und es ist ein offenes Geheimnis, daß dieses Angebot das teuerste von allen war.

»Mein Klient verlangt die allerbeste Ausführung; das Gebäude muß Erschütterungen aushalten können.« Herr Spedding warf einen raschen Blick auf den Baumeister, der ihm gegenüber am Schreibtisch saß. »Ein Bau muß es sein, den eine alberne kleine Dynamitexplosion nicht gleich in alle Winde zerstreut.«

Der Baumeister nickte.

»Sie haben die einzelnen Bedingungen gelesen,« fuhr der Rechtsanwalt fort – er schnitt sich gerade eine frische Zigarre zurecht –, »und in bezug auf das Postament – ja – das Postament, Sie wissen doch –?«

Er hielt inne und sah den Baumeister an.

»Es scheint alles ganz klar und deutlich,« sagte der große Bauherr. Er nahm einen Stoß Papiere aus einer offenen Mappe neben sich und las: »Das Fundament bis zu einer Tiefe von sechs Metern muß aus Beton hergestellt sein ... Das Postament aus abwechselnden Lagen von Granitplatten und Stahl ... in der Mitte eine stahlgepanzerte Nische, vierundzwanzig zu zwölf Zentimeter, von der halben Tiefe des Postaments.«

Der Rechtsanwalt nickte langsam.

»Dieses Postament wird das Wichtigste am ganzen Bau sein. Die stahlgepanzerte Vertiefung – ich kenne die technischen Ausdrücke nicht –, welche Ihre Leute dieser Tage werden einsetzen müssen, ist das Nächstwichtige; aber der Safe, der fünfzehn Meter über dem Boden des Gebäudes stehen soll – aber der Safe ist ja bereits beschafft.«

Ein Heer von Arbeitern – wenn die abgedroschene Redensart erlaubt ist – kam nun nach Lombard Street und riß die alten Gebäude nieder. Sie rissen sie nieder mit Brechstangen und Hebeeisen, und Lombard Street wurde grau von Staub. Das Innere seltsamer alter Stuben mit verschmutzter Holztäfelung wurde den Blicken der Passanten rücksichtslos preisgegeben. Schwerfällige, schmierige Karren versperrten die Straße, und bei Nacht zischten grelle Lichtflammen über die Trümmerstätte hin.

Nacktarmige Männer schwitzten und gruben bei Nacht und bei Tag. Und eines Morgens – ein feiner Sprühregen ging nieder – erschien Herr Spedding unter einem seidenen Regenschirm und drückte im Namen seines Klienten seine restlose Zufriedenheit mit dem Fortgang der Arbeit aus. Er stand auf einem schlüpfrigen Brett, das einen Steg für Schubkarren bildete, und die Arbeiter, durch die Anwesenheit der ›Firma‹ – Herrn Speddings Führer – zu ungewöhnlicher Tatkraft angespornt, liefen in fieberhafter Eile hin und her.

»Sie lassen sich durch den Regen nicht abhalten,« sagte der Rechtsanwalt und reckte sein Kinn in die Richtung der schuftenden Männer.

›Die Firma‹ schüttelte den Kopf.

»Extralohn,« sagte er kurz; »das hatten wir bei unserem Angebot schon vorgesehen,« fügte er eilig hinzu, um diese Verschwendung zu rechtfertigen.

So entstand bei Regen und Sonnenschein, bei Tag und Nacht das neue Safe-Depot.

Einmal, während einer Nachtschicht, fuhr ein zweisitziger Wagen durch die verlassene Straße, und mit Hilfe eines Dieners stieg aus dem dunkeln Gefährt ein zitternder alter Mann mit weißem, müdem Gesicht. Er zeigte dem Polier einen schriftlichen Ausweis und wurde durch das rohe Holztor auf den Bauplatz gelassen.

Vorsichtig ging er zwischen den Trümmerhaufen umher; er stellte keine Fragen und gab keine Antworten auf die Erklärungen des verdutzten Poliers, der sich vergeblich fragte, was wohl an einem Bau so Besonderes sein könne, das einen alten Mann an einem kalten Frühlingsmorgen um drei Uhr früh aus seinem Bette lockte.

Nur einmal sprach der Alte.

»Wo kommt denn das Ding, das Postament hin?« fragte er mit heiserer, gebrochener Stimme im Londoner Dialekt; und als der Polier auf die Stelle zeigte, wo die andern gerade eifrig das Fundament auffüllten, verzerrten sich die Lippen des Alten zu einem häßlichen Lächeln und entblößten eine Reihe Zähne, die für einen Mann seines Alters zu weiß und regelmäßig waren. Er sagte weiter nichts, zog aber den Kragen seines Pelzes dichter um den mageren Hals und ging müde zu seinem Wagen zurück.

Der Bau sah Herrn Speddings Klienten nie wieder – wenn es überhaupt Herrn Speddings Klient gewesen war. Soviel bekannt ist, kam er vor der Vollendung des Gebäudes nicht mehr nach Lombard Street – auch nicht, als die letzte Glasscheibe in der hohen, vergoldeten Kuppel angebracht oder die letzte Marmorplatte an den prunkvollen Wänden der großen Halle eingefügt wurde, nicht einmal, als der Rechtsanwalt erschien und in schweigsamer Versunkenheit das große granitene Postament betrachtete, wie es sich mitten in einem Gerüst von schlanken Stahlbalken erhob, welche eine Wendeltreppe stützten, die zu dem riesigen Safe mitten in der Luft emporführte.

Nicht ganz allein war der Rechtsanwalt, denn neben ihm stand der Bauherr in stiller Scheu vor der Ungeheuerlichkeit seiner eigenen Schöpfung.

»Fertig!« sagte der Baumeister; das Echo seiner Stimme hallte aus den düsteren Weiten des Baues wider.

Der Rechtsanwalt gab keine Antwort.

»Ihr Klient kann, wenn er will, morgen sein Geschäft eröffnen.«

Der Rechtsanwalt trat von dem Postament weg.

»Er ist noch nicht soweit,« sagte er leise, als fürchte er das Echo.

Dann ging er zu den großen, weit offenen Stahltüren der Halle; der Baumeister folgte ihm.

Im Vestibül zog er zwei Schlüssel aus der Tasche. Die schweren Türen fielen hinter dem Eingang geräuschlos zu, und Herr Spedding verschloß sie. Durch das Vestibül schritten die beiden Männer auf die belebte Straße hinaus, und der Anwalt schloß auch die äußeren Türen hinter sich.

»Mein Klient bittet mich, Ihnen seinen Dank für die prompte Ausführung zu übermitteln,« sagte er.

Der Baumeister rieb sich befriedigt die Hände.

»Sie haben zwei Tage weniger gebraucht, als wir dachten,« fuhr Herr Spedding fort.

Wenn es nicht seine Arbeit galt, war der Baumeister ein Mann von wenig Gedanken. Noch einmal sagte er:

»Ja, Ihr Klient kann morgen sein Geschäft eröffnen.«

Der Rechtsanwalt lächelte.

 

»Mein Klient, Herr Potham, wird sein Geschäft vielleicht nicht vor zehn Jahren – hm – eröffnen,« sagte er. »Nämlich nicht – nun, nicht vor seinem Tode, Herr Potham.«

2.
Das Haus in Terrington Square

Ein Mann bog von der Seymour Street in den Terrington Square ein und ging mit einem kurzen »Gute Nacht« gemächlich an dem diensttuenden Schutzmann vorbei. Später beschrieb der Polizist diesen Passanten als einen fremdländisch aussehenden Herrn mit kurzem Spitzbart. Unter dem hellen Überzieher trug er offenbar Gesellschaftsanzug, denn der Polizist hatte seine Schuhe mit einfachen schwarzen Schleifen bemerkt; das weißseidene Halstuch und der Chapeau claque bekräftigten diese Ansicht. Der Mann ging über die Straße und verschwand hinter der Ecke der umgitterten Anlagen, welche die Mitte des Platzes einnehmen. Eine verspätete Hansom-Droschke klingelte vorüber, und ein verfrühter Zeitungskarren auf dem Weg nach Paddington folgte ihr; dann war der Platz öde und verlassen bis auf den Mann und den Polizisten.

Die finstern, unheimlichen Häuser des Platzes lagen in tiefem Schlaf – herabgelassene Vorhänge, geschlossene Fensterläden und Schweigen.

Der Mann schlenderte ruhig weiter, bis er an Nr. 43 kam. Hier blieb er einen Augenblick stehen, warf einen raschen Blick die Straße hinauf und hinab und stieg dann die drei Stufen zum Hause empor. Er suchte eine Weile nach dem Schlüsselloch, drehte den Schlüssel um und trat ein. Drinnen stand er einen Augenblick still, zog dann eine kleine elektrische Lampe aus der Tasche und knipste sie an.

Er suchte nicht das große Vestibül zu überblicken, sondern ließ den winzigen Lichtstrahl auf die Innenseite der Tür fallen. Zwei dünne Drähte und eine kleine Spule, die am Querbalken des Türrahmens befestigt waren, veranlaßten ihn zu keinerlei Äußerung. Einer der Drähte war durch das Öffnen der Tür gerissen.

»Diebsalarm natürlich,« murmelte er beifällig. »Alle Fenster genau so verwahrt, und Gott weiß wie viele Fallen außerdem, die den Unbesonnenen erwarten.«

Nun leuchtete er in die Halle. Ein schwerer Perserteppich am Fuß der Treppe erregte seine Aufmerksamkeit. Er nahm einen zusammenschiebbaren Stock aus der Tasche, zog ihn auseinander und sicherte ihn, so daß er nicht zusammenklappen konnte. Dann schritt er behutsam auf den Teppich zu. Mit dem Stock hob er eine Ecke hoch, und was er sah, befriedigte ihn offenbar, denn er ging zur Tür zurück, wo in einer Nische eine Marmorfigur stand. Es bedurfte all seiner Kraft, um sie aufzuheben, aber schwankend brachte er sie schließlich angeschleppt; auf ihrem runden Postament rollte er sie, wie Eisenbahnauflader Milchkannen rollen, bis an den Rand des Teppichs, und mit einem raschen Stoß schob er sie mitten darauf. Eine Sekunde lang stand sie aufrecht, schwankend – dann verschwand sie wie der Blitz, und wo der Teppich gelegen hatte, gähnte ein schwarzes Loch. Er wartete. Irgendwoher aus der Tiefe tönte ein lauter Krach, und langsam kam der Teppich wieder nach oben und füllte die Leere. Der unerschütterliche Besucher nickte, als billige er die Vorsicht des Hausbesitzers.

»Ich glaube kaum, daß er noch dazugelernt hat,« murmelte er bedauernd. »Er wird recht alt.« Dann untersuchte er die Wände. Sie waren mit Bildern und Stichen bedeckt. »In einem modernen Haus hätte er das Kreuzfeuer nicht anbringen können,« fuhr er fort; dann nahm er einen kleinen Anlauf, sprang über den Teppich und ruhte sich eine Weile auf der untersten Stufe aus. Eine Rüstung auf dem ersten Treppenabsatz fesselte einen Augenblick seine Aufmerksamkeit. »Harnisch aus der Zeit der Königin Elisabeth und dazu ein spanisches Bajonett,« sagte er bedauernd. »Das ist kein Sammler-Meisterstück.« Er ließ das Licht der Lampe wieder und wieder über die schweigsame Gestalt gleiten, die in drohender Haltung mit geschwungener Streitaxt dastand. »Dieses Beil gefällt mir nicht,« murmelte er und maß die Entfernung.

Da entdeckte er den feinen Draht, der sich über den Treppenabsatz spannte. Sorgfältig stieg er darüber weg und stellte sich neben den eisernen Ritter. Erst legte er den Überzieher ab, dann streckte er den Arm aus und packte die Gestalt am Handgelenk. Nun zerriß er mit einer raschen Fußbewegung den Draht.

Er war vorbereitet gewesen auf das mechanische Niederfallen des Beiles; aber im selben Augenblick, als der Draht zerriß, wandte sich die Gestalt nach rechts, und hui! kam das Beil in halbkreisförmigem Schwung herabgesaust. Er hatte den Arm im Niedergehen festhalten wollen, aber ebensogut hätte er versuchen können, die Kolbenstange einer Maschine festzuhalten. Seine Hand wurde gewaltsam beiseitegedrückt, und die rasiermesserscharf geschliffene Schneide des Beils hätte um ein Haar seinen Kopf getroffen. Mit einem schwirrenden Geräusch nahm der Arm wieder seine ursprüngliche Lage ein und blieb steif in der Luft stehen.

Der Besucher fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und seufzte.

»Das ist 'ne neue, 'ne ganz neue,« sagte er kaum hörbar; Bewunderung lag offenkundig in seinem Ton. Er hob seinen Mantel auf, warf ihn über den Arm und stieg ein paar Stufen bis zum nächsten Absatz hinauf. Die Untersuchung des chinesischen Schränkchens verlief zufriedenstellend.

Der weiße Strahl seiner Lampe blitzte in Ecken und Spalten, enthüllte aber nichts. Er schüttelte den Vorhang eines Fensters und lauschte mit angehaltenem Atem.

»Hier nicht,« murmelte er entschieden; »das Spiel würde der Alte hier nicht versuchen. Schlangen, in einem Haus mitten in London losgelassen, müßte man am nächsten Morgen sehr mühsam wieder einfangen.«

Er sah sich um; von dem Treppenabsatz aus führten Türen in drei verschiedene Zimmer. Der Raum, der seiner Meinung nach auf die Straße gehen mußte, kam für ihn nicht in Betracht. Die zweite, mit einer schweren Gardine verhängte Tür sah er eine Weile nachdenklich an. Auf die dritte Tür ging er zu; sorgfältig umwickelte er die Klinke mit seinem seidenen Halstuch und drückte sie nieder. Die Tür gab nach. Er zögerte noch einen Augenblick, dann stieß er sie weit auf und sprang zurück.

Nur eine Sekunde lang lag der Raum im Stockdunkeln, bis auf einen flackernden Lichtschein, der ein offenes Kaminfeuer verriet. Dann hörte der Besucher ein knackendes Geräusch, und das Zimmer war von Licht überflutet. Draußen auf dem dunklen Treppenabsatz wartete er; dann sagte eine Stimme, eine zerbrochene, alte Stimme:

»Herein.«

Noch immer wartete der Mann vor der Türe.

»So komm doch herein, Jimmy – ich kenn dich doch.«

Vorsichtig ging der Mann über die Schwelle und trat vor den Alten hin, der, mit einem wattierten Schlafrock bekleidet, in einem Lehnstuhl am Feuer saß; es war ein alter Mann mit weißem Gesicht und höhnischem Lächeln; auf seinen Knien lagen eine Menge Papiere.

Der Besucher nickte ihm einen freundlichen Gruß zu. »Soviel ich weiß,« sagte er bestimmt, »befinden wir uns gerade über deinem Ankleidezimmer, und wenn du mich durch eine deiner famosen Fallen stürzen läßt, Reale, würde ich mitten in deinem kostbaren Porzellan landen.«

Ein Schatten der Beunruhigung war bei Erwähnung des Porzellans über das Gesicht des alten Mannes geglitten. Aber sonst blieb er unerschütterlich und ließ die Augen nicht vom Gesicht seines Gastes. Aufs neue erschien sein höhnisches Lächeln, und er winkte dem Besucher, auf einem Stuhl auf der andern Seite des Kamins Platz zu nehmen.

Mit der Spitze seines Stocks drehte Jimmy das Kissen um und setzte sich.

»Mißtrauisch?« – das Lächeln wurde zum Grinsen – »mißtrauisch gegen deinen alten Freund, Jimmy? Gegen deinen alten Herrn, was?«

Jimmy antwortete nicht gleich, dann sagte er:

»Du bist ein wahres Wunder, alter Herr, – bei Gott, du bist ein wahres Wunder. Der Mann in der Rüstung – deine Idee?«

Der Alte schüttelte bedauernd den Kopf.

»Nicht meine Idee allein, Jimmy. Siehst du, es ist Elektrizität dabei im Spiel, und von Elektrizität verstehe ich nicht viel. Niemals hab ich, außer –«

»Außer?« fragte Jimmy.

»Ach, der Roulette-Tisch – das war meine eigene Idee; aber das war Magnetismus; und das ist meiner Ansicht nach was anderes als Elektrizität.«

Jimmy nickte.

»Bist du an der Falle glücklich vorbeigekommen?« Im Auge des Alten schimmerte flüchtig Bewunderung auf.

»Ja, drüber weggesprungen.«

Der Alte nickte beifällig.

»Warst immer ein fixer Junge, wenn's was auszuknobeln galt. Ich hab massenhaft Kerle gekannt, die nie drauf gekommen wären, drüber wegzuspringen. Connor und das Schwein, der Massey, wären lustig drauflosgestiefelt. Du hast doch nichts ruiniert?« fragte er plötzlich aufgeregt. »Ich hab was krachen hören und hoffte nur, du wärst es selber.«

Jimmy dachte an die Marmorstatue, und es fiel ihm ein, daß sie recht kostbar ausgesehen hatte.

»Nicht das geringste,« log er ohne jede Hemmung; die gespannte Aufmerksamkeit des Alten ließ nach.

Die beiden saßen am Kamin einander gegenüber. Ganze zehn Minuten lang sprach keiner ein Wort. Dann beugte sich Jimmy vor.

»Reale,« sagte er ruhig, »wieviel bist du wert?«

In keiner Weise beunruhigt über diese vielsagende Frage, im Gegenteil – offensichtlich voll lebhafter Befriedigung, erwiderte der andere ohne Zögern:

»Zwei Millionen und was drüber, Jimmy. Ich hab die Zahlen im Kopf. Die Möbel und die Sachen hier im Haus mit ihrem richtigen Wert gerechnet, zwei Millionen siebenundvierzigtausend und dreiundvierzig Pfund – mit Ausständen und allem, was drum und dran hängt, Jimmy; in nacktem Bargeld, so daß du nur die Hand in die Tasche zu stecken brauchst, um es auszugeben – genau eine und drei Viertel Million.«

Mit einem triumphierenden Grinsen lehnte er sich in seinen Stuhl zurück und beobachtete sein Gegenüber.

Jimmy hatte eine Zigarette aus der Tasche gezogen und zündete sie an; nachdenklich blickte er auf das langsam verglimmende Streichholz.

»Eine und drei Viertel Million,« wiederholte er ruhig, »ist 'ne Masse Geld.«

Der Alte kicherte leise.

»Alles dem vertrauensseligen Publikum abgeknöpft, mit meiner Hilfe – und Connors und Masseys Hilfe –«

»Massey ist ein Schwein!« unterbrach ihn der Alte wütend.

»Im Schweiße unseres Angesichts törichten jungen Leuten abgerungen, die Vertrauen hatten zum Tiger und hohe Spiele machten in Reales unvergleichlichem Glückstempel zu Kairo in Ägypten – mit Filialen in Alexandrien, Port Said und Suez.«

Die Gestalt im wattierten Schlafrock wand sich förmlich vor stiller Heiterkeit.

»Wie viele hast du ruiniert, Reale?« fragte Jimmy.

»Das weiß Gott!« erwiderte der Alte lustig; »nur drei, von denen ich es weiß – zwei von ihnen sind tot, der dritte liegt im Sterben. Die beiden, die gestorben sind, haben weder Kind noch Kegel hinterlassen; der Sterbende hat eine Tochter.«

Jimmy musterte den alten Mann durch seine halbgeschlossenen Augenlider.

»Woher plötzlich diese skrupulöse Sympathie für die Verwandten – du wirst doch nicht –«

Als wollte er einer Frage zuvorkommen, nickte der Alte bei diesen Worten mit fieberhafter Energie, und immer höhnischer wurde dabei sein Lächeln.

»Daß du's doch immer mit den großartigen Worten hast, Jimmy! So bist du stets gewesen. Auf die Art hast du deine vornehmen Freundchen dazu gekriegt, ihr Glück bei mir zu versuchen. Skrupulöse Sympathie? Was ist denn das? Meinst du damit, daß ich mich um sie sorge? Jawohl, das tu ich – ich sorg mich um sie. Und ich will – wie heißt's doch gleich – eben noch hatte ich's auf der Zunge?«

»Remedur?« fragte Jimmy.

Der alte Reale nickte erfreut.

»Auf welche Art denn?«

»Sei bloß nicht neugierig!« fuhr ihn der Alte wütend an. »Ich hab mich auch nicht erkundigt, warum du mitten in der Nacht in mein Haus einbrichst; trotzdem ich weiß, daß du neulich schon da warst und den Elektrizitätsmesser kontrolliert hast. Ich hab dich gesehen, und seitdem warte ich auf dich.«

»Das hab ich alles gewußt,« sagte Jimmy ruhig und schnippte die Asche seiner Zigarette mit dem kleinen Finger fort, »und ich dachte, du würdest –«

Plötzlich hielt er inne und lauschte.

»Wer ist außer uns noch im Haus?« fragte er rasch; aber das Gesicht des Alten beruhigte ihn.

»Niemand,« sagte Reale ungeduldig. »Ich hab doch ein besonderes Haus für die Dienstboten, und sie kommen erst morgens, nachdem ich meinen – Diebsalarm abgestellt hab.« Er grinste; aber dann kam ein unruhiger Blick in seine Augen.

 

»Die Alarmglocken!« flüsterte er; »du hast beim Hereinkommen den Draht zerrissen, Jimmy. Ich hab das Signal gehört. Wenn jemand im Haus wäre, würden wir es jetzt nicht erfahren.«

Sie lauschten.

Unten in der Halle knackte etwas, dann klang ein dumpfer Ton herauf.

»Er hat den Teppich übersprungen,« flüsterte Jimmy und drehte das Licht aus.

Die beiden Männer hörten gedämpfte Tritte auf der Treppe und warteten. Durch die Türritze zuckte ein Lichtschein auf, ein Mensch atmete schwer. Jimmy beugte sich vor und flüsterte dem Alten etwas ins Ohr.

Dann, als die Klinke niedergedrückt und die Tür aufgestoßen wurde, drehte Jimmy das Licht wieder an.

Der Eintretende war ein kleiner, untersetzter Mensch mit breitem, rotem Gesicht. Er trug einen sehr auffallend karierten Anzug und einen steifen Hut im Genick, dessen schmale Krempe die Breite seines Gesichts noch zu betonen schien. Ein zufälliger Beobachter hätte ihn für einen derben, gutmütigen Menschen halten können, von rauher, aber herzlicher Wesensart. Ein gewiegter Menschenkenner jedoch hätte ihn sofort durchschaut als das, was er war: ein grausames Menschentier, das kein Mitleid kannte.

Er fuhr blinzelnd zurück, als das Licht aufflammte, aber er hielt einen Revolver auf die beiden gerichtet.

»Hände hoch!« knurrte er. »Hände hoch!«

Keiner von beiden gehorchte. Jimmy war nur belustigt und verbarg das keineswegs. Mit weißen, spitz zulaufenden Fingern strich er sich über den kurzen Bart. Der Alte war die verkörperte Wut.

Er war es auch, der sich krächzend an Jimmy wandte:

»Was hab ich dir gesagt, Jimmy? Was hab ich dir immer gesagt, Jimmy? Massey ist ein Schwein, und er benimmt sich auch wie ein Schwein. Pfui Teufel!«

»Hände hoch!« zischte der Mann mit dem Revolver noch einmal. »Hände hoch, oder ich mach euch beide kalt!«

»Wenn er zuerst gekommen wäre, Jimmy!« Der Alte rang die Hände vor Kummer. »Mag er auch über den Teppich gesprungen sein – jeder armselige Dieb hätte das fertiggebracht – aber glaubst du, daß er den Mann in der Rüstung entdeckt hätte? Wenn du mir nur den Mann in der Rüstung wieder in Ordnung gebracht hättest.«

»Leg den Revolver hin, Massey,« sagte Jimmy kaltblütig, »wenn du nicht gerade was zum Spielen brauchst. Der alte Herr Reale ist zu krank für Turnübungen, wie du sie im Sinne hast, und ich hab auch keine Lust, dir gefällig zu sein.«

Der Mann tobte.

»Bei Gott, wenn ihr eure dreckigen Tricks mit mir versucht, dann sollt ihr beide –«

»Ach, ich bin hier nur Besuch wie du auch,« sagte Jimmy mit einer leichten Handbewegung; »und was dreckige Tricks angeht, so hätten wir dich ja erschießen können, eh du ins Zimmer kamst.«

Massey machte ein finsteres Gesicht und spielte mit seinem Revolver.

»Links am Lauf ist 'ne Sicherung,« fuhr Jimmy fort und zeigte auf den Revolver. »Schieb sie nach oben – du kannst sie ja immer wieder mit dem Daumen nach unten drücken, wenn es dir wirklich ernst wird. Für mich bist du nicht gerade das Ideal eines Einbrechers. Du atmest zu geräuschvoll und bist auch sonst zu ungeschickt; ich hab dich ja sogar die Haustür öffnen hören!«

Die stille Verachtung im Ton dieser Worte ließ das rote Gesicht des Mannes noch dunkler werden.

»Du bist freilich ein ganz Gescheiter, das wissen wir schon lange!« begann er; der Alte hatte seine Fassung wiedergewonnen und winkte ihm, sich zu setzen.

»Nehmen Sie Platz, Herr Massey,« sagte er bissig; »setz dich, du feiner Kunde, und erzähl uns, was es Neues gibt. Jimmy und ich haben gerade von dir gesprochen, ich und Jimmy. Wir sagten gerade, was du für ein feiner Gent wärst« – seine Stimme wurde schrill – »was für ein Schwein, was für ein fetter, torkeliger Schweinekerl du wärst, Herr Massey!«

Erschöpft sank er in seinen Stuhl zurück.

»Paß mal auf, alter Herr,« begann Massey von neuem – er hatte seinen Revolver neben sich auf einen Tisch gelegt und gestikulierte mit seiner großen roten Hand, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen – »wir wollen dir ja keine Unannehmlichkeiten machen. Ich bin dir ein treuer Freund gewesen, und Jimmy auch. Jahrelang haben wir die schmutzige Arbeit für dich gemacht, ich und Jimmy, und Jimmy weiß das ganz gut« – er wandte sich mit einschmeichelndem Lächeln zu dem Gegenstand seiner Bemerkungen – »und nun wollen wir 'nen Brocken von dem, was uns zusteht – denn darauf läuft's hinaus: es steht uns zu.«

Der alte Reale blickte unter seinen buschigen Augenbrauen hervor nach der Stelle, wo Jimmy saß und grübelnd ins Feuer starrte.

»Also ein Kniff ist das Ganze, was? Beide steckt ihr dahinter! Jimmy kommt zuerst, weil er der Gescheite ist, und macht dem andern Kerl die Sache recht schön bequem.«

»Stimmt nicht,« schüttelte Jimmy den Kopf. Er drehte sich um und betrachtete Massey prüfend von oben bis unten; die amüsierte, stillvergnügte Verachtung seines Blickes war allzu offensichtlich.

»Sieh ihn dir an!« sagte er endlich. »Unser lieber Massey! sieht er aus wie einer, dem ich Vertrauen schenke?«

Kalte Leidenschaft schien ihn plötzlich zu packen.

»Ein Zufall hat uns zusammengebracht.«

Er stand auf, trat zu Massey hin und starrte auf ihn nieder. Es lag etwas in seinem Blick, das Massey zum Revolver greifen ließ.

»Massey, du Hund!« fing er an, aber dann hielt er lachend inne und ging in eine Ecke des Zimmers, wo ein Likörschränkchen und ein Sodasiphon standen; er schenkte sich eine ordentliche Portion ein und ließ das Sodawasser zischend ins Glas sprudeln. Dann hob er es gegen das Licht und sah den Alten an. Auf dessen Gesicht lag ein Ausdruck, den Jimmy sich erinnerte schon früher gesehen zu haben. Er trank seinen Whisky und sagte, was der alte Reale dachte:

»Es nützt nichts, Reale, du mußt die Sache mit Massey in Ordnung bringen. Aber nicht auf die Art, wie du denkst. Wir könnten ihn beiseite bringen, aber da müßten wir uns auch selber beiseite bringen.« Er machte eine Pause. »Und ich bin ja auch noch da,« fügte er hinzu.

»Und Connor,« grunzte Massey, »und der ist ärger als ich. Ich bin vernünftig, Reale; ich wäre mit einem anständigen Anteil zufrieden –«

»Ach wirklich?«

Der Alte grinste aufs neue.

»Na, dein Anteil beträgt genau eine und drei Viertel Million in bar, und 'ne Kleinigkeit über zwei Millionen alles in allem.«

Er hielt inne, um die Wirkung seiner Worte zu beobachten.

Jimmys Ruhe ärgerte ihn; Masseys Gleichgültigkeit war empörend.

»Und das ist auch Jimmys Anteil, und Connors Anteil, und Fräulein Kents Anteil.«

Diesmal war die Wirkung besser. Auf Jimmys ausdrucksvollem Gesicht zeigte sich ein Schimmer von Interesse.

»Kent?« fragte er rasch. »Hieß so nicht der Mann –?«

Der alte Reale kicherte.

»Jawohl, so hieß er, Jimmy – der Mann, der 'nen Zehner zu verlieren gedachte und zehntausend verlor. Der am nächsten Abend wiederkam, um die zehntausend zurückzugewinnen, und sein ganzes Geld bei uns ließ. Jawohl, das ist er!«

Er rieb sich die mageren Hände, als gedächte er einer erfreulichen Begebenheit.

»Mach den Schrank dort auf, Jimmy.« Er zeigte auf ein altmodisches Nußbaumvertiko, das neben der Tür stand. »Siehst du was – 'n Ding, das wie 'ne Windmühle aussieht?«

Jimmy brachte ein Pappgebilde zum Vorschein, das offenbar ein Modell im kleinen war; sorgfältig stellte er es auf den Tisch neben dem Alten. Mit einer nachlässigen Handbewegung setzte Reale ein Schwungrad in Bewegung: ein winziges Pappgestänge bewegte sich hin und her, und kleine hölzerne Räder begannen sich lebhaft zu drehen.

»Das hab ich mit seinem Geld gemacht – 'ne neue Maschine erfunden, die von selber geht –, ein Perpetuum mobile. Du kannst ruhig grinsen, Massey, ich hab es doch damit gemacht. Fünf Jahre Arbeit und 'ne Viertelmillion – soviel bedeutet das kleine Modell. Nie bin ich hinter das Geheimnis gekommen. Stets hab ich Maschinen bauen können, die stundenlang gingen, wenn man ihnen 'nen kleinen Stoß gab – aber der Stoß war immer notwendig. Mein Lebtag hab ich mich mit Erfindungen und Geduldspielen und Rätseln abgegeben. Besinnt ihr euch auf den Tisch in Suez?«

Er warf den beiden einen verschmitzten Blick zu.

Massey wurde bei all diesen Erinnerungen immer ungeduldiger. Er war heute nacht mit einer bestimmten Absicht gekommen; ein großes Risiko hatte er auf sich genommen, das vergaß er keine Minute. Nun brach er los:

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