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Unter Palmen und Buchen. Erster Band.

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Unter Palmen und Buchen. Erster Band.
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Eine alltägliche Geschichte

Es war auf einem Balle in der Erholung, daß Dr. Kuno Brethammer Fräulein Bertha Wollmer kennen lernte – oder vielmehr zum ersten Male sah, und sich sterblich in sie verliebte.

Bertha Wollmer trug ein einfaches weißes Kleid, einen sehr hübschen Kornblumenkranz im blonden Haar und sah wirklich allerliebst aus. Aber es bleibt immer ein gefährlich Ding, wenn sich ein Mann eine Hausfrau auf einem Balle sucht. Der Ballsaal sollte der letzte Ort dazu sein, denn dort ist Alles in Licht gehüllt, und er wird geblendet und berauscht, wo er gerade Augen und Verstand nüchtern und besonnen auf dem rechten Fleck haben müßte.

Diesmal hatte aber Dr. Brethammer seine Wahl nicht zu bereuen, denn Bertha Wollmer war nicht allein ein sehr hübsches Mädchen, das sich mit Geschmack zu kleiden wußte, sondern auch außerdem wacker und brav, ein wirklich edler Charakter und eine, wie sich später herausstellte, vortreffliche Wirtschafterin. – Der Doctor hätte auf der Welt keine bessere Lebensgefährtin finden können.

Gegen ihn selber ließ sich eben so wenig einwenden. Er war etwa 34 Jahre alt, Advocat mit einer recht guten Praxis, hatte also sein Auskommen, galt in der ganzen Stadt für einen braven, rechtschaffenen Mann, schuldete keinem Menschen einen Pfennig und als er, vierzehn Tage später, um Bertha Wollmer anhielt, sagte das Mädchen nicht nein, und Vater und Mutter sagten ja, worauf dann noch in der nächsten Woche die Verlobungskarten ausgeschickt wurden. Zwei Monate später fand die Hochzeit statt.

So lebten die beiden Leute viele Jahre glücklich miteinander, und Dr. Brethammer sah mit jedem Tage mehr ein, daß er eine außerordentlich glückliche Wahl getroffen und Gott nicht genug für sein braves Weib danken könne. Er liebte sie auch wirklich recht von Herzen, aber – wie das oft so im Leben geht – das, was sein ganzes Glück hier bildete, wurde ihm – durch Nichts gestört – endlich zur Gewohnheit und er vernachlässigte, was er hätte hegen und pflegen sollen.

Es mag sein, daß seine Liebe zu der Gattin deshalb nie geringer wurde, aber er vernachlässigte auch die Form, die in einem gewissen Grade in allen Lebensverhältnissen nöthig ist: er war oft rauh mit seiner Frau, ja heftig, und wenn er auch dabei nicht die Grenzen überschritt, die jeder gebildete Mensch inne halten wird, that er ihr doch oft – gewiß unabsichtlich – recht wehe. Ja manchmal, wenn ihm ein heftiges Wort entfahren war, hätte er es von Herzen gern widerrufen mögen, aber – das ging leider nicht an, denn – er durfte sich an seiner Autorität nichts vergeben.

Nur zu einer Entschuldigung ließ er sich herbei: »Du weißt, ich bin jähzornig,« sagte er, »wenn's aber auch oft ein Bischen rauh herauskommt, so ist es ja doch nicht so schlimm gemeint und eben so rasch vergessen.«

Ja, das war allerdings der Fall; er hatte es eben so rasch vergessen, aber sie nicht, und wenn sie ihm auch nie ein unfreundlich Gesicht zeigte, wenn sie ihn immer bei sich entschuldigte und sein oft mürrisches Wesen auf die Sorgen und den Aerger schob, den er außer dem Hause gehabt – ein kleiner Stachel blieb von jeder dieser Scenen in ihrem Herzen zurück, so viel Mühe sie sich selber gab, die Erinnerung daran zu bannen; einen kleinen Nebelpunkt ließ jede solche Wolke zurück, die an der Sonne ihres häuslichen Glücks, sei es noch so schnell vorübergezogen, und in einsamen Stunden konnte sie oft recht traurig darüber werden.

Sie hatten zwei Kinder mitsammen, an denen der Vater mit großer und wirklich inniger Liebe hing – und doch, wie wenig gab er sich mit ihnen ab! – Es ist wahr, am Tage war er sehr viel beschäftigt und mußte sich oft gewaltsam die Zeit abringen, um nur zum Mittagsessen zu kommen, aber Abends um sechs Uhr hatte er dafür auch jedes Geschäft abgeschüttelt, und dann wäre ihm allerdings Zeit genug geblieben bei Frau und Kindern zu sitzen, um sich seines häuslichen Glückes zu freuen, aber – »er mußte dann doch ein wenig Zerstreuung haben« – wie er sich selbst vorlog – er mußte den Geschäftsstaub abschütteln und mit einem »Glas Bier« hinunterspühlen, und das geschah am besten im Wirthshaus, wo man nicht gezwungen war zu reden – wenn man nicht reden wollte – wo man einmal eine Partie Scat oder Billard spielte, um die ärgerlichen Geschäftsgedanken aus dem Kopf zu bringen – und wie die Ausreden alle hießen, mit denen er allein sich selber betrog, denn seine Frau fühlte besser den wahren Grund.

Er amüsirte sich nicht zu Haus. Er hatte seine Frau und Kinder unendlich lieb und würde Alles für sie gethan, jedes wirklich große Opfer für sie gebracht haben aber – er verstand nicht, sich mit ihnen zu beschäftigen, und suchte deshalb Unterhaltung bei Karten und Billard.

Und wie verständig und lieb betrug sich seine Frau dabei! Er mochte noch so spät Abends zum Essen kommen, nie zeigte sie ihm ein unfreundliches Gesicht, nie frug sie ihn, wo er heute so lange gewesen. Die Kinder – wenigstens das jüngste – waren dann schon meist zu Bett gebracht; er konnte ihnen nicht einmal mehr »gute Nacht« sagen, und ärgerlich über sich selber – so sehr er auch vermied es sich selber einzugestehen – verzehrte er schweigend sein Abendbrod.

Das waren die Momente, wo ihm der älteste Knabe ängstlich aus dem Weg ging, denn hatte er irgend etwas versäumt, und der Vater erfuhr es in einer solchen Stunde, dann konnte er sehr böse und sehr heftig werden – und die arme Mutter litt besonders schwer darunter.

Wie oft nahm er sich vor, die Abende in seiner Familie, bei den Seinen zuzubringen, und er wußte ja, wie sich seine Frau darüber gefreut haben würde. So lieb und gut sie dabei mit den Kindern war, so sorgsam sie auf Alles achtete, was dem Gatten eine Freude machen oder zu seiner Bequemlichkeit dienen konnte, so verständig war sie in jeder andern Hinsicht, und es gab Nichts, worüber sich nicht ihr Mann hätte mit ihr unterhalten mögen, Nichts, worin sie nicht im Stande gewesen wäre, einen vernünftigen Rath zu ertheilen. Er kannte und schätzte diese Eigenschaften an ihr – er liebte sie dafür nur desto mehr, aber – wenn der Abend, wenn die Zeit kam, wo er wußte, daß sich die Spieltische besetzten oder die gewöhnliche quatre tour zusammenkam, dann ließ es ihn nicht länger zu Hause ruhn.

Seine Frau war die letzten Jahre kränklich geworden, da sie aber nie gegen ihn klagte und ein häufiger wiederkehrendes Unwohlsein stets so viel als möglich vor ihm verbarg, um ihm die wenigen kurzen Stunden nicht zu verbittern, die er bei ihnen zubrachte, achtete er selber nicht viel darauf, oder hielt es doch keineswegs für gefährlich. Er hatte in der That sehr viel zu thun und den Kopf zu Zeiten voll genug – nur seiner Frau daheim hätte er es nicht sollen entgelten lassen. Sobald er das aber ja einmal fühlte, wollte er es auch stets wieder gut machen, und überhäufte sie mit Geschenken – ja, wo er einen Wunsch an ihren Augen ablesen mochte, erfüllte er ihn – soweit er eben mit Geld erfüllt werden konnte – nur seine Abende widmete er ihr nicht. – Er wollte auch eine Erholung haben, wie er meinte, und in seiner Heftigkeit gegen die Seinen mäßigte er sich eben so wenig.

»Ihr müßt mich nehmen, wie ich nun einmal bin,« sagte er in einer halben Abwehr, in halber Entschuldigung; »Ihr wißt wie's gemeint ist,« und damit war die Sache für ihn abgemacht, aber nicht für die Frau.

Er war auch jetzt zu Zeiten, in Gegenwart Fremder heftig gegen sie, und fuhr sie rauh an. Er meinte es wirklich nicht so bös, wie die Worte klangen, aber es trieb ihr doch manchmal die Thränen in die Augen, so sehr sie sich auch dagegen stemmte, ihm zu zeigen, wie weh er ihr gethan.

So verging der Winter. Es war eine neue Gesellschaft in X. gegründet worden und Brethammer Vorstand dabei. Das Local wurde mit einem Ball eröffnet, und er hätte seine Frau gern dort mit eingeführt, ja er kaufte ihr ein ganz prachtvolles Ballkleid und that wirklich Alles, um sie zu überreden, ihm die Freude zu machen. Sie sagte ihm jetzt, daß sie unwohl sei, aber er wollte es ihr nicht glauben, und erst als sie ihm mittheilte, wie viel sie den letzten Herbst gelitten, und wie große Mühe sie sich gegeben, es nicht zu zeigen, erschrak er, und jetzt fiel ihm auch ihr bleicheres Aussehen, fielen ihm die eingefallenen Wangen auf. Aber er nahm es trotzdem leicht. Sie war schon oft unwohl gewesen und hatte sich immer wieder erholt, auch diesmal würde es sicher vorübergehen, wenn sie sich nur schonte. Es war unter solchen Umständen jedenfalls das Vernünftigste, daß sie nicht auf den Ball ging.

Der Winter verging, Bertha wurde in der That nicht kränker, aber sie blieb leidend, und ihr Gatte gewöhnte sich zuletzt an diesen Zustand. Er hatte anfangs seine Heftigkeit gemäßigt und sich Gewalt angethan – und ach, wie dankbar war ihm Bertha dafür! – auf die Länge der Zeit aber vergaß er das wieder – es war ja nicht mehr nöthig. Seine quatre tour und Scatpartie versäumte er aber nie und amüsirte sich ganz vortrefflich dabei. Kam er dann Abends nach Haus – ob er sich auch einmal um eine halbe oder ganze Stunde verspätet hatte – fand er den Tisch gedeckt, und war es so spät geworden, daß die Kinder zu Bett geschickt werden mußten, so setzte sich sein Weib mit ihm allein zum Essen nieder.

Im Frühjahr schienen Bertha's Leiden heftiger wiederzukehren, und der Arzt kam fast täglich, aber auch er sah keine Gefahr darin. Er wußte selber nicht, daß Bertha ihr Leiden leichter nahm, als es wirklich war, oder vielleicht mehr vor ihm verbarg, als sie hätte thun sollen; aber sie fürchtete, dem Gatten das Haus dadurch noch ungemüthlicher zu machen, und trug deshalb lieber Alles allein.

Eines Abends, im Mai, saß Dr. Brethammer wieder am Kartentisch und zwar in einem Garten, etwa drei Viertelstunden Wegs von X. entfernt, wohin die kleine Gesellschaft bei schönem Wetter allabendlich auswanderte, als ein Bote hereingestürzt kam und ihm einen kleinen Zettel überreichte. Es standen nur wenige Worte darauf:

 

»Komm zu mir. – Bertha.« Aber die Worte waren mit zitternder Hand geschrieben, und den Mann überkam, als er sie gelesen, eine ganz sonderbare Angst.

Was konnte da vorgefallen sein? war Bertha krank geworden? daß sie fortwährend krank gewesen, wollte er sich gar nicht gestehen, aber der Bote wußte weiter nichts. Man hatte ihn auf der Straße angerufen und gut bezahlt, damit er so schnell wie möglich diesen Brief übergeben sollte. – Mitten im Spiel hörte der Doctor auf, ein Beisitzender mußte dasselbe übernehmen, und so rasch ihn seine Füße trugen, eilte er in die Stadt zurück. Und er hatte nicht zu sehr geeilt – unten im Hause traf er sein Mädchen, die eben aus der Apotheke kam und verweinte Augen hatte.

»Was um Gotteswillen ist vorgefallen – meine Frau –?«

»O gehen Sie hinauf, gehen Sie hinauf!« rief das Mädchen. »Sie hat so danach verlangt, Sie noch einmal zu sehen.«

Der Mann wußte nicht, wie er die Treppe hinauf kam. Der Arzt stand neben dem Bett, streckte ihm die Hand entgegen, drückte sie leise und verließ das Zimmer, und neben dem Bett kniete der Unglückliche, die kalte Hand seines treuen Weibes mit Küssen und Thränen bedeckend.

»Mein Kuno,« flüsterte die zitternde Stimme, »o wie lieb das von Dir ist, daß Du noch einmal gekommen bist – mir ist nur so kurze Zeit geblieben – das Alles brach so schnell herein.«

»Bertha, Bertha, Du kannst – Du darfst mich nicht verlassen,« schluchzte der Mann und schlang seinen Arm krampfhaft um sie.

»Du thust mir weh,« bat sie leise, »fasse Dich Kuno, es muß sein – ich muß fort von Dir und den Kindern – o sei gut mit ihnen, Kuno – sei nicht so rauh und heftig mehr – sie sind ja lieb und brav, und Du, – hast sie ja auch so lieb.«

Der Mann konnte nicht sprechen. In der leisen, mit bebender Stimme gesprochenen Bitte lag ein so furchtbarer Vorwurf für ihn, daß er seinen Gefühlen, seiner Reue, seiner Zerknirschung nicht mehr Worte geben konnte. Nur seine Stirn preßte er neben die Sterbende auf das Bett, und ihre Hand lag auf seinem Haupt und drückte es leise an sich.

»Kuno,« hauchte ihre Stimme nach einer langen Pause wieder.

»Bertha, meine Bertha!« rief der Mann, sein Antlitz zu ihr hebend, »fühlst Du Dich besser?«

»Leb wohl!«

»Bertha!« stöhnte der Unglückliche, »Bertha!«

»Mach mir den Abschied nicht schwer,« bat die Frau, »die Kinder habe ich schon geküßt, ehe Du kamst – ich wollte noch mit Dir allein sein. Laß mich ausreden,« flehte sie, »mir bleibt nicht mehr viel Zeit und das Sprechen wird mir schwer – leb wohl, Kuno – habe noch Dank – tausend Dank für all das Liebe und Gute, was Du mir gethan – sei mir nicht bös, wenn ich vielleicht –«

»Bertha, um Gottes willen, Du brichst mir das Herz –«

»Es ist gut – es ist vorbei – es wird Licht um mich – leb' wohl Kuno – sei gut mit den Kindern – auf Wiedersehen!«

»Bertha!« – es war vorbei. Der Mann knieete neben der Leiche seiner Frau, und es war ihm, als ob das Weltall ausgestorben wäre und er allein und trostlos in einer Wüste stände.

Die nächsten drei Tage vergingen ihm wie ein Traum. Fremde Leute kamen und gingen ein und aus im Hause; er sah sie, wie man gleichgültige Menschen auf offener Straße vorbeipassiren sieht, und selbst als sie die Leiche in den Sarg legten, blieb er still und theilnahmlos. Die Kinder kamen über Tag zu ihm, hingen an seinem Hals und weinten; er preßte sie fest an sich und küßte sie und blieb dann wieder allein bei der Geschiedenen.

Endlich kam die Stunde, wo der Sarg fortgeschafft werden mußte, und jetzt war es, als ob er sich dem widersetzen wolle. Aber es traten eine Masse Leute in's Zimmer; Freunde von ihm dazu, die herzlich mit ihm sprachen und ihm zuredeten, daß er sich den Unglücksfall nicht so schwer zu Herzen nehmen solle. Er hörte ihre Trostgründe gar nicht, aber er fühlte, daß was hier geschah – eben geschehen mußte, und duldete Alles.

Nach dem Begräbniß kehrte er mit seinen Kindern nach Haus zurück, schloß sich hier in sein Zimmer ein und weinte sich recht von Herzen aus. Danach wurde ihm etwas leichter – und es ist ein altes und wahres Sprüchwort – die Zeit mildert jeden Schmerz, denn das Menschenherz wäre sonst nicht im Stande zu tragen, was nach und nach ihm aufgehoben bleibt. Die Zeit mildert jeden Schmerz, aber – die Zeit mildert und sühnt keine Schuld.

Den Verlust der Gattin hätte er ertragen – mit bitterem Weh wohl, es ist wahr, denn er hatte sie treu und innig geliebt, aber mit Jahr und Tag wäre die schwere Stunde des Verlustes, das Gefühl, nie mehr ihr treues Auge wieder schauen zu können, mehr in den Hintergrund getreten, und ihm nur die Erinnerung an ihre Liebe und Treue geblieben. Jetzt aber nagte ein anderes Gefühl an seinem Herzen, nicht allein das Gefühl der Schuld, nein auch die Reue über vergangene Zeit mit dem Bewußtsein, diese nie zurückbringen, das Versäumte nie, nie wieder nachholen oder ungeschehen machen zu können, und das bohrte sich ihm in's Herz, nicht mit der Zeit weichend, nein, mit den wachsenden Jahren fester und fester und unzerstörbarer.

Draußen die Welt merkte Nichts davon; er war immer ernst und abgeschlossen für sich gewesen, und daß er sich jetzt vielleicht noch etwas zurückgezogener hielt, konnte nicht auffallen, aber daheim in seiner jetzt verödeten Klause, da stieg die Erinnerung an die Geschiedene mahnend vor ihm empor, und je weniger Vorwürfe sie ihm je im Leben gemacht hatte, desto mehr machte er sich jetzt selber.

Wieder und wieder malte er sich die Stunden aus die er mit vollkommen gleichgültigen Menschen draußen bei den Karten oder hinter dem Wirthstische verbracht, während seine Bertha daheim mit einer wahren Engelsgeduld auf ihn wartete, und so lieb, so freundlich ihn empfing, wenn er endlich zurückkehrte. Wieder und wieder malte er sich die einzelnen Fälle aus, wo er rauh und heftig gegen sie gewesen, die nie ein rauhes und heftiges Wort zu irgend einer Erwiderung gehabt, und vor Scham und Reue hätte er in die Erde sinken mögen, wenn er sich jetzt überlegte, wie er damals immer – immer Unrecht gehabt, und das nur, wenn er es auch früher eingesehen, nicht früher hatte eingestehen mögen.

Aber das Alles kam jetzt zu spät – zu spät für ihn wenigstens. Er hatte einen Schatz gehalten, und mißachtet, bis er von ihm genommen wurde – keine Reue brachte ihn je zurück, und daß er sich jetzt elend und unglücklich fühlte, war nur die Strafe für eine begangene Sünde.

Für ihn war es zu spät – aber noch nicht für Viele, die diese Zeilen lesen. Viele, viele halten in gleicher Weise einen ähnlichen Schatz – und vernachlässigen, mißhandeln ihn ebenso, und es war der Zweck dieser Zeilen, daß sie sich den Moment jetzt, da es noch für sie Zeit ist, ausmalen möchten, wo die Gattin plötzlich, unvorbereitet abgerufen wurde, und die Reue des Mannes dann zu spät kam, und nie, nie wieder gut gemacht werden konnte.

Die Vision

Erstes Capitel
Die Sturmnacht

In Alburg, einer nicht ganz unbedeutenden deutschen Stadt, lebte der Justizrath Bertling in glücklicher und zufriedener Ehe mit seiner jungen Frau.

Bertling war ein ruhiger, behäbiger Charakter, der die Welt gern an sich kommen ließ, und nichts weniger liebte als unnütze und unnöthige Aufregungen. Er hatte auch in der That besonders deshalb sein Junggesellenleben aufgegeben, um sein Haus gemüthlich zu machen, und sich – bisher vermißte – Bequemlichkeiten zu verschaffen; aber er liebte nichtsdestoweniger seine Frau von ganzem Herzen und fühlte sich glücklich in ihrem Besitz.

Auguste paßte auch vortrefflich für ihn, und zwar nicht etwa durch eine Aehnlichkeit ihres Charakters, sondern eher durch einen Gegensatz, durch welchen sich die beiden Gatten vollständig ergänzten, denn man darf ja nicht glauben, daß zu einer glücklichen Ehe stets gleiche Neigungen und Ansichten, gleiche Tugenden und Fehler gehören. Auguste war denn auch, während ihr Mann ganz entschieden dem praktischen und realen Leben angehörte, weit mehr schwärmerischer Natur, ohne jedoch im Geringsten überspannt zu sein. Unermüdlich thätig in ihrem Hausstand, beschäftigte sie sich aber auch gern mit Lectüre, und vorzüglich mit solcher, die einer ideellen Richtung angehörte. Sie phantasirte vortrefflich auf dem Piano, und liebte es sogar, selbst noch nach ihrer Verheirathung – was ihr Gatte entschieden mißbilligte – bei mondhellen Nächten im Garten zu sitzen.

Lebhaft und heiter dabei, mit einem warmen Gefühl für alles Schöne, wob sie bald mit diesen Tugenden und Vorzügen einen ganz eigenen Zauber um ihre Häuslichkeit, dem sich ihr Gatte nicht entziehen konnte und wollte, so daß er bald von anderen Frauen, ihren Männern gegenüber, als das Muster eines vortrefflichen Ehemannes aufgestellt wurde.

So hatten die jungen Leute – denn der Justizrath zählte kaum ein und dreißig und seine Frau erst zwanzig Jahr – etwa zwei Jahre in glücklicher, durch nichts gestörte Ehe gelebt, als eine schwere Krankheit – ein damals in Alburg umgehendes Nervenfieber – die junge Frau erfaßte und lange Wochen auf das Lager warf.

Ihr Mann wich in dieser Zeit fast nicht von ihrer Seite und nur die wichtigsten Geschäfte konnten ihn abrufen – ja oft versäumte er selbst diese und ganze Nächte hindurch wachte er neben ihrem Bett. Allerdings paßte ihm das nicht zu seinem sonst gewohnten, bequemen Leben, aber die Angst, sein Weib durch irgend eine Vernachlässigung zu verlieren, oder auch nur ihren Zustand gefährlicher zu machen, ließ ihn das Alles nicht achten, und so ward ihm denn auch endlich die wohlverdiente Freude zu Theil, die schlimmste Krisis überstanden und die geliebte Frau nach und nach genesen zu sehen. Aber es dauerte lange – sehr lange, bis sie sich wieder vollständig von dem überstandenen Leiden erholen konnte.

Der Körper gewann dabei noch verhältnißmäßig am Schnellsten die frühere Frische wieder, wenn auch die Wangen bleicher, die Augen glänzender schienen, als sie sonst gewesen. Sie hatte aber in ihrer Krankheit besonders viel phantasirt und dabei oft ganz laut und deutlich die tollsten, wunderlichsten Dinge gesprochen. Darum bedurfte es weit längerer Zeit, ehe der Geist wieder Herr über diese Träume wurde, die sich mit der Erinnerung früherer wirklich erlebter Scenen so vermischten, daß sie oft anhaltend nachdenken mußte, um das Wahre von dem Falschen und Eingebildeten oder nur Geträumten zu sondern und auszuscheiden.

Auch das gab sich nach und nach oder stumpfte sich doch wenigstens ab. Die Erinnerungen an diese Träume wurden unbestimmter, wenn auch einzelne von ihnen noch manchmal wiederkehrten und sie oft, mitten in der Nacht, plötzlich und ängstlich auffahren machten, ja sogar wieder bestimmte Bilder und Eindrücke annahmen.

Bertling behagte das nicht recht, denn er wurde dadurch ein paar Mal sehr nutzloser Weise alarmirt. Einmal – und noch dazu in einer sehr kalten Nacht – behauptete seine Frau nämlich bei ihrem plötzlichen Erwachen, es wäre Jemand im Zimmer und unter das Sopha gekrochen – sie habe es deutlich gehört, ja sogar den Schatten durch das Zimmer gleiten sehen. Bertling protestirte gegen die Möglichkeit, aber es half ihm nichts; um seine Frau nur endlich zu beruhigen, mußte er aufstehen und die Sache untersuchen, was er denn gründlich mit Hülfe einer Elle that. Natürlich fand er nicht das geringste Verdächtige, vielweniger einen dort versteckten Menschen, und Beide lachten nachher über dies kleine Abenteuer, – aber der Justizrath trug doch einen Schnupfen davon, der ihn sogar auf ein paar Tage zwang das Bett zu hüten.

Das andere Mal wollte Auguste im Nebenzimmer ein verdächtiges Flüstern gehört haben und wenn sich auch dieses nach sorgfältiger nächtlicher Untersuchung, die der Justizrath im Schlafrock, in der Linken das Licht, in der Rechten den Feuerhaken, vornahm, als unbegründet herausstellte, so wurde der Mann doch durch diesen verschiedentlich erweckten Verdacht endlich selber so mißtrauisch gemacht, daß er sich für weitere derartige Fälle stillschweigend rüstete. Er holte nämlich ein Paar alte, schon lange zur Rumpelkammer verurtheilte Sattelpistolen hervor, reinigte und lud sie und gab ihnen einen Platz in der obersten Schieblade seiner Kommode, um sie bei einer etwa wieder vorzunehmenden Patrouille wenigstens bei der Hand zu haben.

Wochen vergingen indeß, ohne daß sich eine derartige Scene wiederholt hätte, und Bertling beruhigte sich endlich vollständig mit dem Gedanken, daß jene Ideen nur die Nachwehen der überstandenen Krankheit gewesen seien; der jetzt kräftig gewordene Körper nun aber alle derartigen Phantasiebilder ausgestoßen, und für die Zukunft unmöglich gemacht habe.

 

Auguste war in der That wieder so frisch und lebenslustig als je geworden, wenn ihre Gesichtsfarbe auch etwas »intressanter« als früher geblieben sein mochte. Sie sah bleicher aus, als sie sonst gethan, aber keineswegs kränklich oder leidend und besuchte auch wieder gern und oft Gesellschaften und Bälle, wobei es manchmal einige Schwierigkeiten hatte, den etwas phlegmatischen Gatten für solche Vergnügungen mitzubegeistern.

Auch gestern Abend war in der »Erholung« ein brillanter Ball gewesen, auf dem Auguste bis vier Uhr morgens getanzt, während ihr Gatte, als treuer Gefährte, bis etwa um zwei Uhr Whist gespielt, und noch ein paar Stunden in einer bequemen Sophaecke verträumt hatte. Heute sollte dafür recht früh zu Bett gegangen werden, und die beiden Eheleute saßen Abends allein zusammen in der Stube am Theetisch.

Es war im Februar, aber ein ganz entsetzlich naßkaltes und stürmisches Wetter. Noch vor wenigen Tagen hatte harter Frost die Erde gedeckt; heute peitschte der Regen die kaum aufgethauten Fenster und die Windsbraut heulte zwischen den Giebeln und riß an Thüren und Fensterflügeln, wie zornig darüber, daß es einen Platz geben solle, in den man ihr, der Gewaltigen, den Eintritt verweigere.

Und wie das draußen durch die Straßen fegte! Der Justizrath war aufgestanden und ans Fenster getreten, denn die Unterhaltung wollte heute nicht recht fließen. Seine Frau war abgespannt, klagte über ein leichtes Kopfweh und Brennen in den Augen und war schon ein paar Mal, wie krampfhaft zusammengefahren – jedenfalls in Folge des gestrigen Balles.

Unten brannten die Gaslaternen, aber sie erleuchteten die Straße nicht, sondern warfen nur einen matten, flackernden Schein auf das schmutzige, von halbgeschmolzenem Eis bedeckte Pflaster, denn selbst die Glasscheiben schützten die Flammen nicht vor diesem Sturm, der sie rastlos hin und her wehte und manchmal auszulöschen drohte. Die Straße selbst war menschenleer, denn wer heute nicht nothgedrungen mußte, verließ wohl nicht das schützende Haus, um sich einem solchen Unwetter preiszugeben. Nur dann und wann floh ein einzelner später Wanderer entweder mit dem Wind durch aufspritzenden Schmutz und Schlamm dahin, oder kämpfte – den Oberkörper weit vorn über gebeugt – gegen den Sturm, und dem Wetter in die Zähne, seine beschwerliche Bahn.

In langen Zwischenpausen rollte auch wohl einmal ein festgeschlossener Wagen vorüber, aber das Geräusch desselben machte die gleich nachher wieder eintretende Oede nur noch fühlbarer, als daß es sie unterbrochen hätte.

Der Himmel war mit schweren jagenden Wolken bedeckt, und der hinter ihnen stehende Vollmond konnte nicht mehr thun, als daß er manchmal ihre riesigen, beweglichen Massen in einem matten Phosphorschimmer sichtbar werden ließ. Aber selbst dies geschah nur auf Momente, und jedes Mal darnach war es, als ob der Sturm nur Athem geholt und neue Kraft gewonnen hätte, um so viel rasender zum Kampf herbei zu eilen.

»Merkwürdig, wie das da draußen tobt und gießt,« brach der Justizrath endlich das lange Schweigen indem er den Rauch seiner Cigarre gegen die Fensterscheiben blies. »Das ist nun Februar mit Mondschein im Kalender wo man eigentlich eine hellkalte, ruhige Winternacht zu fordern hätte. 'S ist aber gerade, als ob die ganze Welt ihre Jahreszeiten umdrehte, denn eingehalten werden sie wahrlich nicht mehr zur rechten Zeit.«

Er hatte sich dabei wieder dem Tische zugedreht, und sah jetzt wie seine Frau mit gespannter Aufmerksamkeit auf dem Sopha saß, als ob sie auf irgend etwas horche. Zu gleicher Zeit drang, durch die Wände und Decke aber gedämpft, der Ton einer Menschenstimme zu ihnen herüber, die jedenfalls ein geistliches Lied in lang gezogenen, schnarrenden Tönen sang. Der Justizrath lachte.

»Das ist der verrückte Schuhmacher über uns, der jedesmal bei einem Sturm, aber besonders bei einem Gewitter, den Herr Zebaoth anschreit, und sich als größten Sünder des ganzen Weltalls denuncirt. Wenn diese Narrheit nicht auch ihre komische Seite hätte, könnte es Einem wirklich unheimlich dabei werden.«

Der Justizrath hatte Recht. Die Stimme klang in der That unheimlich in diesem Aufruhr der Elemente und wenn der Wind dazu durch den Schornstein heulte und in die Schlüssellöcher pfiff, gab es einen Dreiklang, der Einem hätte das Haar zu Berge treiben können. Die Frau schauderte auch in sich selbst zusammen, allein sie erwiderte kein Wort, und der Justizrath, dem ihr Zucken nicht entging, fuhr fort:

»Man kann nur gar nichts dagegen machen; nicht einmal polizeilich verbieten darf ich es ihm, denn geistliche Lieder zu singen ist eben nichts Strafbares, und daß der Mensch so eine gellende Stimme hat, lieber Gott, dafür kann er nichts; ich bezweifle sogar, daß er es selber weiß. Uebrigens – es ist ihm vielleicht in anderer Weise beizukommen, denn seine Frau soll sich auch mit Kartenschlagen und allem möglichen anderen abergläubischen Hocuspocus beschäftigen, und wenn ich darin einmal einen Halt dafür bekomme, dann wollen wir der Geschichte rasch ein Ende machen.«

»Was war das?« flüsterte die Frau und fuhr wie erschreckt halb von ihrem Sitz empor.

»Was? – das Klappern?« sagte der Justizrath, »wahrscheinlich hat wieder Jemand die Hausthür unten aufgelassen und was nicht festgenagelt ist, rasselt bei dem Sturm hin und her. Das wird eine vergnügte Nacht werden.«

»Es war mir als ob Jemand klopfe –«

»Nun jetzt kommt kein Besuch mehr,« lachte der Mann, »und wenn –«

In dem Augenblick war es, als ob der Sturm seinen ganzen Angriff nur auf diesen Punkt concentrirt hätte. Mit einem wahren Wuthgeheul fuhr es den Schornstein herunter, und riß draußen an den Fenstern. Zu gleicher Zeit flog die Stubenthür auf und der kalte Zug strömte voll ins Zimmer, daß die Lampe hoch und düster aufflackerte.

»Alle Wetter!« rief der Justizrath, erschreckt zur Thür springend und diese wieder schließend, »das wird denn doch beinah zu toll und das alte Nest so windschief, daß weder Fenster noch Thüren länger in ihren Fugen bleiben. Wenn der Wirth das nicht spätestens bis zum Frühjahr aus dem Grunde wieder herstellen läßt, kündige ich ihm wirklich das Logis. Man kann ja die Stuben auch fast gar nicht mehr erheizen.«

Die Frau war, als die Thür aufflog, allerdings erschreckt zusammengefahren, hatte sich aber nicht weiter gerührt und saß jetzt still und regungslos. Nur mit ihrem Blick strich sie langsam, als ob sie irgend Jemandem mit den Augen folge, von der Thür fort, durchs Zimmer, bis zu dem Stuhl am Ofen, auf dem er stier und fest haften blieb.

Ihr Mann hatte nicht gleich auf sie geachtet. Er zog die neben der Thür befindliche Klingel, um das Dienstmädchen herbeizurufen und befahl diesem dann nach der Hausthür hinunter zu sehen, wie auch den Hausmann zu bitten, daß er dieselbe heute Abend verschlossen halte. Man konnte es ja wahrlich hier oben im Hause vor Zug nicht aushalten.

Darnach trat er in die Stube zurück, und es fiel ihm jetzt auf, daß seine Frau noch keine Silbe über die Störung geäußert hatte. Wie er sich ihr aber zuwandte, konnte ihm auch unmöglich der stiere, staunende Blick entgehen, den Auguste noch immer unverwandt auf den einen Punkt gerichtet hielt. Unwillkürlich sah er rasch dort hinüber, es ließ sich aber nicht das geringste Außergewöhnliche erkennen. Dort stand nur ein leerer Stuhl, und darüber hing ein alter Kupferstich, der eine Prügelscene aus irgend einer holländischen Dorfschenke darstellte.

»Nun?« sagte er endlich und jetzt selber erstaunt – »was hast Du nur?«

Statt aller Antwort und ohne den Blick von dem festgehaltenen Punkt zu nehmen, hob die junge Frau langsam den rechten Arm in die Höhe und deutete mit dem Zeigefinger auf die Stelle.

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