Ein einziger Zuhörer, welcher auf dem Rande seines Stuhles mit gekreuzten Beinen und unbeweglich auf die Knie gestützten Händen gleich einer ägyptischen Gottheit saß, war mitten unter den einstimmigen und sogar ein wenig unsinnigen Beifallsbezeugungen, welche die Stimme und Manier des Debütanten hervorgerufen hatte, stumm geblieben wie eine Sphinx und geheimnisvoll wie eine Hieroglyphe: es war dies der gelehrte Professor und berühmte Komponist Porpora. Während sein galanter Kollege, der Professor Mellifiore, welcher die Ehre von Anzoleto’s Erfolg ganz sich allein aneignete, umherging, sich vor den Frauen in die Brust werfend und sich gegen alle Männer mit Geschmeidigkeit verneigend, um sich sogar für ihre Blicke zu bedanken, saß der Lehrer der heiligen Musik still da, die Augen auf dem Boden, die Brauen emporgezogen, den Mund geschlossen und wie verloren in seine Betrachtungen. Nachdem die ganze Gesellschaft, welche diesen Abend zu einem großen Balle bei der Dogeresse gebeten war, sich nach und nach verlaufen hatte und nur die wärmsten Dilettanten mit einigen Damen und den vornehmsten Musikern am Klaviere zurückgeblieben waren, näherte sich Zustiniani dem strengen Maestro.
– Das heißt doch zu sehr gegen die Neueren schmollen, mein lieber Professor, sagte er zu ihm, und euer Schweigen täuscht mich nicht. Ihr wollt vor dieser weltlichen Musik und dieser neuen Gattung, an denen wir uns entzücken, euere Sinne bis aufs Äußerste verschlossen halten. Euer Herz hat sich nun euch zum Trotze geöffnet und eure Ohren haben das Gift der Verführung aufgenommen.
– Wissen Sie, Sior Profesor, sagte im Dialekte die reizende Corilla, indem sie gegen ihren alten Lehrer den Kindesbrauch der Scuola wiederaufnahm, Sie müssen mir einen rechten Gefallen tun …
– Fort von mir, Unselige! rief der Meister halb lachend und halb noch verdrießlich die Liebkosung seiner abtrünnigen Schülerin abwehrend. Was für Gemeinschaft ist noch zwischen dir und mir? Ich kenne dich nicht mehr. Bringe bei anderen dein liebliches Lächeln und dein treuloses Gezwitscher an.
– Er fängt schon an gut zu werden, sagte die Corilla, indem sie mit der einen Hand den Arm des Debütanten ergriff, während sie mit der anderen nicht abließ, die langen Zipfel an des Professors weißer Krawatte zu zerknittern. Komm her, Zoto,2 und beuge dein Knie vor dem geschicktesten Gesanglehrer Italiens. Demütige dich mein Kind und entwaffne seine Strenge. Ein einziges Wort von ihm, welches du erlangen kannst, muss größern Wert in deinen Augen haben als alle Trompeten des Ruhmes.
– Sie sind sehr strenge gegen mich gewesen, Herr Professor, sagte Anzoleto, sich mit einer etwas spöttischen Bescheidenheit verbeugend; indessen ist es seit vier Jahren mein einziger Gedanke, Ihnen die Zurücknahme eines sehr harten Urteilsspruches abzunötigen; und wenn es mir heut Abend nicht geglückt ist, so weiß ich nicht, ob ich den Mut haben werde, wieder vor dem Publikum aufzutreten, beladen wie ich bin mit ihrem Anathema.
– Knabe, sagte der Professor, indem er mit einer Lebhaftigkeit sich erhob und mit einer Kraft der Überzeugung sprach, welche ihn edel und groß erscheinen ließen, während er sonst gekrümmt und ungeschickt aussah, überlasse den Weibern die honigsüßen und treulosen Worte. Niemals erniedrige dich zu der Sprache der Schmeichelei, selbst nicht vor deinem Vorgesetzten, wie viel weniger vor dem, dessen Beifall du in deinem Innern verachtest. Es war eine Zeit, wo du dort unten in deinem Winkel lagst, arm, ungekannt, voll Furcht; deine ganze Zukunft hing an einem Haare, an einem Tone deiner Kehle, an einem augenblicklichen Versagen deiner Mittel, an einer Grille deiner Zuhörer. Ein Ungefähr, ein Kraftaufwand, ein Augenblick haben dich reich, berühmt, unverschämt gemacht. Deine Bahn ist offen, du darfst auf ihr nur laufen, soweit dich deine Kräfte tragen werden. Höre mich an, denn du wirst zum ersten und vielleicht zum letzten male die Wahrheit hören. Du bist auf einem schlechten Wege, du singst schlecht und du gefällst dir in der schlechten Musik. Du kannst nichts, und hast nichts gründliches gelernt, du besitzest nichts als Übung und Fertigkeit. Du setzest dich um nichts in Feuer; du kannst nur girren und zwitschern gleich den niedlichen, koketten Dämchen, denen man ihr Geziere nachsieht, weil sie vom Singen nichts verstehen. Aber du verstehst nicht mit dem Atem umzugehen, du sprichst schlecht aus, hast einen unedlen Ausdruck und einen falschen, gemeinen Styl. Verliere den Mut deswegen nicht; du hast alle diese Fehler, aber du hast das Zeug, sie zu bemeistern: denn du besitzest Eigenschaften, welche man durch Unterricht und Anstrengung nicht erwerben kann; du hast was man durch schlechte Ratschläge und schlechte Muster nicht verliert, du hast das heilige Feuer … du hast Genie! … leider, ein Feuer, welches nichts Großem leuchten wird, ein Genie, welches unfruchtbar bleiben wird … denn, in deinen Augen lese ich es, wie ich es in deiner Brust gespürt habe, du hast nicht den Cultus der Kunst, nicht den Glauben an die großen Meister, nicht die Ehrfurcht vor ihren gewaltigen Schöpfungen; du liebst den Ruhm, und nur den Ruhm und nur um dein selbst willen … Du hättest können … du könntest … aber nein! es ist zu spät! dein Loos wird die Laufbahn eines Meteors sein, gerade so wie die der …
Der Professor setzte ungestüm seinen Hut auf, drehte sich um und ging hinaus, ohne jemanden zu grüßen, ganz darin vertieft, seine abgebrochene Rede innerlich fortzuspinnen.
Alle Welt gab sich zwar Mühe, über die »bizarren« Äußerungen des Professors zu lachen, aber diese hinterließen dennoch für einige Augenblicke einen peinlichen Eindruck und eine gewisse Zweifelhaftigkeit und Verstimmung. Anzoleto war der erste, der sie zu vergessen schien, wiewohl sie sein Wesen in eine solche Erschütterung von Freude, Stolz, Zorn und Eifer gesetzt hatten, dass es für sein ganzes künftiges Leben entscheidend wurde. Er schien für nichts Sinn zu haben, als dass er der Corilla gefalle, und er wusste sie so davon zu überzeugen, dass sie sich bei diesem ersten Zusammentreffen alles Ernstes in ihn verliebte.
Graf Zustiniani war ihretwegen nicht besonders eifersüchtig und vielleicht hatte er seine Gründe, sie nicht sehr zu beengen. Außerdem lag ihm der Ruhm und Glanz seines Theaters mehr am Herzen als irgend etwas auf der Welt, nicht weil er geldbegierig gewesen wäre, sondern weil er wirklich für die sogenannten »schönen Künste« schwärmte. Dieser Ausdruck bezeichnet, wie mich dünkt, einen gewissen niedern Hang, der echt italienisch ist, und also eine so ziemlich geistlose Leidenschaft. Unter dem »Cultus der Kunst« – ein neuerer Ausdruck, der vor hundert Jahren noch nicht üblich war, – ist etwas ganz anderes zu verstehen als das, was man »Geschmack für die schönen Künste« nannte. Der Graf war in der Tat ein »Mann von Geschmack« im damaligen Verstande, ein amateur, nichts weiter. Allein die Befriedigung dieses Geschmackes war die größte Angelegenheit seines Lebens. Er liebte es, sich mit dem Publikum zu beschäftigen und das Publikum mit sich, die Künstler zu besuchen, die Mode zu beherrschen, von seinem Theater, seiner Pracht, seiner Liebenswürdigkeit, seinem verschwenderischen Aufwand reden zu machen. Er hatte, mit einem Worte, die gewöhnliche Passion der vornehmen Herren in der Provinz – zu glänzen. Besitz und Direktion eines Theaters war das beste Mittel, um die ganze Stadt zufrieden und vergnügt zu machen. Noch glücklicher hätte er sich gefühlt, wenn er einmal die gesamte Republik an seiner Tafel hätte bewirten können! Wenn Fremde sich bei dem Professor Porpora nach dem Grafen Zustiniani erkundigten, so pflegte dieser zu antworten: Es ist ein Mann, der gerne den Wirt macht und Musik auf seinem Theater, wie Fasanen auf seiner Tafel auftischt.
Es war Ein Uhr morgens, als man sich trennte.
– Anzolo, sagte Corilla, die sich mit ihm allein in einer Nische des Balkons befand, wo wohnst du?
Bei dieser unerwarteten Frage fühlte Anzoleto, dass er rot und bleich fast in einem Zuge wurde; denn wie sollte er dieser prächtigen und reichen Schönen es bekennen, dass er ohne Dach und Fach war, wie die Vögel unter dem Himmel? Und leichter noch wäre dies letztere Bekenntnis gewesen, als die Erwähnung jener jämmerlichen Höhle, wo er Zuflucht fand, so oft er seine Nächte aus Neigung oder Not nicht unter dem freien Himmel zubringen wollte.
– Nun! was hat meine Frage so Außerordentliches? rief die Corilla über seine Verwirrung lachend.
– Ich fragte mich selbst, entgegnete Anzoleto mit vieler Geistesgegenwart, welcher Königs- oder Feenpallast wohl würdig wäre, den stolzen Sterblichen zu beherbergen, der mit hinein nähme die Erinnerung eines Liebesblickes von Corilla.
– Und was will diese Schmeichelei sagen? entgegnete sie, indem sie ihm den glühendsten Blick zuwarf, den sie nur aus dem Zeughause ihrer Teufelskünste hervorholen konnte.
– Dass ich dieser Glückliche nicht bin, versetzte der Jüngling; dass ich jedoch, wenn ich es wäre, mich stolz genug dünken würde, um nur zwischen Himmel und Meer wie die Sterne zu wohnen.
– Oder wie die Cucculi! rief die Sängerin, indem sie laut auflachte. (Die ungeschickte Schwerfälligkeit dieser Mövenart ist nämlich in Venedig sprichwörtlich geworden, wie in Frankreich die der Maikäfer: étourdi comme un hanneton.)
– Spotten Sie über mich, verachten Sie mich, erwiderte Anzoleto, ich glaube, dass ich das eher leiden mag, als wenn Sie sich gar nicht mit mir beschäftigten.
– Gut, da du mir nur in Metaphern antworten willst, entgegnete sie, so will ich dich in meiner Gondel mitnehmen, auf die Gefahr, dich von deiner Wohnung zu entfernen, statt dich in ihre Nähe zu bringen. Wenn ich dir diesen Streich spielen sollte, so ist es deine eigene Schuld.
– war dies die Absicht, als Sie mich fragten, Signora? In diesem Falle ist meine Antwort sehr kurz und klar: ich wohne auf den Stufen Ihres Pallastes.
– So erwarte mich denn an den Stufen desjenigen, in welchem wir uns befinden, sagte Corilla mit leiserer Stimme, denn Zustiniani könnte böse werden, dass ich deine Fadaisen so geduldig anhöre.
Auf den ersten Antrieb seiner Eitelkeit stahl sich Anzoleto hinaus und sprang von der Anlände des Pallastes auf das Vorderteil von Corilla’s Gondel: er zählte die Sekunden nach den raschen Schlägen seines berauschten Herzens. Aber noch ehe sie auf den Stufen des Pallastes erschien, drängten sich mancherlei Betrachtungen in dem arbeitenden und ehrgeizigen Kopfe des Debütanten. Die Corilla ist allmächtig, sagte er zu sich; aber wenn ich, gerade weil ich ihr gefiele, das Missfallen des Grafen erregte? Oder wenn ich durch meinen allzu leichten Sieg ihm eine so flatterhafte Geliebte ganz verleidete und sie so um die Macht brächte, welche sie nur von ihm hat?
In dieser Verlegenheit maß Anzoleto mit den Augen die Treppe, welche er noch wieder hinaufsteigen konnte, und war im Begriff, sein Entkommen zu bewerkstelligen, als die Kerzen unter dem Torwege hervorleuchteten, und die schöne Corilla, in ihre Hermelinmantille gehüllt, auf der obersten Stufe erschien, in der Mitte einer Gruppe von Herren, welche sich beeiferten ihren runden Ellbogen mit der hohlen Hand zu stützen und ihr beim Hinabsteigen behilflich zu sein, wie es in Venedig Sitte ist.
– He! rief der Gondolier der Prima Donna dem bestürzten Anzoleto zu, was macht ihr da? Geschwind in die Gondel, wenn ihr dazu Erlaubnis habt, oder fort, und laufet an der Riva hin, denn der Herr Graf ist bei der Signora.
Anzoleto warf sich in die Gondel, ohne zu wissen was er tat. Er hatte den Kopf verloren. Kaum war er drinnen, als ihm das Staunen und der Zorn des Grafen vor die Seele trat, wenn dieser etwa seine Maitresse bis in die Gondel geleitete und dort seinen unverschämten Schützling fände. Die Angst peinigte ihn umso schrecklicher, da sie um mehr als fünf Minuten verlängert wurde. Die Signora war mitten auf der Treppe stehen geblieben. Sie schwatzte und lachte laut mit ihren Begleitern, und da von einer Passage die Rede war, sang sie diese mehrmals mit voller Stimme und in verschiedener Manier. Ihre klare und schmetternde Stimme, verklang an den Palästen und Kuppeln des Kanales, wie sich der Ruf des vor dem Morgenrot erwachenden Hahnes in dem Schweigen der Felder verliert.
Anzoleto, der sich nicht länger halten konnte, war entschlossen, durch diejenige Öffnung der Gondel, welche von der Treppe abgekehrt war, in das Wasser zu springen. Schon hatte er die Glasscheibe in ihr schwarzes Sammetfutter hinabgleiten lassen, schon hatte er ein Bein hinausgestreckt, als der zweite Ruderer der Prima Donna, der welcher am Hinterteile arbeitete, sich an der Seite des Gondelzeltes herüberbeugend, ihm zuflüsterte: Wenn man singt, so bedeutet das, ihr sollt euch still verhalten und ohne Furcht warten.
– Ich kannte den Brauch nicht, dachte Anzoleto und wartete, aber nicht ohne einen Rest von schmerzlicher Angst. Corilla machte sich das Vergnügen, den Grafen bis an den Schnabel ihrer Gondel mit sich zu ziehen, und dort noch indem sie ihm felicissima notte wünschte, stehen zu bleiben, bis man abgestoßen war; hierauf setzte sie sich mit einer solchen Unbefangenheit und Ruhe an die Seite ihres neuen Liebhabers, als ob sie nicht dessen Leben und ihr eigenes Glück bei diesem frechen Spiele gewagt hätte.
– Seht ihr die Corilla? sagte währenddessen Zustiniani zu dem Grafen Barberigo; nun, ich wollte meinen Kopf verwerten, dass sie nicht allein in ihrer Gondel ist.
– Und wie kommt ihr auf einen solchen Gedanken? erwiderte Barberigo.
– Weil sie mir tausend Vorstellungen gemacht hat, dass ich sie nach Hause begleiten möchte.
– Und ihr seid nicht eifersüchtiger?
– Von dieser Schwachheit bin ich schon lange geheilt. Ich würde vieles darum geben, wenn unsere erste Sängerin sich ernstlich in irgendjemanden verliebte, damit ihr der Aufenthalt in Venedig angenehmer würde als die Reiseträume, mit denen sie mich ängstiget. Über ihre Untreue kann ich mich leicht trösten, aber ihre Stimme und ihr Talent und die Wut des Publicums, welches sie mir an San Samuel fesselt, ersetzt mir keine.
– Ich verstehe; aber wer könnte denn der glückliche Liebhaber dieser tollen Prinzessin sein?
Der Graf und sein Freund gingen alle die Personen der Reihe nach durch, welche Corilla während dieses Abends ausgezeichnet und aufgemuntert haben mochte. Anzoleto war der einzige, an den sie durchaus nicht dachten.
Inzwischen brach ein heftiger Kampf aus in der Seele dieses glücklichen Liebsten, welchen Woge und Nacht in ihrem dunkeln Schoße hinwegtrugen. Bang und zitternd saß er neben der berühmtesten Schönheit Venedigs. Wohl fühlte Anzoleto wie das Feuer eines Verlangens in ihm brauste, das von der Freude befriedigten Stolzes noch heftiger angefacht wurde; aber die Furcht, bald zu missfallen, verspottet, weggeworfen, verräterisch bei dem Grafen angeklagt zu werden, erkältete sein Entzücken. Klug und schlau, ein echter Venetianer, hatte er nicht sechs Jahre lang nach dem Theater gestrebt, ohne Erkundigung einzuziehen über die schwärmerische und gebieterische Frau, welche dort an der Spitze aller Intriguen stand. Er hatte Ursache zu vermuten, dass sein Reich bei ihr nur von kurzer Dauer sein würde; und wenn er dieser gefährlichen Ehre nicht zu entgehen gesucht, so kam dies daher, dass er dieselbe nicht so nahe erwartet hatte: er war durch Überraschung unterjocht und fortgerissen. Er hatte nur gemeint, durch seine Galanterie sich gern gelitten zu machen, und siehe da, sogleich geliebt ward er, um seiner Jugend, seiner Schönheit, seines aufblühenden Ruhmes willen.
Jetzt, sagte sich Anzoleto mit jener Raschheit des Durchschauens und Schließens, welche einigen wundersam organisierten Köpfen von Natur beiwohnt, jetzt bleibt nichts mehr übrig als mich gefürchtet zu machen, wenn ich mir nicht ein bitteres und lächerliches Erwachen von meinem Triumphe bereiten will. Aber was kann ich, solch ein armer Teufel, tun, dass sie, die Fürstin der Hölle in Person, mich fürchten müsse?
Seine Partie war bald ergriffen. Er entwickelte ein System von Bedenklichkeiten, Eifersüchteleien, Bitterkeiten, deren leidenschaftliches, coquettes Spiel die Prima Donna in Erstaunen setzte. Kurz zusammengefasst lautete ihr brünstiges und loses Liebesgeschwätz etwa so:
Anzoleto. – Ich weiß wohl, dass Sie mich nicht lieben, dass Sie mich nie lieben werden: das ist es was mich an Ihrer Seite traurig und befangen macht.
Corilla. – Und wenn ich dich liebte?
Anzoleto. – Dann würde ich völlig in Verzweiflung sein. Das hieße, mich aus dem Himmel nieder stürzen in einen Abgrund: ich müsste Sie verlieren vielleicht in der nächsten Stunde, nachdem ich Sie auf Kosten meines ganzen künftigen Glückes mir gewonnen hätte.
Corilla. – Und warum fürchtest du von mir eine solche Unbeständigkeit?
Anzoleto. – Zuerst, weil mein Verdienst gering ist, und sodann, weil man Ihnen so viel Schlechtes nachsagt.
Corilla. – Wer sagt mir denn Schlechtes nach?
Anzoleto. – Ach, alle Leute; denn alle Leute beten Sie an.
Corilla. – So würdest du, wenn ich Törin genug wäre, dich liebzugewinnen und es dir zu sagen, mich dann zurückstoßen?
Anzoleto. – Ich weiß nicht, ob ich Kraft genug haben würde, zu entfliehen: wenn ich sie aber hätte, wahrhaftig, nie im Leben würde ich Sie wiedersehen.
– Wohlan! rief die Corilla, mich reizt die Neugier eine Probe zu machen … Anzoleto, ich glaube in der Tat, dass ich dich liebe.
– Und ich, ich glaube es nicht, erwiderte er. Ich bleibe; denn ich sehe nur zu gut, dass Sie mich höhnen. Mit diesem Spiele können Sie mich nicht kirren, und noch viel weniger empfindlich machen.
– Du willst dich auf Finessen legen, scheint mir?
– Warum nicht? Ich bin nicht sehr zu fürchten, da ich Ihnen das Mittel biete, mich zu besiegen.
– Welches?
– Mich starr zu machen vor Schrecken und mich in die Flucht zu jagen durch dasselbe Wort im Ernste, das Sie mir jetzt im Spotte zugeworfen.
– Du bist ein abgefeimter Schelm! Ich sehe wohl dass man sich mit dir in Acht nehmen muss. Du bist einer von denen, welche sich nicht begnügen, den Duft der Rose zu atmen, sondern sie pflücken und unter Glas bringen wollen. Ich hätte dich in deinem Alter weder für so keck noch für so eigenwillig gehalten!
– Sind Sie mir deshalb gram?
– Im Gegenteile, du gefällst mir desto mehr. Gute Nacht, Anzoleto, wir sehen uns wieder.
Sie reichte ihm ihre schöne Hand, welche er mit Inbrunst küsste. Ich habe mich nicht übel herausgezogen, sagte er zu sich, während er unter den Galerien am Borde des Canaletto entschlüpfte.
Er glaubte nicht, dass man ihm noch zu dieser Stunde den Verschlag, wo er zu übernachten gewohnt war, öffnen würde und beschloss, sich auf der ersten, besten Türschwelle, auszustrecken, um jenes englischen Schlafes zu genießen, welcher nur den Kindern und den Armen vorbehalten ist. Aber zum ersten Male in seinem Leben fand er keine Fliese reinlich genug für sein Lager. Obschon das Straßenpflaster in Venedig sauberer und weißer ist als in irgend einer anderen Stadt auf Erden, so war doch solch ein ziemlich staubiges Bett nicht eben passend für einen schwarzen Anzug von dem feinsten Tuche und dem elegantesten Schnitte. Und dann der Anstand! Dieselben Schiffer, die am frühen Morgen vorsichtig über die Stiegen schritten, ohne die Lumpen des armen Jungen zu berühren, hätten ihn aus seinem Schlummer ausgeschimpft und die Prachtstücke seines geborgten Luxus vielleicht absichtlich besudelt, welche sie unter ihren Füßen fanden. Was hätten sie von einem Menschen denken sollen, der in seidenen Strümpfen, in feiner Wäsche, in Manchetten und Spitzenhalstuch unter freiem Himmel schlief?
Anzoleto vermisste in diesem Augenblicke recht empfindlich seine gute rotbraune Wollenkappe, die sehr schäbig und abgetragen, aber doch noch immer zwei Finger dick und äußerst dienlich war, um dem ungesunden Morgennebel, der aus der Wassermasse Venedigs aufsteigt, Trotz zu bieten. Es war in den letzten Tagen des Februar, und obwohl die Sonne um diese Jahreszeit unter dem dortigen Himmel schon recht stark leuchtet und wärmt, so sind die Nächte doch noch sehr kalt.
Es fiel ihm ein, sich in eine der Gondeln zu ducken, welche am Ufer lagen: er fand sie aber alle fest verschlossen. Endlich kam er an eine, deren Türe seinem Drucke wich; doch als er eindrang, stieß er an die Füße des Barcarolen, der sich dort zu seiner Nachtruhe zurückgezogen hatte und fiel über ihn hin.
– Beim Leib des Teufels! schrie ihn eine raue Stimme aus dem Innern dieser Höhle an, wer seid ihr? was wollt ihr?
– Bist du’s, Zanetto? erwiderte Anzoleto, da er die Stimme des Gondoliers erkannte, der ihm immer viel Freundlichkeit bewiesen hatte. Lass mich neben dir niederliegen und einen Schlaf unter Dach tun in deinem Hüttchen.
– Wer bist du denn? fragte Zanetto.
– Anzoleto; kennst du mich denn nicht?
– Nein, beim Satan! Hast du doch Kleider an, die Anzoleto nicht haben könnte, wenn er sie nicht gestohlen hätte. Pack dich fort! Wenn du der Doge in Person wärest, so litt’ ich einen Menschen nicht in meiner Barke, der einen schönen Rock hat zum Spazierengehen und kein Loch zum Schlafen.
Bis jetzt, dachte Anzoleto, hat mir noch die Protection und Gunst des Grafen Zustiniani mehr Gefahren und Unannehmlichkeiten als Nutzen eingetragen. Es wäre Zeit, dass mein Beutel sich nach meinem Succeß schickte, und ich sehne mich danach, ein Paar Zechinen in der Tasche zu haben, damit ich die Rolle durchführen könnte, die man mich spielen lässt.
Voll Verdruss irrte er in den öden Straßen umher, und getraute sich nicht still zu stehen, aus Furcht den Schweiß zurückzutreiben, welchen Zorn und Anstrengung ihm ausgepresst hatten.
Dass ich mir nur nicht bei dem Allen noch eine Heiserkeit hole! sagte er vor sich hin. Morgen des Tages wird der Graf sein junges Wundertier dem ersten, besten Hansnarren von Kunstrichter vorführen wollen, und der wird dann, wenn ich den kleinsten Kitzel in der Kehle von einer solchen Nacht ohne Ruhe, ohne Schlaf, ohne Obdach davon getragen hätte, den Ausspruch tun, ich hätte keine Stimme; und der Herr Graf, der es besser weiß, wird sagen: ach, wenn Sie ihn doch gestern gehört hätten! – Er ist also nicht immer gleich! wird der andere bemerken. Er hat wohl seine feste Gesundheit! – Oder vielleicht, wirft dann ein dritter ein, hat er sich gestern zu sehr angestrengt. Er ist wahrhaftig noch zu jung, um mehre Tage hinter einander zu singen. Ihr würdet gut tun, noch zu warten, bis er reifer und kräftiger geworden ist, ehe Ihr ihn auf die Bühne bringt. Und der Graf wird sagen: Alle Teufel, wenn er von zwei Arien heiser wird, so ist das kein Handel für mich. Und was wird geschehen? Sie werden mich alle Tage Etüden singen lassen, bis mir der Atem ausgeht, bloß um zu probieren, ob ich stark und gesund genug sei, und sie werden mir die Stimme entzweibrechen, um sich zu überzeugen, ob meine Lunge gut ist. Hol’ der Teufel die Protection der großen Herren! Ha! wann werde ich so weit sein, dass ich sie nicht mehr brauche, – dass sie, wenn ich in ihren Salons singe, sich das für eine Gnade schätzen müssen, weil ich renommiert, weil ich der Günstling des Publikums bin, weil sich die Theaterdirektionen um mich reißen, – dass ich mit ihnen auf gleichem Fuße, Macht gegen Macht, verhandeln könne?
Unter diesem Selbstgespräche geriet Anzoleto auf einen jener kleinen Plätze, welche in Venedig corti heißen, obschon es keine Höfe sind, sondern etwas dem ähnliches was man in Paris cité nennt, eine Gruppe von Häusern, deren Türen alle auf einen gemeinschaftlichen offenen Raum gehen. Man muss sich aber diese sogenannten Höfe nicht im mindesten regelmäßig, geschmackvoll und saubergehalten denken, nach Art unserer modernen squares. Es sind vielmehr ganz kleine, finstere Plätze, die manchmal einen Sack bilden, manchmal einen Durchgang von einem Quartiere zu dem anderen; sie sind wenig besucht und rings umgeben von den Wohnungen armer und geringer Leute, meistens aus der untersten Volksklasse, Handarbeitern und Wäscherinnen, deren Zeug zum Trocknen auf Leinen, die sich quer über den Weg ziehen, aufgehängt ist: ein Übelstand, welchen der Durchgehende umso williger duldet, als sein Durchgangsrecht oft aus mehr als hinlänglichen Gründen ebenfalls nur auf Duldung beruht.
Wehe dem armen Künstler, der ein Kämmerchen nach einem dieser abgelegenen Winkel hinaus bewohnt, wo, nur zwei Schritte entfernt von breiten Kanälen und prächtigen Gebäuden, sich plötzlich mitten im Schoße Venedigs das Proletarierleben findet mit seiner Rohheit, seinem Lärm und seinem Schmutze. Wehe ihm, wenn er Stille braucht zu seinen Arbeiten. Denn vom Morgen bis in die Nacht wird das Gelärme der Kinder, Hühner und Hunde, die in dem engen Gehöfte durch einander spielen, schreien und heulen, das endlose Geplapper der Weiber, die auf ihren Türschwellen zusammenstehen und das Gesinge der Arbeiter in ihren Werkstätten ihm nicht einen Augenblick der Ruhe lassen.
Ein Glück noch, wenn nicht gar der Improvisatore kommt und seine Sonette und Dithyramben abplärrt, bis aus jedem Fenster ihm eine Kupfermünze zugefallen, oder wenn nicht Brighella seine Bude in der Mitte des Hofes aufstellt und unermüdlich seinen Dialog mit dem Avocato, dem Tedesco und dem Diavolo immer wieder von vorne beginnt, bis er sich überzeugt hält, dass seine Beredsamkeit umsonst vergeudet ist; vor zerlumpten Kindern, glücklichen Zuschauern, die sich kein Gewissen daraus machen, zu hören und zu sehen, ohne einen Liard in der Tasche.
Nachts aber, wann alles in Schweigen gesunken ist, und wann die Steine hell im Lichte des stillen Mondes schimmern, dann gibt diese gedrängte Masse unregelmäßig und absichtslos in den verschiedensten Epochen an einander gebauter Häuser, durch starke Schatten abgesetzt, mit mannigfaltigen geheimnisvollen Tiefen, und mit dem grillenhaften Formenspiele, das der Zufall schuf, ein Bild unendlich malerischer Unordnung. Alles verschönt sich im Mondesblicke; jede kleine architectonische Wirkung tritt hervor und wird bedeutend, der unscheinbarste weinbelaubte Balkon nimmt eine spanisch romanzenhafte Miene an, und erfüllt die Seele mit den Bildern jener schönen ritterlichen Abenteuer. Der leuchtende Himmel, in welchen sich jenseits dieser finsteren und winkeligen Masse, die blassen Kuppeln ferner Gebäude tauchen, gießt über die geringsten Einzelheiten des Gemäldes einen ungewissen und harmonischen Farbenton, der zu endlosen Träumen verlockt.
In der corte Minelli, bei der Kirche San-Fantin befand sich Anzoleto, als eben die Turmuhren den Schlag der zweiten Stunden nach Mitternacht einander zuschickten. Ein geheimer Trieb hatte seine Schritte nach der Wohnung eines Wesens gelenkt, dessen Name und Bild seit Sonnenuntergang nicht in seine Seele gekommen war. Kaum hatte er diesen Hof betreten, als er sich bei den letzten Silben seines Namens von einer sanften Stimme leise rufen hörte, und so wie er aufblickte, sah er einen leichten Schattenriss auf einer der elenden Terrassen des Gehöftes sich abmalen. Einen Augenblick später wurde die Türe dieser Baracke geöffnet, und Consuelo im Kattunröckchen und in einen alten schwarzseidenen Mantel gewickelt, womit vor Zeiten ihre Mutter Staat gemacht hatte, kam, ihm die Hand zu reichen, während sie mit der anderen Hand einen Finger an ihre Lippen legte, um ihm Stille anzuempfehlen. Auf den Zehenspitzen und tastend stiegen beide die krumme und verfallene hölzerne Treppe hinan, welche bis auf das Dach führte; und oben auf der Terrasse angelangt begannen sie eines jener langen, von Küssen unterbrochenen Gelispel, deren man jede Nacht wie Windesflüstern auf den Dächern hört, oder wie ein Geschwätz von Luftgeistern, die im Nebel paarweis um die wunderlich geformten und mit ihren zahllosen roten Turbanen alle Häuser Venedigs schmückenden Schlote kreisen.
Эта и ещё 2 книги за 399 ₽
Чтобы воспользоваться акцией, добавьте нужные книги в корзину. Сделать это можно на странице каждой книги, либо в общем списке: