Der Luftkrieg

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2.
Wie Bert Smallways in Schwierigkeiten geriet
I

Weder Tom noch Bert Smallways kam es in den Sinn, daß die denkwürdige Luftvorstellung Mr. Butteridges das Leben des einen oder des anderen irgendwie besonders beeinflussen, daß sie sie irgendwie von den Millionen um sie her aussondern würde. Und nachdem sie sie von der Höhe von Bun Hill aus beobachtet und den fliegenden Mechanismus mit seinen rotierenden Planen, die im Sonnenuntergang wie ein goldener Nebel schienen, summend in den Hafen seiner Halle hatten sinken sehen, kehrten sie nach dem halbversunkenen Grünkramhandel unter dem großen Eisenpfeiler der London-Brightoner Einschienenbahn zurück und wandten sich wieder der Unterredung zu, die sie beschäftigt hatte, ehe Mr. Butteridges Triumph aus dem Londoner Nebel emporgetaucht war.

Es war eine schwierige und erfolglose Unterredung. Sie wurde auch nicht geredet, sondern geschrien, der dröhnenden und donnernden Motorwagen wegen, die die Hauptstraße passierten; und die ganze Unterredung war streitsüchtiger und privater Natur. Grubb's Geschäft war in Schwierigkeiten geraten, und Grubb hatte, in einem Moment finanzieller Beredsamkeit, Bert, dessen Beziehungen zu seinem Arbeitgeber schon seit einiger Zeit salärlos und locker und wenig förmlich geworden waren, die Teilhaberschaft angetragen.

Bert versuchte, Tom die Idee einzuhämmern, daß die neugebildete Firma Grubb & Smallways einem betriebsamen Kleinkapitalisten nie dagewesene und beispiellose Vorteile gewähre. Und dabei ging es Bert – wie etwas völlig Neues – auf, daß Tom merkwürdig unzugänglich für neue Ideen war … Schließlich ließ er das Finanzielle beiseite, spielte die ganze Geschichte einfach auf das Gebiet der brüderlichen Zärtlichkeit hinüber und erreichte dadurch auch einen Pump von zwanzig Shilling – gegen Ehrenwort!

Die Firma Grubb & Smallways, ehemals Grubb, hatte tatsächlich in den letzten paar Jahren recht viel Unglück gehabt. Seit vielen Jahren kämpfte sich die Firma – immer in einer Art romantischer Unsicherheit – in einem kleinen, trübseligen Laden der Hauptstraße durch, der mit grellfarbigen Fahrradreklamebildern, Klingeln, Pumpen, Ölkannen, Ledertaschen, Hosenklammern und anderem Zubehör, ferner mit Plakaten – »Räder werden ausgeliehen«, »Reparaturwerkstätte«, »Pumpstation«, »Benzin«, »Acetylen« – und ähnlichen Lockvögeln geziert war. Sie waren auch Agenten für allerhand obskure Fahrradfabriken; zwei Reklameräder bildeten ihr Lager; gelegentlich glückte auch ein Verkauf; nebenbei reparierten sie schadhafte Schläuche und überhaupt alles, was man ihnen brachte. Aber freilich – sie hatten nicht immer Glück. Auch billige Grammophone führten sie und allerhand Spielwerke. Aber den Grundstock ihres Geschäfts bildete das Vermieten von Fahrrädern. Es war das ein sonderbarer Handel, der keinerlei kommerziellen oder ökonomischen, überhaupt keinerlei Grundsätzen gehorchte. Er bestand aus einem Lager von Herren- und Damenrädern, alle in einem Zustand, der jeder Beschreibung spottete; und diese wurden an anspruchslose und vorschnelle, in den Dingen dieser Welt unbewanderte Menschen für die Summe von einem Shillig die erste, einem halben Shilling jede nächstfolgende Stunde vermietet. Tatsächlich gab es überhaupt keine festen Preise; und recht ausdauernde Jungens konnten ein Fahrrad und die damit verknüpfte Aufregung und Gefahr schon für sechzig Pence pro Stunde haben – das heißt, wenn es ihnen gelang, Grubb die Überzeugung beizubringen, daß das ihr ganzes Vermögen sei … worauf Grubb Sattel und Lenkstange ziemlich obenhin anschraubte, dann – außer bei Jungens, die er kannte – ein Pfand verlangte und die Maschine schmierte, worauf der Abenteurer loszog. Meist kamen er oder sie auch zurück; aber manchmal, wenn der Unfall ernster Natur war, mußten Bert oder Grubb ihre Räder selber heimholen. Die Miete wurde stets bis zur Stunde der Rückkehr berechnet und vom hinterlegten Pfand abgezogen. Selten nur gaben sie ein Fahrrad in einem Zustand pedantischer Leistungsfähigkeit aus der Hand. Die ausgeleierte Schraube, die den Sattel hielt, die bresthaften Pedale, die lose Kette, die Lenkstangen, die Bremse, alles strotzte von romantischen Unfallmöglichkeiten. Ein Knarren und Rasseln und Pochen, seltsame rhythmische Geräusche erhoben sich, während der kühne Mieter ins Land hinaus radelte. Die Glocke klemmte sich ein; die Bremse versagte an einer steilen Wegstelle; oder die Sattelstange lockerte sich, und der Sattel rutschte mit dumpfem Krach drei oder vier Zoll tiefer. Oder auch die lose, rasselnde Kette knirschte während des Bergabfahrens gegen die Zähne des Kettenrads und brachte die Maschine zu einem plötzlichen und verhängnisvollen Stillstand, ohne die Vornüberneigung des Radlers zu hemmen. Oder ein Reifen knarrte und stöhnte und gab den Kampf einfach auf …

Wenn dann der Radler als höchst erhitzter Fußgänger zurückkam, pflegte Grubb jegliche vorgebrachte Beschwerde mit großer Ruhe zu ignorieren und ernsthaft die Maschine zu begutachten.

»Schlecht behandelt worden!« begann er.

Und er wurde zu einer milden Verkörperung höchster Vernunft. »Sie können von einem Rad nicht verlangen, daß es Sie in den Arm nehmen und tragen soll!« pflegte er zu sagen. »Ein bißchen Intelligenz Ihrerseits gehört auch dazu. Es ist doch schließlich immer nur eine Maschine.«

Ab und zu grenzten die Versuche, die aus derartigen Vorkommnissen entstehenden Forderungen einzukassieren, geradezu ans Gewaltsame. Immer war es eine außerordentliche rhetorische und meist auch eine unerquickliche Angelegenheit; aber Klappern gehört nun einmal zum Handwerk in diesen fortschrittlichen Zeiten. Oft genug ereilte sie auch darin die Enttäuschung …

Die Chaussee von London nach Brighton, die durch Bun Hill lief, war – wie das britische Empire oder der britische Staat – eine Sache, die nach und nach in ihre Bedeutung hineingewachsen war. Ungleich anderen europäischen Chausseen ist an den britischen Landstraßen nie der Versuch gemacht worden, sie zu regulieren und nivellieren, welchem Umstand zweifellos ihr eigenartig malerisches Gepräge zuzuschreiben ist. Die alte Bun Hiller Chaussee fällt gegen ihr Ende zu um etwa achtzig bis hundert Fuß ab, in einem Winkel von eins zu fünf, wendet sich dann in rechtem Winkel nach links, läuft etwa zwanzig Meter lang in einem Bogen bis zu einer Backsteinbrücke über den trockenen Graben, der einst die Otterbourne war, biegt dann um eine dichte Baumgruppe scharf wieder nach rechts und geht als einfache, gerade, friedliche Chaussee weiter. Ehe es den Laden, den Grubb und Bert mieteten, hier gab, waren an dieser Stelle ein paar Pferde- und Motor- und Fahrradunfälle vorgekommen; und ehrlich gestanden – war es just die Wahrscheinlichkeit weiterer derartiger Unglücksfälle, die die beiden dorthin zog.

Erst waren ihnen solche Möglichkeiten in einer Art humorvoller Beleuchtung aufgegangen.

»Einer von den Plätzen, wo der Mensch sein Brot glatt durch Hühnerhalten verdienen könnte!« sagte Grubb.

»Durch Hühnerhalten verdient der Mensch nichts!« sagte Bert.

»Man hält die Hühner und läßt ihnen den Kopf abfahren«, sagte Grubb. »Die Automobilonkels müssen dafür blechen.«

Als sie den Laden schließlich mieteten, fiel ihnen beiden diese Unterredung wieder ein. Aber Hühner konnten leider nicht in Frage kommen; es war nirgends Platz für sie, außer sie hielten sie im Laden. Und daß sie da nicht am Platz waren, leuchtet ein. Der Laden war viel moderner als ihr voriger und hatte Spiegelglasscheiben. »Früher oder später«, sagte Bert, »fährt uns da ein Auto durch!«

»Schön!« sagte Grubb. »Entschädigung! Meinethalben kann das Auto kommen, wann's will. Gern – wenn's mir auch auf die Nerven geht!«

»Und einstweilen«, sagte Tom äußerst verschmitzt, »kauf ich mir einen Hund!«

Er kaufte einen Hund. Er kaufte hintereinander drei Hunde. Er setzte sämtliche Angestellte des Hundeasyls von Battersea durch seine Nachfrage nach einem tauben Hühnerhund und durch sein glattes Zurückweisen jedes Kandidaten, der die Ohren spitzte, in Verwunderung. »Ich möchte einen richtigen, tauben, schwerfälligen Hund«, sagte er. »Einen Hund, der sich nicht aufregt …« Die Leute zeigten eine unbequeme Neugier; sie erklärten, taube Hunde wären äußerst selten.

»Hunde«, behaupteten sie, » sind eben nicht taub.«

»Aber meiner soll's sein!« sagte Bert. »Hunde, die nicht taub sind, hab' ich gehabt. Grad genug. Wissen Sie, es ist nämlich das – ich verkaufe Grammophons. Und natürlich muß ich sie immer ein bißchen reden und quietschen lassen, wenn ich sie den Kunden zeige. Naja – und ein Hund, der nicht taub ist, mag das nicht, wird aufgeregt, schnüffelt, bellt, knurrt … Und das stört die Kunden. Begreifen Sie? Dann – ein Hund, der sein Gehör hat, bildet sich alles mögliche ein. Hält ganz gewöhnliche Vagabunden, die vorbeigehen, für Räuber … Meint, er müsse jedes Auto ankläffen, das vorübersaust … Alles ganz schön für Menschen, die ein bißchen Unterhaltung brauchen. Aber wir haben Unterhaltung genug. So einen Hund brauch' ich nicht. Ich brauch' einen ruhigen Hund.«

Schließlich erstand er hintereinander drei Hunde, aber keiner von ihnen wollte sich machen. Der erste verschwand ohne Spur, achtlos jeglichen Lockens … der zweite wurde eines Nachts von einem Obstauto überfahren, das entfloh, ehe Grubb auf die Straße kam; der dritte kollidierte mit dem Vorderrad eines heraussausenden Radlers, der durch die Spiegelscheibe rannte und sich als stellenloser Schauspieler und absoluter Bankrotteur entpuppte. Er verlangte Entschädigung für irgendeine aus der Luft gegriffene Verletzung, wollte von dem wertvollen Hund, den er getötet, oder dem Schaufenster, das er zerbrochen hatte, überhaupt nichts hören, zwang Grubb, einfach vermittels rein physischer Beharrlichkeit, ihm sein verbogenes Vorderrad zu flicken, und plagte die tapfer kämpfende Firma mit einer ganzen Reihenfolge von geschraubten und schwülstigen Drohbriefen, welche Grubb – äußerst bissig – beantwortete und sich dadurch, wie Bert fand, ins Unrecht setzte.

 

Unter all diesen Unannehmlichkeiten wurden die Geschäfte immer schwieriger und verzwickter. Das Schaufenster wurde mit Papier geflickt – und ein höchst unerquicklicher Wortwechsel betreffs der hinausgezögerten Reparatur mit dem neuen Hauswirt, einem Bun Hiller Schlächter, neben einem höchst unangenehmen, lauten, widerwärtigen Patron, mahnte sie an die ungeschlichteten Schwierigkeiten mit dem alten. So standen die Dinge, als Bert auf den Gedanken verfiel, eine Art Scheinfonds zugunsten Toms im Geschäft zu gründen. Aber wie gesagt – Tom hatte keinen Unternehmungsgeist. Seine Idee von Kapitalanlage war noch immer einfach – der Strumpf. Und er überredete seinen Bruder mit allen Mitteln, seine Offerte zurückzuziehen … Bald darauf bereitete sich das Schicksal zum letzten Ansturm gegen das sinkende Geschäft vor und vernichtete es ganz und gar.

II

Ein armes Herz, das keine Freude kennt!« Pfingsten schien als eine angenehme Unterbrechung der geschäftlichen Schwierigkeiten von Grubb & Smallways zu kommen. Ermutigt durch das praktische Ergebnis von Berts Unterhandlungen mit seinem Bruder und durch den Umstand, daß die Hälfte der Räder von Sonnabend bis Montag vermietet war, beschlossen sie, den Rest ihres Verleihgeschäfts am Sonntag sich selbst zu überlassen und diesen Tag der notwendigen Ausspannung und Erholung zu widmen, sich's am Pfingstsonntag einmal recht wohl sein zu lassen und dann neugestärkt zum Kampf mit ihren Schwierigkeiten und Festtagsreparaturen am Montag zurückzukehren. Überbürdete und gedrückte Menschen haben noch nie etwas wirklich Gutes geleistet. Der Zufall gab es, daß sie die Bekanntschaft zweier junger, in Clapham angestellter Damen, Miss Flossie Bright und Miss Edna Bunthorne, gemacht hatten; man beschloß also, zu viert einen vergnüglichen Radfahrausflug ins kentische Land zu machen, dort ein Picknick zu veranstalten und den Nachmittag und Abend unter den Bäumen und Farn zwischen Ashford und Maidstone zu verbringen.

Miss Bright konnte radeln, und es fand sich auch ein Rad für sie, nicht unter den Mietsrädern, sondern unter den zum Verkauf bestimmten. Miss Bunthorne, die Berts besonderer Schützling war, radelte nicht; er mietete darum mit einiger Schwierigkeit in dem großen Geschäft von Wray in der Claphamer Straße einen Anhängekorbwagen. Wer unsere Jünglinge, in farbenfrohem Gewand, die brennende Zigarette im Mund, zum Rendezvous abradeln sah, Grubb mit gewandter Hand das Damenrad neben sich her führend, Bert unentwegt töff-töffend, der konnte sich einen Begriff davon machen, wie tapfere Herzen sogar über Insolvenz zu triumphieren vermögen. Ihr Hauswirt, der Schlächter, grunzte laut, als sie an ihm vorüberkamen, und schrie hinter ihren entschwindenden Rücken ein zorniges: »Hep! Hep!« drein.

Als ob sie sich da etwas draus gemacht hätten!

Das Wetter war schön; und obwohl sie schon vor neun Uhr auf der Straße südwärts fuhren, waren bereits ganze Mengen von Festtäglern unterwegs. Haufen von jungen Leuten und Mädchen auf Rädern und Motorrädern; zwischen den altmodischen vierräderigen Fuhrwerken eine Unzahl gyroskopischer Motorwagen, die wie Fahrräder auf zwei Rädern liefen. Solche Festzeiten locken stets allerhand alte, halbvergessene Vehikel und seltsame Käuze ans Licht. Da waren Dreiräder und Kraftdroschken und alte, bresthafte Rennmotoren mit ungeheuren Pneus. Einmal sahen unsere Pfingstausflügler sogar ein Pferd mit einem Wägelchen und ein andermal einen jungen Mann, der unter dem Witzeln sämtlicher Weggenossen auf einem schwarzen Pferd ritt. Auch verschiedene Ballons segelten durch die Luft. Es war alles ganz unendlich interessant und erquicklich nach all den dunklen Sorgen des Ladens. Edna trug einen braunen Strohhut mit rotem Mohn, der ihr zum Entzücken stand, und saß in ihrem Stuhl wie eine Königin. Und das acht Jahre alte Motorrad lief, als wär' es von gestern.

Was kümmerte es Mr. Bert Smallways, daß ein Zeitungsplakat verkündete:


Deutschland wider die Monroe-Doktrin! Zweideutige Haltung Japans. Was wird England tun? Gibt es Krieg?

Derartige Geschichten las man ja immerzu; und an Festtagen schenkte man ihnen ganz selbstverständlich keine Beachtung. An Wochentagen, in der faulen Zeit nach Tisch, konnte man sich vielleicht einmal über Empire- und internationale Politik aufregen; aber nicht an einem sonnigen Sonntag, mit einem hübschen Mädel hinter sich und neidischen Radlern, die den Versuch machten, einen zu überholen. Ebensowenig maßen unsere jungen Leute den flüchtigen Anzeichen militärischer Tätigkeit, die ihnen ab und zu in den Blick gerieten, irgendwelche große Bedeutung zu. In der Nähe von Maidstone stießen sie auf eine Reihe von elf Motorgeschützen von eigentümlicher Konstruktion, die da neben der Straße aufgefahren und von einer Gruppe geschäftig aussehender Pioniere umgeben waren, welche mit Feldstechern eine Art Verschanzung an der höchsten Erhebung der Dünen betrachteten. Bert sah auch hierin nichts von Bedeutung.

»Was ist denn?« fragte Edna.

»O – Manöver!«

»O! Ich dächte, die wären zu Ostern«, sagte Edna und kümmerte sich nicht weiter um die Sache.

Der letzte große englische Krieg, der Burenkrieg, war vorüber und vergessen, und sachverständige militärische Kritik war im Publikum aus der Mode gekommen.

Unsere vier jungen Leute picknickten fröhlich und waren glücklich, so wie man dereinst schon im alten Ninive glücklich gewesen ist. Die Augen strahlten, Grubb war komisch, fast witzig; und Bert gelangen sogar Epigramme. Die Hecken waren voll wilder Rosen und Geißblatt; das ferne Tut-tut des Verkehrs auf der nebeldunstigen Landstraße konnte hier in den Wäldern fast ebensogut der Klang der Hörner aus Elfenland sein. Und sie lachten und schwatzten und pflückten Blumen und schnitten die Cour und plauderten, und die Mädels rauchten Zigaretten. Sie balgten sich auch zum Scherz herum. Unter anderem redeten sie auch von Aeronautik, und wie sie, noch ehe zehn Jahre um wären, in Berts Flugmaschine zu einem Picknick zusammenkommen wollten. Die Welt schien voll von lustigen Möglichkeiten an diesem Nachmittag. Und sie malten sich aus, was wohl ihre Urgroßeltern zu der Luftschifferei gesagt haben würden. Abends gegen sieben machten sie sich, ohne Böses zu ahnen, auf den Heimweg; und erst auf der Höhe der Dünen zwischen Wrotham und Kingsdown ereilte sie das Unheil.

Sie waren im Zwielicht den Hügel hinangefahren; Bert wollte gern so weit als möglich kommen, ehe er seinen Scheinwerfer einschaltete – oder versuchte, ihn einzuschalten; denn der Erfolg war zweifelhaft; und sie waren an einer ganzen Anzahl von Radlern und einem vierräderigen Automobil alten Stils, das infolge eines geplatzten Pneus lahmte, vorübergesaust. In Berts Huppe war etwas Staub geraten, wodurch in sein »Töttöt!« ein sonderbares, komisches, pfeifendes Geräusch kam. Der Erheiterung wegen und aus Hochgefühl machte er dies Geräusch so oft als möglich, und Edna lachte sich in ihrem Korbsitz halb krank. Sie kamen dahergebraust wie eine Woge von Fröhlichkeit, die auf ihre Weggenossen, je nach den verschiedenen Temperamenten, recht verschieden wirkte. Edna bemerkte eine Wolke bläulichen, übelriechenden Rauchs, die zwischen den Rasten unter Berts Füßen hervorquoll. Da sie aber dachte, das sei wohl eine der natürlichen Begleiterscheinungen des Motorwesens, machte sie sich weiter keine Gedanken darüber, bis plötzlich eine kleine, gelb-spitzige Flamme hervorbrach.

»Bert!« kreischte sie.

Aber Bert hatte die Bremse bereits mit solcher Plötzlichkeit angezogen, daß Edna, als er abstieg, mit seinem Bein in Kollision kam. Sie ging auf die Seite der Straße und rückte hastig ihren Hut zurecht, der Not gelitten hatte.

»Verflucht noch eins!« sagte Bert.

Ein paar verhängnisvolle Sekunden lang sah er zu, wie das Benzin heraustropfte und Feuer fing, und wie die Flamme, die jetzt nach Lack zu stinken begann, wuchs und sich ausbreitete. Sein erster Gedanke war Kummer darüber, daß er die Maschine nicht vor einem Jahr verkauft hatte und daß er das hätte tun sollen – an sich ja ein ganz guter, aber nicht unmittelbar hilfreicher Gedanke. Er wandte sich rasch zu Edna. »Beschaff einen Haufen nassen Sand!« sagte er. Dann führte er die Maschine ein bißchen zur Seite, legte sie auf die Erde und sah sich nach einem Vorrat nassen Sandes um. Die Flammen betrachteten dies als freundliche Aufmunterung, die sie sich auch nach Kräften zunutze machten. Sie schienen immer heller zu werden, während die Dämmerung um sie immer tiefer wurde. Die Straße war eine der steinharten Straßen des Kalkgebiets und nur dürftig mit Sand versehen.

Edna redete einen kleinen, dicken Radler an. »Wir brauchen nassen Sand«, sagte sie. »Unser Motor brennt.« Der kleine, dicke Radler glotzte einen Augenblick verständnislos und begann dann mit einem hilfreichen Ausruf im Straßenstaub zu scharren, worauf Edna und Bert ebenfalls im Straßenstaub scharrten. Weitere Radler langten an, saßen ab und standen herum; ihre flammenerleuchteten Gesichter drückten Befriedigung, Interesse und Neugier aus. »Nasser Sand!« sagte der kurze Dicke unter wütendem Gescharre. »Nasser Sand!« Ein anderer half ihm. Und sie warfen Hände voll sauer erworbenen Straßenstaubs auf die Flammen, die sie mit Begeisterung aufnahmen.

Jetzt langte Grubb in großer Hast an. Er schrie etwas. Er sprang ab und warf sein Rad gegen die Hecke. »Kein Wasser draufschütten!« sagte er. »Kein Wasser draufschütten!« Er entwickelte eine dominierende Geistesgegenwart und war sofort Herr der Situation. Die andern wiederholten mit Wonne, was er sagte, und machten nach, was er tat.

»Kein Wasser draufschütten!« schrien sie. Es gab auch gar kein Wasser.

»Erstickt es doch, ihr Dummköpfe!« sagte er.

Er ergriff eine Decke in dem Korbstuhl (es war eine Wolldecke und ein Hauptbestandteil von Berts winterlicher Lagerstatt) und fing an, damit auf das brennende Benzin loszuhauen. Dabei spritzte er brennende Benzintümpel über die Straße, und andere, angefeuert durch seinen Enthusiasmus, machten es ihm nach. Bert packte ein Stuhlkissen und begann ebenfalls dreinzuschlagen. Noch ein zweites Kissen war vorhanden und ein Tischtuch. Auch sie mußten herhalten. Ein junger Held riß sich den Rock ab und beteiligte sich am Dreinschlagen. Einen Augenblick hörte man wenig reden und viel heftiges Atmen und fürchterliches Klopfen. Flossie, die eben hinter dem Kreis der Zuschauer auftauchte, rief: »O Gott!« und brach in lautes Schluchzen aus. »Hilfe!« sagte sie. »Feuer!«

Das hinkende Automobil kam und hielt voll Bestürzung an. Ein großer, bebrillter, grauhaariger Herr, der es lenkte und aussah wie ein »Studierter«, fragte mit scharf akzentuierter Aussprache: »Können wir vielleicht helfen?«

Die Decke, das Tischtuch, die Kissen und der Rock wiesen immer deutlichere Spuren von Benzin und Flammen auf. Aus dem Kissen, das Bert schwang, schien die Seele zu entweichen; die Luft war voller Federn, wie ein Schneesturm in der stillen Dämmerung. Bert war voll Staub und Schweiß und Eifer. Ihm war, als sei ihm im Augenblick des Siegs die Waffe entrissen worden. Das Feuer lag wie ein sterbendes, bösartiges Wesen an der Erde; bei jedem Hieb, der ihm versetzt wurde, zuckte es voll Qual empor. Grubb hatte sich jetzt entfernt, um die brennende Decke auszutreten; die andern begannen just im Augenblick des Siegs nachzulassen. Einer hatte das Kissen fallen lassen und lief nach dem Automobil. »He!« schrie Bert. »Weitergemacht!«

Er schleuderte die schlappen, brennenden Fetzen des Kissens beiseite, riß sich den Rock vom Leib und sprang mit einem lauten Ruf in die Flammen. Er trampelte in dem Ruin herum, bis die Flammen an seinen Stiefeln emporleckten. Edna sah ihn so, als rotbeleuchteten Helden, und dachte, es sei doch schön, ein Mann zu sein.

Einem Zuschauer flog aus der Luft eine heiße Kupfermünze ins Gesicht. Dann fielen Bert die Papiere in seinen Taschen ein; und er stolperte rückwärts und versuchte, seinen brennenden Rock zu löschen – besiegt, zurückgeschlagen, entmutigt …

Edna fiel die wohlwollende Erscheinung eines ältlichen Zuschauers in Zylinder und Sabbatkleidung auf. »O!« rief sie ihn an. »Helfen Sie doch dem jungen Mann! Wie können Sie so dastehen und das mit ansehen!«

 

Jemand rief: »Ein Spritzleder!«

Ein ernsthaft aussehender Herr in einem sehr hellgrauen Radfahranzug war plötzlich neben dem hinkenden Automobil aufgetaucht und hatte den Eigentümer angeredet. »Haben Sie ein Spritzleder?« fragte er.

»Ja«, erwiderte der studiert aussehende Herr. »Ja. Wir haben ein Spritzleder.«

»Recht so!« sagte der Ernsthafte plötzlich sehr laut. »Geben Sie her, fix!«

Der studiert aussehende Herr brachte mit matten und demütigen Gebärden, ungefähr wie ein Mensch in der Hypnose, ein prächtiges, großes Spritzleder zum Vorschein.

»Hier!« rief der Ernsthafte Grubb zu. »Fangen Sie!«

Jetzt begriffen alle, daß eine neue Methode versucht werden sollte. Eine Anzahl williger Hände ergriff das Spritzleder des studierten Herrn. Die andern machten unter beifälligem Gemurmel Platz. Das Spritzleder wurde wie ein Baldachin über das brennende Rad gehalten und dann fest darauf gepreßt.

»Das hätten wir früher tun sollen!« keuchte Grubb.

Ein Moment des Triumphs. Die Flammen verschwanden. Jeder, der nur irgendwie konnte, faßte den Saum des Spritzleders. Bert hielt den einen Zipfel mit zwei Händen und einem Fuß nieder. Das Spritzleder, in der Mitte hoch aufgebauscht, schien ein triumphierendes Frohlocken zu unterdrücken. Dann ward ihm seine Selbstbewunderung übermächtig; seine Mitte öffnete sich zu einem strahlendroten Lächeln. Es war genau, wie wenn ein Mund sich öffnet. Es lachte mit einem Schauer von Flammen, die sich rot in den Brillengläsern des Herrn widerspiegelten, dem das Spritzleder gehörte. Alles wich zurück.

»Rettet den Korbwagen!« rief jemand. Das war der letzte Waffengang im Kampf. Aber der Korbwagen ließ sich nicht abhängen; das Geflecht hatte Feuer gefangen; und auch dies Letzte verbrannte. Eine Stille senkte sich über die ganze Versammlung. Das Benzin brannte in niedrigen Flammen; der Korbsessel prasselte und krachte. Die Menge teilte sich in einen äußeren Ring von Kritikern, Ratgebern und Nebenpersonen, die wenig hervorragende oder gar keine Rollen in der Sache gespielt hatten, und eine Mittelgruppe von aufgeregten und sorgenvollen Hauptfiguren. Ein junger Mann von wißbegierigem Geist und beträchtlichen Kenntnissen in Motorrädern heftete sich an Grubbs Fersen und wünschte zu beweisen, daß die Geschichte eigentlich gar nicht hätte passieren können. Grubb behandelte ihn kurzangebunden und unaufmerksam, und der junge Mann zog sich hinter die Menge zurück und erzählte dem wohlwollenden alten Herrn im Zylinder, daß Leute, die mit Maschinen ausradelten, von denen sie nichts verständen, ganz allein selbst daran schuld wären, wenn's schiefginge.

Der alte Herr ließ ihn eine Zeitlang reden und bemerkte dann in einem Ton innigster Beglücktheit: »Stocktaub!« worauf er noch hinzufügte: »Ekelhafte Dinger!«

Ein Mann mit rosigem Gesicht und einem Strohhut lenkte jetzt die Aufmerksamkeit auf sich. »Das Vorderrad hab' ich gerettet«, sagte er. »Der Reifen hätt' auch Feuer gefangen, wenn ich's nicht immerzu herumgedreht hätte.« Man erkannte auch deutlich, daß dem so war. Das Vorderrad hatte noch seinen Gummireifen, war intakt und unbeschädigt und drehte sich noch immer langsam zwischen den geschwärzten und verbogenen Trümmern der übrigen Maschine. Es hatte etwas von der Miene bewußter Tugend und makelloser Respektabilität an sich, die einen Rentier in einer Nachbarschaft von lauter kleinen Leuten kennzeichnet. »Das Rad ist sein gutes Pfund wert«, sagte der Mann mit dem rosigen Gesicht; und wiederholte als Refrain: »Ich hab's immerzu herumgedreht.«

Von Süden kamen fortwährend neue Zuschauer mit der Frage: »Was gibt's?« Bis es Grubb schließlich auf die Nerven ging. Londonwärts lösten sich immer mehr Leute von der Menge. Sie bestiegen ihre verschiedenen Räder mit dem befriedigten Gebaren von Zuschauern, die alles aufs beste gesehen haben. Ihre Stimmen verklangen in der Dämmerung; ab und zu hörte man ein Lachen bei der Erinnerung an diese oder jene besonders denkwürdige Einzelheit.

»Ich fürchte«, sagte der Herr mit dem Automobil, »mein Spritzleder ist ein bißchen beschädigt.«

Grubb gab zu, daß der Besitzer das wohl selbst am besten beurteilen könnte.

»Kann ich sonst nichts für Sie tun?« fuhr der Herr mit dem Automobil fort – vielleicht mit einem ganz leisen Beiklang von Ironie.

Berts Tatkraft kehrte zurück. »Die junge Dame da!« sagte er. »Wenn sie um zehn nicht daheim ist, wird sie ausgeschlossen. Verstehen Sie? Mein Geld war alles in meiner Rocktasche und liegt bei dem verbrannten Zeug; und das ist zu heiß zum Anfassen. Ist Clapham sehr weit von Ihrem Weg?«

»Es geht in einem hin«, sagte der Herr mit dem Automobil und wandte sich an Edna. »Es wird uns ein großes Vergnügen sein, wenn Sie mit uns kommen wollen. Wir sind sowieso zu spät dran zum Essen, so macht es keinen großen Unterschied für uns, wenn wir über Clapham fahren. Wir müssen ja doch nach Surbiton. Ich fürchte nur, Sie werden sich mit uns langweilen.«

»Aber was wird aus Bert?« fragte Edna.

»Ich glaube nicht, daß wir Bert unterbringen können«, sagte der Automobilherr, »obgleich wir ja unendlich gern zu Ihren Diensten stehen.«

»Sie könnten nicht das ganze Zeug da mitnehmen?« sagte Bert mit einer Handbewegung nach den rußigen und verwüsteten Trümmern am Boden.

»Ich fürchte wirklich, ich kann nicht«, sagte der Studierte. »Tut mir unendlich leid!«

»Dann muß ich eben noch hier bleiben«, sagte Bert. »Ich kann die Geschichte nicht im Stich lassen. Du gehst, Edna!«

»Ich laß dich nicht gern allein, Bert!«

»Hilft nichts, Edna!«

Das letzte, was Edna von Bert sah, war eine Gestalt in verkohlten, rußigen Hemdsärmeln, die im Dunkel stand. Da stand er, in tiefem Sinnen, bei den durcheinanderliegenden Eisenteilen und Ascheresten seines entschwundenen Motorrads, eine melancholische Erscheinung. Sein Gefolge von Zuschauern war jetzt auf ein halbes Dutzend Gestalten zusammengeschrumpft. Flossie und Grubb schickten sich an, Ednas Fahnenflucht nachzuahmen.

»Kopf hoch, Bert!« rief Edna mit erkünstelter Fröhlichkeit. »Bis dann!«

»Bis dann, Edna!« sagte Bert.

»Auf Wiedersehen morgen!«

»Auf Wiedersehen morgen!« sagte Bert, obgleich es ihm in Wirklichkeit beschieden sein sollte, ein gut Teil der bewohnbaren Erdkugel zu sehen, ehe er Edna wiedersah.

Er begann mittels einer Schachtel Streichhölzer, die ihm jemand borgte, Licht zu verbreiten und nach einem Halbkronenstück zu suchen, das noch unter den verkohlten Überresten versteckt sein mußte. Sein Gesicht war ernst und melancholisch.

»Ich wollte, es wär' nicht passiert!« sagte Flossie, während sie mit Grubb davonfuhr …

Und endlich war Bert fast allein, eine traurige, rußige Prometheusgestalt, mit dem Fluch des Feuers beladen. Er hatte sich bis jetzt noch in unklaren Vorstellungen gewiegt, wie er einen Wagen nehmen, wunderbare Reparaturen bewerkstelligen und noch immer einen letzten Rest von Wert aus seinem einen Hauptbesitztum herausschlagen würde. Jetzt, in der dunkelnden Nacht, wurde ihm die Eitelkeit solcher Pläne klar. Die Wahrheit fiel rauh über ihn her und zwang ihm ihre frostige Überzeugung auf. Er ergriff die Lenkstange, richtete das Ding auf und versuchte, es mit sich zu führen. Das reifenlose Hinterrad war, wie er selbst gefürchtet hatte, hoffnungslos verbogen. Etwa eine Minute stand er, seine Maschine haltend, ein Bild regloser Verzweiflung. Dann warf er mit einer Kraftanstrengung die Trümmer von sich in den Straßengraben, stieß noch einmal mit dem Fuß danach, betrachtete sie einen Augenblick und wandte sein Gesicht entschlossen londonwärts.

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