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Der Kunstreiter, 2. Band

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22

Herr von Zühbig hatte in diesem Morgen außerordentlich lange geschlafen, um sich von den gehabten Strapazen gehörig auszuruhen, war dann in sein Bureau gegangen, um die nötigen und laufenden Geschäfte zu ordnen, und schlenderte danach langsam einem Frühstückskeller zu, eine Erfrischung einzunehmen.

Es war das ein Platz, der ausschließlich von der Hautevolee besucht wurde – Herr von Zühbig wäre auch sonst nicht hingegangen. Besonders fanden sich die Kavallerieoffiziere gern hier des Morgens zusammen, und der Intendant hatte viele Freunde unter dem Militär, dem einst selber angehört zu haben sein Stolz war.

Das höchst elegant eingerichtete Lokal wurde selbst den Tag über von Gasflammen erhellt, da Tageslicht nie hineindringen konnte; weiche Plüschsofas zogen sich an den Seiten hin, und kleine, durch schwere Gardinen abgeschiedene Räumlichkeiten bildeten traulich gemütliche Plätzchen, in denen sich ein paar Zecher hübsch abgesondert von den übrigen halten konnten.

Von Zühbig war aber gesellschaftlicher Natur; er gehörte zu den Persönlichkeiten, die ein stilles, zurückgezogenes Familienleben nur dem Namen nach kennen – wenigstens davon gehört hatten, wenn sie auch nicht daran glaubten, und eigentlich nur, wie der Jäger sagt, »in Rudeln« gefunden werden. Morgens war er in seinem Bureau oder auf der Promenade, bei schlechtem Wetter im Café oder Delikatessenkeller, nachmittags hier und da mit Freunden zusammen, und abends im Theater oder beim Whist. Aus diesem Grunde verschmähte er auch die kleinen abgeschiedenen Lokale, nannte sie »Gefangenzellen« und protegierte den langen Gesellschaftstisch, an dem er hoffen durfte, mit Gleichgesinnten zusammen zu treffen.

Heute hatte er übrigens dazu eine ungünstige Zeit gewählt. Es war noch früh oder schon zu spät für die gewöhnlichen Gäste, und von Zühbig befand sich hinter einem Glas altem Madeira und einem Teller mit Kaviar ganz allein und keineswegs so gemütlich, wie er es erwartet haben mochte. Vergebens hatte er auch, in einer Art von Instinkt, dann und wann nach den Fenstern geschaut, ob nicht etwa Ankömmlinge sein Los erleichtern wollten. Die Fenster waren nämlich bloß Imitationen von wirklichen, tatsächlichen Lichtverbreitern; sie bestanden aus Spiegelglas und warfen ihm stets nur sein eigenes unzufriedenes Bild zurück.

»Garcon!« rief Herr von Zühbig.

»Zu Befehl, Ew. Gnaden.«

»Der Madeira ist heute abominabel – der muß auf einem Heringsfaß gelegen haben.«

»Bitte tausendmal um Verzeihung, Ew. Gnaden – er hat in Flaschen dreimal die Linie passiert.«

»So? – in der Tat? dann ist er oder ich jetzt an der andern Seite vom Aequator – aber Sie sprechen wahrscheinlich von dem Kaviar. Der schmeckt wirklich so, als ob er dreimal die Linie passiert haben könnte. Er ist ganz ranzig.«

»Der beste russische, der nur zu bekommen war.«

»Ein hartes Brötchen haben Sie mir auch dazu gegeben, und die Zitrone hier hat wahrscheinlich eine ägyptische Mumie einige tausend Jahre zur Verzierung in der Hand gehalten. Mit solchen Waren ist es kein Wunder, daß die Gäste ausbleiben, und ich scheine hier als letzter der Mohikaner die Reste zu verzehren. Fürchten Sie sich nicht, den Keller hier so allein zu bewohnen?«

Der Kellner lächelte verlegen, und Herr von Zühbig trank seinen Madeira aus und schob das Glas von sich.

»Geben Sie mir noch einen Schnitt, aber aus einer andern Flasche; ich fürchte, diese ist aus Versehen irgendwo zurückgeblieben, als ihre Kameraden auf Reisen gingen.«

»Herr von Zühbig – richtig wie ich gehofft,« sagte in diesem Augenblick eine feine Stimme, und durch die halbgeöffnete Tür schaute das vergnügte Gesicht des Baron Silberglanz, während er jetzt ins Zimmer glitt und, von dem Kellner unterstützt, Hut und Paletot ablegte.

»Wirklich noch ein Mensch!« rief der Intendant. »Mein guter Baron, Sie sind wohl auf einer Entdeckungsreise begriffen, mich, als einen Verschollenen, irgendwo an den unwirtlichen Ufern des Eismeeres aufzusuchen. Sie kommen zur rechten Zeit – eine Hundekälte herrscht überhaupt hier, und ich habe mich in Ermangelung eines Bessern die letzte Zeit über schon mit Fischeiern und Tran, welchen jener junge scherzhafte Mensch Madeira nennt, ernähren müssen.«

»Ich habe Sie in der Tat gesucht, bester Intendant,« sagte der Baron, indem er sich neben Herrn von Zühbig niederließ. – »Garcon, mir auch von diesen Fischeiern und Tran – und war schon auf Ihrem Bureau, um Sie dort zu finden.«

»Aus reiner Anhänglichkeit oder aus einem andern Grunde?«

»Beides – zuerst wollte ich mich erkundigen, wie Ihnen die Fahrt bekommen ist.«

»Vortrefflich, wie Sie sehen; ich habe sogar eine so robuste Konstitution mitgebracht, daß ich imstande bin, die Kost hier zu vertragen. Darüber also beruhigt, mit was kann kann ich Ihnen weiter dienen?«

»Ja, mein bester Herr von Zühbig – Sie – Sie wissen doch, daß ich Sie schon früher gebeten hatte, mir sicher für die neue Oper eine Loge reservieren zu lassen?«

»Allerdings.«

»Das wollte ich Ihnen gern noch einmal ans Herz legen, daß Sie es ja nicht vergäßen. Ich habe es einer befreundeten Familie fest versprochen und möchte nicht wortbrüchig werden.«

»Das ist allerdings viel Aufopferung,« versicherte Herr von Zühbig, »daß Sie sich, nur um ein Versprechen zu halten, dem hiesigen Madeira und Kaviar aussetzen. Weiter war es nichts?«

»Weiter? – nein – nicht daß ich wüßte – Ihre Gesellschaft allerdings ausgenommen« – von Zühbig verbeugte sich leicht und lächelnd. »Allein schmeckt mir der Wein auch nicht,« fuhr der Baron fort, »und es plaudert sich am besten zu zweien. Apropos, haben Sie auf Ihrer letzten Reise einige Jagden mitgemacht?«

»Nein, Sie wissen ja, ich hatte keine Zeit dazu.«

»Sonst – haben Sie keine Bekannten unterwegs getroffen?«

»Sonst? – ah so, Sie meinen außer dem Monsieur Bertrand und seiner schönen Frau,« erwiderte Herr von Zühbig, und ein eigenes Lächeln zuckte um seine Lippen. Er wußte jetzt, wo hinaus sein teilnehmender Freund wollte, und mit einigem trocknen Humor, den er besaß, fühlte er sich gerade in der Stimmung, ein halb Stündchen Zeit damit zu töten, Herrn von Silberglanz ein wenig zu dupieren. Er konnte ihn außerdem nicht leiden – vielleicht nur weil ihn Frau von Zühbig protegierte – vielleicht, weil er im stillen den neugebackenen Adel mit Geringschätzung betrachtete. Viele, sehr viele der Hautevolee, Herr von Zühbig nicht ausgenommen, würden sich auch wenig um den jungen Baron mit seinem unangenehm eitlen Wesen gekümmert und ihn vollständig links liegen gelassen haben, wenn – sie ihn eben hätten entbehren können. Herr von Silberglanz war aber sehr reich und gegen den hohen Adel – zu dem zu gehören er den größten Stolz fühlte – sehr liberal, und die Konsequenz daraus ist leicht zu ziehen.

Herr von Zühbig brauchte ebenfalls sehr häufig Geld, und je nachdem dieses Bedürfnis stieg oder sank, stieg und sank auch zugleich sein Freundschaftsthermometer für den Baron. Ganz fallen lassen konnte er ihn aber nie, und unter vier Augen oder im kleinen Familienkreise war er die Herzlichkeit selber; öffentlich jedoch machte er keinen Staat mit ihm und vermied ihn, wo es nur irgend schicklicherweise geschehen konnte.

»Nein, lieber Freund,« setzte von Zühbig deshalb, wie sich besinnend, hinzu, »nicht daß ich wüßte. Keinesfalls irgend eine hervorragende Persönlichkeit, für die Sie sich besonders interessieren würden.«

»Eigene Sache das, mit jenem Monsieur Bertrand und seiner Frau!« sagte Silberglanz nach einer kleinen Pause, in der er an seinem Madeira langsam gesogen.

»Höchst eigen, in der Tat!« erwiderte von Zühbig, seinem Beispiele folgend.

»Daß sich der Mann zu einer solchen Rolle hergibt!«

»Er wird es bald satt bekommen.«

»Und die Frau?«

»Hat es schon lange satt.«

»Glauben Sie wirklich?«

»Lieber Silberglanz, von glauben kann keine Rede mehr sein, wenn es einem mit dürren Worten gesagt wird.«

»Aber das erwähnten Sie doch nicht?«

»Weil ich vor meiner Frau von jener Georgine so wenig wie möglich sprechen wollte, denn das arme Kind ist fabelhaft eifersüchtig und oft ohne den geringsten Grund; wahrhaftig, Baron, ohne den geringsten Grund. Apropos, Silberglanz, Sie Schelm Sie! ich habe ja gar nicht gewußt, daß Sie in so genauer Verbindung mit der Bertrand gestanden haben.«

»Ich, lieber Zühbig? Bitte, sprechen Sie nicht so laut, der Kellner da drüben spitzt die Ohren schon, das – war auch gar nicht der Fall.«

»Bst, bst, Männchen, keine Flausen!« drohte ihm von Zühbig lächelnd mit dem Finger, »wenn eine Frau einmal das eingesteht, was mir die schöne Georgine eingestanden hat, da ist's nachher nicht mehr richtig, und mir machen Sie in der Hinsicht nichts mehr weis. Aber was geht's mich an! das ist eine Sache, die jeder mit sich selber auszumachen hat, und ich wäre der letzte, der Sie deshalb tadelte.«

»Aber was hat sie Ihnen nur gesagt?« flüsterte der Baron, dem jetzt selber daran lag, etwas zu erfahren, von dem er fast überzeugt war, daß es ein Mißverständnis sein müsse, hätte ihn von Zühbigs Ruhe und Sicherheit nicht wieder irre gemacht. »Was kann sie Ihnen um Gottes willen gestanden haben?«

»Daß sie sich unglücklich in dem Verhältnis fühle, und daß ihr ein Freund fehle!« flüsterte von Zühbig.

»Ein Freund?«

»Ja – noch einer,« sagte der Intendant. »Zwei hat sie, die scheinen ihr aber noch nicht genug zu sein – sie sagte, sie müßte jemanden haben, der es ehrlich mit ihr meinte.«

»Ehrlich?«

»Nun, das sind die Redensarten.«

»Aber was habe ich damit zu tun?«

»Sie sagte mir ferner,« fuhr von Zühbig fort, »daß sie hier in der Residenz eine Bekanntschaft gemacht habe – aber Verhältnisse wären damals störend dazwischen getreten – sie nannte keinen Namen, aber sie versicherte mir, das sei ein Ehrenmann gewesen.«

 

»Da war ja aber von mir noch immer keine Rede.«

»So? aber kurz vorher hatte sie mich gefragt, ob ich einen gewissen Baron von Silberglanz in der Residenz kenne, und als ich es bejahte und ihr versicherte, daß er zu meinen speziellen Freunden gehöre, wurde sie so rot, wie Blut nur machen kann.«

»In der Tat?«

»Und als ich fortging und uns ihr – Mann einen Augenblick verlassen hatte, trug sie mir wohl keinen Gruß an Sie auf, he? und hat mir wohl nicht dabei freundlich gesagt, ich möchte den Namen ihres stillen Aufenthalts Schildheim nicht vergessen?«

»Hat sie das in der Tat?« sagte von Silberglanz, und wie in Gedanken leerte er sein Glas Madeira und schlug mit dem Messer daran, es von dem herbeischnellenden Garcon wieder füllen zu lassen.

»Ich denke doch,« sagte von Zühbig, als der Kellner mit dem Glase durch die Büfettür verschwunden war, »daß eine Dame eigentlich nicht gut mehr zu verstehen geben könnte.«

Baron von Silberglanz schüttelte lächelnd mit dem Kopfe. »Und doch haben Sie die Donna falsch verstanden,« sagte er, »sie hat mich auf keinen Fall damit gemeint – wahrscheinlich den Grafen selber. Sie weiß, daß Sie mit ihm befreundet sind, und wünscht, allem Vermuten nach, ihn auf eine feine Weise wissen zu lassen, daß sie – eben Langeweile hat.«

»Lieber Freund!«

»Ich gebe Ihnen mein Wort, nicht anders. Und wenn's wirklich anders wäre, was hilfe es mir. Jener Ort – Schildheim nannten Sie ihn?«

»Jawohl.«

»Nun ja, jener Ort liegt Gott weiß wie weit von hier entfernt – im Mecklenburgischen, nicht wahr?«

»Allerdings.«

»Nun sehen Sie, und vielleicht weit von einer Eisenbahn?«

»Etwa sechs Stunden zu fahren.«

»Entsetzlich – aber das ist ja kaum möglich. Da irren Sie sich, lieber Zühbig. In letzter Zeit sind mehrere Eisenbahnen dort gebaut, daß man wohl kaum sechs Stunden von einem Gleis zum andern hat. Sechs Stunden vielleicht zu gehen.«

»Bitte um Verzeihung; zu fahren.«

»Wie heißt denn die nächste Station?«

»Kolbendorf,« erwiderte von Zühbig, und mußte sich Mühe geben, das Lächeln zu verbergen, das ihm wider Willen um die Lippen zuckte. Er durfte natürlich nicht merken, daß von Silberglanz alle nötigen geographischen Kenntnisse unter der Hand zu sammeln wünsche.

»Lauter fremde Namen,« sagte der Baron gleichgültig. »Ja, wenn der Ort auf meinem Wege nach Paris läge, machte ich vielleicht des Spaßes halber auf der Hin- oder Rückreise einen Abstecher da hinüber.«

»Wollen Sie nach Paris, Baron?«

»Ich muß dahin – in Geschäften für meinen Papa, den alten Baron. Die Zeit ist aber noch nicht bestimmt und hängt eben von Umständen ab. Wahrscheinlich werde ich den Rest des Winters dort zubringen.«

»Ach, da beneide ich Sie; wer da mit könnte!« seufzte von Zühbig, indem er von seinem Sitze aufstand und an sein Glas schlug.

»Sie wollen schon fort?«

»Ja, ich werde nervös, wenn ich noch länger hier in dem einsamen Keller sitzen bleibe. Ich habe schon jetzt ein Gefühl, als ob wir durch irgend einen tückischen Zufall verschüttet wären und nun erst, nach einigen tausend Jahren, bei gelegentlicher Bohrung eines Brunnens als getrocknete Ueberreste eines vorsündflutlichen Menschengeschlechts wieder an die freie Luft gebracht würden. Hier, Garcon, für Ihren frischen Madeira und alten Kaviar der Sündenlohn – das für Sie, für schlechte Behandlung – au revoir.«

»Danke untertänigst,« lächelte der Kellner.

»Aber so warten Sie doch nur einen Moment!« rief von Silberglanz, seinen Wein rasch austrinkend, »ich begleite Sie.«

»Sehr wohl,« sagte von Zühbig, dem daran nicht einmal besonders viel lag; der Baron war aber bald an seiner Seite, und die beiden Männer stiegen zusammen die Kellertreppe hinauf, die sie wieder in Licht und Sonnenschein und an die frische, wenn auch kalte Luft führte.

Als sie das Trottoir betraten, ritt ein Kürassieroffizier im Schritt vorüber, ohne sie jedoch zu sehen. Er hielt den Zügel locker in der Hand und sah ernst und schweigend, den Kopf weder rechts noch links drehend, vor sich nieder.

»Graf Geyerstein,« flüsterte der Baron seinem Begleiter zu, und als ob der Graf seinen ausgesprochenen Namen gefühlt habe, denn die Klänge des gelispelten Wortes konnten sein Ohr nicht erreichen, drehte er langsam den Kopf nach ihnen um. Die beiden Herren lüfteten die Hüte; der Graf erwiderte den Gruß, indem er seinen Arm nur etwas hob, und ritt vorbei.

»Wetter auch,« sagte von Zühbig, »wie blaß und elend Geyerstein geworden ist, seit ich ihn nicht gesehen habe! Ich hätte ihn fast gar nicht wiedererkannt.«

»Sehnsucht nach Urlaub vielleicht,« schmunzelte Silberglanz. »Es geht doch nichts über eine freie, ungebundene Existenz.« Und seinen Arm vertraulich in den von Zühbigs legend, wollte er mit ihm die breite Hauptstraße hinaufschlendern. Daran lag aber diesem nichts.

»Sie wollen dort hinauf?« sagte er.

»Wohin Sie gehen; die Richtung ist mir vollkommen gleichgültig. Bis zum Diner habe ich weiter gar nichts vor.«

»Aber ich desto mehr, bester Freund,« erwiderte der Intendant. »Sie haben recht, es geht nichts über eine freie, ungebundene Existenz, ich aber gehöre mit zu jenen armen, geknechteten Menschenkindern, die nicht einmal eine eigene Zeit besitzen. Ich muß noch einmal auf mein Bureau, um einige Briefe zu beantworten.«

»Schön, dann begleite ich Sie wenigstens bis zur Tür,« sagte der nicht so leicht abzuschüttelnde Silberglanz, und dagegen konnte Herr von Zühbig nichts einwenden. Das Theater lag aber nur eine sehr kurze Strecke von dort entfernt, und hier verabschiedete sich denn wirklich der Baron, irgendwo auf der Promenade einen andern Bekannten aufzutreiben, dem er sich in Ermangelung Zühbigs anhängen konnte.

23

Wir haben Georg verlassen, als damals der alte Tobias auf seinen Befehl aus dem Hofe gejagt wurde. Damit war er allerdings für den Augenblick den Burschen los; daß dieser aber, über die Behandlung wütend und von Branntwein und Aerger aufgeregt, ins Dorf hinabgehen und dort sein Geheimnis ausschreien würde, ließ sich voraussehen – und was dann? Wie unangenehm mußte selbst hier auf dem Gute Georgs Stellung werden, wenn die Bauern von Schildheim, ja, seine eigenen Knechte erfuhren, daß er unter einem angenommenen Namen hierher gekommen wäre! und wie erst sollte sich sein Verhältnis zu den benachbarten Gutsbesitzern stellen, wenn aus dem Baron von Geyfeln der frühere Kunstreiter Monsieur Bertrand wurde? Er selber hätte sich vielleicht darüber hinweggesetzt, aber würde Georgine dieses einsame Leben ertragen, wenn sie von da an nur auf ihre eigene Familie angewiesen blieb?

Selbst der frühere Besuch von Zühbigs – wenn auch seit der Zeit Wochen vergangen waren – kam ihm wieder ins Gedächtnis und zeigte ihm mehr und mehr, daß sein Geheimnis bald kein Geheimnis mehr bleiben würde. Die Bosheit des alten Possenreißers und der Zufall hatten sich in die Hände gearbeitet, und er sah mit recht bitteren, sorgenden Gefühlen der Zukunft entgegen.

Vor allem mußte er aber jetzt erfahren, was unten im Dorfe vorgefallen sei oder noch geschehe, und er schickte deshalb den Verwalter mit einem gleichgültigen Auftrage zum Sternenwirt hinunter. Dort sollte er nebenbei anfragen, ob Mühler im Krug noch eingekehrt oder seinen Weg gleich weiter gezogen sei.

Das abgemacht, setzte er sich hin und schrieb einen ausführlichen Brief über die Erlebnisse der letzten Wochen, besonders über sein Begegnen mit Herrn von Zühbig, an Wolf und sprach darin die Befürchtung aus, daß seine Stellung hier nicht lange mehr haltbar sein würde; denn zogen sich die benachbarten Gutsbesitzer von ihm zurück, so sah er voraus, wie unglücklich sich Georgine fühlen und ihm das Leben dann auf jede Art verbittern würde. In dem Briefe teilte er aber auch dem Bruder mit, daß ihn Karl, der Neffe des Alten, heimlich verlassen habe und er jetzt fest entschlossen sei, nach dem Vorhergegangenen, möge sich Georgine darüber gebärden, wie sie wolle, den alten Mühler selbst nicht wieder bei sich aufzunehmen.

Den Brief sandte er durch einen besonderen Boten auf die nächste Postexpedition, sagte aber Georginen noch nichts von dem Vorfalle mit ihrem Vater. Da der Alte, wie es nicht anders sein konnte, das Geheimnis Georgs ausgeplaudert hatte, so war es mehr als wahrscheinlich, daß er selber gar nicht beabsichtigte, zurückzukehren, und in dem Falle vermied Georg eine fatale Erörterung mit der überhaupt leicht reizbaren Frau. Solange das umgangen werden konnte, sollte es geschehen.

Ungelegen kam ihm in dieser Zeit gerade eine kleine Reise, die er in Geschäften machen mußte. Diese betraf aber seinen Getreideverkauf und ließ sich nicht länger aufschieben, und die Abreise war schon auf den nächsten Morgen angesetzt. Die Vorbereitungen dazu nahmen auch jetzt seine Zeit in Anspruch, und damit beschäftigt, suchte er das unangenehme Gefühl zu bewältigen, das ihn immer und immer wieder beschleichen wollte, wenn er an den letzten Auftritt mit dem alten Trunkenbold zurückdachte.

Der Verwalter war indessen in das Dorf hinabgegangen und erfuhr dort bald Mühlers letzte Erlebnisse in Schildheim. Ohne daß er eine Frage danach tat, erzählte ihm der Wirt, wie der »Schwiegervater vom Gute« heute nachmittag bei ihm vier Flaschen Wein mit dem faulen Tobias getrunken und – nicht bezahlt habe, und dann mit einem Bündel in der Hand den Weg am See entlang marschiert sei. Er wollte dabei vom Verwalter wissen, ob der Schwiegervater wiederkomme oder nicht; der Verwalter beruhigte ihn indes darüber, denn seines Wissens hatte Mühler allerdings nur eine kleine Reise vor, von der er vielleicht schon in zwei oder drei Tagen zurück wäre. Vom Krug aus ging der Verwalter, ehe er nach dem Gute zurückkehrte, am Bache hinauf. Er hatte dort in der letzten Woche Weiden schneiden lassen und wollte sehen, was da noch zu tun wäre. Der Bach war durch die letzte milde Witterung ziemlich angeschwollen. Das Wetter änderte sich aber; seit Mittag wurde die Luft auffällig kälter, und einzelne Flocken aus dem grauen Himmel verkündeten einen Schneefall für die Nacht. Der Verwalter schritt rasch am Bache entlang, ohne sich länger als irgend nötig an den einzelnen Stellen aufzuhalten, und dort angelangt, wo das schmale Wasser eine scharfe Biegung nach Norden machte, wollte er sich eben wenden und in gerader Richtung wieder nach dem Gute hinaufschneiden, als seine Aufmerksamkeit auf einen in seinem Wege liegenden Gegenstand gelenkt wurde. Es war ein alter Hut, der dort, unter einem Weidenbaume auf der Wiese, etwa drei oder vier Schritt vom Wasser entfernt, lag. Er blieb einen Augenblick dabei stehen und drehte ihn mit dem Fuße um; die fragliche Kopfbedeckung sah aber so schäbig und abgenutzt aus, daß er sich nicht zu wundern brauchte, wenn den der Eigentümer in Ekel fortgeworfen hatte – eher war es ein Rätsel, daß er ihn noch so lange getragen. Die Schneeflocken wurden auch schärfer, der Wind setzte mit größerer Härte ein, und seine Hände in die Taschen schiebend, eilte er, so rasch er konnte, den schützenden Gebäuden des Gutes wieder zu.

In der Nacht fiel ein tüchtiger Schnee. Der Förster schickte allerdings einen Boten aufs Gut, daß er zwei Füchse stecken habe, und ob der Herr Baron nicht herauskommen wolle, diese zu schießen; Georg aber hatte seine Abreise auf neun Uhr festgestellt, und der Schlitten hielt zur bestimmten Zeit vor der Tür.

Georg hatte mit seiner Frau schon am vorigen Abend seine Reise und die Zeit seiner Abwesenheit besprochen. Als er an diesem Morgen von ihr Abschied nehmen wollte, war sie gerade mit Ankleiden beschäftigt und ließ sich nicht darin stören. Georg ging zu Josefinen hinüber, um ihr Adieu zu sagen. Die Kleine saß bei ihrer Erzieherin am Schreibtisch und arbeitete fleißig. Der Vater nickte ihr freundlich zu und trat dann, während Mademoiselle Adele aufstand, näher zum Tische.

»Es tut mir leid, daß ich Sie störe, Mademoiselle! bitte, behalten Sie Ihren Platz – aber ich werde drei oder vier Tage in Geschäften abwesend sein und wollte nur Josefinen Adieu sagen. Leider bin ich gerade in der letzten Zeit gar zu sehr beschäftigt gewesen, mich viel mit ihr abzugeben. Sind Sie noch zufrieden mit ihr?«

»Recht sehr zufrieden,« antwortete das junge Mädchen aus vollem Herzen. »Josefine ist ein braves Kind und macht mir viel, viel Freude; ich darf das wohl in ihrem Beisein sagen.«

»Sie glauben nicht, Mademoiselle, wie große Freude Sie mir mit dieser Nachricht machen, und dir, Josefine, danke ich besonders dafür. Leid hat es mir bis jetzt auch immer getan, daß du so allein, ohne Spielgefährtin, besonders den langen Winter hier verbringen mußtest, und ich will dir jetzt zeigen, daß ich auch dankbar für dein gutes Betragen sein kann. Sie werden bald noch einen Zögling bekommen, Mademoiselle. Der Geistliche in Sostheim ist gestorben. Sie wissen, er war schon ein Jahr Witwer und hat ein Töchterchen in Josefinens Alter hinterlassen. Das arme kleine Wesen ist dort von der Gemeinde einer Familie zugeteilt worden, in der es sich nicht wohl fühlt, sich nicht wohl fühlen kann. Ich habe deshalb beschlossen, es zu mir zu nehmen und mit meinem Kinde zu erziehen. Meine Frau ist allerdings noch nicht damit einverstanden und glaubt vielleicht, daß wir dadurch zu große Verantwortlichkeit auf uns nehmen. Sie wird sich aber leicht darein finden, wenn sie die liebe kleine Marie erst kennen lernt.«

 

»Marie heißt sie?« rief Josefine rasch und errötend.

»Ja, mein Kind.«

»Und ich will ihr gern,« sagte Adele herzlich, »die Mutter zu ersetzen suchen, soweit das in meinen Kräften steht. Ich glaube auch mit Ihnen, Herr Baron, daß solche Gesellschaft einen glücklichen und segensreichen Einfluß auf Ihre Tochter ausüben wird – nicht gerechnet das gute Werk, das Sie an der verlassenen Waise üben.«

»Ich komme jetzt dort in die Nähe,« fuhr Georg fort, »und werde das Kind wahrscheinlich gleich mitbringen. Haben Sie die Güte, alles vorzubereiten, daß es hier eine freundliche Heimat findet. Und du wirst gut mit deiner neuen Schwester sein, Josefine?«

»O gewiß, Papa, gewiß,« rief die Kleine, die Hände zusammenschlagend, »ich freue mich so sehr – so sehr auf die – Marie!«

»So bleibe denn hübsch brav, bis ich wiederkomme, und folge der Mademoiselle in allen Dingen. Sie meint es gut mit dir. Ich selber,« wandte er sich dann an die Erzieherin, »werde in drei, spätestens vier Tagen zurück sein, leben Sie wohl bis dahin.« Und seiner Tochter freundlich zunickend, verließ er das Zimmer.

»Wird der Schlitten gehen?«

»Gewiß,« sagte der Kutscher, »trotz dem Tauwetter ist doch noch alter Schnee genug liegen geblieben, und heute nacht hat es eine tüchtige Partie frischen darauf geworfen. Jedenfalls geht es besser als der Wagen.«

Georg stieg ein und warf noch einen Blick nach den Fenstern hinauf. Die Georginens waren verhängt, und Fräulein Adeles Zimmer lag nach dem Garten hinaus, aber sie war mit der Kleinen in die dem Hofe zunächst liegende Stube gekommen, um den Vater abfahren zu sehen. Das Fenster wurde geöffnet, und Josefine bog sich heraus und winkte fröhlich herab. Der Vater grüßte hinauf, und der Schlitten klingelte lustig zum Tor hinaus der breiten, weißgedeckten Straße folgend, und zwar in der entgegengesetzten Richtung von Schildheim fort.

Etwa eine Stunde vom Gute entfernt, begegnete der Schlitten einem leichten Reisewagen. Ein einzelner Herr saß darin, aber so bis unter die Augen in Pelz eingehüllt, daß man seine Züge nicht erkennen konnte. Georg achtete auch nicht auf ihn, denn andere Dinge gingen ihm im Kopfe herum, als sich um gleichgültige Reisende zu bekümmern. Der Fremde aber bog sich, als er an ihm vorüber war, rasch aus dem Wagen hinaus und sah ihm nach, so lange er den Schlitten noch erkennen konnte, dann sich zu seinem Kutscher wendend, sagte er: »Kanntest du den Herrn, der da eben an uns vorüberfuhr?«

»Das war der Baron vom nächsten Gute Schildheim,« erwiderte der Mann. »Vom Dorfe Schildheim, wohin ich Sie fahren soll, liegt es kaum zehn Minuten oder ein Viertelstündchen entfernt. Sie wollten wohl den Herrn Baron besuchen?«

»Nein,« sagte der Fremde, »überdies bleibe ich einen Tag in Schildheim, und wenn ich ja noch hinübergehen wollte, ist er bis dahin jedenfalls zurück. Er wird wohl nur auf die Jagd gefahren sein.«

Die Sache interessierte den Kutscher zu wenig, und er antwortete nichts darauf, hieb dagegen auf seine Tiere ein, um sobald wie möglich aus dem ihm immer schärfer entgegenwehenden Nordwinde und in die warme Stube zu kommen, wo er die Gewißheit eines Rasttages hatte. Die Pferde griffen tüchtig aus, und bald konnten sie von weitem die roten Dächer des kleinen freundlichen Ortes und die weite Fläche des Sees durch die Bäume herüber schimmern sehen. Der Wagen rollte jetzt in dem flachen Tale hin, und der Kutscher, nach links hinauf deutend, sagte: »Da drüben liegt das Gut, das der Herr Baron gepachtet hat.«

»So? – das ist Schildheim?« sagte der Fremde mit großem Interesse, »also sind wir jetzt auch gleich im Dorfe?«

»Wird nicht mehr lange dauern – da vorn liegt's schon,« sagte der Kutscher, und während er mit leisem Schnalzen die Peitsche schwang, legten sich die Pferde von selber mehr in den Zug, als ob sie den ihrer wartenden Hafer und den warmen Stall schon witterten. Es dauerte auch nicht lange, so erreichten sie die ersten Außengebäude, und bald darauf hielt das leichte Fuhrwerk vor dem Stern, an dem sie der Wirt mit abgezogenem Käppchen bewillkommnete und Gast wie Pferden vortreffliches Unterkommen versprach. Zu gleicher Zeit kam von der andern Seite die Briefpost durch das Dorf, hielt am Wirtshause, um die Briefe für Dorf und Gut abzugeben, und rasselte dann weiter. Ein Knecht aber, der um diese Zeit immer vom Gute herabgeschickt wurde, etwa eingetroffene Briefe und Zeitungen in Empfang zu nehmen, tat die erhaltenen Papiere in einen hierzu bestimmten ledernen Beutel und wollte damit ungesäumt nach Hause zurückkehren, als er von jemandem angerufen wurde. Er drehte sich nach der Stimme um und sah den Schulzen mit dem Müller und noch zwei anderen Bauern, die ihm winkten und dann zu ihm herankamen.

»Hör' einmal, Gottlieb,« sagte der erstere, als sie nahe genug waren, sich verständlich zu machen, »was habt Ihr denn gestern auf dem Gute mit dem Tobias angefangen?«

»Wir?« lachte der Knecht, »an die Luft haben wir ihn gesetzt, wie es uns der gnädige Herr geheißen!«

»Wieso, an die Luft gesetzt?«

»Nun, vors Tor gebracht und laufen lassen. Er war so betrunken, daß er kaum stehen konnte. Hat er uns verklagt?«

»Nein, das nicht,« sagte der Schulze, »habt Ihr ihm weiter nichts zuleide getan?«

»Nicht das geringste,« erwiderte der Knecht. »Er schimpfte wohl und räsonnierte in einem fort; aber was ist mit einem besoffenen Menschen anzufangen?«

»Und was machte er, als Ihr ihn vor das Tor setztet?«

»Erst schimpfte er und wollte wieder zurück, dann aber, als wir ihm drohten, drehte er sich um und torkelte seiner Wege. Wir haben uns nicht weiter um ihn bekümmert.«

»Und der Baron auch nicht?«

»Der Baron?«

»Hat sich auch nicht weiter um ihn bekümmert?«

»Wird sich der mit dem betrunkenen Menschen einlassen!« lachte der Knecht. »Was ist denn aber los, daß ihr alle miteinander so lange Gesichter schneidet?«

»Weiter nichts,« sagte der Müller, »als daß mein Schwiegervater, seit Ihr ihn oben aus dem Gute gejagt habt, nicht wieder, weder hier im Dorfe noch irgendwo anders gesehen worden ist.«

»Und er wäre die Nacht nicht nach Hause gekommen?«

»Mit keinem Schritt.«

»Und im Wirtshause ist er auch nicht gewesen?«

»Nein.«

»Dann ist er sicher unter irgend einem Baume umgefallen und eingeschlafen,« meinte der Knecht, »aber jedenfalls hätte ihn doch heute morgen die Kälte wecken müssen.«

»Wenn ihn die Kälte die Nacht über nicht umgebracht hat,« sagte der Schulze. »Weshalb habt Ihr ihn denn vom Hofe gejagt?«

»Ich weiß es nicht,« erwiderte Gottlieb, »er ist wohl unverschämt gegen den gnädigen Herrn gewesen, denn er war oben bei ihm im Zimmer und hatte ein schrecklich großes Maul, wie uns der Baron hinaufrief; der war aber ganz ruhig und befahl uns nur, wir sollten den Besoffenen vors Tor bringen und nicht wieder ins Gut lassen.«

»Na, Müller,« sagte der Schulze, »wenn ihm wirklich etwas Menschliches begegnet wäre, könntet Ihr Euch trösten – und das Dorf auch. Freude hätten wir an dem Tobias nicht mehr erlebt.«

»Das ist wohl wahr,« sagte der Müller, »und die Haare würde ich mir deshalb nicht ausraufen. Es bleibt aber doch immer meiner Frau Vater, und daß mir die Leute später nachsagten – wenn's auch nicht wahr wäre – daß ich ihn draußen auf der Straße hätte liegen und umkommen lassen, das könnt Ihr ebenfalls glauben.«

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