Der Großinquisitor. Eine Phantasie

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Der Großinquisitor. Eine Phantasie
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Fjodor Dostojewskij

Der Großinquisitor

Eine Phantasie

Übersetzt von Hermann Röhl

Nachwort und Anmerkungen von Ulrich Schmid

Reclam

2021 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2021

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961910-1

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014181-6

www.reclam.de

Inhalt

  Der Großinquisitor

  Zu dieser Ausgabe

  Anmerkungen

  Literaturhinweise

  Nachwort

Der Großinquisitor

Ein Kapitel aus dem Roman Die Brüder Karamasow. Situation: Iwan Karamasow sitzt mit seinem Bruder Aljoscha in einem Gasthaus und eröffnet ihm, er habe im Kopf eine »Dichtung« verfasst, die er ihm mitteilen wolle.

[7]»Na ja, es geht auch hier nicht ohne Vorrede ab, das heißt ohne eine literarhistorische Vorrede, hol’s der Teufel!«, begann Iwan lachend. »Und dabei bin ich doch nur ein jämmerlicher Autor! Siehst du, die Handlung geht bei mir im sechzehnten Jahrhundert vor sich; damals aber (das muss dir übrigens noch von der Schule her bekannt sein), damals war es gerade üblich, in poetischen Erzeugnissen die himmlischen Mächte auf die Erde herabzuholen. Von Dante will ich schon gar nicht reden. In Frankreich gaben die Gerichtsschreiber und ebenso in den Klöstern die Mönche ganze Vorstellungen, in denen sie die Madonna, die Engel, die Heiligen, Christus und Gott selbst auf die Bühne brachten. Damals geschah das alles in vollster Einfalt. In Victor Hugos ›Notre Dame de Paris‹ wird zu Ehren der Geburt des französischen Dauphins in Paris in Gegenwart Ludwigs XI. im Rathaussaal dem Volk gratis eine erbauliche Vorstellung gegeben unter dem Titel: ›Le bon jugement de la très sainte et gracieuse Vierge Marie‹, worin auch sie selbst persönlich erscheint und ihr bon jugement verkündet. Bei uns wurden in Moskau in der Zeit vor Peter dem Großen mitunter ebensolche beinah dramatischen Vorstellungen veranstaltet, besonders aus dem Alten Testament. Und damals, in der Zeit der dramatischen Aufführungen, waren in der ganzen Welt auch viele Erzählungen und Gedichte im Umlauf, in denen nach Bedarf Heilige, Engel und alle himmlischen Heerscharen handelnd auftraten. Bei uns in den Klöstern beschäftigten sich die Mönche ebenfalls mit dem Übersetzen, mit dem Abschreiben und sogar mit der Abfassung solcher Gedichte – und noch dazu in was für [8]einer Zeit? Unter dem Tatarenjoch. Es gibt zum Beispiel ein kleines klösterliches Gedicht (natürlich aus dem Griechischen): ›Die Wanderung der Mutter Gottes durch die Stätten der Qual‹, mit Schilderungen von einer Kühnheit, die Dante in nichts nachsteht. Die Mutter Gottes besucht die Hölle, und der Erzengel Michael führt sie durch die ›Stätten der Qual‹. Sie sieht die Sünder und ihre Martern. Da ist unter andern eine sehr interessante Gattung von Sündern in einem brennenden See: Manche von ihnen versinken in diesen See so tief, dass sie nicht mehr an die Oberfläche heraufkommen können; sie ›geraten bei Gott schon in Vergessenheit‹ – ein Ausdruck von außerordentlicher Tiefe und Kraft. Und da fällt denn die Mutter Gottes erschüttert und weinend vor dem Thron Gottes nieder und bittet für alle in der Hölle um Begnadigung, für alle, die sie dort gesehen hat, ohne Ausnahme. Ihr Gespräch mit Gott ist höchst interessant. Sie fleht, sie lässt nicht ab, und als Gott sie auf die von Nägeln durchbohrten Hände und Füße ihres Sohnes hinweist und sie fragt: Wie kann ich denn seinen Peinigern verzeihen? Da befiehlt sie allen Heiligen, allen Märtyrern, allen Engeln und Erzengeln, mit ihr zusammen vor Gott niederzufallen und um die Begnadigung aller ohne Unterschied zu bitten. Es endet damit, dass sie von Gott durch ihre Bitten ein Aussetzen der Qualen alljährlich vom Karfreitag bis Pfingsten erreicht, und die Sünder aus der Hölle danken dem Herrn sogleich dafür und rufen: ›Gerecht bist Du, o Herr, dass Du so gerichtet hast.‹ Siehst du, von derselben Art würde auch meine kleine Dichtung gewesen sein, wenn sie zu jener Zeit erschienen wäre. Bei mir erscheint auf der Szene Er; allerdings redet Er in der Dichtung nichts, sondern erscheint nur und geht vorüber. [9]Fünfzehn Jahrhunderte sind schon vergangen, seit Er die Verheißung gegeben hat, Er werde wiederkommen und sein Reich aufrichten, fünfzehn Jahrhunderte, seit sein Prophet schrieb: ›Ich komme bald; von dem Tag aber und von der Stunde weiß nicht einmal der Sohn, sondern allein mein himmlischer Vater‹, wie auch Er selbst es noch auf Erden ausgesprochen hat. Aber die Menschheit erwartet Ihn immer noch mit dem früheren Glauben und mit der früheren Sehnsucht. Oh, sogar mit noch größerem Glauben; denn die fünfzehn Jahrhunderte sind schon dahingegangen seit der Zeit, da die Unterpfänder, die der Himmel den Menschen gab, aufgehört haben:

Du musst glauben, du musst wagen,

Denn die Götter leihn kein Pfand.

So war denn nur der Glaube an das, was das Herz sagte, geblieben! Allerdings geschahen damals auch viele Wunder. Es gab Heilige, welche wunderbare Heilungen ausführten; zu manchen Gerechten stieg, nach den Angaben in ihren Lebensbeschreibungen, die Himmelskönigin selbst herab. Aber der Teufel schläft nicht, und es regten sich in der Menschheit schon Zweifel an der Wahrheit dieser Wunder. Damals war gerade im Norden, in Deutschland, eine schreckliche neue Ketzerei aufgetreten. Ein großer Stern, ›ähnlich einer Fackel (das heißt der Kirche) fiel auf die Wasserbrunnen, und sie wurden bitter‹. Die Anhänger dieser Ketzerei begannen gotteslästerlich die Wunder zu leugnen. Aber umso feuriger glaubten die treu Gebliebenen. Die Tränen der Menschheit stiegen zu Ihm hinauf wie ehemals; die Menschen erwarteten Ihn, liebten Ihn, hofften auf Ihn [10]wie ehemals. Und so viele Jahrhunderte lang betete die Menschheit in feurigem Glauben: ›Herr Gott, erscheine uns!‹ So viele Jahrhunderte rief sie zu Ihm, dass es Ihn in seinem unermesslichen Erbarmen verlangte, zu den Betenden hinabzusteigen. War Er doch auch vorher schon manchmal hinabgestiegen und hatte einzelne Gerechte, Märtyrer und fromme Eremiten noch auf Erden besucht, wie in ihren Lebensbeschreibungen zu lesen steht. Bei uns hat Tjutschew, der von der Wahrheit seiner Worte tief überzeugt war, gesungen:

In Knechtsgestalt, vom Kreuze schwer gedrückt,

Durchzog er segnend jede Erdenzone,

Er, den als König aller Welten schmückt

Auf höchstem Himmelsthron die Herrscherkrone.

Und so ist es auch tatsächlich geschehen, kann ich dir sagen. Also es verlangte Ihn, sich, wenn auch nur für ganz kurze Zeit, dem Volk zu zeigen, dem sich quälenden, leidenden, garstig sündigenden, aber Ihn doch kindlich liebenden Volk. Die Handlung spielt bei mir in Spanien, in Sevilla, in der furchtbarsten Zeit der Inquisition, als täglich zum Ruhme Gottes im Lande die Scheiterhaufen loderten und

Die Flammen der prächtigen Autodafés

Verbrannten die schändlichen Ketzer.

Oh, das war freilich nicht jenes Herniedersteigen, in welchem Er seiner Verheißung gemäß am Ende der Zeiten in all seiner himmlischen Herrlichkeit erscheinen wird, ›wie der Blitz scheinet vom Aufgang bis zum Niedergang‹. Nein, [11]es verlangte Ihn, wenn auch nur für ganz kurze Zeit, seine Kinder zu besuchen, und namentlich dort, wo gerade die Scheiterhaufen der Ketzer prasselten. In seiner unermesslichen Barmherzigkeit wandelt Er noch einmal unter den Menschen in eben jener Menschengestalt, in der Er fünfzehn Jahrhunderte vorher dreiunddreißig Jahre lang unter ihnen geweilt hat. Er steigt hinab auf die heißen Straßen und Plätze der südländischen Stadt, in welcher erst tags zuvor in einem ›prächtigen Autodafé‹ in Gegenwart des Königs, des Hofes, der Ritter, der Kardinäle und der reizendsten Damen des Hofes und in Gegenwart der zahlreichen Einwohnerschaft von ganz Sevilla durch den Kardinal-Großinquisitor auf einmal fast ein ganzes Hundert von Ketzern ad maiorem gloriam Dei verbrannt worden ist. Er erscheint still und unauffällig, und siehe da, es begibt sich etwas Seltsames: Alle erkennen Ihn. Das könnte eine der besten Stellen meiner Dichtung sein, nämlich die Darlegung, woran sie Ihn denn erkennen. Die Volksmenge strebt mit unwiderstehlicher Kraft zu Ihm hin, umringt Ihn, wächst um Ihn herum an und folgt Ihm nach. Schweigend wandelt Er unter ihnen dahin mit einem stillen Lächeln unendlichen Mitleides. Die Sonne der Liebe brennt in seinem Herzen, Strahlen von Licht und Kraft gehen von seinen Augen aus, ergießen sich auf die Menschen und erschüttern ihre Herzen in Gegenliebe. Er streckt die Hände nach ihnen hin und segnet sie, und von seiner Berührung, ja sogar von der Berührung seines Gewandes geht eine heilende Kraft aus. Da ruft aus der Menge ein Greis, der von seiner Kindheit an blind ist: ›Herr, heile mich, damit ich Dich schaue!‹, und siehe da, es fällt ihm wie Schuppen von den Augen, und der Blinde sieht Ihn. Das Volk weint und küsst die [12]Erde, über die Er dahinschreitet. Die Kinder streuen Blumen vor Ihm auf den Weg, singen und rufen Ihm zu: ›Hosianna! – Das ist Er, das ist Er selbst!‹, sagen alle untereinander. ›Das muss Er sein; das ist niemand anders als Er.‹ Er bleibt am Portal des Domes von Sevilla stehen, gerade in dem Augenblick, als ein offener kleiner weißer Kindersarg unter Weinen und Wehklagen hineingetragen wird; darin liegt ein siebenjähriges Mädchen, die einzige Tochter eines angesehenen Bürgers. Das tote Kind ist ganz in Blumen gebettet. ›Er wird dein Kind auferwecken!‹, ruft man der weinenden Mutter aus der Menge zu. Ein zum Dom gehöriger Pater, der herauskommt, um den Sarg in Empfang zu nehmen, macht ein erstauntes Gesicht und zieht die Augenbrauen zusammen. Aber da ertönt das laute Schluchzen der Mutter des verstorbenen Kindes. Sie wirft sich Ihm zu Füßen. ›Wenn Du es bist, so erwecke mein Kind!‹, ruft sie, indem sie die Hände nach Ihm ausstreckt. Der Zug bleibt stehen; der Sarg wird am Portal zu seinen Füßen niedergestellt. Er blickt voll Mitleid auf die kleine Leiche, und seine Lippen sprechen wiederum die Worte: ›Talitha kumi! (Mädchen, stehe auf!)‹ Das Mädchen erhebt sich im Sarg, setzt sich aufrecht und blickt lächelnd mit erstaunten, weitgeöffneten Augen um sich. In den Händen hält es den Strauß von weißen Rosen, mit dem es im Sarg gelegen hat. Das Volk ist starr vor Staunen, schreit und schluchzt; und siehe da, gerade in diesem Augenblick geht plötzlich am Dom auf dem Platz der Kardinal-Großinquisitor selbst vorbei. Er ist ein fast neunzigjähriger Greis, von hohem Wuchs und gerader Haltung, mit vertrocknetem Gesicht und mit eingesunkenen Augen, aus denen aber doch noch ein Glanz wie ein feuriges Fünkchen herausleuchtet. Oh, er trägt [13]nicht die prächtigen Kardinalsgewänder, in denen er am vorhergehenden Tag vor dem Volk geprangt hat, als die Feinde des römischen Glaubens verbrannt wurden; nein, in diesem Augenblick trägt er nur seine alte, grobe Mönchskutte. Ihm folgen in einiger Entfernung seine finsteren Gehilfen und Knechte und die ›heilige‹ Wache. Er bleibt vor der Menge stehen und beobachtet von fern. Er hat alles gesehen; er hat gesehen, wie man den Sarg Ihm vor die Füße stellte; er hat gesehen, wie das Mädchen auferstand, und sein Gesicht hat sich verfinstert. Er zieht die dichten, grauen Brauen zusammen, und ein böses Feuer funkelt in seinem Blick. Er streckt einen Finger aus und befiehlt der Wache, Ihn zu ergreifen. Und seine Macht ist so groß, und das Volk ist schon dermaßen an Unterwürfigkeit und zitternden Gehorsam ihm gegenüber gewöhnt, dass die Menge sofort vor den Häschern auseinanderweicht und diese inmitten der plötzlich eingetretenen Grabesstille Hand an Ihn legen und Ihn fortführen können. Und augenblicklich beugt die ganze Menge wie ein Mann vor dem greisen Inquisitor die Köpfe zur Erde; dieser erteilt dem Volk schweigend den Segen und geht vorüber. Die Wache führt den Gefangenen in ein enges, finsteres, gewölbtes Verlies in dem alten Gebäude des Heiligen Tribunals und schließt Ihn dort ein. Der Tag vergeht, die dunkle, heiße, totenstille Nacht von Sevilla bricht an. Die Luft ist von dem Duft der Lorbeerbüsche und Zitronenbäume erfüllt. Inmitten der tiefen Dunkelheit öffnet sich plötzlich die eiserne Tür des Kerkers, und der greise Großinquisitor selbst tritt mit einem Leuchter in der Hand herein. Er ist allein; hinter ihm schließt sich sogleich wieder die Tür. Er bleibt am Eingang stehen und blickt lange, eine oder zwei Minuten lang, Ihm [14]ins Gesicht. Endlich tritt er leise näher, stellt den Leuchter auf den Tisch und sagt zu Ihm:

 

›Bist Du es? Ja?‹ Aber ohne eine Antwort abzuwarten, fügt er schnell hinzu: ›Antworte nicht, schweig! Und was könntest Du auch sagen? Ich weiß recht wohl, was Du sagen willst. Aber Du hast auch gar kein Recht, dem, was Du früher gesagt hast, etwas hinzuzufügen. Warum bist Du denn hergekommen, uns zu stören? Denn uns zu stören bist Du gekommen, und Du weißt das selbst. Aber weißt Du wohl, was morgen geschehen wird? Ich weiß nicht, wer Du bist, und will auch gar nicht wissen, ob Du Er selbst bist oder nur eine Kopie von Ihm; aber gleich morgen werde ich Dich verurteilen und als den schlimmsten aller Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrennen, und dieses selbe Volk, das heute Deine Füße geküsst hat, wird morgen schon auf einen Wink von meiner Hand herbeistürzen, um Kohlen an Deinen Scheiterhaufen heranzuscharren; weißt du das? Ja, Du weißt das vielleicht‹, fügt er in konzentriertem Nachdenken hinzu, ohne auch nur einen Augenblick den Blick von seinem Gefangenen abzuwenden.«

»Ich verstehe das nicht ganz, Iwan, was das vorstellen soll«, sagte Aljoscha lächelnd, der die ganze Zeit über schweigend zugehört hatte. »Ist das einfach zügellose Phantasie oder irgendein Irrtum des Greises, ein unerhörtes qui pro quo?«

»Nimm meinetwegen das Letztere an«, erwiderte Iwan lachend, »wenn dich der moderne Realismus bereits so verwöhnt hat und du nichts Phantastisches mehr ertragen kannst; willst du es als qui pro quo auffassen, so mag es meinetwegen so sein. Das ist ja richtig«, fügte er wieder lachend hinzu, »der Greis ist schon neunzig Jahre alt und [15]kann schon längst über seiner Idee den Verstand verloren haben. Der Gefangene aber hat ihn durch sein Äußeres in Erstaunen versetzen können. Es kann schließlich einfach Fieberwahn gewesen sein, die Vision eines neunzigjährigen Greises vor dem Tod, eines Greises, der noch dazu erregt ist von dem Autodafé des vorhergehenden Tages, wo hundert Ketzer verbrannt worden sind. Aber kann es dir und mir nicht ganz gleichgültig sein, ob es ein qui pro quo ist oder zügellose Phantasie? Die Sache ist doch nur die: Der Greis hat das Bedürfnis, sich auszusprechen, er spricht sich endlich zur Entschädigung für die ganzen neunzig Jahre aus und sagt das laut, was er die ganzen neunzig Jahre verschwiegen hat.«

»Aber schweigt der Gefangene ebenfalls? Er blickt ihn an und spricht kein Wort?«

»So muss es unter allen Umständen sein«, antwortete Iwan und lachte wieder. »Der Greis selbst bemerkt Ihm, dass Er auch gar kein Recht habe, dem, was er schon früher gesagt habe, etwas hinzuzufügen. Darin liegt vielleicht der Grundzug des römischen Katholizismus; wenigstens ist das meine Meinung. Sie sagen: ›Du hast alles dem Papst übergeben; folglich gehört jetzt alles dem Papst; Du aber komme jetzt überhaupt nicht wieder, störe wenigstens nicht vor der Zeit!‹ In diesem Sinne reden sie nicht nur, sondern sie schreiben auch so, wenigstens die Jesuiten. Das habe ich selbst bei ihren Theologen gelesen. ›Hast Du das Recht, uns auch nur eines der Geheimnisse jener Welt aufzudecken, aus der Du gekommen bist?‹, fragt Ihn mein Greis und antwortet Ihm selbst für Ihn: ›Nein, ein solches Recht hast Du nicht; Du darfst dem, was Du schon früher gesagt hast, nichts hinzufügen, und Du darfst den [16]Menschen nicht die Freiheit nehmen, für die Du so warm eingetreten bist, als Du auf Erden warst. Alles, was Du neu verkündigen könntest, würde eine Beeinträchtigung der Freiheit des Glaubens der Menschen sein, da es wie ein Wunder erscheinen würde; und doch war Dir die Freiheit ihres Glaubens damals, vor anderthalb Jahrtausenden, über alles teuer. Hast Du nicht damals so oft gesagt: ‚Ich will euch frei machen!‘? Aber Du hast jetzt diese freien Menschen gesehen‹, fügt der Greis plötzlich mit einem nachdenklichen Lächeln hinzu. ›Ja, dieses Werk hat uns viel Mühe gekostet‹, fährt er, Ihn ernst anblickend, fort, ›aber wir haben dieses Werk endlich glücklich in Deinem Namen durchgeführt. Fünfzehn Jahrhunderte lang haben wir uns mit dieser Freiheit abgequält; aber jetzt ist es mit ihr zu Ende, gründlich zu Ende. Du glaubst nicht, dass es mit ihr gründlich zu Ende ist? Du blickst mich sanftmütig an und würdigst mich nicht einmal Deines Unwillens? Aber wisse, dass jetzt und gerade heutzutage diese Menschen mehr als je davon überzeugt sind, vollkommen frei zu sein; und dabei haben sie selbst uns ihre Freiheit dargebracht und sie uns gehorsam zu Füßen gelegt. Aber wir, wir haben das zuwege gebracht; oder hast Du das gewünscht, eine solche Freiheit gewünscht?‹«

»Ich verstehe wieder nicht«, unterbrach ihn Aljoscha; »meint er das ironisch, macht er sich lustig?«

»Durchaus nicht. Er rechnet es sich und den Seinen geradezu als Verdienst an, dass sie endlich die Freiheit überwältigt haben, und zwar, um die Menschen glücklich zu machen. ›Denn erst jetzt [er spricht natürlich von der Inquisition] ist es zum ersten Mal möglich geworden, an das Glück der Menschen zu denken. Der Mensch war als Rebell erschaffen; können denn nun Rebellen glücklich sein? Du [17]wurdest gewarnt‹, sagt er zu Ihm; ›Du hattest keinen Mangel an Warnungen; Du verschmähtest den einzigen Weg, auf dem es möglich war, die Menschen glücklich zu machen; aber zum Glück übergabst Du, als Du weggingst, diese Aufgabe uns. Du versprachst es, Du bekräftigtest es mit Deinem Wort, Du gabst uns das Recht, zu binden und zu lösen, und kannst Dir natürlich jetzt nicht beikommen lassen, uns dieses Recht wieder zu nehmen. Warum bist Du denn gekommen, uns zu stören?‹«

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