Die Elixiere des Teufels

Текст
Автор:
0
Отзывы
Читать фрагмент
Отметить прочитанной
Как читать книгу после покупки
Die Elixiere des Teufels
Шрифт:Меньше АаБольше Аа

E.T.A. Hoffmann

Die Elixiere des Teufels

Gern möchte ich dich unter jene dunkle Platanen führen, wo ich die seltsame Geschichte des Bruders Medardus las.

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Die Elixiere des Teufels

Erster Teil - Erster Abschnitt

Zweiter Abschnitt

Dritter Abschnitt

Vierter Abschnitt

Zweiter Teil - Erster Abschnitt

Zweiter Abschnitt

Dritter Abschnitt

Nachtrag des Paters Spiridion, Bibliothekar des Kapuzinerklosters zu B.

Impressum neobooks

Die Elixiere des Teufels

E.T.A. Hoffmann

Vorwort des Herausgebers

Gern möchte ich dich, günstiger Leser, unter jene dunkle Platanen führen, wo ich die seltsame Geschichte des Bruders Medardus

zum ersten Male las. Du würdest dich mit mir auf dieselbe, in duftige Stauden und bunt glühende Blumen halb versteckte,

steinerne Bank setzen; du würdest so wie ich recht sehnsüchtig nach den blauen Bergen schauen, die sich in wunderlichen

Gebilden hinter dem sonnichten Tal auftürmen, das am Ende des Laubganges sich vor uns ausbreitet. Aber nun wendest du dich

um und erblickest kaum zwanzig Schritte hinter uns ein gotisches Gebäude, dessen Portal reich mit Statüen verziert ist. – Durch

die dunklen Zweige der Platanen schauen dich Heiligenbilder recht mit klaren lebendigen Augen an; es sind die frischen

Freskogemälde, die auf der breiten Mauer prangen. – Die Sonne steht glutrot auf dem Gebirge, der Abendwind erhebt sich,

überall Leben und Bewegung. Flüsternd und rauschend gehen wunderbare Stimmen durch Baum und Gebüsch: als würden sie

steigend und steigend zu Gesang und Orgelklang, so tönt es von ferne herüber. Ernste Männer in weit gefalteten Gewändern

wandeln, den frommen Blick emporgerichtet, schweigend durch die Laubgänge des Gartens. Sind denn die Heiligenbilder

lebendig worden und herabgestiegen von den hohen Simsen? – Dich umwehen die geheimnisvollen Schauer der wunderbaren

Sagen und Legenden, die dort abgebildet, dir ist, als geschähe alles vor deinen Augen, und willig magst du daran glauben. In

dieser Stimmung liesest du die Geschichte des Medardus, und wohl magst du auch dann die sonderbaren Visionen des Mönchs

für mehr halten als für das regellose Spiel der erhitzten Einbildungskraft. –

Da du, günstiger Leser, soeben Heiligenbilder, ein Kloster und Mönche geschaut hast, so darf ich kaum hinzufügen, daß es der

herrliche Garten des Kapuzinerklosters in B. war, in den ich dich geführt hatte.

Als ich mich einst in diesem Kloster einige Tage aufhielt, zeigte mir der ehrwürdige Prior die von dem Bruder Medardus

nachgelassene, im Archiv aufbewahrte Papiere als eine Merkwürdigkeit, und nur mit Mühe überwand ich des Priors Bedenken,

sie mir mitzuteilen. Eigentlich, meinte der Alte, hätten diese Papiere verbrannt werden sollen. – Nicht ohne Furcht, du werdest des

Priors Meinung sein, gebe ich dir, günstiger Leser, nun das aus jenen Papieren geformte Buch in die Hände. Entschließest du

dich aber, mit dem Medardus, als seist du sein treuer Gefährte, durch finstre Kreuzgänge und Zellen – durch die bunte – bunteste

Welt zu ziehen und mit ihm das Schauerliche, Entsetzliche, Tolle, Possenhafte seines Lebens zu ertragen, so wirst du dich

vielleicht an den mannigfachen Bildern der Camera obscura, die sich dir aufgetan, ergötzen. – Es kann auch kommen, daß das

gestaltlos Scheinende, sowie du schärfer es ins Auge fassest, sich dir bald deutlich und rund darstellt. Du erkennst den

verborgenen Keim, den ein dunkles Verhängnis gebar, und der, zur üppigen Pflanze emporgeschossen, fort und fort wuchert, in

tausend Ranken, bis eine Blüte, zur Frucht reifend, allen Lebenssaft an sich zieht und den Keim selbst tötet. –

Nachdem ich die Papiere des Kapuziners Medardus recht emsig durchgelesen, welches mir schwer genug wurde, da der Selige

eine sehr kleine, unleserliche mönchische Handschrift geschrieben, war es mir auch, als könne das, was wir insgemein Traum

und Einbildung nennen, wohl die symbolische Erkenntnis des geheimen Fadens sein, der sich durch unser Leben zieht, es

festknüpfend in allen seinen Bedingungen, als sei der aber für verloren zu achten, der mit jener Erkenntnis die Kraft gewonnen

glaubt, jenen Faden gewaltsam zu zerreißen und es aufzunehmen mit der dunklen Macht, die über uns gebietet.

Vielleicht geht es dir, günstiger Leser, wie mir, und das wünschte ich denn aus erheblichen Gründen recht herzlich.

Erster Teil - Erster Abschnitt

Die Jahre der Kindheit und das Klosterleben

Nie hat mir meine Mutter gesagt, in welchen Verhältnissen mein Vater in der Welt lebte; rufe ich mir aber alles das ins Gedächtnis

zurück, was sie mir schon in meiner frühesten Jugend von ihm erzählte, so muß ich wohl glauben, daß es ein mit tiefen

Kenntnissen begabter lebenskluger Mann war. Eben aus diesen Erzählungen und einzelnen Äußerungen meiner Mutter über ihr

früheres Leben, die mir erst später verständlich worden, weiß ich, daß meine Eltern von einem bequemen Leben, welches sie im

Besitz vieles Reichtums führten, herabsanken in die drückendste bitterste Armut, und daß mein Vater, einst durch den Satan

verlockt zum verruchten Frevel, eine Todsünde beging, die er, als ihn in späten Jahren die Gnade Gottes erleuchtete, abbüßen

wollte auf einer Pilgerreise nach der heiligen Linde im weit entfernten kalten Preußen. – Auf der beschwerlichen Wanderung

dahin fühlte meine Mutter nach mehreren Jahren der Ehe zum erstenmal, daß diese nicht unfruchtbar bleiben würde, wie mein

Vater befürchtet, und seiner Dürftigkeit unerachtet war er hoch erfreut, weil nun eine Vision in Erfüllung gehen sollte, in welcher

ihm der heilige Bernardus Trost und Vergebung der Sünde durch die Geburt eines Sohnes zugesichert hatte. In der heiligen

Linde erkrankte mein Vater, und je weniger er die vorgeschriebenen beschwerlichen Andachtsübungen seiner Schwäche

unerachtet aussetzen wollte, desto mehr nahm das Übel überhand; er starb entsündigt und getröstet in demselben Augenblick, als

ich geboren wurde. – Mit dem ersten Bewußtsein dämmern in mir die lieblichen Bilder von dem Kloster und von der herrlichen

Kirche in der heiligen Linde auf. Mich umrauscht noch der dunkle Wald – mich umduften noch die üppig aufgekeimten Gräser, die

bunten Blumen, die meine Wiege waren. Kein giftiges Tier, kein schädliches Insekt nistet in dem Heiligtum der Gebenedeiten;

nicht das Sumsen einer Fliege, nicht das Zirpen des Heimchens unterbricht die heilige Stille, in der nur die frommen Gesänge der

Priester erhallen, die, mit den Pilgern goldne Rauchfässer schwingend, aus denen der Duft des Weihrauchopfers emporsteigt, in

langen Zügen daherziehen. Noch sehe ich mitten in der Kirche den mit Silber überzogenen Stamm der Linde, auf welche die

Engel das wundertätige Bild der heiligen Jungfrau niedersetzten. Noch lächeln mich die bunten Gestalten der Engel – der

Heiligen – von den Wänden, von der Decke der Kirche an! – Die Erzählungen meiner Mutter von dem wundervollen Kloster, wo

ihrem tiefsten Schmerz gnadenreicher Trost zuteil wurde, sind so in mein Innres gedrungen, daß ich alles selbst gesehen, selbst

erfahren zu haben glaube, unerachtet es unmöglich ist, daß meine Erinnerung so weit hinausreicht, da meine Mutter nach

anderthalb Jahren die heilige Stätte verließ. – So ist es mir, als hätte ich selbst einmal in der öden Kirche die wunderbare Gestalt

eines ernsten Mannes gesehen, und es sei eben der fremde Maler gewesen, der in uralter Zeit, als eben die Kirche gebaut,

erschien, dessen Sprache niemand verstehen konnte und der mit kunstgeübter Hand in gar kurzer Zeit die Kirche auf das

herrlichste ausmalte, dann aber, als er fertig worden, wieder verschwand. – So gedenke ich ferner noch eines alten fremdartig

gekleideten Pilgers mit langem grauen Barte, der mich oft auf den Armen umhertrug, im Walde allerlei bunte Moose und Steine

suchte und mit mir spielte; unerachtet ich gewiß glaube, daß nur aus der Beschreibung meiner Mutter sich im Innern sein

lebhaftes Bild erzeugt hat. Er brachte einmal einen fremden wunderschönen Knaben mit, der mit mir von gleichem Alter war. Uns

herzend und küssend, saßen wir im Grase, ich schenkte ihm alle meine bunten Steine, und er wußte damit allerlei Figuren auf

dem Erdboden zu ordnen, aber immer bildete sich daraus zuletzt die Gestalt des Kreuzes. Meine Mutter saß neben uns auf einer

steinernen Bank, und der Alte schaute, hinter ihr stehend, mit mildem Ernst unsern kindischen Spielen zu. Da traten einige

 

Jünglinge aus dem Gebüsch, die, nach ihrer Kleidung und nach ihrem ganzen Wesen zu urteilen, wohl nur aus Neugierde und

Schaulust nach der heiligen Linde gekommen waren. Einer von ihnen rief, indem er uns gewahr wurde, lachend: »Sieh da! eine

heilige Familie, das ist etwas für meine Mappe!« – Er zog wirklich Papier und Krayon hervor und schickte sich an uns zu

zeichnen, da erhob der alte Pilger sein Haupt und rief zornig: »Elender Spötter, du willst ein Künstler sein, und in deinem Innern

brannte nie die Flamme des Glaubens und der Liebe; aber deine Werke werden tot und starr bleiben wie du selbst, und du wirst

wie ein Verstoßener in einsamer Leere verzweifeln und untergehen in deiner eignen Armseligkeit.« – Die Jünglinge eilten

bestürzt von dannen. – Der alte Pilger sagte zu meiner Mutter: »Ich habe Euch heute ein wunderbares Kind gebracht, damit es in

Euerm Sohn den Funken der Liebe entzünde, aber ich muß es wieder von Euch nehmen, und Ihr werdet es wohl sowie mich

selbst nicht mehr schauen. Euer Sohn ist mit vielen Gaben herrlich ausgestattet, aber die Sünde des Vaters kocht und gärt in

seinem Blute, er kann jedoch sich zum wackern Kämpen für den Glauben aufschwingen, lasset ihn geistlich werden!« – Meine

Mutter konnte nicht genug sagen, welchen tiefen unauslöschlichen Eindruck die Worte des Pilgers auf sie gemacht hatten; sie

beschloß aber demunerachtet, meiner Neigung durchaus keinen Zwang anzutun, sondern ruhig abzuwarten, was das Geschick

über mich verhängen und wozu es mich leiten würde, da sie an irgend eine andere höhere Erziehung, als die sie selbst mir zu

geben imstande war, nicht denken konnte. – Meine Erinnerungen aus deutlicher, selbst gemachter Erfahrung heben von dem

Zeitpunkt an, als meine Mutter auf der Heimreise in das Zisterzienser Nonnenkloster gekommen war, dessen gefürstete Äbtissin,

die meinen Vater gekannt hatte, sie freundlich aufnahm. Die Zeit von jener Begebenheit mit dem alten Pilger, welche ich in der

Tat aus eigner Anschauung weiß, so daß sie meine Mutter nur rücksichts der Reden des Malers und des alten Pilgers ergänzt

hat, bis zu dem Moment, als mich meine Mutter zum erstenmal zur Äbtissin brachte, macht eine völlige Lücke: nicht die leiseste

Ahnung ist mir davon übrig geblieben. Ich finde mich erst wieder, als die Mutter meinen Anzug, soviel es ihr nur möglich war,

besserte und ordnete. Sie hatte neue Bänder in der Stadt gekauft, sie verschnitt mein wildverwachsnes Haar, sie putzte mich mit

aller Mühe und schärfte mir dabei ein, mich ja recht fromm und artig bei der Frau Äbtissin zu betragen. Endlich stieg ich an der

Hand meiner Mutter die breiten steinernen Treppen herauf und trat in das hohe, gewölbte, mit heiligen Bildern ausgeschmückte

Gemach, in dem wir die Fürstin fanden. Es war eine große, majestätische schöne Frau, der die Ordenstracht eine Ehrfurcht

einflößende Würde gab. Sie sah mich mit einem ernsten, bis ins Innerste dringenden Blick an und frug: »Ist das Euer Sohn?« –

Ihre Stimme, ihr ganzes Ansehn – selbst die fremde Umgebung, das hohe Gemach, die Bilder, alles wirkte so auf mich, daß ich,

von dem Gefühl eines inneren Grauens ergriffen, bitterlich zu weinen anfing. Da sprach die Fürstin, indem sie mich milder und

gütiger anblickte: »Was ist dir, Kleiner, fürchtest du dich vor mir? – Wie heißt Euer Sohn, liebe Frau?« – »Franz«, erwiderte

meine Mutter, da rief die Fürstin mit der tiefsten Wehmut: »Franziskus!« und hob mich auf und drückte mich heftig an sich, aber in

dem Augenblick preßte mir ein jäher Schmerz, den ich am Halse fühlte, einen starken Schrei aus, so daß die Fürstin erschrocken

mich losließ und die durch mein Betragen ganz bestürzt gewordene Mutter auf mich zusprang, um nur gleich mich fortzuführen.

Die Fürstin ließ das nicht zu: es fand sich, daß das diamantne Kreuz, welches die Fürstin auf der Brust trug, mich, indem sie

heftig mich an sich drückte, am Halse so stark beschädigt hatte, daß die Stelle ganz rot und mit Blut unterlaufen war. »Armer

Franz,« sprach die Fürstin, »ich habe dir weh getan, aber wir wollen doch noch gute Freunde werden.« – Eine Schwester brachte

Zuckerwerk und süßen Wein, ich ließ mich, jetzt schon dreister geworden, nicht lange nötigen, sondern naschte tapfer von den

Süßigkeiten, die mir die holde Frau, welche sich gesetzt und mich auf den Schoß genommen hatte, selbst in den Mund steckte.

Als ich einige Tropfen des süßen Getränks, das mir bis jetzt ganz unbekannt gewesen, gekostet, kehrte mein munterer Sinn, die

besondere Lebendigkeit, die nach meiner Mutter Zeugnis von meiner frühsten Jugend mir eigen war, zurück. Ich lachte und

schwatzte zum größten Vergnügen der Äbtissin und der Schwester, die im Zimmer geblieben. Noch ist es mir unerklärlich, wie

meine Mutter darauf verfiel, mich aufzufordern, der Fürstin von den schönen herrlichen Dingen meines Geburtsortes zu erzählen,

und ich, wie von einer höheren Macht inspiriert, ihr die schönen Bilder des fremden unbekannten Malers so lebendig, als habe ich

sie im tiefsten Geiste aufgefaßt, beschreiben konnte. Dabei ging ich ganz ein in die herrlichen Geschichten der Heiligen, als sei

ich mit allen Schriften der Kirche schon bekannt und vertraut geworden. Die Fürstin, selbst meine Mutter, blickten mich voll

Erstaunen an, aber je mehr ich sprach, desto höher stieg meine Begeisterung, und als mich endlich die Fürstin frug: »Sage mir,

liebes Kind, woher weißt du denn das alles?« – da antwortete ich, ohne mich einen Augenblick zu besinnen, daß der schöne

wunderbare Knabe, den einst ein fremder Pilgersmann mitgebracht hätte, mir alle Bilder in der Kirche erklärt, ja selbst noch

manches Bild mit bunten Steinen gemalt und mir nicht allein den Sinn davon gelöset, sondern auch viele andere heilige

Geschichten erzählt hätte. –

Man läutete zur Vesper, die Schwester hatte eine Menge Zuckerwerk in eine Tüte gepackt, die sie mir gab und die ich voller

Vergnügen einsteckte. Die Äbtissin stand auf und sagte zu meiner Mutter: »Ich sehe Euern Sohn als meinen Zögling an, liebe

Frau, und will von nun an für ihn sorgen.« Meine Mutter konnte vor Wehmut nicht sprechen, sie küßte, heiße Tränen vergießend,

die Hände der Fürstin. Schon wollten wir zur Tür hinaustreten, als die Fürstin uns nachkam, mich nochmals aufhob, sorgfältig das

Kreuz beiseite schiebend, mich an sich drückte und heftig weinend, so daß die heißen Tropfen auf meine Stirne fielen, ausrief:

»Franziskus! – Bleibe fromm und gut!« – Ich war im Innersten bewegt und mußte auch weinen, ohne eigentlich zu wissen warum.

Durch die Unterstützung der Äbtissin gewann der kleine Haushalt meiner Mutter, die unfern dem Kloster in einer kleinen Meierei

wohnte, bald ein besseres Ansehen. Die Not hatte ein Ende, ich ging besser gekleidet und genoß den Unterricht des Pfarrers,

dem ich zugleich, wenn er in der Klosterkirche das Amt hielt, als Chorknabe diente. –

Wie umfängt mich noch wie ein seliger Traum die Erinnerung an jene glückliche Jugendzeit! – Ach, wie ein fernes heiliges Land,

wo die Freude wohnt und die ungetrübte Heiterkeit des kindlichen unbefangenen Sinnes, liegt die Heimat weit, weit hinter mir,

aber wenn ich zurückblicke, da gähnt mir die Kluft entgegen, die mich auf ewig von ihr geschieden. Von heißer Sehnsucht

ergriffen, trachte ich immer mehr und mehr, die Geliebten zu erkennen, die ich drüben, wie im Purpurschimmer des Frührots

wandelnd, erblicke, ich wähne ihre holden Stimmen zu vernehmen. Ach! – gibt es denn eine Kluft, über die die Liebe mit starkem

Fittich sich nicht hinwegschwingen könnte? Was ist für die Liebe der Raum, die Zeit! – Lebt sie nicht im Gedanken, und kennt der

denn ein Maß? – Aber finstre Gestalten steigen auf, und immer dichter und dichter sich zusammendrängend, immer enger und

enger mich einschließend, versperren sie die Aussicht und befangen meinen Sinn mit den Drangsalen der Gegenwart, daß selbst

die Sehnsucht, welche mich mit namenlosem wonnevollem Schmerz erfüllte, nun zu tötender heilloser Qual wird! –

Der Pfarrer war die Güte selbst, er wußte meinen lebhaften Geist zu fesseln, er wußte seinen Unterricht so nach meiner Sinnesart

zu formen, daß ich Freude daran fand und schnelle Fortschritte machte. – Meine Mutter liebte ich über alles, aber die Fürstin

verehrte ich wie eine Heilige, und es war ein feierlicher Tag für mich, wenn ich sie sehen durfte. Jedesmal nahm ich mir vor, mit

den neuerworbenen Kenntnissen recht vor ihr zu leuchten, aber wenn sie kam, wenn sie freundlich mich anredete, da konnte ich

kaum ein Wort herausbringen, ich mochte nur sie anschauen, nur sie hören. Jedes ihrer Worte blieb tief in meiner Seele zurück,

noch den ganzen Tag über, wenn ich sie gesprochen, befand ich mich in wunderbarer feierlicher Stimmung, und ihre Gestalt

begleitete mich auf den Spaziergängen, die ich dann besuchte. – Welches namenlose Gefühl durchbebte mich, wenn ich, das

Rauchfaß schwingend, am Hochaltare stand, und nun die Töne der Orgel von dem Chore herabströmten und, wie zur brausenden

Flut anschwellend, mich fortrissen – wenn ich dann in dem Hymnus ihre Stimme erkannte, die wie ein leuchtender Strahl zu mir

herabdrang und mein Inneres mit den Ahnungen des Höchsten – des Heiligsten erfüllte. Aber der herrlichste Tag, auf den ich mich

wochenlang freute, ja, an den ich niemals ohne inneres Entzücken denken konnte, war das Fest des heiligen Bernardus, welches,

da er der Heilige der Zisterzienser ist, im Kloster durch einen großen Ablaß auf das feierlichste begangen wurde. Schon den Tag

vorher strömten aus der benachbarten Stadt sowie aus der ganzen umliegenden Gegend eine Menge Menschen herbei und

lagerten sich auf der großen blumichten Wiese, die sich an das Kloster schloß, so daß das frohe Getümmel Tag und Nacht nicht

aufhörte. Ich erinnere mich nicht, daß die Witterung in der günstigen Jahreszeit (der Bernardustag fällt in den August) dem Feste

jemals ungünstig gewesen sein sollte. In bunter Mischung sah man hier andächtige Pilger, Hymnen singend, daherwandeln, dort

Bauerbursche sich mit den geputzten Dirnen jubelnd umhertummeln – Geistliche, die in frommer Betrachtung, die Hände

andächtig gefaltet, in die Wolken schauen – Bürgerfamilien im Grase gelagert, die die hochgefüllten Speisekörbe auspacken und

ihr Mahl verzehren. Lustiger Gesang, fromme Lieder, die inbrünstigen Seufzer der Büßenden, das Gelächter der Fröhlichen,

Klagen, Jauchzen, Jubel, Scherze, Gebet erfüllen wie in wunderbarem, betäubendem Konzert die Lüfte! – Aber sowie die Glocke

des Klosters anschlägt, verhallt das Getöse plötzlich – soweit das Auge nur reicht, ist alles, in dichte Reihen gedrängt, auf die

Knie gesunken, und nur das dumpfe Murmeln des Gebets unterbricht die heilige Stille. Der letzte Schlag der Glocke tönt aus, die

bunte Menge strömt wieder durcheinander, und aufs neue erschallt der minutenlang unterbrochene Jubel. – Der Bischof selbst,

welcher in der benachbarten Stadt residiert, hielt an dem Bernardustage in der Kirche des Klosters, bedient von der untern

Geistlichkeit des Hochstifts, das feierliche Hochamt, und seine Kapelle führte auf einer Tribüne, die man zur Seite des Hochaltars

errichtet und mit reicher, seltener Hautelisse behängt hatte, die Musik aus. – Noch jetzt sind die Empfindungen, die damals meine

Brust durchbebten, nicht erstorben, sie leben auf in jugendlicher Frische, wenn ich mein Gemüt ganz zuwende jener seligen Zeit,

die nur zu schnell verschwunden. Ich gedenke lebhaft eines Gloria, welches mehrmals ausgeführt wurde, da die Fürstin eben

diese Komposition vor allen andern liebte. – Wenn der Bischof das Gloria intoniert hatte und nun die mächtigen Töne des Chors

daher brausten: Gloria in excelsis deo! – war es nicht, als öffne sich die Wolkenglorie über dem Hochaltar? – ja, als erglühten

durch ein göttliches Wunder die gemalten Cherubim und Seraphim zum Leben und regten und bewegten die starken Fittiche und

schwebten auf und nieder, Gott lobpreisend mit Gesang und wunderbarem Saitenspiel? – Ich versank in das hinbrütende Staunen

der begeisterten Andacht, die mich durch glänzende Wolken in das ferne bekannte, heimatliche Land trug, und in dem duftenden

Walde ertönten die holden Engelsstimmen, und der wunderbare Knabe trat wie aus hohen Lilienbüschen mir entgegen und frug

 

mich lächelnd: »Wo warst du denn so lange, Franziskus? – ich habe viele schöne bunte Blumen, die will ich dir alle schenken,

wenn du bei mir bleibst und mich liebst immerdar.« –

Nach dem Hochamt hielten die Nonnen unter dem Vortritt der Äbtissin, die mit der Inful geschmückt war und den silbernen

Hirtenstab trug, eine feierliche Prozession durch die Gänge des Klosters und durch die Kirche. Welche Heiligkeit, welche Würde,

welche überirdische Größe strahlte aus jedem Blick der herrlichen Frau, leitete jede ihrer Bewegungen! Es war die

triumphierende Kirche selbst, die dem frommen gläubigen Volke Gnade und Segen verhieß. Ich hätte mich vor ihr in den Staub

werfen mögen, wenn ihr Blick zufällig auf mich fiel. – Nach beendigtem Gottesdienst wurde die Geistlichkeit sowie die Kapelle

des Bischofs in einem großen Saal des Klosters bewirtet. Mehrere Freunde des Klosters, Offizianten, Kaufleute aus der Stadt,

nahmen an dem Mahle teil, und ich durfte, weil mich der Konzertmeister des Bischofs liebgewonnen und gern sich mit mir zu

schaffen machte, auch dabei sein. Hatte sich erst mein Innres, von heiliger Andacht durchglüht, ganz dem Überirdischen

zugewendet, so trat jetzt das frohe Leben auf mich ein und umfing mich mit seinen bunten Bildern. Allerlei lustige Erzählungen,

Späße und Schwänke wechselten unter dem lauten Gelächter der Gäste, wobei die Flaschen fleißig geleert wurden, bis der

Abend hereinbrach und die Wagen zur Heimfahrt bereitstanden.

Sechzehn Jahre war ich alt geworden, als der Pfarrer erklärte, daß ich nun vorbereitet genug sei, die höheren theologischen

Studien in dem Seminar der benachbarten Stadt zu beginnen: ich hatte mich nämlich ganz für den geistlichen Stand entschieden,

und dies erfüllte meine Mutter mit der innigsten Freude, da sie hiedurch die geheimnisvollen Andeutungen des Pilgers, die in

gewisser Art mit der merkwürdigen, mir unbekannten Vision meines Vaters in Verbindung stehen sollten, erklärt und erfüllt sah.

Durch meinen Entschluß glaubte sie erst die Seele meines Vaters entsühnt und von der Qual ewiger Verdammnis errettet. Auch

die Fürstin, die ich jetzt nur im Sprachzimmer sehen konnte, billigte höchlich mein Vorhaben und wiederholte ihr Versprechen,

mich bis zur Erlangung einer geistlichen Würde mit allem Nötigen zu unterstützen. Unerachtet die Stadt so nahe lag, daß man von

dem Kloster aus die Türme sehen konnte, und nur irgend rüstige Fußgänger von dort her die heitre, anmutige Gegend des

Klosters zu ihren Spaziergängen wählten, so wurde mir doch der Abschied von meiner guten Mutter, von der herrlichen Frau, die

ich so tief im Gemüte verehrte, sowie von meinem guten Lehrer recht schwer. Es ist ja auch gewiß, daß dem Schmerz der

Trennung jede Spanne außerhalb dem Kreise der Lieben der weitesten Entfernung gleich dünkt! – Die Fürstin war auf besondere

Weise bewegt, ihre Stimme zitterte vor Wehmut, als sie noch salbungsvolle Worte der Ermahnung sprach. Sie schenkte mir einen

zierlichen Rosenkranz und ein kleines Gebetbuch mit sauber illuminierten Bildern. Dann gab sie mir noch ein

Empfehlungsschreiben an den Prior des Kapuzinerklosters in der Stadt, den sie mir empfahl gleich aufzusuchen, da er mir in

allem mit Rat und Tat eifrigst beistehen werde.

Gewiß gibt es nicht so leicht eine anmutigere Gegend, als diejenige ist, in welcher das Kapuzinerkloster dicht vor der Stadt liegt.

Der herrliche Klostergarten mit der Aussicht in die Gebirge hinein schien mir jedesmal, wenn ich in den langen Alleen wandelte

und bald bei dieser, bald bei jener üppigen Baumgruppe stehen blieb, in neuer Schönheit zu erglänzen. – Gerade in diesem

Garten traf ich den Prior Leonardus, als ich zum erstenmal das Kloster besuchte, um mein Empfehlungsschreiben von der

Äbtissin abzugeben. – Die dem Prior eigne Freundlichkeit wurde noch erhöht, als er den Brief las, und er wußte so viel

Anziehendes von der herrlichen Frau, die er schon in frühen Jahren in Rom kennen gelernt, zu sagen, daß er schon dadurch im

ersten Augenblick mich ganz an sich zog. Er war von den Brüdern umgeben, und man durchblickte bald das ganze Verhältnis des

Priors mit den Mönchen, die ganze klösterliche Einrichtung und Lebensweise: die Ruhe und Heiterkeit des Geistes, wel che sich

in dem Äußerlichen des Priors deutlich aussprach, verbreitete sich über alle Brüder. Man sah nirgends eine Spur des Mißmuts

oder jener feindlichen, ins Innere zehrenden Verschlossenheit, die man sonst wohl auf den Gesichtern der Mönche wahrnimmt.

Unerachtet der strengen Ordensregel waren die Andachtsübungen dem Prior Leonardus mehr Bedürfnis des dem Himmlischen

zugewandten Geistes, als asketische Buße für die der menschlichen Natur anklebende Sünde, und er wußte diesen Sinn der

Andacht so in den Brüdern zu entzünden, daß sich über alles, was sie tun mußten, um der Regel zu genügen, eine Heiterkeit und

Gemütlichkeit ergoß, die in der Tat ein höheres Sein in der irdischen Beengtheit erzeugte. – Selbst eine gewisse schickliche

Verbindung mit der Welt wußte der Prior Leonardus herzustellen, die für die Brüder nicht anders als heilsam sein konnte.

Reichliche Spenden, die von allen Seiten dem allgemein hochgeachteten Kloster dargebracht wurden, machten es möglich, an

gewissen Tagen die Freunde und Beschützer des Klosters in dem Refektorium zu bewirten. Dann wurde in der Mitte des

Speisesaals eine lange Tafel gedeckt, an deren oberem Ende der Prior Leonardus bei den Gästen saß. Die Brüder blieben an

der schmalen, der Wand entlang stehenden Tafel und bedienten sich ihres einfachen Geschirres, der Regel gemäß, während an

der Gasttafel alles sauber und zierlich mit Porzellan und Glas besetzt war. Der Koch des Klosters wußte vorzüglich auf eine

leckere Art Fastenspeisen zuzubereiten, die den Gästen gar wohl schmeckten. Die Gäste sorgten für den Wein, und so waren die

Mahle im Kapuzinerkloster ein freundliches, gemütliches Zusammentreten des Profanen mit dem Geistlichen, welches in

wechselseitiger Rückwirkung für das Leben nicht ohne Nutzen sein konnte. Denn indem die im weltlichen Treiben Befangenen

hinaustraten und eingingen in die Mauern, wo alles das ihrem Tun schnurstracks entgegengesetzte Leben der Geistlichen

verkündet, mußten sie, von manchem Funken, der in ihre Seele fiel, aufgeregt, eingestehen, daß auch wohl auf andere Wege, als

auf dem, den sie eingeschlagen, Ruhe und Glück zu finden sei, ja, daß vielleicht der Geist, je mehr er sich über das Irdische

erhebe, dem Menschen schon hienieden ein höheres Sein bereiten könne. Dagegen gewannen die Mönche an Lebensumsicht

und Weisheit, da die Kunde, welche sie von dem Tun und Treiben der bunten Welt außerhalb ihrer Mauern erhielten, in ihnen

Betrachtungen mancherlei Art erweckte. Ohne dem Irdischen einen falschen Wert zu verleihen, mußten sie in der verschiedenen,

aus dem Innern bestimmten Lebensweise der Menschen die Notwendigkeit einer solchen Strahlenbrechung des geistigen

Prinzips, ohne welche alles farb- und glanzlos geblieben wäre, anerkennen. Über alle hocherhaben rücksichts der geistigen und

wissenschaftlichen Ausbildung stand von jeher der Prior Leonardus. Außerdem daß er allgemein für einen wackern Gelehrten in

der Theologie galt, so, daß er mit Leichtigkeit und Tiefe die schwierigsten Materien abzuhandeln wußte und sich die Professoren

des Seminars oft bei ihm Rat und Belehrung holten, war er auch mehr, als man es wohl einem Klostergeistlichen zutrauen kann,

für die Welt ausgebildet. Er sprach mit Fertigkeit und Eleganz das Italienische und Französische, und seiner besonderen

Gewandtheit wegen hatte man ihn in früherer Zeit zu wichtigen Missionen gebraucht. Schon damals, als ich ihn kennen lernte, war

er hochbejahrt, aber indem sein weißes Haar von seinem Alter zeugte, blitzte aus den Augen noch jugendliches Feuer, und das

anmutige Lächeln, welches um seine Lippen schwebte, erhöhte den Ausdruck der innern Behaglichkeit und Gemütsruhe.

Dieselbe Grazie, welche seine Rede schmückte, herrschte in seinen Bewegungen, und selbst die unbehilfliche Ordenstracht

schmiegte sich wundersam den wohlgebauten Formen seines Körpers an. Es befand sich kein einziger unter den Brüdern, den

nicht eigne freie Wahl, den nicht sogar das von der innern geistigen Stimmung erzeugte Bedürfnis in das Kloster gebracht hätte;

aber auch den Unglücklichen, der im Kloster den Port gesucht hätte, um der Vernichtung zu entgehen, hätte Leonardus bald

getröstet; seine Buße wäre der kurze Übergang zur Ruhe geworden, und, mit der Welt versöhnt, ohne ihren Tand zu achten, hätte

er, im Irdischen lebend, doch sich bald über das Irdische erhoben. Diese ungewöhnlichen Tendenzen des Klosterlebens hatte

Leonardus in Italien aufgefaßt, wo der Kultus und mit ihm die ganze Ansicht des religiösen Lebens heitrer ist als in dem

katholischen Deutschland. So wie bei dem Bau der Kirchen noch die antiken Formen sich erhielten, so scheint auch ein Strahl

aus jener heitern lebendigen Zeit des Altertums in das mystische Dunkel des Christianism gedrungen zu sein und es mit dem

wunderbaren Glanze erhellt zu haben, der sonst die Götter und Helden umstrahlte.

Leonardus gewann mich lieb, er unterrichtete mich im Italienischen und Französischen, vorzüglich waren es aber die

Купите 3 книги одновременно и выберите четвёртую в подарок!

Чтобы воспользоваться акцией, добавьте нужные книги в корзину. Сделать это можно на странице каждой книги, либо в общем списке:

  1. Нажмите на многоточие
    рядом с книгой
  2. Выберите пункт
    «Добавить в корзину»