VDR Jemen 1984-1987 – ein DDR-Auslandskader erzählt

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VDR Jemen 1984-1987 – ein DDR-Auslandskader erzählt
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Günter Mosler

Günter Mosler

VDR Jemen

1984 – 1987

Ein DDR-Auslandskader erzählt

Zwischen Dschungel, Taiga, Savanne, Wüste und Heimat

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2014

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen

Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright (2014) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Fotos © Günter Mosler

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

INHALT

Cover

Titel

Impressum

Kurzer Auslandarbeitseinsatz in der VDR Jemen

Wieder in der VDR Jemen und … die Flucht aus Jemen

Nach der Flucht wieder in der VDR Jemen

KURZER AUSLANDARBEITSEINSATZ IN DER VDR JEMEN

Im Ministerium für Bauwesen der DDR wird mein Arbeitseinsatz in Mosambik gewürdigt und mir wird mitgeteilt, die mosambikanische Seite wünscht meinen Vertrag in Moatize zu verlängern. Angeboten wird mir eine neue Aufgabe als LIMEX-Beauftragter in Kuwait, damit bin ich einverstanden. LIMEX GmbH ist die Abkürzung von Leistungen im Export. Es ist mein stiller Wunsch, eine Aufgabe in einem arabischen Land zu übernehmen. Am 7.3.1983 ist mein erster Arbeitstag bei LIMEX Berlin

Über die Struktur des Betriebes mache ich mir keine Gedanken, er gehört im weitesten Sinne zum Außenhandelsministerium, hier werden Import-Export-Verträge abgeschlossen, Kostenangebote von DDR-Betrieben geprüft und Verhandlungen mit ausländischen Auftraggebern geführt, aber auch Kader für die Außenstellen im Ausland vorbereitet, so meine Erkenntnisse über LIMEX. Diese Vertretungen habe ich bereits in Hanoi, Moskau, Luanda und Maputo kennen gelernt. Es ist eine kaufmännische Aufgabe, vielleicht finde ich daran gefallen. In der Kaderabteilung von LIMEX werde ich registriert, anschließend dem Abteilungsleiter und Parteisekretär vorgestellt, beiden ist nicht bekannt, mich für eine Aufgabe in Kuwait vorzubereiten.

Im Großraum-Büro fühle ich mich wie Falschgeld auf der Börse und weiß nicht, was ich machen soll. Der Angestellte, dem ich zur Seite stehen soll, ist krank. Er müsste aber bald kommen, sagt der Kadermitarbeiter. Nach zwei Tagen trostlosem Gammeln nehme ich in eigener Initiative Kontakt zu einem Genossen auf, der tief in seinem Projekt versunken ist und biete ihm meine Dienste an. Der nette Genosse, anfangs misstrauisch, überträgt mir Aufmaßberechungen für ein Bauvorhaben in Syrien oder Jordanien. Die Arbeitsatmosphäre in diesem Großraum-Büro ist kühl, formell, wenig kameradschaftlich, angesprochen wird man mit „Genosse“ auch wenn der Gesprächspartner kein Genosse ist. Das alles passt nicht in mein Weltbild, meine ersten Überlegungen werden wach, die Kurve zu kratzen. Interventionen beim Abteilungsleiter, mir konkrete Aufgaben für mein zukünftiges Aufgabengebiet in der LIMEX-Vertretung in Kuwait zu übertragen, stoßen auf taube Ohren. Bei weiterem Vorsprechen bekomme ich zu hören, dass der Umfang der DDR-Exportleistungen nicht ausreichend ist, um die Außenhandelsvertretung in Kuwait zu erweitern. Ich suche weiter Beschäftigung im Großraum-Büro und werde so für einen längeren Zeitraum mit dem Studium von Projekten, dem Prüfen von Aufmaßen und der Ausarbeitung von Leistungsangeboten für mehrere Leichtbauhallen tätig. Ich bin auf Dienstreise zum VEB Leichtbaukombinat Leipzig, dem ausführenden Betrieb der Hallen im Irak, hin und wieder mal im Handelszentrum Berlin.

Jeden Freitag mache ich Einkäufe von Delikatessen für meine Lieben daheim, die es in der Provinz nicht gibt.

Nach 17:00 Uhr fahre ich mit der Deutschen Reichsbahn nach Zeitz und Montag, in den Mittagsstunden, erscheine ich wieder bei LIMEX. Von Montag bis Freitag bin ich in Friedrichsfelde, in einer LIMEX-Wohnung untergebracht. Dieser Zustand befriedigt mich nicht, Perspektiven sind nicht zu erkennen, weder für eine Aufgabe in Kuwait, noch in einem anderen Emirat. Und in Berlin zu bleiben, kommt für mich nicht in Frage.

Im Mai verstoße ich „grob“ fahrlässig gegen das SED-Parteistatut und werde in der Juni-Parteiversammlung mit einem Verweis bestraft. Mein Verstoß ist folgender: Am 16. Mai 1983 etwa 10:30 Uhr am Leipziger Bahnhof, nach einem Besuch beim VEB Leichtbaukombinat, schaue ich zur Informationstafel nach einem Zug nach Berlin zur LIMEX. Meine schwere Aktentasche, in der sich auch mein Parteidokument befindet, stelle ich etwa zwei Meter von der Tafel entfernt auf einem massiven Abfallbehälter ab.

Die Halle ist menschenleer, eine Streife der Bahnpolizei geht an mir vorbei. Als ich mich für die günstigste Verbindung entschieden habe, stelle ich fest, dass meine Tasche verschwunden ist. Ich schaue mich in der Halle und an den Bahnsteigen um und finde meine schwere, mit Zeichnungen vollgestopfte Aktentasche nicht.

Panik erfasst mich, Erinnerungen werden an die Zollkontrolle 1979 am Grenzübergang in Guben bei der Einreise in die DDR wach. Wegen drei technischen Zeichnungen, wurde ich festgehalten. Ich verfluche alle Diebe, die Hände sollte man ihnen abhaken, wie das angeblich die Saudis machen. Lenins Büchlein „Was tun“, habe ich bis dahin nicht geschafft zu lesen, vielleicht steht dort eine Lösung für mein Partei-Problem.

Widerwillig entscheide ich mich, zur Fundstelle zu gehen, den Verlust zu melden, und ich glaube meinen Augen nicht, meine Aktentasche steht als einziges Fundobjekt im Regal. Das nette ältere Männlein händigt mir ohne Anstand die schwere Aktentasche aus und bemerkt so nebenbei: „Die Bahnpolizei hat die Aktentasche vor ein paar Minuten hierher gebracht, das Parteidokument haben sie behalten“

„Oh, da bekomme ich Ärger“, sage ich.

„Ach was, geh zu ihnen, vielleicht geben sie dir das Parteidokument heraus, die faulen Säcke scheißen dich zusammen, aber dafür bekommst du kein Ärger im Betrieb“, sagt der Fundstellenarbeiter.

„Na ja, das Parteidokument ist wichtiger als die technische Dokumentation, Ärger ist auf der ganzen Linie programmiert“, sage ich im Selbstgespräch

Bei der Bahnpolizei werde ich abwertend behandelt: „Ein Genosse trägt das Parteidokument bei sich und nicht in der Aktentasche, von der man sich entfernt. Das Parteidokument geht auf dem Dienstweg zu ihrer Betriebsparteiorganisation“, sagt der Bahnpolizist. Ich werde nicht mit „Genosse“ sonder mit „Sie“ angesprochen. Auf meine Frage: „Wann kann ich damit rechnen, mein Parteidokument in Empfang zu nehmen?“

Der Genosse Bahnpolizist antwortet hochnäsig mit einer Gegenfrage: „Wo und in welchem Volkseigenem Betrieb sind Sie beschäftigt?“

Ich antworte kurz: „Bei LIMEX-Berlin“

„Von so einem Volkseigenem Betrieb habe ich noch nie gehört. Produziert ihr dort Schuhe oder Bekleidung?“, bohrt er weiter.

Ich antworte: „Nein, wir verkaufen aber Schuhe und Bekleidung.“

An weiteren neugierigen Fragen ist der Genosse Bahnpolizist nicht interessiert. „Sie werden warten müssen, der Dienstweg zu ihrer Betriebsparteiorganisation ist weit, über die Bezirksparteileitung Leipzig, wahrscheinlich weiter zum Zentralkomitee der SED, von dort aus zur Bezirksparteileitung Berlin.“

Na, ja da kann ich mir meine Pfeife anbrennen, denke ich.

Bei meinem Parteisekretär melde ich sofort den Verlust meines Parteidokuments, erfreut ist er nicht darüber. Eine minutenlange Belehrung über die Bedeutung des Parteidokuments, besonders von einem Genossen Auslandskader, folgt: „Das ist eine grobe Missachtung unsere Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, in der kommenden Parteiversammlung musst du dazu Stellung beziehen und wir werden darüber diskutieren“, so der verärgerte SED-Parteisekretär.

Langsam kotzt mich das alles an. Die hochnäsigen, verschlossenen steifen Krawattenträger im Großraum-Büro verhalten sich geheimnisvoll, es besteht kein Interesse mich in mein zukünftiges Arbeitsgebiet in Kuwait oder in einem anderen arabischen Land einzuführen, kameradschaftliche Kontakte bleiben aus. Im Großraumbüro werden zwei Genossen besonders hoch geachtet. Sie dürfen zu jeder Zeit nach Westberlin und in die BRD reisen, natürlich nur dienstlich. Hin und wieder folgt ein Aufschrei unter den weiblichen Mitarbeitern im Büro, wenn ein Dienstreisender aus Moskau zurückkehrt und zur Begrüßung einige Flakons fliedersüßen Parfüms in die Menge versprüht.

In der Juni-Parteiversammlung stehen zwei Disziplinarthemen auf der Tagesordnung: Unmoralisches Verhalten des Genosse X in Irak: Seine sexuellen Beziehungen zu einer Irakerin sorgten für Empörung unter DDR-Bürgern in Bagdad. Er wurde von einer Genossin der Botschaft beim Sex am Schreibtisch ertappt. Der Genosse X wurde von seiner Tätigkeit in Bagdad entbunden. Zweitens: Verlust des Parteidokuments des Genossen Mosler. Und sofort wird scharf in meine Richtung geschossen. Ein tolles Thema für Wichtigtuer! Ich werde aufgefordert Stellung dazu beziehen, schildere wahrheitsgemäß den Ablauf des Verlustes und beim Sagen „meine Tasche auf einer Erhöhung, gestellt zu haben“ (vermeide absichtlich die Bezeichnung: Abfallbehälter), werde ich unterbrochen und gebeten den letzten Satz zu wiederholen und ich wiederhole wunschgemäß „auf einer Erhöhung“.

 

Sofort widerlegt ein dicker bärtiger Genosse aus dem Präsidium meine Aussage, höchst zynisch: „Genossen, Genossen, die Aktentasche mit dem Parteidokument und wiederholt, mit dem Parteidokument, befand sich im Abfallkorb, in der Westhalle des Leipziger Bahnhofs, so die Bahnpolizei im Fundbericht und diesen Abfallkorb bezeichnet der Genosse Mosler als Erhöhung, ach, wie niedlich Anhöhung, Anhöhung.“

Darauf antworte ich: „Genossen, mir tut es leid, so unbewusst gehandelt zu haben, der Abfallkorb war leer und meine Aktentasche passte ausgezeichnet darauf, die Bahnpolizei kam vorbei und mein Missgeschick flog auf. Genossen mir tut es wirklich leid, so ein wichtiges Dokument abseits von mir aufbewahrt zu haben.“

Die Diskussion schlägt Wogen, wie gehe ich mit meinem Parteidokument um. „Das Parteidokument ist das wichtigste Dokument eines Genossen, das Parteidokument trägt ein Genosse in der linken Brusttasche nahe am Herzen und nicht in der Aktentasche, die man auch im Abfallkorb ablegt, das ist eine Beleidigung unserer SED und, und, und…

Jetzt habe ich die Faxen wirklich voll, ich muss hier weg, das ist mein fester Entschluss. Mitte Juli plagen mich Kopfschmerzen und erhöhte Temperatur. Mein Hausarzt schöpft Verdacht einer erneuten Malaria und schreibt mich bis zum Monatsende krank. Nach Rücksprache im Ministerium für Bauwesen werde ich zurück zur Kombinatsleitung des VEB BMK „Chemie“ Halle in die neu gegründete Abteilung für Außenwirtschaft, unter der Leitung von Claus Friedrich delegiert. Hinter die Kulissen der Abteilung darf nicht jedermann schauen, alles ist streng vertraulich, wertvolle D-Mark oder Dollar sind nur für eine kleine Gruppe Dienstreisender ins Nichtsozialistische Ausland bestimmt. Dieser schmackhafte Kuchen ist längst aufgeteilt.

Den Wunsch zu äußern, ich möchte vorübergehend in Westberlin oder in der BRD arbeiten, wo wir Baustellen haben, würde sofort aufhorchen lassen: „Ach, sieht mal, der Mosler möchte zum Klassenfeind“, das schöpf Verdacht, einer Republikflucht und sofort bin ich weg vom Auslandskaderfenster, also Günter sei vorsichtig, zeige kein Interessen am Klassenfeind sonst wirst du brav geschult zum vorbildlichen Genossen in der Kreis- und Bezirksparteischule, diese hast du noch nicht besucht.

Genossen der Firma Horch und Guck sind Dauergäste in der Abteilung Außenwirtschaft und da ist Vorsicht geboten – auch im privaten Leben.

Die Kaderabteilung des Ministeriums für Bauwesen versichert mir, ich bin registrierter Auslandskader für das nicht sozialistische Wirtschaftsgebiet und sobald Bedarf ansteht, werde ich benachrichtigt, es kann sehr schnell zum Arbeitseinsatz kommen.

In der Außenwirtschaftsabteilung des Kombinates werden Bauexportleistungen zur Realisierung vorbereitet, Kostenangebote ausgearbeitet, Verhandlungen mit Vertragspartnern geführt, Kirchenbauten im Inland instand gesetzt, Bauimporte aus der BRD in den Leunawerken koordiniert. Wir realisieren Bauaufträge in Westberlin, München, in Syrien, es bahnen sich Verträge an mit Auftraggebern in Österreich und Jordanien.

Berauschend ist meine Aufgabe als Consult-Ingenieur jedoch nicht, ich beschäftige mich mit der Ausarbeitung von Kostenangeboten, übersetze Leistungsbeschreibungen aus dem Englischen, nehme an Arbeitsberatungen in der Abteilung teil, in Leuna und zum Kirchenbauprogramm. Es sind wichtige Aufgaben, aber diese fesseln mich nicht, ich brauche mehr Bewegungs- und Entscheidungsfreiheit.

Montag der 2. Juli, mein Kaderleiter überreicht mir einen dringenden Dienstreiseauftrag zum Ministerium für Bauwesen nach Berlin.

Helga begleitet mich zum Abteilungsleiter und der kommt sofort zur Sache: „Du wirst in Aden in der VDR Jemen für kurze Zeit gebraucht, die Ausreise soll in den nächsten Tagen erfolgen. Du fährst anschließend nach Dessau zum VEB Bauingenieurkombinat (VEB BIK) und meldest dich in der Außenwirtschaftsabteilung, dort erfährst du Details über deine Aufgaben. Die Genossen in Dessau werden sofort über dein Erscheinen informiert“, so der Genosse Abteilungsleiter.

Ich bin überrascht vom sofortigen Einsatz und frage: „Was wird in Aden gebaut?“

„Eine Druckerei, die vor der Übergabe steht, alles andere bekommst du in Dessau gesagt.“

In meinem Kopf werden alle Zellen wach: Warum so schnell, irgendetwas steckt dahinter, ob Helga den Grund der schnellen Ausreise verrät?

Auf dem Weg zu Helgas Büro bleiben wir stehen, Helga schaut nach links und rechts und sagt: „Günter, dein Vorgänger beging Republikflucht mit Frau und Kind. Und der jemenitische Vertragspartner verlangt dringend die Planstelle besetzt zu haben, Details kenne ich auch nicht, in Dessau erfährst du näheres.“ Eine Situation, die für mich neu ist, ich mache mir Gedanken, denn am 18.10.1984 wollen wir im Familienkreis und mit Freunden unsere Silberhochzeit feiern. Ob ich dann schon zu Hause bin? Man hat mir gesagt, es wäre nur für kurze Zeit, das Bauvorhaben steht kurz vor der Übergabe, daran muss ich glauben, so denke ich.

Der Zug nach Gera über Leipzig und Zeitz fährt nach 17:00 Uhr, die Zeit bis dahin verbringe ich beim Einkaufen, dann nehme ich Platz in der „Haxe“ hinter dem Alexander-Bahnhof neben der Post. An zwei Tischen sitzen amerikanische Soldaten aus Westberlin, die sich mit Eisbein, Bier und Wodka vergnügen. Bei deftiger Haxe, die den größten Teil des Tellers belegt, mit Sauerkraut, Salzkartoffeln, einem und zweitem doppelten Wodka und Bier versuche ich über die neue Lage nachzudenken. Schade, dass es nur für kurze Zeit ist, auch diesmal ohne meiner Helene und ohne meinen Hund Buffy.

Am Zeitzer Bahnhof werde ich erwartet. Bei meinem Bericht kommt keine Begeisterung auf. Aber die Möglichkeit, in die VDR Jemen zu reisen, möchten wir nicht aufgeben, vielleicht kommen noch interessantere Möglichkeiten auf uns zu.

Donnerstag, 5. Juli. Ich melde mich in der Außenwirtschaft des VEB BIK Dessau, wo ich begrüßt werde, wie einer ihrer ständigen Mitarbeiter. Wir kommen schnell zur Sache: „L.H. hat Republikflucht begangen, wir müssen diese Planstelle neu besetzen. Im Auftrag der jemenitischen Seite baut ein bulgarisches Bauunternehmen in Aden die Druckerei Dar al-Hamadani, nach unserem Projekt, das Bauvorhaben befindet sich in der Endphase. Deine Aufgabe ist die Überwachung und Koordinierung der Bauleistungen und die Teilnahme an Bauarbeitsberatungen. Vor Ort befinden sich der Chefmonteur Lothar Sell mit Frau vom Generallieferanten VEB Polygraph Leipzig und Horst Müller vom VEB Lufttechnischenanlagen (LTA) Dresden, zuständig für die Montage. Du bekommst das Projekt, kannst dich hineinknien, der Flug bis Aden ist nicht durchgehend, zwei Tage Aufenthalt in Damaskus musst du mitnehmen, dort werden dich unsere Mitarbeiter betreuen, denke an die Schutzimpfung. Bei der Einreise ist ein Nachweis über erfolgte Choleraschutzimpfung zu erbringen. Die Wiederholung der Choleraschutzimpfung ist alle 6 Monate notwendig, die holst du dir beim Botschaftsarzt.“

„Bin ich bis zum 15. Oktober schon zu Hause? Ich habe nämlich am 18.10. Silberhochzeit.“

„Natürlich. Es handelt sich höchstens um zwei Monate, da bist du wieder daheim und kannst deine Silberhochzeit feiern.“

Na, eine Sorge bin ich damit los und kann meine Helene beruhigen.

In der Außenwirtschaft in Halle wird mein Einsatz in der VDR Jemen gewürdigt. Die Zahl der Mitarbeiter ist größer geworden, eine tolle Truppe. Claus, unser Chef, igelt sich den ganzen Tag in seinem Büro ein und produziert Massenweise handgekritzelte Makulatur. Frau Mehlhase, unsere nette Sekretärin, kreiert im Schweiß ihres Angesichts, auf der klapprigen Schreibmaschine die Papierfetzen zu einem Vorzeigedokument und ist für uns einfache Mitarbeiter nicht zu sprechen. Meine Kollegen in der Abteilung interessieren sich für meine zukünftige Aufgabe in Aden in der VDR Jemen.

Dieter fragt: „Was ist das für eine kaum auszusprechende Bezeichnung Dar al-Hamadani? Das klingt ja wie Ali Baba und die vierzig Räuber.“

„Du Trottel, das ist der arabische Name der Druckerei, wie bei uns Walter Ulbricht Werke, Ernst Thälmann-Platz oder früher Stalin-Allee in Berlin“, antwortet genervt unserer älteste Kollege Gerhard, der bei den Russen in Gefangenschaft war.

Meine Kollegen überlegen und diskutieren: – ob Araberinnen auch verschleiert im Bett mit ihren Mann schlafen, – was trägt der Araber unter seinem weißen Gewand, – ob der Mann mehrere Frauen haben darf, – ob es bei Arabern auch Bordelle gibt wie in den kapitalistischen Ländern.

Kurt unser zweitältester Kollege hat schon arabische Luft geatmet, er war in Amman in Jordanien, er will seine Erfahrungen nicht preisgeben und nimmt an unseren Diskussionen nicht teil. Wahrscheinlich aus Angst verpfiffen zu werden, private Kontakte mit Arabern müssen gemeldet werden.

Unser Boss Claus hat auch Ärger mit seinen Auslandskadern, das sind die Maurer, Meister auf Baustellen in Westberlin oder in München, die nicht so spuren wie der Auftraggeber es wünscht. Manchmal sind das Lappalien, unsere Jungs denken sie sind auf einer DDR-Baustelle und dürfen Pausen machen, wie es ihnen passt. Oder sie verwechseln den Kreuzverband mit dem Blockverband oder das Fugenmaß weicht um ein paar Millimeter ab. Verbittert läuft dann unser Chef wie Falschgeld herum, führt Vieraugengespräche mit seinen Bauarbeitern oder lässt die braven Jungs auswechseln.

Montag, 16.7.1984. Ab heute bin ich Mitarbeiter der Außenwirtschaft beim VEB BIK Dessau und werde mit Zeichnungen, Leistungsverzeichnissen, Technischer Beschreibung zum Bauvorhaben Staatsdruckerei „Dar Al-Hamadani“ in der angeblichen Endphase überhäuft. Monatsberichte meines republikflüchtigen Vorgängers über den Bauablauf bekomme ich nicht, die befinden sich in Gewahrsam der Firma Horch und Guck, also bei der Staatssicherheit der DDR.

Mein Gesprächspartner mit vorgehaltener Hand und leichtem Lächeln: „Sie prüfen ob in den Monatsberichten Staatsgeheimnisse dem Klassenfeind verraten wurden. L.H. war so ehrlich, er hat uns seine Aktentasche von drüben mit dem letzten Monatsbericht, Zeichnungen, seine Skizzen und sogar die Baukassenabrechnung, Restgeld mit Dollarscheinen, Cent-Münzen und Dollarchecks mit der Post zugeschickt, sogar eine Ansichtskarte, ich glaube, aus Frankfurt am Main, mit lieben Grüssen an uns Genossen und Kollegen lag auch dabei, ein sehr netter Kumpel. Die Sendung wurde vom MfS beschlagnahmt, wir haben alle auf den Deckel bekommen, weil wir in die Aktentasche eines Republikflüchtigen hineingeschaut haben, hier war was los, die Wände haben gewackelt. Wir wurden verhört, wir müssen in Zukunft bei Ankunft ähnlicher Sendungen sofort das MfS anrufen und dürfen nicht reinschauen“, so mein Gesprächspartner.

Die technische Dokumentation gibt nur einen allgemeinen Einblick in den Umfang der Bauleistungen, es ist eine Halle, mehrere Räume, Fundamente für Maschinen, stabiler Fußboden, Kabelkanäle und Ausbauleistungen, eine kleine Baustelle. Ich werde mit Dollarscheinen für die Reise und Dollarschecks als Tagegeld in Aden ausgestattet, erhalte Flugtickets mit einer Okay-Buchung, Abflug ist am 31.7.1984.

Am Vorabend meiner Ausreise ruft mein Enkel Stefan an, er weint und fragt ob er nach Jemen mit kommen darf.

„Selbstverständlich darfst du mitreisen, aber zuerst musst du die Schule besuchen, einen Beruf erlernen, in der NVA dienen, ein Studium absolvieren und dann können wir beide reisen“, antworte ich.

Darauf mein Enkel: „Opa, lebst du dann noch?“

Heute, der 31.7.1984, am Flughafen verabschiede ich mich von Helene und von meiner Tochter in der festen Überzeugung, am 18.10.1984 da zu sein. Es ist 19:30 Uhr, die Il-62 nimmt Südostkurs, nach zirka viereinhalb Stunden Flug folgt unsere Zwischenlandung auf der Mittelmeerinsel Zypern in Larnaca, eine Stunde später sind wir in Damaskus, der Hauptstadt von Syrien. Damaskus hat 1,3 Millionen Einwohner und ist ein kulturelles und religiöses Zentrum des Nahen Ostens.

Mit einem Taxi fahre ich zum Hotel „International“, dort melde ich mich für zwei Nächte an. Am nächsten Morgen nehme ich Kontakt mit Detlef Mähler auf, übergebe Dienstpost vom VEB BIK Dessau und wir machen eine Stadtrundfahrt.

 

„Damaskus gilt, ähnlich wie Aleppo, als eine der ältesten durchgehend besiedelten Städte der Welt. Übrigens nicht weit von Aleppo hat das VEB BMK ‚Chemie‘ Zementsilos im Gleitbauverfahren gebaut. Archäologen notieren, dass die Oase schon seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. bewohnt war. Angeblich liegen Beweise im Archivpalast von Mari, dass der Ort ‚Dimashqa‘ schon vor etwa 2.500 v. Chr. erwähnt wurde. Die Altstadt ist von einer hohen fünf Kilometer langen Stadtmauer aus dem 11. Jahrhundert umschlossen, Teile der Mauer sind noch heute erhalten, sie gab Schutz vor mongolischen Überfällen. Acht Stadttore erfüllen noch heute ihren Zweck. Interessant für Christen ist das Tor des heiligen Thomas, es gehört zu den großen christlichen Vierteln der Altstadt. Das Tor des heiligen Paulus soll der Legende nach die Stelle sein, wo er seine Flucht aus Damaskus antrat“, so Detlef.

Wir fahren in Richtung Altstadt. Kraftfahrzeuge über Kraftfahrzeuge auf den Straßen. In Hanoi erlebte ich Chaos auf den Straßen, aber hier wird alles übertroffen. Die Vorfahrt beachten? Nein! Wer zuerst an der Kreuzung ist, hat Vorfahrt. Im mehrspurigen Kreisverkehr muss ich die Augen schließen, mein Gott.

Detlef beherrscht das Chaos perfekt: „Sonst kommst du nicht vorwärts. In den ersten Tagen meines Daseins in Damaskus, hatte ich auch Probleme, aber ich muss fahren.“


Damaskus

Wir halten in der Altstadt, besuchen den Suk al-Hamidye, ein Markttreiben, das an Hanoi erinnert, aber gepflegter ist. Händler kommen uns entgegen, bieten ihre Waren an. Es gibt orientalische Wasserpfeifen, diverse Tonerzeugnisse, Abayas (lange seidenen Frauenkleider), Kaftans (lange weiße Männerkleider), Gebetsteppiche in verschiedenen Größen, Farben und Motiven, Kopftücher, europäische Damen- und Herrenbekleidung, Lederartikel, Gewürze, Obst, Gemüse, Lebensmittel, alte und neue Möbel. Neben dem Suk al-Hamidye, am östlichen Ende, steht die Omaijaden-Moschee, ein prächtiges Bauwerk, man sagt 2.000 Jahre alt. Mein Begleiter empfiehlt, dieses wichtige islamische Gotteshaus zu besuchen. Die Moschee nimmt eine große Fläche ein, besteht aus dem Hof etwa 150 mal 100 Metern, mit Natursteinbelag sauber verlegt, scheint Marmor zu sein, dem Gebetshaus, dem überdachten Reinigungsbrunnen und ein Schatzhaus. Die Schöpfer dieser berühmten Omaijaden-Moschee waren hervorragende Künstler, die ihr Handwerk verstanden. Vor dem Betreten des Gebetshauses ziehen wir die Schuhe aus, eine Atmosphäre der Stille und Kühle kommt uns entgegen, da und dort liegen oder sitzen auf Teppichen Männer. Sie lesen im Koran oder meditieren.


Innenhof der Omaijaden-Moschee


Bethaus


Minarett der Omaijaden-Moschee


Die christliche Ananias-Kirche in der mult-religiöser Weltstadt Damaskus.

Der Innenraum ist voller Bögen und Säulen, auch hier sind herrliche Vierzierungen auf allen Flächen, die Gebetsrichtung zeigt nach Mekka, der kurze Aufenthalt in der Ruhestätte tut gut.

Donnerstag, 2.8.1984, nach fünf Stunden Flug mit der staatlichen jemenitischen Fluggesellschaft „Al-Yemda“ landet die Maschine in den Abendstunden auf dem Flughafen in Aden. Die Reisepassabfertigung verläuft zügig, ich bin der einzige Europäer, vor mir Araber, viele im weißen Kaftan gekleidet, einige sind indischer Herkunft. Der kleine Gepäckausgaberaum ist voller Menschen, der Lärm ist unübertrefflich. Wir stehen eng nebeneinander, ich muss wachsam sein, auf mein Handgepäck und die Dokumente achten. Uniformierte Zöllner stehen an einem Tisch, alle warten auf das Gepäck. Endlich erscheint die erste Plattform mit Koffern, Paketen. Taschen, Kisten, Säcken und Sperrgut. Ich habe drei Koffer, die kann ich gar nicht sehen, so viele Menschen sind vor mir. Die Zöllner kontrollieren, Gepäckstücke müssen geöffnet werden, es ist sehr warm, die Luft verbraucht, ich schwitze am ganzen Körper. Die Abfertigung verläuft sehr langsam, ich mache mir Sorgen um meine drei Koffer, beim Öffnen bekomme ich Probleme diese wieder zu schließen. Am Abfertigungstisch herrscht Chaos, Zöllner schreien, Fluggäste schreien, der Tisch ist voller Gegenstände, dazu laute ungewohnte arabische Musikklänge aus einem kreischenden Lautsprecher. Wie komme ich aus diesem Teufelskreis heraus? Ich zwänge mich immer näher an den Tisch heran und sehe meine drei Koffer, einsam stehen. Ein junger Jemenit hilft mir, die Koffer auf den Tisch zu hieven, mein Handgepäck lege ich daneben. Ich bin der nächste zur Zollkontrolle, der Zöllner schaut mich an und fragt, wohin ich möchte.

Ich antworte englisch: „Nach Dar al-Hamadani, ich bin Bauingenieur, zuständig für die Überwachung der Bauarbeiten auf der Baustelle Printing Presse Projekt in Ma'alla.“

Der Zöllner konsultiert seine Kollegen und ich darf den stickigen Raum mit Gepäck unkontrolliert verlassen. Zwei Jemeniten helfen mir zum Ausgang. Draußen warten meine Kollegen Lothar Sell, und Horst Müller, ein muskulöser Kraftpaket von 120 Kilogramm Gewicht. Eine Begrüßung folgt, wie bei alten Kriegskameraden. Obwohl später Abend ist, herrschen hohe schwülwarme Temperaturen.

Horst sagt: „Mein Thermometer zeigt 21:00 Uhr 35°C und 60 Prozent Luftfeuchtigkeit, am Tag sind die Temperaturen noch höher.“

Ich spüre die Nässe am Körper, Bekleidung haftet an der Haut.


Rechts unser Block links Strand dahinter indischer Ozean Straßenseite

Unsere Unterkunft befindet sich im Erdgeschoss, links wohnen Horst und ich, rechts Lothar Sell mit Frau. Jede Wohnung ist 70 m2, möbliert, klimatisiert, besteht aus zwei Schlafzimmern mit je zwei Betten, Wohnzimmer, Küche und Bad. Ich beziehe das freie Schlafzimmer, mache mich nach den Strapazen der Reise frisch. Nach 23:00 Uhr kommen wir zu einem Vorstellungsplausch zusammen.

Lothar Sell, Mitte 50, spezialisiert auf die Montage von Druckereianlagen, Horst Müller, Ende 30, spezialisiert auf die Montage lufttechnischer Anlagen, ich 50.

Wir trinken kühles Bier und Mineralwasser, hungrig bin ich nicht. Lothar berichtet über die Arbeits- und Lebensbedingungen: „Am längsten war dein Vorgänger L.H. hier, er begann im vergangenen Jahr mit dem bautechnischen Teil der Druckerei Dar al-Hamadani, dann kam ich mit Frau, und vor acht Wochen reiste Horst Müller ein. Wir wohnen im Stadtteil Khormaksar (Karl-Marx-Stadtteil) Beach-Road Block 16, arbeiten von Sonnabend bis Mittwoch 7:00 - 15:00 Uhr, Donnerstag 7:00 - 13:00, Freitag ist der muslimische Sonntag. Wir verpflegen uns selbst, ein Wartburg und ein Kleinbus ‚Suzuki‘ mit Kraftfahrer stehen uns zur Verfügung. Unser Dolmetscher ist Hussein, ein Iraker im Exil, er hat Journalistik in der DDR studiert, ist Mitarbeiter von Dar al-Hamadani.“

Ich frage: „Wie weit fortgeschritten sind die Baumassnahmen?“

Lothar antwortet bestürzt: „Die sind weit im Verzug, die Bulgaren haben Probleme mit ihren Arbeitskräften, es geht langsam voran, übrigens am Sonnabend kannst du den Bautenstand selber einschätzen.“

Mir wird schwindelig vor den Augen. Ich sage: „In Berlin, Dessau und Leipzig wurde mir gesagt, die Baumassnahmen befinden sich in der Endphase, in zwei Monaten bist du daheim, damit war ich einverstanden hierher zu kommen, ich habe am 18. Oktober Silberhochzeit und möchte bis dahin zu Hause sein.“

Darauf Lothar: „Das ist Quatsch was sie dir erzählt haben, weder aus Berlin, Dessau noch Leipzig war jemand hier. Meine Monatsberichte sagen was anderes. Wenn es wirklich so wäre, da brauchen wir dich nicht. Zum Räumen der Baustelle? Überzeuge dich übermorgen persönlich davon.“

Ich kann nicht einschlafen, wälze mich von einer Seite zur anderen, die Klimaanlage geht mir auf den Geist, mich quält der Gedanke, diesen schönen Tag nicht mit meiner Helene verbringen zu können. Zur Jugendweihe meiner Tochter war ich nicht da, zur Beisetzung meines Vater war ich nicht da und jetzt zur Silbernen Hochzeit bin ich auch nicht da. Was kommt noch auf mich zu?

Heute ist Freitag, der islamische Sonntag, ich habe schlecht geschlafen, Horst bereitet das Frühstück vor, ich mache mich für den Tag zurecht. Horst ist froh einen Gesprächspartner zu haben, beklagt die unzureichende Montagefreiheit für seine Anlagen, bittet meinen Einfluss bei den Bulgaren geltend zu machen und die Bauarbeiten voranzutreiben. In zwei Wochen reist unser Elektriker ein und der braucht für seine Elektroarbeiten Montagefreiheit.

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