Einsame Menschen

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Einsame Menschen

Gerhart Hauptmann

Inhaltsverzeichnis

Dramatis personae

Erster Akt

Zweiter Akt

Dritter Akt

Vierter Akt

Fünfter Akt

Impressum

Gerhart Hauptmann

Einsame Menschen

Drama

Zuerst erschienen:

1891

Widmung:

»Ich lege dies Drama in die Hände derjenigen, die es gelebt haben.«

Notenbeigabe der Erstauflage:


Dramatis personae


Vockerat Frau Vockerat Johannes Vockerat Käthe Vockerat Braun Anna Mahr Pastor Kollin Frau Lehmann Amme Hausmädchen Hökerfrau Wagenschieber von der Bahn

Die Vorgänge dieser Dichtung geschehen in einem Landhause zu Friedrichshagen bei Berlin, dessen Garten an den Müggelsee stößt. In allen fünf Akten bleibt der Schauplatz derselbe: ein saalartiges Zimmer – Wohn- und Speiseraum –, gutbürgerlich eingerichtet. Ein Pianino ist da, ein Bücherschrank; um ihn gruppiert Bildnisse – Photographie und Holzschnitt – moderner Gelehrter (auch Theologen), unter ihnen Darwin und Haeckel. Über dem Pianino Ölbild: ein Pastor im Ornat. Sonst an der Wand mehrere biblische Bilder nach Schnorr von Carolsfeld. Links eine, rechts zwei Türen. Die Tür links führt ins Studierzimmer Johannes Vockerats. Die Türen rechts ins Schlafzimmer und auf den Flur. Der Raum hat eine mäßige Tiefe. Zwei Bogenfenster und eine Glastür der Hinterwand gestatten den Blick auf eine Veranda und einen Ausblick über den Garten, auf den See und die Müggelberge jenseits. Zeit: Gegenwart.

Erster Akt

Das Zimmer ist leer. Durch die nur angelegte Tür des Studierzimmers vernimmt man eine predigende Pastorenstimme, und als diese nach wenigen Sekunden verstummt, die Töne eines auf einem Harmonium gespielten Chorals. Während der ersten Takte wird die Tür vollends geöffnet, und es erscheinen: Frau Vockerat sen., Frau Käthe Vockerat und die Amme mit einem Kinde im Steckkissen, alle festlich geschmückt.

Frau Vockerat, sie ist eine Matrone in den fünfziger Jahren. Schwarzes Seidenkleid. Wellenscheitel. Nimmt und tätschelt Käthes Hand. Er hat doch sehr schön gesprochen! Nicht, Käthchen? Frau Käthe, zweiundzwanzig Jahr alt. Mittelgroß, zart gebaut, bleich, brünett, sanft. Späteres Rekonvaleszentenstadium. – Sie lächelt gezwungen, nickt mechanisch und wendet sich dem Kinde zu.

Die Amme. Der kleene, liebe Kerl! Hä-hä! Sie wiegt ihn im Arm. Nun is er aber an't Einschlafen – ksss, ksss, ksss! – Nu will er nich mehr von wissen. Sie beseitigt ein dem Kinde unbequemes Schleifenband. So, so! – hm, hm, hm! Schlaf, du mein Putteken, schlaf. Sie singt mit geschlossenen Lippen die Melodie von »Schlaf, Kindchen, schlaf«. Aber den Pastor hat er anjetrotzt –: so! Sie ahmt es nach. Hä-hä! bis det Wasser kam, hä-hä! det war'n aber doch zu bunt. Sie dudelt. Vaterken mit's Röhreken, hau mir nich zu sehreken! – hä-hä! denn schrie er aber los, au weh! su, su, su! Schlaf, Kindchen, schlaf . . . Sie tritt mit dem Fuße den Takt.

Frau Käthe. Herzliches, aber nervöses Lachen.

Frau Vockerat. Ach, sieh bloß, Käthchen! wie niedlich! Was nur der Junge für lange Wimpern hat!

Die Amme. Hä-hä! det sin Maman ihre. Schlaf, Kindchen . . . Reene Troddeln sind det.

Frau Vockerat. Nein wirklich, Käthchen: die ganze Mutter! Frau Käthe schüttelt energisch abwehrend den Kopf. Wirklich.

Frau Käthe, mit Zwang redend. Ach Mamachen – das wünsche ich mir gar nicht. Mir – soll er gar nicht ähnlich werden. Mir – Sie kommt nicht weiter.

Frau Vockerat sucht abzuleiten. Ein kräftiges Kind.

Die Amme. 'n Staatskerl.

Frau Vockerat. Sieh nur, Käthe, diese Fäuste.

Die Amme. Fäuste hat der – wie'n Goliath. Frau Käthe küßt das Kind.

Frau Vockerat. Gelt? ein solides Brustkästchen?

Die Amme. Det könn Se jlooben, Frau Oberamtmann, wie so'n General. Ksss, ksss! Der nimmt et mal mit fünfen uff.

Frau Vockerat. Na wissen Sie . . . Sie und Frau Käthe lachen.

Die Amme. Der hat jesundes Blut, ksss, ksss! Die Kinder leben ja vom Blute, ksss, ksss! Halb singend. So, so, so! Nu komm, nu komm! – nu wolln – wir – in – die – Nauni gehn – in – die – Nauni. Ja, ja! wir – gehn – jetzt – in die Nau–ni, ksss, ksss, ksss! Schlaf, Kindchen . . . Ab ins Schlafzimmer.

Frau Vockerat hat die Tür hinter der Amme geschlossen, wendet sich, belustigt den Kopf schüttelnd. Z, z! diese Person! aber recht tüchtig ist sie doch deshalb. Ich freu' mich, Käthchen, daß du's so gut getroffen hast.

Frau Käthe. General – liebes Gottchen! Sie lacht. Ihr Lachen wird krampfhaft, schließlich mehr Weinen als Lachen.

Frau Vockerat, erschrocken. Du! – Du!! –

Frau Käthe bezwingt sich.

Frau Vockerat hält Käthe umarmt. Kathinkerle!

Frau Käthe. Mir – ist ja – wirklich nichts.

Frau Vockerat. Jawohl ist dir was. 's is ja weiter kein Wunder, du bist eben noch angegriffen, komm, leg dich paar Minuten.

Frau Käthe. 's is ja – schon wieder gut, Mama.

Frau Vockerat. Aber so streck dich doch nur'n Augenblickchen.

Frau Käthe. Ach, bitte nein – bitte nein! Es muß ja auch gleich gegessen werden.

Frau Vockerat, am Tisch, wo Wein und Kuchen steht, ein Glas mit Wein füllend. Da nimm wenigstens'n Schluck. Koste mal! – Es schmeckt süß. Frau Käthe trinkt. Das stärkt. Nicht?! – Liebes, gutes Kindchen, was machste mir denn für Geschichten? Na, na! Du mußt dich eben noch schonen, weiter is nichts nötig. Und laß gut sein! – Mach dir weiter keine unnötigen Sorgen! – 's wird alles werden. Jetzt habt ihr den Jungen, nu wird alles anders werden. Johannes wird ruhiger werden . . .

Frau Käthe. Ach, wenn nur, Mama!

Frau Vockerat. Denk doch bloß, wie er sich gefreut hat, als der Junge kam. Und er ist doch überhaupt der reine Kindernarr. Verlaß dich drauf. Das ist immer so. 'ne Ehe ohne Kinder, das ist gar nichts. Das ist nichts Ganzes und nichts Halbes. Was hab' ich bloß den lieben Herrgott gebeten, er soll eure Ehe mit einem Kinde segnen. Sieh mal, wie war's denn bei uns: erst haben wir uns hingeschleppt, vier Jahre – ich und mein Mann – das war gar kein Leben. Dann erhörte der liebe Gott unsre Bitten und schenkte uns den Johannes. Da fing unser Leben erst an, Käthchen! Wart nur erst, wenn erst das dumme Vierteljahr wird vorüber sein, was du für Spaß haben wirst an dem Kinde! Nein, nein! Du kannst ganz zufrieden sein. Du hast deinen Jungen, du hast deinen Mann, der dich liebhat. Ihr könnt ohne Sorgen leben. Was willst du denn mehr?

Frau Käthe. Es is ja auch vielleicht Unsinn. Ich seh's ja ein. Ich mach' mir ja manchmal wirklich unnütze Sorgen.

Frau Vockerat. Sieh mal! – du mußt mir aber nicht böse sein! –, du würdest viel mehr Frieden finden, Käthchen, viel mehr – wenn . . . Sieh mal, – wenn ich mal so recht voller Sorgen bin, und ich hab' mich dann so recht inbrünstig ausgebetet, hab' so alles dem lieben Vater im Himmel ans Herz gelegt, da wird mir so leicht, so fröhlich ums Herz . . .! Nein, nein! und da mögen meinetwegen die Gelehrten sagen, was sie wollen –: es gibt einen Gott, Käthchen! – einen treuen Vater im Himmel, das kannst du mir glauben. Ein Mann ohne Frömmigkeit, das ist schon schlimm genug. Aber eine Frau, die nicht fromm ist . . . Sei mir nicht böse, Käthchen! Schon gut, schon gut. Ich rede ja nicht mehr davon. Ich bete ja so viel. Ich bitte Gott ja täglich. Er erhört meine Bitten schon noch, ich weiß es. Ihr seid ja so gute Menschen. Der liebe Gott wird euch auch noch zu frommen Menschen machen. Sie küßt ihre Tochter. Der Choral ist zu Ende. Ach, ich verplaudre mich.

Frau Käthe. Wenn ich doch schon besser fortkönnte. Mamachen, 's is mir schrecklich, so immer nur zuzusehen, wie du dich abmühst.

Frau Vockerat, in der Flurtür. I, das wär' der Rede wert. Das sind ja Ferien hier bei euch. Wenn du ganz gesund sein wirst, lass' ich mich von dir bedienen. Ab.

Frau Käthe will ins Schlafzimmer. Bevor sie noch hinausgeht, kommt Braun aus dem Taufzimmer. Braun, sechsundzwanzig Jahr alt. Gesicht bleich. Müder Ausdruck. Umränderte Augen. Flaumiges Schnurrbärtchen. Kopf fast kahlgeschoren. Kleidung modern, nahezu schäbig-gentil. Braun ist phlegmatisch, meist unbefriedigt, deshalb übelgelaunt.

Braun. So! Während er steht und seinem Etui eine Zigarette entnimmt. Der Schmerz – wäre überstanden!

Frau Käthe. Na, sehen Sie, Herr Braun, Sie haben's ganz gut ausgehalten!

Braun, im Anrauchen. Ich hätte lieber – malen sollen. – Sünde und Schande – solches Wetter um die Ohren zu schlagen.

Frau Käthe. Sie bringen's schon wieder ein.

 

Braun. Äh! wir sind alle durch die Bank Schlappiers! Er läßt sich am Tische nieder. Übrigens, so'ne Taufe hat doch was!

Frau Käthe. Haben Sie Johannes beobachtet?

Braun, schnell. Auffallend unruhig war er?! – Ich dachte immer, 's würde was geben. Ich hatte schon Angst, er würde dem Pastor in die Rede fallen. Ein Stuß war das aber auch, nicht zum Glauben.

Frau Käthe. Aber nein, Herr Braun!

Braun. Das ist doch klar, Frau Käthe! – Ich bin ja sonst ganz zufrieden. Vielleicht mal' ich sogar mal so was. Riesig feine Sache.

Frau Käthe. Machen Sie Ernst, Herr Braun?

Braun. Wenn ich das male, da muß einem aus dem Bilde so'n erinnerungsschwerer Duft entgegenschlagen. So'n Gemisch, wissen Sie, von Weißwein – Kuchen – Schnupftabak und Wachskerzen, so'n . . . So angenehm schwummrig muß ein zumute werden, so jugenddußlig, so . . .

Johannes Vockerat kommt aus dem Taufzimmer. Achtundzwanzigjährig. Mittelgroß, blond, geistvolles Gesicht. Reges Mienenspiel. Er ist voller Unruhe in seinen Bewegungen. Kleidung tadellos: Frack, weiße Halsbinde und Handschuhe.

Johannes seufzt, zieht die Handschuhe ab.

Braun. Na, bist de nu gerührt wie Apfelmus?

Johannes. Kann ich gerade nicht behaupten. Wie steht's mit dem Essen, Käthchen?

Frau Käthe, unsicher. Draußen auf der Veranda, dacht' ich.

Johannes. Wie denn? Ist gedeckt draußen?

Frau Käthe, zaghaft. Ist dir's nicht recht? Ich dachte . . .

Johannes. Käthel, nicht so zimmtig tun! Ich fress' dich nicht auf. – Das is mir wirklich schrecklich.

Käthe, gezwungen fest. Ich hab' draußen decken lassen.

Johannes. Na, ja! Natürlich! – Es is ja sehr gut so. – Als ob ich'n Menschenfresser wäre!

Braun brummt. Äh! Schnauz nicht so!

Johannes, Käthe umarmend, gutmütig. 's is wirklich wahr, Käthe. Du tust immer so, als ob ich so'n richtiger Haustyrann wäre. So'n zweiter Onkel Otto oder so was. Das mußt du dir wirklich abgewöhnen.

Frau Käthe. Dir ist's doch manchmal nicht recht, Johannes . . .

Johannes, aufs neue heftig. Na, wenn auch, das ist doch kein Unglück. Trumpf mir doch auf! Wehr dich doch! Für meine Natur kann ich nichts. Laß dich doch nicht unterkriegen. Ich wüßte nicht, was mir so zuwider wäre, als wenn jemand so geduldig ist, so madonnenhaft . . .

Frau Käthe. Na, reg dich nur nicht unnütz auf, Hannes! Es is ja nicht der Rede wert.

Johannes, sich überstürzend. Oh, oh, oh! Nee, da täuschst du dich gründlich. Ich bin keine Spur von aufgeregt, keine Ahnung. – Es ist wirklich merkwürdig, wie ich immer gleich aufgeregt sein soll. Braun will reden. Na, schön! – Ihr wißt's ja besser. Schluß! Reden wir von was anderem . . . Ach, ja, ja!!

Braun. Mit der Zeit wird's langweilig, das ewige Seufzen und Seufzen.

Johannes faßt sich an die Brust, verzieht das Gesicht schmerzlich. A . . . ach!

Braun. Na, was denn!

Johannes. Gar nichts weiter. – Eben die alte Geschichte. Stiche in der Brust.

Braun. Stich wieder, Hannes.

Johannes. Du, das ist wirklich nicht zum Scherzen. A . . . ach!

Frau Käthe. Ach, Hannes, das darf dich nicht ängstigen. Das ist nichts Schlimmes.

Johannes. Na, wenn man zweimal die Lungenentzündung gehabt hat.

Braun. Das nennt sich nun Offizier der Reserve.

Johannes. Was ich mir dafür koofe.

Braun. Alter Hypochonder. Kohl nicht! Iß was! Die Predigt sitzt dir in den Knochen.

Johannes. Aufrichtig gestanden, Breo . . . du sprichst so von der Taufe . . . Wie ich zu der Sache stehe, weißt du. Jedenfalls nicht auf dem christlichen Standpunkt. Aber's bleibt doch immer 'ne Sache, die soundso vielen heilig ist.

Braun. Aber mir nicht.

Johannes. Das weiß ich. Mir direkt auch nicht. Mir schließlich ebensowenig. Aber du wirst doch noch'n Rest Pietät für 'ne Feier aufbringen, die noch vor . . .

Braun. Du mit deiner Pietät.

Johannes. Hätt'st du nur was davon.

Braun. Vor jedem Knüppel, der einem zwischen die Beine fliegt, möchte man Pietät haben. Gefühlsduselei einfach!

Johannes. Du – nimm mir's nicht übel, wenn ich . . . 'n andermal vertrag' ich's vielleicht besser als gerade heute. Ab auf die Veranda, wo man ihn heilgymnastische Übungen machen sieht. Braun erhebt sich verlegen, lacht unmotiviert.

Frau Käthe, am Nähtisch stehend. Sie haben ihn verletzt, Herr Braun.

Braun, verlegen lächelnd, dann brüsk. Kann mir nicht helfen, ich hasse nun mal alle Halbheit bis in den Tod.

Frau Käthe, nach einer Pause. Sie tun ihm unrecht.

Braun. Aber wieso denn?

Frau Käthe. Ich weiß nicht . . . ich kann mich nicht ausdrücken. Jedenfalls . . . Hannes ringt ehrlich.

Braun. Seit wann ist er denn wieder so schrecklich reizbar, möchte ich wissen.

Frau Käthe. Seit die Sache mit der Taufe schwebt. Ich war schon so froh . . . das hat ihm wieder alle Ruhe genommen, 's is doch nur 'ne Form. Sollte man deshalb den alten Eltern einen so namenlosen Schmerz . . . nein – das ging ja gar nicht. Denken Sie doch mal, so fromme, strenggläubige Menschen. Das müssen Sie doch zugeben, Herr Braun!

Johannes öffnet die Glastüre und ruft herein. Kinder, ich bin etwas gratzig gewesen. Seid fidel! Ich bin's auch. Ab in den Garten.

Braun. Schaf. Pause.

Frau Käthe. So rührend ist er mir manchmal. Pause.

Der alte Vockerat und Pastor Kollin sehr geräuschvoll aus dem Taufzimmer. Vockerat ist in den Sechzigen. Grauen Kopf, roten Bart, Sommersprossen auf Gesicht und Händen. Stark und breit, zur Korpulenz neigend. Er ist schon ein wenig gebeugt und geht mit kleinen Schritten. Er fließt über von Liebe und Freundlichkeit. Heiteres, naives, lebensfrohes Naturell. Pastor Kollin, dreiundsiebenzigjähriger Greis, trägt Käppchen und schnupft.

Vockerat, den Pastor an der Hand hereinführend, mit weicher, schwach belegter Stimme redend. Vielen, vielen Dank, Herr Pastor! Vielen Dank für die Erhebung, tja. Es war mir eine rechte Seelenstärkung, tja, tja. Da bist du ja, liebes Töchterchen. Geht auf Käthe zu, umarmt und küßt sie herzhaft. Nun, meine liebe, liebe Käthe! Glück zu von ganzer Seele! Kuß. Der liebe Gott hat sich wieder mal in seiner großen Güte, tja . . . in seiner unendlichen Güte offenbart. Kuß. Seine Gnade und Güte ist unermeßlich. Er wird nun auch, tja . . . er wird nun auch seine Vaterhand über den Schößling, tja – halten, tja, tja. Zu Braun. Erlauben Sie, Herr Braun, daß ich Ihnen auch die Hand schüttle. Johannes kommt herein, Vockerat ihm entgegen. Nun, da bist du ja auch, Herzens-Johannes. Kuß. Starke Umarmung. Fast lachend vor Rührung. Ich freu' mich für dich. Kuß. Ich freu' mich wirklich. Ich weiß nicht, wie ich dem lieben Gott genug danken soll, tja, tja!

Pastor Kollin, ein wenig zitterig, kurzatmig, drückt feierlich Frau Käthes Hand. Nochmals, Gottes reichen Segen! Drückt Johannes' Hand. Gottes reichen Segen!

Vockerat. Und nun, lieber Herr Pastor, dürfen wir Ihnen mit etwas dienen? Nicht? Oh!

Johannes. Ja, Herr Pastor – ein Glas Wein gewiß. Ich hole eine neue Flasche.

Pastor Kollin. Keine Umstände, hören Sie nur! Keine Umstände.

Johannes. Darf ich Ihnen Weißen oder . . .

Pastor Kollin. Wie Sie wollen, ganz wie Sie wollen. Aber – hören Sie nur! – Beileibe keine Umstände, wenn ich bitten darf. Johannes ab. Inzwischen will ich . . . Er sucht nach seinen Sachen: Hut, Paletot, langer Umschlagschal am Kleiderständer neben der Tür.

Vockerat. Sie werden doch nicht schon gehen, Herr Pastor?

Pastor Kollin. I, hören Sie nur! – Meine Predigt, tja. Wer soll denn morgen meine Predigt halten?

Braun hält des Pastors Paletot zum Anziehen bereit.

Pastor Kollin, in die Ärmel fahrend. Danke – junger Mann!

Frau Käthe. Würden Sie uns nicht die Ehre geben, Herr Pastor, ein einfaches Mittagbrot . . .?

Pastor Kollin, mit Anziehen beschäftigt. Sehr schön, sehr schön – liebe Frau Vockerat! Aber . . .

Vockerat. Mein lieber Herr Pastor, das müssen Sie uns wirklich zuliebe tun.

Pastor Kollin, unsicher. Aber, hören Sie nur! – Hören Sie nur . . .

Vockerat. Wenn wir Sie alle recht schön bitten?

Pastor Kollin. Und das liebe Gotteswort, hehä? das ich morgen predigen soll? Jawohl, – predigen – hören Sie nur – Gottes Wort – morgen. Johannes ist wiedergekommen, gießt Wein ein.

Vockerat nimmt ein Glas, kredenzt es. Nun zunächst . . . Das werden Sie uns doch jedenfalls nicht abschlagen wollen.

Pastor Kollin übernimmt das Glas. Das nicht – nein – hören Sie nur. Also ja – also auf das Wohl . . . auf das Wohl des Täuflings! Es wird angestoßen. Auf daß er ein echtes und rechtes Kind Gottes bleiben möge!

Vockerat, still. Das walte Gott.

Johannes bietet dem Pastor Zigarren an. Sie rauchen doch, Herr Pastor?

Pastor Kollin. Danke, ja! Nimmt Zigarre, schneidet ab. Danke! Nimmt Feuer von Johannes. Pf, pf! Er zieht mit großer Anstrengung. Endlich brennt die Zigarre. Sich umschauend. Schön eingerichtet sind Sie, pf, pf! – sehr geschmackvoll, hören Sie nur! Er sieht sich um, betrachtet die Bilder erst obenhin, dann genauer. Vor einem Bilde, das den Kampf Jakobs mit dem Engel darstellt. Ich – lasse dich – nicht, du – pf, pf! – segnest mich denn. Er brummelt befriedigt.

Frau Käthe, ein wenig ängstlich. Papachen, ich möchte dir vorschlagen . . . im Garten draußen ist's nämlich so reizend jetzt. Viel wärmer wie im Zimmer. Vielleicht gehst du mit Herrn Pastor . . . Ich kann ja die Gläser rausbringen lassen.

Pastor Kollin ist bei den Gelehrtenporträts um den Bücherschrank angelangt. Eine bunte Gesellschaft! Das sind wohl – pf, pf! – Ihre Lehrer, Herr Doktor? Hören Sie nur!

Johannes, ein wenig verlegen. Jawohl . . . das heißt . . . mit Ausnahme von Darwin natürlich.

Pastor Kollin, mit den Augen dicht an den Bildern. Darwin? Darwin? – Ja, so! Darwin! Ach, ja! mhm! Hören Sie nur! Er buchstabiert. Ernst – Haeckel. Autogramm sogar! pf, pf! Nicht ohne Ironie. Der ist also Ihr Lehrer gewesen?

Johannes, schnell, mit Feuer. Ja, und ich bin stolz darauf, Herr Pastor.

Vockerat. Meine Tochter hat recht, lieber Herr Pastor. Es ist draußen viel wärmer. Wenn es Ihnen recht ist. Ich nehme die Gläser und den Wein.

Pastor Kollin. Jawohl! pf, pf! schön! pf, pf! aber nur, hören Sie nur – auf paar Minuten, ja! Während er mit Vockerat abgeht, pikiert. Der Mensch, Herr Oberamtmann! der Mensch ist nämlich, pf, pf! ist nämlich kein Ebenbild Gottes mehr, hören Sie nur. Der Affe nämlich, pf, pf! wollte sagen, die Naturwissenschaft hat herausbekommen . . . Ab auf die Veranda, von der beide Herren, lebhaft gestikulierend, in den Garten hinuntersteigen.

Braun lacht vor sich hin.

Johannes. Weshalb lachst du denn?

Braun. Ich? Weshalb? Ich freue mich.

Johannes. Du freust dich?

Braun. Ja! soll ich nicht?

Johannes. Bitte, bitte! Er geht umher, seufzt und sagt plötzlich zu Käthe, die sich entfernen will. Sag mal, – ich bin wohl etwas anzüglich gewesen?

Frau Käthe. Bißchen, ja!

Johannes, achselzuckend. Tja, Kinder! – da kann ich ihnen nicht helfen. Das vertrag' ich nicht. Es hat alles 'ne Grenze. Wenn sie mich provozieren wollen . . .

Frau Käthe. Na, es war ja immerhin zart.

Johannes. So.

Frau Käthe. Wer weiß, ob er's überhaupt gemerkt hat.

Johannes geht, kratzt sich in den Haaren. 's is mir aber doch unangenehm.

Braun. Hast de doch wieder was zu ärgern, Hannes.

Johannes, plötzlich wütend. Zum Donnerwetter, sie sollen mich in Frieden lassen! Sie sollen's nicht zu weit treiben, sonst – wenn mir die Geduld reißt . . .

Braun. Wär' nit schlecht!

Johannes, gegen Braun. Gesinnungsprotzen seid ihr, weiter nichts. Was kann mir denn dran liegen, dem alten Manne die Wahrheit zu sagen, was denn? Siehst du, wenn du mir so kommst, dann heilst du mich augenblicklich von meinem Ärger. Da wird mir sofort klar, daß es einfach kindisch ist, sich über solche Leute irgendwie aufzuregen. Gerade so, als wenn ich mich darüber aufregen wollte, daß die Kiefer Nadeln und nicht Blätter hat. Objektiv muß man sein, lieber Sohn.

Braun. In der Wissenschaft vielleicht, aber nicht im Leben.

 

Johannes. Ach Kinder! Der ganze Kram ist mir so verhaßt . . . so verhaßt . . . Ihr könnt euch nicht denken, wie. Läuft umher.

Braun, vom Ofen, an dem er gestanden, zum Tisch tretend, Zigarettenrest in den Aschenbecher legend. Mir wohl nicht? Mir auch, oft genug. Aber wenn man deshalb ewig heulen und flennen sollte, Kreuzmillionenschockschwerenot!

Johannes, verändert, lachend. Nee, nee, ereifre dich beileibe nicht! Von ewig heulen und flennen ist gar nicht die Rede. Wenn man auch mal'n bißchen seufzt. Das ist'n bissel Lufthunger, weiter nichts. Nee, nee, ich stehe überhaupt gar nicht so schlecht mit dem Leben, so bankerott wie du bin ich jedenfalls noch lange nicht.

Braun. Kann schon sein.

Johannes. Spielst du Charakter auf?

Braun. Nicht im geringsten.

Johannes. Ach bankerott, bankerott, was heißt überhaupt bankerott! Du bist ebensowenig bankerott wie ich. Wenn ich nur lieber dem Alten und dem Pastor die Laune nicht verdorben hätte!

Frau Käthe, Johannes umarmend. Hannes, Hannes! Fidel, fidel!

Johannes. Und meine Arbeit liegt mir auch auf der Seele. Jetzt hab' ich wieder über vierzehn Tage nichts tun können.

Braun. Du bist feig! Du gestehst dir nicht ein, wie miserabel es ist . . .

Johannes hat nicht gehört. Was?

Braun. Wenn's regnet, is's naß, wenn's schneit, is's weiß, wenn's gefriert, is's Eis.

Johannes. Schaf!

Frau Käthe. Fidel, Hannes! Denk an Philippchen! Wir mummeln uns recht gemütlich ein hier im Winter. – Paß mal auf, wie du da arbeiten wirst.

Johannes. Weißt du schon, Breo, das vierte Kapitel ist fertig.

Braun, interesselos. So?

Johannes. Sieh mal: dies Manuskript! Zwölf Seiten Quellenangabe allein. Das ist Arbeit! nicht? Ich sag' dir, da werden die Perücken wackeln.

Braun. Glaub's schon.

Johannes. Sieh mal, zum Beispiel hier. Er blättert im Manuskript. Hier greif' ich Du Bois-Reymond an.

Braun. Du . . . wahrhaftig, lies jetzt nicht. Ich bin jetzt in einer so faulen Stimmung . . . 'n andermal.

Johannes, resigniert. Natürlich! nee, nee! Ich hatte ja gar nicht die Absicht. Ich . . .

Frau Käthe. Es wird ja auch gleich gegessen.

Johannes. Natürlich! nee, nee! Ich dachte ja auch gar nicht dran, ich wollte ja nur. – Äh! Er legt seufzend das Manuskript in den Bücherschrank zurück.

Frau Käthe. Hannes, fidel, fidel!

Johannes. Aber Käthe, ich bin's ja!

Frau Käthe. Nein, du bist's wieder nicht.

Johannes. Wenn nur ein Mensch in der weiten Welt etwas für mich übrig hätte. Es braucht ja nicht viel zu sein. 'n klein bissel guter Wille. 'n klein bissel Verständnis für meine Arbeit.

Frau Käthe. Du sollst vernünftig sein. Du sollst dir keine Schmerzen machen. Du sollst geduldig sein. Die Zeit wird schon kommen, wo sie einsehen werden . . .

Johannes. Und bis dahin? Glaubst du, daß das leicht ist so ganz ohne Beistand . . . Glaubst du, daß man's aushalten wird so lange?

Frau Käthe. Das glaub' ich. Komm, Hannes, wenn Gedanken einem lästig werden, da muß man machen, daß man davon loskommt. Komm, sieh dir mal Philippchen an. Zu niedlich ist der Junge, wenn er schläft. So liegt er immer. Sie ahmt die Stellung seiner Ärmchen nach. Solche Fäustchen macht er immer. Zum Schießen lustig. Komm!

Johannes, zu Braun. Kommst du mal mit?

Braun. Ach nee, Hannes, ich hab' keenen Sinn für kleine Kinder. Ich geh' 'n bißchen in'n Garten. Ab über die Veranda.

Johannes. Sonderbarer Kerl.

Frau Käthe hat die Schlafzimmertür behutsam geöffnet. Zu niedlich, sag' ich dir! – Psch . . . t, leise! ganz leise . . . Beide ab auf den Zehenspitzen und Hand in Hand.

Frau Vockerat und ein Mädchen waren während des Vorhergehenden damit beschäftigt, den Tisch auf der Veranda zu decken. Plötzlich hört man mit großem Geräusch eine Menge Porzellan auf die Steine fallen und zerschellen. Ein kurzer Schrei wird ausgestoßen, und das Mädchen kommt bleich durch das Zimmer – von der Veranda nach dem Flur – gelaufen. Frau Vockerat erscheint ebenfalls, hinterdreinscheltend.

Frau Vockerat. Aber nein, Minna! Sie machen's auch wirklich zu bunt. Sie zerkrachen auch wirklich alle Tage was. Die schöne Mayonnaise! Mädchen ab durch die Flurtür. Na, bei mir dürfte so was nicht vorkommen. Da sollten die Mädchen was kennenlernen!

Johannes, durch das Geräusch gelockt, aus dem Schlafzimmer. Was ist es denn, Mutterchen? Er umarmt sie beschwichtigend. Ruhig, ruhig! nur ja nicht ärgern, Mutti.

Frau Käthe, durch die Türspalte. Was war denn?

Johannes. Nichts! gar nichts. Frau Käthe zieht den Kopf zurück.

Frau Vockerat. Ich danke schön, gar nichts. Für zehn Mark Geschirr hat se fallen lassen. Gar nichts. Und die ganze schöne Mayonnaise! nee . . . Wehrt Johannes ab.

Johannes. Mutti, Mutti! Essen wir mal keine Mayonnaise.

Frau Vockerat. Nee, nee! Ihr seid viel zu leichtsinnig. Ihr habt's auch nicht zum Wegwerfen. Ihr seid viel zu nachsichtig mit den Mädels. Da wer'n sie bloß übermütig.

Johannes. Na, wenn sie immerfort mit den Sachen umgehen . . .

Frau Vockerat. Ich bin auch kein Tyrann. Ich hab' meine Mädel sechs, sieben Jahre gehabt. Aber was se zerschlagen, das müssen se ersetzen. Freilich, bei euch da kriegen se Baisertorte und Kaviar, nee, nee! Das sind solche neue Ideen. Damit laßt mich zufrieden, hört ihr!

Johannes, heiter. Sei gut, Mutti!

Frau Vockerat. Gut bin ich ja, Junge! Sie küßt ihn. Verrückter Struzel du! Ich sag' schon! Du paßt gar nicht für de Welt.

Man sieht das Mädchen auf der Veranda trockenwischen und Scherben zusammenlesen.

Johannes stutzt. Ja, Mutter! Belustigt. Aber warum machst du denn immer solche . . . solche Augen? solche Angstaugen? solche gespannte?

Frau Vockerat. Ich? Ach, wo denn! was . . .? Ich wüßte gar nicht . . .! Was soll ich denn für Augen machen!

Johannes. Sieh mich noch mal an!

Frau Vockerat. Dummer Kerl! Sieht ihn starr an.

Johannes. So ist's schön.

Frau Vockerat. Dummer Junge! Ich möchte eben, daß du zufrieden wärst, 'n zufriedener Mensch, Hannes!

Johannes. Mutter! das wirst du nie erleben. Die zufriedenen Menschen, das sind die Drohnen im Bienenstock. Ein miserables Pack.

Frau Vockerat. Was nutzt das alles . . .

Johannes, ernster, zugleich bewegter. Der Junge dadrin, der soll mir auch so einer werden, so'n recht Unzufriedener.

Frau Vockerat. Das verhüte Gott, Hannes!

Johannes. Der soll überhaupt'n andrer Kerl werden wie ich. Dafür wer' ich sorgen.

Frau Vockerat. Der Mensch denkt, und Gott lenkt. Wir haben unser möglichstes auch getan.

Johannes. Na, Mutterchen! So'n ganz Mißratener bin ich schließlich auch gerade nicht.

Frau Vockerat. Nein doch! das sag' ich ja nicht! das will ich ja gar nicht . . . Aber du sagst doch selber, Philippchen soll anders werden. Und . . . und . . . sieh mal: du glaubst doch auch nicht . . . Du glaubst doch einmal nicht an den lieben Gott. Du hast doch auch wirklich keine Religion. Das muß ein doch Kummer machen.

Johannes. Religion, Religion! Ich glaub' allerdings nicht, daß Gott so aussieht wie'n Mensch und so handelt und einen Sohn hat und so weiter.

Frau Vockerat. Aber Johannes, das muß man glauben!

Johannes. Nein, Mutter! Man braucht das nicht glauben und kann doch Religion haben. Ein wenig getragen. Wer die Natur zu erkennen trachtet, strebt Gott zu erkennen. Gott is Natur! »Was wär' ein Gott, der nur von außen stieße, im Kreis das All am Finger laufen ließe? Ihm ziemt's, die Welt im Innern zu bewegen«, sagt Goethe, Muttel! und der wußte es besser wie sämtliche Pastoren und Superintendenten der Welt.

Frau Vockerat. Ach, Junge. Wenn ich dich so reden höre . . . 's is doch jammerschade, daß du nicht Theologe geblieben bist. Ich weiß noch bei deiner Probepredigt, was der Diakonus zu mir sagte . . .

Johannes, belustigt. Mutter, Mutter! Vergangne Zeiten!

Die Hausklingel geht.

Frau Vockerat. Die Haustür – is doch offen. Macht ein paar Schritte nach der Flurtür. Es wird an die Flurtür gepocht.

Waschfrau Lehmann, im blauen, verschlissenen Kattunrock, tritt schüchtern ein. Juten Tag.

Frau Vockerat und Johannes, nicht ganz zu gleicher Zeit. Guten Tag, Frau Lehmann.

Frau Lehmann. Ick wollte man bloß mal nachschaun. Nehm S't nich iebel, Frau Vockerat. Ick such' mein'n Mietsherr such' ick schon 'ne janze Zeit.

Johannes. Jawohl, Frau Lehmann. Herr Braun is hier.

Frau Lehmann. Z, z! Sich umschauend. Wer's so haben kann!

Frau Vockerat. Wie geht's Ihn'n, Frau Lehmann?

Frau Lehmann. Ach, Frau Vockerat. Mir hat et nich jut jejehn. Ick hab' mein'n Alten mußt fortjagen. 't jing nich mehr. Ick muß nu halt zusehn, wo ick bleibe mit meine Fünfe.

Frau Vockerat. Was Sie sagen! Aber . . .

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