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Frau Bovary

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Karl band seinen Schimmel an einen Baum; kletterte die Böschung hinauf und stellt sich auf die Lauer, die Taschenuhr in der Hand. Eine halbe Stunde verstrich – und dann noch neunzehn Minuten … Da gab es mit einem Male einen Schlag gegen die Mauer. Der Laden blieb sperrangelweit offen und wackelte noch eine Weile.

Am andern Morgen war Karl vor neun Uhr in Bertaux. Emma wurde über und über rot, als sie ihn sah. Sie lächelte gezwungen ein wenig, um ihre Fassung zu bewahren. Rouault umarmte seinen künftigen Schwiegersohn. Die Besprechung der geschäftlichen Punkte wurde verschoben. Übrigens war noch viel Zeit dazu, da die Hochzeit anstandshalber vor Ablauf von Karls Trauerjahr nicht stattfinden konnte, das hieß, nicht vor dem nächsten Frühjahr.

In dieser Erwartung verging der Winter. Fräulein Rouault beschäftigte sich mit ihrer Aussteuer. Ein Teil davon wurde in Rouen bestellt. Die Hemden und Hauben stellte sie nach Schnitten, die sie sich lieh, selbst her. Wenn Karl zu Besuch kam, plauderte das Brautpaar von den Vorbereitungen zur Hochzeitsfeier. Es wurde überlegt, in welchem Raume das Festmahl stattfinden, wieviel Platten und Schüsseln auf die Tafel kommen und was für Vorspeisen es geben solle.

Am liebsten hätte es Emma gehabt, wenn die Trauung auf nachts zwölf Uhr bei Fackelschein festgesetzt worden wäre; aber für solche Romantik hatte Vater Rouault kein Verständnis. Man einigte sich also auf eine Hochzeitsfeier, zu der dreiundvierzig Gäste Einladungen bekamen. Sechzehn Stunden wollte man bei Tisch sitzen bleiben. Am nächsten Tage und an den folgenden sollte es so weitergehen.

Viertes Kapitel

Die Hochzeitsgäste stellten sich pünktlich ein, in Kutschen, Landauern, Einspännern, Gigs, Kremsern mit Ledervorhängen, in allerlei Fuhrwerk moderner und vorsintflutlicher Art. Das junge Volk aus den nächsten Nachbardörfern kam tüchtig durchgerüttelt im Trabe in einem Heuwagen angefahren, aufrecht in einer Reihe stehend, die Hände an den Seitenstangen, um nicht umzufallen. Etliche eilten zehn Wegstunden weit herbei, aus Goderville, Normanville und Cany. Die Verwandten beider Familien waren samt und sonders geladen. Freunde, mit denen man uneins gewesen, versöhnte man, und es war an Bekannte geschrieben worden, von denen man wer weiß wie lange nichts gehört hatte.

Immer wieder vernahm man hinter der Gartenhecke Peitschengeknall. Eine Weile später erschien der Wagen im Hoftor. Im Galopp ging es bis zur Freitreppe, wo mit einem Rucke gehalten wurde. Die Insassen stiegen nach beiden Seiten aus. Man rieb sich die Knie und turnte mit den Armen. Die Damen, Hauben auf dem Kopfe, trugen städtische Kleider, goldne Uhrketten, Umhänge mit langen Enden, die sie sich kreuzweise umgeschlagen hatten, oder Schals, die mit einer Nadel auf dem Rücken festgesteckt waren, damit sie hinten den Hals frei ließen. Die Knaben, genau so angezogen wie ihre Väter, fühlten sich in ihren Röcken sichtlich unbehaglich; viele hatten an diesem Tage gar zum ersten Male richtige Stiefel an. Ihnen zur Seite gewahrte man vierzehn- bis sechzehnjährige Mädchen, offenbar ihre Basen oder älteren Schwestern, in ihren weißen Firmelkleidern, die man zur Feier des Tages um ein Stück länger gemacht hatte, alle mit roten verschämten Gesichtern und pomadisiertem Haar, voller Angst, sich die Handschuhe nicht zu beschmutzen. Da nicht Knechte genug da waren, um all die Wagen gleichzeitig abzuspannen, streiften die Herren die Rockärmel hoch und stellten ihre Pferde eigenhändig ein. Je nach ihrem gesellschaftlichen Range waren sie in Fräcken, Röcken oder Jacketts erschienen. Manche in ehrwürdigen Bratenröcken, die nur bei ganz besonderen Festlichkeiten feierlich aus dem Schranke geholt wurden; ihre langen Schöße flatterten im Winde, die Kragen daran sahen aus wie Halspanzer, und die Taschen hatten den Umfang von Säcken. Es waren auch Jacken aus derbem Tuch zum Vorschein gekommen, meist im Verein mit messingumränderten Mützen; fernerhin ganz kurze Röcke mit zwei dicht nebeneinandersitzenden großen Knöpfen hinten in der Taille und mit Schößen, die so ausschauten, als habe sie der Zimmermann mit einem Beile aus dem Ganzen herausgehackt. Ein paar (einige wenige) Gäste – und das waren solche, die dann an der Festtafel gewiß am alleruntersten Ende zu sitzen kamen – trugen nur Sonntagsblusen mit breitem Umlegekragen und Rückenfalten unter dem Gürtel.

Die steifen Hemden wölbten sich über den Brüsten wie Kürasse. Durchweg hatte man sich unlängst das Haar schneiden lassen (um so mehr standen die Ohren von den Schädeln ab!), und alle waren ordentlich rasiert. Manche, die noch im Dunkeln aufgestanden waren, hatten offenbar beim Rasieren nicht Licht genug gehabt und hatten sich unter der Nase die Kreuz und die Quer geschnitten oder hatten am Kinn Löcher in der Haut bekommen, groß wie Talerstücke. Unterwegs hatten sich diese Wunden in der frischen Morgenluft gerötet, und so leuchteten auf den breiten blassen Bauerngesichtern große rote Flecke.

Das Gemeindeamt lag eine halbe Stunde vom Pachthofe entfernt. Man begab sich zu Fuß dahin und ebenso zurück, nachdem die Zeremonie in der Kirche stattgefunden hatte. Der Hochzeitszug war anfangs wohlgeordnet gewesen. Wie ein buntes Band hatte er sich durch die grünen Felder geschlängelt. Aber bald lockerte er sich und zerfiel in verschiedene Gruppen, von denen sich die letzten plaudernd verspäteten. Ganz vorn schritt ein Spielmann mit einer buntbebänderten Fiedel. Dann kamen die Brautleute, darauf die Verwandten, dahinter ohne besondre Ordnung die Freunde und zuletzt die Kinder, die sich damit vergnügten, Ähren aus den Kornfeldern zu rupfen oder sich zu jagen, wenn es niemand sah. Emmas Kleid, das etwas zu lang war, schleppte ein wenig auf der Erde hin. Von Zeit zu Zeit blieb sie stehen, um den Rock aufzuraffen. Dabei las sie behutsam mit ihren behandschuhten Händen die kleinen stacheligen Distelblätter ab, die an ihrem Kleide hängen geblieben waren. Währenddem stand Karl mit leeren Händen da und wartete, bis sie fertig war. Vater Rouault trug einen neuen Zylinderhut und einen schwarzen Rock, dessen Ärmel ihm bis an die Fingernägel reichten. Am Arm führte er Frau Bovary senior. Der alte Herr Bovary, der im Grunde seines Herzens die ganze Sippschaft um sich herum verachtete, war einfach in einem uniformähnlichen einreihigen Rock erschienen. Ihm zur Seite schritt eine junge blonde Bäuerin, die er mir derben Galanterien traktierte. Sie hörte ihm respektvoll zu, wußte aber in ihrer Verlegenheit gar nicht, was sie sagen sollte. Die übrigen Gäste sprachen von ihren Geschäften oder ulkten sich gegenseitig an, um sich in fidele Stimmung zu bringen. Wer aufhorchte, hörte in einem fort das Tirilieren des Spielmannes, der auch im freien Felde weitergeigte. Sooft er bemerkte, daß die Gesellschaft weit hinter ihm zurückgeblieben war, machte er Halt und schöpfte Atem. Umständlich rieb er seinen Fiedelbogen mit Kolophonium ein, damit die Saiten schöner quietschen sollten, und dann setzte er sich wieder in Bewegung. Er hob und senkte den Hals seines Instruments, um recht hübsch im Takte zu bleiben. Die Fidelei verscheuchte die Vögel schon von weitem.

Die Festtafel war unter dem Schutzdache des Wagenschuppens aufgestellt. Es prangten darauf vier Lendenbraten, sechs Schüsseln mit Hühnerfrikassee, eine Platte mit gekochtem Kalbfleisch, drei Hammelkeulen und in der Mitte, umgeben von vier Leberwürsten in Sauerkraut, ein köstlich knusprig gebratenes Spanferkel. An den vier Ecken des Tisches brüsteten sich Karaffen mit Branntwein, und in einer langen Reihe von Flaschen wirbelte perlender Apfelweinsekt, während auf der Tafel bereits alle Gläser im voraus bis an den Rand vollgeschenkt waren. Große Teller mit gelber Creme, die beim leisesten Stoß gegen den Tisch zitterte und bebte, vervollständigten die Augenweide. Auf der glatten Oberfläche dieses Desserts prangten in umschnörkelten Monogrammen von Zuckerguß die Anfangsbuchstaben der Namen von Braut und Bräutigam. Für die Torten und Kuchen hatte man einen Konditor aus Yvetot kommen lassen. Da dies sein Debüt in der Gegend war, hatte er sich ganz besondre Mühe gegeben. Beim Nachtisch trug er eigenhändig ein Prunkstück seiner Kunst auf, das ein allgemeines „Ah!“ hervorrief. Der Unterbau aus blauer Pappe stellte ein von Sternen aus Goldpapier übersätes Tempelchen dar, mit einem Säulenumgang und Nischen, in denen Statuen aus Marzipan standen. Im zweiten Stockwerk rundete sich ein Festungsturm aus Pfefferkuchen, umbaut von einer Brustwehr aus Bonbons, Mandeln, Rosinen und Apfelsinenschnitten. Die oberste Plattform aber krönte über einer grünen Landschaft aus Wiesen, Felsen und Teichen mit Nußschalenschiffchen darauf (alles Zuckerwerk): ein niedlicher Amor, der sich auf einer Schaukel aus Schokolade wiegte. In den beiden kugelgeschmückten Schnäbeln der Schaukel steckten zwei lebendige Rosenknospen.

Man schmauste bis zum Abend. Wer von dem zu langen Sitzen ermüdet war, ging im Hof oder im Garten spazieren oder machte eine Partie des in jener Gegend beliebten Pfropfenspiels mit und setzte sich dann wieder an den Tisch. Ein paar Gäste schliefen gegen das Ende des Mahles ein und schnarchten ganz laut. Aber beim Kaffee war alles wieder munter. Man sang Lieder, vollführte allerlei Kraftleistungen, stemmte schwere Steine, schoß Purzelbäume, hob Schubkarren bis zur Schulterhöhe, erzählte gepfefferte Geschichten und scharwenzelte mit den Damen.

Vor dem Aufbruch war es kein leichtes Stück Arbeit, den Pferden, die allesamt der allzu reichlich vertilgte Hafer stach, die Kumte und Geschirre aufzulegen. Die übermütigen Tiere stiegen, bockten und schlugen aus, während die Herren und Kutscher fluchten und lachten. Die ganze Nacht hindurch gab es auf den mondbeglänzten Landstraßen in Karriere über Stock und Stein heimrasende Fuhrwerke.

Die nachtüber in Bertaux bleibenden Gäste zechten am Küchentische bis zum frühen Morgen weiter, während die Kinder unter den Bänken schliefen.

 

Die junge Frau hatte ihren Vater besonders gebeten, sie vor den herkömmlichen Späßen zu bewahren. Indessen machte sich ein Vetter – ein Seefischhändler, der als Hochzeitsgeschenk selbstverständlich ein paar Seezungen gestiftet hatte – doch daran, einen Mund voll Wasser durch das Schlüsselloch des Brautgemachs zu spritzen. Vater Rouault erwischte ihn gerade noch rechtzeitig, um ihn daran zu hindern. Er machte ihm klar, daß sich derartige Scherze mit der Würde seines Schwiegersohnes nicht vertrügen. Der Vetter ließ sich durch diese Einwände nur widerwillig von seinem Vorhaben abbringen. Insgeheim hielt er den alten Rouault für aufgeblasen. Er setzte sich unten in eine Ecke mir vier bis fünf andern Unzufriedenen, die während des Mahles bei der Wahl der Fleischstücke Mißgriffe getan hatten. Diese Unglücksmenschen räsonierten nun alle untereinander auf den Gastgeber und wünschten ihm ungeniert alles Üble.

Die alte Frau Bovary war den ganzen Tag über aus ihrer Verbissenheit nicht herausgekommen. Man hatte sie weder bei der Toilette ihrer Schwiegertochter noch bei den Vorbereitungen zur Hochzeitsfeier um Rat gefragt. Darum zog sie sich zeitig zurück. Ihrem Manne aber fiel es nicht ein, mit zu verschwinden; er ließ sich Zigarren holen und paffte bis zum Morgen, wozu er Grog von Kirschwasser trank. Da diese Mischung den Dabeisitzenden unbekannt war, staunte man ihn erst recht als Wundertier an.

Karl war kein witziger Kopf, und so hatte er während des Festes gar keine glänzende Rolle gespielt. Gegen alle die Neckereien, Späße, Kalauer, Zweideutigkeiten, Komplimente und Anulkungen, die ihm der Sitte gemäß bei Tische zuteil geworden waren, hatte er sich alles andre denn schlagfertig gezeigt. Um so mächtiger war seine innere Wandlung. Am andern Morgen war er offensichtlich wie neugeboren. Er und nicht Emma war tags zuvor sozusagen die Jungfrau gewesen. Die junge Frau beherrschte sich völlig und ließ sich nicht das geringste anmerken. Die größten Schandmäuler waren sprachlos; sie standen da wie vor einem Wundertier. Karl freilich machte aus seinem Glück kein Hehl. Er nannte Emma „mein liebes Frauchen“, duzte sie, lief ihr überallhin nach und zog sie mehrfach abseits, um allein mit ihr im Hofe unter den Bäumen ein wenig zu plaudern, wobei er den Arm vertraulich um ihre Taille legte. Beim Hin- und Hergehen kam er ihr mit seinem Gesicht ganz nahe und zerdrückte mit seinem Kopfe ihr Halstuch.

Zwei Tage nach der Hochzeit brachen die Neuvermählten auf. Karl konnte seiner Patienten wegen nicht länger verweilen. Vater Rouault ließ das Ehepaar in seinem Wagen nach Haus fahren und gab ihm persönlich bis Vassonville das Geleite. Beim Abschied küßte er seine Tochter noch einmal, dann stieg er aus und machte sich zu Fuß auf den Rückweg.

Nachdem er hundert Schritte gegangen war, blieb er stehen, um dem Wagen nachzuschauen, der die sandige Straße dahinrollte. Dabei seufzte er tief auf. Er dachte zurück an seine eigne Hochzeit, an längstvergangne Tage, an die Zeit der ersten Mutterschaft seiner Frau. Wie froh war er damals gewesen. Er erinnerte sich des Tages, wo er mit ihr das Haus des Schwiegervaters verlassen hatte. Auf dem Ritt in das eigne Heim, durch den tiefen Schnee, da hatte er seine Frau hinten auf die Kruppe seines Pferdes gesetzt. Es war so um Weihnachten herum gewesen, und die ganze Gegend war verschneit. Mit der einen Hand hatte sie sich an ihm festgehalten, in der andern ihren Korb getragen. Die langen Bänder ihres normannischen Kopfputzes hatten im Winde geflattert, und manchmal waren sie ihm um die Nase geflogen. Und wenn er sich umdrehte, sah er über seine Schulter weg ganz dicht hinter sich ihr niedliches rosiges Gesicht, das unter der Goldborte ihrer Haube still vor sich hinlächelte. Wenn sie an die Finger fror, steckte sie die Finger eine Weile in seinen Rock, ihm dicht an die Brust … Wie lange war das nun her! Wenn ihr Sohn am Leben geblieben wäre, dann wäre er jetzt dreißig Jahre alt!

Er blickte sich nochmals um. Auf der Straße war nichts mehr zu sehen. Da ward ihm unsagbar traurig zumute. In seinem von dem vielen Essen und Trinken beschwerten Hirne mischten sich die zärtlichen Erinnerungen mit schwermütigen Gedanken. Einen Augenblick lang verspürte er das Verlangen, den Umweg über den Friedhof zu machen. Aber er fürchtete sich davor, daß ihn dies nur noch trübseliger stimmte, und so ging er auf dem kürzesten Wege nach Hause.

Karl und Emma erreichten Tostes gegen sechs Uhr. Die Nachbarn stürzten an die Fenster, um die junge Frau Doktor zu erspähen. Die alte Magd empfing sie unter Glückwünschen und bat um Entschuldigung, daß das Mittagessen noch nicht ganz fertig sei. Sie lud die gnädige Frau ein, einstweilen ihr neues Heim in Augenschein zu nehmen.

Fünftes Kapitel

Die Backsteinfassade des Hauses stand gerade in der Fluchtlinie der Straße, genauer gesagt: der Landstraße. In der Hausflur, gleich an der Haustüre, hingen an einem Halter ein Kragenmantel, ein Zügel, eine Mütze aus schwarzem Leder, und in einem Winkel auf dem Fußboden lagen ein paar Gamaschen, voll von trocken gewordnem Straßenschmutz. Rechter Hand lag die „Große Stube“, das heißt der Raum, in dem die Mahlzeiten eingenommen wurden und der zugleich als Wohnzimmer diente. An den Wänden bauschte sich allenthalben die schlecht aufgeklebte zeisiggrüne Papiertapete, die an der Decke durch eine Girlande von blassen Blumen abgeschlossen ward. An den Fenstern überschnitten sich weiße Kattunvorhänge, die rote Borten hatten. Auf dem schmalen Sims des Kamins funkelte eine Stutzuhr mit dem Kopfe des Hippokrates zwischen zwei versilberten Leuchtern, die unter ovalen Glasglocken standen.

Auf der andern Seite der Flur lag Karls Sprechzimmer, ein kleines Gemach, etwa sechs Fuß in der Breite. Drinnen ein Tisch, drei Stühle und ein Schreibtischsessel. Die sechs Fächer eines Büchergestells aus Tannenholz wurden in der Hauptsache durch die Bände des „Medizinischen Lexikons“ ausgefüllt, die unaufgeschnitten geblieben waren und durch den mehrfachen Besitzerwechsel, den sie bereits erlebt hatten, zerfledderte Umschläge bekommen hatten. Durch die dünne Wand drang Buttergeruch aus der benachbarten Küche in das Sprechzimmer, während man dort hören konnte, wenn die Patienten husteten und ihre langen Leidensgeschichten erzählten.

Nach dem Hofe zu, wo das Stallgebäude stand, lag ein großes verwahrlostes Gemach, ehemals Backstube, das jetzt als Holzraum, Keller und Rumpelkammer diente und vollgepfropft war mit altem Eisen, leeren Fässern, abgetanenem Ackergerät und einer Menge andrer verstaubter Dinge, deren einstigen Zweck man ihnen kaum mehr ansehen konnte.

Der Garten, der mehr in die Länge denn in die Breite ging, dehnte sich zwischen zwei Lehmmauern mit Aprikosenspalieren; hinten begrenzte ihn eine Dornhecke und trennte ihn vom freien Felde. Mitten im Garten stand ein gemauerter Sockel mit einer Sonnenuhr darauf, auf einer Schieferplatte. Vier Felder mit dürftigen Heckenrosen umgürteten symmetrisch ein Mittelbeet mit nützlicherem Gewächs. Ganz am Ende des Gartens, in einer Fichtengruppe, stand eine Tonfigur: ein Mönch, in sein Brevier vertieft.

Emma stieg die Treppe hinauf. Das erste Zimmer oben war überhaupt nicht möbliert, aber im zweiten, der gemeinsamen Schlafstube, stand in einer Nische mir roten Vorhängen ein Himmelbett aus Mahagoniholz. Auf einer Kommode thronte eine mit Muscheln besetzte kleine Truhe, und auf dem Schreibpult am Fenster leuchtete in einer Kristallvase ein Strauß von Orangenblüten, umwunden von einem Seidenbande: ein Hochzeitsbukett, die Brautblumen der andern! Emma betrachtete sie. Karl bemerkte es, nahm den Strauß aus der Vase und trug ihn auf den Oberboden. Währenddem saß sie in einem Lehnstuhl. Ihr eigenes Brautbukett kam ihr in den Sinn, das in einer Schachtel verpackt war. Eben trug man ihr ihre Sachen in das Zimmer und baute sie um sie herum auf. Nachdenklich fragte sie sich, was wohl mit ihrem Strauße geschähe, wenn sie zufällig auch bald stürbe.

In den ersten Tagen beschäftigte sich Emma damit, sich allerlei Änderungen in ihrem Hause auszudenken. Sie nahm die Glasglocken von den Leuchtern, ließ neu tapezieren, die Treppe streichen und Bänke im Garten aufstellen, um die Sonnenuhr herum.

Sie erkundigte sich, ob nicht ein Wasserbassin mit einem Springbrunnen und Fischen darin angelegt werden könnte. Karl wußte, daß sie gern spazieren fuhr, und da sich gerade eine Gelegenheit bot, kaufte er ihr einen Wagen. Nach Anbringung von neuen Laternen und gesteppten Spritzledern sah er ganz aus wie ein Dogcart.

So war Karl der glücklichste und sorgenloseste Mensch auf der Welt. Die Mahlzeiten zu zweit, die Abendpromenaden auf der Landstraße, die Gesten von Emmas Hand, wenn sie sich das Band im Haar zurechtstrich, der Anblick ihres an einem Fensterkreuze hängenden Strohhutes und noch allerhand andre kleine Dinge, von denen er nie geglaubt hätte, daß sie einen erfreuen könnten, all das trug dazu bei, daß sein Glück nicht aufhörte. Frühmorgens im Bette, Seite an Seite mit ihr auf demselben Kopfkissen, sah er zu, wie die Sonnenlichter durch den blonden Flaum ihrer von den Haubenbändern halbverdeckten Wangen huschten. So aus der Nähe kamen ihm ihre Augen viel größer vor, besonders beim Erwachen, wenn sich ihre Lider mehrere Male hintereinander hoben und wieder senkten. Im Schatten sahen diese Augen schwarz aus und dunkelblau am lichten Tage; in ihrer Tiefe wurden sie immer dunkler, während sie sich nach der schimmernden Oberfläche zu aufhellten. Sein eigenes Auge verlor sich in diese Tiefe; er sah sich darin gespiegelt, ganz klein, bis an die Schultern, mit dem Seidentuche, das er sich um den Kopf geschlungen hatte, und dem Kragen seines offen stehenden Nachthemdes.

Wenn er aufgestanden war, schaute sie ihm vom Fenster aus nach, um ihn fortreiten zu sehen. Eine Weile blieb sie, auf das Fensterbrett gestützt, so stehen, in ihrem Morgenkleide, das sie leicht umfloß, zwischen zwei Geranienstöcken. Karl unten auf der Straße schnallte sich an einem Prellsteine seine Sporen an. Emma sprach in einem fort zu ihm von oben herunter, währenddem sie mit ihrem Munde eine Blüte oder ein Blättchen von den Geranien abzupfte und ihm zublies. Das Abgerupfte schwebte und schaukelte sich in der Luft, flog in kleinen Kreisen wie ein Vogel und blieb schließlich im Fallen in der ungepflegten Mähne der alten Schimmelstute hängen, die unbeweglich vor der Haustüre wartete. Karl saß auf und warf seiner Frau eine Kußhand zu. Sie antwortete winkend und schloß das Fenster. Er ritt ab.

Dann, auf der endlos sich hinwindenden staubigen Landstraße, in den Hohlwegen, über denen sich die Bäume zu einem Laubdache schlossen, auf den Feldwegen, wo ihm das Korn zu beiden Seiten die Knie streifte, die warme Sonne auf dem Rücken, die frische Morgenluft in der Nase und das Herz noch voll von den Freuden der Nacht, friedsamen Gemüts und befriedigter Sinne, – da genoß er all sein Glück abermals, just wie einer, der nach einem Schlemmermahle den Wohlgeschmack der Trüffeln, die er bereits verdaut, noch auf der Zunge hat.

Was hatte er bisher an Glück in seinem Leben erfahren? War er denn im Gymnasium glücklich gewesen, wo er sich in der Enge hoher Mauern so einsam gefühlt hatte, unter seinen Kameraden, die reicher und stärker waren als er, über seine bäuerische Aussprache lachten, sich über seinen Anzug lustig machten und zur Besuchszeit mit ihren Müttern plauderten, die mit Kuchen in der Tasche kamen? Oder etwa später als Student der Medizin, wo er niemals Geld genug im Beutel gehabt hatte, um irgendein kleines Mädel zum Tanz führen zu können, das seine Geliebte geworden wäre? Oder gar während der vierzehn Monate, da er mit der Witwe verheiratet war, deren Füße im Bett kalt wie Eisklumpen gewesen waren? Aber jetzt, jetzt besaß er für immerdar seine hübsche Frau, in die er vernarrt war. Seine Welt fand ihre Grenzen mit der Saumlinie ihres seidnen Unterrocks, und doch machte er sich den Vorwurf, er liebe sie nicht genug. Und so überkam ihn unterwegs die Sehnsucht nach ihr. Spornstreichs ritt er heimwärts, rannte die Treppe hinauf, mit klopfendem Herzen … Emma saß in ihrem Zimmer bei der Toilette. Er schlich sich auf den Fußspitzen von hinten an sie heran und küßte ihr den Nacken. Sie stieß einen Schrei aus.

Er konnte es nicht lassen, immer wieder ihren Kamm, ihre Ringe, ihr Halstuch zu befühlen. Manchmal küßte er sie tüchtig auf die Wangen, oder er reihte eine Menge kleiner Küsse gleichsam aneinander, die ihren nackten Arm in seiner ganzen Länge von den Fingerspitzen bis hinauf zur Schulter bedeckten. Sie wehrte ihn ab, lächelnd und gelangweilt, wie man ein kleines Kind zurückdrängt, das sich an einen anklammert.

Vor der Hochzeit hatte sie fest geglaubt, Liebe zu ihrem Karl zu empfinden. Aber als das Glück, das sie aus dieser Liebe erwartete, ausblieb, da mußte sie sich doch getäuscht haben. So dachte sie. Und sie gab sich Mühe, zu ergrübeln, wo eigentlich in der Wirklichkeit all das Schöne sei, das in den Romanen mit den Worten Glückseligkeit, Leidenschaft und Rausch so verlockend geschildert wird.

 
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