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Der Kunstreiter, 3. Band

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»Josefine!« flüsterte eine so wohlbekannte Stimme an ihrer Seite. Staunend, erschreckt sah sie auf, und wie ihre Hand fast unwillkürlich, und mehr um sich zu halten, als aus einem andern Grunde, den Zügel faßte, rief sie: »Vater – du – du hier?«

»Willst du mit mir gehen?«

»Wohin du mich führst!«

»So komm – rasch – spring herüber!« rief der Mann, vor innerer Bewegung kaum fähig, die Worte über die Lippen zu bringen.

»Den Teufel auch – der Alte!« schrie es da, und Georg sah, ehe Josefine imstande war, ihre Sinne so weit zu sammeln, daß sie begriff, was ihr Vater von ihr wollte, wie sich einer der Reiter durch die übrigen drängte. – Es war Karl, der in diesem Augenblick frei aus dem Zuge, mit verhängten Zügeln nach vorn sprengte.

»Spring!« bat der Vater in Todesangst, denn keine Sekunde war zu verlieren, »spring zu mir, ich fasse dich!«

»Halt! was geht da vor?« riefen andere der Schar, die Georg nicht kannten; Josefine saß noch immer regungslos, nicht fähig, sich zu bewegen; aber Georg war nicht der Mann, den einmal gefaßten Sieg aus den Händen zu geben. Sich im rechten Steigbügel niederbiegend, faßte er sein Kind mit dem rechten Arm um den Leib, und noch während er sie emporhob, fühlte der Rappe den eingestoßenen Sporn, der ihn nach vorn trieb. Frei an seinem Arm hing bei dem ersten Satze des Pferdes das Kind in der Luft, aber schon saß der Reiter wieder eisenfest im Sattel, und während er die willenlose Kleine in seinen linken Arm warf, und der Rappe, das Feuer aus dem Straßenpflaster schlagend, den Zug entlang flog, faßte seine Rechte die bleibeschwerte Peitsche fest und sicher, sich seine Bahn frei zu hauen, wenn ihm kein anderer Ausweg blieb.

Links hinüber konnte er nicht; keine Straße bog hier ab, und hinter dem Zuge wälzte sich der dichte Menschenschwarm – also voraus, und mit Gedankenschnelle flog er hin. Da schoß Karl an Royazets Seite. – Dieser, durch das Getöse betäubt, das die dicht vor ihm reitenden Trompeter machten, hatte von dem, was hinter ihm im Zuge vorging, noch keine Ahnung – als plötzlich des erschreckten Burschen Stimme in sein Ohr dröhnte: »Dort ist Georg Bertrand! er entführt das Kind!«

»Georg? um Gott!« schrie Georgine, erschreckt emporfahrend, und die herandonnernden Hufe bestätigten schon die kaum gesprochenen Worte. Im Nu aber hatte Royazet seinen Zügel aufgegriffen, und dem eigenen Tiere beide Hacken in die Flanken bohrend, flog er mit ihm wie ein von der Sehne geschnellter Pfeil dem Feinde entgegen.

In dem Moment brauste Georg heran, und aus dem Wege stob alles vor dem Rasenden.

»Halt!« donnerte ihm Royazet zu, und wie er, fast durch die Luft fliegend, an Georgs Seite war, griff seine Faust nach Josefinens Kleid. Da traf die schwere, bleigefüllte Peitsche den ausgestreckten Arm, daß er gelähmt zur Seite sank, und der Rappe schnob mit einem Satze vorbei. Den Verfolger war er deshalb freilich noch nicht los, denn Royazet brauchte die andere Hand nicht für den Zügel; sein Tier, von fast so edlem Blute wie das, welches seinen Gegner trug, flog, nur von den Schenkeln geführt, herum, den Rappen einzuholen, aber der hatte schon eine Pferdelänge Vorsprung, und wie ein Wetter sauste er dahin.

»Halt da – halt!« schrie Polizei, die dort im Wege stand, und sprang vor, dem Pferde nach dem Zügel zu greifen – wieder sank die Peitsche, und mit einem Schmerzensschrei fuhr der Dienstbeflissene zurück. Ein Schiebkarren fuhr quer über die Straße – der Mann ließ ihn fallen und floh zur Seite; einem Vogel gleich schnellte der Rappe darüber hin, der graue Araber, den Royazet ritt, blieb dicht an seinen Fersen. Wagen kreuzten ihren Weg, aber die beiden, der leisesten Führung gehorchenden Pferde fanden kein Hindernis, das sie nicht überwunden hätten. Wie ein Blitzstrahl schoß der Rappe über den Boden, wie der Schein, der dem Blitze folgt, folgte ihm der Graue, und beide Pferde schienen den Boden, aus dem sie die hellen Funken schlugen, kaum zu berühren. – Aber der Araber war dem Rappen nicht gewachsen, und selbst wenn er ihn eingeholt, fühlte Royazet recht gut, daß er allein dem Vater das Kind nicht würde entreißen können. Doch seine Ehre als Reiter stand hier auf dem Spiele, und weiter und weiter jagte er sein schnaubendes Roß. Der seidene Mantel, den er trug, schlug im Wind – wild wehten seine Haare hinterdrein, denn das Federbarett hatte ihm der tolle Ritt schon lange entführt. Aber seine Hacken trafen des arabischen Hengstes Flanken; mit Stimme und Schlag feuerte er ihn an – zu mehr, als er zu leisten vermochte – den Rappen einzuholen.

Wie in Erz gegossen saß dagegen Georg im Sattel. Sein dicht an seine Brust geschmiegtes Kind im Arm, das dunkle Auge in Siegesjubel blitzend, die Rechte mit der Peitsche bewehrt, so flog er dahin, sein Tier sich selber überlassend, wie eine Erscheinung an den entsetzt zur Seite Prallenden vorbei, bis Deutschlands Grenze, die Linie, die Altona von Hamburg scheidet, zwischen ihm und seinem Feinde lag. Noch ließ er seinem wackern Tiere den Zügel, bis er die nächste Häuserreihe fast erreicht. Jetzt wußte er, daß er auf deutschem Grund und Boden war, und nicht länger mehr brauchte er zu fliehen. – Wollte ihn sein Verfolger erreichen, hier hielt er ihm stand, und mit dem festen Willen fast parierte er sein Pferd, das so, in voller Flucht, sich auf den Hinterbeinen hob, herumflog und wie angegossen stand. – Aber Royazet war klug genug, den zum äußersten Getriebenen nicht auf sein eigenes Terrain zu folgen. Die Grenze bildete für ihn das letzte Ziel der Verfolgung, und dort sein Pferd so rasch und sicher parierend wie Georg, lenkte er es zurück, und war wenige Minuten später, beschämt, besiegt, zwischen den Häuserreihen Altonas verschwunden.

Ein triumphierendes Lächeln zuckte um Georgs Lippen, aber es war nur ein Moment. Die Gegenwart nahm ihn genug in Anspruch – das andere lag dahinten. Rasch schnallte er den Plaid von seinem Sattel, denn sein wilder Ritt sowohl, wie die wunderliche Tracht des Kindes, das er vor sich trug, erregten die Aufmerksamkeit der ruhigen, an so etwas nicht gewöhnten Bürger Hamburgs – Neugierige begannen schon sich um ihn zu sammeln. Ohne Zögern hüllte er die Kleine in den weichen Plaid, nahm ihr das Barett vom Haupte, das er darunter barg, verdeckte ihr geschminktes Antlitz, und trabte dabei schon wieder scharf dem nächsten Tore zu. Aus Sicht den Leuten, und er war vergessen. In der Stadt selber konnte der auf schweißbedecktem Tier Vorübertrabende nur flüchtige Aufmerksamkeit erregen; die Leute dort hatten auch zu viel mit sich selber zu tun, sich noch um andere, Fremde, zu bekümmern. So gewann er ohne weiteres Hindernis sein Hotel, sprang vom Pferde, das er dem Hausknecht übergab, um es rasch in den Stall zu führen und abzureiben, und trug sein Kind, noch eingehüllt in den Plaid, die breite Treppe selbst hinauf.

Das Stubenmädchen erstaunte allerdings, als ihr der Auftrag wurde, so rasch als möglich Kinderkleider für die Kleine herbeizuschaffen; dort aber war das leicht. In einer halben Stunde hing Josefine, Freudentränen weinend, in einem dunklen warmen Kleide an ihres Vaters Halse, und schon der Abendzug, der Hamburg verließ, führte sie mit dem Vater und dem alten erstaunten Barthold der Heimat wieder zu.

29

Wolf von Geyerstein saß allein in seiner Stube, den Kopf in die Hände gestützt, und vor ihm lag ein offener Brief Georgs:

»Tausend und tausend Dank für deine brüderliche Liebe, mein Wolf! – Du hast recht – meine Stellung hier, nach dem Vorgefallenen, ist, wenn auch nicht unhaltbar, doch höchst drückend. Durch jenen Herrn von Zühbig, wie du aus meinen früheren Briefen weißt, und durch des alten Mühler trunkene oder seines Neffen boshafte Schwatzhaftigkeit ist mehr unter die Leute gekommen, als ich im Anfang selbst vermutete. Das Gerücht, was ich früher gewesen bin, hat Boden gefaßt, und die Gutsnachbarn ziehen sich von mir zurück, vermeiden mich wenigstens, soviel es geht, und ich werde sie nicht aufsuchen.

Meine ganze Seligkeit ist jetzt mein Kind, das ich glücklich dem ihm selber furchtbaren Leben entrissen habe. Auch mit dessen Mutter bin ich im reinen. Georgine weigerte sich auf meinen ersten Brief, in eine Scheidung zu willigen, und wollte es nur unter der Bedingung, daß ihr Josefine zurückgegeben würde. Durch ihre Flucht hat sie sich aber selber jedes gesetzlichen Schutzes beraubt, und außerdem scheint ihr auch der Wunsch, jene Verbindung mit Royazet zu schließen, den Schritt erleichtert zu haben. Wir sind geschieden, die Papiere darüber werde ich in nächster Zeit bekommen, und frei von allen Banden, die mich bis dahin an das alte Leben ketteten, will ich von nun an meine Bahn beginnen.

Für dein Anerbieten, mich nach Ungarn auf das dort für mich angekaufte Gut zu setzen, nimm meinen heißen Dank. Du hast schon mehr für mich getan, als selbst ein Bruder für den andern tun kann, aber – ich will dich aller weitern Sorge für mich entheben. Ich habe einen andern Plan für mich, der mich mir selber wiedergeben soll. Will es Gott, so sehen wir uns dereinst noch froh und fröhlich wieder, und dann kann ich der Mutter auch getrost ins Auge schauen.

Ich will nach Amerika. Es wird mir von meinem kleinen Kapital etwa so viel übrig bleiben, mit meinen Begleitern hinüberzukommen. Ich habe ein Kind angenommen – eine Waise – als Josefinens Gespielin, die mit unendlicher Liebe an der neuen Schwester hängt. Von allen meinen Sachen nehme ich nur den Rappen mit, der mir mein Kind befreit – aber nur bis zu dir. Mag er dir von jetzt an so treu dienen, als er mir gedient.

Alles weitere mündlich. Ich komme auf der Durchreise nach ***, um dich, du treues Herz, noch einmal zu sehen und dir selber für alles, was du an uns getan, zu danken. Wahrscheinlich folge ich diesem Briefe unmittelbar; denn wie du mir schreibst, wird der neue Pachter schon in acht Tagen eintreffen, und es ist alles hier so geregelt und in Ordnung, daß dem alten Verwalter das Gut auf die kurze Zeit ohne die geringste Sorge anvertraut werden kann. Ich bin gerade dabei, ihm das Inventar zu übergeben.

 
Es grüßt und küßt dich bis dahin
dein Georg.

P. S. Da du mich nach dem Namen des traurigen Individuums fragst, das meine Frau zu ihrer Flucht benutzte, so schreibe ich ihn dir. – Er nennt sich Baron Hugo von Silberglanz.«

Wolf hatte den Brief wieder und wieder gelesen. Er war aufgestanden und ging mit raschen Schritten in seinem Zimmer auf und ab.

»Er darf nicht fort!« flüsterte er dabei, »nicht nach Amerika! Er ist das letzte Herz, das hier noch mir gehört – wir gehen zusammen fort von hier – nach Ungarn. Brennt doch der Boden auch mir unter den Füßen. Gott sei Dank, daß er kommt – besprochen ist so etwas besser als geschrieben, und er wird – er könnte nicht von mir gehen – wüßte er nur den tausendstel Teil von dem, was ich um ihn hier leide,« setzte er mit leiser, kaum hörbarer Stimme hinzu.

Mit dem Entschlusse, seine Stellung hier aufzugeben und die Stadt selber, die so viele trübe Erinnerungen für ihn barg, zu verlassen, kam auch plötzlich Ruhe über ihn. Er ordnete seine Papiere und ließ sich dann bei dem Fürsten melden. Der Fürst war aber auf die Jagd gefahren und wurde erst am nächsten Abend zurück erwartet. Die Lakaien schlenderten müßig im Schlosse herum und zählten vor lauter Langerweile die Fensterscheiben.

Karl, der Bursche des Rittmeisters, hatte indessen mehr Beschäftigung, denn ihm war der Auftrag geworden, zwei Zimmer für Gäste herzurichten, mit allem Nötigen zu versehen und ordentlich durchwärmen zu lassen, da der Besuch jeden Augenblick eintreffen konnte.

An dem Abend war Soiree bei Herrn von Zühbig und Graf Geyerstein ebenfalls eingeladen worden – der sich aber entschuldigen ließ. Gegen Abend, als er durch die Stadt ging, traf er den Baron zufällig auf der Straße.

»Aber lieber, bester Freund,« schoß dieser auf ihn zu, »zu meinem unendlichen Leidwesen höre ich eben, daß Sie uns heute abend Ihre unschätzbare Gegenwart grausamerweise entziehen wollen. Meine Frau ist ganz untröstlich darüber.«

»Das bedaure ich in der Tat,« sagte der Rittmeister kalt, »unaufschiebbare Geschäfte verhindern mich indes, da ich in nächster Zeit wieder länger abwesend sein werde.«

»Sie wollen wieder auf Urlaub gehen?« fragte Herr Zühbig rasch, und innerlich frohlockte er dabei über die frisch aufgefangene Neuigkeit.

»Ja,« erwiderte der Rittmeister, der den Grund nicht ahnte, weshalb sich der Baron in solcher Weise dafür interessierte.

»Auf Ihre Güter?«

»Wahrscheinlich – apropos, haben Sie lange nichts von Ihrem Freunde Baron Hugo von Silberglanz gehört?«

»Von meinem Freunde?« sagte Herr von Zühbig, dem dieses Epitheton in Verbindung mit sich und im Munde des stolzen Grafen eben nicht angenehm war, »ich weiß gerade nicht, daß Baron Silberglanz zu meinen speziellen Freunden gehörte. Er ist ein seelensguter Mensch und einmal in die Gesellschaft eingeführt, so daß man ihn nicht gut umgehen kann, aber…«

»Wenn Sie ihn wiedersehen sollten, und ich wäre vielleicht nicht hier,« sagte der Graf, »bitte, so grüßen Sie ihn doch von mir.«

»Von Ihnen?«

»Ja, er wird schon wissen, was es zu bedeuten hat.«

»Zu bedeuten hat?« wiederholte der Baron immer erstaunter, »ich gebe Ihnen mein Wort…«

»Ihr Wort?« fragte der Graf, ohne ihn ausreden zu lassen, »geben Sie das nicht auch manchmal leichtsinnig, Herr Intendant?«

»Ich will nicht hoffen,« sagte Baron von Zühbig rasch, aber doch mit einem etwas unbehaglichen Gefühl, das ihm sein Gewissen in diesem Augenblick aufdrängte. – »Haben Sie – haben Sie etwas mit Silberglanz gehabt?«

»Ich? – nicht das mindeste – ich kenne den Baron gar nicht,« sagte Graf Geyerstein gleichgültig. »Der Baron hat, wie ich erfahren, ein kleines Abenteuer gehabt, das er Ihnen aber wohl leider nicht ausführlich erzählen wird.«

»In der Tat? Sie machen mich unendlich neugierig!« rief Baron Zühbig gespannt. »Sie würden mich sehr verpflichten, wenn Sie dann die Gnade haben wollten…«

»Tut mir leid, Herr Baron, nicht imstande zu sein, Ihnen darin zu willfahren; ich bin auch nur oberflächlich darin unterrichtet. Vielleicht kann Ihnen Ihr Orakel darüber Auskunft geben.«

»Mein Orakel, hahaha! Herr Graf, Sie sprechen heute in lauter Rätseln. Wen verstehen Sie unter meinem Orakel?«

»Fräulein Franziska von Zahbern.«

»Hahahaha!« lachte Baron von Zühbig, aber das Lachen kam nicht recht aus seinem Herzen, denn er fühlte, daß Graf Geyerstein mehr wußte, als er eigentlich sollte – ja, was noch schlimmer in diesem Augenblick war, mehr als er selbst. – »Sie sind göttlich, Graf, aber – furchtbar boshaft, daß Sie die arme Zahbern zu einem Orakel machen wollen. Kommen Sie – beichten Sie – wir gehen dort in den Keller hinunter und trinken eine Flasche Wein« – und damit faßte er den Grafen unter den Arm, ihn mit sich fortzuziehen; »die Geschichte von Silberglanz dürfen Sie mir gar nicht vorenthalten. Sie haben mich damit auf die Folter gespannt.«

»Es ist grausam, Sie darauf liegen zu lassen, Herr Baron,« sagte der Graf ruhig, »aber ich werde dazu gezwungen sein. Den ausführlichsten Bericht kann Ihnen jedenfalls Herr Hugo von Silberglanz selber geben, und Sie müssen sich auf den vertrösten. Ich bitte, daß Sie mich entschuldigen – ich habe Eile.«

»Sie wollen in der Tat nicht einen Augenblick mit mir…«

»In der Tat nicht – guten Abend, Herr Baron,« und der Graf neigte sich leicht, während er sich von Herrn von Zühbig abdrehte und die Straße hinunter schritt. Herr von Zühbig blieb in einer höchst unbehaglichen Stimmung zurück.

Graf Geyerstein suchte indessen den Kriegsminister von Ralphen auf, um diesem sein Anliegen vorzutragen; Seine Exzellenz mußte aber gerade in eine Session und ließ den Grafen bitten, morgen früh Punkt zwölf Uhr wieder zu ihm zu kommen, da er ihm überdies etwas mitzuteilen habe.

So ließ sich denn für heute nichts weiter tun, und der Graf verbrachte den Abend damit, seine Briefschaften zu ordnen, alte Korrespondenz zu verbrennen, wichtige zu versiegeln und einige notwendige Briefe außerdem zu schreiben. Am nächsten Morgen war er wieder früh auf und setzte seinen Burschen Karl in nicht geringes Erstaunen, als er ihm befahl, seine Koffer herbeizuholen und sämtliche Kleidungsstücke zu reinigen, sowie zum Packen bereitzuhalten. Karl schüttelte heimlich mit dem Kopfe, denn das paßte nicht zu dem erwarteten Besuche. Er war aber ein zu guter Diener, weiter zu fragen, und ging an seine Arbeit.

»Wann kommt der erste Zug?« rief ihm der Graf nach.

»Woher, Ew. Gnaden?«

»Von Berlin.«

»Ah so – der wird jetzt herein sein oder doch gleich kommen. Da unten hör' ich schon die Droschken – er muß schon da sein.«

»Es ist gut.« – Wolf trat ans Fenster, und Karl ging hinaus, seine Aufträge auszuführen.

Eine lange Reihe von Droschken kam die Straße daher, die eingetroffenen Fremden in die verschiedenen Hotels zu fahren. Eine davon lenkte nach seiner Tür zu und hielt. Ein Mann in einem grünen Rocke saß neben dem Kutscher vorn auf dem Bock – er sah herauf – es war der alte Forstwart Barthold von Schildheim, und Wolf flog nach der Tür, den Bruder zu begrüßen.

»Karl! Karl!«

»Gnädiger Herr!«

»Hinunter – die Gäste sind da – schnell das Gepäck herauf!«

Rasche Schritte nahten von der Stiege her, Wolf trat in sein Zimmer zurück, in der ersten Begrüßung nicht von Fremden gestört zu werden, und wenige Minuten später lagen sich die Brüder in den Armen.

»Gott grüß' dich, Georg – Gott grüß' dich tausendmal, und herzlich willkommen hier bei mir! Wo sind die Kinder?«

»Mein guter, guter Wolf! – sie kommen nach; der alte Barthold bringt sie mit ihrer Erzieherin die Treppe herauf.«

»Den Alten hast du von Schildheim entführt?«

»Ja – nur bis hierher. Ich mußte jemanden des Pferdes wegen bei mir haben, und er weiß mit Pferden besser umzugehen, als ich ihm zugetraut. Du hast wohl jemanden, um den Rappen vom Bahnhof abholen zu lassen?«

»Gewiß! Nun mache es dir bequem und ruhe dich aus! Wir haben viel, sehr viel miteinander zu besprechen. – Karl – wo steckt der Bursche wieder? Karl, daß die Kinder mit der jungen Dame gleich ihr Zimmer bekommen – es ist alles in Ordnung, Georg; ich habe auch eine Frau, eine ganz tüchtige Person besorgt, damit die Kleinen für die Zeit ihres Aufenthalts hier ordentliche Verpflegung haben. – Ein Junggeselle ist sonst nicht darauf eingerichtet.«

»Wir wollen dir nicht lange zur Last fallen.«

»Davon später – und nun erst her zu mir,« sagte er, indem er die Tür schloß, dann auf den Bruder zuging und ihn umarmte und küßte und wieder küßte. – »Du armer, armer Georg, was hast du ertragen müssen, und doch bei alledem so brav, so wacker dich gehalten! Jetzt bist du wieder der Unsere. Du darfst jedem frei ins Auge schauen, und – wir trennen uns auch jetzt nicht mehr.«

»Mein braver Wolf!« rief Georg, ihn fest an sich pressend, »du treues, brüderliches Herz! – Ueber meine Pläne sprechen wir nachher. Doch was fehlt dir? Du siehst verändert aus, seit ich dich nicht gesehen.«

»Nichts – ein leichtes Unwohlsein. – Und wie geht es deinem Kinde, deiner armen kleinen Josefine – meiner Nichte? Sie wird uns beiden wohl fortan gehören müssen.«

»Du willst auch nach Amerika?« rief Georg erstaunt.

»Nein, das nicht,« lächelte Wolf, »aber deine Pläne wirst du den meinen schon fügen müssen, aus Liebe zu mir. Doch deinen Kinderraub mußt du mir ausführlicher, als es durch den Brief geschehen, erzählen. Merkwürdig, daß nichts davon in den Zeitungen stand.«

»Das Ganze ging zu rasch,« lächelte Georg, »und Royazet wäre der letzte gewesen, es bekannt zu machen. Er mag außer sich genug gewesen sein, daß bei seinem prunkenden Zuge ein anderes Pferd ihn überbieten konnte. Meinen Rappen aber holt keins von seinen Tieren ein. Ich sah, wie Georgine erbleichte, als ich vorüberbrauste – die Falsche – keine Ader meines Herzens schlägt mehr für sie; mag sie dem Leben bleiben, dem sie sich geweiht. Das alles aber erzähle ich dir ausführlich, wenn wir heute abend still und traulich beisammensitzen. Du bist doch nicht beschäftigt?«

»Mit keinem Gedanken, ich gehöre euch; und nun zu den Kindern, daß wir die begrüßen!« Und seines Bruders Arm ergreifend, wollte Wolf eben mit ihm das Zimmer verlassen, als Karl, ein sehr bedenkliches Gesicht ziehend, die Tür öffnete und herein meldete: »Herr Rittmeister, halten zu Gnaden, eine Dame ist draußen, die nach Ihnen fragt.«

»Eine Dame? – nach mir?« rief Wolf erstaunt, des Bruders Arm loslassend, »das ist wohl ein Irrtum.«

»Nein; sie fragte nach dem Herrn Rittmeister von Geyerstein.«

»Eine junge Dame?«

»Halten zu Gnaden, nein; sie ist schon in den Jahren, sieht aber sehr vornehm aus.«

»Und hast du nicht nach ihrem Namen gefragt?«

»Sie wollte ihn nicht nennen. Ich sollte dem Herrn Rittmeister nur sagen, eine Dame wünsche ihn zu sprechen.«

»So geh allein voran, Georg; ich folge dir gleich nach,« sagte Wolf. »Gott weiß, wer es ist! Ich werde keineswegs lange aufgehalten werden. Wir frühstücken dann zusammen.«

»Mach', daß du bald kommst,« erwiderte Georg, indem er durch die ihm bezeichnete Tür verschwand. Karl blieb noch einen Augenblick stehen.

»Alle Wetter,« dachte er bei sich, »der Herr sieht genau so aus wie der famose Kunstreiter Monsieur Bertrand, und mein Herr und er duzen sich?«

»Nun, auf was wartest du?«

»Halten zu Gnaden!« rief Karl erschreckt, »soll ich sie hereinführen?«

»Es sieht hier freilich ein wenig wild aus, aber die besseren Zimmer sind besetzt. Wenn sie einen Junggesellen besucht, muß sie fürlieb nehmen, wie sie es findet. Bitte sie, näher zu treten. – Apropos, den Jäger, der mit – dem Herrn gekommen, bringe mir gut unter, und sorge, daß es ihm an nichts fehlt. Wenn alles in Ordnung ist, soll er herauf zu mir kommen; ich will mit ihm sprechen. Noch eins – der Johann muß dann gleich auf den Bahnhof, um ein Pferd dort abzuholen.«

»Sehr wohl!«

Karl verschwand durch die Tür, die sich bald darauf wieder öffnete, und eine Dame trat herein und ging auf Wolf zu.

»Gnädige Frau,« sagte dieser, »Sie haben gewünscht…«

Die Dame stand mitten im Zimmer und sah ihn lächelnd an.

»Heiliger Gott!« fuhr Wolf erschreckt empor. »Mutter – du?«

»Das war eine Ueberraschung, nicht wahr?« sagte die alte Dame, indem sie ihre Arme liebkosend um das an sie geschmiegte Haupt des Sohnes legte. »So habe ich es mir ausgedacht und mich lange, lange schon darauf gefreut.«

Karl öffnete in diesem Augenblick die Tür ein wenig, denn es war ihm, als ob ihn sein Herr gerufen hätte, schloß sie aber auch augenblicklich wieder, als er die Gruppe bemerkte und murmelte nur leise vor sich hin: »Sonderbar! sonst ist mein Herr mit allen Leuten, die zu ihm kommen, ganz erschrecklich kalt und kurz angebunden, und heute fällt er allen um den Hals – doch was geht's mich an!«

 

»Aber was führt dich jetzt hierher zu uns?« rief Wolf, indem er seine Mutter zum Sofa führte. »Keine Silbe hast du davon in deinem letzten Briefe erwähnt.«

»Komme ich dir so ungelegen, mein Kind?«

»Nie glücklicher als jetzt,« rief Wolf, »so lieb du mir auch immer bist, aber fröhlicher begrüßt hätte ich nie deine Ankunft.«

»In der Tat?« lächelte die alte Dame, »und was ist heute morgen so Besonderes vorgefallen? Apropos, da draußen standen Koffer; ist jemand zu dir gekommen oder willst du verreisen?«

»Beides – wenn auch nicht gleich, da ich dich jetzt hier habe.«

»Aber, Wolf, Wolf,« sagte die alte Dame, ihn mit wachsender Unruhe betrachtend, »was fehlt dir? – bist du krank gewesen? – Deine Wangen sind bleich und eingefallen; deine Augen liegen tief in ihren Höhlen und haben das Feuer nicht mehr, das sie früher hatten. Ist etwas vorgefallen? – Laß mich's wissen, Wolf – sonst,« setzte sie herzlich hinzu, »war ich ja doch immer deine Vertraute.«

»Vorgefallen ist allerdings etwas, lieb Mütterchen,« sagte Wolf, der ihre Aufmerksamkeit von sich abzulenken wünschte, »aber nichts, was mich niederdrücken könnte. Ein leichtes Unwohlsein hat mir vielleicht für den Augenblick die sonst lebendigere Farbe genommen – weiter nichts.«

»Nein, mein Kind,« sagte aber die alte Dame, denn das Mutterauge sah schärfer als das der anderen, »das ist mehr als ein leichtes Unwohlsein. Du warst entweder ernstlich krank, Wolf, oder irgend ein geheimer Kummer nagt dir am Herzen. Du kannst mich nicht täuschen. – Habe ich dein Vertrauen verloren, Wolf?«

»Nein, liebe Mutter, gewiß und wahrhaftig nicht, und du sollst später alles erfahren, was geschehen, aber nicht jetzt – nicht in diesem Augenblick, wo ich dir nur Freudiges zu verkünden habe. Erst sage mir aber, wo du abgestiegen bist.«

»Im Russischen Hofe. Ich wollte niemandem zur Last fallen. Ralphens hatten mich allerdings in früherer Zeit gebeten, wenn ich einmal wieder nach *** käme, ihr Haus als das meine zu betrachten, und es sind liebe, gute Leute; ich habe es aber doch vorgezogen, ein Hotel zu wählen. Bleibe ich länger hier, was leicht möglich ist, so quartiere ich mich vielleicht bei dir ein – wenn du mich nämlich haben willst.«

»Gute Mutter.«

»Es ist mir in der letzten Zeit,« fuhr die alte Dame fort, »recht weh und einsam zu Hause geworden. Ich weiß eigentlich selber nicht, wie es kam, aber – alles schien mir wie ausgestorben um mich her, und alte trübe Gedanken gewannen mit jedem Tage, soviel ich mich auch gegen sie wehrte, mehr Gewalt über mich. War es die Wiederkehr des Jahrestages, an dem uns Georg damals verlassen,« setzte sie leise und schmerzlich hinzu, »ich kann es nicht sagen, aber meine Sehnsucht ergriff mich nach dir, mein Wolf, nach meinem einzigen Kinde, das mir noch geblieben, der ich endlich nicht länger widerstehen konnte. War es eine Ahnung, Wolf? – Du hast vielleicht gerade in der Zeit gefährlich krank gelegen, ohne deine Mutter ein Wort davon wissen zu lassen und sie an dein Lager zu rufen?«

»Nein, liebe Mutter,« sagte Wolf mit vor innerer Bewegung erstickter Stimme, denn ihn drängte es, den Sohn wieder an das Herz der Mutter zu führen. »Ich nicht, aber dennoch hat dich deine Ahnung nicht getäuscht. Ein anderer lag schwer krank danieder, wenn auch nicht an Körper, doch an Geist, und ist jetzt vollständig und froh genesen. Mutter – liebe Mutter – bist du stark genug, eine recht große Freude zu ertragen?«

»Wolf!« rief die alte Dame und Leichenblässe deckte in dem einen Moment ihre Züge, »ich – ich kenne nur eine große Freude in der Welt. – Wolf,« fuhr sie fort, indem sie mit zitternder Hand des Sohnes Arm ergriff, »weißt du – weißt du von Georg?«

»Er lebt,« sagte Wolf leise, die Mutter dabei umfassend.

»Er lebt? Gott sei ewig gelobt, und seinen Segen auf dein Haupt, mein Kind, für diese Kunde – und – geht es ihm gut?«

»Ja, Mutter – er – wird kommen – hierher.«

»Hierher? wann, Wolf – wann?«

»Bald – recht bald. Er hat viel gelitten und ertragen, aber die früheren Fehler auch bereut und abgebüßt – wirst du ihm verzeihen?«

»Fragst du das die Mutter? Vater im Himmel, meine ganze Seele drängt hin nach dem verlorenen Kinde. O, er ist hier, Wolf, quäle mich nicht länger; ich bin stark – ich bin kräftig. Die Freude tötet nicht; da es die langen Jahre der Schmerz, der bitter nagende Schmerz nicht vermochte. O, laß mich hin zu ihm!«

»So rasch geht es nicht, Mutter,« lächelte Wolf unter Tränen, indem er mit Gewalt nach Fassung rang. »Ich will ihn rufen lassen; er selber hat ja noch keine Ahnung von deiner Nähe. Bleibe indessen hier – ich bin bald wieder bei dir.«

»Und du kehrst bald zurück? – mit ihm?«

»Noch weiß ich ja nicht, ob ich ihn gleich finde – aber heute noch sollst du ihn sehen – gewiß. Sammle dich, Mütterchen, bis dahin. Du wirst große Freude an ihm haben, denn er ist ein wackerer, braver Mann geworden in der Zeit.« – Und selber zitternd vor Freude und ängstlicher Erwartung verließ Wolf das Zimmer, den Bruder auf dieses Wiedersehen vorzubereiten. Alles, was ihn selber drückte und beengte, hatte er auch vergessen, vergessen in dem einen frohen Gedanken, den Bruder – die Mutter wieder vereinigt, glücklich, zufrieden zu sehen. Das andere lag alles entfernt, und mit dem Gefühl der eigenen Kraft, dem Bewußtsein, gut und treu gehandelt zu haben, hob sich ihm die Brust froh und leicht, und er empfand das reinste, schönste Glück dieser Welt: im eigenen Entsagen eine gute, edle Tat getan zu haben.

Doch wer könnte mit Worten dieses Wiedersehen schildern – die Seligkeit, die jetzt die Herzen dieser guten Menschen füllte! Georg lag vor der Mutter auf den Knien, seine Arme um sie geschlagen, sein Antlitz an ihrem Herzen bergend, und während sie das liebe Haupt wieder und wieder küßte, fielen heiße Freudentränen in die dunklen Locken des Sohnes. Wolf war Zeuge dieses ersten seligen Augenblicks, dann aber verließ er leise das Zimmer, die Glücklichen nicht zu stören, und als er wieder, Josefinen an der Hand, zurückkehrte, saß die Mutter neben ihrem wiedergefundenen Sohne, ihre beiden Hände fest um seine Rechte geschlossen, als ob sie ihn jetzt festhalten und wahren wolle für alle Zeiten; sie schaute in seine treuen, klaren Augen und wurde nicht satt, ihn anzusehen und die lieben Laute seiner Stimme zu hören. Was er sprach, verstand sie freilich nicht, die Töne verschwammen ihr wie ferner Glockenklang vor den Ohren, aber sie hatte ihn wieder – sie hielt seine Hand, sie hörte seiner Stimme Musik, und jeder ihrer Atemzüge war ein Dankgebet zu Gott. Und da die Enkelin – zitternd fuhr sie von ihrem Sitz empor, und Josefine, schüchtern halb, halb ahnungslos dem süßen, ungekannten Klange des Wortes Großmama entgegen lauschend, glitt zu ihr hin, die Hand der ihr noch fremden Dame zu küssen, und fühlte sich von ihren Armen umschlungen, fühlte sich emporgezogen zu ihr und geherzt und geküßt, und weinte still jetzt an der neuen Mutter Brust. Wie aber nur der erste Freudenrausch vorüber war, da faßte sich Georg zuerst, und mit kurzen Worten, kein Hehl der Mutter gegenüber haltend, schilderte er ihr klar und einfach sein früheres Leben, sein verzweifelndes Herz, den kindischen Trotz, der ihn in eine falsche, wilde Bahn geworfen, bis seines Bruders treue Liebe ihn daraus errettet und ihn sich selber wiedergegeben hatte. Dann beschrieb er sein Leben auf Schildheim, wie er dort gekämpft und gerungen, die Seinen mit sich emporzuheben aus ihrer früheren Lage, und wie ihm das mißglückt. Der Gattin Flucht dann beschrieb er – seine Verzweiflung bei dem Verluste des Kindes, und wie er, zum Aeußersten getrieben, das Aeußerste auch gewagt, es zu retten. Jetzt sei er frei – das frühere Leben liege wie ein Traum hinter ihm; ein neues aber zu beginnen brauche er frischen und freien Boden, wo nichts ihn an die früheren Ketten mahne, die er getragen. Das durchzuführen, fühle er die Kraft in sich, und sei das Ziel, das er sich gesteckt, auch weit, er hoffe es zu erreichen und sich selbst dort wiederzufinden.

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