Es nimmt dich vielleicht Wunder, lieber Leser, und nichts desto minder ist es durchaus richtig, dass sich Anzoleto niemals eine Meinung darüber gebildet hatte, ob Consuelo hässlich oder schön wäre. Abgesondert von den Menschen und in Venedig unbeachtet, wie Consuelo lebte, war sie noch von Keinem darauf angesehen worden, ob im Schatten dieser Versäumnis und Verborgenheit Geist und Gemüt sich eine angenehme oder eine unscheinbare Form herausgearbeitet hatten. Porpora, der für nichts Sinn hatte, als für seine Kunst, sah in ihr nur die Künstlerin. Den Nachbarn auf der Corte Minelli war ihr unschuldiges Verhältnis zu Anzoleto nie anstößig gewesen. In Venedig ist man über diesen Punkt nicht sehr bedenklich. Sie sagten ihr wohl manchmal, dass sie sich mit diesem Menschen ohne Halt und Habe unglücklich machen würde und gaben ihr den Rat, sie sollte sich lieber mit einem braven, friedfertigen Handwerker zu verbinden suchen. Da sie ihnen aber immer antwortete, sie wäre ja selbst ohne Familie und Stütze, und so wäre ihr Anzoleto eben recht, da seit sechs Jahren kein Tag vergangen war, wo man sie nicht bei einander gesehen hätte und zwar immer offen, ohne Heimlichtun und ohne Streit und Zank, so hatte man sich zuletzt an ihre freie und unzertrennliche Verbindung gewöhnt. Kein Nachbar hatte es sich je einfallen lassen, der Amica des Anzoleto den Hof zu machen. Kam dies daher, dass man sie nun einmal für gebunden achtete, oder war ihre große Dürftigkeit daran schuld? Oder endlich, dünkte ihr Äußeres keinem von ihnen verführerisch? Das letztere ist sehr wahrscheinlich.
Es ist indessen eine bekannte Sache, dass die jungen Mädchen zwischen zwölf und vierzehn Jahren gewöhnlich mager, ohne Haltung und ohne Harmonie in Zügen, Verhältnissen und Bewegungen sind. Um die fünfzehn Jahre »mustern sie sich heraus« (wie der volkstümliche Ausdruck der älteren Frauen lautet), und die welche zuvor abscheulich aussah, zeigt sich, nach diesem kurzen Bildungsakte, wenn nicht schön, zum wenigsten angenehm. Man hat sogar die Bemerkung gemacht, dass kleine Mädchen, welche zu früh hübsch sind, nichts für die Zukunft versprechen.
Auch unserer Consuelo war die Wohltat des jungfräulichen Alters zu Gute gekommen, man nannte sie nicht mehr hässlich und wirklich war sie es nicht mehr. Nur weil sie keine Prinzessin oder Infantin war, hatte sie auch keinen Höflingskreis um sich, der der Welt die sichtliche Verschönerung des königlichen Sprossen verkündet hätte; und da kein zärtlich bekümmertes Herz da war, um für ihre Zukunft Sorge zu tragen, so nahm sich auch niemand die Mühe, dem Anzoleto zu sagen, dass er sich seiner Braut vor der Welt nicht zu schämen brauchte.
Da nun Anzoleto sie nur in einem Alter hatte garstig nennen hören, wo dieser Tadel nicht den mindesten Eindruck auf ihn machte, während in späterer Zeit weder Gutes noch Böses von Consuelo’s Äußerem gesagt wurde, so hatte er in der Tat an diesen Punkt noch nicht gedacht. Seine Eitelkeit hatte einen anderen Flug genommen. Sein Traum war, aufzutreten und berühmt zu werden, und er konnte gar nicht dazu kommen, viel Aufhebens von seinen Eroberungen zu machen. Den Gelüsten der ersten Jugend ist ein gutes Teil Neugierde beigemischt: bei ihm war diese befriedigt; ich habe schon gesagt, dass er in einem Alter von achtzehn Jahren nichts mehr zu lernen hatte. In seinem zwei und zwanzigsten Jahre war er fast abgestumpft, während seine Anhänglichkeit an Consuelo in seinem zwei und zwanzigsten Jahre, wie im achtzehnten, einiger keuschen Küsse ungeachtet, welche ohne Unruhe gegeben und ohne Scham genommen wurden, noch ganz so still und traulich wie zuvor war.
Diese Ruhe und Reinheit bei einem Jünglinge, dessen Ruhm nicht gerade Zurückhaltung war, möchte leicht zu auffallend erscheinen, wenn hier nicht bemerkt würde, dass die große Freiheit, in welcher wir unsere jungen Leute beim Beginne dieser Geschichte miteinander umgehen sahen, sich im Laufe der Zeit verändert und allmählich eingeschränkt hatte. Consuelo war fast sechszehn Jahre alt und führte noch ein ziemlich unstätes Leben, indem sie allein aus dem Konservatorium ging und sich auf den Stufen der Piazzetta zu Anzoleto setzte, um ihre Lektion zu lernen und ihren Reis zu essen, – als plötzlich ihre Mutter in eine solche Erschöpfung fiel, dass sie nicht mehr abends mit der Guitarre im Arm und einem Eimerchen vor sich, in den Cafés singen konnte. Das arme Weib zog sich in einen der armseligsten Schuppen der Corte Minelli zurück und lag dort kümmerlich auf einem schlechten Bette. Die gute Consuelo wollte nun nicht mehr von der Seite ihrer Mutter weichen und änderte ihre ganze Lebensart.
Wenn sie nicht im Unterrichte war, den ihr der Professor aus Güte gab, so saß sie, entweder mit der Nadel oder mit dem Kontrapunkte beschäftigt, stets neben dem Kopfkissen dieser herrischen und schlimmen Mutter, welche sie in ihrer Kindheit grausam misshandelt hatte und ihr jetzt das schreckliche Schauspiel einer Todesstunde ohne Mut und ohne Tugend gab. Die Kindesliebe und ruhige Ergebenheit wichen von Consuelo nicht einen Augenblick. Ihre Jugendfreuden, ihre Freiheit, ihr ungebundenes Leben, selbst ihre Liebe, alles opferte sie ohne Klage und ohne Bedenken.
Anzoleto beschwerte sich lebhaft darüber, und entschloss sich, als er seine Vorwürfe erfolglos sah, zu vergessen und sich zu zerstreuen; aber es war ihm unmöglich. Anzoleto war nicht ausdauernd bei der Arbeit wie Consuelo: flüchtig und schlecht nahm er den verkehrten Unterricht an, den sein Lehrer um das Honorar, das Zustiniani zahlte, zu verdienen, eben so schlecht und flüchtig gab. Das war übrigens ein großes Glück für Anzoleto, denn seine reichen natürlichen Anlagen glichen, so gut es geschehen konnte, die verlorene Zeit und die Wirkungen eines schlechten Unterrichtes aus, aber es blieben ihm viele müßige Stunden, in welchen die treue und heitere Gesellschaft Consuelo’s ihm entsetzlich fehlte. Er versuchte, sich den Vergnügungen seines Alters und Standes hinzugeben: er ging in die Schenken und verspielte mit Herumtreibern das wenige Taschengeld, das ihm Graf Zustiniani von Zeit zu Zeit schenkte. Zwei bis drei Wochen lang gefiel ihm diese Lebensart, dann aber merkte er, dass dabei sein Wohlbehagen, seine Gesundheit und seine Stimme merklich litten: denn es ist ein Unterschied zwischen dem Far-niente und einem lüderlichen Leben, das lüderliche Leben aber sagte ihm nicht zu. Eine heilsame Selbstliebe hütete ihn vor schlechten Leidenschaften, er zog sich in die Einsamkeit zurück und strengte sich an, fleißig zu sein, aber die traurige Einsamkeit und die Schwierigkeiten machten ihm bange. Er sah nun ein, dass ihm Consuelo eben so unentbehrlich zu seinem Talente als zu seinem Glücke war.
Consuelo war ämsig und ausdauernd, sie lebte in der Musik wie der Vogel in der Luft, wie der Fisch im Wasser; Schwierigkeiten zu besiegen machte ihr Freude, ohne dass sie sich, mehr als ein Kind pflegt, über die Wichtigkeit des Sieges Rechenschaft gegeben hätte, denn die Hindernisse zu überwinden und in die Tiefen der Kunst einzudringen, zwang sie von innen heraus der unwiderstehliche Trieb, welcher auch das Saamenkorn zwingt den Schoß der Erde zu durchbrechen und an die Luft zu dringen; Consuelo war eine jener seltenen und glücklichen Naturen, für welche die Arbeit ein Genuss ist, eine wahre Ruhe, ein unentbehrlicher Normalzustand, und für welche die Untätigkeit eine Anstrengung, eine Abspannung, ein krankhafter Zustand sein würde, wenn ihnen Untätigkeit überhaupt möglich wäre. Aber sie kennen diese nicht: scheinbar müßig arbeiten sie; ihr Träumen ist kein inhaltloses, sondern ein Nachdenken. Wenn man sie wirken sieht, so meint man ihr Schaffen wahrzunehmen, während sie nur das schon Geschaffene offenbaren. Du wirst mir einwenden, lieber Leser, dass dir solche ungewöhnliche Naturen nie begegnet seien. Ich werde dir antworten, teuerer Leser, dass ich auch nur eine kennen gelernt habe, nur eine, und bin ich auch älter als du. Warum kann ich dir nicht sagen, dass ich an meinem armen Kopfe das göttliche Geheimnis dieser geistigen Regsamkeit ausgeforscht habe. Aber leider werden wir beide, Freund Leser, es nicht an uns studieren.
Consuelo arbeitete stets, und fand in der Arbeit ihre Erholung; Stundenlang war sie hartnäckig bemüht, frei a capriccio singend oder Musik lesend, Schwierigkeiten zu bekämpfen, vor welchen Anzoleto, sich selbst überlassen, zurückgebebt wäre; und ohne Bedacht und Absicht, ohne im geringsten an Wetteifer zu denken, zwang sie ihn, ihr zu folgen, ihr zu helfen, ihren Sinn zu fassen, ihr zu antworten, bald mitten unter kindischem Gelächter, bald mit ihm hingerissen von jener dichterischen und schöpferischen Fantasie, die den Volksnaturen in Italien und in Spanien eigen ist.
So hatte sich Anzoleto seit mehreren Jahren mit Consuelo’s Genius befruchtet, indem er ihn aus der Quelle schöpfte, ohne ihn zu erkennen, und ihn in sich aufnahm, ohne es zu wissen, und war in der Musik ein seltsames Gemisch von Kenntnis und Unwissenheit, von Eingebung und Leichtsinn, von Herrschaft und Unbehilflichkeit, von Kühnheit und Schwäche geworden, was eben damals bei der Probe den Professor Porpora in ein Labyrinth von Betrachtungen und Vermutungen verwickelte. Dieser Meister kannte das Geheimnis aller der Reichtümer nicht, welche der Consuelo abgeborgt waren; denn seitdem er eines Tages die Kleine über ihre Vertraulichkeit mit diesem großen Taugenichts hart gescholten, hatte er die beiden nie wieder beisammen gesehn. Consuelo, welcher viel daran lag, sich ihres Lehrers Gunst zu erhalten, hatte Sorge getragen, sich ihm nie in Anzoleto’s Gesellschaft zu zeigen, und so oft sie ihn, wenn Anzoleto bei ihr war, von weitem die Straße herabkommen sah, sprang sie flink wie ein Kätzchen hinter eine Säule oder duckte sich in eine Gondel.
Diese Vorsicht dauerte fort als Consuelo Krankenhüterin geworden war und als Anzoleto, der, fern von ihr, nicht mehr aushalten konnte, weil ihm Leben, Hoffnung, Geist und fast der Atem zu fehlen schien, sich einfand, um ihr eingeengtes Leben zu teilen und jeden Abend ihr die Verdrießlichkeiten und Aufwallungen der Totkranken tragen zu helfen.
Einige Monate vor ihrem Ende fühlte diese Unglückliche sich in ihren Leiden erleichtert, und besiegt von der frommen Liebe ihrer Tochter öffnete sich ihre Seele sanfteren Regungen. Sie gewöhnte sich daran, Hilfleistungen von Anzoleto anzunehmen, der, wiewohl zu einer solchen hingebenden Rolle wenig geschaffen, doch zu einer Art heiteren Eifers und zuvorkommender Freundlichkeit gegen die Schwäche und das Leiden sich auch seinerseits gewöhnte. Anzoleto hatte einen stätigen Charakter und ein freundliches Wesen. Seine Ausdauer bei ihr und Consuelo gewann zuletzt das Herz der Alten, und in ihrer letzten Stunde ließ sie die Kinder schwören, einander nicht zu verlassen. Anzoleto versprach es, ja er empfand sogar in diesem Augenblicke eine Art ernster Rührung, welche er noch nicht gekannt hatte. Die Sterbende erleichterte ihm seine Zusage, indem sie sprach: Lass sie deine Freundin, deine Schwester, deine Liebste oder dein Weib sein; da sie Keinen kennt als dich und von einem anderen nie hat hören wollen, so verlasse sie nicht. Im Geheimen wollte sie dann ihrer Tochter noch einen recht klugen und heilsamen Rat geben, ohne viel zu überlegen, ob er auch ausführbar sein werde, und sie nahm ihr, wie wir schon wissen, das Gelübde ab, sich ihrem Geliebten vor der kirchlichen Einsegnung ihrer Ehe nie zu überlassen. Consuelo gelobte es, ohne die Hindernisse zu ahnen, welche der unabhängige und unfromme Charakter Anzoleto’s dieser Absicht entgegenstellen könnte.
Als sie Waise war, setzte Consuelo ihre Nadelarbeit fort, um zu erwerben, was der Augenblick erforderte, und ihre Musikstudien, um an Anzoleto’s Zukunft die ihrige knüpfen zu können. Während der zwei Jahre, dass sie ihren Schuppen allein bewohnte, hatte er sie unverändert jeden Tag besucht, er fühlte keine Leidenschaft für sie, konnte aber auch für andere Frauen keine fühlen, weil sein stiller, traulicher Umgang und das Vergnügen »an ihrer Seite zu leben«, ihm, wie ihm däuchte, über alles ging.
Zwar war er sich der hohen Geistesgaben seiner Freundin nie bewusst geworden, jedoch er hatte seither Geschmack und Urteil genug erworben, um zu wissen, dass sie an Kunstverstand und Mitteln alle Sängerinnen von San Samuel und die Corilla selbst überragte. Seiner gewohnten Zuneigung hatte sich daher die Hoffnung und beinahe die Gewissheit beigesellt, dass eine Vereinigung der Interessen ihnen vorteilhaft sein würde, um sich mit der Zeit ein glänzendes Auskommen zu schaffen. Consuelo dagegen hatte sich nicht gewöhnt, an die Zukunft zu denken. Voraussicht gehörte nicht in den Kreis dessen, was ihre Gedanken beschäftigte. Sie hätte Musik getrieben ohne einen anderen Zweck als den, ihrem Berufe zu folgen, und die Gemeinsamkeit der Interessen, welche die Ausübung dieser Kunst zwischen ihr und ihrem Freunde notwendig schuf, hatte für sie keinen anderen Sinn als den – verbundenen Glückes und gemeinschaftlicher Neigung.
So hatte er denn, ohne ihr davon ein Wort zu sagen, auf einmal Hoffnung gefasst, dass die Verwirklichung seiner Träume sich beschleunigen ließe, und in derselben Zeit als Zustiniani damit umging, sich eine Stellvertreterin für die Corilla zu verschaffen, war Anzoleto, welcher mit seltenem Scharfblick die Stimmung seines Gönners erriet, auf den Gedanken gekommen, ihm Consuelo vorzuschlagen.
Aber dass Consuelo hässlich sein sollte, dieses ungeahnte, seltsame, und, wofern der Graf sich nicht irrte, unübersteigliche Hindernis hatte Schrecken und Bestürzung in seine Seele geworfen. Er machte sich sogleich auf den Weg nach der Corte Minelli, aber bei jedem Schritte blieb er stehen, um sich das Bild seiner Freundin in einem neuen Lichte vor die Seele zu rufen, und um zu wiederholen, mit einem Fragezeichen hinter jedem Worte: Nicht hübsch? Sehr hässlich? Abscheulich?
– Was siehst du mich so an? rief ihm Consuelo zu, als er bei ihr eingetreten war und sie mit einer seltsamen Miene betrachtete, ohne ein Wort zu sprechen. Du tust ja, als ob du mich noch nie gesehen hättest.
– Das ist auch der Fall, Consuelo! erwiderte er. Ich habe dich nie gesehen.
– Redest du irre? versetzte sie, ich weiß nicht was du meinst.
– Mein Gott, mein Gott! ich glaube dir’s, rief Anzoleto. Ich habe einen großen schwarzen Fleck im Gehirne und kann davor nicht sehen.
– Himmlische Barmherzigkeit! Ist dir nicht wohl, mein Freund?
– Nein, liebes Mädchen, beruhige dich, und ich will es versuchen, deutlich zu sehen. Sage, Consuelina, findest du mich schön?
– Ei freilich, ich habe dich ja lieb.
– Und wenn du mich nicht lieb hättest, wie würdest du mich dann finden?
– Was weiß ich?
– Wenn du andere Männer siehst, weißt du dann, ob sie schön oder hässlich sind?
– Jawohl, aber ich finde dich schöner als die Schönsten.
– Bloß weil du mich lieb hast?
– Ich glaube, ja und nein. Und zudem sagen alle Leute dass du schön bist, und das weißt du recht gut. Aber was kümmert dich das?
– Ich möchte wissen ob du mich lieb hättest, wenn ich auch abscheulich wäre.
– Ich würde es vielleicht gar nicht merken.
– Du glaubst also, dass man eine hässliche Person lieben kann?
– Warum nicht? Liebst du mich doch.
– Du bist also hässlich, Consuelo? Im Ernste, sage, gib Antwort, du bist also hässlich?
– Man hat es mir immer gesagt, siehst du denn das nicht selbst?
– Nein, nein, wahrhaftig nicht, ich sehe es nicht!
– Nun sieh, dann finde ich mich schön genug, und ich bin sehr zufrieden.
– Jetzt, jetzt eben, Consuelo, wie du mich ansiehst, mit einer so natürlichen, so liebenswürdigen Miene, da scheinst du mir schöner als die Corilla. Aber ich möchte nur wissen, ob das eine Einbildung von mir oder ob es wirklich so ist. Ich kenne dein Gesicht, es ist so ehrlich und gefällt mir so, und wenn ich zornig bin, so macht es mich still; und wenn sich traurig bin, so macht es mich froh; und wenn ich niedergeschlagen bin, so macht es mich munter. Aber deine Gestalt kenne ich nicht. Deine Gestalt, Consuelo, ob die hässlich ist, das kann ich nicht wissen.
– Noch einmal, was kümmert dich das?
– Ich muss es wissen; sage doch, ob wohl ein schöner Mann ein hässliches Weib lieb haben kann?
– Du hast ja doch meine arme Mutter lieb gehabt, die nur ein Gespenst war! Und ich, wie lieb habe ich sie gehabt!
– Kam sie dir denn hässlich vor?
– Nein, und dir?
– Ich habe nicht darauf geachtet. Aber lieben aus Liebschaft, Consuelo … denn im Grunde liebe ich dich doch aus Liebschaft, nicht wahr? Ich kann dich nicht entbehren, ich kann dich nicht lassen. Das ist Liebschaft, meinst du nicht?
– Was sollte es anderes sein?
– Es könnte jawohl auch Freundschaft sein.
– Freilich, es könnte jawohl auch Freundschaft sein.
Hier hielt Consuelo überrascht inne und sah Anzoleto aufmerksam an. Er aber, in ein schwermütiges Sinnen versunken, fragte sich selbst zum ersten male mit Bestimmtheit, ob er Liebe oder Freundschaft für Consuelo fühle, ob die Ruhe seines Innern, ob die keusche Zurückhaltung, welche er ihr gegenüber ohne Mühe bewahrte, aus Achtung oder aus Gleichgültigkeit entsprängen. Zum ersten male schaute er dieses junge Mädchen mit den Augen eines jungen Mannes an, in prüfender Absicht, aber ziemlich verwirrt, diese Stirn, diese Augen, diesen Wuchs und jede Einzelheit betrachtend, wovon er bisher immer nur einen gewissen idealen Gesamteindruck, gleichsam verschleiert in seiner Vorstellung, empfunden hatte.
Zum ersten male fühlte sich auch die bestürzte Consuelo durch den Blick ihres Freundes verwirrt: sie errötete, ihr Herz schlug heftig und ihre Augen wendeten sich ab, unfähig denen Anzoleto’s zu begegnen. Und als er noch immer das Schweigen nicht brach und auch sie nicht den Mut hatte es zu brechen, bemächtigte sich ihrer endlich eine unbeschreibliche Angst, große Tränen rollten über ihre Wangen und sie verbarg das Gesicht in ihren Händen.
– Ach, ich sehe es wohl, sprach sie, du willst mir sagen, dass du mich nicht mehr zu deiner Freundin magst.
– Nein, nein, das habe ich nicht gesagt! Das sage ich nicht! rief Anzoleto, erschreckt von diesen Tränen, die er zum ersten male fließen machte, und indem seine brüderliche Zuneigung lebhaft erwachte, umschloss er Consuelo mit seinen Armen. Da sie aber ihr Gesicht wegwendete, so küsste er statt ihrer frischen und stillen Wange eine glühende Schulter, die sich unter einem schwarzen groben Kantentuche nur schlecht verbarg.
Entzündet sich plötzlich der erste Blitz der Leidenschaft in einer starken Natur, die unter der vollkommnen Entfaltung ihrer Jungfräulichkeit kindesrein geblieben, so ist der Schlag heftig und fast ein Schmerz.
– Ich weiß nicht was mir ist, sagte Consuelo, sich den Armen ihres Freundes mit einer Art von Furcht entreißend, welche sie noch nie empfunden hatte; aber mir ist sehr übel; mir ist, als ob ich sterben müsste.
– Nein, stirb nicht, rief Anzoleto, indem er ihr folgte und sie in seinen Armen hielt; du bist schön, Consuelo, ich weiß es gewiss, dass du schön bist! –
Consuelo war wirklich schön in diesem Augenblicke, und obgleich Anzoleto nicht unter einem künstlerischen Gesichtspunkte dessen gewiss war, so konnte er doch nicht unterlassen, es zu sagen, weil sein Herz es lebhaft fühlte.
– Was soll das aber nur, sagte Consuelo, in dem nämlichen Augenblicke ganz bleich geworden und ganz abgespannt, was soll es nur, dass du mich heute durchaus schön finden willst?
– Möchtest du es denn nicht sein, teure Consuelo?
– Ja, für dich.
– Und für die anderen?
– Ich frage nichts danach.
– Wenn es nun aber eine Bedingung für unsre Zukunft wäre?
Anzoleto fing nun an, weil er die Unruhe sah, welche er seiner Freundin verursacht hatte, ihr ganz unbefangen zu erzählen, was zwischen dem Grafen und ihm vorgegangen war, und als er an die wenig schmeichelhaften Ausdrücke kam, in welchen Zustiniani sich über sie geäußert hatte, schlug Consuelo, welche nach und nach wieder ruhig geworden war, denn sie glaubte jetzt zu sehen was es gab, ein helles Gelächter auf, während sie sich noch die letzten Tränen aus den Augen wischte.
– Wie? rief Anzoleto voll Erstaunen, dass er sie so frei von aller Eitelkeit fand, mehr regt dich das nicht auf, mehr Verdruss macht es dir nicht? Aha! ich sehe, Consuelina, Sie sind eine kleine Kokette: Sie wissen es wohl, dass Sie nicht hässlich sind.
– Höre, entgegnete sie lachend, weil du nun einmal solche Possen ernst nimmst, muss ich dich doch ein bischen beruhigen. Ich bin niemals kokett gewesen: ich bin nicht schön und ich will mich nicht lächerlich machen. Aber hässlich, siehst du, hässlich bin ich nicht mehr.
– Fürwahr, das hat dir jemand gesagt. Wer hat dir das gesagt, Consuelo?
– Erstlich meine Mutter, die sich um meine Hässlichkeit nie gegrämt hat. Sie sagte oft, das würde sich schon geben und sie wäre als Kind noch hässlicher gewesen, und doch weiß ich von vielen Leuten welche sie früher gekannt haben, dass sie zu zwanzig Jahren das schönste Mädchen von Burgos war. Du erinnerst dich auch wohl, dass in den Cafés wo sie sang, mancher der sie ansah, sagte: Diese Frau muss schön gewesen sein. Siehst du, mein armer Freund, so geht es mit der Schönheit, wenn man arm ist; ein Augenblick ist’s: erst ist man noch nicht schön, und gleich nachher ist man es nicht mehr. Vielleicht werd’ ich’s noch, wer weiß? wenn ich mich nicht zu sehr anzustrengen brauche, wenn ich schlafen kann und nicht zu viel hungern muss.
– Consuelo, wir verlassen einander nicht; bald werde ich reich sein und es wird dir an nichts fehlen. Dann kannst du schön sein nach Herzenslust.
– Nun wohl. Gott helfe uns dazu!
– Aber das alles nutzt uns für den Augenblick zu nichts, es kommt nur darauf an, ob dich der Graf schön genug finden wird um aufzutreten.
– Verwünschter Graf, wenn er nur nicht zu viel Schwierigkeiten macht.
– Also erstlich, hässlich bist du nicht?
– Ich bin nicht hässlich. Neulich hörte ich, wie der Perlenmacher drüben zu seiner Frau sagte: Weißt du wohl, die Consuelo ist nicht garstig; sie hat eine schöne Taille, und wenn sie lacht, hüpft einem das Herz im Leibe, und wenn sie singt, sieht sie allerliebst aus.
– Und was sagte darauf des Perlenmachers Frau?
– Sie sagte darauf: Was schiert das dich, Dummkopf? guck’ auf deine Arbeit: was hat ein verheirateter Mann die jungen Mädchen anzugaffen?
– Sah sie böse dabei aus?
– Ganz böse.
– Das ist ein gutes Zeichen. Sie gestand sich, dass ihr Mann nicht unrecht hatte. Und dann noch weiter?
– Und dann noch weiter, die Gräfin Mocenigo, welche mir Arbeit gibt und sich meiner immer angenommen hat, sagte letzte Woche zu dem Doctor Ancillo, der, als ich eintrat, gerade bei ihr war: Sehen Sie doch, Herr Doktor, wie diese Zitella gewachsen ist, und sie ist recht weiß und hübsch geworden!
– Und was sagte der Doctor darauf?
– Er sagte darauf: In der Tat, Madame, beim Bacchus! ich hätte sie nicht wieder erkannt; sie gehört in die Klasse des phlegmatischen Temperaments, und diese Personen werden weiß, wenn sie ein wenig zunehmen. Sie wird noch ein schönes Mädchen werden, das sollen Sie sehen.
– Und dann noch weiter?
– Und dann noch weiter, die Superiorin von Santa-Chiara, die mir Stickereien für ihre Altäre zu machen gibt, sagte zu einer Schwester: Da, sagt nun einmal selbst, ob ich nicht recht hatte, dass die Consuelo unsrer heiligen Cäcilia gleicht? So oft ich vor dem Bilde bete, muss ich unwillkührlich an diese Kleine denken, und dann bete ich für sie, dass sie nicht in Sünde fallen möge und dass sie immer nur für die Kirche singen möge.
– Und was sagte die Schwester darauf?
– Die Schwester sagte darauf: Es ist wahr, Mutter, es ist wahrhaftig wahr. Da bin ich denn geschwind in ihre Kirche gelaufen und habe mir die heilige Cäcilia angesehen, die ist von einem großen Meister und ist schön, sehr schön!
– Und sieht dir gleich?
– Ein wenig.
– Und das hast du mir nie erzählt?
– Ich habe nicht weiter daran gedacht.
– Liebe Consuelo, also bist du schön?
– Ich glaube nicht, aber ich bin nicht mehr so hässlich als es immer gesagt wurde. So viel ist gewiss, dass es jetzt nicht mehr gesagt wird. Freilich könnte dies auch daher kommen, dass die Leute glauben, es würde mich jetzt schmerzen.
– Komm, Consuelina, sieh mich einmal recht an. Deine Augen sind erstlich die schönsten von der Welt!
– Aber ich habe einen großen Mund, sagte Consuelo lachend und nach einem Stück von einem zerbrochenen Spiegel langend, welches ihr als Psyché diente.
– Klein ist er nicht, erwiderte Anzoleto, aber die schönen Zähne! es sind lauter Perlen, und du zeigst sie alle, wenn du lachst.
– Nun, dann musst du mir etwas sagen, das mich lachen macht, wenn wir bei dem Grafen sein werden.
– Hast du nicht prächtige Haare, Consuelo?
– Das, ja! willst du sie sehen? Sie zog ihre Nadeln heraus und ein Strom schwarzer Haare, worauf die Sonne wie in einem Spiegel blitzte, rann bis zum Boden nieder.
– Du bist breit in der Brust, schmal über den Hüften und deine Schultern sind … oh! gar schön, Consuelo! Warum verbirgst du sie mir? Ich verlange ja nur zu sehen, was du doch bald dem Publikum wirst zeigen müssen.
– Ich habe einen ziemlich kleinen Fuß, sagte Consuelo, um das Gespräch an einen anderen Punkt zu lenken und sie zeigte ein wahrhaft andalusisches Füßchen, eine Schönheit die in Venedig fast unbekannt ist.
– Die Hand ist ebenfalls allerliebst, sagte Anzoleto, indem er zum ersten Male diese Hand küsste, welche er bisher immer nur freundschaftlich gedrückt hatte, wie die eines Kameraden. Lass mich deine Arme sehen.
– Du hast sie hundertmale gesehen, sagte sie und zog ihre Halbärmel aus.
– Nein, ich hatte sie nie gesehen, sagte Anzoleto, welchen diese unschuldige und gefährliche Unterhaltung seltsam aufzuregen anfing. Er versank darauf wieder in Schweigen und verfolgte mit seinen Blicken dieses junge Mädchen, das mit jedem Augenblicke schöner und in seinen Augen wie verwandelt wurde.
Es ist wohl möglich, dass er nicht bis zu dieser Stunde ganz und gar blind gewesen; denn vielleicht war es das erstemal dass Consuelo, ohne es zu wissen, jene unbekümmerte Miene abgelegt hatte, welche nur bei vollkommner Ruhe der Züge möglich ist. Noch zitterte die Bewegung in ihrem schmerzhaft getroffenen Herzen nach; sie war schon wieder natürlich und zutraulich geworden, jedoch eine unmerkliche Verlegenheit war geblieben, welche nicht ein Erwachen der Koketterie, sondern des empfundenen und begriffenen Schaamgefühles war; eine durchsichtige Blässe überzog in diesem Augenblicke ihr Gesicht und in ihren Augen leuchtete ein reiner und heiterer Glanz, der sie gewiss jener heiligen Cäcilia der Nonnen von Santa-Chiara vollkommen ähnlich machte.
Anzoleto konnte seine Augen nicht mehr von ihr wenden. Die Sonne war untergegangen; es wurde in dem großen Zimmer, welches nur aus einem einzigen Fenster sein Licht erhielt, schnell dunkel und in dieser Halbbeleuchtung noch verschönt, schien Consuelo von einem Dufte geisterhafter Wonnen umflossen. Anzoleto war einen Augenblick geneigt, sich den Begierden widerstandlos hinzugeben, die in ihm mit einer ganz neuen Heftigkeit erwachten, aber die Glut der Leidenschaft, welche ihn fortriss, unterbrach blitzweise die Kälte der Überlegung. Er meinte an der Stärke seiner Glut erproben zu können, ob Consuelo’s Schönheit so viel über ihn vermöchte wie die anderer anerkannter Schönen, welche er besessen hatte. Und dann wieder wagte er es nicht, sich diesen Versuchungen zu überlassen, weil sie des Wesens, welches sie erregte, unwürdig erschienen. Unmerklich wurde seine Bewegung tiefer, und voll Furcht, dass sich ihr seltsam süßer Reiz bald verlöre, wünschte er sie zu verlängern.
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