Im Busch / Kriegsbilder aus dem dt.-franz. Krieg

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Im Busch / Kriegsbilder aus dem dt.-franz. Krieg
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Gesammelte Schriften

von

Friedrich Gerstäcker.

Zweite Serie.

Elfter Band.

Volks- und Familien-Ausgabe.

Im Busch. - Kriegsbilder

Jena,

Hermann Costenoble.

Ausgabe letzter Hand, ungekürzt, mit den Seitenzahlen der Vorlage

Gefördert durch die Richard-Borek-Stiftung und Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz

Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V. und Edition Corsar, Braunschweig, 2021

Herausgegeben von Thomas Ostwald nach der von Friedrich Gerstäcker

eingerichteten Textausgabe für H. Costenoble

Geschäftsstelle: Am Uhlenbusch 17, 38108 Braunschweig

Alle Rechte vorbehalten! © 2016 / © 2021

1.

Der Ueberfall.

Die Sonne verschwand eben hinter den wildzerrissenen Höhenzügen der blue mountains in New-South-Wales, und gab dem sonst so monotonen australischen Urwald, für kurze Zeit wenigstens, eine ganz eigenthümliche, selbst malerische Färbung und Schattirung. Rund umher freilich wahrte sich der Wald seinen grauen Charakter, der all' jenen endlosen Gumbäumen ein so trauriges, todtes Aussehen giebt, und wurde nur an wenigen Stellen durch einen frischgrünen kleinen Wattel mit seinen goldgelben duftenden Blüthen unterbrochen. Schon die zweite Bergschicht aber zeigte in den Dünsten des rasch erbleichenden Lichtes einen fast dunkelgrünen Mittelgrund, während noch weiter dahinter die entfernteren Gebirgsrücken ein nicht ganz so dunkles Blau annahmen, das bei dem allerletzten in ein lichtes, fast verschwimmendes Himmelblau überging.

Das Firmament deckten leichte Wolkenschleier, und im Westen wurden die Nebelstreifen schon von den rosigen Abendtinten übergössen, als vier Männer den hier höchsten Gebirgszug, den sogenannten razorback, erreichten und wenige Secunden dort oben hielten.

Ihr Anzug wäre im Innern Australiens schwerlich aufgefallen, denn Reisende im Busch machen auf keine große Toilette Anspruch, und bundlemen und stock-keeper1 tragen /4/ gewöhnlich eine so verwilderte und mitgenommene Außenseite, daß sie jeder Maler ohne die geringste Uebertreibung zu irgend einer Gruppe von Banditen oder Wegelagerern benutzen könnte.

Bundlemen und Stockkeeper führen aber nur in Ausnahmefällen Waffen, während sich diese vier Burschen, trotz ihrem Bergmarsch, ordentlich damit beladen hatten, und um sie noch verdächtiger zu machen, betraten sie den über den Razorback laufenden Fahrweg erst oben auf der Wasserscheide und mitten aus dem Busch kommend. Es hätte ihrer Galgenphysiognomien kaum noch bedurft, der kleinen, sehr schweigsamen Gesellschaft eben nichts Gutes zuzutrauen, und nur der Eine von ihnen schien nicht recht in dieselbe zu passen.

Er trug allerdings keine andere Kleidung wie die Uebrigen auch, und zwar Rock und Beinkleider von sogenanntem englischen Leder, einen „californischen" Hut und grobe Buschschuhe, aber sein Hemd war sauber, seine ganze Gestalt sah besser gehalten und sorgfältiger behandelt aus. In anderer Gesellschaft hätte er sogar recht gut für einen der run-Besttzer oder Stations-Eigenthümer gehalten werden können, die bei ihrem wilden Buschleben auch keine besondere Sorgfalt auf ihre Kleidung verwenden können, aber trotzdem nie unsauber oder nachlässig darin betroffen werden. Außerdem schien er noch jung - er konnte kaum mehr als achtundzwanzig oder dreißig Jahre zählen, und der leicht gekrauste, lichtbraune Bart, das lockige Haar mit den leicht gerötheten vollen Wangen würde seinem Gesicht selbst etwas Freundliches gegeben haben, hätte dies nicht, wenigstens in diesem Moment, der scheue und unstete Blick wieder zerstört, den der junge Mann - besonders als sie den offenen Weg erreichten - nach rechts und links hinüber warf.

Aber es war Niemand auf der Straße zu sehen, deren Abfall man gerade dort nach beiden Richtungen hin überblicken konnte. Der Wald lag todtenstill; nur in weiter Ferne strich ein Schwarm kreischender Kakadus seinem gewöhnlichen Standort für die Nacht zu, und drei oder vier jener wunderlichen elsterartigen Vögel, die der Australier „den lachenden Esel" nennt, stießen, als ihnen die Menschen zu nahe kamen, lautlos ab von einem Baum und, über den nächsten Wipfeln hin, scharf in das weite gähnende Thal hinein. /5/

Der Aelteste des kleinen Trupps, unverkennbar ein Sohn der „grünen Insel", mit auffallend starken Pockennarben und jenem, den Irländern eigenen drolligen Zug um die dünnen Lippen, bog sich, so wie sie aus dem Busch traten, zu dem Weg nieder, untersuchte dort sorgfältig die letzt eingedrückten Spuren und sagte dann:

„Wir kommen noch recht. Sie ist noch nicht vorüber."

„Dazu hätten wir Deine Weisheit nicht gebraucht, Jim," lachte sein anderer Gefährte. „Nach der Zeit, wo sie von Golbourne fortfährt, kann sie noch nicht hier sein, und kommt auch vor der nächsten Stunde nicht, 's wäre aber doch besser, wir gingen an die Arbeit. Wenn nur der Schatz von einem Trompeter erst da wäre, der uns hier oben um diese Zeit treffen wollte. Zehn gegen eins, der Holzkopf hat sich verlaufen."

„Wir haben noch übrig Zeit, Bob," sagte jetzt der junge Mann ruhig. „Die ganze Arbeit machen wir in fünf Minuten ab; und außerdem ist's noch ein wenig zu hell. Wenn uns etwa gar ein oder der andere späte Reiter in die Quere käme, könnte er uns den ganzen Spaß verderben."

„Bah," sagte der mit Bob Angeredete verächtlich. - „Das wäre nachher unsere Sorge, mit dem ebenfalls fertig zu werden. Aber meinetwegen; lange haben wir freilich nicht zu thun, und außerdem ist ja der Trompeter noch nicht einmal da. Wenn er's nur nicht dumm angefangen hat."

„Hab' keine Angst," lachte der junge Mann, „der bringt eine Spitzhacke, und wenn er sie einem der Schäfer unter dem Kopfkissen wegstehlen sollte. Das Einzige wäre -"

Ein eigenthümlicher glockenähnlicher Laut schallte in diesem Augenblick durch den Wald. Ein Ton, wie ihn der kleine, sich nur am Wasser aufhaltende Glockenvogel von sich giebt, der dadurch auch gar nicht selten den halbverschmachteten Wanderer auf die Nähe des rettenden Labsals aufmerksam macht.

„Da kommt der Trompeter," sagte Jim, der nur die Wiederholung des Tons erwartet hatte.- „nun wissen wir gleich, woran wir sind," und die Hände an den Mund legend, ahmte er täuschend den Schrei des schwarzen Kakadus nach. Gleich daraus hörten sie schwere Schritte und das Brechen /6/ der Büsche, und nicht lange, so kletterte der erwartete Kamerad an dem Hang herauf.

Er war genau so gekleidet wie die Uebrigen, trug ebenfalls ein großes, mit einem Holzgriff versehenes Messer an der Seite und eine lange Muskete auf der Schulter, in der Hand aber noch außerdem eine schwere Spitzhacke, die er jetzt mit einem gotteslästerlichen Fluch auf den Boden warf, und schwur, er wolle verdammt sein, wenn er in seinem ganzen Leben wieder ein so schweres unbehülfliches Instrument sieben Meilen weit und zuletzt noch Razorback hinauf schleppe. Trompeter hieß er übrigens nur bei den Kameraden, weil er früher einmal als solcher in einem Regiment gedient und jetzt noch immer gern davon erzählte. - Aber Zeit war nun auch nicht mehr zu versäumen, der Himmel hatte schon die der Nacht vorhergehende bleigraue Färbung angenommen; höchstens noch eine Viertelstunde blieb ihnen Tageslicht, und da ihr Plan schon vorher genau verabredet worden, bedurfte es weiter nichts mehr, als ihn eben auszuführen.

Noch einmal horchte der kleine Trupp in den Wald hinein, der Richtung zu, von welcher die Postkutsche erwartet wurde, und als sie noch immer nichts davon hören konnten, stiegen sie jetzt schweigend und rasch den Berg nach Osten zu hinunter, bis sie einen Platz erreichten, wo die größte Steile überwunden war. Bis hierher ließ es sich nämlich voraussetzen, daß die Passagiere zu Fuß gehen und ihren Hals nicht im Wagen selber auf der steilen, rauhen Bahn riskiren würden. Von der Stelle an lief der Weg aber wieder in leiser Abdachung schräg zu Thal, und der Kutscher würde von hier an gewiß seine Pferde wacker ausgreifen lassen.

Noch etwa zweihundert Schritt folgten sie trotzdem dem Weg, um ganz sicher zu gehen, und hier endlich brach Bill das Schweigen und sagte:

„Das ist der Platz, Mates; hier wird sich auch die Gesellschaft keinen besondern Schaden thun, wenn wir den alten Kasten umkippen, und bequemer können wir's ihnen auf keinen Fall machen. Jim, nimm Du lieber die Spitzhacke, denn Du weißt mit dem Ding am besten umzugehen, und nachher lösen wir Dich ab." /7/

„Eine verfluchte Idee," lachte der Angeredete vor sich hin, indem er ohne Weiteres seine Waffen neben dem Weg in den Busch legte und das Instrument aufgriff – „komische Wegeverbesserer, die wir jedenfalls sind, und ich weiß gerade nicht, ob uns die Regierung Ihrer Majestät besonders dankbar dafür sein wird."

„Die Regierung Ihrer Majestät soll verdammt sein," brummte sein zuletzt gekommener Kamerad, „was die für uns gethan hat, lohn' ihr der Teufel, und wenn ich's einmal quitt machen könnte, sollt' es „mir zur Ehre gereichen", wie der alte Friedensrichter in Osborne immer sagte."

„Ein wenig tiefer in den Weg hinein müssen wir doch gehen," sagte jetzt Bill, der junge Mann, der indessen auf das Gespräch nicht geachtet und nur den Beginn der Arbeit beobachtet hatte. „Die Pferde weichen sonst am Ende rechtzeitig aus, und wir haben den ganzen Spaß umsonst gehabt."

„Der Weg ist so verdammt hart," brummte Jim, „die Spitze fährt ja kaum einen halben Zoll in den Boden."

„Das wird besser, wenn wir nur ein klein wenig tiefer kommen," tröstete ihn Bill - „so - bis dahin, das wird's vollkommen thun. Das eine Rad muß hier die Rinne fassen."

Jim arbeitete mit der Hacke ruhig weiter, während alle Uebrigen ebenfalls ihre Waffen abgelegt, ja sogar ihre Röcke ausgezogen hatten, und das losgehauene Erdreich, in Ermangelung von Schaufeln, mit ihren Händen beseitigten. Ueber die Absicht ihrer Arbeit konnte auch nicht länger ein Zweifel sein, denn Jim hieb ganz direct das eine Fahrgleis der von Bathurst nach Sidney führenden, vortrefflich angelegten, aber sehr schlecht unterhaltenen Chaussee auf, wodurch die jetzt von Golbourne kommende Postkutsche, so wie sie diese Stelle berührte, rettungslos umgeworfen werden mußte - hatte doch außerdem noch der Abhang hier Fall genug, um ein rasches Einhalten vollständig unmöglich zu machen.

 

Endlich war die Arbeit beendet und das Loch für tief genug erachtet, um den Zweck vollkommen zu erreichen, die Nacht auch indessen vollständig eingebrochen. Nur eine Zeit lang herrschte noch jenes dämmernde Zwitterlicht, bis auch der letzte Schein im Westen verblichen war und die Sterne ihren matten /8/ Strahl durch die zerstreuten Wolken nieder auf die Erde sandten.

Die vier Gesellen hatten jetzt weiter nichts zu thun, als eben ihre Zeit abzuwarten, und ein klein Stück vom Weg ab - von wo aus sie diesen jedoch vollständig übersehen konnten - lagerten sie im Busch unter einem der alten Gumbäume, und sprachen gemeinschaftlich einer großen Flasche Rum zu, die Bill mitgebracht hatte und den Kameraden freigebig überließ; genoß er doch selber sehr wenig von dem starken Getränk.

Die Unterhaltung war dabei freilich nur sehr einsilbig, denn Alle horchten immer dann und wann in die Nacht hinaus, ob sie nicht das jetzt längst erwartete Fuhrwerk hören könnten. Es dauerte aber wohl noch eine volle Stunde, bis Jim plötzlich in die Höhe fuhr und mit leiser, vorsichtig gedämpfter Stimme sagte:

„Sie kommen!"

Niemand antwortete ihm - Alle lauschten schweigend wohl eine Minute lang - Jim hatte aber ganz Recht gehabt - ein dumpfes Knarren und Poltern ließ sich hören, das freilich bis jetzt noch sehr undeutlich zu ihnen herüberdrang. Jetzt konnten sie Stimmen unterscheiden. Einer der Nahenden pfiff ein Lied „the last rose of summer" - näher und näher kamen die Laute - jetzt plötzlich war Alles wiederum todtenstill.

„Sie steigen ein," flüsterte Bill - „der Wagen hält."

Jim nickte nur einfach mit dem Kopf, denn jetzt war nicht mehr viel Zeit zu verlieren. Bill hatte, wie sie nur die Gewißheit der ersten Annäherung bekamen, eine kleine Blendlaterne angezündet und unter seine Jacke versteckt, die vier unheimlichen Gestalten griffen dann ihre Waffen auf und nahmen die schon vorher verabredeten Posten ein, die sich ziemlich genau bestimmen ließen, denn sie wußten ja recht gut, an welcher Stelle der Wagen umschlagen mußte, so wie nur selbst das linke Vorderrad in die eingegrabene Falle gerieth.

Jetzt rollte das Fuhrwerk wieder rasch herbei. Der Kutscher, der hier die schwierigste Passage überwunden wußte und jeden Fußbreit Weges genau kannte, hieb in die Pferde ein, um sie zu schärferem Trab anzutreiben, hatte er doch wenigstens dreiviertel Stunden seiner Zeit nachzuholen. Die /9/ Passagiere, die an der letzten steilen Bergkuppe abgestiegen waren und den Razorback zu Fuß überschritten hatten, brauchten noch einige Zeit, bis sie sich auf ihren Sitzen wieder zurechtrücken konnten, und jetzt erschien der dunkle Schatten des offenen Fuhrwerks auf der matt beleuchteten Straße - näher kam es - immer näher - schon erreichten die Pferde den Platz, auf dem Jim die aufgehauene Erde sorgfältig weggezogen und nach dem Busch hinüber geworfen hatte.

„Woh! wohah!" schrie da der Kutscher plötzlich und suchte die Thiere nach rechts hinüber zu reißen. Sein scharfes Auge hatte selbst bei der nur ungewissen Beleuchtung entdeckt, daß dort im Wege nicht Alles in Richtigkeit wäre, wenn er auch nicht gleich erkennen konnte, ob der Schatten vor ihm ein Loch oder ein hineingeworfener Baumstamm sei - aber es war zu spät. Die Pferde, an diese rauhen Buschpfade gewöhnt, wo sie alle Augenblicke nach rechts oder links ausweichen müssen, gehorchten zwar im Moment, aber das Vorderrad hatte schon das verräterische Gleis erreicht, der schwere Wagen war überhaupt im Rollen, und fast gleichzeitig mit dem Ruf des erschreckten Kutschers sanken beide linke Räder tief bis über die Achsen in das gegrabene Loch, und die royal mail, wie der offene Postkarren etwas übertrieben getauft war, schlug unter dem Zetergeschrei der Passagiere nach der linken Seite über.

Der Kutscher selber ward weit vom Bock hinweggeschleudert, traf wahrscheinlich mit dem Kopf an einen Stein und blieb besinnungslos liegen, und die Pferde, die sich in dem zur Seite gerissenen Geschirr verwickelten, stampften und schlugen und bäumten, bis sich die beiden vorderen Thiere losarbeiteten und dann in voller Flucht die Straße hinabtobten.

Einer der Räuber wollte ihnen vorspringen und sie zurückscheuchen, aber es war nicht mehr möglich; die Thiere, durch das plötzliche Schreien und Toben der Passagiere selbst, wie durch den eigenen Unfall scheu gemacht, ließen sich nicht mehr halten, und wenige Secunden später verhallte der donnernde Schlag ihrer Hufe auf der Straße in weiter, weiter Ferne.

Bill mit seinen Gefährten hatte aber jetzt auch keine Zeit, sich weiter um sie zu bekümmern, denn der Moment nahm ihre ganze Thätigkeit in Anspruch. Vortrefflich wurde der junge /10/ Mann, besonders von Jim und dem Trompeter unterstützt, die Beide nichts weniger als Neulinge in dem „Geschäft" schienen.

Beide nämlich, ohne ihre Flinten von der Schulter zu nehmen, waren - Jeder mit einer gespannten Pistole in der Hand - unter die wild am Boden umhergestreuten Passagiere gesprungen, und ehe sich diese wieder aufraffen konnten, ja ehe sie sich nur so weit von dem nicht unbeträchtlichen Sturz gesammelt hatten, um recht zu begreifen, was eigentlich geschehen sei, sahen sie ein paar dunkle, drohende Gestalten und hörten Jim's tiefe, vollkommen leidenschaftslose Stimme, mit der er laut und deutlich sagte:

„Bleibt ruhig liegen, meine Herzchen; dem Ersten, der Miene macht, aufzustehen, ja der nur den Kopf vom Boden hebt, schick' ich eine Ladung Rehposten durch den Schädel - weiter nichts - wer mich dann nicht verstanden hat, mag sich nachher beklagen."

Nur ein dumpfes Stöhnen antwortete ihm, denn die Passagiere, wenn sie nicht selber schon einen ähnlichen Unfall erlebt, waren in Bathurst und unterwegs so mit Erzählungen von „bushrangern" und ähnlichen Ueberfallsgeschichten gefüttert, und dabei so unausgesetzt gewarnt worden, sich um Gottes willen in einem solchen Falle nicht zu widersetzen, daß sie, theils von dem Sturz, theils von der neuen Ueberraschung wie gelähmt - jedenfalls vollkommen machtlos - am Boden lagen, und auch nicht den geringsten Versuch zu einem Widerstand machten.

Jim beobachtete sie ein paar Secunden schweigend, und dann zufrieden mit dem Kopf nickend, fuhr er fort:

„So recht, meine Herzblättchen! - sind lauter brave Kinder, wie ich sehe - würde Euch aber auch nicht viel helfen, wenn Ihr unartig sein wolltet, denn wir sind hier unser sechzehn Mann, alle bis an die Zähne bewaffnet und gerade in der Laune, das mit Anstand auszuführen, was wir so allerliebst begonnen haben. - Also, Bill, fangt einmal an, daß wir mit den Herren zu Ende kommen, die Zeit möchte ihnen sonst da unten ein wenig lang werden."

Bill, dem als dem Gewandtesten das Geschäft der Plün/11/derung übertragen worden, hatte sich indessen eine Art von Maske über das Gesicht geworfen, die allerdings aus weiter nichts bestand, wie einem viereckigen Stück schwarzer Gaze mit Löchern für die Augen, was aber doch hinreichte, seine Züge zu verbergen. Er mußte auch schon genau wissen, wo sich das meiste Geld befand, denn nur noch kurz seinen Kameraden Aufmerksamkeit empfehlend, sprang er rasch zu dem umgestürzten Karren, öffnete mit ein paar Schlägen der schweren Spitzhacke das Schloß des Kastens, in dem die Briefbeutel waren, und hatte bald gefunden, was er suchte: ein nicht sehr großes, aber sehr schweres Paket in Leder eingeschnürt, das er mit den Briefbeuteln herausnahm und eine kleine Strecke in den Wald hineintrug. Dann kehrte er rasch zurück, und jetzt begann die Untersuchung der Passagiere selber, die herausgeben mußten, was sie an Geld oder Geldeswerth bei sich führten.

Es geschah das in der gewöhnlichen Weise. Jeder wurde einzeln vorgenommen, mußte sich halb aufrichten und die Arme ausgestreckt von sich halten, und während der Trompeter mit gespanntem Gewehr, den Lauf höchst ungenirt gerade in das Gesicht des Bedrohten haltend, vor ihm stand, visitirte Bill die Taschen des Opfers und seinen Körper nach einem verborgenen Geldgurt oder versteckten Kleinodien, zog auch wohl in einzelnen Fällen dem unglücklichen Individuum die Stiefeln aus, um sich zu überzeugen, daß nichts Weiteres in diesen oder vielleicht in den Strümpfen versteckt war.

Das Ganze ging aber verhältnißmäßig außerordentlich rasch vor sich, und nur ein junger Mann war noch übrig, der jetzt ebenfalls an die Reihe kam. Er war sehr anständig gekleidet und gab willig her, was er hatte: eine Uhr, ein gut gefülltes Taschenbuch und das Geld, welches er lose in der Westentasche trug. Bill hatte ihm aber in das Gesicht geleuchtet, befühlte ihn dann am ganzen Körper, und entdeckte auf seinem Rücken noch ein kleines, sorgfältig eingenähtes Paket, welches außerordentlich schlau versteckt schien.

Ein tiefer Seufzer hob des Passagiers Brust, als er sein Geheimniß verrathen sah, aber er leistete nicht den geringsten Widerstand, der ja auch unter diesen Umständen vollkommen /12/ nutzlos gewesen wäre. Bill machte ebenfalls rasche Arbeit, indem er ein kleines scharfes Messer herausnahm und den Theil des Rocks, der den verborgenen Schatz hielt, einfach herausschnitt.

Dabei hatte sich der Räuber aber etwas bücken müssen, und gerade wie er das erbeutete Paket in seiner eigenen Tasche barg, fiel ihm die Maske vom Gesicht. Unwillkürlich ließ in demselben Augenblick der junge Fremde den Strahl des Lichts voll auf die Züge des Räubers fallen, und mit erschreckter, aber nur halblauter Stimme rief er aus:

„Bill! um Gottes willen, bist Du das?"

Bill biß die Zähne fest zusammen, brachte aber seine heruntergefallene Maske wieder in Ordnung und sagte dann mit völlig ruhiger Stimme:

„Es thut mir leid um Dich, daß Du mich erkannt hast, Kamerad." - Zugleich nahm er seine Pistole aus dem Gürtel, und in dem nächsten Moment dröhnte der Schuß durch den Wald, mit dem der unglückliche Passagier lautlos an der Stelle, an der er kniete, zusammenbrach.

„Alle Teufel!" rief Jim überrascht aus, „das macht Lärm."

„Wir sind fertig," sagte Bill, der die Laterne aufgriff und die abgeschossene Waffe wieder in seinen Gürtel zurückschob - „hier, Bob, trag das, ich bringe allein nicht Alles fort. Habt Ihr von Euren eigenen Sachen nichts zurückgelassen?"

„Die Spitzhacke liegt noch am Wagen."

„Die mögen sie zum Andenken mitnehmen," knurrte der Trompeter - „verdammt, wenn ich die alte Hacke auch nur noch einen Schritt weit schleppe."

„Gut! also fort! Guten Abend, meine Herren. Sie können Ihre Reise jetzt ungestört fortsetzen" - und mit den Worten, ehe die Ueberfallenen auch nur noch recht wagten, den Kopf zu heben, waren die Räuber im Wald verschwunden, die geplünderte Reisegesellschaft sich selber überlassend. /13/

2.

Das Lager im Busch.

Die armen Reisenden blieben in einer wenig beneidenswerthen Lage zurück, denn noch thaten den meisten die Glieder von dem rauhen Sturz weh, und geplündert, mit dem Ermordeten zwischen sich, ihr Wagen umgeworfen, die Pferde in dem zersprengten Geschirr verwickelt, der Kutscher, um den sich keiner der Räuber gekümmert hatte, noch immer bewußtlos auf dem Sand ausgestreckt, standen sie rathlos da und wußten im ersten Augenblick gar nicht, was sie zuerst beginnen sollten.

„Sind sie fort?" frug da plötzlich eine noch immer vorsichtig gedämpfte Stimme, und als sie sich Alle rasch dorthin drehten, sahen sie zu ihrem Erstaunen, daß es der Kutscher selber war, der bis jetzt für gut befunden hatte, den Halbtodten zu spielen. Allerdings mochte er wohl ein wenig unsanft aufgefallen sein; sobald er aber wieder zu sich kam und die ganze Scene überschaute, wußte er recht gut, was hier vorging, und hielt sich demzufolge - das Gescheiteste, was er für seine eigene Person thun konnte - passiv. Die Kutscher selber wurden bei derlei Ueberfällen, nach einem stillschweigenden Uebereinkommen der Räuber, nie belästigt, so lange sie sich nicht, was aber ebenfalls nie geschah, zur Wehr setzten, und da ein solcher persönlich kein weiteres Interesse an der Sache hatte, kümmerte es ihn sehr wenig, was mit seinen Passagieren oder den ihm übergebenen Poststücken geschah; konnte er doch nie dafür verantwortlich gemacht werden.

 

So wie er übrigens die Bestätigung erhielt, daß die Räuber oder Bushranger im Busch verschwunden seien, hob er sich langsam vom Boden und stand dann, sich verlegen am Kopf kratzend, neben seinem arg zugerichteten Geschirr, das er mit sehr betrübten Blicken betrachtete. Um den Erschossenen, um den sich die übrigen Reisenden jetzt sammelten, kümmerte er sich gar nicht. Das war ja nur ein Passagier.

Der Unglückliche, ein junger, blühender Mann, der Sohn /14/ eines Stationshalters vielleicht - Niemand der Passagiere kannte ihn - lag regungslos in seinem Blut am Boden, und das matte, unsichere Licht des Mondes verrieth nur, daß die mörderische Kugel ihm in die Brust gegangen sei - aber er war noch nicht todt, sein Röcheln kündete noch Leben in dem mißhandelten Körper, und ein alter Herr mit weißen Haaren kniete jetzt neben ihm nieder, hob ihm den Kopf auf sein Knie und begann die Wunde zu untersuchen.

Der Kutscher hatte sich indessen daran gemacht, die Pferde zu entwirren, was ihm endlich gelang, denn hier oben konnten sie doch nicht halten bleiben, und das Nothwendigste blieb jetzt, den umgestürzten Wagen wieder aufzurichten.

Glücklicher Weise war an diesem kein Rad gebrochen, und der Kutscher - jetzt ganz sicher, daß ihn die Bushranger nicht mehr hören konnten - fluchte in einer Weise, wie man sie vielleicht nur in Australien zu hören bekommt, auf die heillosen Halunken, die seinem guten Geschirr in so ausgesucht heimtückischer Weise eine Grube gegraben und gewissermaßen das ganze Nest darin gefangen hatten - denn über die Art, wie sie hier überlistet worden, blieb natürlich kein Zweifel mehr - das tief ausgewühlte Gleis verrieth das deutlich genug.

Die übrigen Passagiere - der Alte beschäftigte sich noch immer mit dem Verwundeten - leisteten jetzt die nöthige Hülfe, um den umgestürzten Karren wieder aufzurichten, übrigens kein leichtes Stück Arbeit - und nach einer guten Stunde hatten sie wenigstens die Genugthuung, ihr Fuhrwerk wieder so weit in Stand gesetzt zu sehen, um ihre Reise fortsetzen zu können. Von hier aus waren auch die zurückgebliebenen zwei Pferde im Stande, die königliche Post fortzubringen, denn der Weg ging fast ausschließlich bergab, und nur, was mit dem vom Schuß Getroffenen werden sollte, blieb noch die Frage.

Der alte Herr verlangte allerdings, daß ihrer Vier den Unglücklichen, der jedenfalls noch lebte, bis zum nächsten Haus hinab tragen sollten, da ihm das Rütteln des Fuhrwerks vielleicht den Tod bringen konnte. Dagegen aber protestirten die Uebrigen, die geradezu erklärten: sie hätten heut Abend der Unbill genug gelitten, um jetzt auch noch mit den überdies /15( durch den Sturz schmerzenden Gliedern eine Leiche Stunden weit zu schleppen. Die Wunde in der Brust sei jedenfalls tödtlich, und das Einfachste, den armen Teufel hier unter einen Baum zu legen und dann vom nächsten Haus Leute abzuschicken, die ihn begraben oder sonst mit ihm machen konnten, was sie wollten. Was kümmerte sie überhaupt der fremde Mensch!

Dem widersprach der alte Herr auf das Entschiedenste. Den Verwundeten hier ohne Hülfe zurück zu lassen, wäre kaum weniger ein Verbrechen gewesen, wie der Mord selber, und wenn sich auch ein paar der Rohesten noch dagegen sträubten, setzte er doch endlich die Mitnahme durch. So gut das eben die Umstände erlaubten, wurde dem Unglücklichen ein bequemer Platz hergerichtet; der alte Herr nahm ihn dann selber in seine Arme, und mit der Mahnung an den Kutscher, bis zu der nächsten menschlichen Wohnung nur langsam zu fahren, setzte sich der geplünderte Postwagen endlich wieder in Bewegung.

Indessen hatten sich die Bushranger in den Wald und zu einer ihnen wohl bekannten Stelle an einer Schroffe zurückgezogen, wo sie ganz sicher waren, heute Nacht nicht allein nicht belästigt zu werden, sondern auch, ohne die geringste Furcht, entdeckt und gesehen zu werden, ein Lagerfeuer anzünden konnten. Lebensmittel mit den nöthigen Getränken waren ebenfalls schon über Tag hierher geschafft worden, und mit dem behaglichen Gefühl eines vollständig geglückten Unternehmens suchte die verbrecherische Schaar diesen Zufluchtsort, um sich vor allen Dingen mit Speise und Trank zu stärken und dann das Weitere, ihre eigene Sicherheit betreffend, zu überlegen und zu besprechen.

Dort waren diese, an ein Buschleben überhaupt gewöhnten und abgehärteten Menschen auch bald behaglich eingerichtet, und ihre fetten Hammelrippen auf den Kohlen bratend und eine Flasche Rum im Kreise herumsendend, gaben sie sich einem Gefühle vollständiger Sicherheit hin, das auch in der That nur durch einen Umstand getrübt wurde - den ausgeführten Mord. Die Beraubung der königlichen Postkutsche wie ihrer Passagiere hätte ihnen sonst wenig Sorge genug gemacht.

„Sagt mir, Bill," begann auch hier Jim endlich, „was /16/ Euch auf einmal in den Kopf stieg, den jungen Swell2 so ohne Weiteres über den Haufen zu schießen. Die ganze Geschichte ging so geschwind und eigentlich so ruhig ab, daß ich nicht einmal recht klug daraus geworden bin, wenn ich auch dicht daneben stand."

„Er hatte mich erkannt und - mußte sterben," erwiderte der junge Bursche, und schien sich Mühe zu geben, gleichgültig bei den Worten zu bleiben. Aber so verworfen hatte ihn das Laster doch noch nicht gemacht, selbst von einem Mord theilnahmlos zu sprechen, wenn er es auch die schon mehr abgehärteten Kameraden wollte glauben machen. Sein Gesicht selber sah wenigstens todtenbleich dabei aus, und seine Hand zitterte, als er die Flasche ergriff, um mit dem starken Trank die aufsteigenden Gedanken zu betäuben.

„Hm - 's bleibt immer eine verfluchte Geschichte," brummte der Trompeter vor sich in den Bart - „Blut ist Blut, und je weniger mau damit zu thun hat, desto besser. Wird jetzt ein heilloses Geschrei in der Colonie geben, und die ganze Polizei Monate lang auf den Beinen halten."

„Und was thut's?" lachte der junge Verbrecher höhnisch zurück. „Wir Alle wissen, wohin wir uns zu wenden haben, um dem Lärm aus dem Wege zu gehen, bis er vorüber geblasen ist. So wie wir getheilt haben, brechen wir auf, und mit dem Bösen selber müßte es zugehen, wenn sie uns auf die Spur kommen wollten. Ich wenigstens fürchte die ganze Polizeibande nicht."

„Blut ist Blut," knurrte aber auch Bob, der nichtsdestoweniger dabei an einer erst halbgaren Hammelrippe kaute, daß ihm das Fett an beiden Mundwinkeln herunter lief, „und es bleibt immer ein nichtswürdiges Gefühl, wenn man das hinter sich weiß - den Strick nämlich."

„Und sollt' ich ihn laufen lassen, daß er nachher in Sidney Lärm schlug und wir Alle wie ein Dingo im Walde herum und zu Tode gehetzt wurden?"

„Wäre auch eine verdammte Geschichte, das ist wahr," bestätigte Jim. - „Daß Ihr den schwarzen Lappen auch vom /17/ Gesicht verlieren mußtet. Es geht doch bei solchen Gelegenheiten nichts über das Anmalen, und man hat nie die geringste Unbequemlichkeit davon."

„Und jetzt ist's geschehen und nicht mehr zu ändern," sagte Bill trotzig - „keinesfalls verräth der etwas mehr."

„Und seid Ihr sicher, daß er todt ist?" frug Jenkins, der sich bisher nicht um das Gespräch gekümmert und nur mit der Behandlung des Fleisches auf den Kohlen beschäftigt hatte. Bill sah ihn rasch an.

„Gewiß," sagte er - „die Ladung muß ihm ja den Rock verbrannt haben, so nahe war ich, und den Schuß kann er um keine Minute überlebt haben."

„Dann ist's auch nicht der Mühe werth, nachher noch ein großes Geschrei zu machen," philosophirte der Bushrangcr - „Blut ist Blut, das ist richtig, aber ein Strick ist auch ein Strick, und sicher bleibt sicher. Bill hat wie ein Mann gehandelt, ich hätt's selber nicht besser machen können" - und als ob das das größte Lob sei, das er im Stande wäre zu spenden, stach er mit seinem Messer in ein paar der jetzt durchgebratenen Rippenstücke und begann seine eigene Mahlzeit.

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