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Eine Mutter

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34.
Schluß

Die Hochzeit – die Beerdigung war vorüber, und während dort in der Stadt frohe, glückliche Menschen der Zukunft entgegen jubelten, fuhr die Trauer-Equipage, mit welcher die Gräfin allein ihrem Gatten das letzte Geleit gegeben, in das Schloß zurück, und die in schwarze Wolle vom Kopf bis zu Füßen gekleidete Frau – der Schleier aber noch immer das Gesicht verhüllend – schritt langsam, wie die Ahnfrau ihres Hauses, die Stufen hinauf, die in ihr Zimmer führten.

Sie hatte heute noch nichts gegessen. Der alte Haushofmeister brachte ihr selber auf einem großen silbernen Präsentirbrett einen Imbiß hinaus.

Sie schüttelte den Kopf und winkte mit der Hand, daß es fortgenommen würde.

So verbrachte sie den ganzen Tag. Sie saß in ihrem Stuhl am Fenster und blickte auf das vor ihr ausgebreitete Thal hinaus; sie sprach nicht, sie rührte sich nicht, und nur wenn sich ihr Jemand nahen wollte, winkte sie ihn fort. So saß sie die ganze Nacht, nur erst am nächsten Morgen warf sie sich, halb angekleidet, auf ihr Lager, und ihre Kammerfrau gerieth schon in Angst und Sorge, als sie um zwölf Uhr Mittags ihr Zimmer noch nicht wieder geöffnet hatte und Todtenstille darin herrschte. Aber sie brauchte nichts zu fürchten, die Gräfin lebte und war gesund, und was auch ihr Geist leiden mochte, ihr Körper unterlag dem Druck nicht.

Es war Nachmittag, als der Haushofmeister durch die Kammerfrau um die Kofferschlüssel bitten ließ, da die Frau Gräfin neulich bestimmt habe, daß sie gleich nach der Beisetzung ihres Gatten Haßburg verlassen wolle. Sie ließ ihm wieder sagen, es habe noch Zeit; sie sei noch nicht entschlossen, wann sie abreisen werde.

Er wollte selbst zu ihr, aber die Thür war wieder verschlossen, und erst gegen Abend wurde er beordert, der Frau das Diner hinauf zu schaffen.

Einer der Diener deckte den Tisch, der alte Haushofmeister bediente sie selber. Während sie aß, wurde kein Wort gesprochen. Als er abräumen wollte, sagte die Gräfin:

»Ihr habt mich heute nach den Kofferschlüsseln fragen lassen?«

»Ja, gnädige Frau Gräfin…«

»Dort liegen sie auf dem Tisch.«

»Wann gedenken Sie abzureisen?«

»Wahrscheinlich Ende der Woche – ich weiß es noch nicht. Ihr könnt Eure Sachen immer zurecht machen. Ich werde nur meine Kammerfrau und Euch mitnehmen, Hußmann.«

Der Haushofmeister erwiderte nichts – er hatte die Hände eben an einen der Präsentirteller gelegt, um ihn vom Tisch zu nehmen. Er blieb in der Stellung – endlich sagte er leise:

»Frau Gräfin, ich werde Sie bitten müssen, mich diesmal zu entschuldigen.«

»Zu entschuldigen? Weshalb?« sagte die Frau, deren Gedanken indessen schon weit abgeschweift gewesen.

»Von dem Mitreisen zu entschuldigen, Frau Gräfin,« sagte der alte Mann leise, aber entschlossen.

»Ihr wollt mich auch verlassen, Hußmann?« rief die Gräfin ordentlich erschreckt.

»Ich bin jetzt neunundvierzig Jahre in Ew. Gnaden Dienst, schon bei dem hochseligen Herrn Vater, dann bei Ihnen – ich werde alt, Frau Gräfin, ich kann meinem Dienst nicht mehr so vorstehen, wie ich wohl möchte, und – das Reisen vertrage ich gar nicht mehr. Ich könnte Ihnen unterwegs krank werden, und da ist's viel besser, ich – bitte Sie in Zeiten um meine Entlassung.«

Die Gräfin antwortete ihm nicht – still und regungslos, den Kopf in die Hand gestützt, saß sie am Tisch und starrte vor sich nieder. Der Haushofmeister stand noch immer in ehrfurchtsvoller Stellung neben ihr, eine Erwiderung erwartend.

Endlich winkte ihm die Herrin leise mit der Hand. »Es ist gut, Hußmann,« sagte sie, »ich will es mir überlegen. Ihr habt Euren freien Willen – geht jetzt, laßt mich allein, mir ist nicht recht wohl, ich muß Ruhe haben – geht doch nur!«

Sie sah auf, aber sie war schon allein. Der Haushofmeister hatte das Zimmer so geräuschlos verlassen, daß sie sein Gehen gar nicht bemerkt.

Wie die Stunden dahin schlichen und die Tage in dem öden Haus, und wie unheimlich selbst die Pracht das Ganze machte! Sammt, Silber, Seide und Marmor schienen des Elends ordentlich zu spotten, das jetzt heimisch in diesen Räumen geworden, und wie Schatten glitten die wenigen zurückbehaltenen Diener über die weichen Teppiche der Stuben, durch die kein Lichtstrahl mehr fiel, so dicht waren die Gardinen verhangen – wie ein Schatten selbst schlich die düstere Gestalt der Gräfin mit todbleichem Antlitz in den Sälen umher, die ihre einzige Heimath bildeten und doch keine Heimath mehr boten.

Eine Woche mochte fast nach der Beisetzung des Grafen vergangen sein. Die Gräfin hatte ihre Koffer noch nicht packen lassen, der alte Haushofmeister aber den erbetenen Abschied erhalten. Seine Familie lebte hier in Haßburg, und die Gräfin bat ihn nur, die Aufsicht über das Schloß in ihrer Abwesenheit so lange zu übernehmen, bis sie einen andern zuverlässigen Mann gefunden habe. Der Alte blieb also indessen als Castellan des Schlosses zurück. – Aber noch immer wurden keine Anstalten zum Reisen gemacht, wenn auch das Silbergeschirr und andere werthvolle Sachen schon lange gepackt und in die Stadt geschafft waren.

Da fuhr ein Wagen vor – seit lange der erste wieder vor dem öden Platz. Die Gräfin hatte ihn gehört und dem Geräusch, emporfahrend, gelauscht – dann fiel sie wieder in ihre alte Stellung zurück.

Ein Diener trat in's Zimmer und überreichte ihr eine Karte.

»Herr Graf Rottack wünscht der Frau Gräfin seinen Abschiedsbesuch zu machen – die Frau Gräfin Rottack ließe sich entschuldigen, sie fühle sich nicht wohl.«

Gräfin Monford zuckte zusammen, als sie den Namen hörte – wie unschlüssig hielt sie die Karte in der Hand, aber unwillkürlich fast machte der Arm eine abwehrende Bewegung.«

»Ich kann nicht – jetzt nicht – ich fühle mich nicht wohl.«

»Der Herr Graf sagte mir,« berichtete der Diener, »daß die gräfliche Familie morgen Haßburg verlassen würde.«

Die Gräfin blieb regungslos mehrere Secunden, aber wieder winkte sie abwehrend mit der Hand.

Der Diener verließ das Zimmer, und gleich darauf rollte der Wagen wieder fort; in ihren Stuhl aber sank die Gräfin und deckte ihr Antlitz mit den Händen. –

Graf Rottack kehrte in seinem Cabriolet, das er selber fuhr, nach Hause zurück. Schon vorher hatte er von Jeremias' jetzt glücklicher Familie Abschied genommen, alle anderen Abschiedsbesuche waren ebenfalls gemacht, und es band ihn nichts mehr an Haßburg, da er die Aufsicht über sein Haus, bis er zurückkehrte, seinem kleinen brasilianischen Freund übergeben.

Er war sehr langsam gefahren und sah ernst und niedergeschlagen aus. Seine arme Helene! Wie hatte sie die Zeit ihres Aufenthalts in Haßburg, wie der Mutter Liebe ersehnt, und wie trüb', wie furchtbar mußte sich da Alles gerade in dieser Zeit gestalten! Aber er brauchte sich selber keine Vorwürfe zu machen. Er hatte gethan, was in seinen Kräften stand, und kein mögliches Mittel unversucht gelassen, um das eiserne Herz der Frau zu erweichen. Es war Alles umsonst gewesen; nicht einmal die unglückliche Paula durfte es wagen, ihr zu nahen, wenigstens jetzt noch nicht, denn ihr Körper war so geschwächt, daß er die kalte Zurückstoßung der Mutter nicht ertragen hätte. So mußte es denn der Alles lindernden Zeit überlassen bleiben, auch diese Wunde zu heilen, auch diese starre Brust zur Sühnung zu stimmen, und für Helene und Paula hoffte jetzt Rottack in einem fremden Land – wenn nicht Vergessen des Unabänderlichen, doch Zerstreuung zu finden. Beide waren ja noch jung, und eine schöne Natur, fremde Scenen und Bilder würden gewiß nicht ihren Eindruck auf ihre Herzen verfehlen.

Nur jetzt fort von hier – der letzte Versuch war gemacht, das Letzte abgeschüttelt, und er konnte die Zeit der Abreise kaum erwarten.

Es dämmerte schon, als er in seine Wohnung zurückkehrte. Paula und Helene saßen, seiner harrend, im Salon, der aber auch freilich schon die Spuren bevorstehender Abreise zeigte.

»Und hast Du sie gesprochen?« rief ihm Helene mit bebender Stimme entgegen, als er den Saal betrat, und auch Paula's Blick hing angstvoll an seinen Zügen.

Felix schüttelte langsam den Kopf. »Nein,« sagte er leise – »es ist umsonst. In ihrem Herzen ist kein verwundbarer Punkt, und so stolz und unerbittlich sie im Glück war, so kalt und so verschlossen hat das Unglück sie erhalten. So, fort denn mit allen Plänen und Hoffnungen, Kinder! Morgen früh ziehen wir hinaus in die weite Welt, und draußen im Sonnenlicht und der freien, herrlichen Natur mag ein neues Leben seine Pforten für Euch öffnen.«

»Und wollen Sie die arme Waise mit sich nehmen, Graf Rottack?« sagte Paula gerührt – »oh, womit habe ich das verdient?«

»Meine liebe Paula,« lächelte Felix, »Helene hat Sie als Schwester adoptirt, und da müssen Sie es sich schon gefallen lassen, mir auch eine freundliche und liebevolle Schwägerin zu sein – aber als solche gehören Sie doch jedenfalls mit zur Familie.«

»Und was wäre ohne Sie aus mir geworden?«

»Die Zeit ist vorbei, meine beste Paula,« rief Felix, »bannen Sie die trüben Gedanken. Das Leben hat noch manchen sonnigen Tag für Sie!«

»Für mich?« sagte Paula, traurig mit dem Kopf schüttelnd, »der Bruder und Vater todt – von der Mutter verstoßen – nur trübe Schatten liegen auf meiner Bahn. Aber Gott lohne Euch Beiden tausendfach die Liebe, die Ihr mir entgegenbrachtet, und je unerklärlicher es mir ist, daß Ihr das arme, verlassene Mädchen an Eure Herzen ziehen konntet, so viel mehr Dank schulde ich Euch dafür.«

»Meine Paula, meine Schwester,« rief Helene, und schloß sie in ihre Arme. Rottack aber, der diese Scene um jeden Preis abzukürzen wünschte, weil er fürchtete, daß die noch immer nicht vollkommen Genesene sich zu sehr aufregen möchte, rief dazwischen:

»Nun muß ich Sie aber darauf aufmerksam machen, meine Damen, daß der Zug morgen früh um halb zehn Uhr geht und Damen gewöhnlich eine Masse von zu packenden Gegenständen bis zum letzten Augenblick aufheben. Ich bitte Sie dringend, hiervon diesmal eine Ausnahme, und heut Abend wo möglich noch Alles fertig zu machen, was irgend fertig gemacht werden kann.«

 

»Ja, Herz,« sagte Helene, »Felix hat Recht – komm, ich helfe Dir, daß sich unser gestrenger Herr und Gebieter morgen nicht zu beklagen hat, oder uns vorwerfen kann, wir wären lässig gewesen. Komm, Paula, und nun nicht mehr weinen,« fuhr sie fort, der Trauernden die Thränen mit ihrem eigenen Tuch von den Augen wischend, »Du mußt hübsch folgen und brav sein,« und ihren Arm um sie schlagend, führte sie die Schwester in ihr Zimmer hinüber.

Felix blieb allein im Saale. Er hatte sich eine Cigarre angezündet und ging eine Weile sinnend auf und ab. Es war indessen völlig dunkel geworden, aber er klingelte noch nicht nach Licht – er merkte es gar nicht. Mit seinen Gedanken war er wieder in Brasilien. Wie wunderbar sich Alles gestaltet hatte – heute gerade wieder der Jahrestag seines Abschieds von Santa Clara, wo er zu jener Frau in's Zimmer trat und sie zwang, ihm das Couvert für Helene zu geben! Welche Hoffnungen hatten sich daran geknüpft – wie hatte Helene die Zeit herbeigesehnt, in der sie ihrer Mutter in die Arme fliegen könne, und jetzt? Alles vorbei. Wieder standen, wie damals, die Koffer gepackt, aber nicht mehr der Heimath strebten sie entgegen, die Heimath gerade wollten sie eben fliehen.

Der Diener kam mit Licht, und Rottack erschrak ordentlich, als der helle Glanz sein Auge traf; aber er duldete es und warf sich, die Gedanken abschüttelnd, in einen Fauteuil, um die den Nachmittag eingetroffenen Zeitungen zu durchfliegen.

Eine Stunde mochte er so gesessen haben, als Helene zurückkehrte und, ihren Arm um ihn legend, seine Stirn küßte.

»Ist Paula ruhiger?«

»Ja, Felix; sie hat sich erst drüben noch einmal ordentlich ausgeweint, denn auf Deinen heutigen Besuch schien sie doch noch im Stillen wohl eine letzte Hoffnung aufgebaut zu haben. Jetzt ist es vorbei und überstanden, und sie sehnt sich nun selber weg von Haßburg mit seinen furchtbaren Erinnerungen.«

»Wunderbar,« sagte Felix, »wie fast Alles, was mit dieser entsetzlichen Katastrophe zusammenhing, todt und dahin ist. Da lese ich eben in der Zeitung, daß Hubert, Graf von Bolten, vor wenigen Tagen in Österreich beim Zureiten eines wilden, störrischen Pferdes von diesem abgeschleudert, geschleift und todt nach Hause getragen wurde.«

»Es war ein wilder, übermüthiger Mensch.«

»Jetzt ist er ruhig,« sagte Felix leise – »aber wo ist Paula? Laß sie nicht so lange allein, Herz – ihre trüben Gedanken kommen wieder. Denke, was das arme Kind verloren hat!«

»Was ich verloren habe,« flüsterte Helene, die Stirn auf des Gatten Haupt lehnend.

Draußen im Vorsaal hatte einer der Diener eben das Theegeschirr herausgebracht und auf einen Tisch gestellt, um es der Herrschaft hinein zu tragen, als sich die Hausthür öffnete und eine schwarz gekleidete Dame, das Gesicht verschleiert, eintrat.

»Ist Deine Herrschaft zu Hause?«

»Ja, gnädige Frau,« sagte der Diener, über die plötzliche, eigenthümliche Erscheinung fast erschreckt, »wen habe ich die Ehre zu melden?«

»Niemanden,« sagte die hohe, stattliche Frau, aber mit fast tonloser Stimme, »ich werde mich selber melden.«

»Bitte um Verzeihung, ich…« wollte der Diener einwenden, aber eine gebietende Bewegung der verschleierten Dame, die ihm wie eine Erscheinung vorkam, scheuchte ihn zurück, und diese schritt jetzt selbst auf die Thür zu und öffnete sie.

»Meine Helene,« rief Felix, das Antlitz zu der Gattin emporhebend und ihrem Kuß begegnend, »mein liebes, süßes Herz, vertraue auf die Zeit, die auch Dir das Verlorene bringen kann!«

Die Thür öffnete sich, eine schwarz gekleidete Gestalt stand auf der Schwelle. Felix hatte das Geräusch gehört und wandte den Kopf dorthin. Er fuhr überrascht in seinem Stuhl empor. Eine Dame – unangemeldet Abends in seinem Zimmer?

»Was ist das?« flüsterte Helene.

Die Fremde schlug den Schleier zurück, und ein bleiches Antlitz starrte daraus hervor.

»Gräfin Monford!« schrie Felix, von seinem Stuhl emporspringend.

»Meine Mutter!« flüsterte Helene und mußte sich an der Stuhllehne anhalten, um nicht umzusinken.

Die Gräfin sprach kein Wort. Schweigend drückte sie die Thür hinter sich in's Schloß und trat dem Tisch näher. Dort blieb sie stehen; aber jede Spur von Stolz war aus den bleichen Zügen gewichen, in die der Gram seine tiefen Furchen gegraben, und die rechte Hand langsam gegen die Tochter ausstreckend, sagte sie mit leiser, kaum hörbarer Stimme: »Helene!«

»Meine Mutter!« wiederholte Helene; aber nur wie ein Hauch quollen die Worte über ihre Lippen. Sie rührte sich nicht, keine Bewegung machte sie, dem Anruf zu begegnen.

»Helene, kennst Du Deine Mutter nicht mehr?« sagte die Gräfin aber so weich, so bittend.

Felix sah staunend seine Frau an; aber sie rührte sich nicht. Ihre ganze Gestalt bebte, ihr Antlitz war fast noch bleicher geworden, als das der Mutter; aber während sie krampfhaft die Lehne des neben ihr stehenden Stuhls gefaßt hielt, sagte sie mit fester Stimme:

»Und wo ist Deine Tochter Paula, Mutter?«

Die Gräfin barg ihr Antlitz in den Händen und stand regungslos; aber plötzlich fuhr sie empor:

»Das ist der Name, der mich Tag und Nacht gequält,« rief sie in wilder Erregung aus, »das ist der Wurm, die Reue, die an meinem Herzen genagt, und Alles, Alles hat mich verlassen! Helene, willst auch Du mich verstoßen? Du allein hättest ein Recht dazu – aber sieh hier die Thränen einer Mutter! Helene, mein Kind – mein letztes Kind, stoße mich nicht in Nacht und Verzweiflung!« Und in wilder Leidenschaft zu ihr hinstürzend, ehe Felix noch eine Ahnung haben konnte, was sie beabsichtige, warf sie sich vor Helenen nieder, umfaßte ihre Kniee und barg das thränende Antlitz in ihrem Kleide.

»Frau Gräfin!« sagte Felix erschreckt. Aber jetzt hielt sich Helene auch nicht länger.

»Mutter, Mutter!« rief sie, und sich neben die Knieende niederwerfend, umschlang sie dieselbe mit ihren Armen und preßte ihr heiße und glühende Küsse auf Kopf und Nacken.

»Und hast Du Erbarmen mit Deiner armen, armen Mutter, Helene? Willst Du mich wenigstens nicht von Dir stoßen?«

»Nie, nie, Mutter! Nie, so lange dieses Herz noch schlägt!«

»Mein Kind – mein liebes Kind!«

»Aber wie ist mir denn,« rief Helene plötzlich, sich ihrer Umarmung entziehend, »stehl' ich denn hier nicht den Mutterkuß einem theuern Haupt? Felix, Felix, bring der Mutter ihre Tochter!«

»Ihre Tochter – welche?« rief die Gräfin, erschreckt emporzuckend.

Aber Helene hatte sie umfaßt, und sie von der Diele zu sich aufziehend, warf sie sich an ihre Brust und rief unter Thränen jubelnd: »Dein Kind – Dein verlorenes Kind!«

»Paula?«

In der Thür stand Felix; aber in seinen Armen hielt er die zusammenbrechende Gestalt Paula's, die, flehend und mit unsagbarem Schmerz in ihrem bleichen Antlitz die zitternden Hände der Mutter entgegenstreckte.

»Paula!« schrie die Gräfin, aber mehr vermochte sie nicht. Ihr starrer Geist hatte Alles ertragen, Schlag nach Schlag des Schicksals wirkungslos ihr Haupt getroffen, das Glück dieses Augenblicks ertrug es nicht, und ohnmächtig sank sie in Helenens Arme.

Aber die Freude tödtet nicht so leicht. Von ihren Kindern zum Sopha getragen, schlug sie die Augen wieder auf, und wer vermöchte die Seligkeit dieses Wiedersehens zu schildern! Helene weinte und lachte, und beide Töchter, vor der Mutter knieend, hielten sie fest umschlossen und bargen ihr Haupt an ihrem Herzen.

Am nächsten Tage wurde in Schloß Monford gepackt, und der alte Haushofmeister, der wie der Geist einer vergangenen Zeit in dem öden Gebäude umherschlich, schüttelte erstaunt mit dem Kopf, denn so ruhig, ja heiter hatte er die Frau Gräfin seit dem Tage nicht gesehen, wo das Unglück über das edle Haus hereinbrach und Säule nach Säule niederriß.

Was konnte nur mit ihr vorgegangen sein? Gestern Abend hatte sie zu Fuß das Schloß verlassen und war durch den Grafen Rottack in dessen eigener Equipage erst nach zwölf Uhr zurückgebracht – und heute –

»Hußmann,« sagte die Gräfin, die eben aus ihrem Zimmer trat, »seid doch so gut und tragt dieses Paket selber zum Grafen Rottack hinunter; es ist für eine junge Dame bestimmt, die bei ihm wohnt. Mir liegt aber daran, daß Ihr es in deren eigene Hände gebt, es ist werthvoll – habt Ihr mich verstanden?«

»Zu Befehl, gnädige Gräfin.«

»Der Wagen ist angespannt, Ihr fahrt hinunter, ich möchte, daß Ihr bald zurückkämet.«

Der alte Haushofmeister nahm das Paket und fuhr in die Stadt. Aber er blieb länger aus, als er eigentlich zu dem Weg gebraucht hätte, und wie er zurückkam, sah er ordentlich verklärt aus.

»Habt Ihr meinen Auftrag ausgerichtet, Hußmann?« fragte die Gräfin, als er wieder zu ihr in's Zimmer trat.

»Frau Gräfin,« rief der alte Mann, und seine ganze Gestalt bebte, »gnädige Frau Gräfin!«

»Ich hätte so gern gehabt, daß Ihr uns auf der Reise begleitetet, Hußmann, aber wenn Ihr denn gar nicht wollt…«

»Frau Gräfin,« sprach der alte Mann mit zitternder Stimme, ergriff ihre Hand und netzte sie mit seinen Thränen, »darf ich denn mit?«

»Also deshalb, Hußmann?« sagte die Gräfin leise und wehmüthig.

»Oh, zürnen Sie mir nicht,« bat der Alte, »meine ganze Seele hing ja an dem Kind, und daß Sie – aber jetzt ist ja Alles gut, Alles gut, und so lange ich nur kriechen kann, weiche ich ja nicht von Ihrer Seite.«

Am nächsten Morgen war ein ganzer Berg von Koffern am Perron des Haßburger Bahnhofs aufgeschichtet, und Hußmann und Jeremias lösten eine Anzahl Billets und gaben das Gepäck dann auf. Sämmtliche Marken daran lauteten aber nach Triest.

Kurz vor Abgang des Zuges trafen die Equipagen der Herrschaften ein, zwei von der Rottack'schen Wohnung, eine vom Schlosse Monford herunter, und die alte Gräfin Monford, die allein in ihrem Wagen gekommen war, eilte auf Rottacks zu, half die Kinder mit herausheben und nahm Helenchen, die sich gar nicht vor ihr fürchtete, auf den Arm. Helene selber nahm Günther an die Hand, und Graf Rottack führte eine dichtverschleierte Dame dem Coupé zu.

Die Haßburger zerbrachen sich den Kopf, wer die Fremde wohl sein könne; aber lange Zeit blieb ihnen nicht dazu übrig, denn eben brauste der Schnellzug heran, und die Reisenden nahmen gleich ihre Plätze ein.

Jeremias stand draußen am offenen Fenster.

»Hurrjeh, Herr Graf,« rief er noch in den Wagen hinein, »ist das nicht beinahe genau so, wie damals in Brasilien, nur daß wir dorten keine Eisenbahn hatten – wissen Sie noch, wie ich Ihnen die Sachen…?« Er schwieg erschrocken still, denn wenn er sich seiner früheren Arbeit auch nicht schämte, machte er doch nicht gern Staat damit.

»Und Sie haben treulich bei uns ausgehalten.«

»Bin nun schon beinahe daran gewöhnt, Sie auf den Trab zu bringen,« lachte der kleine Mann. »Aber haben Sie keine Angst, hier soll indessen Alles richtig besorgt werden.«

»Nehmen Sie sich in Acht, der Zug geht ab!« rief der Schaffner.

»Na, so behüt' Sie Alle Gott!« rief Jeremias, die Hand noch einmal treuherzig in das Coupé hineinreichend. »Und auf ein frohes Wiedersehen!«

»Mein alter, wackerer Freund!«

»Wir werden Sie nie vergessen!« sagte die verschleierte Dame und reichte ihm die kleine weiße Hand.

»Gott lohne es Ihnen, Gott lohne es Ihnen!«

Ein scharfer Pfiff – Jeremias trat vom Wagen zurück, Günther und Helenchen winkten ihm noch jubelnd mit den Händchen zu – und fort rasselte der Zug seine wilde Bahn dahin.

Ende
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