Die Elixiere des Teufels

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Zweiter Abschnitt: Der Eintritt in die Welt

In blauen Duft gehüllt lag das Kloster unter mir im Tale; der frische Morgenwind rührte sich und trug, die Lüfte durchstreichend, die frommen Gesänge der Brüder zu mir herauf. Unwillkürlich stimmte ich ein. Die Sonne trat in flammender Glut hinter der Stadt hervor, ihr funkelndes Gold erglänzte in den Bäumen, und in freudigem Rauschen fielen die Tautropfen wie glühende Diamanten herab auf tausend bunte Insektlein, die sich schwirrend und sumsend erhoben. Die Vögel erwachten und flatterten, singend und jubilierend und sich in froher Lust liebkosend, durch den Wald! – Ein Zug von Bauerburschen und festlich geschmückter Dirnen kam den Berg herauf. "Gelobt sei Jesus Christus!" riefen sie, bei mir vorüberwandelnd. "In Ewigkeit!" antwortete ich, und es war mir, als trete ein neues Leben voll Lust und Freiheit mit tausend holdseligen Erscheinungen auf mich ein! – Nie war mir so zumute gewesen, ich schien mir selbst ein andrer und, wie von neuerweckter Kraft beseelt und begeistert, schritt ich rasch fort durch den Wald, den Berg herab. Den Bauer, der mir jetzt in den Weg kam, frug ich nach dem Orte, den meine Reiseroute als den ersten bezeichnete, wo ich übernachten sollte; und er beschrieb mir genau einen nähern, von der Heerstraße abweichenden Richtsteig mitten durchs Gebürge. Schon war ich eine ziemliche Strecke einsam fortgewandelt, als mir erst der Gedanke an die Unbekannte und an den phantastischen Plan, sie aufzusuchen, wiederkam. Aber ihr Bild war wie von fremder, unbekannter Macht verwischt, so daß ich nur mit Mühe die bleichen, entstellten Züge wiedererkennen konnte; je mehr ich trachtete, die Erscheinung im Geiste festzuhalten, desto mehr zerrann sie in Nebel. Nur mein ausgelassenes Betragen im Kloster nach jener geheimnisvollen Begebenheit stand mir noch klar vor Augen. Es war mir jetzt selbst unbegreiflich, mit welcher Langmut der Prior das alles ertragen und mich statt der wohlverdienten Strafe in die Welt geschickt hatte. Bald war ich überzeugt, daß jene Erscheinung des unbekannten Weibes nur eine Vision gewesen, die Folge gar zu großer Anstrengung, und statt, wie ich sonst getan haben würde, das verführerische, verderbliche Trugbild der steten Verfolgung des Widersachers zuzuschreiben, rechnete ich es nur der Täuschung der eignen aufgeregten Sinne zu, da der Umstand, daß die Fremde ganz wie die heilige Rosalia gekleidet gewesen, mir zu beweisen schien, daß das lebhafte Bild jener Heiligen, welches ich wirklich, wiewohl in beträchtlicher Ferne und in schiefer Richtung aus dem Beichtstuhl sehen konnte, großen Anteil daran gehabt habe. Tief bewunderte ich die Weisheit des Priors, der das richtige Mittel zu meiner Heilung wählte, denn, in den Klostermauern eingeschlossen, immer von denselben Gegenständen umgeben, immer brütend und hineinzehrend in das Innere, hätte mich jene Vision, der die Einsamkeit glühendere, keckere Farben lieh, zum Wahnsinn gebracht. Immer vertrauter werdend mit der Idee, nur geträumt zu haben, konnte ich mich kaum des Lachens über mich selbst erwehren, ja mit einer Frivolität, die mir sonst nicht eigen, scherzte ich im Innern über den Gedanken, eine Heilige in mich verliebt zu wähnen, wobei ich zugleich daran dachte, daß ich ja selbst schon einmal der heilige Antonius gewesen.

Schon mehrere Tage war ich durch das Gebürge gewandelt, zwischen kühn emporgetürmten, schauerlichen Felsenmassen, über schmale Stege, unter denen reißende Waldbäche brausten; immer öder, immer beschwerlicher wurde der Weg. Es war hoher Mittag, die Sonne brannte auf mein unbedecktes Haupt, ich lechzte vor Durst, aber keine Quelle war in der Nähe, und noch immer konnte ich nicht das Dorf erreichen, auf das ich stoßen sollte. Ganz entkräftet setzte ich mich auf ein Felsstück und konnte nicht widerstehen, einen Zug aus der Korbflasche zu tun, unerachtet ich das seltsame Getränk soviel nur möglich aufsparen wollte. Neue Kraft durchglühte meine Adern, und erfrischt und gestärkt schritt ich weiter, um mein Ziel, das nicht mehr fern sein konnte, zu erreichen. Immer dichter und dichter wurde der Tannenwald, im tiefsten Dickicht rauschte es, und bald darauf wieherte laut ein Pferd, das dort angebunden. Ich trat einige Schritte weiter und erstarrte beinahe vor Schreck, als ich dicht an einem jähen, entsetzlichen Abgrund stand, in den sich zwischen schroffen, spitzen Felsen ein Waldbach zischend und brausend hinabstürzte, dessen donnerndes Getöse ich schon in der Ferne vernommen. Dicht, dicht an dem Sturz saß auf einem über die Tiefe hervorragenden Felsenstück ein junger Mann in Uniform, der Hut mit dem hohen Federbusch, der Degen, ein Portefeuille lagen neben ihm. Mit dem ganzen Körper über den Abgrund hängend, schien er eingeschlafen und immer mehr und mehr herüberzusinken. – Sein Sturz war unvermeidlich. Ich wagte mich heran; indem ich ihn mit der Hand ergreifen und zurückhalten wollte, schrie ich laut: "Um Jesus willen! Herr! – erwacht! – Um Jesus willen!" – Sowie ich ihn berührte, fuhr er aus tiefem Schlafe, aber in demselben Augenblick stürzte er, das Gleichgewicht verlierend, hinab in den Abgrund, daß, von Felsenspitze zu Felsenspitze geworfen, die zerschmetterten Glieder zusammenkrachten; sein schneidendes Jammergeschrei verhallte in der unermeßlichen Tiefe, aus der nur ein dumpfes Gewimmer herauftönte, das endlich auch erstarb. Leblos vor Schreck und Entsetzen stand ich da, endlich ergriff ich den Hut, den Degen, das Portefeuille und wollte mich schnell von dem Unglücksorte entfernen, da trat mir ein junger Mensch aus dem Tannenwalde entgegen, wie ein Jäger gekleidet, schaute mir erst starr ins Gesicht und fing dann an, ganz übermäßig zu lachen, so daß ein eiskalter Schauer mich durchbebte.


"Nun, gnädiger Herr Graf", sprach endlich der junge Mensch, "die Maskerade ist in der Tat vollständig und herrlich, und wäre die gnädige Frau nicht schon vorher davon unterrichtet, wahrhaftig, sie würde den Herzensgeliebten nicht wiedererkennen. Wo haben Sie aber die Uniform hingetan, gnädiger Herr?" – "Die schleuderte ich hinab in den Abgrund", antwortete es aus mir hohl und dumpf, denn ich war es nicht, der diese Worte sprach, unwillkürlich entflohen sie meinen Lippen. In mich gekehrt, immer in den Abgrund starrend, ob der blutige Leichnam des Grafen sich nicht mir drohend erheben werde, stand ich da. – Es war mir, als habe ich ihn ermordet, noch immer hielt ich den Degen, Hut und Portefeuille krampfhaft fest. Da fuhr der junge Mensch fort: "Nun, gnädiger Herr, reite ich den Fahrweg herab nach dem Städtchen, wo ich mich in dem Hause dicht vor dem Tor linker Hand verborgen halten will, Sie werden wohl gleich herab nach dem Schlosse wandeln, man wird Sie wohl schon erwarten, Hut und Degen nehme ich mit mir." – Ich reichte ihm beides hin. "Nun leben Sie wohl, Herr Graf! recht viel Glück im Schlosse", rief der junge Mensch und verschwand singend und pfeifend in dem Dickicht. Ich hörte, daß er das Pferd, was dort angebunden, losmachte und mit sich fortführte. Als ich mich von meiner Betäubung erholt und die ganze Begebenheit überdachte, mußte ich mir wohl eingestehen, daß ich bloß dem Spiel des Zufalls, der mich mit einem Ruck in das sonderbarste Verhältnis geworfen, nachgegeben. Es war mir klar, daß eine große Ähnlichkeit meiner Gesichtszüge und meiner Gestalt mit der des unglücklichen Grafen den Jäger getäuscht und der Graf gerade die Verkleidung als Kapuziner gewählt haben müsse, um irgendein Abenteuer in dem nahen Schlosse zu bestehen. Der Tod hatte ihn ereilt und ein wunderbares Verhängnis mich in demselben Augenblick an seine Stelle geschoben. Der innere unwiderstehliche Drang in mir, wie es jenes Verhängnis zu wollen schien, die Rolle des Grafen fortzuspielen, überwog jeden Zweifel und übertäubte die innere Stimme, welche mich des Mordes und des frechen Frevels bezieh. Ich eröffnete das Portefeuille, welches ich behalten; Briefe, beträchtliche Wechsel fielen mir in die Hand. Ich wollte die Papiere einzeln durchgehen, ich wollte die Briefe lesen, um mich von den Verhältnissen des Grafen zu unterrichten, aber die innere Unruhe, der Flug von tausend und tausend Ideen, die durch meinen Kopf brausten, ließ es nicht zu.

Ich stand nach einigen Schritten wieder still, ich setzte mich auf ein Felsstück, ich wollte eine ruhigere Stimmung erzwingen, ich sah die Gefahr, so ganz unvorbereitet mich in den Kreis mir fremder Erscheinungen zu wagen; da tönten lustige Hörner durch den Wald, und mehrere Stimmen jauchzten und jubelten immer näher und näher. Das Herz pochte mir in gewaltigen Schlägen, mein Atem stockte, nun sollte sich mir eine neue Welt, ein neues Leben erschließen! – Ich bog in einen schmalen Fußsteig ein, der mich einen jähen Abhang hinabführte; als ich aus dem Gebüsch trat, lag ein großes, schön gebautes Schloß vor mir im Talgrunde. – Das war der Ort des Abenteuers, welches der Graf zu bestehen im Sinne gehabt, und ich ging ihm mutig entgegen. Bald befand ich mich in den Gängen des Parkes, welcher das Schloß umgab; in einer dunklen Seitenallee sah ich zwei Männer wandeln, von denen der eine wie ein Weltgeistlicher gekleidet war. Sie kamen mir näher, aber ohne mich gewahr zu werden, gingen sie in tiefem Gespräch bei mir vorüber. Der Weltgeistliche war ein Jüngling, auf dessen schönem Gesichte die Totenblässe eines tief nagenden Kummers lag, der andere, schlicht, aber anständig gekleidet, schien ein schon bejahrter Mann. Sie setzten sich, mir den Rücken zuwendend, auf eine steinerne Bank, ich konnte jedes Wort verstehen, was sie sprachen. "Hermogen!" sagte der Alte, "Sie bringen durch Ihr starrsinniges Schweigen Ihre Familie zur Verzweiflung, Ihre düstre Schwermut steigt mit jedem Tage, Ihre jugendliche Kraft ist gebrochen, die Blüte verwelkt, Ihr Entschluß, den geistlichen Stand zu wählen, zerstört alle Hoffnungen, alle Wünsche Ihres Vaters! – Aber willig würde er diese Hoffnung aufgeben, wenn ein wahrer innerer Beruf, ein unwiderstehlicher Hang zur Einsamkeit von Jugend auf den Entschluß in Ihnen erzeugt hätte, er würde dann nicht dem zu widerstreben wagen, was das Schicksal einmal über ihn verhängt. Die plötzliche Änderung Ihres ganzen Wesens hat indessen nur zu deutlich gezeigt, daß irgendein Ereignis, das Sie uns hartnäckig verschweigen, Ihr Inneres auf furchtbare Weise erschüttert hat und nun zerstörend fortarbeitet. – Sie waren sonst ein froher, unbefangener, lebenslustiger Jüngling! – Was konnte Sie denn dem Menschlichen so entfremden, daß Sie daran verzweifeln, in eines Menschen Brust könne Trost für Ihre kranke Seele zu finden sein? Sie schweigen? Sie starren vor sich hin? – Sie seufzen? Hermogen! Sie liebten sonst Ihren Vater mit seltener Innigkeit, ist es Ihnen aber jetzt unmöglich worden, ihm Ihr Herz zu erschließen, so quälen Sie ihn wenigstens nicht durch den Anblick Ihres Rocks, der auf den für ihn entsetzlichen Entschluß hindeutet. Ich beschwöre Sie, Hermogen! werfen Sie diese verhaßte Kleidung ab. Glauben Sie mir, es liegt eine geheimnisvolle Kraft in diesen äußerlichen Dingen; es kann Ihnen nicht mißfallen, denn ich glaube von Ihnen ganz verstanden zu werden, wenn ich in diesem Augenblick, freilich auf fremdartig scheinende Weise, der Schauspieler gedenke, die oft, wenn sie sich in das Kostüm geworfen, wie von einem fremden Geist sich angeregt fühlen und leichter in den darzustellenden Charakter eingehen. Lassen Sie mich, meiner Natur gemäß, heitrer von der Sache sprechen, als sich sonst wohl ziemen würde. – Meinen Sie denn nicht, daß, wenn dieses lange Kleid nicht mehr Ihren Gang zur düstern Gravität einhemmen würde, Sie wieder rasch und froh dahin schreiten, ja laufen, springen würden wie sonst? Der blinkende Schein der Epauletts, die sonst auf Ihren Schultern prangten, würde wieder jugendliche Glut auf diese blassen Wangen werfen, und die klirrenden Sporen würden wie liebliche Musik dem muntern Rosse ertönen, das Ihnen entgegenwieherte, vor Lust tanzend und den Nacken beugend dem geliebten Herrn. Auf, Baron! – Herunter mit dem schwarzen Gewände, das Ihnen nicht ansteht! – Soll Friedrich Ihre Uniform hervorsuchen?"

 

Der Alte stand auf und wollte fortgehen, der Jüngling fiel ihm in die Arme. "Ach, Sie quälen mich, guter Reinhold!" rief er mit matter Stimme, "Sie quälen mich unaussprechlich! – Ach, je mehr Sie sich bemühen, die Saiten in meinem Innern anzuschlagen, die sonst harmonisch erklangen, desto mehr fühle ich, wie des Schicksals eherne Faust mich ergriffen, mich erdrückt hat, so daß, wie in einer zerbrochenen Laute, nur Mißtöne in mir wohnen!" – "So scheint es Ihnen, lieber Baron",'fiel der Alte ein, "Sie sprechen von einem Ungeheuern Schicksal, das Sie ergriffen, worin das bestanden, verschweigen Sie; dem sei aber, wie ihm wolle, ein Jüngling, so wie Sie, mit innerer Kraft, mit jugendlichem Feuermute ausgerüstet, muß vermögen, sich gegen des Schicksals eherne Faust zu wappnen, ja er muß, wie durchstrahlt von einer göttlichen Natur, sich über sein Geschick erheben und so, dies höhere Sein in sich selbst erweckend und entzündend, sich emporschwingen über die Qual dieses armseligen Lebens! Ich wüßte nicht, Baron, welch ein Geschick denn imstande sein sollte, dies kräftige innere Wollen zu zerstören." – Hermogen trat einen Schritt zurück, und den Alten mit einem düsteren, wie im verhaltenen Zorn glühenden Blicke, der etwas Entsetzliches hatte, anstarrend, rief er mit dumpfer, hohler Stimme: "So wisse denn, daß ich selbst das Schicksal bin, das mich vernichtet, daß ein ungeheures Verbrechen auf mir lastet, ein schändlicher Frevel, den ich abbüße in Elend und Verzweiflung. – Darum sei barmherzig und flehe den Vater an, daß er mich fortlasse in die Mauern!" – "Baron", fiel der Alte ein, "Sie sind in einer Stimmung, die nur dem gänzlich zerrütteten Gemüte eigen, Sie sollen nicht fort, Sie dürfen durchaus nicht fort. In diesen Tagen kommt die Baronesse mit Aurelien, die müssen Sie sehen." Da lachte der Jüngling wie in furchtbarem Hohn und rief mit einer Stimme, die durch mein Innres dröhnte: "Muß ich? – muß ich bleiben? – Ja, wahrhaftig, Alter, du hast recht, ich muß bleiben, und meine Buße wird hier schrecklicher sein als in den dumpfen Mauern." – Damit sprang er fort durch das Gebüsch und ließ den Alten stehen, der, das gesenkte Haupt in die Hand gestützt, sich ganz dem Schmerz zu überlassen schien. "Gelobt sei Jesus Christus!" sprach ich, zu ihm hinantretend. – Er fuhr auf, er sah mich ganz verwundert an, doch schien er sich bald auf meine Erscheinung wie auf etwas ihm schon Bekanntes zu besinnen, indem er sprach: "Ach gewiß sind Sie es, ehrwürdiger Herr! dessen Ankunft uns die Frau Baronesse zum Trost der in Trauer versunkenen Familie schon vor einiger Zeit ankündigte?" – Ich bejahte das, Reinhold ging bald ganz in die Heiterkeit über, die ihm eigentümlich zu sein schien, wir durchwanderten den schönen Park und kamen endlich in ein dem Schlosse ganz nahgelegenes Boskett, vor dem sich eine herrliche Aussicht ins Gebürge öffnete. Auf seinen Ruf eilte der Bediente, der eben aus dem Portal des Schlosses trat, herbei, und bald wurde uns ein gar stattliches Frühstück aufgetragen. Während daß wir die gefüllten Gläser anstießen, schien es mir, als betrachte mich Reinhold immer aufmerksamer, ja, als suche er mit Mühe eine halb erloschene Erinnerung aufzufrischen. Endlich brach er los: "Mein Gott, ehrwürdiger Herr! Alles müßte mich trügen, wenn Sie nicht der Pater Medardus aus dem Kapuzinerkloster in . . r – wären, aber wie sollte das möglich sein? – und doch! Sie sind es – Sie sind es gewiß – sprechen Sie doch nur!" – Als hätte ein Blitz aus heitrer Luft mich getroffen, bebte es bei Reinholds Worten mir durch alle Glieder. Ich sah mich entlarvt, entdeckt, des Mordes beschuldigt, die Verzweiflung gab mir Stärke, es ging nun auf Tod und Leben. "Ich bin allerdings der Pater Medardus aus dem Kapuzinerkloster in ...r – und mit Auftrag und Vollmacht des Klosters auf einer Reise nach Rom begriffen." – Dies sprach ich mit all der Ruhe und Gelassenheit, die ich nur zu erkünsteln vermochte. "So ist es denn vielleicht nur Zufall", sagte Reinhold, "daß Sie auf der Reise, vielleicht von der Heerstraße verirrt, hier eintrafen, oder wie kam es, daß die Frau Baronesse mit Ihnen bekannt wurde und Sie herschickte?" – Ohne mich zu besinnen, blindlings das nachsprechend, was mir eine fremde Stimme im Innern zuzuflüstern schien, sagte ich: "Auf der Reise machte ich die Bekanntschaft des Beichtvaters der Baronesse, und dieser empfahl mich, den Auftrag hier im Hause zu vollbringen." "Es ist wahr", fiel Reinhold ein, "so schrieb es ja die Frau Baronesse. Nun, dem Himmel sei es gedankt, der Sie zum Heil des Hauses diesen Weg führte, und daß Sie, als ein frommer, wackrer Mann, es sich gefallen lassen, mit Ihrer Reise zu zögern, um hier Gutes zu stiften. Ich war zufällig vor einigen Jahren in ...r – und hörte Ihre salbungsvollen Reden, die Sie in wahrhaft himmlischer Begeisterung von der Kanzel herab hielten. Ihrer Frömmigkeit, Ihrem wahren Beruf, das Heil verlorner Seelen zu erkämpfen mit glühendem Eifer, Ihrer herrlichen, aus innerer Begeisterung hervorströmenden Rednergabe traue ich zu, daß Sie das vollbringen werden, was wir alle nicht vermochten. Es ist mir lieb, daß ich Sie traf, ehe Sie den Baron gesprochen, ich will dies dazu benutzen, Sie mit den Verhältnissen der Familie bekannt zu machen und so aufrichtig zu sein, als ich es Ihnen, ehrwürdiger Herr, als einem heiligen Manne, den uns der Himmel selbst zum Trost zu schicken scheint, wohl schuldig bin. Sie müssen auch ohnedem, um Ihren Bemühungen die richtige Tendenz und gehörige Wirkung zu geben, über manches wenigstens Andeutungen erhalten, worüber ich gern schweigen möchte. – Alles ist übrigens mit nicht gar zu viel Worten abgetan. – Mit dem Baron bin ich aufgewachsen, die gleiche Stimmung unsrer Seelen machte uns zu Brüdern und vernichtete die Scheidewand, die sonst unsere Geburt zwischen uns gezogen hätte. Ich trennte mich nie von ihm und wurde in demselben Augenblick, als wir unsere akademischen Studien vollendet und er die Güter seines verstorbenen Vaters hier im Gebürge in Besitz nahm, Intendant dieser Güter. – Ich blieb sein innigster Freund und Bruder und als solcher eingeweiht in die geheimsten Angelegenheiten seines Hauses. Sein Vater hatte seine Verbindung mit einer ihm befreundeten Familie durch eine Heirat gewünscht, und um so freudiger erfüllte er diesen Willen, als er in der ihm bestimmten Braut ein herrliches, von der Natur reich ausgestattetes Wesen fand, zu dem er sich unwiderstehlich hingezogen fühlte. Selten kam wohl der Wille der Väter so vollkommen mit dem Geschick überein, das die Kinder in allen nur möglichen Beziehungen füreinander bestimmt zu haben schien. Hermogen und Aurelie waren die Frucht der glücklichen Ehe. Mehrenteils brachten wir den Winter in der benachbarten Hauptstadt zu, als aber bald nach Aureliens Geburt die Baronesse zu kränkeln anfing, blieben wir auch den Sommer über in der Stadt, da sie unausgesetzt des Beistandes geschickter Ärzte bedurfte. Sie starb, als eben im herannahenden Frühling ihre scheinbare Besserung den Baron mit den frohsten Hoffnungen erfüllte. Wir flohen auf das Land, und nur die Zeit vermochte den tiefen, zerstörenden Gram zu mildern, der den Baron ergriffen hatte. Hermogen wuchs zum herrlichen Jüngling heran, Aurelie wurde immer mehr das Ebenbild ihrer Mutter, die sorgfältige Erziehung der Kinder war unser Tagewerk und unsere Freude. Hermogen zeigte entschiedenen Hang zum Militär, und dies zwang den Baron, ihn nach der Hauptstadt zu schicken, um dort unter den Augen seines alten Freundes, des Gouverneurs, die Laufbahn zu beginnen. – Erst vor drei Jahren brachte der Baron mit Aurelien und mit mir wieder, wie vor alter Zeit, zum erstenmal den ganzen Winter in der Residenz zu, teils seinen Sohn wenigstens einige Zeit hindurch in der Nähe zu haben, teils seine Freunde, die ihn unaufhörlich dazu aufgefordert, wiederzusehen. Allgemeines Aufsehen in der Hauptstadt erregte damals die Erscheinung der Nichte des Gouverneurs, welche aus der Residenz dahin gekommen. Sie war elternlos und hatte sich unter den Schutz des Oheims begeben, wiewohl sie, einen besonderen Flügel des Palastes bewohnend, ein eignes Haus machte und die schöne Welt um sich zu versammeln pflegte. Ohne Euphemien näher zu beschreiben, welches um so unnötiger, da Sie, ehrwürdiger Herr! sie bald selbst sehen werden, begnüge ich mich zu sagen, daß alles, was sie tat, was sie sprach, von einer unbeschreiblichen Anmut belebt und so der Reiz ihrer ausgezeichneten körperlichen Schönheit bis zum Unwiderstehlichen erhöht wurde. – Überall, wo sie erschien, ging ein neues, herrliches Leben auf, und man huldigte ihr mit dem glühendsten Enthusiasmus; den Unbedeutendsten, Leblosesten wußte sie selbst in sein eignes Inneres hinein zu entzünden, daß er, wie inspiriert, sich über die eigne Dürftigkeit erhob und entzückt in den Genüssen eines höheren Lebens schwelgte, die ihm unbekannt gewesen. Es fehlte natürlicherweise nicht an Anbetern, die täglich zu der Gottheit mit Inbrunst flehten; man konnte indessen nie mit Bestimmtheit sagen, daß sie diesen oder jenen besonders auszeichne, vielmehr wußte sie mit schalkhafter Ironie, die, ohne zu beleidigen, nur wie starkes, brennendes Gewürz anregte und reizte, alle mit einem unauflöslichen Bande zu umschlingen, daß sie sich, festgezaubert in dem magischen Kreise, froh und lustig bewegten.

Auf den Baron hatte diese Circe einen wunderbaren Eindruck gemacht. Sie bewies ihm gleich bei seinem Erscheinen eine Aufmerksamkeit, die von kindlicher Ehrfurcht erzeugt zu sein schien; in jedem Gespräch mit ihm zeigte sie den gebildetsten Verstand und tiefes Gefühl, wie er es kaum noch bei Weibern gefunden. Mit unbeschreiblicher Zartheit suchte und fand sie Aureliens Freundschaft und nahm sich ihrer mit so vieler Wärme an, daß sie sogar es nicht verschmähte, für die kleinsten Bedürfnisse ihres Anzuges und sonst wie eine Mutter zu sorgen. Sie wußte dem blöden, unerfahrnen Mädchen in glänzender Gesellschaft auf eine so feine Art beizustehen, daß dieser Beistand, statt bemerkt zu werden, nur dazu diente, Aureliens natürlichen Verstand und tiefes, richtiges Gefühl so herauszuheben, daß man sie bald mit der höchsten Achtung auszeichnete. Der Baron ergoß sich bei jeder Gelegenheit in Euphemiens Lob, und hier traf es sich vielleicht zum erstenmal in unserm Leben, daß wir so ganz verschiedener Meinung waren. Gewöhnlich machte ich in jeder Gesellschaft mehr den stillen, aufmerksamen Beobachter, als daß ich hätte unmittelbar eingehen sollen in lebendige Mitteilung und Unterhaltung. So hatte ich auch Euphemien, die nur dann und wann, nach ihrer Gewohnheit, niemanden zu übersehen, ein paar freundliche Worte mit mir gewechselt, als eine höchst interessante Erscheinung recht genau beobachtet. Ich mußte eingestehen, daß sie das schönste, herrlichste Weib von allen war, daß aus allem, was sie sprach, Verstand und Gefühl hervorleuchtete; und doch wurde ich auf ganz unerklärliche Weise von ihr zurückgestoßen, ja ich konnte ein gewisses unheimliches Gefühl nicht unterdrücken, das sich augenblicklich meiner bemächtigte, sobald ihr Blick mich traf oder sie mit mir zu sprechen anfing. In ihren Augen brannte oft eine ganz eigne Glut, aus der, wenn sie sich unbemerkt glaubte, funkelnde Blitze schössen, und es schien ein inneres verderbliches Feuer, das nur mühsam überbaut, gewaltsam hervorzustrahlen. Nächstdem schwebte oft um ihren sonst weich geformten Mund eine gehässige Ironie, die mich, da es oft der grellste Ausdruck des hämischen Hohns war, im Innersten erbeben machte. Daß sie oft den Hermogen, der sich wenig oder gar nicht um sie bemühte, in dieser Art anblickte, machte es mir gewiß, daß manches hinter der schönen Maske verborgen, was wohl niemand ahne. Ich konnte dem ungemessenen Lob des Barons freilich nichts entgegensetzen als meine physiognomischen Bemerkungen, die er nicht im mindesten gelten ließ, vielmehr in meinem innerlichen Abscheu gegen Euphemien nur eine höchst merkwürdige Idiosynkrasie fand. Er vertraute mir, daß Euphemie wahrscheinlich in die Familie treten werde, da er alles anwenden wolle, sie künftig mit Hermogen zu verbinden. Dieser trat, als wir soeben recht ernstlich über die Angelegenheit sprachen und ich alle nur mögliche Gründe hervorsuchte, meine Meinung über Euphemien zu rechtfertigen, ins Zimmer, und der Baron, gewohnt in allem schnell und offen zu handeln, machte ihn augenblicklich mit seinen Plänen und Wünschen rücksichts Euphemiens bekannt. Hermogen hörte alles ruhig an, was der Baron darüber und zum Lobe Euphemiens mit dem größten Enthusiasmus sprach. Als die Lobrede geendet, antwortete er, wie er sich auch nicht im mindesten von Euphemien angezogen fühle, sie niemals lieben könne und daher recht herzlich bitte, den Plan jeder näheren Verbindung mit ihr aufzugeben. Der Baron war nicht wenig bestürzt, seinen Lieblingsplan so beim ersten Schritt zertrümmert zu sehen, indessen war er um so weniger bemüht, noch mehr in Hermogen zu dringen, als er nicht einmal Euphemiens Gesinnungen hierüber wußte. Mit der ihm eignen Heiterkeit und Gemütlichkeit scherzte er bald über sein unglückliches Bemühen und meinte, daß Hermogen mit mir vielleicht die Idiosynkrasie teile, obgleich er nicht begreife, wie in einem schönen, interessanten Weibe solch ein zurückschreckendes Prinzip wohnen könne. Sein Verhältnis mit Euphemien blieb natürlicherweise dasselbe; er hatte sich so an sie gewöhnt, daß er keinen Tag zubringen konnte, ohne sie zu sehen. So kam es denn, daß er einmal in ganz heitrer, gemütlicher Laune ihr scherzend sagte, wie es nur einen einzigen Menschen in ihrem Zirkel gebe, der nicht in sie verliebt sei, nämlich Hermogen. – Er habe die Verbindung mit ihr, die er, der Baron, doch so herzlich gewünscht, hartnäckig ausgeschlagen.

 

Euphemie meinte, daß es auch wohl noch darauf angekommen sein würde, was sie zu der Verbindung gesagt, und daß ihr zwar jedes nähere Verhältnis mit dem Baron wünschenswert sei, aber nicht durch Hermogen, der ihr viel zu ernst und launisch wäre. Von der Zeit, als dieses Gespräch, das mir der Baron gleich wiedererzählte, stattgefunden, verdoppelte Euphemie ihre Aufmerksamkeit für den Baron und Aurelien: ja in manchen leisen Andeutungen führte sie den Baron darauf, daß eine Verbindung mit ihm selbst dem Ideal, das sie sich nun einmal von einer glücklichen Ehe mache, ganz entspreche. Alles, was man rücksichts des Unterschieds der Jahre oder sonst entgegensetzen konnte, wußte sie auf die eindringendste Weise zu widerlegen, und mit dem allen ging sie so leise, so fein, so geschickt Schritt vor Schritt vorwärts, daß der Baron glauben mußte, alle die Ideen, alle die Wünsche, die Euphemie gleichsam nur in sein Inneres hauchte, wären eben in seinem Innern emporgekeimt. Kräftiger, lebensvoller Natur, wie er war, fühlte er sich bald von der glühenden Leidenschaft des Jünglings ergriffen. Ich konnte den wilden Flug nicht mehr aufhalten, es war zu spät. Nicht lange dauerte es, so war Euphemie zum Erstaunen der Hauptstadt des Barons Gattin. Es war mir, als sei nun das bedrohliche, grauenhafte Wesen, das mich in der Ferne geängstigt, recht in mein Leben getreten und als müsse ich wachen und auf sorglicher Hut sein für meinen Freund und für mich selbst. – Hermogen nahm die Verheiratung seines Vaters mit kalter Gleichgültigkeit auf. Aurelie, das liebe, ahnungsvolle Kind, zerfloß in Tränen. Bald nach der Verbindung sehnte sich Euphemie ins Gebürge; sie kam her, und ich muß gestehen, daß ihr Betragen in hoher Liebenswürdigkeit sich so ganz gleich blieb, daß sie mir unwillkürliche Bewunderung abnötigte. So verflossen zwei Jahre in ruhigem, ungestörten Lebensgenuß. Die beiden Winter brachten wir in der Hauptstadt zu, aber auch hier bewies die Baronesse dem Gemahl so viel unbegrenzte Ehrfurcht, so viel Aufmerksamkeit für seine leisesten Wünsche, daß der giftige Neid verstummen mußte und keiner der jungen Herren, die sich schon freien Spielraum für ihre Galanterie bei der Baronesse geträumt hatten, sich auch die kleinste Glosse erlaubte. Im letzten Winter mochte ich auch wieder der einzige sein, der, ergriffen von der alten, kaum verwundenen Idiosynkrasie, wieder arges Mißtrauen zu hegen anfing.

Vor der Verbindung mit dem Baron war der Graf Viktorin, ein junger, schöner Mann, Major bei der Ehrengarde und nur abwechselnd in der Hauptstadt, einer der eifrigsten Verehrer Euphemiens und der einzige, den sie oft wie unwillkürlich, hingerissen von dem Eindruck des Moments, vor den ändern auszeichnete. Man sprach einmal sogar davon, daß wohl ein näheres Verhältnis zwischen ihm und Euphemien stattfinden möge, als man es nach dem äußern Anschein vermuten solle, aber das Gerücht verscholl ebenso dumpf, als es entstanden. Graf Viktorin war eben den Winter wieder in der Hauptstadt und natürlicherweise in Euphemiens Zirkeln, er schien sich aber nicht im mindesten um sie zu bemühen, sondern vielmehr sie absichtlich zu vermeiden. Demunerachtet war es mir oft, als begegneten sich, wenn sie nicht bemerkt zu werden glaubten, ihre Blicke, in denen inbrünstige Sehnsucht, lüsternes, glühendes Verlangen wie verzehrendes Feuer brannte. Bei dem Gouverneur war eines Abends eine glänzende Gesellschaft versammelt, ich stand in ein Fenster gedrückt, so daß mich die herabwallende Draperie des reichen Vorhangs halb versteckte, nur zwei bis drei Schritte vor mir stand Graf Viktorin. Da streifte Euphemie, reizender gekleidet als je und in voller Schönheit strahlend, an ihm vorüber; er faßte, so daß es niemand als gerade ich bemerken konnte, mit leidenschaftlicher Heftigkeit ihren Arm, – sie erbebte sichtlich; ihr ganz unbeschreiblicher Blick – es war die glutvollste Liebe, die nach Genuß dürstende Wollust selbst – fiel auf ihn. Sie lispelten einige Worte, die ich nicht verstand. Euphemie mochte mich erblicken; sie wandte sich schnell um, aber ich vernahm deutlich die Worte: >Wir werden bemerkt !<

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