Geschichte der Niederlande

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Geschichte der Niederlande
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Friso Wielenga

Geschichte der Niederlande

Reclam

Die Übersetzung dieses Buches wurde durch den Nederlands Letterenfonds (Niederländische Stiftung für Literatur) und die Stichting Dr. Hendrik Muller’s Vaderlandsch Fonds finanziell ermöglicht. Annegret Klinzmann, M. A., hat den Text ins Deutsche übertragen.

3., überarbeitete und aktualisierte Auflage

2012, 2016, 2018 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Coverabbildung: Günter Baumann

Kartengestaltung: Martin Völlm

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2018

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961121-1

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019575-8

www.reclam.de

Inhalt

  Widmung

  Einleitung

 Opposition und Aufstand Entstehung und Konsolidierung der Republik der Vereinigten Niederlande (1555–1609)EpochenüberblickDie Niederlande auf der LandkarteWirtschaft, Finanzen und politische StrukturReformationLoyalität, Opposition und Krise (1555–1566)Radikalisierung, misslungene Mäßigung und der Weg in die Republik (1567–1588)Militärische Erfolge, politische Konsolidierung und Waffenstillstand (1589–1609)Eine wirtschaftliche Großmacht im Entstehen

 Die Republik im Goldenen ZeitalterEpochenüberblickVon der zwölfjährigen Waffenruhe zum Westfälischen Frieden (1609–1648)Die Republik um 1650Die »wahre Freiheit« (1650–1672)Die Rückkehr von Oranien: Die Republik unter Wilhelm III. (1672–1702)Wirtschaft, Handel und SeefahrtKunst, Architektur und Wissenschaft

 Eine Macht zweiten Ranges Der Niedergang der Republik im 18. JahrhundertEpochenüberblickInternationale Beziehungen: Das Ende der Politik der StärkeStagnation in der Innenpolitik (1702–1780)Patriotenzeit und Restauration unter Oranien (1780–1795)Wirtschaft in einem Jahrhundert der StagnationDie Batavische Republik und die französische Zeit (1795–1813)

 Von der Restauration zum liberalen Jahrhundert (1813–1917)EpochenüberblickEin misslungenes Experiment: Das Vereinigte Königreich (1815–1830)Politischer Stillstand und Malaise (1830–1848)Die Verfassungsreform von 1848Parteienbildung rund um Schulkampf, soziale Frage und WahlrechtWirtschaftswachstum und ModernisierungEin neutraler Kleinstaat mit einem großen ImperiumStaat und Nation im 19. JahrhundertDer Erste Weltkrieg und die innenpolitische »Pazifikation« von 1917

 Die Niederlande seit 1918EpochenüberblickPolitik und Wirtschaft in der Zwischenkriegszeit (1918–1940)Neutral zwischen den Mächten: Außenpolitische EntwicklungenKrieg und Besatzung (1940–1945)Zwischen politischer Erneuerung und Kontinuität (1945–1966)Der Bruch in der Außenpolitik und die Dekolonisierung IndonesiensEntsäulung, Polarisierung und »Poldermodell« (1966–2002)Rechtspopulismus und die Folgen: Die schwierige Suche nach Normalität seit 2002

  Schlussbetrachtung

  Nachbemerkung

  Literaturhinweise

  Verzeichnis der Abbildungen, Tabellen und Karten

  Personenregister

  Zum Autor

Für Lorenz und Max

Einleitung

Fragt man danach, wann die Geschichte eines Landes beginnt, dann verweist die Antwort oftmals auf das Ausbrechen eines Unabhängigkeitskampfs, auf die Proklamierung der Souveränität oder den Augenblick der internationalen Anerkennung. Bei der Geschichte der Niederlande kommt man mit solchen Antworten nicht weit, und es fällt auf, dass es in den Niederlanden keinen Nationalfeiertag gibt, an dem die Gründung des eigenen Staats gefeiert wird. Die Nationalfeiertage der Niederlande stammen aus dem späten 19. Jahrhundert (Koninginnedag – der Geburtstag der Königin; seit 2014 Koningsdag) oder aus der Mitte des 20. Jahrhunderts (Befreiung von der nationalsozialistischen Besatzung 1945). Kein heroischer oder symbolischer Moment aus dem sogenannten »Achtzigjährigen Krieg« (1568–1648), in dem die Niederlande als Staat Gestalt annahmen, hat sich zu einem Nationalfeiertag entwickelt.

Das ist durchaus nachvollziehbar. Zu Beginn des Aufstands, in der zweiten Hälfte der 1560er Jahre, ging es nicht um die Unabhängigkeit eines bestimmten Gebiets, sondern vor allem um die Aufrechterhaltung von Privilegien in einem sich zentralisierenden Reich. Auch nachdem um 1580 klargeworden war, dass die Abtrennung einiger niederländischer Provinzen vom spanischen Reich Philipps II. unvermeidlich geworden war und sich eine Spaltung der Niederlande in einen nördlichen und einen südlichen Teil vollzog (ungefähr die heutigen Niederlande und Belgien), ging es noch nicht um die Selbständigkeit eines fest umrissenen Gebiets. Es fällt beispielsweise auf, dass in den 1580er Jahren die aufständischen Provinzen zweimal ihre Souveränität ausländischen Fürsten angeboten haben. Erst nachdem dies misslungen war, zogen die nördlichen Provinzen 1588 die Souveränität an sich, und es entstand eine föderal organisierte Republik mit selbständigen Provinzen und Städten. Sie wurde unter dem Namen »Republik der Vereinigten Niederlande« bekannt, hat aber diesen Namen nie offiziell angenommen.

Über die endgültigen Grenzen dieses lockeren Zusammenschlusses gab es 1588 noch keine Klarheit. Diese kristallisierten sich in den 1590er Jahren heraus, als das Territorium der heutigen Niederlande mit den militärischen Erfolgen gegen Spanien Konturen erhielt. Dieses Gebiet konsolidierte sich bis 1609 und sollte sich in den Jahren um 1630 noch um die heutigen Gebiete Nordbrabant und Südlimburg erweitern. Mit dem Westfälischen Frieden (1648) – in den Niederlanden als Frieden von Münster bezeichnet – wurde der Krieg mit Spanien beendet und die Republik als selbständiger Staat definitiv international anerkannt.

Dieses Ergebnis wies wenig Überschneidungen mit den Zielsetzungen des Aufstands aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts auf. In dieser Periode selbst wurde der Begriff Aufstand noch nicht einmal verwendet. In Rückblicken von Zeitgenossen und in der frühen Geschichtsschreibung war von »Kriegen«, »Unruhen« und »Wirren« die Rede. Erst im 18. Jahrhundert wurde der einfache Begriff »Aufstand« geprägt, und im darauffolgenden Jahrhundert wurde dieser zum Eigennamen. Erst jetzt wurde dem Historiker Ernst H. Kossmann zufolge aus dieser Aneinanderreihung von Ereignissen, die sich über viele Jahrzehnte erstreckten, ein Ganzes gebildet, und diese Jahrzehnte bekamen »einen Zusammenhang, ein Ziel, eine Einheit«. Unter den Historikern herrscht inzwischen Einigkeit darüber, dass aus dem Kampf zwischen niederländischen Provinzen und dem spanischen Landesherrn völlig unvorhergesehen und unbeabsichtigt zwei verschiedene staatliche Einheiten entstanden. Der Aufstand war, so der Historiker Anton van der Lem, »eine lange Aneinanderreihung zufälliger und unvorhersagbarer Ereignisse, politischer, militärischer und ökonomischer Kettenreaktionen«. So ist es dann auch nicht verwunderlich, dass Erinnerungen an den Aufstand in erster Linie lokaler Natur sind und dass Gedenkfeiern sich auch heute noch auf lokale Ereignisse beschränken.

 

Niederländische Protestanten haben allerdings bis ins 20. Jahrhundert hinein den Aufstand als einen zielgerichteten nationalen Kampf um Unabhängigkeit und um Freiheit für den eigenen Glauben interpretiert. Dieses Geschichtsbild deckt sich genauso wenig mit der historischen Wirklichkeit wie der Mythos um die Person Wilhelms von Oranien (1533–1584), der als »Vater des Vaterlandes« diese Unabhängigkeit immer vor Augen gehabt und konsequent dafür gekämpft habe. Zweifellos entwickelte der aus der Grafschaft Nassau-Dillenburg stammende Wilhelm sich zum Anführer des Aufstands, was er 1584 mit dem Tod bezahlen musste. Ihm schwebte anfangs jedoch kein Bruch mit Spanien vor und gewiss auch keine Nord-Süd-Spaltung der niederländischen Provinzen.

Solche Bilder des Aufstands sind Bestandteil der nationalistischen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts und sind schon lange als Mythen ad acta gelegt worden. Einigen Aufständischen ging es um den Calvinismus als einzige erlaubte Religion, andere hingegen setzten sich für religiöse Toleranz oder das für diese Zeit neue Prinzip der parallelen Existenz verschiedener Religionen innerhalb eines Verwaltungsgebiets ein. Stellt man die Religionsfrage in den Mittelpunkt, kann man den Kampf sogar als einen Bürgerkrieg in den Niederen Landen charakterisieren, so wie es zu jener Zeit auch in anderen europäischen Territorien Religionskriege gab. Stellt man hingegen die Frage der Freiheit in den Mittelpunkt, ist zunächst festzuhalten, dass es dabei nicht um »nationale Freiheit« geht, so wie sie heutzutage definiert wird. Im damaligen Freiheitsbegriff muss zwischen denjenigen unterschieden werden, denen es anfangs um die Aufrechterhaltung ihrer eigenen Privilegien ging – jener alten, traditionellen Freiheiten also, die in dieser Periode der Zentralisierung, Professionalisierung und Bürokratisierung in Bedrängnis gerieten –, und denjenigen, die den Begriff Freiheit in seiner jüngeren Bedeutung verwendeten und für die Befreiung von der »spanischen Tyrannei« kämpften. Hinzu kommt, dass in dem jahrzehntelangen Kampf die Motive und Ziele der vielen Akteure auch noch Überschneidungen und Verschiebungen aufwiesen.

Mit anderen Worten: Das Resultat des Aufstands wich stark von den anfänglichen Intentionen und Zielsetzungen ab, aber rückblickend ist der Aufstand doch der zentrale Faktor in der Entstehung des niederländischen Staats. An seinem Ende gab es ja – ungefähr in den Grenzen der heutigen Niederlande – eine international anerkannte niederländische Republik. Die Republik entwickelte sich seit dem späten 16. Jahrhundert zu einer wohlhabenden Welthandelsmacht, die auf allen Kontinenten präsent war und über eine reiche Kultur verfügte. Auch in technologischer Hinsicht war die Republik vom späten 16. bis zum frühen 18. Jahrhundert international tonangebend. Während der Jahre des Aufstands entstand außerdem ein weltweites niederländisches Handelsnetzwerk, das tiefe Spuren hinterließ, die bis zum heutigen Tag sichtbar geblieben sind. Das gilt auch für Art und Weise der politischen Entscheidungsfindung. Suche nach Übereinstimmung, nicht das Erzwingen von Entscheidungen lautete zur Zeit der Republik die Devise. Nicht von ungefähr ist der in jener Periode entstandene Ausdruck des »schikken en plooien« (sich anpassen und fügen) eine in den Niederlanden immer noch benutzte Redensart. Damit soll nicht behauptet werden, dass in der politischen Geschichte der Niederlande Verhandlungen und Konsensbildung vorherrschten – dazu gibt es in der Vergangenheit zu viele Beispiele für hart ausgefochtene politische Kämpfe, die in diesem Buch noch ausführlich behandelt werden sollen. Worum es hier geht, das ist die Feststellung, dass die spätere niederländische politische Kultur ihre Wurzeln auch in den Jahren des Aufstands und der frühen Republik hat. Hinzu kommt, dass in der Zeit der Republik die Begriffe »Freiheit« und »Toleranz« eine Bedeutung erhalten sollten, die sie auch für die späteren Niederlande zu Schlüsselbegriffen machen würden.

Die Entstehungsgeschichte des niederländischen Staates ist also eng mit dem Aufstand verbunden. Die Frage nach einem »Anfang« der niederländischen Nationalgeschichte ist damit aber noch nicht beantwortet, zumal es schwer ist, dem Aufstand ein konkretes Anfangsdatum zuzuweisen. In der nationalen Geschichtsschreibung wurde lange Zeit unter Hinweis auf den von Wilhelm von Oranien organisierten und missglückten militärischen Vormarsch in das Gebiet der Niederlande das Jahr 1568 als Anfang genannt. Inzwischen scheint es eher so, als sei dieses Jahr gewählt worden, damit man, wenn man bis zum Jahr 1648 weiterrechnet, von einem »Achtzigjährigen Krieg« sprechen kann (von dem dann im übrigen sehr wohl die zwölf Jahre des Waffenstillstands zwischen 1609 und 1621 abgezogen werden müssen).

Aus einer anderen Perspektive könnte das Jahr 1566 genannt werden, in dem der niedere Adel bei der Landvogtin Margarethe von Parma eine Bittschrift einreichte, um eine Aussetzung der Erlasse gegen die Ketzerei und die Einberufung der Generalstände zu erreichen. Später brach im selben Jahr, besonders in den Provinzen Flandern und Brabant, der sogenannte Bildersturm aus, bei dem katholische Kirchen aller Abbildungen und Gemälde beraubt und die Kirchengebäude für den Calvinismus eingefordert wurden. Damit war 1566 unverkennbar ein Jahr, in dem die aufgekommenen Gegensätze zum spanischen Landesherrn zugenommen hatten, und so schreibt dann auch ein großer Kenner dieser Periode, der Historiker Arie Th. van Deursen, dass in jenem Jahr der Aufstand »ein Faktum« geworden sei.

Auf der Suche nach dem »Anfang« der Geschichte der Niederlande ist der genaue Beginn des Aufstands jedoch nicht entscheidend. Viele Historiker, die über den Aufstand schreiben, setzen im Jahr 1555 ein, das Jahr, in dem Karl V. vom Kaiserthron abdankte und sein Sohn Philipp II. Herr der Niederlande wurde. Das große Standardwerk des britischen Historikers Jonathan I. Israel über die Republik, The Dutch Republic. Its Rise, Greatness and Fall, 1477–1806, nimmt einen längeren Anlauf. Es beginnt in jenem Jahr, in dem der über die Niederlande herrschende burgundische Herzog Karl der Kühne starb und seine Tochter Maria von Burgund seine Nachfolge antrat und zugleich den Habsburger Maximilian von Österreich heiratete. Der Tod Karls des Kühnen leitete nicht nur das Ende der burgundischen und den Beginn der habsburgischen Niederlande ein. Wichtig war auch, dass die Niederlande seinen Tod ausnutzten, um die von ihm eingeführte Zentralisierung der burgundischen Niederlande für kurze Zeit rückgängig zu machen. Aber Vereinigung und Zentralisierung sollten in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts unter Karl V. stärker als je zuvor wieder konsequent und erfolgreich in Angriff genommen werden. Damit bietet Israel eine ausführliche Vorgeschichte des Aufstands und der Republik, was sich für ein umfangreiches Werk, das mit Verve und Überzeugung die gesamte Geschichte der niederländischen Republik bis 1806 präsentiert, auch anbietet. Horst Lademacher beginnt seine großangelegte Monographie Die Niederlande. Politische Kultur zwischen Individualität und Anpassung nicht mit einer konkreten Jahreszahl, aber sein Blickwinkel deckt sich mit dem Israels: Die spätmittelalterliche Vereinigungspolitik der Burgunder, die nach dem Tod Marias von Burgund im Jahr 1482 von der nun habsburgischen Dynastie fortgesetzt wurde.

Vor diesem Hintergrund ist es gerechtfertigt, dieses Buch über die Geschichte der Niederlande im Jahr 1555 mit einem kurzen Vorlauf ab dem späten 15. Jahrhundert anfangen zu lassen, um die Mitte des 16. Jahrhunderts herrschende Ausgangslage verständlich zu machen. Endstation dieser Geschichte der Niederlande sind die turbulenten ersten Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts, in denen mit dem Aufkommen des Rechtspopulismus eine lange Periode der Stabilität und der politischen Kultur des konsenualen Pragmatismus zu Ende gegangen zu sein scheint. Für eine endgültige Antwort auf die Frage, wie tiefgehend diese Veränderungen sind, ist es noch zu früh. Allerdings spricht vieles für die These, dass im frühen 21. Jahrhundert infolge sich global verschiebender ökonomischer Gewichte zum Nachteil des Westens, aus der Migrations- und Integrationsproblematik sich ergebender innenpolitischer Spannungen und des Verblassens von über einen langen Zeitraum hinweg scheinbar stabilen politisch-sozialen Relationen eine neue Phase eingetreten ist, die sich auch in der niederländischen Geschichte als Zäsur erweisen wird.

In dieser historischen Übersicht über die Niederlande vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart steht die politische Geschichte im Mittelpunkt. Die Republik der Vereinigten Niederlande entwickelte sich im 17. Jahrhundert auf ökonomischem, politischem, militärischem, kulturellem und wissenschaftlichem Gebiet zu einer Weltmacht (Kapitel 2 und 3). Wie erklärt es sich, dass ein kleiner, föderaler Staat mit einer recht losen Verwaltungsstruktur eine derartige Machtentfaltung aufwies, die bis ins späte 17., ja, ins frühe 18. Jahrhundert anhielt? Welche politische und ökonomische Struktur machte dies möglich, und welche Rolle spielte dabei der für die Republik so kennzeichnende bürgerliche Charakter mit seiner relativ großen religiösen Toleranz? Diese Fragen sind selbstverständlich nicht zu beantworten, ohne den internationalen politischen und ökonomischen Verhältnissen Beachtung zu schenken, die ebenfalls ausführlich zur Sprache kommen. Wegen der großen Bedeutung dieses sogenannten Goldenen Zeitalters für die Geschichte der Niederlande wird dieser Periode im Nachfolgenden relativ viel Aufmerksamkeit geschenkt.

Von zentraler Bedeutung ist dabei auch die Rolle der Statthalterschaft des Hauses Oranien-Nassau, die in dieser Zeit mit dem bereits genannten Wilhelm von Oranien einsetzte. Einerseits hatten die Statthalter als militärische Oberbefehlshaber eine mächtige Position und sie genossen aufgrund ihrer Abstammung aus dem Hochadel großes Prestige mit ebenso großem politischem Einfluss. Andererseits wurden sie von den Provinzen ernannt und standen damit in ihrem Dienst, wobei Holland die stärkste Kraft war. So existierten in der Republik komplizierte politische Verflechtungen, in denen Macht und Einfluss mit wechselnden Faktionen reicher Bürger geteilt werden mussten, die als Regenten die mächtigen Städte führten. Die sich daraus ergebenden Konflikte spitzten sich wiederholt zu und waren charakteristisch für die politische Geschichte der frühmodernen Zeit. Als die Republik sich Mitte des 17. Jahrhunderts auf ihrem Höhepunkt befand, hatte man in den wichtigsten Provinzen das Amt des Statthalters sogar abgeschafft (1650–1672). Auch während eines großen Teils des 18. Jahrhunderts war das der Fall (1702–1747).

Nach dem Höhepunkt des 17. Jahrhunderts gilt das 18. Jahrhundert als eine Periode des politischen und ökonomischen Verfalls (Kapitel 4). Vorbei war die Zeit, in der die Republik ihre ökonomischen und politischen Interessen aus eigener Kraft oder in selbst geschmiedeten internationalen Koalitionen sichern konnte. Dabei handelte es sich nicht um einen abrupten wirtschaftlichen Verfall, sondern um einen allmählichen Niedergang, der mit einer unvermeidlichen Schwächung der internationalen Position einherging. Ab 1780 war die Republik nicht mehr als ein Spielball vor allem der englischen, preußischen und französischen Politik, was im Jahr 1795 zum Untergang und zur Flucht des letzten Statthalters führte. Damit begann eine Periode, in der die Niederlande in zunehmendem Maße von Frankreich abhängig wurden und die mit ihrer Einverleibung in Napoleons Reich (1810–1813) endete. Während es in der Außenpolitik zu einem dramatischen Verlust der Selbständigkeit kam, gab es in der Innenpolitik sehr wohl eigenständiges reformerisches Gedankengut und Modernisierung. Diese Entwicklung fand 1798 ihre Krönung in der ersten niederländischen Verfassung, die den Einheitsstaat schuf und demokratische Aufklärungsprinzipien triumphieren ließ. Auch wenn diese Prinzipien in den darauffolgenden Jahren wieder verschwanden, sollte am Einheitsstaat nicht mehr gerüttelt werden.

Im Gegenteil, nach der Niederlage Napoleons im Jahr 1813 erhielt der niederländische Einheitsstaat im 19. Jahrhundert seine endgültige Form (Kapitel 5). Die Niederlande wurden zu einem Königreich unter dem Haus Oranien-Nassau, anfangs zusammen mit Belgien im Vereinigten Königreich (1815–1830) und danach als Königreich der Niederlande in den Grenzen, die bis zum heutigen Tag nahezu unverändert geblieben sind. Nach der liberalen Verfassungsreform im Jahr 1848 fand ab ca. 1870 ein dynamischer Prozess der Industrialisierung, Urbanisierung und politischen Modernisierung statt. Ein Meilenstein in dieser Entwicklung war die Verfassungsreform von 1917, die einige zentrale Konfliktpunkte des späten 19. Jahrhunderts beendete (u. a. die Einführung des allgemeinen Wahlrechts) und so die Basis für die Niederlande im 20. Jahrhundert schuf (Kapitel 6). In diesem Jahrhundert entwickelte sich das Land von einem neutralen, sich abseits haltenden und ziemlich nach innen gekehrten Land zu einem aktiven Bündnispartner in der westlichen Zusammenarbeit, der in die modernisierende Pax Americana der Zeit nach 1945 aufgenommen wurde. Dieser Bruch wurde durch den Zweiten Weltkrieg eingeleitet, der auch zur Entkolonialisierung Indonesiens führte. Mit der Übertragung der Souveränität an Indonesien im Jahr 1949 verloren die Niederlande ihren Status als bedeutende Kolonialmacht. Einen zweiten Bruch stellten die 1960er Jahre dar, als die traditionellen politischen Strukturen erodierten, die Demokratisierung ganz oben auf die Tagesordnung kam und neue politische Umgangsformen Einzug hielten. Wie oben angedeutet, endet die vorliegende Geschichte der Niederlande in der Aktualität des 21. Jahrhunderts. Resümierend werden im Kapitel 7 einige Grundlinien der politischen Geschichte der Niederlande vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart skizziert.

 
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