Die beiden Sträflinge

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Die beiden Sträflinge
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Gesammelte Schriften

Friedrich Gerstäcker

Die beiden Sträflinge

Australischer Roman

Volks- und Familien-Ausgabe Band Neun

der Ausgabe Hermann Costenoble, Jena

Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig

Ungekürzte Ausgabe nach der von Friedrich Gerstäcker für die Gesammelten Schriften, H. Costenoble Verlag, Jena, eingerichteten Ausgabe „letzter Hand“, herausgegeben und mit Anmerkungen versehen von Thomas Ostwald für die Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig

Unterstützt durch die Richard-Borek-Stiftung und

die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, beide Braunschweig

Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V. u. Edition Corsar

Braunschweig. Geschäftsstelle Am Uhlenbusch 17

38108 Braunschweig

Alle Rechte vorbehalten. © 2015 / 2020

1.

Die Station am Murray.

Reges Leben herrschte heut auf der sonst so still und einsam am Murray gelegenen Station des Squatter Powell - reges, jubelndes Leben, und der Ruf: „die Karren kommen!" lief von Mund zu Mund.

Die Karren kamen allerdings, und irgend ein Fremder würde darin auch nicht das geringste Außergewöhnliche gesehen haben; derjenige aber, der dort gelebt hat, oder die Verhältnisse näher kennt, weiß, was der Ruf bedeutet und in sich saßt.

Die am Murray, oder überhaupt im Innern von Australien gelegenen Stationen - deren Besitzer Squatter genannt werden - stehen nämlich mit der übrigen Welt fast nur durch Ochsenkarren in Verbindung. Diese schaffen die Producte derselben, als da sind: Wolle, Talg, Rindshäute und Schaffelle, nach der nächsten Stadt, wo möglich nach einem Hafen, und bringen dafür Alles zurück, was „drin im Busch" gebraucht wird, - Mehl in vollgestampften Säcken, Fässer mir Zucker, Kisten mit Thee, Tabak, Hufeisen, Nägel, Kleidungsstücke, Schuhwerk usw. Da das nun jährlich, besonders bei den entfernteren Stationen, nur ein einziges Mal geschieht, so läßt es sich denken, mit welcher Sehnsucht diese Karren erwartet, mit welchem Jubel, wenn sie endlich kommen, sie begrüßt werden. /7/

Die kleine Bevölkerung einer solchen Station, die wie eine Insel im weiten Buschmeere liegt, hat auch noch außerdem Gelegenheit genug, sich dabei in Geduld zu üben. Ochsenkarren sind ein entsetzlich langsames Fuhrwerk, Ochsentreiber erstaunlich schläfrige Postboten, so zuverlässig sie sonst sein mögen, und wenn man die Zeit, in der sie zurück sein können, nach Monaten zählen muß, so will sic kein Ende nehmen.,

Heute Morgen nun, noch vor dem Frühstück, brachte schon ein Stockkeeper oder Rinderhirt, der auf schnaubendem schäumenden Pferde zur Station gesprengt kam, die fröhliche Kunde, daß die Karren nur wenige Meilen von dort entfernt die Nacht am Flusse „geduscht" hätten und in wenigen Stunden eintreffen könnten; außerdem aber auch noch ein großes Brief- und Zeitungspaket, das der Haupttreiber ihm anvertraut hatte, um es so rasch als möglich in die Hände des Herrn zu bringen.

Briefe aus der Heimath! - Wer jemals draußen in der Fremde Monate, Jahre lang ohne Nachricht von seinen Lieben daheim gewesen, nur der kann sich in das selige, wunderbare Gefühl hineinversetzen, das uns beim Eröffnen der so lange, so heiß ersehnten Nachrichten erfaßt, und uns im Anfang die lieben, so lange vermißten Schriftzüge toll und bunt vor den Augen herumtanzen läßt. Briefe aus der Heimath! - Der heimathliche Poststempel ist schon eine Erinnerung aus der Jugendzeit, die Adresse, das Siegel - der Name unserer Vaterstadt neben dem freilich schon gar alten Datum. Und nun die Kunde selber - die herzlichen Worte, die uns das Schreiben bringt, die uns innig bewegende Nachricht, daß Alle, die uns theuer, noch wohl und munter sind, und unserer mit der alten Liebe gedenken. - Solch ein Tag ist ein Fest in dem sonst so stillen, monotonen Leben des Ansiedlers, und die Briefe werden wieder und wieder gelesen, erst still und allein, dann laut im versammelten Familienkreise, und man wird nicht müde, die lieben, theuren Züge zu betrachten.

Powells machten keine Ausnahme hiervon. Das Frühstück ward hereingebracht, aber bald auf dem Tische kalt, denn Niemand, die Kinder ausgenommen, dachte ja daran, es zu /8/ berühren. Aufgerissene Couverts deckten den Boden, ge¬öffnete und erst flüchtig durchblätterte Briese, so wie noch fest eingeschnürte Zeitungen den Tisch nach allen Seiten, und die Familie saß theils an diesem, theils in den Ecken zerstreut, um im Stillen zu lesen.

John Powell war einer der angesehensten Squatter am Murrap, mit weit verbreiteten Heerden und einer ziemlich wohnlich eingerichteten Station - das heißt wohnlich für den Busch, denn in einer civilisirten Gegend hätte sie dennoch wohl kaum den Ansprüchen genügt, die ein Mann in seiner Stellung an das Leben zu machen berechtigt war. „Draußen im Busch" sind aber eben diese Ansprüche außerordentlich bescheiden, und selbst die Frauen hatten sich, nach einigen ziemlich schwer durchlebten Jahren, endlich hineingefunden, und fühlten sich wohl - wenigstens zufrieden - in der ihren früheren Verhältnissen und Gewohnheiten sonst kaum entsprechenden Lage.

John Powell war verheirathet und hatte fünf Kinder: zwei Töchter, die eine von neunzehn, die andere von siebzehn Jahren, und drei Söhne, von denen der älteste zwanzig, die beiden anderen aber dreizehn und zwölf Jahre zählten, und war jetzt seit sieben Jahren hier an den Murray gezogen, um Raum für seine ziemlich ausgedehnten Heerden zu gewinnen. Raum bekam er allerdings, denn sein nächster Nachbar wohnte einige dreißig (engl.) Meilen von ihm entfernt; aber er hatte seine Familie zugleich in eine Wildniß geführt, in der sie nur in ihrem eigenen Beisammensein, nicht einmal durch die monotone Scenerie des einförmigen australischen Gumwaldes Entschädigung finden konnte. War es ein Wunder, daß sie da der Zeit entgegenharrten, wo der Vater, wie sie hofften, sein Besitzthum wieder zu Geld machen und nach dem alten Vaterlande zurückkehren würde? Die meisten Colonisten draußen in der Ferne, sei es in welchem Erdtheil es wolle, hegen ja alle denselben Wunsch, vorzüglich dann, wenn sie ihre Frauen aus dem Mutterlande mit herübergebracht haben. Das Herz hängt an der alten Heimath, mag ihnen bieten so viel sie will; die alten Beziehungen, die alten Stätten können sie nicht vergessen, selbst wenn nicht /8/ Familienbande sie dorthin zurückziehen. Die eigene Sehnsucht läßt ihnen keine Ruhe und nagt und bohrt, bis sie den Bug ihres Schiffes wieder dem alten lieben Strande entgegenwenden dürfen.

Und wie viel stärker wird sie, wenn es mit solchen Freundesbriefen mahnend an die Herzen klopft. Lust und Schmerz mischt sich dann in die lächelnde Thräne. Eins sucht dem Andern zu bergen, was Jedes so gern aussprechen möchte, und doch auch wieder nicht wagt. Es fürchtet in der Brust des Nachbars ähnliche Gefühle zu erwecken, wie sie die eigene quälen - und ahnet nicht, daß derselbe Schmerz die Brust des Andern in gleichem Maß erfüllt.

„Gott sei gedankt - sie sind Alle wohl und gesund," brach die Mutter endlich das Schweigen, indem sie sich rasch und verstohlen eine Thräne aus dem Auge wischte und die Brille neben sich auf das Fensterbrett legte - „selbst die Mutter noch. Lieber Gott, die alte Frau hat selber geschrieben, wenn sie auch klagt, daß es mit den Augen gar nicht mehr so recht gehen wolle. Du mußt den Brief nachher lesen, John. - Sie sehnt sich so sehr danach, uns noch einmal zu sehen, eh' sie stirbt."

„Nun, wer weiß, wer weiß," lächelte der Gatte, selber einen Brief zusammenfaltend und einen neuen öffnend - „mein Bruder ist auch glücklich in Bombay angekommen, und es geht ihm gut."

„Und Onkel Ernst ist noch in Quebeck?" frug Sarah, „er hat doch versprochen, daß er uns hier besuchen wollte. Schreibt er nichts darüber?"

„Doch, doch," sagte der Vater, ihr einen Brief hinüberreichend, „da, lies selbst - er hat seinen Abschied genommen und denkt zu Weihnachten nach Altengland hinüberzugehen. Von dort ist dann sein nächster Weg zu uns -"

„Sein nächster Weg?" wiederholte die Mutter mit einem leisen, kaum unterdrückten Seufzer - „Du lieber Gott, es sind Tausende von Meilen."

„Nun ja, so sehr nahe ist er gerade nicht," lächelte ihr Gatte, „aber was heißen in unserer Zeit Entfernungen? Man geht eben an Bord und richtet sich dort häuslich ein, und ob /9/ die Reise nun vier Wochen oder vier Monate dauert, bleibt sich am Ende gleich. Man ist eben nur so viel länger unterwegs."

„Und wie zerstreut sind wir in der Welt," sagte Sarah, indem sie den Brief gedankenvoll mit ihren Händen in den Schooß sinken ließ - „welche entsetzliche Strecken liegen zwischen allen Denen, die uns lieb und theuer sind."

„Allerdings," erwiderte der Vater, langsam mit dem Kopfe nickend, „und die Meinigen besonders. Wir sind unserer fünf Brüder, und davon lebt nur einer noch in Altengland; ich bin hier, Ernst in Kanada, Eduard in Bombay, und der fünfte schwimmt jetzt, Gott weiß wo, auf einem von Ihrer Majestät Kriegsschiffen entweder im Chinesischen oder Stillen Meere umher. Das wäre ein Festtag, der uns einmal Alle wieder um einen Tisch versammelte, aber guter Gott, daran ist freilich nicht zu denken - wir müßten denn sämmtlich alt und grau geworden sein."

„Gebe dann nur Gott, daß der Tisch in England steht," sagte die Mutter lächelnd - „wenn mir ein guter Geist das fest vorher versprechen könnte, wollte ich ja Alles gern und willig tragen."

Ihr Gatte sah zu ihr auf, als ob er reden wollte. Wenn dies aber seine Absicht gewesen, so änderte er sie, noch während er die Lippen öffnete, und vertiefte sich bald wieder in den eben erbrochenen und begonnenen Brief.

Mit diesem war er übrigens kaum zu Ende, als das Bellen der Hunde draußen und das pistolenschußähnliche Knallen der langen Ochsenpeitschen die nahenden Karren verkündete. Die ganze Familie, den ältesten Sohn ausgenommen, der draußen im Busche war, um ein paar weggelaufene Pferde wieder aufzusuchen, trat jetzt vor die Thür der Wohnung, um die Leute zu begrüßen und die mitgebrachten Waaren in Empfang zu nehmen.

 

„Nun, Cole," rief Mr. Powell dem alten Treiber zu, der den vordern Karren führte, „wie geht's - seid Ihr glücklich wieder angekommen? Wohl schlechter Weg draußen?"

„Danke, Sir," sagte der Mann, indem er mit einem kräftigen, mi- beiden Händen geführten Schlage seiner langen, /10/ gewichtigen Peitsche die vorderen Stiere herum und den Wagen dadurch geschickt vor die Thür des Vorrathshauses brachte - „oh, wohl Diamant - hoh, Bock - so recht, meine Thiere - verdamm' Eure Augen - bitt' um Entschuldigung, Sir - verflucht - sehr schlechte Wege draußen, und Holz hier unten noch im Billibong umhergestreut, als ob es in Klaftern aufgestellt werden sollte. - Haben doch das Paket Papier bekommen?"

„Alles in Ordnung, Cole."

„Die Rechnungen liegen dabei."

„Habe sie schon gesehen - Wolle hatte ziemlich guten Preis."

„Aber Mehl auch - will verd- hm - will - hm - es ist doch merkwürdig, was die Händler da drin unverschämt werden, wenn sie das liebe Gut, das Mehl, herausrücken sollen. Wissen wahrhaftig bald gar nicht mehr, was sie dafür fordern möchten."

„Geht nur vorsichtig mit den Säcken um, Leute, daß keiner platze. So - hier legt sie hinunter - die Säcke aufeinander, und das Uebrige dort in eine Reihe, daß ich es erst revidiren kann. Der Thee - ach, da sind die Kisten."

„Ja, die vergessen wir schon nicht," lachte der Treiber, der das Entladen der Güter den anderen Arbeitern überließ, während er sich selber nur mit seinen Thieren beschäftigte und sie ausspannte, - „wär' ein ver- wär' ein „blutiges" Leben im Busch ohne Thee - g'rad' wie ein Dingo ohne Känguru, oder gar so ein schwarzes Beest von Indianer."

Der zweite Treiber hatte ihm indeß geholfen, seine Stiere frei zu machen, und Cole, der erste Treiber, lenkte sie jetzt mit einem nur halb unterdrückten Fluche seitab an den Häusern vorbei, der eigenen Hütte zu, um ihnen dort die Joche abzunehmen und sie endlich frei auf die Weide hinaus zu lassen.

Kaum war er aber außer Gehörweite der Häuser, an denen Mr. Powell noch mit den Damen stand, als er, gleichsam um seinem Herzen Luft zu machen, den Leitstieren erst ein paar Mal um die Ohren knallte und dann ein so lästerliches Fluchen begann, daß selbst die Ochsen verwundert die /11/ Köpfe nach ihm umdrehten. Erst verdammte und verfluchte er Alles, was auf und unter der Erde war, dann sein Vieh, dann sich selber noch einmal ganz besonders, und zuletzt die Schuhe, in denen er stand. Eigentlich geschah dies nur, wie sich gleich darauf auswies, aus lauter Freude, daß er wieder glücklich angekommen war; daun aber auch, um sich für den ganz ungewohnten Zwang zu entschädigen, den ihm, wenn auch nur auf einige Minuten, die Nähe seines Herrn und der Damen aufgelegt. Er wußte, daß Mr. Powell es nicht litt, wenn seine Leute in seiner Gegenwart fluchen wollten.

Cole war ein durchaus redlicher, treuer und zuverlässiger Diener, und außerdem ein herzensguter Bursche, der keinem Kinde ein Leid zugefügt hätte - obgleich er allerdings ein früherer, indeß schon seit mehreren Jahren freigelassener Sträfling war. Nur das Fluchen war seine Leidenschaft, und es ist überhaupt entsetzlich, wie das Fluchen und Blasphemiren bei den Leuten im Busch getrieben wird und überhand genommen hat. Man glaubt sonst gewöhnlich, daß dies eine Haupt- und hervorragende Eigenschaft - ja, man möchte fast sagen, ein Laster - der Seeleute wäre, die ihrem Herzen ebenfalls nur zu oft mit einem Kernfluche Luft machen; den „old hands" im australischen Busch kommen sie aber nicht gleich und können ihnen darin wahrlich nicht das Wasser reichen.

Fast jedes Wort, das sie sprechen, selbst das gleichgültigste, ist von einem Fluche und dem Eigenschaftsworts „blutig" begleitet, und das „verdamm' Deine Augen" eigentlich noch eine ganz herzliche und vollkommen gut gemeinte Redensart zwischen ihnen, etwa gleichbedeutend mit: „wie geht's, alter Junge?" - Nur die Mississippi-Bootsleute dürften sich in dieser Hinsicht mit ihnen messen.

Der stete Umgang mit den störrischen Ochsen mag viel dazu beitragen, die Leute zu solchen gotteslästerlichen Reden zu verleiten, mehr aber fast noch der stete rauhe Umgang mit lauter Männern - einer der schlimmsten Uebelstände im australischen Busch - wo sie der mildernden Nähe weiblicher Wesen gänzlich entrückt sind und bleiben. Der Herr hat allerdings seine Familie bei sich auf der Station, aber die /12/ Leute kommen mit dem Hause - wie dessen Wohnung zum Unterschied von den Hütten genannt wird - nicht zusammen. Selbst die Küche besorgt dort ein Koch, und da noch überdies von allen auf der Station beschäftigten oder dort einsprechenden Arbeitern wenigstens neun Zehntheile gewesene Sträflinge sind, so läßt es sich leicht erklären, wie die Unterhaltung der Leute keineswegs eine zarte sein kann. Nur das herbe Geschick ihres Lebens spricht sich darin aus, und das „feine Reden" überlassen sie den „swells" - das heißt allen Denen, die einen ordentlichen Rock anhaben und nicht zur Klasse der „old hands" und „bundlemen" gehören.

Die Zufuhren waren jetzt mit Hülfe der übrigen, gerade in der Nähe des Hauses beschäftigten Arbeiter in das Vorrathshaus geschafft, aber noch nicht verschlossen worden. Georg, der älteste von Powell's Söhnen, der eben in vollem Galopp zum Hause zurückkehrte, weil er draußen die Ochsenpeitschen der ankommenden Treiber gehört, hatte mit dem jüngsten Bruder auch wohl eine Stunde lang vollauf zu thun, den ihn umringenden Arbeitern Tabak abzuwiegen und zuzumessen oder andere Kleinigkeiten zu verabreichen, auf die sie schon mit Schmerzen Monate lang gewartet hatten.

Tabak besonders, jenes Labsal des Busches, war schon in den letzten Wochen ein vergebens ersehntes Bedürfniß, und die danach lechzende Schaar von Tag zu Tag auf die rückkehrenden Karren vertröstet worden. Kein Wunder, daß sie jetzt in ihrer Ungeduld die Zeit nicht erwarten konnten, bis ihnen wieder etwas davon zugetheilt wurde, und kauend und rauchend erfüllten sie bald mit sehr zufriedenen, ja man könnte fast sagen glücklichen Gesichtern den Hof. Das Leben dünkte ihnen jetzt noch einmal so leicht - hatten sie doch wieder einmal Tabak.

Endlich waren die Briefe im Hause gelesen und wieder gelesen und besprochen worden, und Georg Powell, der älteste Sohn, hatte die Zeitungspakete aufgeschnitten und begann, sich in deren Inhalt zu vertiefen. Darin folgte ihm der Vater bald, denn die Nachrichten kamen nicht allein aus der Heimath und brachten ihm getreue Kunde von den dortigen Zuständen, nein, auch von Adelaide und Melbourne waren Journale /13/ angekommen, und die dortigen Marktberichte, die Ein- und Verkäufe und Auctionen berührten ihr eigenes, wenn auch nur materielles Interesse auf das Genaueste. Selbst die Nachrichten aus England wurden im Ansang darüber vernachlässigt.

„Sieh nur, Georg," sagte der Vater, als er die Spalten des einen Melbourneblattes eine Weile durchblättert hatte, „Pferde haben wahrlich auf dem letzten Markt in Melbourne und Adelaide 12 Pfund Sterling gebracht - wenn wir da eine Partie von den unseren hätten hinunterschaffen können."

„Aber Rinder scheinen desto schlechter im Preise," erwiderte Georg, sein Blatt dem Vater hinüberhaltend. „Da unten steht, daß die Treiber einen ganzen Trupp Kühe mit 1 ½ Pfund Sterling per Kopf haben verkaufen müssen."

„Mageres Zeug, das sie Hinübertreiben und halb ausgehungert zu Markt bringen," sagte der Vater kopfschüttelnd. „Wenn wir die unsrigen hinuntertrieben, bin ich sicher, daß sie bessere Preise hielten."

„Ja, wenn wir sie glücklich hinbrächten," erwiderte der Sohn, „aber mit dem Futter unterwegs sieht es jetzt entsetzlich dürftig aus. Ich weiß wahrhaftig nicht einmal, was wir hier anfangen sollen, wenn wir nicht bald Regen bekommen. Selbst die Wasserlöcher oben in der Lagune fangen schon an einzutrocknen, und das Gras steht so dünn, daß die armen Thiere wieder hungrig werden, während sie von einem Halm zum andern gehen."

„Nun, so arg ist's noch nicht," lachte der Vater, „aber Regen könnte uns allerdings nicht schaden. Das Mehl ist auch wieder theurer geworden. Es sind aber auch ganze Schiffsladungen davon nach Sidney gegangen. Der Zucker scheint billiger zu sein."

„Reis auch," sagte Georg - es ist gut, daß Cole davon mitgebracht hat."

„Hallo, hier haben wir auch wieder einen „bushranger“1 /14/ rief der Vater plötzlich aus, als er ein neues Blatt aufnahm und die ersten Spalten mit seinen Blicken überflog.

,,Dem wird die berittene Polizei bald auf den Hacken sein," sagte der Sohn, den Kopf herüber und das rechte Bein über das linke werfend. „Der Art Burschen treiben es jetzt nicht lange."

„Jack London, sonst Murphy, auch wohl Bridol," las der Vater laut vor - „der Bursche hat eine ganze Reihe von Namen, - ist von Van Diemens Land mit noch drei Gefährten in einem kleinen gestohlenen Kutter geflüchtet und, wie es scheint, an der Küste gescheitert. Hat sich dann nach Adelaide gewandt, Spitzbübereien verübt, ist eingefangen worden und wieder entsprungen, und man hat jetzt einen Preis von hundert Guineen auf seinen Kopf gesetzt. - Alle Wetter, da werden die Polizeidiener nicht schlecht dahinter her sein. Hundert Guineen sind ein Capital für die."

„Auch eine Menge Raubanfälle und Diebstähle sind in der Stadt selber vorgefallen," sagte Georg - „hier steht eine ganze Spalte von solchen Verhandlungen."

„Ich möchte nicht in den Städten wohnen," sagte Sarah tief aufseufzend, „denn die schlimmsten Leute aus den ganzen Colonien ziehen sich doch dort zusammen. Ich glaube, ich könnte keine Nacht ruhig schlafen, aus Furcht, daß Räuber bei uns einbrächen oder sonst etwas Schreckliches geschähe."

„Du bist nun einmal die Stille und Einsamkeit hier gewohnt, liebes Kind," sagte der Vater freundlich. „Aber ebenso würdest Du das Geräusch und Leben und Treiben der Städte gewohnt werden, und Dich dort gerade so sicher fühlen, wie hier im Busch. Als wir vor drei Jahren in Sidney waren, hat es Dir doch dort recht gut gefallen. Und erinnere Dich nur, wie Ihr Euch im Anfang hier vor den erwarteten Ueberfällen der Schwarzen gefürchtet habt, und sind sie ein einziges Mal gekommen?"

„Frevle um Gottes willen nicht, John!" rief bittend die Frau. „Man soll den Bösen nicht an die Wand malen; denn sind wir heut etwa sicherer, als wir es vor sieben Jahren waren?"

„Allerdings," lachte ihr Mann; „wir haben nicht allein /15/ drei Leute mehr auf der Station, sondern meine Jungen sind unterdessen auch herangewachsen, und können ein Pferd bändigen und ein Gewehr führen. Das sind sechs Mann mehr zur Vertheidigung, und die wiegen einen ganzen Stamm solcher feigen Schwarzen auf, wie die hiesigen Eingeborenen. Ich habe jetzt keine Furcht, und wenn sie in einem Schwarm von sechzig Mann kämen. Sobald es dunkel ist, wagen sie ja außerdem keinen Ueberfall, weil sie sich selber vor ihren eigenen bösen Geistern fürchten."

„Wenn die Leute alle zerstreut im Busch sind, überfällt mich doch manchmal ein eigenthümliches, ängstliches Gefühl," sagre Mrs. Powell, „und wenn ich dann die Briefe hier ansehe und denke, wie sicher Die dort wohnen, die sie geschrieben —"

„Du bist nur in der letzten Zeit so melancholisch geworden," beruhigte sie freundlich lächelnd ihr Gatte, „weil wir gerade in den letzten Monaten so gar einsam gelebt haben. Nicht ein einziger Besuch, ein paar wandernde „Bündelträger" für die Küche ausgenommen, hat bei uns eingesprochen, und der Weg scheint fast wie ausgestorben."

„Wer soll die lange einsame Strecke wandern," sagte die Fram kopfschüttelnd, „manchmal vielleicht ein paar Viehtreiber oder ein Stockman, der sich nach neuem Weidegrund umsieht, und das sind immer auch nur Leute, die uns für das, was wir entbehren, keinen Ersatz bieten könnten. Im vorigen Jahre hatten wir doch wenigstens die Freude, den jungen Mac Donald hier bei uns zu sehen. Seitdem der aber so plötzlich Abschied nahm, hat sich fast kein anständiger Mensch mehr bei uns blicken lassen."

„Es ist doch eigentlich merkwürdig," sagte der Vater, das Blatt vor sich auf die Kniee sinken lassend, „wie wirklich spurlos Mac Donald damals vom Erdboden verschwand, und ich fange jetzt wahrhaftig selber an zu glauben, daß er doch am Ende irgend einem verzweifelten Buschrähndscher könnte in die Hände gefallen sein. Auch damals ging das Gerücht, daß sich mehrere im Busch herumtrieben, und Mac Donald schien nicht der Mann, der sich gutmüthig von ihnen hätte plündern lassen.“ /16/

 

„Ich fürchte weit eher, er ist in einen Hinterhalt der Schwarzen gefallen," sagte Georg, ein schlanker, blauäugiger, blondhaariger prächtiger Bursche mit treuen und ehrlichen, aber tüchtig sonnverbrannten Zügen und kräftigem, wie aus Eisenholz geschnittenem Körper. „Wüßt' ich das nur gewiß, die schwarze Bande sollte mir wahrlich dafür büßen."

„Die sind unschuldig," entgegnete ganz bestimmt der Vater. „Du weißt, daß ich ihm damals auf den verschiedenen Stationen nachforschen ließ, und erst eigentlich in den besiedelten Distrikten seine Spur verloren habe. Dort hat er wahrlich nichts mehr von den Schwarzen zu fürchten gehabt."

„Er wird schon noch kommen," lachte Lisbeth, die siebzehnjährige zweite und überaus heitere Tochter Mr. Powell's, „er ist ja damals eigentlich nur fortgegangen, um einige Bücher für Sarah zu holen, die sie sich so sehr gewünscht hatte, und wird, da er dieselben wahrscheinlich in Melbourne nicht fand, einmal nach England hinübergefahren sein. Früher kann er da kaum wieder zurück sein."

Sarah hatte still und schweigend dem Gespräch gelauscht; unbewußt schweiften ihre Augen dabei über die Spalten der Zeitung hin, die sie in der Hand hielt, und so bleich sie im Anfange geworden, so schnelles Roth rief die letzte scherzende Anspielung der Schwester auf ihre Wangen zurück.

Sarah war eine wunderliebliche Buschblume; schön wie das Sonnenlicht, wenn es auf das saftige Grün ihrer Malleyfichten fiel, mit blondem Haar und tief dunkelbraunen, seelenvollen Augen. Sie kannte auch kaum eine andere Welt als den Busch, denn, ein Kind noch, hatte sie England verlassen, mit ihren Eltern einige Jahre in Sidney gelebt, und war dann mit ihnen gleich hierher, an die entferntesten Grenzen der australischen Civilisation gezogen. Wenig hatte sie deshalb von Erinnerungen, an die sich ihr Herz halten konnte, das Wenige aber, das ihr geboten worden, hielt sie deshalb um so fester, und solch' einen freundlichen Punkt in ihrem sonst so monotonen Leben bot damals wirklich das Erscheinen eines jungen Squatters, der von Melbourne heraufgekommen war, etwa vierzehn Tage bei ihnen verweilte und, als er von /17/

ihnen schied, nie wieder etwas weiter von sich hören ließ. Lisbeth's Neckerei hatte allerdings auch einigen Grund, denn ihr Wunsch, mehrere Bücher in ihrer Einsamkeit zu besitzen, unter denen sich vorzüglich Thomas Moore's Lalla Rookh2 und Walter Scott's Lady of the Lake befanden, war die eigentliche Veranlassung gewesen, daß Mr. Mac Donald in einer Art ritterlicher Galanterie sein Pferd bestieg und der fernen Stadt zusprengte. Er versprach damals allerdings in spätestens acht Wochen zurück zu sein, aber ein volles Jahr war jetzt vergangen, und man hatte nie wieder erfahren können, was aus ihm geworden.

„Scherze darüber nicht, mein Kind," erwiderte jetzt die Mutter, die gar wohl einsah, welchen peinlichen Eindruck die Worte auf Sarah machten. „Wer weiß, was dem armen, unglücklichen jungen Mann zugestoßen ist, und wir wollen nur hoffen, daß Gott seine Hand über ihn gehalten. Es würde mich recht freuen, sein offenes, ehrliches Gesicht hier wieder einmal begrüßen zu können, damit wir nicht glauben müßten, wir seien in der That die Ursache gewesen, die ihn irgendwo zu Schaden gebracht."

„Solche Gedanken dürfen wir uns nicht machen," beruhigte sie der Gatte. „In dem weiten Australien treiben sich Einzelne oft wunderbar umher. Bald hier- bald dorthin durch irgend eine Zufälligkeit geworfene Leute, die ich schon gestorben und verdorben glaubte, sind mir oft wieder ganz unvermuthet unter die Augen gekommen, so rasch auf's Neue verschwindend wie vorher, um eben nur ihren verschiedenen Geschäften nachzugehen. Ein angehender Squatter, wie Mac Donald war, hat auch außerdem noch alle Ursache, seine Wege, wenn er einem guten Weidegrund nachgegangen, geheim zu halten, damit ihm kein Anderer darin zuvorkomme. Wer weiß, auf welchem trefflichen Hütungsgrund er jetzt sitzt, und Schafe und Rinder zieht, daß es eine Lust ist."

„Da kommt Mr. Bale, der Stockkeeper, angesprengt," sagte Lisbeth, deren Aufmerksamkeit auf das Hufgeklapper eines herangaloppircnden Pferdes gelenkt worden.

„Mr. Bale? - das ist Mr. Bale nicht," sagte Bill, der zweite Sohn Mr. Powell's, der neben der Schwester stand /18/ und ebenfalls den Kopf dorthin gewendet hatte. „Das ist ja ein Grauschimmel, und Mr. Bale reitet einen Braunen - wahrhaftig, das ist ein Fremder."

„Ein Fremder?" rief Mr. Powell, von seinem Sitze aufstehend und zum Fenster tretend, wohin ihm bald die ganze Familie folgte - „in der That - und wie es scheint ein Gentleman-Squatter, denn der lange starke Bart verkündet keinen Städter, das Gewehr, das er trägt, sogar einen Jäger. Geh hinaus, Georg, begrüße ihn und lade ihn zu uns ein. Sein Pferd thu in die Umzäunung. Es ist doch wirklich wahr," wandte er sich dann lächelnd an die Seinen, „Unglück oder Glück kommt nie allein. Die lange Zeit haben wir uns nun nach Nachrichten aus der Welt draußen gesehnt, und immer vergebens gewartet, und heute kommen Briefe und Zeitungen zusammen, und noch ein Fremder obendrein. Er soll uns herzlich willkommen sein."

2,

Der Besuch.

Nur wenige Minuten vergingen, bis der Reiter, den sie indessen kaum vom Pferde gestiegen glaubten, an die Thür des Zimmers klopfte, das er, zur großen Verwunderung Georg's, so genau zu kennen schien, als ob er ein alter Insasse des Hauses sei. Kaum wartete er auch das überraschte Herein des Eigenthümers ab, als sich die Klinke unter seiner Hand bog, und der Fremde, seine Satteltasche über denr linken Arm, mit einem herzlichen „Wie geht es Ihnen Allen?" in's Zimmer trat.

„How are you, Sir?" begrüßte ihn, wenn auch etwas verwundert über die mit so zutraulichem Tone gesprochene Anrede, Mr. Powell, während ihn die Anderen neugierig, Sa-/19/rah jedoch mit peinlich gespannter Aufmerksamkeit betrachteten. - Seien Sie uns hier willkommen in unserer stillen Einsamkeit, und machen Sie es sich bequem. Sie sind zu Hause."

„Herzlichen Dank, Mr. Powell," rief der Fremde, des Angeredeten Hand ergreifend und von Herzen schüttelnd - „aber habe ich mich denn wirklich so sehr verändert? entstellt mich der große Bart so gewaltig, daß Sie, daß Mrs. Powell, daß mich die jungen Damen nicht wiedererkennen? - und wie die Kinder indeß herangeschossen sind!"

„Heiliger Gott!" rief Sarah, während die Eltern den Fremden erstaunt und unschlüssig betrachteten, und die jüngeren Geschwister sich neugierig hinzudrängten - „ist das nicht- ist das nicht Mr. Mac Donald?" und während sie den Namen aussprach, fühlte sie, wie sich tiefes Roth ihr über Stirne und Schläfe goß.

„Es freut mich doch, daß Sie wenigstens den Fremden nicht vergessen haben," sagte mit herzlichem Tone Mac Donald, indem er ihr die Hand, in die sie schüchtern die ihre legte, zum Gruß hinüberreichte.

„Mac Donald, so wahr ich hoffe selig zu werden!" rief aber auch jetzt Mr. Powell, seine linke Hand fassend und herzlich schüttelnd, und Alle drängten sich jetzt um ihn her, den früheren liebgewonnenen Gast zu begrüßen.

„Und ob wir nicht in diesem nämlichen Augenblick von Ihnen gesprochen und uns den Kopf zerbrochen haben, was aus Ihnen geworden sein könnte," rief Mrs. Powell.

„Wenn man den Wolf nennt, kommt er gerennt, ist ein altes gutes Sprüchwort," lächelte Mac Donald - „aber hatte ich nicht Miß Sarah die Bücher versprochen, und mußte ich ihr die nicht bringen?“

„Seht Ihr, ich hatte Recht!" rief Lisbeth jetzt lachend aus – er hat sie in Melbourne nicht bekommen, und ist eine Straße weiter gegangen, nach London vielleicht, sie dort zu holen.“

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